Pendrake 3- finding us - Gabby Zrenner - E-Book
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Pendrake 3- finding us E-Book

Gabby Zrenner

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Beschreibung

Victorias Welt steht still. Sie hat alles verloren. Vor allem den Grund, wieder aufzustehen. Einzig Sherlock entlockt ihr dann und wann einen Funken an Lebenswillen. Doch der scheint sich immer und immer mehr von ihr abzuwenden. Ihr kämpferischer Trotz ist schwer zu finden und nur der Wille, Sherlock nicht ins Unglück rennen zu lassen, bringt sie überhaupt dazu, es zu versuchen, wenn auch auf sehr selbstzerstörerische Art und Weise. Sherlock hingegen ist zerrissen zwischen seinen Gefühlen, seinen Ängsten und seinem Pflichtgefühl. Verzweifelt versucht er nicht unterzugehen und Victoria das zu geben, was sie braucht. Dabei kann er nicht verhindern, immer wieder mehr zu wollen, als das, was er vermeintlich für richtig hält. Zwischen Sherlock und Victoria entfacht erneut ein ewiges Hin und Her. Ein Kampf um Liebe und Loslassen, um Freundschaft oder endgültige Trennung. Doch als Markus härter zuschlägt, als je zuvor, müssen sie eine endgültige Entscheidung treffen, um zu überleben. Zusammen? Oder für immer voneinander entfernt!

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Sherlock
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Epilog
Pendrake - finding me
Pendrake - finding you
Jo-Hanna
Impressum

 

 

 

Pendrake - finding us

Band 3

 

 

 

 

Gabby Zrenner

 

 

 

 

 

 

Gabby Zrenner

c/o WirFinden.Es

Naß und Hellie GbR

Kirchgasse 19

65817 Eppstein

 

 

 

 

 

 

 

Sherlock

 

 

Siehst du nicht, wie wichtig eine Welt voll von Schmerz und Schwierigkeiten ist, um einen Geist zu einer Seele zu formen?

John Keats»Wie geht es ihr?« Sherlock stürzte besorgt ins Zimmer. Endlich hatten sie ihn zu Victoria durchgelassen.

»Sie schläft noch.«

Er sah zu ihr, wie sie dort kreidebleich und zerbrechlich im Bett lag. Umrahmt von Geräten und Überwachungsmonitoren. »Was ist mit ... ?«

Henry sah betrübt auf den Boden und rang mit seinem Gewissen. Als Arzt, der hier arbeitete, durfte er es ihm eigentlich nicht mitteilen. Aber es war einfach nicht richtig, für keinen von beiden. Es war auch sein Kind gewesen. »Sie hat das Baby verloren.«

Sherlock verlor völlig seine Fassung. Sein Gesicht verzog sich schmerzvoll und er schien verzweifelt mit den Tränen zu kämpfen.

Ein Zustand, den Henry von ihm nicht kannte und ihn deswegen umso mehr verstörte. Henry sah ihm fest in die Augen »Ich konnte nichts mehr tun. Es tut mir aufrichtig leid.«

Sherlock schwankte. »Henry, das ist alles meine Schuld.«

Henry rieb sich verzweifelt das Gesicht. »Wir waren alle Schuld. Ansonsten ist sie stabil, schwach, aber stabil.« Er seufzte. »Sher, sie ist übersät von Kratzern, viele von Ästen oder den Steinen, aber einiges wird von ihm stammen. An der Innenseite der Oberschenkel zum Beispiel.« Er stützte sich am Ende des Bettes ab. »Ich weiß gar nicht, wie ich das überhaupt sagen soll. Ob ich dir das sagen darf. Du weißt, dass ich es rein rechtlich nicht darf.« Henry schluckte und fuhr sich durch die Haare. Wiederum für ihn völlig untypisch. »Sherlock! Sie hat Verletzungen im Intimbereich.«

Sherlock schlug sich die Hand vor den Mund und raufte sich seinerseits die Haare. »NEIN! Das darf nicht sein, sie darf nicht von ihm …« Er keuchte auf und ging unruhig zwei Schritte hin und her, die Hand zur Faust geballt. »Hat er sie vergewaltigt?«

Henry hielt ihn am Oberarm fest. »Sie hat Einrisse am Scheideneingang, als wäre man brutal eingedrungen. Ich weiß es nicht Sherlock. Sperma haben wir nicht gefunden, aber Kratzer und blaue Flecken, überall.«

Sherlock schluchzte auf und ihm liefen die Tränen übers Gesicht. Henry brach es das Herz seinen besten Freund so zu sehen. Noch nie hatte er ihn auch nur ansatzweise so erlebt, wenn es nicht um Edward ging und jetzt brach er völlig zusammen.

Henry selbst war erschüttert und wahnsinnig besorgt, aber Sherlocks tiefe Reaktion begriff er nicht. Aber er sah, dass sein bester Freund Höllenqualen litt. »Sherlock, sie war tot. Herzstillstand durch akutes Kreislaufversagen. Sie ist fast verblutet und hat eine schwere Gehirnerschütterung. Wir können froh sein, sie nicht ganz verloren zu haben.« Er nahm Sherlock fest in den Arm, mehr konnte er für ihn nicht tun.

»Gott, Henry wir haben nicht verhütet, deswegen hab ich mir solche Vorwürfe gemacht. Ich hab an dem Morgen völlig den Verstand verloren. Aber dann war da unser Baby und sie war so glücklich damit, kein Zweifel das sie es wollte. Und jetzt ist unser Baby tot und ich bin schuld. Das verzeih ich mir nie.« Er vergrub sein Gesicht in den Händen und schluchzte erneut auf. »Sie wird mich hassen. Nun endgültig.« Henry strich ihm über den Oberarm und langsam sammelte er sich wieder. »Denkst du, ich kann bei ihr bleiben? Mich hier in den Stuhl setzen, bis sie aufwacht?«

Henry seufzte erneut und sah ihn mitleidig an. »Natürlich, aber denk dran, sie ist ziemlich schwach. Also bitte! Fall nicht direkt mit der Tür ins Haus. Überfordere sie nicht, ok?«

Sherlock saß schon neben ihr und strich ihr liebevoll über den Kopf. Sortierte sorgfältig ihre Haarsträhnen. Henry überkam so ein Gefühl, etwas, woran er bis jetzt einfach nicht glauben konnte. »Sherlock? Bist du in sie verliebt?«

Direkt liefen Sherlock wieder Tränen übers Gesicht, diesmal still und er hatte Mühe zu sprechen. »Ich liebe sie, seit ich ihr das erste Mal begegnet bin. Ich liebe sie so sehr, dass es weh tut und jedes Mal, wenn ich sie sehe, wird es mehr. Ich weiß nicht, wie ich ohne sie leben soll.«

Henry war völlig geschockt. Nie hatte er auch nur eine Sekunde gedacht, dass Sherlock sich je verlieben würde. Er war so beherrscht, dass Henry sicher gewesen war, dass er es sich schlichtweg verbieten würde, da er immer erklärt hatte nie eine Beziehung zu wollen. Mit gemischten Gefühlen fragte er. »Sherlock? Warum hast du dann nie versucht, es ihr zu sagen?«

Er sah Henry flehentlich an. »Das hab ich, sie weiß es, aber ob sie mir wirklich glaubt. Ich hab mich ständig wie ein Idiot aufgeführt. Wir waren so glücklich in Blackhill. Ich war so glücklich wie noch nie in meinem Leben, aber ich hatte so viel Angst, alles falsch zu machen, mich zu binden. Dann hab ich sie gebeten, nichts zu erzählen, bis ich so weit bin. Mir Zeit zu geben. Und dann ist alles im Chaos ausgeartet. Ihr habt sie alle niedergemacht und eigentlich war ich derjenige, der zu feige war mit euch zu reden. Gestern hab ich ihr versprochen dir alles zu erklären. Sie hat so darunter gelitten, dass ihr dachtet, sie würde einfach nur aus Spaß mit mir schlafen. Ich liebe sie so sehr, ich würde für sie sterben. Ich denke nicht, dass ihr das wirklich klar ist, nach allem, was ich getan habe.« Er atmete tief durch und wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen. »Aber ... Ich bin verlobt und du weißt, dass ich mich an mein Wort halte. Egal, was ich versuche oder überlege. Wir haben keine Zukunft.« Er küsste ihre Finger, langsam und bedächtig wie etwas Heiliges. »Henry, versprich mir, es ihr nicht mehr so schwer zu machen. Sie hat schon genug durchgemacht. Sie soll nicht auch noch das Gefühl haben, das du sie verachtest. Sie hat so gekämpft, immer wieder hat sie mich auf Abstand gehalten und ich hab sie unerbittlich zurückgeholt.« Er atmete schwer ein. »Versprichst du’s mir?«

Henry legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ja, aber versprich du mir das mit Susan noch mal zu überdenken. Bitte! Der Gedanke, dass du dich selbst und Victoria so unglücklich machst, tut mir in der Seele weh. Ich weiß nicht mal damit umzugehen.«

Daraufhin nickte Sherlock nur und legte seinen Kopf auf ihre kalten Finger.

