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Das zweite Imperium erstreckt sich über Zehntausende von Planeten in der "Eastside" der Milchstraße, und seine Herren, die sogenannten Blues, wachen eifersüchtig über ihren Herrschaftsbereich. Als die Terraner immer öfter in diese Region vorstoßen, kommt es zum lange befürchteten Konflikt: Die Flotten der Imperien stoßen in gnadenlosen Raumschlachten aufeinander. Die Raumschiffe der Blues sind durch das geheimnisvolle Molkex gepanzert und aus diesem Grund nicht zu überwinden. Perry Rhodan weiß, dass die Menschen diesen Konflikt nur gewinnen können, wenn sie ein Mittel gegen das Molkex finden. Dieses Mittel kann aber nur auf Gatas gefunden werden, der Zentralwelt der Blues. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt: Während terranische Wissenschaftler fieberhaft forschen, gehen Spezialisten der USO in einen riskanten Einsatz. Mit dabei sind der kleinwüchsige Siganese Lemy Danger und der riesenhafte Ertruser Melbar Kasom, das härteste Team, das die Menschheit des 24. Jahrhunderts besitzt ...
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Seitenzahl: 587
Veröffentlichungsjahr: 2011
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Nr. 20
Kampf gegen die Blues
Das zweite Imperium erstreckt sich über Zehntausende von Planeten in der »Eastside« der Milchstraße, und seine Herren, die so genannten Blues, wachen eifersüchtig über ihren Herrschaftsbereich. Als die Terraner immer öfter in diese Region vorstoßen, kommt es zum lange befürchteten Konflikt: Die Flotten der Imperien stoßen in gnadenlosen Raumschlachten aufeinander.
Die Raumschiffe der Blues sind durch das geheimnisvolle Molkex gepanzert und aus diesem Grund nicht zu überwinden. Perry Rhodan weiß, dass die Menschen diesen Konflikt nur gewinnen können, wenn sie ein Mittel gegen das Molkex finden. Dieses Mittel kann aber nur auf Gatas gefunden werden, der Zentralwelt der Blues.
Als ich mit meinem Kollegen Peter Terrid das zweibändige PERRY-RHODAN-Lexikon erarbeitete, kam es zur ersten tieferen Auseinandersetzung mit dem Thema Molkex, das für das hier vorliegende Buch von entscheidender Bedeutung ist. Nach einem halben Dutzend dicht beschriebener großer Karteikarten, etlichen Ergänzungen, Streichungen, Einschüben und Querverweisen glaubte ich zu verstehen, weshalb das Molkex im ersten PR-Lexikon derart stiefmütterlich behandelt worden war. Nun, nach Abschluss der Arbeiten an diesem Buch, weiß ich es. Man hätte diesen zwanzigsten Hardcover-Band ohne weiteres auch »Molkex« nennen können.
Es gab bisher kein PERRY-RHODAN-Buch, in dem so viele Widersprüche aufzulösen gewesen wären wie in diesem. Das soll nicht heißen, dass die aufgenommenen Einzelromane nicht jeder für sich spannend und faszinierend waren. Das Problem lag wohl darin, dass die damalige Exposéredaktion, berauscht von einer elektrisierenden Idee, ein immer weiter wachsendes Gerüst schuf, das am Ende zu kompliziert wurde, um in allen Romanen unter konsequenter Beachtung des roten Fadens und aller Daten mit Leben gefüllt werden zu können.
Dass aus dem in sich so widersprüchlichen Thema Molkex und Zweites Imperium ein geschlossenes Ganzes werden konnte, ist nicht zuletzt das Verdienst von Franz Dolenc, der – wie bei allen vorangegangenen Büchern – in gründlicher Vorarbeit in den Heften steckende Fehler aufzeigte und Vorschläge für Korrekturmöglichkeiten und, wo erforderlich, Ersatzhandlungen machte.
Die in dieses Buch aufgenommenen Originalromane sind, in der Reihenfolge des ehemaligen Erscheinens und unberücksichtigt der vorgenommenen Kürzungen und Bearbeitungen: Die Eisfalle von William Voltz; Die kleinen Männer von Siga von K. H. Scheer; Unternehmen Nautilus von K. H. Scheer; Die Panzerbrecher von William Voltz; Wettlauf gegen die Zeit von Kurt Brand; In letzter Minute von Kurt Brand und Der Untergang des Zweiten Imperiums von Clark Darlton.
Es versteht sich von selbst, dass auch unter neuer Redaktion die bewährte Praxis fortgesetzt wird, trotz aller nötigen Korrekturen möglichst viel von der Originalität der Heftromane zu erhalten. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Mit dem nächsten Band der Buchreihe steigen wir übrigens – soviel soll hier bereits verraten werden – voll in den MdI-Zyklus ein, der für die gesamte Serie neue Maßstäbe setzte.
Herzlich bedanken möchte ich mich noch – außer bei Franz Dolenc – bei allen Lesern, die es mir mit ihren Vorschlägen und Zusprüchen erleichtert haben, die schwere Aufgabe in Angriff zu nehmen, die PERRY-RHODAN-Buchreihe nach dem Tod von Willi Voltz fortzuführen.
1971 – Die STARDUST erreicht den Mond, und Perry Rhodan entdeckt den gestrandeten Forschungskreuzer der Arkoniden.
1972 – Aufbau der Dritten Macht und Einigung der Menschheit.
1976 – Perry Rhodan löst das galaktische Rätsel und entdeckt den Planeten Wanderer, wo seine Freunde und er von dem Geisteswesen ES die relative Unsterblichkeit erhalten.
1984 – Der Robotregent von Arkon versucht die Menschheit zu unterwerfen.
2040 – Das Solare Imperium ist entstanden. Der Arkonide Atlan taucht aus seiner Unterwasserkuppel im Atlantik auf. Die Druuf dringen aus ihrer Zeitebene in unser Universum vor.
2044 – Die Terraner verhelfen Atlan zu seinem Erbe.
2102 – Perry Rhodan entdeckt das Blaue System der Akonen.
2103 – Perry Rhodan erhält den Zellaktivator von ES.
2104 – Der Planet Mechanica wird entdeckt. Vernichtung des Robotregenten von Arkon.
2114 – Entdeckung der Hundertsonnenwelt und Bündnis mit den Posbirobotern.
2326 – ES flieht vor einer unbekannten Gefahr und lässt 25 Zellaktivatoren zurück. Die Hornschrecken verwüsten viele Welten und hinterlassen Schreckwürmer und die geheimnisvolle Molkexsubstanz. Die Spuren führen zu einem 2. Imperium.
2327
Im Dezember des Jahres 2326 gelang es den Terranern, den ersten Kontakt mit einem Schreckwurm herzustellen. Der junge Physiker und Astronom Tyll Leyden war es, der schließlich herausfand, dass die bislang für Monstren gehaltenen Riesen indirekt von jenem sternenfressenden Urgebilde abstammten, das vor rund 1,2 Millionen Jahren die Milchstraße bedrohte. Den inzwischen verschollenen Oldtimern gelang es damals, die Gefahr abzuwenden und das Suprahet zu bändigen. Dabei wurde sein größter Teil manifest und bildete später den Mittelpunkt des Sonnensystems EX-2115-485 (Herkules). Ein kleinerer Teil verschwand in den Tiefen der Galaxis.
Aus ihm wurde nach der Umwandlung in reines Molkex der Planet Tombstone, dessen gesamte Masse ursprünglich aus dem neuen Stoff bestand. Im Lauf der Jahrhunderttausende ging mit dem Molkex eine biologische Veränderung vor sich, die schließlich zur Geburt des ersten Schreckwurms führte, aus dessen Eiern wiederum die allerersten Hornschrecken schlüpften. In den nachfolgenden Jahrtausenden verlor Tombstone durch die immer wiederkehrende Hornschreckeninvasion nahezu neunzig Prozent seiner ursprünglichen Masse.
