»Patient kann viel Arzt ab« - Dr. med. Jürgen Madert - E-Book

»Patient kann viel Arzt ab« E-Book

Dr. med. Jürgen Madert

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Beschreibung

In 28 Geschichten streift der Leser durch die medizinische Historie des Arztes und Autors. Angefangen als Pflegehelfer, später als Leitender Oberarzt in einer großen Klinik, werden in diesem Buch keine großen Taten und heroische Eingriffe getätigt, sondern der ärztliche Alltag, mit seinen oft kuriosen Aspekten, erzählt. Amüsante Geschichten wechseln sich mit Nachdenklichen ab und geben einen Einblick in das chirurgische Gewerbe. Mit Humor schreibt Jürgen Madert von den Irritationen im Umgang mit Patienten, den nicht alltäglichen Vorkommnissen im Operationssaal. Am Ende jeder Geschichte gibt es ein Kapitel, welches den medizinsichen Kontext erklärt.

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Seitenzahl: 82

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»Patient kann viel Arzt ab«

1. Auflage, erschienen 12-2022

Umschlaggestaltung: Romeon Verlag

Illustrationen: Renu Wilsch-Madert

Text: Dr. med. Jürgen Madert

Layout: Romeon Verlag

ISBN: 978-3-96229-667-4

www.romeon-verlag.de

Copyright © Romeon Verlag, Jüchen

Das Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung und Vervielfältigung des Werkes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks und der Übersetzung, sind vorbehalten. Ohne ausdrückliche schriftliche Genehmigung des Verlages darf das Werk, auch nicht Teile daraus, weder reproduziert, übertragen noch kopiert werden. Zuwiderhandlung verpflichtet zu Schadenersatz.

Alle im Buch enthaltenen Angaben, Ergebnisse usw. wurden vom Autor nach bestem Gewissen erstellt. Sie erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Verlages. Er übernimmt deshalb keinerlei Verantwortung und Haftung für etwa vorhandene Unrichtigkeiten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de/opac.htm abrufbar.

Dr. med. Jürgen Madert

»Patient kann viel Arzt ab«

Eindrücke aus der Chirurgie

Mit den 28 Geschichten streift der Leser durch die medizinische Historie des Autors. Nur wenige Geschichten stammen von anderen Personen.

Angefangen als Pflegehelfer, später als Leitender Oberarzt in einer großen Klinik wurden in den Geschichten keine großen Taten und heroische Eingriffe getätigt, sondern es galt eher, den ärztlichen Alltag mit seinen oft kuriosen Aspekten zu bewältigen.

Amüsante Geschichten wechseln sich mit nachdenklichen ab und geben ein wenig Einblick in das chirurgische Gewerbe.

Im Vordergrund steht die Geschichte. Der Humor bezieht sich auf die Umstände. Keinesfalls ist beabsichtigt, Patienten zu desavouieren.

Teilweise sind Namen, Orte aus Datenschutzgründen, die Geschichten aus dramaturgischen Gründen geändert.

Ohne die Hilfe von Dr. Franz Jürgen Schell, von dem auch eine Geschichte stammt, wäre das Büchlein nicht zustande gekommen. Nicht nur, dass er mich dazu motivierte, sondern er lektorierte jede Story und bügelte Ungereimtheiten, Unverständliches etc. aus. Vielen Dank dafür.

Ebenso muss ich mich bei Sarah Friedrichs bedanken, die im Anschluss die Grammatik-, Satzstellungs-, Orthographie- und Kommafehler etc. korrigierte.

Inhalt

Einleitung

Die Nitroglyzerinbombe

Der erste Tote

»Patient kann viel Arzt ab.«

Lernen durch praktische Erfahrung

Psychologen können irgendwie nicht schreien

»Papa, das tut weh!«

»Jungs, das habt Ihr gut gemacht.«

Es kommt doch manchmal anders als man denkt

»Ach hätten wir sie doch bloß hypothyreot gelassen.«

»Herr S., haben Sie eigentlich die Verriegelungsschrauben unten entfernt?«

Stehend kollabiert und stehen geblieben

Die link(e) Pfanne

Der Pferdetritt

Die Lady mit den Käfern auf dem Bademantel

»Das ist ein Neurologe.«

»Das gehört zum Geschäft.«

Falsche Seite – der mentale Twist

Angriff der Fliege

»Dann muss ich ihr das mal sagen.«

»Bitte Herr Doktor, er darf auf keinen Fall sterben, sonst darf ich nie wieder nach Hause.«

»Und jetzt en Wurstbrot.«

Der stahlblaue Ring

»Psst, der Doktor schläft.«

GOMER & Konsorten

Uns war der Döner nicht gegönnt

Augen auf beim Sägen

Deal – Lesebrille gegen stationäre Aufnahme

Chef

Der Autor

Einleitung

Chirurgie ist ein schönes, anspruchsvolles, aber ein anstrengendes … und auch gefährliches Fach.