Kapitel 1

Nur Liebe vermag überhaupt, jemanden am Leben zu erhalten.

Oscar Wilde

 

Meine Augen wollten nicht aufgehen. Fast, als wären sie mit Sekundenkleber beschmiert. Mühsam schaffte ich es nach einiger Zeit, wenigstens durch kleine Schlitze zu blinzeln, nur um direkt fürchterlich vom Sonnenlicht geblendet zu werden. Jede Bewegung tat weh. Mein ganzer Körper fühlte sich an wie im Ausnahmezustand.

Langsam setzte meine Erinnerung ein.

Da war Markus, der mich an den Baum gestoßen hatte. Ich war gestolpert und auf dem Boden aufgeschlagen. Ich konnte mich an die Tritte erinnern, an den Schmerz, der mir durch den Unterleib geschossen war.

Mein Baby!

Gott, nein, mein Baby!

Panisch riss ich die Augen auf und schnellte hoch. Was mir einen fiesen Schmerz im Rücken bescherte. Ich stöhnte qualvoll. Auf der Suche nach Antworten sah ich mich hektisch um.

Sherlock saß neben mir im Stuhl und hielt mich an den Armen sanft fest. »Alles gut Kleines, ganz ruhig, du bist in Sicherheit.«

Aber mein Baby sein Baby. »Sherlock?« Mir kamen die Tränen und sofort weinte auch er und nahm mich fest in den Arm. Verzweifelt und schrill schrie ich auf: »Sherlock, unser Baby?«

Er schluchzte an meiner Schulter. »Victoria, es tut mir so leid. Aber du hast es verloren.«

Ich brach völlig zusammen. »Nein, bitte nein.«

Er hielt mich fest und wiegte mich in seinem Arm wie ein Kind, während ich weinte. Strich mir über den Rücken und über die Haare. Selbst als Henry ins Zimmer kam, ließ er mich nicht los und ich wollte auch nicht, dass er das jemals wieder tat.

»Sherlock, ich muss kurz nach ihr sehen.«

Ich schüttelte den Kopf und klammerte mich verzweifelt an ihn.

»Victoria, lass ihn dich kurz ansehen. Ich bleib ja bei dir, Kleines. Ich lass dich nicht alleine.« Er gab mir einen Kuss auf den Kopf und löste sich vorsichtig von mir.

Nachdem Henry mich untersucht hatte, kam er sofort wieder zu mir und legte sich neben mir ins Bett, zog mich in seine Arme. Hielt mich dort eng an sich geschmiegt.

Mühsam versuchte ich, meine Emotionen zu kontrollieren, zu atmen, aber wie? Mein Baby war tot. »Sherlock, ich war so leichtsinnig. Ich hab es dort einfach nicht mehr ausgehalten. Was hab ich getan?«

Wieder küsste er mich sanft. »Ich weiß mein Schatz, das ist jetzt nicht mehr wichtig. Kleines, ich bin unendlich traurig, dass wir unser Baby verloren haben.«

Ich vergrub mein Gesicht an seinem Hals. Nun hatte ich alles verloren, ihn und sein Kind, wofür sollte ich jemals wieder aufstehen. »Verzeih mir!« Ich hatte es so leise in sein Hemd geflüstert, dass er es unmöglich verstehen konnte, aber ich musste es einfach sagen. Er hielt mich fest und wir bewegten uns nicht, unfähig aus dem Schmerz auszubrechen. Irgendwann schloss ich die Augen und versuchte nur noch, seine Wärme und seinen Geruch wahrzunehmen.

 

Als ich Stunden später aufwachte, war ich allein im Bett und neben mir saß Edward. »Hi Süße, Sherlock musste weg. Ich bin seine Ablösung.« Ich nickte ihm nur zu. »Deine Verletzungen sind ansonsten nicht zu schlimm. Die Stichwunden werden natürlich etwas Zeit brauchen. Dein Kreislauf ist mittlerweile erfreulich stabil. Dein Kopf wird dir noch eine Zeitlang weh tun, aber du wirst nicht allzu lange im Krankenhaus bleiben müssen. Henry und ich werden uns ja auch weiter um dich kümmern.« Wieder nickte ich nur. Er nahm meine Hand und drückte sie. »Victoria, dir ist etwas Furchtbares passiert und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es dir jetzt geht, aber du kannst weiterhin Kinder bekommen. Du wirst wieder komplett gesund.«

Nie wieder würde ich komplett gesund sein. Taub vor Schmerz drehte ich ihm den Rücken zu und starrte die Wand an. Besah mir die kleinen Kratzer und Flecken. »Ich will gar keine Kinder mehr«, sagte ich völlig ruhig und ausdruckslos. Von wem, wenn nicht von Sherlock sollte ich Kinder wollen?

Edward strich mir über den Rücken, wodurch ich mich nur verkrampfte. »Du solltest versuchen, etwas zu essen, damit du wieder zu Kräften kommst. Du hast sehr viel Blut verloren.«

Ich würde einfach nicht mehr reagieren. Wenn man alles verloren hatte, was einen ausmachte, wie sollte man da noch an andere denken.

 

Die nächsten Tage versanken in einem Nebel aus gut gemeinten Beschwichtigungen, liebevollen Worten, Essen das Alistair mir rein quälte. Nathan, der mir Croissants brachte, die ich nicht aß und einfach erzählte, von seinen Bildern und dem Wetter. Doch seine bemüht lockere Art täuschte nicht über das Entsetzen in seinen Augen hinweg, während er mich betrachtete. Was er sah, wusste ich nicht, denn ich hatte mich selbst nicht einmal angesehen.

Und zwischendurch Sherlock. Er war alles, was ich bewusst wahrnahm, in dieser Zeit. Das Einzige, was mir ein Gefühl entlocken konnte, das nichts mit purer Angst oder Dunkelheit zu tun hatte. Anfangs legte er sich meistens nur neben mich ins Bett, sah mir in die Augen und streichelte meine Wange, meine Haare, meinen Arm. Und während ich ihn einfach ansah, überlegte ich, ob mein Baby vielleicht seine Augen gehabt hatte oder seine Nase. Einmal hatte er mich sanft geküsst, ein Moment, in dem mein Herz kurz zum Leben erwacht war, dennoch war ich erschrocken zurückgezuckt und direkt darauf war alles wieder dunkel und kalt.

Mit der Polizei hatte ich alleine gesprochen, sachlich und so gefasst und vernünftig, wie ich nur konnte. Wenn einer von ihnen dabei gewesen wäre, hätte ich es nicht geschafft. Da war ich mir sicher.

Danach hörte ich auf zu reden. Die ganze Zeit sagte ich kein Wort mehr. Es war nicht so, dass ich das absichtlich beschlossen hatte, aber oft nahm ich schlichtweg nicht mal wahr, dass jemand mit mir sprach oder was genau er sagte. Immer wenn ich dann doch überlegte zu antworten, brauchte ich zu lange, fand nicht die richtigen Worte oder es kam mir sinnlos vor. Keiner konnte verstehen.

Und dann waren da noch die Fragen, über die ich nicht nachdenken wollte. Sobald jemand wissen wollte, was denn passiert war, setzte mein Gehirn aus und ein Film spielte sich ab, der mich in der Vergangenheit gefangen hielt.

Alles war so anstrengend. Die Welt fühlte sich irreal an, als wäre ich eigentlich tot und alles müsste durch diese zähe Masse um mich herum durchkommen. Das war etwas, was in mir rum geisterte. Warum haben sie mich nicht einfach sterben lassen? Zwischen all der Trauer, den Albträumen und der Angst fühlte es sich an wie ein Verbrechen, das sie mich zurückgeholt hatten, um zu leiden.

 

Eines Tages, ich war schon zu Hause, wie lange wusste ich nicht, hörte ich wie Edward mit Henry diskutierte, dass es doch noch nicht mal ein Embryo gewesen sei. Ein 10. Wochen alter Fötus, kaum größer als ein Gummibärchen. Aber Henry schien instinktiv verstanden zu haben, dass es meine Welt gewesen war, mein neues Leben, das ich beginnen wollte. Vielleicht hatte er nicht den vollen Umfang begriffen, die Verbindung zu Sherlock nicht richtig eingeordnet, aber er wusste, dass mein Herz nicht nur wegen des Verlusts des Babys gebrochen, sondern meine ganze Welt in tausend Teile zersprungen war. Zusätzlich zu den psychischen und physischen Verletzungen durch Markus.

Am nächsten Tag sprach ich zum ersten Mal wieder. Alistair war nach unten gegangen und Edward saß neben mir. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er mich verkniffen musterte, ganz der Doktor, der versuchte die richtige Therapie zu finden.

Meine Stimme war leise und kratzig. Zu lange nicht gebraucht worden. »Wo ist Becca?« Sie war als einzige in der ganzen Zeit nicht bei mir gewesen.