Dann aber, vor etwa dreitausend Jahren, entdeckte den Planeten jenes raumfahrende Volk, von dessen Imperium in der galaktischen Eastside bis zum Jahr 2326 niemand in der bekannten Milchstraße etwas ahnte. Diese ungeheuer fruchtbaren Wesen, aufgrund ihrer Hautfarbe Blues genannt, fanden die besonderen Eigenschaften des Molkex heraus und schlossen mit den Schreckwürmern einen Vertrag, der vorsah, die vor der Eiablage stehenden Schreckwürmer auf unbewohnte Planeten zu bringen. Als Gegenleistung erhielten die Blues einen Teil des dort anfallenden Molkex, wobei ihnen die Intelligenz der Schreckwürmer jedoch verborgen blieb.
Die Gataser, das vorherrschende Bluesvolk, erlangten rasch das Monopol über die Handhabung des kostbaren Stoffes, und ihre Diskusschiffe sind es, die im Jahr 2327 die Grenzen des Vereinten Imperiums bedrohen. Mit ihren unzerstörbaren Molkexpanzern stellen ihre Flotten Perry Rhodan und alle anderen Verantwortlichen vor schier unlösbare Probleme.
Ein galaktischer Krieg erscheint unvermeidbar. Um nicht von den Blues in ihrem ungeheuerlichen Expansionsdrang regelrecht überrannt zu werden, muss das Vereinte Imperium alles daransetzen, hinter das Geheimnis der Molkexpanzer zu kommen.
Juni 2327
Unter halbgeöffneten Augen verfolgte Sergeant Wallaby die Bemühungen des jungen Mannes, den schweren und übergroßen Koffer den Landesteg hinaufzutragen.
Wallaby war ein breitschultriger Mann, mit kantigem Gesicht und an den Schläfen ergrauten Haaren.
Er hielt sich für feinfühlig, für intelligent, zurückhaltend, gebildet und erfahren.
Er war nichts von alledem.
Seine einzige Fähigkeit bestand darin, die Beladung eines Schiffes zu kontrollieren, fehlende Teile schnell zu organisieren und Untergebene mit lautstarkem Gebrüll einzuschüchtern.
Als der junge Mann mit dem Koffer ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, schob Wallaby die Dienstmütze in den Nacken und stemmte beide Arme in die Hüften.
Der junge Mann lächelte erwartungsvoll zu ihm empor, voller Hoffnung, dass Wallaby herunterkommen und ihm helfen würde. Er hatte ein rundes, offenes Gesicht, mit dunkelblauen Augen und einem ausgeprägten Grübchen im Kinn. Er war nicht sehr groß, aber schlank, und hatte außergewöhnlich lange Arme. Bekleidet war er mit einer einfachen Kombination, so dass Wallaby nicht ahnen konnte, dass er Leutnant war.
Wallabys Augen richteten sich durchdringend auf den Kofferträger, während seine Vermutung, einen einfältigen Kadetten vor sich zu haben, durch das seltsame Verhalten des jungen Mannes bestätigt wurde. Der Sergeant fühlte Verachtung in sich aufsteigen. Was wollte dieser Knabe bei einem Einsatz wie diesem?
Doch darüber, erkannte Wallaby, hatte er nicht zu entscheiden.
Das einzige, was unter seine Befehlsgewalt fiel, war dieser monströse Koffer aus gelbem Leder, der gegen die Verordnung verstieß, nach der Besatzungsmitglieder nur kleines Gepäck mit an Bord bringen durften.
»He!«, schrie Wallaby. Er wippte auf den Fußspitzen, weil er herausgefunden hatte, dass ihm solche Bewegungen ein großes Maß an Autorität verliehen.
Der junge Mann hingegen schien in keiner Weise beeindruckt.
Er stellte den Koffer ab und winkte Wallaby zu.
»Wollen Sie mir nicht helfen, dieses Ding zu transportieren?«, erkundigte er sich freundlich.
Wallaby errötete bis hinter die Ohren. Hastig blickte er sich um, ob auch kein Mitglied der Besatzung diese öffentliche Demütigung gehört hatte. Dann richtete sich sein Zorn mit voller Energie gegen den jungen Fremden.
»Sie haben wohl Klapperschlangenmilch gefrühstückt?«, brüllte er los. »Wenn Sie schon mit zuviel Gepäck erscheinen, dann legen Sie wenigstens Ihr flegelhaftes Benehmen gegenüber einem Vorgesetzten ab.«
Der Ankömmling lächelte nachsichtig. Seine Blicke glitten suchend über den Landesteg.
»Welchen Vorgesetzten meinen Sie, Sarge?«, fragte er.
»Dafür wird man Sie einlochen«, versicherte Wallaby mit giftiger Stimme. »Auch als Kadett dürfen Sie nicht so naiv sein, die Rangabzeichen nicht zu kennen.«
»Sarge«, sagte der junge Mann gedehnt. »Stehen Sie stramm!«
Wallabys Augen weiteten sich bestürzt, als der vermeintliche Kadett in die Brusttasche griff und das Rangabzeichen eines Leutnants an die Kombination heftete.
»Ich ... äh ... ich konnte nicht wissen, Sir«, begann er.
»Mein Name ist Kilmacthomas«, sagte der junge Mann. »Don Kilmacthomas.«
Aus Wallabys Mund kam ein leises Stöhnen. Da war er also, dieser Kilmacthomas, den alle Offiziere an Bord der TRISTAN mit Spannung erwarteten.
Natürlich war der Bursche Leutnant, aber er war ein Planetenkriecher, noch nie hatte sein Fuß eine fremde Welt betreten. Für Wallaby war es rätselhaft, wie ein solcher Mann überhaupt Offizier werden konnte.
Wie hieß es doch gleich in dem Bericht über Kilmacthomas, den Wallaby heimlich in der Zentrale gelesen hatte?
»Er, der Leutnant, hat eine vollständige Ausbildung über das Verhalten auf Eisplaneten oberhalb und innerhalb des Eises mit großem Erfolg beendet. Als Berater kann er bei diesem Einsatz von großem Nutzen sein.«
Wallaby knurrte spöttisch. Wie konnte ein Mann, der die Erde niemals verlassen hatte, etwas von Eiswelten verstehen? Kilmacthomas war einer dieser typischen Theoretiker, wie sie die Akademie immer wieder hervorbringen würde.
Wallaby nahm Haltung an.
»Ich bitte Herrn Leutnant in aller Form um Entschuldigung«, sagte er mit wiedergewonnener Fassung. »Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die Beschränkung des Gepäcks auch für die Offiziere gilt.«
Kilmacthomas entblößte eine Reihe unregelmäßiger Zähne, als er den Sergeanten anlachte.
Er ist ja noch ein Junge, dachte Wallaby grimmig.
»Dieser Koffer enthält private Geräte«, sagte der Leutnant. »Ich habe eine Genehmigung, sie an Bord der TRISTAN bringen zu dürfen, da sie zu meiner Ausrüstung gehören. Ohne diese Spezialausrüstung kann ich nicht arbeiten.«
Im stillen dachte Wallaby sehr verächtlich von Spezialisten, die ihre Ausrüstung in einem Koffer mit sich herumschleppten.
»Warum haben Sie Ihre Ausrüstung nicht verladen, Sir, wie die anderen Spezialisten?«
Kilmacthomas hockte sich auf den Kofferrand.
»Diese Geräte sind sehr empfindlich. Ich will sie keiner Verladeautomatik anvertrauen. Seien Sie vorsichtig, wenn Sie den Koffer jetzt in meine Kabine bringen.«
»Gewiss, Sir«, sagte Wallaby mürrisch.
Betont langsam schritt er den Laufsteg hinunter. Er würde diesem grünen Burschen einmal zeigen, wie solches Gepäck getragen wurde.
