Perry Rhodan 163: Flucht aus dem Vergessen (Silberband) - K. H. Scheer - E-Book

Perry Rhodan 163: Flucht aus dem Vergessen (Silberband) E-Book

K.H. Scheer

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Beschreibung

Die Menschen der Milchstraße und ihre Verbündeten liegen seit 15 Jahren in einem erbitterten Kampf. Ihr Gegner: die Ewigen Krieger aus der Mächtigkeitsballung Estartu, deren Soldaten die Galaxis beherrschen. Schon lange versuchen Perry Rhodan und seine Freunde, die Macht der Krieger zu brechen. Doch der Gegner scheint lange Zeit unüberwindbar. Endlich bietet sich die Chance, einen entscheidenden Schlag zu führen. Zu Ehren Ijarkors, des mächtigsten der Ewigen Krieger, stehen große Festspiele an – und die Galaktiker sind fest entschlossen, diese zu ihrem Vorteil zu nutzen. Und so läuft in der Galaxis Siom Som ein lang vorbereiteter Plan an, der den Kriegern eine empfindliche Niederlage bereiten soll …

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Flucht aus dem Vergessen

Cover

Klappentext

1. Die Nachricht

2. Sänger und Intrigen

3. Sieger und Besiegte

4. Der Ertruser aus der Vergangenheit

5. Die Traav

6. Flucht aus dem Vergessen

7. Begegnung der Körperlosen

8. Wiedersehen

9. Der Raub der Hybride

10. Zu Ehren Ijarkors

11. Die Höhlen der Ewigkeit

12. Der Plan

13. Der Anfang vom Ende

14. Und so endet es

15. Nachrichten aus der Lokalen Gruppe

16. Im Bann des Psichogons

17. Ephemeriden-Träume

Nachwort

Zeittafel

Impressum

Leseprobe PR NEO 310 –Kai Hirdt – Welt ohne Liebe

Vorwort

Terrania

1. Perry Rhodan

2.

Gespannt darauf, wie es weitergeht?

Die Menschen der Milchstraße und ihre Verbündeten liegen seit 15 Jahren in einem erbitterten Kampf. Ihr Gegner: die Ewigen Krieger aus der Mächtigkeitsballung Estartu, deren Soldaten die Galaxis beherrschen.

Schon lange versuchen Perry Rhodan und seine Freunde, die Macht der Krieger zu brechen. Doch der Gegner scheint lange Zeit unüberwindbar. Endlich bietet sich die Chance, einen entscheidenden Schlag zu führen.

1. Die Nachricht

Slush-Tosch, der Erste Profit-Kalkulator und Anführer der etwa 500 Mamositu, entstieg würdevoll dem klaren Wasser. Jenseits des künstlichen Teiches hatte er in seiner Felsenbucht seinen Beitrag zur Erhaltung der Art geleistet.

Die Mamositu waren dreigeschlechtlich. Slush-Tosch, ein männliches Wesen, hatte seine Keime in einem Zwischengänger, einem Neutrum, deponiert. Welches weibliche Wesen das Neutrum pflichtgemäß befruchten würde, war eine Frage der Biokalkulationen. Bei den Mamositu geschah nichts ohne vorhergehende Erfolgsberechnung.

Die Mamositu waren Intelligenzen mit einem vererblichen Drang zum Handel. Ihre Denkprozesse wurden von Gewinnrechnungen geprägt, aber sie tolerierten auch Verluste. Hier und da provozierten sie solche in der wohlüberlegten Vorstellung, aus kalkulatorisch erfassten Gegebenheiten einen Sekundärprofit erwirtschaften zu können.

In der Beurteilung galaxisweiter Geschäftsverbindungen waren sie unschlagbar. Ihr Selbstverständnis resultierte aus einer erstaunlichen Aufrichtigkeit gegenüber ihren Handelspartnern, von denen sie niemals eine exakt gleichartige Geisteshaltung erwarteten. Dinge, die ihnen kalkulatorisch von Anbeginn an missfielen, pflegten sie mit kühler Gelassenheit, die bis zur Beobachtung einer geschäftlichen Vernichtung anderer führen konnte, zu registrieren. Mildtätigkeit ihrer selbst wegen, Mitleid und daraus resultierende Hilfeleistungen wurden grundsätzlich verworfen.

Ratber Tostan kannte diese Eigenarten überraschend genau. Warum dem so war, konnte er seinem Gedächtnis nicht entlocken. Posy Poos wirkte hilfloser. Er verstand zwar die Sprache dieser Wesen, aber anscheinend hatte er mit ihnen nicht einen so engen Kontakt gepflegt, wie es Tostan hinsichtlich seiner Kenntnisse logischerweise getan haben musste.

Die Gedächtnislücken wurden zu Barrieren. Niemand wusste, wann und wozu man an Bord dieses Raumschiffs gekommen war. Tostan behauptete, es müsse sich um ein solches handeln.

Seine Vermessungsarbeiten in den drei großen, von den Mamositu bewohnten Haupthallen und den fünf beigeordneten Nebenräumen hatten dem Schiffskonstrukteur ausreichende Grundlagen für eine Hochrechnung erbracht.

Die Mächtigkeitsauslegung zentraler Knotenpunkte, die Untergliederung eindeutig erkannter Hauptdecks in Zwischenträgereinheiten und deren statische Verbundanordnungen wiesen in der abschließenden Hochrechnung auf einen Raumflugkörper von wahrhaft riesigen Abmessungen hin.

»Mit Sicherheit größer als unsere BASIS«, hatte Tostan gegenüber Posy behauptet. »Wir befinden uns in einem Giganten.«

Slush-Tosch hüllte seinen zylindrischen Körper in bunte, wallende Kleidungsstücke. Diesmal bedeckte er sogar den vertikal aufragenden Oberkörper.

Tostan beobachtete den Bewegungsablauf der vier Beine. Sie waren unbedeckt und endeten in von dünnen Knochengerüsten stabilisierten Hautlappen, denen man die enge Verwandtschaft zu Schwimmflossen ansehen konnte. Die Mamositu waren in ihrer Evolution aus Fischwesen hervorgegangen.

Das schienen auch die unbekannten Konstrukteure dieses Raumschiffs gewusst und beachtet zu haben. In den drei Wohnhallen der Mamositu gab es reichlich Süßwasser. Ihrem Schwimmbedürfnis war Rechnung getragen worden. Die künstliche Vegetation wirkte subtropisch. Eingelagerte Hügelgruppen aus echtem Gestein und Erdreich vermittelten den Eindruck, als befände man sich auf einem Planeten. Die Kunstsonnen in den hohen Hallen verstärkten den Effekt.

Posys Analyse war daher eindeutig: »Wesen, denen man konstruktionsmäßig einen derart aufwendigen Komfort zubilligt, sind als extrem wichtig für ein Vorhaben von ebenfalls extrem wichtiger Art einzustufen. Im Mamositu-Sektor erlaubten sich die Konstrukteure überschwänglichen Luxus. Welche zu bewegenden Massen dadurch unnötigerweise dem Zellenverbund und den Schubtriebwerken zugemutet wurden, weißt du besser als ich.«

Die Analysen der beiden Galaktiker hatten die Mamositu aufhorchen lassen. Hier bot man ihnen exakte Wahrscheinlichkeitswerte an. Die beiden Asylanten waren keine Schwätzer, sondern Fachleute. Der Terraner wusste nur zu gut, dass man ihn und Posy längst aus dem Dorado hinauskomplimentiert hätte, wenn ihre Leistung unzureichend gewesen wäre.

Tostan, der seinen Zeitmessgeräten immer weniger vertraute, hatte ein neues System vorgestellt. Als Bestimmungseinheit für eine tatsächlich vergangene Zeitspanne hatte er seine Schlafperiode und seinen Wachzustand im physischen Leistungsbereich von 50 Prozent seiner potenziellen Auslastung gewählt. Der Verdauungsrhythmus war eine weitere Funktionsgröße, die zur Hochrechnung herangezogen wurde.

Nach 30 Schlaf-Wachsein-Verdauungsperioden, von Tostan SWV-Faktor genannt, stand fest, dass sogar die normalerweise unbestechliche Uranzeitmessung falsch war. Das Gerät ging nach. Nach seinen Ergebnissen hätte sein Schlaf nur eine knappe halbe Stunde dauern dürfen. Er ruhte jedoch durchschnittlich sieben bis acht Stunden Standardzeit.

Es war keine Frage mehr, dass man nicht im zu Ende gehenden Jahr 430 NGZ weilte. Eine Zeitdilatation wurde daher als gegebene Größe vorausgesetzt. Hoffnung bot jetzt Posys letzte Analyse. Demnach liefen die Uhren immer schneller.

»Wir fliegen ein Anpassungsmanöver an die Normalität«, hatte der Terraner dazu behauptet. »Inwiefern das geschieht, kann ich nicht ermitteln. Das bedeutet wohl auch, dass demnächst unsere höherwertigen Geräte wieder funktionsklar werden dürften. Ich rechne mit dem Anspringen der Gravitationsneutralisatoren und dem des Hochenergie-Überladungsfeldes. Ohne HÜ-Schutzschirme gehe ich kein Erkundungsrisiko mehr ein.«

Posy Poos erwachte aus seinem Schlaf, richtete sich aus der Armbeuge des Freundes auf, reckte die vier Ärmchen und entspannte den Gurkenkörper mit schlangenähnlichen Windungen.

Er vernahm ein leises Lachen. Sofort wandte er sein Gesicht dem Freund zu. »Oh, du bist ebenfalls erwacht. Wie schön. Ich habe sehr angenehm geschlummert.«

»Freut mich. Dafür habe ich einen steifen Arm«, murmelte Tostan. Er ruhte lang gestreckt im Schatten eines blühenden Busches.

»Es tut mir wahrhaftig leid. Verzeihst du mir?«, bat Posy bestürzt. »Ich werde ganz sicherlich und auch demnächst sehr viel aufmerksamer sein.«

»Sprich nicht so kompliziert, Kleiner. Dort drüben kommt unser Superkalkulator. Die dreißigste Schlafperiode haben wir beendet. Was glaubst du wohl, wonach der jetzt fragen wird?«

»Er wird es sicherlich sehr höflich tun«, meinte Posy. »Er ist ein aufrichtiger und liebenswürdiger Geselle.«

Tostan richtete sich auf und reckte die Arme. »Mir ist es völlig gleichgültig, ob ich höflich oder grob aus dem Dorado geworfen werde. Du wirst wohl nie ein Realist, was?«

»Nie! Realisten umgibt stets der Odem unanständiger Kaltherzigkeit, was sie natürlich verbergen wollen.«

»Meine Wette ist noch nicht gewonnen. Slush-Tosch kann gar nicht anders handeln, als uns in die Wüste zu schicken. Wenn ich nur wüsste, in welcher Form ich ihn begaunert habe! Man könnte einen ähnlichen Weg einschlagen. Sei freundlich, Kleiner.«

Der Erste Profit-Kalkulator kam bei ihnen an. Seine halbkugeligen, gelblich-weißen Augen wirkten verschleiert. Er hatte sich lange unter Wasser aufgehalten und dort von seiner noch funktionierenden Kiemenatmung Gebrauch gemacht.