Edward fiel fast vom Stuhl. Ungläubig starrte er mich an und stammelte. »Nach Hause, ihre Mutter hatte einen Schub, MS, ihr geht es sehr schlecht. Wie geht es dir Vi?«

Nur kurz sah ich ihm in die Augen. »Nächstes Mal lass mich sterben.« Dann drehte ich mich unter Schmerzen auf die andere Seite. Jedes Mal wenn ich mich bewegte, zogen überall kleine brennende Stiche über meine Haut und die Wunden am Rücken brannten höllisch.

»Victoria, sag sowas nicht. Es tut uns allen so leid.«

Mitleid half mir nicht, mein Kind zurückzubekommen. Ich hatte es getötet und jetzt wollte ich zu ihm.

»Süße willst du mir nicht sagen, was genau passiert ist, vielleicht kann ich dir helfen?«

Mir ging viel im Kopf herum in diesem Moment. Eins davon war ihn und alle zum Teufel zu schicken. Eins, mir die Pulsader aufzuschneiden und dann die Frage, wo war Sherlock, gab er mir die Schuld? War er heute schon hier gewesen? Oder war das gestern?

Hinter mir hörte ich Edward reden, aber meine Gedanken waren viel lauter als er. Zu anstrengend mich mit ihm auseinanderzusetzen. Zu anstrengend über irgendetwas nachzudenken. Müde schloss ich die Augen und versank in einen meiner Albträume, die schon normal für mich waren, was nicht bedeutete, dass es nicht jedes Mal den Weg durch die Hölle bedeutete.

Stimmen drangen zu mir durch und ich wachte langsam auf. Der Nebel in meinem Kopf war noch ziemlich dick, aber ich konnte sie hören. Einer Eingebung folgend blieb ich liegen, wie ich war, und hielt die Augen geschlossen. Sherlock war gekommen und unterhielt sich leise mit Edward und Henry. »Diesmal hat er einen Fehler gemacht, die Kamera bei der U-Bahn und am Parkinganeg haben ihn aufgezeichnet. Erst Vi dann ihn und er hat kurz hochgesehen. Schlecht für ihn, gut für uns, dass sein Gesicht nun drauf ist. Endlich hat die Polizei ihn als Hauptverdächtigen im Visier.«

»Sher sie hat was gesagt.« Ich hörte, wie er scharf Luft holte. »Was?« Das Scharren eines Fußes war zu hören. »Edward, was hat sie gesagt?«

Rau und vorsichtig sagte Edward: »Sie hat nach Becca gefragt.« Eine Pause entstand und er holte tief Luft. »Ich hab ihr geantwortet. Dann … nur noch: Nächstes Mal lass mich sterben.« Ein dunkler halberstickter Laut und dann erdrückende Stille.

Henry war der Erste, der wieder sprach. »Sonst nichts?« Er hörte sich müde an, sie alle.

Sherlock schien sich neben mich auf den Stuhl gesetzt zu haben. Ich konnte ihn riechen, fast spüren.

Leise fuhr Edward fort: »Wenn sie es uns nicht erzählt, werden wir nie erfahren, was genau passiert ist. Aber so, wie sie agiert, wie lange sie schon in dieser Starre hängt, mache ich mir durchaus sorgen, dass er sie ...«

Meine Finger krallten sich in den Stoff meiner Decke und ich stöhnte leicht auf bei der Erinnerung.

»Edward still, sie ist wach.«

Als ich meine Augen aufschlug, sah ich Sherlock vor mir, wie er den Arm hob und auf mich zukam. Reflexartig schlug ich seine Hand weg und wimmerte kurz auf. Meine Augen waren aufgerissen und starrten ihn an. Zwar sah ich ihn, aber innerlich war ich im Park mit Markus. Mein Kopf war dort, nur mein Körper lag hier in diesem Bett. Jeder meiner Atemzüge endete mit einem Geräusch, wie ein gefangener Schrei, der versuchte auszubrechen. Nicht laut aber klagend, leidend. Selbst in meinen Ohren hörte es sich fremd und gepeinigt an. Die Erinnerung wie seine Finger mich durchbohrt hatten, die Angst was er sonst tun würde, mein Baby. Der Schrei befreite sich und ich kreischte hysterisch auf und schlug um mich.

Sherlock versuchte, mich festzuhalten. »Ssh Kleines nicht, du verletzt dich. Du bist in Sicherheit.« Edward kam von der anderen Seite, was mich noch mehr in Panik versetzte. Sie sperrten mich zwischen sich ein, kein Fluchtweg.

Henry riss Edward vom Bett und zur Seite. »Du machst es schlimmer. Sie sie dir an, sie will nur weg.«

Das war es, was ich wollte. Weg und fliehen. Schnell stolperte ich auf dem nun freien Weg aus dem Bett vorbei an den anderen in den Flur.

»Schatz, nicht, warte.«

Meine Beine versagten und ich fiel schmerzhaft auf die Knie. Parkett, dunkles Parkett. Ich war zu Hause. Schlaff rutschte ich längs auf den Boden. Fühlte die Kühle des Holzes auf meinem brennenden Körper.

Sherlock kniete sich neben mich. »Darf ich dir hochhelfen?«

Durfte er? Ich holte Luft einmal, zweimal und schlug meinen Kopf gegen den Boden. Lebte ich? Ja das tat weh.

Diesmal fragte Sherlock nicht und nahm mich sanft, aber bestimmt hoch. Mein Kopf sackte schlaff an seine Brust. »Edward, sie blutet am Rücken.«

»Verdammt, das ist das dritte Mal, dass sie die Naht aufreißt. Ich denke wirklich, wir sollten sie sedieren. Sherlock, das geht so nicht weiter, du kannst nicht einfach dagegen entscheiden.«

Das dritte Mal? Ich konnte mich an nichts erinnern. Sherlock legte mich behutsam aufs Bett. »Kleines, ich muss dich auf den Bauch drehen, damit Edward dich versorgen kann, ok?«

Wieder driftete ich ab, spürte das Stechen und ziehen, ein Pflaster. Hörte die Stimmen, die lauter wurden. Anscheinend stritten sie nicht zum ersten Mal darüber.

Sherlock war völlig aufgebracht und donnerte: »Nein Edward, du wirst sie nicht tiefer in die Dunkelheit treiben. Verdammt du hast doch keine Ahnung, wo sie ist. Die Vorstellung, wie schwer ihr jetzt schon jede Bewegung fällt, macht mich wahnsinnig, wenn du ihr auch noch das nimmst, kommt sie nie zurück.«

Jetzt hörte ich Alistair. »Bis jetzt war ich deiner Meinung, aber vielleicht hilft es ihr Sherlock. Vielleicht kommt ihr Geist zur Ruhe.«

Sherlock schrie auf: »Keiner von euch, keiner hat jemals ansatzweise erfahren, was es heißt, in dieser Leere festzuhängen. Glaubt mir, kein Sedativum.«

Jetzt wurde Alistair laut. »Was dann? Ehrlich gesagt hast du bis jetzt keine besonders guten Entscheidungen in Bezug auf sie getroffen. Willst du weiter nur zusehen, wie sie vor sich hin vegetiert oder sich selbst verletzt? Du hast doch nicht mal den Mumm zuzugeben, dass du ihr vorgespielt hast sie zu lieben. Machst hier auf besorgten Freund, aber alles, was dich antreibt, ist dein verficktes schlechtes Gewissen. Geh weg von ihr.«

Vorsichtig öffnete ich die Augen und sah, wie Sherlock Alistair am Kragen packte. »Was sonst? Wer hat ihr denn gesagt, er sei fertig mit ihr?«

»Ich bring dich um du Wixer.« Al schlug zu, aber Sherlock wich aus. »Fickst im Hinterzimmer deine Scheinverlobte nur, um ihr weh zu tun und gibst mir die Schuld?«

Das Bild wie sie im Club zusammen nach hinten gegangen waren, flackerte auf. Sein Blick, der mich traf, strafend und beleidigt. Hatte er wirklich? Ein Schluchzen drang durch mich durch und ich rollte mich zusammen.

»Ihr zwei Idioten. Wenn ihr euch streiten wollt, geht gefälligst raus.« Eine Hand strich mir über die Haare. »Süße, soll ich dir was geben, damit es ruhiger wird, weniger weh tut?« Zögernd und mechanisch nickte ich. »Ok, dann nicht erschrecken, ich brauch deinen Arm.«

Im Hintergrund hörte ich, wie Sherlock leise widersprach: »Edward nicht, bitte, sie will nur ... Gott ich bin mir sicher sie versucht nur ...« Weinte er? »Vi bitte sag nein, verdammt lasst mich los.«

Die Kanüle drang in meinen Arm und ich sah zu, wie die Spritze sich entleerte. Kurz danach war ich in Watte gehüllt. Sherlock hatte sich losgerissen und saß nun am Bett. Seine grünen Augen so dunkel und müde waren mein Weg in den Schlaf.