Kilmacthomas stand auf, als Wallaby neben ihm ankam. Lächelnd sah er zu, wie Wallaby nach dem Koffer griff. Der Sergeant sah ein kitschig-buntes Etikett, das Kilmacthomas auf das Leder geklebt hatte.
Außerdem war ein Warnschild darangeheftet, das jeden anhielt, vorsichtig mit dieser Last umzugehen.
Wallabys knochige Finger umschlossen den Griff des Koffers.
Entschlossen hob er an. Es kostete ihn alle Kraft, das Gepäck des Leutnants überhaupt hochzuheben. Stöhnend stellte er wieder ab.
»Was ist da drin, Sir, etwa Erzproben?«, fragte er.
»Soll ich helfen?«, erkundigte sich Kilmacthomas sarkastisch.
»Ich habe schon ganz andere Sachen getragen«, versicherte Wallaby und nahm den Koffer wieder auf. Ächzend und schwankend ging er voraus, während Kilmacthomas gemächlich folgte. Ab und zu gab er dem Sergeanten einen wohlgemeinten Rat.
So kam Don Kilmacthomas, der Theoretiker, an Bord der TRISTAN.
Die Kugel aus Terkonitstahl, die den zweiten Planeten der Sonne Lysso umkreiste, trug den Namen Eastside-Station Nummer 1, kurz ESS-1 genannt. Im Augenblick war sie 58.111 Lichtjahre vom System Sol entfernt.
Aber diese Entfernung interessierte die Männer an Bord weniger. Ein anderes, viel näher gelegenes Sonnensystem nahm ihre Aufmerksamkeit voll in Anspruch.
ESS-1 war nur 9842 Lichtjahre von der Sonne Verth entfernt.
Das Verth-System jedoch war die Heimat der Blues.
Oberst Joe Nomers, Kommandant der ESS-1, verließ seine Kabine eine gute Stunde bevor man die der TRISTAN erwartete.
Nomers war schon über fünfzig Jahre alt, ein untersetzter muskulöser Mann mit völligem Kahlkopf und dünnen, stets blau angelaufenen Lippen. Der Oberst wirkte unauffällig, ein Eindruck, der durch seine Schweigsamkeit nur unterstrichen wurde.
Nomers ging ohne Hast in Richtung des Kontrollraumes. Mit leichtem Unbehagen dachte er daran, dass man die 800 Meter durchmessende ESS-1 von allen überflüssigen Maschinenanlagen befreit hatte. Auch schwere Waffen befanden sich nicht an Bord.
Der riesige Ferntransmitter akonischer Bauart, den man in der Station untergebracht hatte, verschlang allen Platz. So war die ESS-1 eher eine im Raum schwebende Transmitterstation als ein Raumschiff. Da Nomers Raumschiffskommandant war, fühlte er, wie jeder Raumfahrer, eine heftige Abneigung gegen alle Schiffe mit unvollständiger Ausrüstung.
Der Planet, den die ESS-1 umkreiste, trug den Eigennamen Griez. Er war eine Eiswelt von überdurchschnittlicher Größe, ohne Spuren von Leben und Zivilisation.
Die kleine rote Sonne reichte nicht aus, um die beiden Planeten dieses Systems so zu erwärmen, dass sich die zu Eis erstarrten Oberflächen verändert hätten.
Vielleicht, überlegte Nomers, waren irgendwo dort unter dem Eis die Spuren längst vergangener Zivilisationen, Spuren, die von intelligenten Bewohnern berichteten. Gleich den Menschen mochten sie gehofft, geliebt und gelitten haben, bis die erbarmungslose Natur einen Schlussstrich unter ihre Entwicklung gesetzt hatte.
Nomers betrat die Zentrale der ESS-1. Im gleichen Augenblick fühlte er, wie die Spannung der Besatzung auf ihn übergriff. Es war, als übertrete er eine Schwelle zwischen zwei Räumen mit völlig verschiedenen Atmosphären. Die langjährige Erfahrung hatte in Nomers ein eigenartiges Gefühl für Veränderungen im menschlichen Verhalten geschaffen. Aus den kleinsten Reaktionen eines Mannes vermochte er dessen augenblickliche Verfassung zu erkennen.
Vielleicht kam seine Schweigsamkeit daher, dass er fürchtete, seiner Umwelt ähnliche Hinweise zu liefern; dass er es vermeiden wollte, durchschaut und erkannt zu werden.
Nomers blickte zum Panoramabildschirm. Die ESS-1 flog im Augenblick über der Tagseite des Planeten Griez, so dass ein ziemlich deutliches Bild der Oberfläche übertragen werden konnte.
Der Oberst sah sich schweigend um.
Seine Blicke wanderten über jeden einzelnen Mann. Vor ihm, im Sessel, saß Leutnant Nashville, ein junger temperamentvoller Offizier, das genaue Gegenteil zu Nomers.
»Sie können jetzt frühstücken, Leutnant«, sagte Nomers leise und klopfte Nashville auf die Schulter.
»Danke, Sir«, sagte Nashville. Für sein Alter war er zu dick, sein aufgeschwemmtes Gesicht wurde von einer großporigen Nase verunziert, auf der Schweißtröpfchen glänzten. Erstaunlicherweise wirkte Nashville trotz seiner Fülle unglaublich beweglich.
Er erhob sich und machte dem Oberst den Sessel frei. Für ihn stand fest, dass Nomers während der Kontaktaufnahme mit der TRISTAN die Station persönlich leiten wollte.
Da er genau wusste, dass Nomers kein weiteres Wort verlieren würde, verschwand er mit kurzem Kopfnicken aus der Zentrale. Nomers ließ sich im Sessel nieder, der sich sofort seinem Körper anpasste. Da er wusste, dass kein Besatzungsmitglied in unmittelbarer Nähe war, gestattete er sich einen tiefen Seufzer.
Nach seinen Begriffen war die ESS-1 Teil eines Himmelfahrtskommandos.
Zwar hatte sie den Vorteil, nicht unmittelbar in das Geschehen eingreifen zu müssen, aber das konnte einen strategisch denkenden Mann wie Nomers nicht beruhigen.
Der Oberst sah den Plan in seiner Gesamtheit. Der schwache Punkt daran war die TRISTAN. Nicht etwa, dass dieses Schiff schlecht und unmodern oder seine Besatzung gewesen wäre, aber die Aufgabe, die man ihm zugedacht hatte, erschien Nomers einfach undurchführbar.
Die TRISTAN sollte, das sah der Plan vor, in das Herz des zweiten Imperiums vorstoßen – nach Verth!
Nomers dachte daran, wie gering die Chance war, dass ein fremdes Schiff in das Solsystem eindringen und auf Pluto landen konnte. Es war praktisch unmöglich.
Und doch sollte die TRISTAN das Unmögliche schaffen.
Perry Rhodan, der den Plan ausgearbeitet hatte, war bereit, für das Gelingen einige hundert Robotschiffe während eines Ablenkungsmanövers zu verlieren.
Ein hoher Preis, dachte Oberst Joe Nomers, um nichts weiter zu erreichen, als ein Raumschiff direkt in die Höhle des Löwen zu bringen.
Vor drei Monaten hatten schnelle Erkundungskreuzer damit begonnen, die galaktische Position der blauen Riesensonne Verth koordinatenmäßig zu bestimmen. Die Daten, die den Männern dabei zur Verfügung gestanden hatten, waren alles andere als ausführlich. Zwar war es inzwischen gelungen, das auf Apas erbeutete Wissen vollständig auszuwerten und so eine Menge über die Lebensgewohnheiten der Blues und ihre Heimatwelt Gatas zu erfahren, aber die Informationen über die galaktische Position dieser Welt waren zum Teil sehr dürftig. Die exakte Standortbestimmung der Sonne Verth hatte nur durch unzählige Aufklärungsflüge erfolgen können.