Die Chirurgen, the Surgeons, les Chirugiens gehen immerhin mit einem Messer auf die Menschen los und verüben eine gefährliche Körperverletzung – so sieht es zumindest die Jurisprudenz. Der Patient muss dafür einwilligen, dass man ihn gefährlich verletzen darf.

Damit stehen beide in einem großen ernsten Spannungsfeld, aus denen sich aber auch durchaus humorvolle Seiten ergeben.

Die Nitroglyzerinbombe

Ich war vor meinem Studium als Pflegehelfer im Allgemeinen Krankenhaus R. in Hamburg auf der Intensivstation als Nachtwache beschäftigt. Für mich, der Medizin studieren wollte, eine faszinierende Tätigkeit, da ich jedes Mal viel Neues lernte, die ganze Arbeit ungeheuer spannend fand und dort auch auf wirklich kranke Menschen traf. Ich bemühte mich daher, möglichst viele Nachtwachen zu ergattern.

Die Station war mit zwei ausgebildeten Pflegekräften und …

»Jürgen, komm mal.«

Das war Schwester Marlies (Mann, sah die gut aus und hatte wunderbare tiefbraune Augen. Ich gebe zu, ich war damals ein wenig in sie verschossen) … und einer studentischen Hilfskraft, mir zum Beispiel, besetzt.

»Jürgen, komm mal«, die Stimme klang irgendwie eindringlich und ängstlich.

»Wo bist denn du?«

»In der Küche.«

Als ich die Küche betrat, war die Eindringlichkeit und Ängstlichkeit verständlich. In der Ecke stand ein Patient, Herr Draft. In der rechten Hand das große Brotmesser hoch erhoben, bedrohlich auf Marlies gerichtet und in der linken eine mit einer wässrigen Flüssigkeit gefüllten Glasflasche.

»Hallo Herr Draft.«

»Bleiben Sie, wo Sie sind!!«

Er hatte ein furchterregendes Gesicht. Er war hochgewachsen, aber ausgesprochen dünn. Wie kampfbereit erscheinend, stand er mit leicht eingeknickten Beinen in gebeugter Haltung in der Ecke der Küche. Sein grünes Flügelhemd hing wie eine Schürze an seinem Hals und pendelte vor seinem mageren Körper. Aus seinem Bauch schauten lose Schläuche heraus, an denen Drainageflaschen gehangen hatten und die er wohl abgerissen hatte.

»Das ist eine Nitroglyzerinbombe, ich sprenge Euch alle in die Luft!«

Das war garantiert keine Nitroglyzerinbombe, sondern schlichtweg eine NaCl-Lösung zur Infusion, dachte ich, aber diese Glasflasche an den Kopf zu bekommen, wäre auch kein Vergnügen.

»Was machen wir? Die Polizei rufen?«

Jetzt kam noch Alex, der Pfleger, der erfahrene Pfleger dazu. Sah die Situation, erkannte, dass wir gleich alle in die Luft gesprengt werden würden, verschwand und kam dann mit zwei mit Schmutzwäsche gefüllten Wäschesäcken wieder.

Schon trafen die Wäschesäcke den armen Patienten voll, worauf dieser zu Boden ging. Widerstandslos ließ er sich zu Bett bringen. Nicht einmal die Glasflasche war zerbrochen. Wir desinfizierten die Wunden, erneuerten die Verbände, konnektierten die Schläuche wieder mit neuen Drainageflaschen und gaben ihm ein leichtes Beruhigungsmittel.

Fazit: Ideen muss man haben.

Patienten mit längeren größeren operativen Eingriffen oder schweren Grundleiden werden postoperativ auf einer intensivähnlichen Station überwacht (IMC – Intermediate Care), denn es gilt operativ bedingte eventuelle Komplikationen früh zu erkennen und zu behandeln. So kann es auch schon mal zu Verwirrtheitszuständen kommen. Die Patienten sind dann tatsächlich in einer anderen Welt, die auch Schmerzen und angebundene Schläuche wie hier vergessen lassen. Trotz kontinuierlicher Überwachung kann ein solcher Fall immer mal wieder vorkommen.