 

Er hatte recht, es half nicht, es war schlimmer, denn jetzt war auch der letzte Teil von mir schwammig und unzuverlässig und ich fühlte mich angreifbarer als vorher. Der Wunsch, einfach nicht mehr aufzuwachen wurde größer. Aber es hatte auch etwas für sich, die Kontrolle komplett zu verlieren.

Als ich mitten in der Nacht wach wurde, lag Alistair wie jede Nacht neben mir im Bett und schlief tief und fest. Leise stand ich auf und ging auf wackeligen Beinen bis nach unten in Sherlocks Arbeitszimmer. Ich wusste bereits, dass alles noch genauso leer war, wie an meinem letzten guten Tag vor … ich wusste nicht, wie lange es her war. Auch die Bücher, die er mir dagelassen hatte, lagen genauso dort.

Dies war bereits mein dritter Ausflug nachts. Als würde ich nur im Dunkeln zum Leben erwachen. Sanft strich ich über das glatte Holz des Tisches und ging zum Barschrank. Dort hatte Sherlock seinen Whisky stehen gelassen und hinten im Seitenfach, das man nur sah, wenn man wusste, das es existierte, lagen zwei unberührt verpackte Spritzen, diese Kleinen und eine Ampulle. Dann daneben eine kleine Tüte mit weißem Pulver. Ich war mir ziemlich sicher, dass es Kokain war. Ob er überhaupt noch wusste, dass er es hier deponiert hatte? Bei meinem letzten Ausflug war ich darauf gestoßen, aus einem dummen Impuls heraus hatte ich das Fach geöffnet und hineingesehen.

Diesmal nahm ich alles heraus und legte es vor mich auf den Tisch. Die Ampulle? Ob das Heroin war? Würde es reichen, um mich umzubringen? Vorsichtig öffnete ich die Tüte und tunkte meine kleinen Finger hinein, leckte ihn ab. Keine Ahnung. Ich hatte nie Kokain gesehen oder geschmeckt. Bedächtig und sorgfältig schloss ich den Zipper wieder und begutachtete die Spritze. Ob ich es schaffen würde, mir das Zeug zu spritzen? Selbst jetzt, wo alles egal war, gefiel mir der Gedanke nicht, Drogen zu nehmen. Ich hatte schon immer eine Wahnsinnsabneigung dagegen gehabt.

Ich nahm die Whiskyflasche und trank in großen Schlucken wie Wasser, dieses fiese Zeug, das Sher so liebte. Rauch und Torf. Widerlich, aber es fühlte sich lebendig an, wie die Flüssigkeit ihren Weg bahnte und dabei in der Kehle brannte. Schon merklich entspannter drehte ich die Flasche zu und stellte sie zurück. Bevor ich mich auf den Rückweg machte, verstaute ich Shers Utensilien in meiner Strickjacke.

Leise schlich ich zurück in den Flur und zögerte. Im Esszimmer stand eine ungeöffnete Flasche von meinem Lieblingswhisky. Entschlossen machte ich mich auf den Weg, sie mir zu erobern. Keine zehn Minuten später lag ich wieder neben Alistair im Bett, als wäre ich nie weg gewesen und wärmte meine Füße auf. Seltsam das ich mir nachts im Dunkeln, wenn alles ruhig war, so viel lebendiger vorkam und das, wo ich früher immer Angst vor den Schatten hatte. Vielleicht weil ich nun wusste, dass im Licht dieselben Monster lauerten. Sicherheit war eine Illusion!

 

Sie gaben sich Mühe, jeder auf seine Weise, aber selbst wenn sich ein Wille in mir regte, fand ich lange nicht die Kraft zurückzukommen. Nur nachts in meinem geheimen Doppelleben, als wäre es nur ein Traum. Der Traum doch noch anwesend zu sein.

Nathan war bereits zweimal wieder dagewesen, aber auch ihn konnte ich kaum ansehen, ohne an so viel Schlechtes zu denken. Geschweige denn mit ihm sprechen, was ich generell seit dem einen Satz nicht mehr getan hatte. Also starrte ich stets apathisch aus dem Fenster oder auf mein Bett. Meist drehte ich mich einfach irgendwann um und meine Besucher gingen.

Alistair hievte mich alle paar Tage hoch und setzte mich zum Duschen auf einen Stuhl. Er war dabei ein Engel. Machte Witze, tat als wäre er der Shampoo Vertreter und pries die neue Haarspülung an. Ja, er verwendete Haarspülung. Wie gesagt er bemühte sich, aber ich hörte, wie müde und hoffnungslos er war, wenn er sah, wie gleichgültig ich alles über mich ergehen ließ. Alles außer dem Slip, den er mir nie ausziehen durfte. Nicht mal ich wollte wirklich dort unten hin fassen und mir stockte jedes Mal der Atem, wenn er eine falsche Stelle am Bein berührte, die mich an eine andere Hand erinnerte. Vielleicht war das der Grund, warum ich es tatsächlich allein halbwegs schaffte meinen Körper abzuwaschen. Alles andere war zu grausig. Jede Untersuchung war eine Tortur gewesen und Henry der Einzige, den ich überhaupt daran ließ. Nach dem Duschen schaffte er meistens nur noch, mir die nassen Haare notdürftig zu kämmen, bevor ich apathisch aufstand, unter einem Bademantel den Slip wechselte und mich frisch angezogen in mein Bett verkroch. Danach war ich zu nichts mehr in der Lage. Außer zu versuchen die nächsten Stunden, ohne Panikattacke zu überleben. Aber es wurde besser. Ich spürte etwas von mir und mein Verlust war anders, nicht so zerstörerisch verheerend. Tief und furchtbar, aber nicht Armageddon.

Eines Morgens saß ich ihm Bett und Alistair mühte sich mal wieder ab, mir wenigstens etwas Porridge reinzuwürgen, als ich draußen einen Vogel hörte. »Al, hörst du den Vogel?«

Völlig perplex sah er mich an. »Ja Engel, er singt schön.«

Ich sah ihm in die Augen. Zum ersten Mal sah ich jemanden außer Sherlock richtig an, seit es passiert war. »Du siehst müde aus.«

Augenblicklich fing er an zu weinen, nahm mich in den Arm, wo ich steif liegen blieb. »O Victoria, es tut mir so leid. Bitte komm zu mir zurück, du fehlst mir so sehr.«

Ein Schluchzen ging durch meinen Körper und ich ließ mich in seine Arme fallen.

 

Von dem Moment an setzte sich alles nach und nach an seinen Platz, verflucht langsam und nicht ohne Ecken und Kanten, aber die Tage wurden einfacher. Auch wenn ich die meiste Zeit schlichtweg vor mich hindämmerte, gefangen in meiner eigenen Welt. Wenn Sherlock kam, saß er nun auf einem Stuhl neben meinem Bett. Warum wusste ich nicht, oft wünschte ich mir, er würde sich wieder zu mir legen und mich mit seinem Geruch und seiner Wärme beruhigen. Vielleicht war seine Entscheidung auch endgültig gegen mich ausgefallen. Aber darüber nachdenken war zu viel für mich. Manchmal unterhielten wir uns. Obwohl ich generell sehr wenig sagte und nur sehr knappe Antworten gab. Meist über Belangloses. Das viel mir am leichtesten oder er las mir vor.

Anscheinend hatte er das schon die ganze Zeit gemacht, denn er erklärte mir, dass wir wieder ein neues Buch anfangen konnten. Er hielt es mir hin, fast lächelnd. »Sherlock Holmes.«

Ich bemerkte, dass er sehr müde und sehr dünn aussah. Als ich Henry danach fragte, meinte er nur, dass Sherlock auf seine Art fast genauso leiden würde wie ich.

Aber er hatte noch ein Kind und würde heiraten. Ich hatte nichts. Nichts außer für den Moment Alistair, der es mittlerweile sogar geschafft hatte, mich einmal zum Lächeln zu bringen. Nur oberflächlich, aber immerhin.

In dieser schrägen surrealen Welt war Zeit unbedeutend geworden, aber seltsamerweise verging sie trotzdem und so kam es, dass draußen die ersten Schneeflocken fielen.

»Alistair, welchen Tag haben wir heute?« Ich saß mit ihm in der Küche, er hatte es zum ersten Mal geschafft mich zum Frühstück nach unten zu lotsen.

»6. Dezember.«

Ungläubig sah ich ihn an, das konnte unmöglich stimmen. Das hieße drei Wochen, in denen ich wie versteinert im Bett gelegen hatte. »Dann ist heute Nikolaus?«

Alistair nickte traurig. Eine Erinnerung an Al flammte auf, als er 17 war, hatte ich ihm zu Nikolaus eine singende Shorts geschenkt. Wenn man die rote Nase von Rudolph drückte, erklang Jingle Bells. Wir hatten so gelacht, als er sie mir tanzend vorgeführt hatte. Ich lächelte ihn an und fing fast gleichzeitig an zu weinen.