Vor allem über die Art der Molkexverarbeitung war, wie erwartet, nichts in Erfahrung gebracht worden. Wollte man diesem Geheimnis auf die Spur kommen, musste man direkt auf Gatas ansetzen, denn nur dort konnte man sich Zugang zu den wichtigsten Informationen erhoffen.
Doch inzwischen hatte man nicht nur herausgefunden, wo das Heimatsystem der Gataser zu finden war. Man wusste, dass die Sonne Verth 14 Planeten besaß, wovon die fünfte Welt, Gatas, gleichzeitig der Ursprungsplanet der Blues war. Der Durchmesser von Gatas betrug 14.221 Kilometer. Bei einer Bevölkerungsdichte von ungefähr 14 Milliarden Blues befand sich diese Welt im Zustand hoffnungsloser Übervölkerung.
Hier zeigte sich besonders deutlich, dass der ungeheure Expansionsdrang dieser Wesen vor allem auf ihrer Fruchtbarkeit beruhte. Man wusste auch, dass die Blues aus unbekannten Gründen großen Wert auf die Sicherheit ihrer Neugeborenen legten und sie vor allen Gefahren schützten.
Längst hatte Perry Rhodan erfahren, dass die Herstellung friedlicher Kontakte zu den Blues schwierig war. Die Fremden schienen jeden zu hassen, der nicht ihrer Rasse angehörte.
Nur wer selbst ein Blue ist, kann mit Blues verhandeln!
Diese lapidare Feststellung hatte Rhodan bewogen, neue Wege zu suchen, um mehr über den Gegner zu erfahren.
In den ersten Junitagen des Jahres 2327 hielt sich der Großadministrator an Bord des Flottenflaggschiffes ERIC MANOLI auf. Zusammen mit weiteren dreitausend Schiffen, zum Großteil arkonidische Roboteinheiten, befand sich die ERIC MANOLI auf dem Flug in ein der Sonne Verth benachbartes System.
Kommandant Kors Dantur, Epsalgeborener, einer der besten Piloten der Flotte, fragte sich seit einigen Stunden, warum Perry Rhodan so schweigsam geworden war. In Gedanken versunken saß der Großadministrator in der Zentrale.
Außer Rhodan hielten sich noch Reginald Bull und Regat Waynt, ein akonischer Spezialist, im Kommandoraum auf. Hinzu kam natürlich die übliche Besatzung.
Von Regat Waynt, das hatte Dantur längst herausgefunden, konnten keine Impulse kommen, die Rhodan aus den Grübeleien in die Wirklichkeit zurückholen würden. Waynt war ein schweigsamer, schlanker, hohlwangiger Mann mit stechendem Blick und einem zynischen Ausdruck um die Lippen.
Nur Reginald Bull schien unter der Stille ebenso zu leiden wie Dantur. Schließlich war es auch der lebhafte Kommandant der ehemaligen arkonidischen Flotte, der das Schweigen brach.
»Ich wette, du denkst daran, das Unternehmen im letzten Augenblick noch abzubrechen«, sagte er gedehnt. »Auch ohne die telepathischen Fähigkeiten eines Mausbibers kann man dir das deutlich ansehen.«
»Mach dir nur keine unnötigen Sorgen, Dicker«, sagte Rhodan ruhig.
In einer verzweifelten Geste strich Bull die Jacke glatt, die bei ihm nie jenen strammen Sitz hatte, wie ihn militärisch strenge Vorgesetzte in der Flotte bevorzugten. Doch zum Glück hatte Bull praktisch keine Vorgesetzten, und Rhodan würde es nie in den Sinn kommen, den Freund wegen des Aussehens seiner Uniform zu tadeln.
»Keine Sorgen?«, erkundigte sich Bull. »Es ist das Recht eines jeden Menschen, sich Sorgen zu machen, wann immer er will. Ich will jetzt. Außerdem möchte ich noch einmal vorschlagen, dass wir versuchen, über die Widerstandsbewegungen in den Reihen der Blues den erwünschten Kontakt aufzunehmen.«
Auf Rhodans Stirn erschien eine steile Falte.
»Schließlich haben wir das schon praktiziert«, sagte er. »Es ist doch sinnlos, wenn wir in dieser Richtung weitere Fehlschläge einhandeln. Die Widerstandsgruppen sind ebenso unzugänglich wie die Gataser selbst. Wenn wir wichtige Ergebnisse über das Imperium der Blues herausfinden wollen, dann müssen wir uns eben selbst darum bemühen.«
»Auch wenn wir dabei Gefahr laufen, den Kopf zu verlieren«, wandte Bull ein.
»In deinem speziellen Fall wäre das zwar kein großer Verlust«, sinnierte Rhodan, »aber ich will diese Gefahr nicht abstreiten.«
Bull betastete mit den Fingern ärgerlich seinen rothaarigen Schädel.
»Dein Widerwille gegen mein edles Köpfchen scheint auf Neid zu beruhen«, erklärte er würdevoll. »Schließlich kann man auch von anderen Leuten nicht behaupten, dass ihr wertvollster Körperteil oberhalb des Rumpfes sitzt.«
Rhodan grinste, Dantur kicherte in sich hinein, und Waynts Lippen kräuselten sich spöttisch.
»Dreitausend Schiffe bieten wir auf, um der TRISTAN eine Landung auf dem vierzehnten Planeten der Sonne Verth zu ermöglichen«, erinnerte Reginald Bull. »Dreitausend Schiffe, um ein bisschen Verwirrung zu stiften.«
»Ein bisschen?« Rhodan schüttelte den Kopf. Der Trick, der der KOPENHAGEN das Eindringen in das Pahl-System ermöglicht hatte, konnte hier nicht angewendet werden, da das Verth-System ungleich besser bewacht war als Apas. »Nein, Dicker, wir müssen die Blues dazu bringen, dass sie glauben, ein Großangriff sei im Gange. Ihre gesamte Aufmerksamkeit muss auf das benachbarte System konzentriert sein, ihre Schiffe müssen dorthin abgelenkt werden. Bevor wir uns wieder absetzen, muss es der TRISTAN gelungen sein, unbemerkt zu landen und sich praktisch in das Eis jener Welt zu bohren. Es ist vorgesehen, dass die TRISTAN sechshundert Meter unter der Oberfläche anhält und ein Kavernensystem ausbaut. Sie wird gegen optische Ortungen vollkommen geschützt sein.«
»Der Gedanke daran lässt mich frieren«, gestand Bull.
Rhodan lachte. Sie hatten keinen Anlass, anzunehmen, dass das Verth-System weniger abgeschirmt war als das Solsystem. Auch bei den Blues würde reger Schiffsverkehr herrschen. Wahrscheinlich gab es Raum- und Wachstationen. Natürlich bestand auch die Möglichkeit, dass die Blues während ihrer bisherigen Entwicklung noch nicht mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten und ihre Vorsicht deshalb nicht so ausgeprägt sein würde wie die der Menschen.
Ebenso wie die Eastside-Station 1 war die TRISTAN mit einem Großtransmitter akonischer Konstruktion ausgerüstet. Sobald es Kommandant Mos Hakru gelungen war, das Schiff unter dem Eis des äußersten Planeten der Sonne Verth zu verstecken, konnten von der ESS-1 aus Spezialisten ins Verth-System einsickern. Sie mussten dazu nur die Transmitter benutzen.
Die größte Schwierigkeit bestand tatsächlich darin, einen Transmitter unentdeckt ins Heimatsystem der Blues zu transportieren.
Doch den führenden Männern des Vereinten Imperiums blieb keine andere Wahl, als ein Risiko einzugehen. Sie mussten mehr über den Gegner erfahren, bevor dieser entscheidend zuschlug.