Slush-Tosch erhob seine beiden vorderen Arme und entbot mit rauer Stimme den Freundschaftsgruß seines Volkes. »Offen sei der Mund, Partner Tostan.«

Der Terraner erhob ebenfalls die Hände bis zur Schulterhöhe und entgegnete getreu dem Ritual:

»Er sei offen, Partner Slush-Tosch. Wie ich sehe, hast du dich erfrischt.«

Der Mamositu neigte den Körper zur Seite, zog die Beine an und nahm eine halb sitzende, halb liegende Stellung ein. »Genießt die Polsterung des duftenden Mooses«, gebot er.

Tostan setzte sich würdevoll und verschränkte die Beine. Posy kuschelte sich an den linken Fuß.

»Dein Symbiont ist folgsam«, stellte der Erste Profit-Kalkulator fest. An die bellende Tonfolge seiner Stimme musste man sich gewöhnen. »Der Kalkulationsrat ist mit seinen Analysen zufrieden. Somit, so sagt es die Gewinnrechnung aus, sind Verzehr und Aufenthalt bezahlt. Atemluft und die liebliche Umgebung wollen wir als zusätzlichen Rabatt gewähren.«

»Ich bedanke mich sehr aufrichtig und auch herzlich«, strahlte Posy, dabei lebhaft mit allen vier Ärmchen winkend.

»Spieler Tostan, du bleibst mir die Beweisführung über die Qualität deiner Schätze schuldig. Wir haben gewettet. Die Frist ist abgelaufen, und ich gewähre keinen Zusatzkredit.«

Niemand wusste besser als der Terraner, wie ernst es dem Mamositu mit der Aussage war. Posy hielt es noch immer für ein kleines »Freundschaftsgerangel«, wie er sich ausdrückte. Dem war nicht so!

»Ich werde ihn erbringen. Meine Forschungsarbeiten sollten von dir und dem Rat honoriert werden. Ihr wisst nun mehr als vor meiner Ankunft.«

»Wir haben gezahlt. Dreißig Schlafperioden waren eine gute Entlohnung für die Erhaltung deines Daseins.«

»Ich werde dir einen funktionellen Plan zur Rückeroberung deiner Warenlager ausarbeiten«, bot Tostan beunruhigt an. »Die Kugelbäuche halten sie besetzt und laben sich kostenlos.«

»Die Waren sind kostbar, aber nicht genießbar. Dein Angebot entbehrt der Logik. Nach der von dir berechneten Normalisierung aller Gegebenheiten werden wir schadlos unsere Lagerhallen betreten können. Die Kontorhüter, von dir Kugelbäuche genannt, sind primitiv, jedoch körperlich stark. Wir benötigen sie zur Ent- und Beladung. Warum sollte ich Güter erobern wollen, die mir ohnehin zufallen? Spieler, ich erwarte den Beweis. Die hohe Qualität jener Dinge, die du mit dir führst, ist unbestritten. Nur – wie viel davon besitzt du wirklich?«

»Mein Depot ist riesig. Hilf mir, es zu finden – und du wirst an seinem Inhalt partizipieren.«

»Gerne. Beweise mir aber zuvor, wie es um die weiteren Dinge bestellt ist. Du trägst weder hochwertige Maschinen noch Konsumgüter für den Luxusbedarf der Völker bei dir. Wie sehen sie aus?«

Tostan verfluchte innerlich die Wette. Er hätte es anders machen sollen, aber sein Spieltrieb war wieder einmal mit ihm durchgegangen.

»Deine Kalkulation sollte ausweisen, dass wir ein verschwindend geringer Verbrauchsfaktor für deine Lebensmittelbestände sind.«

»Das ist korrekt, Spieler Tostan. Wir dulden jedoch keinerlei vermeidbare Verluste, auch keine minimalen. Du bist ein Risikogeschäft.«

Posy Poos richtete sich plötzlich auf. Sein lang gestreckter Körper wirkte angespannt. Er entschuldigte sich und eilte davon. Als Posy in dem rohrgeflochtenen Rundbau verschwand, der ihnen als Wohnraum zur Verfügung gestellt worden war, ahnte der Terraner, dass der Kleine wieder etwas vernommen hatte, was niemand der anderen Anwesenden hören konnte.

Tostan vertraute stets seinem Instinkt. Diesmal riet er ihm zu schweigen, bis der Gefährte zurückkehrte.

Slush-Tosch wahrte die Höflichkeit. Er war tatsächlich kein übler »Geselle«, wie ihn Posy bezeichnet hatte. Nur konnte er seine Gewohnheiten nicht aufgeben.

Posy Poos kam nach wenigen Augenblicken zurück. »Mein Hyperkom hat angesprochen!«, rief er außer Atem. »Hast du gehört, mein Hyperkom hat das Bereitschaftszeichen zur Sendung gegeben. Ich habe eine Alarmschaltung installiert.«

Tostan lachte tief aus der Kehle und fast so rau wie die Mamositu. Posy zupfte verzweifelt am Hosenbein der leichten Kombination, die Tostan unter dem TSS trug. Auf dem Brustteil leuchtete das kunstvolle Bildnis einer Zehntausendsolarnote, wie sie vor der Einführung des Galax als Zahlungsmittel üblich gewesen war.

»Eines unserer Hypergeräte meldet einsatzklar, sagst du?«, fragte er. »Stimmt das, Gürkchen?«

»Ich muss doch sehr und überdies auch ernsthaft bitten«, empörte sich der Swoon. »Meine Worte wiegen schwerer als Howalgonium.«

»Dann sind sie glaubwürdig. Slush-Tosch, nach Ablauf einer weiteren Schlafperiode wirst du den geforderten Beweis erhalten. Ich bestätige meine Wette. Bist du einverstanden? Es gibt neue Aspekte von größter Bedeutung.«

»Also gut. Ich gewähre euch noch genau eine Schlafperiode als Kredit. Mit hundert Prozent Zinsen.«

Dem Terraner blieb wenig übrig, als dem zuzustimmen.

Tostan hatte seine übliche Schlafperiode erheblich gekürzt. Zu viele Dinge waren geschehen.

Nach Posys Meldung war die Bestätigung für Tostans Normalisierungstheorie nur noch eine Frage weniger Stunden gewesen. Dennoch hatte es nach seinem Dafürhalten viel zu lange gedauert, bis auch die Gravitationsneutralisatoren wieder angelaufen waren.

Fünf Stunden nach dem Gespräch mit Slush-Tosch hatten die Mamositu ihre bislang brachliegenden Bildschirmgalerien in Gebrauch nehmen können. Wenig später waren ihre Kalkulationscomputer angelaufen; das allerdings nur im Bereich der normalpositronischen Funktionen. Auch Tostans Syntronbatterie regte sich nicht. Er hatte zu ergründen versucht, weshalb die immerhin hyperorientierten Überlichtkoms wieder funktionierten, die syntronischen Einrichtungen aber nicht. Er war zu dem Schluss gekommen, die Ursache müsse in der syntronspezifischen Einspeisung liegen. Wahrscheinlich waren die Speicher wirklich gelöscht.

Tostans Gedächtnislücken hatten sich weiterhin aufgefüllt. Er wusste wieder, dass er nach seinem unfreiwilligen Tiefschlaf Kommandant des TSUNAMI-Pärchens TS-31 und -32 geworden war.

Ein Geheimauftrag hatte ihn im Oktober 430 NGZ nach M 33 geführt, wo es während der überlichtschnellen Flugphase zu einem unkontrollierten Zusammenbruch der Grigoroff-Schicht gekommen war. Was sich bei einem Spontanausfall der G-Schicht tatsächlich ereignen konnte oder musste, war eine Hypothese.

Ratber Tostan jedenfalls fühlte und sah überdeutlich, dass er noch lebte und sich an Bord eines Großraumschiffs befand, dessen Zweckbestimmung unklar war. Von seiner ursprünglichen Theorie, einer echten Zeitdilatation unterworfen zu sein, war er abgekommen. Die Ereignisse waren dafür nicht typisch genug.

Mittlerweile glaubte er, durch unbekannte psionische Kräfte an Bord eines aufnahmebereiten Gegenpols geschleudert worden zu sein, der nur mit dem Raumschiff identisch sein konnte. Das aber bewegte sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Bereich einer psionischen Störstrahlung großer Ausdehnung. In ihr konnte es durchaus zu einer Veränderung der Strangeness-Konstante gekommen sein.

Die allmähliche Anpassung der Gerätschaften deutete auf eine natürliche Angleichung an den veränderten Normalwert hin. Bei einer echten Zeitdilatation wären andere, gut bekannte Faktoren zum Tragen gekommen.

Die für einen SWV-Faktor geltende Zeitspanne war fast vorüber. Alle Mamositu hatten sich nahe des großen Teiches versammelt. Sie schwiegen. Ihre Überlegungen waren für Tostan so klar wie das über einen Felshang herabrauschende Wasser.

Posy schaute auf seine Messgeräte. Die Uhren liefen immer schneller. Die Normalisierung schritt fort.

Tostan grüßte zu dem Ersten Profit-Kalkulator hinüber. Noch resignierte er nicht. »Offen sei der Mund, Partner Slush-Tosch. Ich erwarte ein bestimmtes Ereignis.«

»Er sei offen, Spieler Tostan«, entgegnete der Kalkulator getreu der Sitte. »Wir warten.«

»Es ist ganz und gar schrecklich«, zirpte Posy auf Interkosmo.

»Vorsicht, Gürkchen! Die Translatoren können jeden Augenblick ihren Dienst aufnehmen.«

»Ausgeschlossen! Die Händler waren immer nur Käufer und Endverbraucher, niemals Produzenten. Ihre Übersetzungsgeräte sind hochwertig. Ich habe sie inspiziert. Die beginnen nicht zu arbeiten. Worauf, um alles in der Galaxis, wartest du eigentlich, großer Freund? Wenigstens mich könntest du einweihen.«

Tostans Totengesicht war unbewegt. Hin und wieder schaute er zu seinem TSS hinüber. Der Spezial-SERUN war sorgsam inspiziert und einsatzklar gemacht worden. Auch Posy Poos war bereit zum entscheidenden Unternehmen.