»Hey Engel.«

Konnte ich jemals wieder einfach nur Spaß haben, ohne dieses Stechen im Hintergrund? Ich kletterte ihm wie ein Kleinkind auf den Schoss und schlang meine Arme um ihn. Es war das erste Mal, das ich von mir aus Körperkontakt suchte und das erste Mal seit dem Krankenhaus mit Sherlock, das ich ihn so intensiv zuließ. »Alistair was schenkst du mir?«

Er zerquetschte mich fast, so fest drückte er mich an sich. »Was wünscht du dir denn?«

Mein Baby, Sherlock, das Leben, von dem ich geträumt habe. Als ich in sein Gesicht blickte, sah ich den Jungen, der mich vor so vielen Jahren nach dem ersten Abendessen in Stevenage in sein Zimmer geschleppt hatte, um mit mir zu spielen. Er war so süß und lieb gewesen und hatte mich nie wieder allein gelassen bis zu dem Abend im Club. Aber hatte er das wirklich? Direkt zerrte die Erinnerung an Markus und den Park an mir. »Ich will ihn umbringen, langsam.«

Alistair strich mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr. »Wenn es so weit ist, helfen wir dir alle dabei. Vorausgesetzt Sherlock findet ihn nicht vor uns und bricht ihm das Genick.« Etwas veränderte sich in seinen Augen. »Obwohl er dann wohl Glück hätte. Ich fürchte, wenn Sher ihn zuerst kriegt, stirbt er nicht, aber wird sich für den Rest seines Lebens wünschen, er wäre tot.« Lange sah er mich an und hielt mich im Arm, bevor er wieder etwas sagte. »Vi, hat er dich ...?«

Ich würgte ihn ab. »High Tea, ich möchte einen richtigen Afternoon Tea mit allem Drum und Dran, mit euch zusammen. Ohne Vorwürfe und ohne …« Ich sah ihm fest in die Augen. »Fragen.«

Unsicher nickte er. »Tee krieg ich hin, aber ob alle kommen können, weiß ich nicht. Henry und Edward arbeiten.«

Mein Kopf fiel zurück auf seine Schulter und grub sich tief an seinen Hals. »Ruf Sherlock an.«

»Ja natürlich, das mach ich.« Kaum zu glauben, aber ich war völlig erschöpft und glitt schon wieder weg in dieser Leere. »Engel? Vi?« Apathisch rutschte meine Arme von seinen Schultern. Alistair holte einmal stockend Luft und gab auf. »Ich bring dich ins Bett«.

Dort blieb ich die nächsten Stunden. Den Lunch, den Al mir brachte, ignorierte ich. Diesmal starrte ich allein vor mich hin und hing meinen chaotischen Gedanken nach. Alistair war auf meine Bitte hin, gegangen, widerwillig zwar, aber er hatte sich gefügt.

Wie ich da so lag und in der Vergangenheit festhing und mich wieder mal in all die Dinge verbiss, die ich nicht ändern konnte, baute sich ein neuer Wille in mir auf. Er würde nicht gewinnen. Mein Baby würde immer bei mir sein und ich würde weiter gehen. Einen Schritt nach dem anderen. Egal welchen Weg ich einschlagen musste, um aus diesem Loch zu kommen.

Was fürs erste bedeutete, das ich auf dem Bett saß und mich heillos betrank, die Spritze vor mir liegend. Skeptisch beäugte ich die Ampulle und entschied mich dieses weiße Pulver einfach mal ein bisschen durch die Nase zu ziehen.

Eine halbe Stunde später war ich nicht nur sturzbetrunken, sondern verstand, warum man Kokain nahm. Gott ich fühlte mich lebendig. Zum ersten Mal seit ewigen Zeiten war nicht alles dunkel und stumpf, sondern sirrte und leuchtete um mich rum. Ich fühlte mich so verdammt stark. Zumindest bis ich mich übergab und ein dumpfer pochender Schmerz in meinem Schädel einsetzte. Was keine 30 Minuten später der Fall war. Drogen waren halt doch scheiße.

Erschöpft döste ich ein wenig vor mich hin. Als ich aufwachte, war ich enttäuscht darüber, wie flüchtig das Glücksgefühl gewesen war, und wollte gegen jede Vernunft mehr. Ein viel zu kurzer Urlaub vom Schmerz und der Verzweiflung. Nur halb so betrunken starrte ich auf die Schublade, in der ich die Sachen versteckt hatte. Die Dunkelheit griff schon wieder vehement nach mir, so stark, dass ich aufstöhnte. Was hatte ich denn zu verlieren? Langsam ging ich zurück zur Kommode und zog mir die nächste Linie.

Als die Türklinke sich bewegte hatte ich gerade alles wieder verstaut. Ich schloss auf und kroch, ohne nachzusehen, ins Bett.

Sherlock stand unschlüssig vor dem Bett. »Warum hast du abgeschlossen?«

Ich fühlte schon, wie mich das helle starke Licht durchflutete. »Hab mich selbst befriedigt.« Frech von mir, unantastbar. Gott welche Wohltat es war, zu vergessen, wer ich wirklich war.

Aber zu auffällig. Mit gerunzelten Brauen kam er auf mich zu. Verdammt er war so blass und müde. »Darf ich mich zu dir setzen?« Er hatte mich das noch nie gefragt.

»Ja sicher, komm zu mir aufs Bett.« Shit, das war jetzt vielleicht etwas zu auffällig fröhlich und entspannt rübergekommen. Diese Energie vibrierte in mir, dass tat so gut.

Sparsam sah er mich an mit seinem der Prof analysiert die Situation Blick. »Bist du betrunken?«

Ich lachte, Gott ich lachte wirklich. Nicht bis ins Innere, aber es kratzte angenehm.

Sherlock schloss die Tür und packte mein Gesicht. »Vi, was und wie viel?«

Ich zog mich auf die Knie, was mit meinen kraftlosen Muskeln anstrengender war als gedacht und sah ihn mit halb gesenkten Liedern von unten an. »Hast du?« Die Frage, die ich mich nie traute zu stellen, weil ich die Antwort nicht hören wollte. Aber ich war jetzt unbesiegbar. »Hast du sie gevögelt, während Markus mir aufgelauert hat?«

So brutal, wer bitte war ich hier? Man konnte förmlich sehen, wie sein Herz stehen blieb. Seine Daumen strichen mir sanft über den Wangenknochen. »Nein Schatz, nein, ich wollte dir nur das Gefühl geben. Ich war so high und eifersüchtig.«

Ich hing da in seinen Händen und sah seine Verzweiflung, aber mein Schmerz war unendlich und jetzt hatte ich die Kraft zuzuschlagen. Nein es war, als hätte man mein Herz in Stahl verwandelt. Es war mir schlichtweg egal, was er fühlte, ich wollte nur Macht über ihn haben. »Deswegen bin ich alleine gegangen. Deswegen ist unser Baby tot und deswegen hat Markus mich ... hat mich.« Etwas brach und auch alles Kokain der Welt würde dagegen nicht ankommen.

Sanft fragte Sherlock. »Was hat er getan?«

Warum gab ich ihm die Schuld? Er hatte keine. Er war einfach nur ein Idiot gewesen. Ich entzog mich ihm und fing an, an der Decke zu zupfen. »Vergiss es.«

Sein Blick lag so Sherlock typisch schwer auf mir. Volle Aufmerksamkeit und seltsamerweise fühlte ich mich fast wie früher bei ihm. Zu Hause. »Kleines, ich denke nicht, das ich jemals auch nur das kleinste Detail von dem Allem vergessen werde. Schon gar nicht, wie du dort gelegen hast. Wie ein grausames Foto in meinem Kopf. Jede Nacht seh ich dich vor mir, voller Blut und dann ... deine Augen ... tot.« Sein Atem ging flach und stoßweise. »Ich stell mir die schlimmsten Dinge vor. Jedes Mal wenn ich einschlafe, erwacht eine neue Möglichkeit zum Leben. Eine schlimmer als die andere und ich seh zu. Absolut hilflos, also bitte wenn du irgendwie kannst, sag mir, was passiert ist, was er dir angetan hat.«

Gleichgültig, fast amüsiert hüpfte ich auf der Matratze. Ja mir war klar, dass ich nicht annähernd so viel empfand, wie ich sollte, aber es war mir egal, denn es war angenehm. Im Schneidersitz schloss ich die Augen und hüpfte auf und ab.

»Du bist hoffnungslos betrunken, oder? Ich sollte sauer sein, weil du dich gerade so benimmst, aber es ist das Schönste, das ich seit Wochen gesehen habe.«

Ich öffnete die Augen und flog mit offenen Armen auf ihn drauf, dass wir zusammen auf der Matratze landete. Wie er da so unter mir lag. Sein Gesicht so nah wusste ich nicht mehr weiter. Chaos im Kopf und im Körper.