»Stellen Sie ihn auf dem Bett ab, Sarge«, sagte Kilmacthomas zu dem aufstöhnenden Wallaby. »Seien Sie vorsichtig.«
Sergeant Wallaby brachte den Koffer des Leutnants mit gemurmelten Flüchen an den angewiesenen Platz. Sein Gesicht war gerötet, entweder aus Zorn oder vor Anstrengung. Wahrscheinlich aus beiden Gründen.
Don Kilmacthomas sah sich in der Kabine um.
»Bisschen eng hier, was, Sarge?«, fragte er enttäuscht.
»Die Unterkünfte der Mannschaft sind noch kleiner«, knurrte Wallaby. »Oberst Hakru begnügt sich mit einer ähnlichen Kabine wie Sie, Sir.«
Wallaby hielt das für eine äußerst diplomatische Äußerung, und er schnaubte zufrieden.
Es sah nicht so aus, als würde Kilmacthomas ihm irgend etwas übelnehmen.
»Sie können gehen, Sarge«, sagte der Leutnant.
Unzufrieden wandte sich Wallaby um. Er hätte zu gern gesehen, wie Kilmacthomas den Koffer auspackte. Er bezweifelte, dass der Offizier tatsächlich Geräte mitführte.
Er schlug die Tür hinter sich zu und blieb stehen. Hastig blickte er den Gang entlang. Niemand war zu sehen. Noch waren nicht alle Offiziere eingetroffen. Hakru hielt sich wahrscheinlich in der Zentrale auf, um die Startvorbereitungen zu überwachen.
Wallaby schluckte nervös. Dann beugte er sich hinab, um durch das kleine Loch unterhalb des Magnetschlosses zu blicken. Er konnte direkt zum Bett sehen. Nach einer Weile geriet Kilmacthomas in sein Blickfeld. Der Grünschnabel hatte sich der Kombination entledigt und trug jetzt – Wallaby sah es mit Schmerzen – einen knallroten Hausmantel. Der Sergeant ächzte.
Glaubte dieser unerfahrene Bursche, dass sie zu einer Party flogen?
Irgendwo hinter ihm entstand ein Geräusch. Er fuhr hoch, aber es war nur eine automatische Luftklappe, die sich geöffnet hatte. Wallaby nahm den Beobachtungsposten wieder ein.
Kilmacthomas hockte sich neben dem Koffer aufs Bett. In seinem Gesicht lag ein zufriedener Ausdruck. Wallaby fühlte den kühlen Luftzug, der aus dem Loch kam, aber er ließ sich jetzt nicht beirren.
Da öffnete Kilmacthomas den Koffer. Durch das Gewicht hatte sich dieser nach vorn geneigt, so dass Wallaby ohne Schwierigkeiten in das Innere blicken konnte.
Sein Kinn fiel nach unten. Seine Augen weiteten sich.
Kilmacthomas hatte nicht ein einziges Gerät in die Kabine gebracht. In diesem Koffer, den er, Sergeant Wallaby, wie ein Idiot geschleppt hatte, befanden sich unzählige Flaschen mit verschiedenen bunten Etiketten.
Und in den Flaschen – daran zweifelte Wallaby keine Sekunde – konnte nichts anderes sein als Alkohol.
Leutnant Don Kilmacthomas hatte alkoholische Getränke an Bord der TRISTAN geschmuggelt. Er, Wallaby, war darauf hereingefallen.
Er hatte das verdächtige Gepäck auch noch getragen!
Der Sergeant hätte heulen können. Dieser Bursche machte sich jetzt wahrscheinlich noch über ihn lustig. Kalte Wut stieg in Wallaby auf. Jetzt hatte er eine Chance, diesem Greenhorn alles heimzuzahlen, was er ihm auf dem Landesteg angetan hatte.
Wallaby richtete sich hastig auf. Mit schnellen Schritten eilte er über den Gang.
Wie er gehofft hatte, fand er Oberst Mos Hakru in der Zentrale vor. Hakru war ein zierlicher Mann, fast schmächtig. Er war 38 Jahre alt, Kosmonaut und gehörte als Physiker dem von Rhodan gebildeten Experimentalkommando an.
Wallaby erstarrte in einer militärischen Ehrenbezeugung, als Hakru auf ihn aufmerksam wurde.
»Was ist los, Sarge?«, fragte der Oberst.
Obwohl sich Wallaby auf dem Weg vom Laderaum hierher genau überlegt hatte, was er sagen wollte, fehlte es ihm jetzt an Mut, sich klar auszudrücken.
»Es handelt sich um einen neuen Offizier«, sagte er schwerfällig. »Ich habe einen Verdacht, Sir.«
Hakrus Blick trieb ihm das Blut ins Gesicht.
»Also los, Sergeant Wallaby«, forderte Hakru. »Ich habe keine Zeit für Nebensächlichkeiten.«
»Es sind einige Dutzend Flaschen alkoholischer Getränke an Bord, Sir«, entfuhr es Wallaby. »Ich habe durch einen ... äh ... Zufall gesehen, wie sie ausgepackt wurden.«
»Wer hat sie wo ausgepackt?«, fragte Hakru.
»Leutnant Kilmacthomas, Sir«, stieß Wallaby hervor. »In seiner Kabine.«
»Kilmacthomas ist der neue Offizier«, erinnerte sich Hakru. »Also gut, Wallaby, sehen wir nach, ob Ihre Anschuldigung stimmt. Der Leutnant wird sofort von Bord gewiesen, wenn Sie recht haben.«
Wallaby nickte zufrieden. Der schwere Koffer würde noch einmal über den Landesteg geschleppt werden.
Nach unten!
Von Leutnant Don Kilmacthomas!
Unmittelbar vor der Kabine des Leutnants machte Sergeant Wallaby halt.
»Hier wurde er einquartiert, Sir«, sagte er zu Hakru.
»Klopfen Sie«, befahl der Oberst.
Wallaby hielt die Zurückhaltung des Kommandanten gegenüber einem Alkoholschmuggler zwar für übertrieben, aber er pochte mit dem Knöchel gegen die Tür.
»Reinkommen, wer immer es ist!«, rief eine jugendliche Stimme aus dem Innern.
Sergeant Wallaby hätte sich am liebsten die Hände gerieben. Bedächtig drückte er die Tür auf.
»Achtung!«, rief er lautstark. »Der Kommandant!«
»Lassen Sie das, Sarge«, befahl Hakru verärgert und trat ein.
Kilmacthomas trug noch immer den roten Hausmantel. Seine dunkelblauen Augen richteten sich ohne Verwirrung, aber voller Interesse auf den Oberst.
»Wir wurden uns bereits vorgestellt, Sir«, sagte er zu Hakru. Enttäuscht registrierte Wallaby, dass Kilmacthomas in keiner Weise verlegen war. Aber das würde noch kommen.
»Ich hätte mich bei Ihnen gemeldet, sobald der offizielle Countdown beginnt«, hörte er Kilmacthomas sagen.
Hakru durchmaß die Kabine mit raschen Schritten. »Um es kurz zu machen, Leutnant: Sergeant Wallaby bezichtigt Sie des Alkoholschmuggels auf ein Schiff der Flotte, das kurz vor einem wichtigen Einsatz steht.«
Für einen kurzen Augenblick verlor das Gesicht des Leutnants jede Freundlichkeit. Mit einemmal sah es auch nicht mehr so jung aus, wie es Wallaby in Erinnerung hatte. Doch dann tauchte wieder das alte Lächeln darin auf.
»Sie haben also spioniert und denunziert, Sarge«, stellte Kilmacthomas sachlich fest.
Wallaby hob die Augenbrauen. »Glauben Sie, dass Sie mich beleidigen können, nachdem Sie entlarvt wurden?«, fragte er würdevoll.