Slush-Tosch trat vor. Tostan wollte ihm keine Gelegenheit zur Eröffnung des formellen Hinauswurfs geben und ging daher aufs Ganze. Er hatte nichts mehr zu verlieren. Seiner Mentalität entsprechend, reagierte er mit einem Bluff. Er brauchte Zeit, sonst nichts.

»Ich möchte dich bitten, Partner, die Bildschirme deiner Hallenüberwachung genauer zu beachten. Ich meine den Verteilerknotenpunkt, in dem ich zu deinen Gunsten die beiden Flamm-Zerstörer vernichtet habe.«

»Dieses Thema ist geklärt«, meinte der Kalkulator offenbar unwillig, denn sein stets geöffneter Mund schloss sich. Die knorpeligen Knochenleisten schoben sich über die Zahnreihen.

»Vorsicht!«, mahnte Posy. Er gab sich erstaunlich gelassen.

Schrille, bellende Töne drangen aus unsichtbaren Lautträgern an der Hallendecke. Die Alarmsirenen der Mamositu waren nach ihrem Lautbildungsschema konstruiert worden.

Tostan drehte lauschend den Kopf.

»Alarm!«, zirpte Posy. »Draußen werden die Kugelbäuche angreifen. Wenn wir uns nützlich machen, könnten wir weiterhin geduldet werden. Ich bin ganz und gar davon überzeugt.«

»Aber ich nicht. Außerdem kommen dort keine Kugelbauch-Roller.«

Unter den Mamositu entstand erstaunlicherweise keine Aufregung. Das Wachpersonal an den Schleusen schien längst Anweisungen für Alarmfälle erhalten zu haben. So verzichtete der Terraner darauf, dem Ersten Kalkulator seine Dienste anzubieten. Außerdem wollte er es vermeiden, seinen als gefährlich identifizierten Interkomb-Toser in die Hände zu nehmen.

Er wartete ab, bis ein Bildschirm aufleuchtete. Er war an dem kuppelförmigen Zentralgebäude inmitten der großen Wohnhalle installiert.

»Ein unidentifizierbarer Gegenstand ist aus dem Antigravlift gekommen. Er liegt auf dem Boden vor dem Schleuseneingang. Bedrohliche Maßnahmen sind nicht feststellbar.«

Tostan begann innerlich zu jubeln.

Slush-Tosch schaute aufmerksam zu ihm herüber. »Hast du etwas zu sagen, Spieler Tostan? Deine Zeit ist abgelaufen.«

»Irrtum, sie beginnt soeben. Öffne die Tore. Das ist mein Beweis. Vertraue mir, Partner.«

Slush-Tosch war ein Wesen schneller Entschlüsse. Als die inneren Schleusentore lautlos zurückschwangen, wurde der hereinschwebende Gegenstand von den Aufnahmegeräten erfasst.

Posy Poos stieß einen Ruf der Überraschung aus. »Dein Ausrüstungsbehälter! An den hatte ich ganz und gar nicht mehr gedacht.«

»Aber ich. Hatte ich dir nicht prophezeit, er würde sich nach dem Wiederanlaufen der Antigravgeräte in Bewegung setzen? Der Hirnmusterspürer ist zwar noch außer Betrieb, aber dafür funktionieren der Infrarot-Spätorter und der Artenduft-Taster.«

Grinsend sah Tostan dem in die Halle schwebenden Gepäckstück mit tief empfundener Freude entgegen. Der fast zwei Meter lange Körper senkte sich vor Tostans Füßen in die dichte Vegetation. Das Summen seines Antigravs verstummte.

»Deine Technik ist überragend, Spieler«, stellte der Erste Profit-Kalkulator fest. »Was werde ich sehen?«

»Dinge, die du nicht einmal erahnen kannst.«

Ratber Tostan griff genüsslich in die maßgefertigten Innenfächer des flexiblen Behälters, dessen Inhalt so sorgsam ausgewählt war, als hätte der Terraner mit dem Verlangen der Mamositu gerechnet. Hatte er sie etwa ohnehin aufsuchen wollen? Waren ihre Komforthallen sein Ziel gewesen, ehe etwas Unbegreifliches geschah? Fast schien es so. Danach zu urteilen, musste er über die Händler informiert gewesen sein.

Er stellte sein Gerät auf eilig herbeigebrachte Tische. »Ein überlichtschnell arbeitender, syntronisch gesteuerter Kalkulator für alle denkbaren Möglichkeiten des Warenvertriebs. Er wird bald wieder arbeiten. Notfalls erhält er von meinem Symbionten ein neues Komplettprogramm. Er ist tausendfach leistungsfähiger als zwei Geräte der Regeltechnik im Bereich aller nur möglichen Verladeprozesse. Ein Mikro-Antigravtriebwerk für Kleinstflugkörper mit autarker Anflugsteuerung eingegebener Ziele im Bereich von hunderttausend Lichtjahren. Hier ...«

Tostan führte alles vor, was er an erstaunlichen Dingen anzubieten hatte. Einige davon waren unerprobte Prototypen, aber das störte das galaktische Schlitzohr in keiner Weise.

Nach zwei Stunden des Abwägens und Erprobens hatten die Mamositu ihre Kalkulation beendet. Sie lautete positiv für den Terraner.

Tostan begann sofort zu drängen. »Mein Kontor befindet sich im Heck des Schiffes. Wir müssen uns dorthin durchschlagen, sobald die Transmitterverbindungen, zumindest aber die Schnellbahnen wieder betriebsbereit sind. Da wir dabei die Einflusssphäre wahrscheinlich sehr vieler Völker durchqueren müssen, ist dieser Schritt vorerst noch nicht angebracht.«

»Deine Kalkulationslogik wird akzeptiert«, erklärte Slush-Tosch erkennbar wohlwollend. »Was soll nun geschehen?«

»Die Absicherung unseres Lebensraums und ein Vorstoß in die Schaltzentrale, deren Standort du mir mitgeteilt hast.«

»Dazu müssen wir unsere Warenkontore durchkreuzen. Die Zentrale ist gut gesichert.«

»Diese Sicherungen wirst du ja wohl entschärfen können. Ich will wissen, wo wir uns befinden. Dazu benötige ich eine Außenbord-Bilderfassung sowie aktive und passive Ortungsgeräte. Ein Hyperfunksender mit einer Wandelleistung von mindestens zwanzig Gigawatt normaler Arbeitsstromeinheiten im Endstufen-Hypersektor ist erforderlich, oder ich bekomme nie Kontakt mit meinen Leuten. Ihre Schiffe, Peil- und Relaisstationen werden überall vorhanden sein. Wir werden die Nachricht ungerafft und unverschlüsselt im historischen, morseähnlichen Klarpulsverfahren senden. Scharf akzentuierte Stoßimpulse hoher Hyperpackungsdichte kommen wesentlich klarer durch als Sprechtexte. An eine Bilduntermalung ist nicht zu denken. Wird dein Stationsreaktor die geforderte Leistung bringen können?«

»Ich bin überfragt. Der Wahrscheinlichkeitswert beträgt zweiundachtzig Prozent.«

»Das reicht mir. Wir sind jetzt voll ausgerüstet. Ich brauche sechs gute Techniker, die gleichzeitig Kampferfahrung haben sollten. Suche die Partner aus.«

»Ich werde mit dir gehen«, erklärte Slush-Tosch gelassen. »Ein eventueller Nachfolger ist kalkulatorisch erfasst. Bedenke aber, dass wir Händler sind. Unser Wissen basiert auf dem, was wir in Gebrauchsanleitungen studiert haben. Wir sind keine Konstrukteure.«

»Da seid ihr bei uns gut aufgehoben. Mein Symbiont macht aus einem Angelhaken einen Hypertrop-Zapfer, und ich baue aus Bruchstücken eurer Häuser ein Fernraumschiff. Macht euch fertig.«

»Ist das nicht ganz dezent und überdies lautstark übertrieben?«, meldete sich Posy vorsichtig. »Großer Freund, mir bangt sehr.«

»Nur?«, entgegnete Tostan störrisch. »Mir rotiert vor Angst der Magen, wenn dir das etwas sagt. Etliche meiner Wundergeräte sind schrottreife Fehlentwicklungen. Der Teufel mag wissen, weshalb ich den Kram in den Versorgungsbehälter gepackt habe. Anscheinend wollte ich jemand gehörig betrügen. Schön, warten wir ab. Jetzt will ich wissen, wo wir sind. In meinem Speicherhirn sind Riesenmengen galaktischer Koordinaten verwahrt. Wenn wir nach draußen blicken können, werden wir etwas identifizieren. Fertig zum Einsatz, Gürkchen!«

Fünf Kugelbauchwesen waren nach einigen Warnschüssen aus Tostans Uraltwaffe geflüchtet. Die Wirkung seiner Geschosse musste sich herumgesprochen haben.

Nahezu fassungslos hatte der Terraner die in gigantischen Hallen gelagerten Warenberge der Mamositu begutachtet. Damit hätte man eine planetarische Bevölkerung versorgen können!

Riesige Beladungsschleusen mit wieder einsatzbereiten Antigravverladern und Verteilerrampen deuteten darauf hin, dass man sich dem Ziel näherte. Dazu fiel Tostan etwas ein. Ein Schiffskonstrukteur musste es sogar zwangsläufig bemerken.

Posy und Slush-Tosch hielten sich dicht an seiner Seite. Die fünf anderen Mamositu hatten sich rechts seitlich abgesetzt. Alle Beteiligten trugen Raumanzüge beziehungsweise TSS, die den mamositischen Monturen in jeder Beziehung weit überlegen waren.

Die Helme waren geöffnet. Tostan hatte eine Sprechfunkverbindung wegen der Einpeilmöglichkeit vorerst untersagt.

»Gürkchen, wenn du ein Kombinationsraumschiff zur Beförderung gewaltiger Gütermassen und vieler Lebewesen zu konstruieren hättest – wo würdest du die Lagerräume mit den dazugehörigen Be- und Entladeeinrichtungen anordnen?«

Der Swoon trippelte näher. Er wollte sich nicht tragen lassen, zumal sein TSS nun wieder flugfähig war. »Wahrscheinlich und sicherlich dort, wo ich sie leicht erreichen kann. Die Passagiere wohnen innen drin.«

»Genau! Ladegüter gehören nicht in die Schiffsmitte, sondern in Stauräume nahe den Außenwandungen. Niemand befördert große Maschinen kilometerweit nach innen oder oben. Das heißt, dass wir uns in der Nähe einer äußeren Zellenwandung befinden. Es wird interessant.«

Der Mamositu winkte beifällig mit zwei Hautlappenhänden. In den beiden anderen hielt er einen Bio-Deformator. Thermowaffen besaßen sie nicht. Infolgedessen waren sie nichtorganischen Gegnern hilflos ausgeliefert. Tostan verstand das nicht. Er hatte dem Kalkulator seinen Handstrahler angeboten, aber dessen Griffstück war für die Greifwerkzeuge eines Mamositu ungeeignet.