Er lächelte mich an, ganz leicht nur die Augen kaum davon berührt. »Wo hast du denn den Whisky her?«

»Nachts unten gekapert, bist du mir böse?«

Er wischte nachdenklich über mein Gesicht und die Nase. »Und wo hast du das Kokain her?« Ich wollte mich abrollen, aber er hielt mich fest. »Ist schon ok, aber lass mich bei dir bleiben, wenn du runterkommst. Und bitte wiederhol das nicht. Du tust dir keinen Gefallen.«

Wut stieg in mir auf. »So, wie du mir keinen getan hast?«

Liebevoll fuhr er mir übers Gesicht und mit erstickter Stimme hauchte er. »Ja, man macht dann schlimme Dinge Vi. Dinge, die man nicht mehr ändern kann und ewig bereut. Dinge die einen selbst verändern und nicht zum Guten. Ich war verzweifelt und absolut unten. Der Abend war vorher schon furchtbar. Susan hat die Schlinge noch fester gezogen und ich … Es tut mir leid. Nie wieder rühr ich irgendwas außer Alkohol an. Das schwöre ich dir.«

Ich ließ mich seitlich auf den Rücken gleiten, behielt nur seine Hand in meiner und starrte zur Decke. »Ich hab´s auch unten gekapert. Was ist in der Ampulle gewesen?«

Ruckartig drehte er sich zu mir. »Gewesen? Scheiße.«

Jetzt musste ich wirklich lachen, denn er sah süß aus, so fassungslos. »Ist! Es ist noch drin.«

Er packte sich albern mit beiden Händen ans Herz und ließ die Zunge raushängen. »Puh, Morphium.«

Meine Augen wurden groß. Dann, plötzlich, wie ein Einschlag kam der Klumpen zurück.

Wieso lachte ich? Mein Baby war tot und ich schluchzte augenblicklich auf. Von einer Sekunde zur anderen wurde ich wieder zurück geschleudert. Weinend lag ich in seinem Arm, wie am ersten Tag geradezu hysterisch und er wiegte mich, hielt mich fest umklammert. Am Rande nahm ich wahr, dass die Tür aufging und sich wieder schloss und ich heulte, bis ich zu erschöpft war mich auch nur zu bewegen. Dennoch blieb ein Wimmern. Ich musste nur nochmal ans Kokain, dann würde es wieder besser werden. Vorsichtig machte ich mich frei und torkelte schon fast die paar Schritte bis zur Kommode. Mechanisch schüttete ich das Pulver aufs Holz und schob es mit der Postkarte zu einer Linie.

»Kleines, es wird nicht besser nur schlimmer jedes Mal schlimmer.« Er stand nur da und sah mich sanft an. Hielt mich nicht fest oder wischte das Pulver weg. »Liebling, ich kann es nicht verhindern, du wirst einen Weg finden, so wie ich es damals auch immer getan habe, aber ich sag dir die Wahrheit. Es macht alles nur schlimmer.« Mein Blick ruhte auf meiner Linie. »Wie oft hast du heute schon was genommen?«

Leise antwortete ich: »Zweimal.«

Er strich mir über die Wange. »Und nicht wenig getrunken. Dein Körper verträgt nicht so viel Victoria. Willst du sterben? Dann nimm das und spritz dir die komplette Ampulle. Dann ist es vorbei.« Fassungslos sah ich ihn an. »Kleines ich will nicht, dass du das tust, aber ich weiß nicht, was passiert ist, und du siehst furchtbar aus und du leidest so sehr, dass ich nicht mehr weiter weiß.« Seine Augen wurden feucht. »Ich würde alles tun, damit du nur ein wenig Frieden findest.«

Schwer fiel ich zurück aufs Bett. »Kannst du das entsorgen.«

»Ich kümmere mich drum.«

»Wenn es geht nicht mit der Nase.«

Verblüfft drehte er sich zu mir. »War das etwa ein Scherz?«

Meine Mundwinkel zuckten. »Ich versuche, mich daran zu erinnern, wie man das macht.«

Er kam zurück aus dem Bad und wischte die Fläche sauber. Als alles erledigt war, kam er zu mir. »Das war doch schon vielversprechend.«

Ich fiel an seine Schulter und fing leise an zu erzählen. »Er hat mich gejagt, wie ein Tier, meinen Kopf an den Baum geschlagen.« Er legte einen Arm um mich und ich zog meine Knie hoch, machte mich ganz klein an seiner Seite. »Er hat mich nicht …« Meine Stimme versagte als die Erinnerung an seine Finger in mir wie ein Blitz durch mich durchfuhr. Meine Muskeln zuckten und verloren die Kontrolle. Sherlock hielt mich fest und ich legte meinen Kopf nah an sein Gesicht und erzählte ihm stockend und atemlos, was Markus getan hatte und gesagt hatte. Ich spürte, wie er immer abgehackter atmete und seine Muskeln sich immer mehr anspannten. Sein Kiefer war fest zusammengepresst, während ich immer mehr in mich zusammenfiel.

Am Ende hielt nur er mich noch aufrecht. Seine Hand hob meinen Kopf an und in seinen Augen wütete ein Sturm. »Ich werde ihn finden Victoria und ihm jeden einzelnen Knochen brechen. Er wird sich wünschen, nie geboren worden zu sein.«

»Ganz schön abgedroschen der Spruch.«

Er fuhr mir mit der Hand in den Nacken. »War das etwa schon wieder ein Scherz?«

Schwer legte ich mich auf ihn. »Mag sein. Weißt du, was komisch ist.« Ich fand es tatsächlich seltsam neu und ungewohnt. »Ich glaube, ich hab Hunger.«

Er gab einen erstickten Laut von sich, eine Mischung aus Freude und Qual. »Dann ist es ja gut, dass Alistair mich angerufen hat und ich einen ganzen Berg essen mitgebracht habe.«

Das Gefühl ihm so nah zu sein war schön und schmerzhaft zugleich. Das war es schon seit Susans Ankündigung, aber jetzt mischte sich noch etwas dazu, was ich nicht richtig zuordnen konnte. Als er seinen Kopf drehte, so dass unsere Lippen nah einander waren, bewirkte es jedenfalls, dass ich von ihm wegschnellte wie ein Flummi und aufstand. »Dann gehen wir besser runter.« Nervös spielte ich mit meinem Sweatshirt.

Er hatte nicht mal die Andeutung eines Versuchs gemacht mich zu küssen. Aber auf einmal fühlte ich mich völlig befangen neben ihm, mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Nicht zu fassen das ich ihm mal wieder alles erzählt hatte, und kaum zu fassen, dass er mich immer noch genauso ansah wie vorher.

»Na los, dann auf zu den Scones.« Ich war schon durch die Tür, als er mich sanft stoppte. »Victoria, darf ich den anderen erzählen, was passiert ist?«

Meine Finger legten sich über seine auf meinem Arm. »Ja! Mach du das bitte.«

Ein Gurkensandwich, dass nicht mal übel war und einen Scone mehr schaffte ich erstmal nicht. Alles schmeckte ok, aber echte Begeisterung regte sich nicht. Nach kürzester Zeit war ich wieder völlig erledigt und spürte diese dunklen kalten Tentakel, die mich umgarnten. Sherlock hatte recht, es wurde schlimmer und schwerer. Alles, was ich denken konnte, war, hochgehen, Kokain nehmen, etwas spüren.

Alistair, Edward und Henry schienen unglaublich glücklich mit mir an einem Tisch zu sitzen und unterhielten sich angenehm. Lahm biss ich in einen Muffin, den ich am liebsten direkt ausgewürgt hätte. Ich war durch, komplett. Hochgehen Kokain nehmen, Licht spüren.

Sherlock sah mich aufmerksam an. Mein Kopf war unendlich schwer und meine Muskeln wie Brei. Zitternd trank ich einen Schluck Tee und schaffte es kaum, meine Tasse wieder abzustellen. Als würde ich einfach einschlafen. Ich rutschte fast vom Stuhl, so erschöpft war ich. Mein Arm schwankte unkontrolliert, als ich zu Sherlock rübergriff und seitwärts kippte. Sofort fing er mich auf. »Sher ...« Ich verzog mein Gesicht zu einer traurigen Fratze und schloss meine Augen. Alistair stand schon bei uns und wollte mich ihm aus dem Arm nehmen. Aber ich krallte mich an Sherlock. »Kannst du mich hochbringen? ... Bitte!«

Die Beiden tauschten einen rivalisierenden Blick, aber Alistair ließ ihn mich hochtragen. Wieder legte er mich so sanft ab und setzte sich neben dem Bett auf den Stuhl.

»Darf ich noch einmal?«

Er verstand sofort. »Nein Vi, lass es. Ich weiß das ist alles, woran du denken kannst, aber es wird mit jedem Mal schlimmer.«

Ich griff fast blind nach ihm und war tierisch nervös, als ich meinen Mut zusammennahm. »Kommst du ins Bett, zu mir?«

Er seufzte. »Nein besser nicht Kleines. Alistair bringt mich um, wenn ich seinen Platz einnehme.«

Leise murmelte ich: »Er ist nicht hier.«

Er kniete sich vor mir auf den Boden, um auf Augenhöhe mit mir zu sein. Seine Fingerspitzen liebkosten mein Gesicht, während er mir tief in die Augen sah. »Bis morgen mein Schatz. Schlaf ein bisschen vor dem Abendessen.«

Traurig sah ich weiter auf den leeren Fleck, an dem er gerade noch gesessen hatte. Also war die Entscheidung tatsächlich endgültig gegen mich ausgefallen. Alistair hatte anscheinend schon an der Tür gewartet und legte sich nun zu mir. Vorsichtig versuchte er, mich in den Arm zu nehmen, aber ich musste jetzt für mich sein. Wie immer war ich irgendwie froh das Sherlock weg war und dann fragte ich mich direkt, wann er endlich wiederkommen würde.