Kilmacthomas zuckte die Achseln und zog den gelben Lederkoffer unter dem Bett hervor. Er klappte den Deckel auf, und Hakrus Blick fiel auf die unzähligen Flaschen, von denen Wallaby gesprochen hatte.
»Stellen Sie fest, ob Alkohol darin ist«, befahl der Oberst dem vor Erregung zitternden Wallaby.
»Mit Vergnügen, Sir«, beeilte sich der Sergeant zu sagen. Auf diese Weise konnte er kostenlos und ohne in Konflikt mit den Vorgesetzten zu kommen einen guten Schluck nehmen.
Mit einer lässigen Geste griff Kilmacthomas eine der Flaschen heraus und überreichte sie Wallaby.
»Nehmen Sie diese«, empfahl er.
Wallaby stieß seine Hand zur Seite. »Ich suche mir selbst eine aus«, knurrte er. »Sie können mich mit einer Flasche Fruchtsaft nicht irreführen.«
Er holte seinerseits eine Flasche, öffnete sie und roch daran. Sein Gesicht verzog sich.
»Was ist los, Sarge?«, fragte Hakru ungeduldig. »Ist es Alkohol oder nicht?«
»Natürlich ist es Alkohol, Sir«, flüsterte Wallaby, während Schweißtropfen auf seiner Stirn erschienen. Er setzte die Flasche an und nahm einen tiefen Schluck.
Kilmacthomas sah interessiert zu. Wallaby bekam einen Erstickungsanfall, und der Leutnant musste ihm die Flasche aus den Händen nehmen, bevor er sie fallen ließ. Der Sergeant wurde kreideweiß, seine Knie gaben nach.
»Was ist los, Sarge?«, wiederholte Hakru seine Frage.
»Gift«, stöhnte Wallaby schwerfällig. »Es ist irgendein Gift.«
»Es sind Reagenzien für Eisanalysen, Sir«, erklärte Kilmacthomas. »Jede dieser Flaschen ist ungeheuer wertvoll und außerdem gefährlich. Deshalb habe ich vorgezogen, sie in meine Kabine bringen zu lassen.«
»Gefährlich?«, hauchte Wallaby entsetzt. »Werde ich sterben?«
»Ich glaube nicht«, sagte Kilmacthomas sanft. »Die Flasche, die ich Ihnen überreichen wollte, hätte lediglich Haarausfall bewirkt. Jetzt werden Sie jedoch einen Ausschlag bekommen, der Ihr Gesicht wie eine aufgequollene Tomate aussehen lässt. Ihr eigener Bruder wird Sie so nicht erkennen. Aber es wird sich wieder bessern.«
Wallaby schlug beide Hände vors Gesicht. Hakru unterdrückte ein Grinsen.
»Gehen Sie jetzt, Sarge«, befahl er Wallaby.
Jammernd verließ Sergeant Wallaby den kleinen Raum.
Als sie allein waren, betrachtete Mos Hakru den jungen Offizier nachdenklich.
»Dies ist Ihr erster Einsatz, Leutnant?«, fragte er nach einer Weile.
»Ja, Sir«, antwortete Kilmacthomas.
Hakrus Blicke richteten sich auf den roten Hausmantel. »Das werden Sie natürlich ablegen«, ordnete er an.
»Ja, Sir«, sagte Kilmacthomas.
Hakru wandte sich zum Gehen, aber an der Tür drehte er sich noch einmal um. Ein feines Lächeln spielte um seine Lippen.
»Ich schätze, wir werden gut miteinander auskommen, Leutnant«, sagte er.
»Ja, Sir«, sagte Leutnant Don Kilmacthomas. Er grinste den Oberst mit entwaffnender Freundlichkeit an.
»Funkspruch vom Flaggschiff!«, rief Mowegan, der Cheffunker der ESS-1 und überreichte Oberst Joe Nomers einen Zettel, auf dem er die eingetroffene Meldung entschlüsselt hatte.
Nomers überflog die Meldung mit einem schnellen Blick. Sie besagte, dass der Flottenverband, an der Spitze die ERIC MANOLI, den Ausgangspunkt erreicht hatte, von dem aus die Operation gesteuert werden sollte.
Die TRISTAN konnte kommen.
Sobald das Transmitterschiff ins Verth-System eindrang, würden dreitausend Schiffe der Imperiumsflotte einen waghalsigen Angriff auf ein System fliegen, das die Blues besetzt hielten. Dort hatten sie kleine Stationen errichtet. Die Planeten selbst waren Methan- und Eiswelten, also nur in Schutzräumen für die Blues bewohnbar.
Dennoch mussten sie Stützpunkte in relativer Nähe ihres Systems für wichtig genug halten, um sie mit aller Macht zu verteidigen.
Darauf baute Rhodans Plan auf. Während die Gataser mit den angreifenden Schiffen des Imperiums vollauf beschäftigt waren, sollte die TRISTAN den gewagten Versuch machen, auf dem ungastlichsten aller Verth-Planeten zu landen.
Rhodan hatte den Flottenverband nun an eine Stelle gebracht, von der aus er in kurzer Zeit den Scheinangriff starten konnte.
Nomers blickte auf die Borduhr. Wenn alles nach Wunsch verlief, musste die TRISTAN in weniger als zwanzig Minuten in der Nähe der ESS-1 auftauchen.
Auf ihrer Umlaufbahn war die ESS-1 jetzt in die Nachtseite von Griez eingetreten. Nomers hatte den Bildschirm, der der Oberflächenbeobachtung diente, ausschalten lassen. Auch auf der Tagseite gab es dort unten nichts zu sehen, außer den alles bedeckenden Eismassen.
Auf einer ähnlichen Eiswelt würde die TRISTAN landen. Oberst Mos Hakru, ihr Kommandant, würde versuchen, das Schiff mindestens einen halben Kilometer unter das Eis zu bringen.
Der Versuch würde innerhalb der Flotte ein Novum darstellen, doch die fähigsten Wissenschaftler hatten sich den Kopf darüber zerbrochen, wie dieses Vorhaben erfolgreich auszuführen war.
In gewissem Sinn war Nomers dankbar, dass er nicht zu jenen Männern gehörte, die unter das Eis mussten. Vielleicht war es wirklich relativ ungefährlich, wie die Forscher behaupteten, aber es war auch bestimmt kein angenehmes Gefühl, über sich nichts als tödliche Kälte zu wissen.
Einige Minuten später kehrte Leutnant Nashville in den Kommandoraum zurück. Nomers sah zu, wie der dicke Offizier sich geschickt zwischen den Kontrollen auf ihn zu bewegte.
»Frühstück beendet, Sir«, sagte er zu Nomers. »Ich habe auch bei dem Transmitter nachgesehen. Die Techniker behaupten, es sei alles in Ordnung. Auch die Akonen, die man ihnen zugeteilt hat, sind zufrieden. Sie sagten, jetzt müssten wir nur noch die Gegenstation aufbauen, dann könnten wir alles durch den Transmitter schicken, was nur hindurchgeht.«
»In Ordnung«, sagte Nomers knapp.
Nashville verschränkte die Arme über der Brust.
»Ich traue diesen Akonen nicht«, sagte er nachdenklich. »Was geschieht, wenn sich ein Widerstandskämpfer darunter befindet, der Sabotage begeht?«
Nomers fuhr mit der Hand über den kahlen Schädel, als wollte er einen Druck über seinem Kopf beseitigen.
»Ihre Abneigung gegenüber den Akonen scheint sich ausschließlich auf die männlichen Mitglieder dieser Rasse zu beschränken«, sagte er.
Eine dunkle Röte überzog Nashvilles Gesicht. »Ich hätte mir denken können, dass man Ihnen von dieser Geschichte berichtete, bevor man mich auf die ESS-1 versetzte.«
»Sie haben jetzt Gelegenheit, Ihr Majorspatent zurückzugewinnen, das man Ihnen genommen hat, Leutnant«, sagte Nomers mit zusammengekniffenen Lippen.