Weit vorne schwebte ein wuchtiger Roboter in das Kontor. Es war eine Spezialmaschine für Güterumschichtungen. Slush-Tosch winkte beruhigend ab. Sie aktivierten ihre Flugaggregate und folgten der langen Rampe, an deren Ende eine große Schleuse erkennbar war.

»Wohin führt sie?«, erkundigte sich der Terraner.

»In einen vorgelagerten Sektor zur Warenverteilung, Spieler. Von dort aus ist die Schaltstation bequem zu erreichen.«

»Wozu dient sie primär?«

»Alle Be- und Entladungsvorgänge werden von dort gesteuert. Der Hypersender dient unserem internen Handelsfunkverkehr.«

Sie passierten die stählerne Kontorwandung durch eine kleine Mannschleuse. Tostan, Posy und der Kalkulator verließen den engen Raum zuerst. Die fünf anderen Mamositu wollten den Feuerschutz übernehmen. Tostan wusste, wie fragwürdig das war.

Eine weite Halle nahm sie auf. Zahlreiche Antigravanlagen verrieten, dass es sich tatsächlich um einen Verteilerknotenpunkt zu den verschiedenen Kontoren handelte.

Tostan schwebte zu Boden, schaltete das Fluggerät ab und schaute argwöhnisch zu einem runden Panzerschott hinüber. Über ihm leuchtete ein rotes Symbol. Er kannte es, wunderte sich jedoch nicht mehr darüber.

»Dort müssen Abwehreinrichtungen vorhanden sein«, behauptete er. »Du hast doch hoffentlich einen Impulsgeber mit codierten Signalen?«

Der Erste Profit-Kalkulator zog ein stabförmiges Gerät aus einer der zahlreichen Außentaschen.

Ehe er es betätigte, ordnete Tostan an, die Helme zu schließen. »Mein Instinkt warnt. Posy, HÜ-Abwehrfeld aufbauen. Slush-Tosch, du bleibst hinter mir im Schutz meines Hochenergieschirms. Posy, achte auf die beiden Stahlbuckel rechts und links des Rundschotts. Wenn dort keine Waffen installiert sind, will ich nicht mehr ...«

Der Kalkulator gab unaufgefordert den Impuls für die Öffnungsautomatik. Gleichzeitig kamen die fünf anderen Mamositu aus der Schleuse hervor und liefen gemächlich auf das Tor zu.

»In Deckung gehen!«, schrie Tostan. Doch sie hörten seinen Funkruf nicht, und zum anderen wäre es auch viel zu spät gewesen.

Aus den Stahlbuckeln zuckten Strahlermündungen hervor. Blaues Leuchten umhüllte die fünf Händler und verwandelte sie in mumifizierte Wesen.

Tostan und Posy schossen gleichzeitig. Der dünne Energiestrahl des Swoon erzeugte nicht mehr als einen rot glühenden Fleck, doch Tostans Interkomb-Geschoss war dafür umso wirkungsvoller. Er konnte noch den zweiten Treffer auf die benachbarte Kuppel anbringen, ehe er von der Druckwelle erfasst und gegen die Verlademaschine geschleudert wurde.

Zwei grellweiße Feuerbälle entstanden. Stahlsplitter durchpeitschten die Halle. Die von Wandungen reflektierten Sekundärdruckwellen fegten Slush-Tosch über den glatten Boden und warfen ihn gegen einen Rampensockel.

Als das Tosen allmählich verhallte und der Hitzestau abgesaugt wurde, eilte Tostan zu dem Kalkulator hinüber. Er richtete sich mühevoll auf. Tostan schaltete den HÜ-Schirm ab.

»Ihr seid Narren!«, fuhr er den Mamositu an. »Habe ich euch nicht gesagt, ihr sollt auf meine Anweisungen warten? Deine Leute hätten nicht zu sterben brauchen.«

»Sie waren unvorsichtig«, stöhnte der Händler und betastete seinen Körper. »Wieso konnte das geschehen? Mein Impuls war korrekt.«

Tostan klappte den Druckhelm zurück. Die Überschussluft pfiff ins Freie. Posy war noch in Abwehrbereitschaft.

»Das Schott hat sich geöffnet!«, rief er über Sprechfunk. Seine Stimme klang aus Tostans Helmlautsprecher. »Der Öffnungsmechanismus reagiert unabhängig zur Waffenschaltung. Sie hat jedoch gleichzeitig angesprochen und das Feuer eröffnet.«

»Wieso?«, grübelte der Terraner. »Wieso werden Intelligenzen beschossen, die hier fraglos eintrittsberechtigt sind? Wieso?«

»Eine ungenaue Identitätserfassung durch eine noch nicht voll einsatzbereite Abwehranlage, oder?«, vermutete der Swoon unsicher.

»Ausgeschlossen! Das primitive Gerät war voll einsatzklar. Man muss es umprogrammiert haben. Die wirklichen Kommandeure dieses Schiffes haben neuerdings etwas dagegen, dass deine Schaltzentrale ohne ihre Zustimmung betreten wird, Slush-Tosch.«

»Unmöglich! Welche Kommandeure? Deine Kalkulation ...«

»... ist richtig, verlasse dich darauf. Glaube nicht, ihr wärt hier die Chefs. Ihr seid Ausnahmeerscheinungen mit Privilegien, ja; aber niemals die wahren Machthaber! Ich werde trotzdem einen Blick nach draußen werfen und funken, bis der Sender glüht. Posy, unter vollem HÜ-Schutz einschweben, die Lage peilen und Funkbericht geben! Ich sorge dafür, dass dir keiner die Haut abzieht.«

Der Kleine verschwand in dem offenen Schott.

»Liegt dahinter eine Schleuse?«, fragte Tostan an.

»Nein. Das ist ganz und gar erstaunlich. So wichtige Anlagen sichert man doch gegen Druckverluste ab.«

»Darüber reden wir später. Wie sieht es aus?«

»Klein, aber sehr fein, herrlich fein«, teilte Posy mit. »Es ist alles unversehrt. Keine Roboter, keine stationäre Abwehr.«

»Wozu auch?«, sprach Tostan sinnend vor sich hin. »Dort hantieren Händler mit riesigen Warenbergen. Dazu brauchen sie leicht erreichbare Gerätschaften. Deswegen ist keine Schleuse vorhanden. Beim eiligen Geschäft wartet man nicht gerne, bis sich jedes Mal zwei Tore bewegt haben. Gut, Gürkchen, wir kommen. Wie sind die Innenraumtemperaturen?«

»Sie gehen auf Normalwert zurück. Eine Klimastation ist angelaufen. Kann ich den schrecklichen Druckhelm öffnen? Er drückt mich ganz arg und überall.«

Der Reaktor war klein, hochwertig und arbeitete nach dem Prinzip des gepulsten Protonenstrahls. Ähnliche Konstruktionen hatten die Terraner mit ihren Schwarzschildreaktoren verwirklicht.

Die Leistung war am Verbrauch des Hypersenders orientiert, konnte jedoch kurzfristig auf den doppelten Wert gesteigert werden, falls die Verladegeräte überdurchschnittliche Arbeitsenergie anforderten. Die Auslegung wirkte wohlüberlegt und erstklassig, wie alles auf diesem Schiff. Die Betriebsschaltungen waren rein positronisch und daher zuverlässig.

Der Hyperfunksender stand in einem durch eine transparente Panzerwand abgeteilten Nebenraum. Die Hochstrom-Leitungsfelder, die den Reaktor mit dem Sender verbanden, hätten auf einem terranischen Schiff älterer Bauweise installiert sein können. Der wuchtige Wandler, der Normalenergien in Nutzungs-Hyperhochfrequenzen umzuformen hatte, war das voluminöseste Gerät im Senderraum. All das war solide und Tostan vertraut.

Die Bildschirmgalerie hätte sich ebenfalls auf einem Terraschiff befinden können. Sie war von Posy zuerst eingeschaltet worden. Sie zeigte alle von den Mamositu benutzten Räumlichkeiten und eine Anzahl anderer Schiffssektoren, die zu begutachten sich im Augenblick nicht lohnte.

Posy und Tostan schalteten so traumhaft sicher, als hätten sie nie andere Geräte bedient. Jetzt wurde dem Terraner endgültig klar, dass man ihn in diese Technik eingewiesen hatte. Anders war es nicht zu erklären. Über das Warum und Wozu verweigerte sein Gedächtnis die Auskunft.

»Irgendwie und irgendwann müssen wir hier einmal willkommen gewesen sein, Gürkchen«, hatte Tostan behauptet. »Wir erlernten mindestens eine fremde Sprache und den Umgang mit fremden Technologien, die sich im Grundsatz nicht sonderlich von unseren unterscheiden. Und nun justiere die Bilderfassung um.«

Posy tat es. Der Erfolg war überwältigend. Tostan stand vor der Bildschirmgalerie und bemühte sich verzweifelt, unter den sporadischen Lichtklecksen auch nur eine bekannte Form zu entdecken. Er wartete lange, bis er endlich monoton mitteilte: »Kleiner Freund, wir sind im intergalaktischen Raum. Von den Galaxien, die hier zu sehen sind, kenne ich keine einzige. Sag mir, Kleiner: Wo sind wir?«

Posys Gesichtchen drückte seine Stimmung aus. »Ich möchte weinen, großer Freund«, bemerkte er kläglich. »Keine von diesen ist M 33, wo unser Unfall erfolgte. Was nun?«

Tostan setzte sich auf einen Drehsessel, der nicht für seinen Körper konstruiert worden war. Der Erste Profit-Kalkulator ruhte bequemer. Er war feinfühlig genug, kein Wort zu sagen. Der Tod seiner Gefährten schien ihn mehr zu belasten, als er zugeben wollte.

Posy schaltete die Passivortung ein. Sie empfing normalerweise Schwingungen, die von anderen Stationen oder Körpern ausgesendet wurden. Außer einem Tosen und Krachen war nichts zu vernehmen.

Tostan schaute sich das Panorama nochmals genau an. Als sein genmoduliertes Speichergehirn keine Daten lieferte, gab er es auf. »Partner Kalkulator, schließe die Eingangstür. Ich möchte abgeschirmt sein. Posy ...«

Der Swoon befolgte den Wink. Überrascht schaute er auf eine weiße Folie, die ihm Tostan unter die Nase hielt.