An Schlaf war nicht zu denken, dafür war ich viel zu unruhig. Kokain nehmen, mich spüren. Verdammt ich wollte gerne nochmal diese Kraft in mir spüren, die ich seit Wochen verloren hatte. Immer energischer war der Gedanke, dass ich es anders nicht schaffte. Alistair ging duschen und ich starrte wie gebannt auf diese Schublade. Leise stand ich auf und hörte, wie Alistair kurz das Wasser abstellte. Haare waschen, Körper einseifen. Die Linie war schon gezogen, das Wasser ging wieder an. Wie hemmungslos und leicht es mir jetzt schon fiel, das Zeug in meine Nase zu ziehen. Erleichtert rieb ich mir die Reste vom Gesicht und der Kommode. Vorsichtshalber legte ich ein Buch über die Stelle im Holz. Der kleine Plastikbeutel war so gut wie leer. Ob Sherlock mir neues besorgte? Eher nicht. Erstmal verstaute ich den Rest direkt bei mir am Bett und kroch wieder unter die Decke. Als Al aus der Dusche kam, stellte ich mich schlafend. Mein Plan ging erstaunlich gut auf und er verließ leise das Zimmer. Das schlechte Gewissen regte sich ihm gegenüber, aber auch wegen Sherlock und meine Vernunft meldete sich mit aller Macht, verfluche mich dafür so den Verstand zu verlieren. Dann aber floss das künstliche Leben durch mich durch. Im Schneidersitz warf ich meinen Kopf in den Nacken und genoss diese Helligkeit und Energie. Obwohl sie mir bei weitem nicht mehr so berauschend vorkam wie heute Morgen, war der Unterschied zu diesem erdrückenden Gefühl der Schwere und Dunkelheit eklatant. Ich sang leise vor mich hin, wiegte mich in dem Gefühl von Normalität, was auch immer.

Wo war eigentlich mein Handy. Schnell fand ich es neben dem Bett und schrieb Nathan, ob er morgen vorbei kommen könnte. Erfreulicherweise ja. Wie irre fing ich verschlagen an zu grinsen. »Bringst du mir Croissants mit?« Ungeduldig tippte ich mit den Fingerspitzen auf die Rückseite.

»Alles was du willst Honey.«

Aufgeregt machte ich einen kleinen Hüpfer. Verwegen tippte ich. »Dann bitte auch ein bisschen Kokain.« Meine Finger fingen vor Aufregung an zu zittern, das könnte schief gehen. Als die Nachricht eintraf, schlug mein Herz wie wild in meinem Hals.

»Flüssig, zum Schniefen oder rauchen?«

Freudig biss ich mir auf die Unterlippe. Shit war ich böse und fühlte sich das gut an. Keine Regeln mehr für Vi. Flüssig, das wollte ich probieren. Das anständige Mädchen in mir rebellierte ein wenig. Komm zur Vernunft, zieh dich nicht weiter runter in diesen Mist. Aber es half mir doch, begehrte meine andere Seite auf. »Flüssig und fürs Näschen. Danke, danke, danke hab dich lieb.« Wie bitte schön kam man an sowas dran?

»Dafür brauch ich ein bisschen Zeit. Reicht morgen Nachmittag?«

»Du bist der Beste.«

Glücklich grinsend hüpfte ich auf meinem Bett hin und her. Im Leben hätte ich nicht damit gerechnet, dass das funktionieren würde.

»Weiß Sherlock Bescheid?«

»Ja« Kurze Sendepause, in der ich mir einen Schluck Whisky genehmigte. Die Flasche war auch halb leer.

»Warum besorgt er dir den Stoff nicht? Lass mich raten, er ist nicht begeistert.«

»Alles, was mir hilft, ist für ihn ok, aber er macht sich Vorwürfe, deswegen will ich ihn nicht überstrapazieren.« Grundsätzlich log ich nicht.

»Ok, aber zuerst reden wir darüber, ausführlich. Das ist eine Abwärtsspirale ohne Boden, wenn du nicht aufpasst. Bis morgen.«

Ich schickte ihm ein Daumen hoch und einen Kuss Emoji. Oh Yeah, das war der Wahnsinn. Mein Kopf war leicht und glücklich. Mein Körper vibrierte vor Energie und morgen hätte ich mehr davon.

Verwegen schrieb ich Sherlock. »Hi du, böse Frage einer Süchtigen.« Grinse Smiley.

Keine Minute später kam eine Antwort. »Vi, warum nochmal. Ich hab wirklich gedacht, du bist beherrschter. Und nein, ich kauf dir keinen neuen Stoff. Teils dir ein, danach war´s das.«

Gut, dass nicht alle so anständig waren. »Ich wollte eigentlich fragen, ob du mir Whisky mitbringst. Ja, ich weiß Alkohol ist auch keine Lösung, aber … warte ... Alkohol ist eine Lösung.« Noch eine grinse Smiley. Ich konnte ihn quasi seufzen hören und vielleicht ein kleines Lächeln.

»Da kommt das Chemiewissen durch mmh, bitte sag mir das die Flasche nicht leer ist und bitte auch nicht bist morgen. Du bist so dünn und isst so wenig, dass ich mir wirklich Sorgen mache, wenn du dich so mit dem ganzen Zeug zuknallst.«

Ich schickte ihm ein Foto von der Flasche und nahm danach direkt einen weiteren großen Schluck, dass es mich schüttelte.

»Ok Kleines, so soll sie bis morgen bleiben. Übertreib nicht. Ich flehe dich an.«

Mein Körper bekam sein Gewicht zurück, Stück für Stück floss das Schöne aus mir raus. Schwere legte sich auf meine Muskeln und Angst kroch in meinen Verstand. Hintergründige immer an mir nagende Angst vor dem Leben, vor dem Schlafen, davor ich zu sein. Mein Finger schwebte über der Tastatur. »Ok.« War alles, was ich schickte. Kein liebst du mich? Kein du fehlst mir! Kein komm zu mir. Kein komm nie wieder her und erst recht kein, lass mich sterben, aber das war es, was jetzt meinen Verstand wieder einnebelte. Schmerz und der Wunsch das es aufhörte.

Ich wollte zu meinem Baby.

Die Flasche wanderte in meinen Schrank am Bett und ich glitt unter die Decke. Stumm und reglos, mit offenen Augen, ohne etwas zu sehen oder zu hören. Komm versuch es. Geh runter zu Alistair. Nein, ich spürte meine Beine ja nicht mal mehr. Ich spürte mich nicht mehr. So leer und dunkel. Gab es denn irgendwas, wofür man leben sollte? Gnädigerweise schenkten der Alkohol und vielleicht der Rest Kokain mir diesen Dämmerzustand, in dem ich mich sacken ließ.

Scheinbar war ich eingeschlafen. Schlaf war mein größter Freund und manchmal mein größter Feind. Mitten in der Nacht wurde ich wach. Positiv war, dass ich nicht leer war, ich fühlte. Negativ war, ich fühlte eine große Portion Unsicherheit und Angst und Scham und so viel Schmerz, dass ich versuchte, ihn wegzudrücken, um nicht durchzudrehen. Alistair lag tief schlafend neben mir. Mein Handy lag dort, wo ich es abgelegt hatte, und ich schob es mir in die Strickjacke, die ich mir überstreifte. Nachts war ich allein und es tat gut niemandem gerecht werden zu müssen. Immer hatte ich das Gefühl, wenn ich mit ihnen agierte, dann bitte schön richtig. Eine Unterhaltung, Erklärungen, schön am Tisch sitzen und essen.

Durfte ich lachen? Durfte ich weinen? Ich war völlig verloren unter Menschen. Ich war in mir selbst verloren, was durfte ich, was war angemessen? Nichts, denn alles war eine Lüge und alles falsch. Wie konnte ich da weiterleben?

Ohne darüber nachzudenken, stand ich schon in Sherlocks alten Arbeitszimmer und setzte seinen Whisky an meine Lippen. Gott ich hatte wahrscheinlich ununterbrochen einen Alkoholpegel im Blut, der sich gewaschen hatte. Der Rauchgeschmack stieg mir in die Nase und das angenehme Brennen in der Kehle setzte ein. Ein Schluck, zwei Schluck, drei, vier. Ich schüttelte mich fürchterlich. Nicht einmal hatte ich die Flasche abgesetzt. Der Knoten in mir, der alles fest verzurren sollte, hatten zu viele lose Enden bekommen, die mich Dinge fühlen ließen, die ich nicht wollte, nicht ertrug. Wieder landete der Flaschenhals an meinem Mund und ich zog das Zeug runter wie Wasser. Vergessen, wieder taub werden. Nicht leer, aber unbedeutend, was man fühlte. Mir wurde furchtbar schwindelig und ich stolperte über meine Füße. Verdammt das war zu schnell gewesen, dachte ich und trank weiter. Alles verschwamm und ich kicherte bitter, als meine Muskeln weich wurden. Kokain war besser, aber den Rest wollte ich nicht verschwenden. Zwei Finger breit Whisky war noch in der Flasche. Lohnte sich ja nicht mehr.