Der erste Tote

Wenn man als junger Mensch beschließt, im medizinischen Bereich tätig werden zu wollen und dann anfängt im Krankenhaus zu arbeiten, ist das ein einschneidendes Erlebnis. Man wird von dem behüteten elterlichen und sozialen Zirkel in einen anderen sozialen Raum geworfen und trifft auf Menschen aus einem anderen Bildungsniveau, dem man sich anpassen muss. Das fiel mir anfänglich schwer, da ich immer dachte, mein Gegenüber merkt, dass ich mich seinem intellektuellen Niveau anpasse und fühle sich daher desavouiert. Dazu kommt: Man wird extrem mit Körperlichkeit konfrontiert. Man sieht fremde Menschen nackt, sieht ihr Geschlechtsteil, sieht und riecht ungepflegte, aber auch durch Krankheit ausgezehrte Menschen, manche mit übelriechenden und sezernierenden Wunden. Man sieht, wie Schläuche in den Menschen geschoben werden, wie offene Wunden verbunden werden, wie sie Schmerzen erleiden. Man erlebt ihre Hilflosigkeit und man sieht seinen ersten Toten. Ich wusste, dass man sich mental darauf vorbereiten kann und muss, aber manchmal gelingt es eben doch nicht.

Ich hatte gerade als Pflegehelfer mit einer meiner ersten Nachtwachen angefangen, als von der Nachbarstation eine koreanische Schwester kam und um Hilfe bei der Versorgung eines Verstorbenen bat. Man schickte mich. Die Tote war eine alte Frau, deren Zellen schlichtweg aufgrund ihres Alters die Arbeit eingestellt hatten. Sie hatte feines weißes Haar, welches zu einem Knoten hinten zusammengebunden war, und ein ebenso trotz ihres Alters feines, nahezu edles Gesicht.

Die Schwester ging routiniert vor. Als erstes befestigten wir einen Zettel mit den Daten der Verstorbenen an der Großzehe, schlossen ihre Augen und banden ihr hängendes Kinn hoch. Menschen sterben nicht mit offenen Augen. Sobald der Tod eintritt, fehlt die Muskelspannung und die Schwerkraft sorgt dafür, dass die Augenlider nach hinten gleiten und das Kinn fällt, wenn derjenige auf dem Rücken liegt.

Wir zogen die Schläuche aus dem Körper der Patientin, säuberten sie, zogen ihr ein frisches Nachthemd an und betteten sie. Ich vermied, ihr ins Gesicht zu sehen, in das Gesicht einer alten Frau, die nie wieder am Leben teilnehmen würde, da mich ansonsten meine Emotionen überrollen würden. Sehr euphemistisch ausgedrückt, ich wusste, ich würde anfangen zu heulen. Aber es klappte besser als gedacht – bis die koreanische, nicht christlich erzogene Schwester der Patientin liebevoll eine Rose und ein kleines Kreuz zwischen die Hände steckte und ihr kurz, fast flüchtig mit ihrer Hand über die Wange strich.

»Ich muss wieder rüber«, sagte ich schnell und ging, damit sie nicht sah, dass mir nun doch die Tränen in den Augen standen.

Später, wenn auf der Station ein Totenschein auszufüllen war, den man irgendwie nie richtig ausfüllte, war es Pflicht, den Toten zu inspizieren und zu untersuchen. Dabei verweilte ich immer einen Moment bei dem Toten, auch aus Anstand und Respekt, die mir geboten, nicht routinemäßig den Exitus abzuhandeln. Ich habe den Verstorbenen eine Zeitlang angesehen und dann zu ihm gesagt:

»Was magst Du wohl so alles erlebt haben?! Ich hoffe für Dich, dass Du eine gute Lebenskurve hinbekommen hast. Alles Gute für Deine Reise.«

In diesem Moment kehrte in mir häufig eine völlige Ruhe ein, weil ich gelernt hatte, dass Sterben zum Lebenszyklus gehört, unabdingbar, nicht änderbar ist, gepaart mit dem verwunderlichen Erstaunen, dass der Tod wie auch das Unendliche nicht fassbar ist.

Zu den ärztlichen Aufgaben gehört, den Tod festzustellen und einen Totenschein auszufüllen. In der Regel wird der im Krankenhaus tätige Arzt von der Schwester angerufen, dass ein Patient, häufig erwartungsgemäß, gestorben sei. »Feststellen«