»Das ist weder ein fertiges Programm noch ein psi-schneller Eingabesender, sondern ein gewöhnlicher Kunststoffstreifen mit noch gewöhnlicheren Schriftzeichen von meiner Hand. Lies den Text, speise ihn als Einzelimpulsgebung nach dem uralten Morseprinzip in die Automatik ein, und drücke auf den Sendeknopf, sobald du fertig bist. Die Richtstrahlantenne bleibt in Ruhestellung. Wir nehmen den Rundumstrahler, da wir nicht wissen, wo jemand gezielt anzurufen ist. Das bedeutet, dass ich mit allerhöchster Leistung senden muss, oder man hört uns überhaupt nicht. Draußen tobt ein hyperenergetischer Störfrontenorkan. Versuchen wir, ihn zu durchbrechen.«

Posy las die Nachricht, die Ratber Tostan senden wollte. Bei einem der Begriffe begann er zirpend zu lachen.

»Oh, das habe ich damals ebenfalls aufgenommen, ehe ich dich auf der alten USO-Station fand.«

»Es lautet ›Doc Holliday‹, ein historischer Spieler und Alkoholiker. Wer über mich informiert ist, weiß damit alles. Da ich aber nicht erwarten kann, ausgerechnet hier einen Wissenden zu finden, werden wir den erklärenden Text ebenfalls durchgeben. Wiederhole die Nachricht, bis der Sender ausfällt. Ich werde ihn extrem belasten.«

»Du riskierst schon wieder ganz und gar alles«, klagte Posy.

»Das ist meine Art. Fangen wir an, Kleiner!«

Geoffry Abel Waringer, fraglos der führende Wissenschaftler des Galaktikums, hatte keine Ruhe gefunden.

Die Nacht war warm, von Blütenduft durchdrungen und zu einem Spaziergang verlockend. Waringer war aufgestanden und erneut in den großen Laborkomplex hinübergegangen. Es war drei Uhr nachts. Die weiße Sonne Moorga, das Muttergestirn des gleichnamigen Planetensystems, würde erst einige Stunden später hinter den Bergen erscheinen.

Waringer hatte bei seinem Eintritt in den Labortrakt flüchtig nach draußen gesehen. Die silbern schimmernden Wogen der Benda-See, eines Seitenarms des großen Südmeers, hatte er in all ihrer Schönheit nicht wahrgenommen.

Hagon, die weitläufig erbaute Siedlung der Gänger des Netzes auf Sabhal, dem vierten Moorga-Planeten, ließ in dieser schwülen Nacht die übliche Lichterflut vermissen.

Auch darüber hatte Geoffry Waringer nicht nachgedacht. Seine Überlegungen galten seit Wochen dem offenkundig missglückten Einsatz der Netzgänger, deren neu entwickelte Strangeness-Schilde beim Eindringen in den KLOTZ erwartungsgemäß versagt hatten. Daniel, der zur Erkundung ausgeschickte Uraltroboter, hatte den KLOTZ zwar erreicht, aber auch seine Messergebnisse waren kümmerlich – bis auf einen gewissen Faktor, den Waringer noch nicht einzuordnen wusste.

Von seinen ausgeschickten Interuniversalsonden waren viele gar nicht, andere in einem völlig demolierten Zustand aus dem KLOTZ zurückgekehrt. Eine jedoch wies Beschädigungen auf, die sich von allen anderen unterschieden. Waringer war auf die Idee gekommen, Daniels Messdaten mit dem Beschädigungsgrad der Sonde zu koordinieren. Die Ergebnisse waren verblüffend, jedoch so unwahrscheinlich, dass sich Waringer gehütet hatte, auch nur einem seiner vielen wissenschaftlichen Mitarbeiter einen Hinweis zu geben. Nur Perry Rhodan und seine engsten Vertrauten wussten Bescheid.

Um diese Zeit waren die weiten Hallen verödet. Die überall stationierten Wachroboter registrierten seine Individualimpulse und ließen ihn passieren.

Im Nebengebäude war der interne Hypersender des Forschungszentrums untergebracht. Über diese Großanlage stand Waringer in ständigem Kontakt mit den Besatzungen jener Schiffe, die den Auftrag erhalten hatten, den KLOTZ zu überwachen.

Waringer nahm, wie so oft, im Drehsessel hinter seiner zentralen Rechenanlage Platz. Von dort aus beherrschte er das Forschungszentrum. Auf einem wandfüllenden Bildschirm gegenüber den Konsolen erschienen die letzten Auswertungsergebnisse. Die Bildaufzeichnungen des primitiven Roboters waren unscharf und viel zu grob gerastert. Waringer hatte sie aufbereitet, aber außer zwei verschiedenartigen Gestalten konnte er nichts erkennen. Die Grenzen der technischen Möglichkeiten waren erreicht.

Die Aufzeichnungen der atypisch beschädigten Interuniversalsonde waren etwas besser, aber auch sie zeigten nur zwei Wesen von anscheinend galaktischer Herkunft. Es handelte sich um einen sehr großen, ausgezehrt wirkenden Terraner und bei dem Kleinlebewesen vermutlich um einen Swoon. Beide trugen Schutzanzüge.

Die Schmelzspuren am vorderen Teil der Sonde ließen auf eine Waffeneinwirkung schließen. Eine kaum messbare Radioaktivität bewies, dass der Flugkörper einem Kernfusionsprozess ausgesetzt gewesen war, der nach einem längst überholten Verfahren der Nukleartechnik abgelaufen sein musste.

Als Waringer den Bildschirm abschalten wollte, schrillte der Lautgeber des Hypersenders. Nach Waringers Annahmeimpuls schaltete die Automatik eine soeben eingehende Sendung auf seine Zentralschirme um. Ein quasi-humanoides Wesen wurde sichtbar.

»KLOTZ-Beobachter MALABO an Waringer-Station, Sabhal. Wir haben soeben einen äußerst merkwürdigen Funkspruch aufgenommen. Er kommt auf Hyperfrequenz herein, ist stark gestört und besteht nicht aus gesprochenen Worten. Die Sendung kommt eindeutig aus dem KLOTZ. Sie ist sehr schwach. Hörst du mich?«

Waringer war plötzlich hellwach. Er glaubte, sein Herz im Hals schlagen zu hören. »Waringer an KLOTZ-Observer MALABO, ich höre dich. Wie stellt sich der Funkspruch dar?«

»Sehr seltsam. Es handelt sich um Punkte und Striche, scharf abgegrenzt und in ständiger Wiederholung. Ein Wunder, dass sie die psionische Störfront überhaupt durchdringen.«

»Punkte und Striche?«, fragte Waringer zurück. Sein Herz schlug noch heftiger. »Also betont kurze oder etwas länger währende Symbole ohne jede Modulation?«

»So ist es, Geoffry. Wir können nichts damit anfangen. Bist du interessiert?«

»Und wie!«, rief Waringer in heller Aufregung. »Sofort überspielen!«

Die Sendung lief ein und wurde vom großen Syntron der Forschungsstation aufgenommen. Waringer gab ein Programm ein, das wahrscheinlich nur noch ihm, Perry Rhodan und vielleicht noch Atlan geläufig war. Es handelte sich um das modifizierte Morsealphabet, das in der alten Solaren Flotte jahrhundertelang als Notfalllösung gebräuchlich gewesen war.

Mit diesen Grunddaten konnte der syntronische Rechner etwas anfangen. Seine Auswertung kam zwei Sekunden nach der erfolgten Wertstellungseingabe. Waringer hatte längst auf Schirm- und Wortunterrichtung geschaltet.

»Klartext, System: modifiziertes Morsealphabet nach Flottencode Imperium-Altzeit. Eingabe überprüft und korrigiert nach meinen Unterlagen. Typische Kurz-Lang-Impulse. Verloren gegangene Impulszeichen infolge Absorption KLOTZ-Strahlung sind vom Absender durch Zehnfachwiederholung einkalkuliert worden. Ich habe Sinngehalt durch Einfügung vorhandener Vergleichsimpulse mit Leerstellen koordiniert. Nach Aufbereitung und Logikergänzung laut Sprachgebrauch Interkosmo liegt Klartext vor. Wortlaut: ›Doc Holliday – Fall LAURIN – ÜDK-Howalgonium – Einsatz Lepso – TSUNAMI-Schulung Tekener – Abschluss 429 NGZ – Grigoroff-Unfall Oktober 430 NGZ – TSUNAMI-32 – Hilfe – Ratber Tostan – Kommandant – Posy Poos – Swoon – Koko-Interpreter.‹ Ende des Klartextes. Ende Auswertung. Zuverlässigkeitskoeffizient: hundert Prozent.«

Waringer las die auf dem Großbildschirm festgehaltene Nachricht etliche Male. Seine Erinnerungen überstürzten sich. »Fall LAURIN«, flüsterte er unbewusst vor sich hin. »Mein Gott, da war doch dieser Suchtspieler, der mir das verschwundene Howalgonium besorgte. Das ist doch nicht möglich!«

Waringer gab Großalarm. Alle vorhandenen Computer mit Altdatenspeichern wurden auf die hochmoderne Forschungsanlage geschaltet. Perry Rhodan erschien im Waringer-Zentrum.

Als die Sonne aufging, lagen die Ergebnisse vor.

»Ratber Tostan, Kommandant TSUNAMI-32, begleitet von einem Koko-Interpreter, dem Swoon Posy Poos, befindet sich an Bord des KLOTZES«, berichtete Waringer. »Der Grigoroff-Unfall in M 33 ereignete sich nach Aussagen der Begleitschiff-Besatzung, TS-31, Ende Oktober 430 NGZ. Heute schreiben wir den 23. April 446 NGZ. Stell dir das vor! Tostan meldet sich nach fünfzehneinhalb Jahren, und das ausgerechnet von Bord des KLOTZES. Weißt du, was du von diesem Mann zu halten hast?«

Rhodan bemühte sich um seine Fassung. »Wahrscheinlich besser, als er selbst es wahrhaben mag. Tekener hat ihm nicht umsonst das TSUNAMI-Pärchen anvertraut. Er ist unglaublich fähig, ein guter Kosmopsychologe und überragender Technowissenschaftler. Wir werden den KLOTZ weiterhin beobachten und Tostan die Initiative überlassen. Versuche bitte, ihm von uns ein Lebenszeichen zu übermitteln, egal wie.«

Als Rhodan gegangen war, saß Geoffry Abel Waringer noch lange im Institut. In seinem stets wachen Geist kristallisierten sich Vorstellungen heraus. Wie konnte er Tostan mitteilen, dass man seinen Funkspruch nicht nur aufgenommen, sondern auch folgerichtig ausgewertet hatte?