»Ich hatte diese Frau geliebt«, murmelte Nashville ausdruckslos. »Ich konnte nicht ahnen, dass sie mich nur benutzte, um Informationen über gewisse Vorgänge in der Flotte zu erhalten, die vor den Akonen geheim bleiben sollten.«
»Sie sind Offizier«, sagte Nomers. »Sie müssen einmal damit anfangen, Ihre Gefühle dem Verstand unterzuordnen. Man schätzt Ihre Fähigkeiten, deshalb bietet man Ihnen hier eine neue Chance. Unter normalen Umständen hätte ich Ihnen nichts davon sagen dürfen, aber Sie sollen wissen, woran Sie sind.«
»Danke, Sir«, sagte Nashville.
Nomers versuchte das Verhalten Nashvilles zu verstehen, er fragte sich, ob auch ihm ein solcher Fehler unterlaufen konnte. Er gestand sich ein, dass diese Frage nur zu beantworten war, wenn man eine ähnliche Situation hinter sich hatte. Es war nicht richtig, Nashville wegen seiner Vergangenheit zu misstrauen oder gar zu verurteilen.
In seiner langjährigen Laufbahn hatte Nomers viele Offiziere kennengelernt, Nashville war bestimmt nicht der schlechteste unter ihnen.
»Ortung, Sir!«, rief da Benton, der Chefkontroller. »Unbekanntes Flugobjekt nähert sich diesem System.«
Die TRISTAN!
Nomers fühlte die Spannung von sich abfallen. Jetzt endlich geschah etwas. Die Zeit des Abwartens war vorüber.
»Erkennungssignal anfordern!«, befahl er.
Wenige Minuten später standen die ESS-1 und die TRISTAN in Funkkontakt.
Nomers meldete dem Schiff, dass Rhodan mit dreitausend Schiffen bereitstand. Alles war bisher planmäßig verlaufen. Auch von der TRISTAN wurden keine Zwischenfälle gemeldet.
In dem Augenblick, als die TRISTAN das Funkgespräch mit der ESS-1 unterbrach, befand sich das Schiff noch genau 9842 Lichtjahre vom Herzen des Zweiten Imperiums entfernt.
Von nun an begann sich diese Entfernung sehr schnell zu verringern.
Leutnant Don Kilmacthomas war gerade dabei, dem Zweiten Offizier der TRISTAN, Leutnant Zang, eine Niederlage im Schachspiel beizubringen, als die Lautsprecher des Interkoms knackten und die Stimme von Oberst Mos Hakru hörbar wurde.
»Alle Offiziere sofort in die Zentrale!«, befahl Hakru. »Wir tauchen jetzt kurz aus dem Linearraum.«
Zang gab seinem König einen leichten Stoß, so dass dieser umkippte und auf die andere Seite des Brettes hinüberrollte.
»Ich bin zwar Bordmeister«, grollte er, »aber gegen Sie sehe ich wie ein Anfänger aus.«
Kilmacthomas stand auf und sammelte die Figuren in einen Kasten. »Sie haben gute Anlagen«, sagte er. »Wenn Sie eifrig üben, können Sie vielleicht in einigen Jahren ein Remis gegen mich herausholen.«
Zang grinste und schloss die Uniformjacke. Ohne besondere Eile verstaute Kilmacthomas das Spiel im Schrank.
»Gehen wir«, sagte er.
Die beiden Leutnants traten auf den Gang hinaus. Die TRISTAN durchmaß 500 Meter, wie auf der ESS-1 hatte man den größten Raum für den Transmitter benötigt. Zwar war die TRISTAN besser bewaffnet als die ESS-1, aber niemand an Bord war so kühn zu glauben, dass das Schiff einem massierten Angriff standhalten könnte.
Die Besatzung war sich darüber im klaren, dass sie sich durch ihre Verletzung der Grenzen des Blues-Imperiums einer tödlichen Gefahr aussetzte. Perry Rhodan hatte darauf geachtet, dass sich keine Familienväter zu diesem Einsatz gemeldet hatten.
Als Zang und Kilmacthomas den Kommandoraum betraten, waren bereits alle Offiziere versammelt. Oberst Hakru hatte den Kommandosessel für Chefpilot Nortruk geräumt. Seine zierliche Gestalt stand gegen den Kartentisch gelehnt.
»Wir werden nur wenige Augenblicke ins Einsteinuniversum zurückkehren, denn die Gefahr einer Entdeckung ist groß. Während dieser Zeit geben wir einen Kurzimpuls an die ERIC MANOLI ab. Perry Rhodan wird dann den Scheinangriff auf das benachbarte System starten.« Hakru hustete. »Wir können nicht sagen, wie lange der Chef sich halten kann, aber um große Verluste zu vermeiden, müssen wir uns nach Abstrahlung des Impulses beeilen, den vierzehnten Planeten der Sonne Verth zu erreichen und uns dort zu tarnen.«
»Eine Frage, Sir!«, rief Major Lasalle, der Erste Offizier des Schiffs. »Wir können nicht ständig in Linearflug verweilen. Spätestens wenn wir das Verth-System erreicht haben, müssen wir aus dem Schutz der Halbraumzone heraus.«
»Das stimmt«, nickte Hakru. »Wir werden mit aktiviertem Ortungsschutz knapp vor dem Ziel ins Normaluniversum zurückkehren. Während der Landung können wir nur hoffen, dass der angreifende Flottenverband die Blues so verwirrt, dass sie keine Zeit mehr haben, sich um den äußersten Planeten ihres Systems zu kümmern.«
Chefpilot Nortruk rief von seinem Platz aus: »Schiff fällt in Normalraum zurück, Sir!«
Bei einem so kleinen Mann wie Hakru wirkte unerschütterliche Ruhe beinahe beängstigend. »Raumortung«, durchbrach seine Stimme die aufkommende Stille.
Bildschirme flammten auf, Ortungsgeräte schalteten sich ein. Die elektronischen und positronischen »Augen« der TRISTAN richteten sich in den Raum. Empfindliche Geräte fingen jeden energetischen Stoß auf, der auf andere Schiffe hindeutete.
»Raumortung läuft, Sir!«, gab Chefkontroller Brunner bekannt.
»Schiff im Normaluniversum!«, kam es von Nortruk.
Die Augen der versammelten Männer richteten sich auf die Bildschirme. Man hatte ihnen gesagt, dass sie auf Schiffe stoßen würden. Man hatte ihnen auch gesagt, dass es viele sein würden.
Aber niemand hatte ihnen gesagt, dass die Zahl der Fremdkörperortungen so groß sein würde, dass es für einen Mann unmöglich war, sie zu zählen. Da konnte nur noch die Positronik helfen.
Auf Hakrus Gesicht spiegelte sich der Widerschein der Kontrolllichter. Es blieb maskenhaft starr.
»Kurzimpuls an das Flaggschiff!«, ordnete er an.
»Impuls ab!«, rief der Funker vom Hyperkom.
Hakru drehte sich um. Er hob beide Arme, als wollte er sprechen, die Bewegung wirkte fast hilflos. Aber er sagte nur: »Nortruk, zurück zum Linearflug.«
Die Bildschirme erloschen, die Nadeln der Anzeigetafeln fielen in Nullstellung zurück. Mit zunehmender Geschwindigkeit brach die TRISTAN in die Librationszone ein.
Major Lasalle sprach zuerst. »Sir, das ist weitaus schlimmer als wir erwartet hatten.«
»Ja«, sagte Hakru langsam. »Der Raumschiffsverkehr zwischen den einzelnen Systemen ist stark. Es sieht fast so aus, als hätte sich die Fruchtbarkeit der Blues auch auf ihre Raumschiffe übertragen.«
Niemand lachte. Die Gedanken der Männer beschäftigten sich nur mit einer Frage: Wie konnte es der TRISTAN gelingen, unentdeckt durch diese Unzahl von Schiffen zu gelangen?