Den Schrank zu zuschließen, nachdem ich die leere Flasche reingestellt hatte, fiel mir unglaublich schwer und ich lachte über meine Trotteligkeit. Au weh, mein Kopf war ein einziges Karussell. So betrunken war ich nie vorher gewesen. Mit ausgestreckten Händen torkelte ich im Halbdunkel Richtung Flur. Die Treppe war mindestens zehn Meter hoch, das war absolut unmöglich, vor allem weil sie so seltsam hin und her schwankte. Mit beiden Händen am Geländer sah ich rüber zu der Tür, die in meinen Damensalon führte. Ein Zimmer, dessen Existenz quasi in Vergessenheit geraten war. Ich war nur wenige Mal drin gewesen, dabei hatte ich die Vorstellung geliebt, mein Lady Zimmer zu haben, als ich das Haus hatte renovieren lassen.

Wie auf einem Schiff mit Seegang bewegte ich mich rüber in mein Refugium der Weiblichkeit. Das war mir schön eingefallen. Kichernd schloss ich die Tür von innen und schwankte zu diesem wunderschönen viktorianischen Sofa mit Holzrahmen und hoher Lehne. Blau bezogen mit grünen Kissen und einzelner Wolldecke. Mit angezogenen Beinen machte ich es mir na ja unbequem, aber ich lag. Das Zimmer war schön. Warum war ich nie hier? Mein Blick fiel auf den Kamin. Der aus Naturstein gearbeitet war, schön, ja schön, nur leider bewegte er sich im Kreis wie alles andere auch. Augen zu war noch schlimmer. Ich konzentrierte mich auf einen Punkt und versuchte mich, nicht zu schnell zu drehen. Den Strudel musste ich jetzt wohl durchstehen. Was mir vorkam wie Stunden in einem nervigen Karussell, das mir Kopfschmerzen und Übelkeit verursachte und einfach nicht langsamer werden wollte. Aber auch diesmal erlöste mich der Schlaf irgendwann, wenn auch nicht für lange.

 

Eine Zeitlang saß ich schon hier am Fenster und sah zu, wie die Welt erwachte. Langsam dämmerte es und die Schulkinder liefen vorne fröhlich schwatzend vorbei. Seit ich mit Al zur Schule gegangen war, schienen Jahre vergangen zu sein, fast ein ganzes Leben.

Im Grunde war ich immer noch sturzbetrunken. In meinem Mund war dieser fahle Geschmack und meine Haut fühlte sich wächsern und schwammig an. Zuviel Alkohol und anderes. Jemand polterte die Treppe runter, wahrscheinlich Alistair. Dösend lag ich in meinem Stuhl, der viel bequemer war als ich gedacht hatte und blendete alles aus. Die Geräusche und Stimmen im Haus nahm ich nur, wie aus weiter Ferne wahr.

Irgendwann verließ Edward das Haus, ich sah ihn hektisch über den Weg laufen. Der berühmte Londoner Nebel nahm meine Aufmerksamkeit wesentlich intensiver in Beschlag. Es hatte doch etwas Anmutiges, wenn er so über den Rasen waberte und die Geräusche schluckte.

Das nächste Geräusch war allerdings nicht zu überhören. Etwas knallte gegen die Tür und Sherlocks Stimme ertönte laut und zornig: »Wie kannst du nicht wissen, wo sie ist? Junge ich bring dich um, wenn ihr was passiert ist.«

Dann Alistair. »Beruhig dich Mann und hilf mir lieber.«

Aber Sherlock schien außer sich. »Du hast mir versprochen bei ihr zu bleiben, jede Nacht, und auf sie aufzupassen. Das war der Deal, den du jetzt brichst, also erwarte nicht von mir, dass ich mich an meine Seite halte.« Was für ein Deal?

»Sherlock, wag es nicht! Sonst bring ich dich um!« Warum wollten die zwei Menschen, die ich am meisten liebte, sich ständig gegenseitig umbringen. »Ich hab neben ihr geschlafen. Ich dachte, ich werde wach, wenn was ist. Früher immer bin ich das immer.«

Das stimmte, umso erstaunter war ich auch von Anfang an gewesen, dass er meine nächtlichen Ausflüge nicht mitbekam.

»Wahrscheinlich bist du einfach zu müde. Ok, du hast das Haus komplett durch? Ihr Handy ist laut Signal hier.« Sherlock hörte sich etwas besänftigt und konzentriert an.

Alistair klang dagegen müde und verzweifelt. »Ich hab überall nach gesehen.« Fast hätte ich laut gelacht, wenn mein Mund oder sonst ein Muskel sich hätte bewegen wollen.

Tief in mir wusste ich, dass ich aufstehen oder rufen musste, aber mein träger Geist war eins mit meinem trägen Körper und hatten entschieden, noch nicht, gleich vielleicht, noch ein bisschen. Meine Aufmerksamkeit richtete sich wieder der Straße zu.

»Hast du das Handy gefunden?«

»Nein.«

»Verdammt, ich ruf gleich die Polizei.«

Das war mein Stichwort und gab mir genug Energie es wenigstens zu versuchen. Schwerfällig holte ich mein Handy aus der Tasche, aber der Akku war leer und ich ließ es nutzlos fallen zusammen mit meinem Kopf, der unsanft auf dem Tisch landete.

»Hast du das gehört? Warst du hier drin?«

Schwerfällig schob ich den Arm unter meinen pochenden Schädel, hörte diesem fiesen Rappeln der Tür zu. Anscheinend hatte ich abgeschlossen.

»Victoria? Schatz?« Eine Hand schob sich an meine Wange und hob sanft meinen Kopf an. »Du hast uns einen Riesenschreck eingejagt.«

Müde sah ich ihm in die Augen, meine grünen Augen, die jetzt aussahen wie Moos in der Dämmerung. Dunkelgrün mit diesem Schimmer.

»Du bist sturzbetrunken, oder?«

Meine Hand hob sich und glitt ihm über die Lippen, was ihm ein Zucken entlockte. »Fickst du sie oft?«

Völlig verstört sah er mich an. Ich wusste selbst nicht, warum ich das jetzt fragte? Weil ich eine Reaktion wollte und wenn es nur mein eigener Schmerz war.

»Komm Schatz, ich bring dich hoch.« Er wollte mir die Hand unter den Arm schieben, aber ich wehrte ihn ab.

»Nein, nicht anfassen. Keiner!« Mühsam rappelte ich mich auf und schwankte so stark, dass ich mich festhalten musste.

»Alistair ruf Edward an, sie hat eindeutig eine Alkoholvergiftung.«

Wut platzte aus mir heraus und ich schlug Al das Handy aus der Hand. »Fickt euch doch alle selber, oder gegenseitig.« Alistair starrte mich an, wie einen Alien. Ich schrie ihm bestialisch ins Gesicht und ging dann torkelnd die Treppe hoch.

Keiner von ihnen hatte erlebt, was ich erlebt hatte. Keiner von ihnen empfand seinen Körper als Fremdkörper oder dreckig eklig. Keiner wusste, wie es war sein Baby zu verlieren. Auf der Treppe rutschte ich weg mit dem Fuß zwei Stufen rückwärts. Sherlock hatte direkt eine Hand an meinem Rücken. Blind schlug ich nach hinten.

»Vi komm, lass mich dir wenigstens Schutz geben bis oben.«

Ruckartig drehte ich mich um. Ich wollte so viel fragen, aber ich kraulte ihm stattdessen die Haare. »Hast du meinen Whisky dabei?«

»Nein.«

Meine Hand wanderte über sein Gesicht, seine schönen Wangenknochen, seinen Mund, aber in mir regte sich kein wirklicher Wunsch, ihn zu küssen. Es war mehr wie das Betrachten einer Statue. Nicht real, denn in der Welt, in der ich gerade gefangen war, gab es sowas wie Liebe oder Sex gar nicht. »Dann komm wieder, wenn du ihn hast. So bist du wertlos.« Zügig ging ich die Treppe hoch und schlug die Tür hinter mir zu.

 

Verachtung kam dazu, eins mehr, was ich Nettes für mich fühlte. Stundenlang hatte ich in meinem Bett gelegen und jeden Versuch mit mir zu sprechen abgeblockt. So konnte das nicht weitergehen. Hatte ich nicht den Entschluss gefasst zu überleben und nicht aufzugeben? Egal, was es kosten würde? Überwindung kostete es mich, denn ich musste zuerst zu mir finden, mich selbst wie ich nun war akzeptieren und das war endlos schwer.