Waringer nahm sich vor, dieses Problem sofort in Angriff zu nehmen.

2. Sänger und Intrigen

Vermutlich war Salaam Siin der einzige Ophaler auf Mardakaan, der die Ereignisse zu deuten wusste und dem klar war, dass gerade eine Bedrohung für den gesamten Kriegerkult erwuchs.

Es begann mit einer Sondersendung, die über ganz Siom Som und einen Teil der elf übrigen Galaxien ESTARTUS verbreitet wurde. Er saß gemeinsam mit seinen besten Schülern vor der größten Bildschirmwand in den Gebäuden der Nambicu ara wada. Inzwischen nahm sie von allen Singschulen Mardakaans den meisten Raum ein – eine Folge der Tatsache, dass sie in den letzten Spielen des Lebens stets den Ton angegeben hatte.

»Passt gut auf!«, sang Salaam Siin. »Jetzt kommt der Teil, der uns angeht ...«

Sie erfuhren, dass die ehemaligen Vironauten Roi Danton und Ronald Tekener wegen ihres eigenständigen Entkommens aus den Orphischen Labyrinthen von Trovenoor zu »Freien von Siom Som« ernannt worden waren. Dies bedeutete eine große Auszeichnung für die beiden Terraner – und womöglich eine unerhörte Machtposition.

»Was hat das mit uns zu tun?«, fragte einer der Schüler.

»Pass auf, dann wirst du es sehen!«

Mit angehaltenem Atem verfolgten die Ophaler die Worte des Nachrichtensprechers, der einem wenig bekannten Volk angehörte. Sie erfuhren, dass Tekener und Danton als Zeichen ihrer Ergebenheit das nächste Spiel des Lebens ausrichten würden. Es sollte das prächtigste Ereignis dieser Art werden, das jemals stattgefunden hatte. Dann allerdings kam eine Ankündigung, die nicht einmal Salaam Siin unberührt ließ:

»Wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren haben, wird das Lebensspiel diesmal nicht, wie sonst üblich, auf Mardakaan stattfinden ...«, der Sprecher legte eine bedeutungsvolle Pause ein, »sondern im Siomsystem! Die Auslagerung ist eine einmalige Sache von größter Bedeutung. Dort, im Herzen der Galaxis Siom Som, im Mittelpunkt der großen Kalmenzone, werden die Augen von ganz Estartu das Spiel verfolgen. Ein wahrhaft geschichtlicher Augenblick ...«

An diesem Punkt unterbrach Salaam Siin die Nachrichtensendung. Das Wichtigste hatten sie gesehen, und wer sich dafür interessierte, konnte den Rest vom Speicher abrufen.

»Ich hoffe, dass ich die Bedeutung dieses Lebensspiels nicht eigens zu betonen brauche. Die Nambicu ara wada muss den Wettstreit der Sänger gewinnen.«

Sie alle wussten, dass die Ehre, hier den Ton angeben zu dürfen, immens war. Aber nur Salaam Siin hegte einen Hintergedanken: Während der letzten Monate hatte er ausreichend Gelegenheit gehabt, in der Nambicu ara wada seine neue Singweise zu etablieren. Jeder Ton, den der Chor seiner Schule sang, war durchsetzt von jener feinen Nuance, die er aus dem Gesang des Todes entwickelt hatte. Nur würde es im Siomsystem mit der Harmlosigkeit vorbei sein ... Dort war nicht Mardakaan oder eine Welt des ophalischen Sternenreiches – dort war die Große Kalmenzone, und dort waren auch die Heimatwelten der Somer mit dem Königstor.

»Salaam Siin!«

Fast wäre er zusammengezuckt.

»Salaam Siin! Eine zweite Sendung! Diesmal kommt sie von Graucum, und sie geht an alle Singschulen von Mardakaan.«

Er konnte sich denken, weshalb der Kodexwahrer ihres Planeten ebenfalls sprechen wollte. Immerhin hatten die Terraner Danton und Tekener beschlossen, das Spiel des Lebens ins Siomsystem auszulagern. Bei vielen Ophalern würde dies große Empörung auslösen. Dem galt es entgegenzuwirken, das würde auch der Kodexwahrer erkannt haben.

Salaam Siin bat einen seiner Schüler, die Bildschirmwand wieder einzuschalten. Noch in derselben Sekunde erschien der eiförmige, signalrote Schädel, den Graucum diesmal mit einer irisierenden Kappe geschmückt hatte. Auch die übrige Kleidung des Kodexwahrers war von exzentrischem Zuschnitt und in grellen Farben gehalten. In dieser Hinsicht unterschied sich Graucum nicht vom Gros der Ophaler. Dennoch hatte er es bis zum höchsten Amt auf Mardakaan gebracht, und so weit Salaam Siin wusste, kam dies keineswegs von ungefähr: Er war einer der wenigen Meisterschüler der Upanishada, die sich Panish Panisha, »Lehrer der Lehrer«, nennen durften. Ijarkor hielt große Stücke auf ihn.

»Ich wende mich vor allem an euch Singlehrer«, begann Graucum mit orgelnder Stimme, der man über die Videoleitung den psionischen Impuls natürlich nicht anhörte. »Das Spiel des Lebens wird diesmal im Siomsystem stattfinden, direkt in der Kalmenzone, im Bereich der Heraldischen Tore von Siom Som. Ich erwarte, dass es deshalb nicht zu Unmutsäußerungen kommt. Bedenkt die Ehre, ihr Singlehrer, und gebt im kommenden Wettstreit der Sänger euer Bestes. Diesmal wird man in ganz Estartu zur Kenntnis nehmen, was der Gesang der ophalischen Chöre vermag!«

Große Worte, dachte Salaam Siin bei sich; er wusste genau, dass viele Singlehrer trotzdem bitter klagen würden. Später musste es zu Konkurrenzkämpfen kommen, wie sie Mardakaan in seiner viertausendjährigen Geschichte noch niemals gesehen hatte.

»Salaam Siin!«

Er schaute auf und bemerkte, dass Graucums Abbild längst verblasst war. Stattdessen hatten sich seine Schüler erhoben. Sie starrten ihn an, als sei nun der Weisheit letzter Schluss zu erwarten.

»Ich denke, dass es keinen Unterschied macht, wo das Spiel des Lebens stattfindet«, log Salaam Siin, ohne sich etwas anmerken zu lassen. »Wichtig ist nur, dass wir dabei den Ton angeben! Man wird überall verfolgen, was im Siomsystem geschieht – insofern hat Graucum vollkommen recht. Sorgen wir dafür, dass die Nambicu ara wada dafür die Voraussetzungen liefert!«

»Es könnte wieder Schwierigkeiten mit Kaleng Proo geben ...«

»Ganz sicher sogar«, antwortete er mit einem suggestiven Beruhigungsakkord. »Aber wir werden ihm standhalten wie immer! Zweifelt nicht daran!«

Insgeheim aber fürchtete er, es könnte diesmal anders sein.

Wie war er in diese Lage gekommen ...?

Bislang war es ein außergewöhnliches Leben gewesen. Im Alter von 1,5 Mardakaan-Jahren legte Salaam Siin auf seiner Heimatwelt Zatur die Prüfung vor dem Kollegium der Singschule ab. Dabei trug er den Gesang der Heraldischen Tore vor. Gleichwohl er insgeheim am Permanenten Konflikt zweifelte, bestand er mit Bravour und wurde als Schüler angenommen. Sein Freund Ondech hingegen fiel durch.

Mit dreieinhalb Mardkaanjahren wurde Salaam Siin nach Mardakaan gerufen, als jüngster Kolonialophaler aller Zeiten. Die renommierte Singschule Belku namtal nahm ihn auf. Ihr Name bedeutete »Ode an den Kampf«; dies machte deutlich, dass andere Ansprüche gestellt wurden als auf seinem Heimatplaneten. Auf Mardakaan, dem Zentrum der ophalischen Kultur, stand nicht die Kunstfertigkeit des Gesanges im Vordergrund, sondern die Wirkung, die hauptsächlich durch die psionische Komponente erzielt wurde. Und diese Wirkung sollte die Lehre vom Permanenten Konflikt verherrlichen. All dies erfüllte Salaam Siin mit Unbehagen.

Salaam Siins Zimmergenosse Kaleng Proo hingegen erwies sich als glühender Anhänger dieser Lehre, während Salaam Siin eine zunehmende Abscheu verspürte, die er indes so gut es ging verbarg. Salaam Siin hatte die bessere Stimme, Kaleng Proo war ihm an psionischer Kraft überlegen. Beide trugen so zum Erfolg der Singschule bei, wurden dabei aber zu Rivalen.

Ein Mardakaanjahr nach seiner Aufnahme entdeckte Salaam Siin seine Gabe, neue Chromatiken zu entwickeln – doch diese erwiesen sich als gefährlich Er kam zu der Überzeugung, einen der verbotenen Gesänge entdeckt zu haben, und gab diesem den Namen Nambaq siwa: »Gesang des Todes«.

Als der Singlehrer der Schule bei einem Unfall starb, sollte ein Wettstreit zwischen Salaam Siin und Kaleng Proo über dessen Nachfolge entscheiden. Salaam Siin, der den Permanenten Konflikt mehr denn je missbilligte, räumte freiwillig das Feld. Zwei Mardakaan-Jahre tingelte er durch Siom Som, perfektionierte seinen Gesang und verdiente seinen Lebensunterhalt als Troubadour und in Wahrheits-Chören für die Organe des Kriegerkultes. Von ihm empfohlene Talente wurden von den Singlehrern auf Mardakaan gern genommen.

Im Alter von sechseinhalb Mardakaan-Jahren führte ihn sein Weg nach Zaatur zurück, wo es beim Besuch eines Kodexwahrers zu einem schweren Unglück gekommen war. Der Gesang der Taten Ijarkors hatte die ungeübten Sänger des Planeten überfordert, die psionische Komponente war außer Kontrolle geraten, es war zu einem Amoklauf der Sänger und Zuhörer gekommen. Viele Ophaler waren gestorben, auch die Verwandten von Salaam Siin und Ondech.

Ondech begleitete Salaam Siin in den folgenden Wochen. Auf einem Hinterwäldlerplaneten störte ein kodextreuer Provokateur ihren Auftritt. Die Zuhörer stritten, es kam zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung. Salaam Siin musste den Nambaq siwa einsetzen. Viele Ophaler flohen, einige starben, darunter Ondech. Neben Salaam Siin überlebte nur ein humanoider Fremder, der sich als Alaska Saedelaere vorstellte. Die Geschehnisse verfolgten Salaam Siin bis in seine Träume, die von einer noch viel größeren Katastrophe in der Zukunft sprachen ...

Salaam Siin fasste Vertrauen zu Saedelaere und offenbarte ihm seine Einstellung zum Kriegerkult. Der Humanoide war für die Verhältnisse des Ophalers ungeheuer alt und erfahren. Es dauerte ein wenig, bis Salam Siin verstand, dass das nicht nur daran lag, dass er einen lebensverlängernden Zellaktivator besaß, sondern auch daran, dass er sein Alter in »Terrajahren« maß, von denen eines nur ein Elftel eines Mardakaan-Jahres betrug. Aber selbst umgerechnet war er noch alt.

Saedelaere brachte ihn zu einem Planeten namens Sabhal, und Salaam Siin trat als erster Ophaler den Gängern des Netzes bei. Er erhielt den Abdruck des Einverständnisses und erfuhr Grundlegendes über das Universum, den Moralischen Code und das Kosmonukleotid DORIFER. Alaska Saedelaere begleitete Salaam Siin bei seinen ersten Reisen durch das psionische Netz. Dann kümmerten sich die beiden um den Entwurf von Salaam Siins Netzgänger-Schiff. So entstand innerhalb von drei Wochen die HARMONIE, ohne DORIFER-Kapsel, dafür mit einem Gesangsdom, in dem er die psionische Komponente seines Gesangs weiterentwickeln konnte.

Salaam Siin parkte die HARMONIE in einer Sonnencorona und kehrte nach Mardakaan zurück, wo er eine eigene Singschule gründete. Fast 50 Ophaler folgten seinem Ruf und traten der Nambicu ara wada (»Wir singen für die Ehre«) bei. Kaleng Proo leitete nach wie vor die Belku namtal und wurde zu Salaam Siins erbittertem Gegner. Wiederholt torpedierte er den raschen Aufstieg des früheren Zimmergenossen – vergebens. Bereits innerhalb des ersten Jahres vermeldete die neue Schule großen Zulauf, wobei Siin mehr Wert auf die Qualität der Sänger legte denn auf ihre Anzahl.

Bei dem Sängerwettstreit vor dem nächsten Spiel des Lebens schlugen die Nambicu ara wada und Belku namtal alle anderen Singschulen aus dem Feld. Im Finale erklärte der Kodexwahrer Graucum die Nambicu ara wada zum Sieger: Salaam Siin und seine Schüler sollten im kommenden Spiel des Lebens »den Ton angeben«. Kaleng Proo schwor Vergeltung.

In den Folgemonaten erarbeitete Salaam Siin auf der HARMONIE neue Gesänge und Chromatiken. Er hörte von der Ankunft der Vironauten und davon, dass einige von ihnen Netzgänger wurden. Rund zehn Standardjahre später weihten die Netzgänger Salaam Sinn in einen Plan ein, bei dem er eine zentrale Rolle spielen sollte. Die Nambicu ara wada sollte den Sängerwettstreit gewinnen, und Salaam Siin sollte bis dahin den Nambaq siwa erforschen. Damit verbrachte er die nächsten zwei Standardjahre – und wartete auf das Signal.

Und nun war es da.

In den folgenden Wochen glätteten sich die Wogen des Unmuts. Man akzeptierte, dass das Spiel des Lebens ausnahmsweise nicht auf Mardakaan stattfand. Zu Salaam Siins Überraschung sahen viele ophalische Sänger nur auf die ungeheure Ehre, die damit verbunden war. Ronald Tekener und Roi Danton leisteten wirksame Öffentlichkeitsarbeit – allen Teilnehmern am bevorstehenden Spiel des Lebens wurde suggeriert, diese Lösung sei in Anbetracht der Umstände die beste.

Über einen Informationsknoten erfuhr Salaam Siin nähere Einzelheiten. Danton und Tekener waren ausschließlich im Sinne des Planes tätig. Sie würden für ihn und die 1.300.000 ophalischen Sänger, die im Spiel des Lebens den suggestiven Hintergrund bilden sollten, ideale Voraussetzungen schaffen.

Dann war es so weit: Die Vorausscheidungen begannen. Fast 500 Singschulen hatten sich angemeldet, aber nur eine Handvoll durfte sich Chancen auf den Sieg ausrechnen. Salaam Siins Nambicu ara wada und Kaleng Proo mit seiner Belku namtal gehörten wie immer in den letzten Jahren dazu.

Natürlich hätte Graucum, der Kodexwahrer von Mardakaan, den Sieger des Wettstreits per Dekret festlegen können. Doch in der Praxis hatte er dies seit langer Zeit nicht mehr getan. Der Konkurrenzkampf unter den Singschulen war so alt wie das Spiel des Lebens selbst, und jede Art von Konflikt war im Sinn der Estartischen Lehren zu fördern. Andernfalls hätte Salaam Siin sich keinerlei Chancen auf den Sieg ausgerechnet – galt doch die sängerische Nuance, die er aus dem Nambaq siwa entwickelt hatte, als überflüssiges Beiwerk. Nur in seiner eigenen Schule, wo viele Sänger aus den Provinzen des ophalischen Sternenreiches stammten, sah man dies anders. Hier wurde ein eher künstlerischer Ansatz nicht nur geduldet, sondern im Geheimen oftmals gefördert.

Der erste Gegner der Nambicu ara wada wurde durch das Los bestimmt. Es handelte sich um eine verhältnismäßig kleine Schule mit ungefähr 300 Sängern. Am Abend vor der Konfrontation rief Salaam Siin seine Schüler im größten Versammlungssaal zusammen, um ihnen ein letztes Mal die Bedeutung des diesjährigen Lebensspiels vor Augen zu führen.

»Ich freue mich, dass ihr alle gekommen seid!«, sang er ohne Unterstützung des Lautsprechersystems. Mühelos drang seine Stimme bis in die hintersten Winkel des Saals. »Ich kann nicht jeden von euch mitnehmen – das verhindern die Regeln –, aber jedes einzelne Mitglied dieser Schule trägt durch seine ständige Einsatzbereitschaft zum Erfolg der Nambicu ara wada bei. Ihr wisst, dass wir auch in diesem Jahr wieder beim Spiel des Lebens den Ton angeben wollen. Dreizehn mal hunderttausend Sänger werden es sein, und alle sollen nach den Vorgaben der Nambicu ara wada singen. Spätestens dann ist der Einsatz eines jeden von uns gefordert.

Also verfallt nicht dem Irrglauben, überflüssig zu sein. Und bleibt wachsam: Die Ehre des Siegers wird ungeheuer wachsen – wir sind nicht als Einzige darauf aus. Nehmt euch in Acht vor den Intrigen, die sich unsere Konkurrenten ausdenken. Diesmal wird es im Wettstreit der Sänger weder Pardon noch Fairness geben.«

Er machte eine kleine Pause und ließ den Blick seiner Sehorgane über die Anwesenden wandern. Ja, auf viele von ihnen war er mit Recht stolz, aber es konnte keinen Zweifel geben, dass Kaleng Proo und andere Singlehrer ihre Spione eingeschleust hatten.

»Wir sehen uns also morgen früh, wenn der eigentliche Wettbewerb beginnt«, wandte er sich ein letztes Mal fast ohne suggestiven Druck an seine Sänger. »Seid zur Stelle!«

Als es so weit war, fehlte von den knapp 4000 Sängern keiner. Zwar durfte Salaam Siin pro Runde nur 1000 Mitglieder seiner Schule einsetzen – aber die übrigen konnten von den Rängen aus das Geschehen verfolgen.

Der Schauplatz der ersten Vorausscheidung war ein runder Platz von ungefähr 200 Metern Durchmesser. Ringsum begrenzten voll besetzte Zuschauertribünen das Areal. Darunter waren nicht nur die 3000 Sänger, die nicht zum Einsatz kamen, sondern auch ein paar Anhänger der gegnerischen Schule. Mehr als 1000 Zuschauer gehörten darüber hinaus keiner Partei an; sie waren lediglich gekommen, um den haushohen Favoriten vor seiner ersten Hürde zu sehen.

Salaam Siin stellte beiläufig fest, dass der Kampfplatz von einem schallschluckenden, matt funkelnden Energiefeld umgeben war. So würde keine akustische oder psionische Störung von den Rängen bis nach unten dringen. Eine grellrote Linie teilte das Feld in zwei Hälften. Auf der einen Seite standen locker verteilt die gegnerischen Sänger, auf der anderen dicht gedrängt die Mitglieder der Nambicu ara wada. Je weiter der Wettstreit der Sänger seinem Großen Finale entgegenging, desto mehr Platz würde zur Verfügung gestellt.

In der ersten Runde von neun aber musste man sich räumlichen Beschränkungen anpassen. Salaam Siin war nicht sonderlich böse darum, half es doch mit, seinen Sängern die Schwierigkeit der Aufgabe vor Augen zu führen. Sie alle würden ständig die Koordination zwischen Akustik und Psionik im Auge haben müssen – oder ihr erster Gegner warf sie lange vor dem eigentlichen Finale aus dem Rennen.

Der Sieger wurde nach dem K.-o.-System ermittelt. An jeweils zwei aufeinanderfolgenden Tagen standen sich die Singschulen in der Arena gegenüber, und eine unabhängige Jury aus Meistersingern setzte anschließend den Gewinner fest. Dabei half eine ganze Batterie von Apparaturen: Geräte, deren Aufgabe die Messung psionischer Wirkungsquanten war, akustische Geräte, denen nicht die geringste Dissonanz entging, und dazu Hybridmechanismen, deren Wirkungsweise Salaam Siin unverständlich blieb.

Er wusste allerdings, dass die eigentliche Bewertung von der Jury vorgenommen wurde. Als er noch ein junger Sänger gewesen war, hatte er angenommen, dies müsse unweigerlich zu Fehleinschätzungen und Betrug führen. Aber das Gegenteil war der Fall; während der Ausscheidungswettkämpfe und schon Wochen vorher waren die Juroren die bestbezahlten und bestgeschützten Ophaler auf Mardakaan.

»Stellt euch auf!«, rief Salaam Siin, so laut er konnte. »Es wird bald losgehen!«

Er wusste, dass in der Mitte der Arena, direkt zwischen den Schulen, längst alle sieben Mitglieder der Jury zusammengekommen waren. Techniker hatten vor einer Stunde die Messgeräte auf einen Antigravschlitten geladen, letzte Funktionsprüfungen vorgenommen und sie in 30 Metern Höhe »geparkt«.

Salaam Siin sah, dass ein paar seiner Schüler vor lauter Aufregung ihre Plätze nicht fanden. Es war das Lampenfieber, dachte er. Schüler vor ihrem ersten Wettkampf reagierten immer so. Kein Grund zur Panik ...

»Schnell jetzt!«, rief er trotzdem.

Er fing einen warnenden Seitenblick vom Vorsitzenden der Jury auf. Die Mitglieder der kleineren Schule hatten schon vor einer halben Minute vollzählig ihre Plätze eingenommen – aber sie waren nur 300, die Mitglieder der Nambicu ara wada dagegen 1000 auf engem Raum.

Endlich standen alle Sänger, wo sie stehen sollten.

Salaam Siin signalisierte der Jury Bereitschaft. Die Auslosung konnte beginnen. Etwas ruhiger trat er vor, ließ noch einen letzten Blick über die eigenen Sänger streifen und nahm seinen vorgeschriebenen Platz direkt gegenüber dem gegnerischen Singlehrer ein.

Es war ein riesengroßer, fast ganz in dunkles Rot gekleideter Ophaler, den Salaam nicht kannte. Er wusste nur, dass der andere einen unbedeutenden Satzgesang erstmals zur Aufführung gebracht hatte. Daraufhin war er zum Leiter einer eigenen Singschule aufgestiegen, und wie gewöhnlich hatte er um sich eine kleine, treu ergebene Anhängerschaft gesammelt. Zum Sieg würde es trotzdem nicht reichen. Dessen war Salaam Siin fast sicher. Zu beschränkt würde das Repertoire des anderen zwangsläufig ausfallen, zu wenig ausgereift die Koordinationsfähigkeit seiner Schüler.

»Wenn einer von euch Klagen vorzubringen hat«, sang der Vorsitzende der Jury mit entschiedenem Unterton, »so möge er dies tun. Ansonsten beginnt nach der Losung der Wettkampf.«

Sowohl Salaam Siin als auch der gegnerische Singlehrer machten Gesten der Verneinung.

Der Vorsitzende nahm eine altertümliche Münze, wie sie vielleicht vor Jahrtausenden einmal im täglichen Gebrauch gewesen war, und ordnete den beiden Kontrahenten je eine Seite zu. Anschließend warf er die Münze hoch in die Luft. Mit sacht klimperndem Geräusch schlug sie auf den Betonuntergrund, drehte ein paar Kreise und lag schließlich still.

»Du hast die erste Wahl, Salaam Siin. Wer beginnt?«

Salaam Siin musste nicht lange überlegen. Gerade in der ersten Runde war es für seine Schule von Vorteil, wenn sie endlich den ersten Gesang hinter sich bringen konnte. Ansonsten würde der psychologische Druck wachsen und wachsen. Fehler würden sich einschleichen – vermeidbare Fehler zumeist, denn für den Anfang hatte er ein Programm gewählt, das keinen seiner Sänger überfordern durfte.

»Die Nambicu ara wada beginnt!«, entschied er deshalb.

»Begebt euch zurück auf eure Plätze, wir wollen keine Zeit verlieren.« Der Vorsitzende zog sich zu den sechs übrigen Mitgliedern der Jury zurück. Sie nahmen innerhalb eines gekennzeichneten, engen Rechtecks Aufstellung und aktivierten die Messgeräte.

Salaam Siin holte tief Luft. Probeweise blies er einen leisen Akkord durch den Membrankranz – alles war in Ordnung. Allmählich ließ er den Akkord zu einem lauten, vernehmlichen Ton anschwellen, reicherte ihn mit ungerichtetem suggestivem Druck an und gab so seinen Sängern den Einsatz.

Lauter, dachte er, lauter! Aber er konnte nichts mehr tun. Es blieb nur noch die Gewissheit, dass sie eine optimale Vorbereitung hinter sich gebracht hatten. Nach einem kaum merklichen Augenblick der Unsicherheit erklangen feste, hervorragend abgestimmte Tonfolgen, doch Salaam Siin war außerstande, auch den letzten Rest von Unsicherheit abzustreifen. Weshalb hätte etwas schiefgehen sollen? Es hatte jedes Mal geklappt bisher, aus welchem Grund also heute nicht? Er wusste, dass es für seine Befürchtungen keinen rationalen Grund gab.

Trotzdem blieb eine ungute Ahnung zurück ...

Unwillig schüttelte er den Kopf und konzentrierte sich darauf, den noch ungerichteten Gesang seiner Schule langsam in die gewünschte Richtung zu lenken. Hin und wieder gab er mit zwei Tentakelarmen Einsatzzeichen. Dann setzten jeweils neue Sängergruppen ein, um den akustischen und psionischen Klangteppich um eine neue Nuance zu bereichern. Das Ziel bestand darin, einer imaginären Gruppe von Fremden jeglichen eigenen Willen zu nehmen. Im Ernstfall, wie beispielsweise im Spiel des Lebens, konnte die künstliche Leere anschließend beliebig aufgefüllt werden. So entstanden die Illusionswelten, wofür andere Ophaler Kulissen lieferten. Aber diesmal waren keine Planformarchitekten anwesend. Es ging lediglich darum, Potenziale zu demonstrieren.

Lauter, dachte Salaam Siin erneut, sie müssen lauter singen! Passgenau kam der erwünschte Effekt. Alle Sänger nahmen seinen Gedanken auf und erhöhten sowohl die akustische als auch die psionische Intensität ihres Vortrags. Ein letztes Mal nahm jene Wirksamkeit des Gesangs zu, auf welche die Mitglieder der Jury zu achten hatten. Salaam Siin sah aus den Augenwinkeln, dass die Anzeigen der Messgeräte kaum Aufmerksamkeit fanden. Und das war gut so – seiner Meinung nach hatte sich das ophalische Gehör schon oft technischen Vorrichtungen überlegen gezeigt.

Mit einem letzten Ton verstummte der Gesang der Nambicu ara wada.

Salaam Siin schaute zufrieden die Jury an, musterte mit einem kurzen Rundblick seine Sänger, die frisch und ausgeruht wirkten – und wandte sich anschließend dem Gegner zu.

»Nun seid ihr an der Reihe!«, rief er triumphierend.

Er war sicher, dass der Vortrag der Nambicu ara wada zum Sieg reichen würde.

Gegen Abend stellte sich heraus, dass er richtiglag. Die Jury hielt einstimmig Salaam Siins Schule für den Sieger, und als letzte Bestätigung fehlte nur noch die Auswertung der Messergebnisse.

»Salaam Siin!«, rief einer seiner jüngsten Sänger aufgeregt. »Es ist so weit! Sie kommen!«

Alle Mitglieder beider Schulen versammelten sich zur offiziellen Bestätigung auf dem Wettkampfareal. Salaam Siin spürte fast körperlich die Spannung, die augenblicklich einen Großteil der anwesenden Ophaler schweigen ließ. Eigentlich war dies unerklärlich – stand das Ergebnis doch beinahe fest ... Aber es hatte schon die sonderbarsten Überraschungen gegeben. Eine andere Hoffnung blieb den Mitgliedern der gegnerischen Schule nicht, und Salaam Siins Sänger hielten aus dem gleichen an sich irrationalen Grund den Atem an.

Der Vorsitzende der Jury beschritt eine Gasse, die sich anstandslos vor ihm im Gedränge auftat. Als er den Mittelpunkt der Arena erreicht hatte, blieb er stehen und sang aus vollem Hals: »Zum Sieger dieser Ausscheidungsrunde erklären wir, die unabhängige Jury, im Einvernehmen mit den Estartischen Lehren und nach bestem Wissen, die Nambicu ara wada! Hiermit ist die Entscheidung offiziell und unumstößlich.«

Salaam Siin atmete auf. Unter seinen Sängern brach verhaltener Jubel aus; sie alle wussten, dass die nächste Runde bald bevorstand. Vielleicht würde der nächste Gegner ihnen mehr abverlangen.

Ohne weitere Zwischenfälle traten sie den Rückflug zu ihren Quartieren an. Zwei Tage Pause war das Mindeste, was ihnen die Wettkampfleitung zugestehen musste. Sie würden die Zeit nutzen, und Salaam Siin legte sich im Geist bereits Details zurecht, woran er noch feilen wollte. Nach diesem ersten Sieg würde sich die Aufnahmebereitschaft seiner Sänger erhöhen – so zumindest hatte es die Erfahrung gezeigt. Die größte Anspannung war einer lockeren Erwartungshaltung gewichen. Sie kannten ihren Wert genau, denn viele Schüler der Nambicu ara wada hatten bereits das Große Finale vom letzten Mal miterlebt.

»Schlaft euch gut aus!«, empfahl Salaam Siin allen Sängern. »Morgen ist ein neuer Tag; dann braucht ihr jedes bisschen Konzentration, das ihr habt.«

Tatsächlich bekamen sie in den beiden folgenden Tagen mehr zustande als in zwei Wochen vorher. Der nächste Gegner wurde ausgelost – und geschlagen. Salaam Siin wunderte sich, wie problemlos alles lief. Trotzdem konnte er sich des unguten Gefühls nicht erwehren, das ihn hin und wieder beschlich und warnen wollte. Fühle dich nicht zu sicher, schien es sagen zu wollen, bleib auf der Hut!

Aber nichts geschah. Nach drei Wochen waren nur mehr 16 Schulen übrig geblieben, und den Regeln entsprechend wurde der Wettkampfmodus verändert. Es galt, außer einer Demonstration des suggestiven Wirkungsgrades zusätzlich inhaltlich gebundene Gesänge aufzuführen. Daher wurde an zwei aufeinanderfolgenden Tagen gesungen. Dem zweiten Prüfungsgebiet waren enge Grenzen gesteckt: Man konnte die Taten der Ewigen Krieger verherrlichen, die Wunder ESTARTUS oder die Lehre vom Permanenten Konflikt. Als spezielle Einzelthemen waren auch Ehre, Kampf und Gehorsam möglich, doch alles, was darüber hinausging, würde eine sofortige Disqualifikation zur Folge haben.

Manchmal wünschte sich Salaam Siin während dieser Tage in seine Zeit als sternenwandernder Troubadour zurück. Er würde nach Talenten Ausschau halten und am Abend das Geld für die nächste Passage verdienen – aber all dies waren Träumereien. Als einzige echte Entspannung blieben ihm die Sprünge durch das psionische Netz, die er regelmäßig unternahm. Fast immer suchte er dann die HARMONIE auf; nach wie vor war das Netzgänger-Schiff in der Korona einer Nachbarsonne geparkt, ohne dass er es einmal hätte bewegen müssen. Vielleicht kam es dazu auch gar nicht, denn der Plan, an dem er seit dem letzten Aufenthalt auf Sabhal arbeitete, beruhte auf Intelligenz und List, nicht auf überlegener Technik.