Die ersten Auswertungen des positronischen Bordgehirns trugen nicht dazu bei, die Stimmung der Besatzung zu heben. Die Daten ergaben, dass es hier Raumstationen von überdurchschnittlicher Größe gab. Sie dienten bestimmt dazu, die anderen Schiffe abzuschirmen und zu schützen. Dort gab es mit großer Wahrscheinlichkeit Ortungsgeräte, die ständig in den Raum hinaus »lauschten«, um jeden Eindringling sofort zu erkennen.
»Wir müssen umkehren«, sagte Zang. Es war offensichtlich, dass er nur das aussprach, was fast alle anderen dachten.
»Leutnant Zang hat recht, Sir«, bekräftigte Major Lasalle. »Die Landung schaffen wir nie.«
»Sind Sie alle dieser Ansicht?«, erkundigte sich Hakru.
»Nein!«, sagte eine feste Stimme.
Die Köpfe der Offiziere fuhren herum, ihre Blicke kreuzten sich mit denen Leutnant Kilmacthomas', der dieses entschiedene Nein gesprochen hatte.
»Wie denken Sie darüber, Leutnant?«, fragte der Oberst.
Kilmacthomas lächelte, als habe er nur die Aufgabe, auf einem Seminar zu sprechen, als ginge es nicht um Leben und Tod.
»Selbst wenn wir annehmen, dass die Blues viele Schiffe haben«, begann er, »kann die Zahl nicht so hoch sein, wie wir im Augenblick glauben. Ich vermute, dass es zwischen den einzelnen Systemen festgelegte Routen gibt, auf denen ganze Flotten verkehren und Handel betreiben. Wir hatten das Pech, ausgerechnet an einer solchen Stelle aufzutauchen, wo sich im Augenblick eine größere Zahl von Schiffen konzentrierte. Mit Sicherheit können wir annehmen, dass dies nicht überall so ist.«
»Woher nehmen Sie diese Sicherheit, Leutnant?«, fragte Major Lasalle. »Wie mir bekannt ist, haben Sie keine praktische Erfahrung mit Raumflügen.«
Kilmacthomas schien den Spott zu überhören. Sein Gesicht blieb freundlich. »Die Geschichte schuf genügend Präzedenzfälle, die beweisen, dass auch erfahrene Männer Fehler begehen«, sagte er ungerührt. »Ich möchte Sie noch daran erinnern, dass diese Schiffe in kurzer Zeit wie ein aufgescheuchter Wespenschwarm durcheinanderfliegen werden – dann nämlich, wenn der Großadministrator den Scheinangriff fliegt.«
Lasalle hatte eine ärgerliche Antwort auf den Lippen, aber Hakru unterbrach die Diskussion mit einer knappen Handbewegung.
Wie von einer Geisterhand heraufbeschworen, stießen dreitausend terranische Schiffe aus der Halbraumzone hervor und rasten in das kleine Sonnensystem hinein. An der Spitze der Formation die 1500 Meter durchmessende Kugel der ERIC MANOLI.
Nur drei Planeten besaß die Sonne, die sie anflogen, drei erstarrte Welten, die ihren Stern in großer Entfernung umkreisten. Hier hatten die Blues nur kleine Stationen errichtet.
Zwei winzige Diskusschiffe ohne Molkexpanzerung unternahmen den todesmutigen Versuch, den Verband aufzuhalten. Es widerstrebte Rhodan, mit einer solchen Übermacht über zwei Schiffe herzufallen, aber die Blues mussten glauben, dass es um alles ging. Sicher war bereits eine Warnmeldung im Verth-System eingelaufen.
»Zerstört sie nicht vollkommen«, befahl er den Männern in der Feuerleitzentrale. »Gebt ihnen Gelegenheit zum Entkommen.«
Innerhalb von Sekunden waren die Diskusschiffe zu Wracks geschossen. Wie Rhodan vorausgesagt hatte, suchten sie ihr Heil in wilder Flucht.
Rhodan ließ die Schiffe den ersten Angriff auf einen der Planeten fliegen. Kernbrandbomben, die genügt hätten, größere Ansiedlungen zu zerstören, fielen auf die Oberfläche hinab, rissen Krater in Methan- und Ammoniakschnee. Die Ziele wurden so gewählt, dass den Stützpunktbesatzungen noch genügend Zeit zur Flucht blieb.
Neutrinotorpedos schossen durch den Raum, wurden von den Männern an den Kontrollen an ungefährlichen Punkten zur Explosion gebracht, um den Blues, wenn sie mit ihrer Kampfflotte eintrafen, ein möglichst echtes Feuerwerk zu bieten.
Innerhalb des kleinen Systems brach die Hölle los. Die Schiffe feuerten mit ihrer gesamten Waffenstärke auf praktisch unwichtige Ziele. Doch die Hauptaufmerksamkeit der Männer war auf die Ortungsgeräte gerichtet.
In gespannter Erwartung blickten Rhodan, Bull und Dantur auf die Bildschirme. Würden die Blues auf ihren strategischen Trick hereinfallen?
Lediglich Regat Waynt schien durch diese Geschehnisse nicht berührt zu werden. Uninteressiert hatte er sich an den Kartentisch zurückgezogen.
Eine knappe halbe Stunde war vergangen, als eines der von Rhodan außerhalb des Systems stationierten Wachschiffe den ersten Alarm gab.
Rhodan richtete sich auf. Sein hageres Gesicht blieb ausdruckslos.
»Sie kommen«, sagte er nur.
Oberst Mos Hakru spürte, wie jemand hinter ihn trat. Als er sich umblickte, schaute er in das jungenhafte Gesicht von Leutnant Kilmacthomas. Im ersten Augenblick fühlte Hakru Verärgerung.
»Lachen Sie eigentlich immer, Leutnant?«, fragte er.
»Meistens, Sir«, gestand Kilmacthomas. Einer seiner langen Arme glitt an Oberst Hakru vorbei und wies auf den Bildschirm.
»Man könnte fast von einem Wunder sprechen«, sagte Kilmacthomas. »Die ganze Zeit über hatte ich befürchtet, dass wir es nicht schaffen würden.«
Hakrus Ärger verflog. Kilmacthomas hatte recht – es war ein Wunder, dass sie diesen Planeten erreicht hatten. Die vierzehnte Welt der Sonne Verth, ein über 6000 Kilometer durchmessender Eisbrocken, nicht größer als Pluto, zeigte sich auf den Bildschirmen der TRISTAN, die bereits zur Landung ansetzte. Kein einziges Bluesschiff war nach dem Linearraumaustritt in der Nähe des Planeten festgestellt worden, und man konnte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, auch selbst nicht geortet worden zu sein.
Chefpilot Nortruk bediente die Steueranlage. Im Falle der TRISTAN war nicht die eigentliche Landung schwierig, sondern der geplante Versuch, das Schiff möglichst tief in das Eis zu versenken.
Leistungsstarke Thermostrahler sollten die Eisschicht verflüssigen, so dass die TRISTAN einsinken konnte. Das Schmelzwasser würde nach oben verdrängt werden und über dem Schiff wieder zufrieren.
So stellte man sich jedenfalls den Ablauf einer gelungenen Landung vor. Trotzdem würde sich ein Trichter bilden, denn unter der Einwirkung der Strahler würde ein großer Teil des zu Flüssigkeit gewordenen Eises einfach verdampfen.
Mit gemischten Gefühlen starrte Kilmacthomas auf das sich ihnen bietende Bild. Theoretisch wusste er eine ganze Menge über Eiswelten, er konnte buchfüllende Abhandlungen über das Verhalten des Eises in seinen verschiedenen chemischen Zusammensetzungen schreiben. Aber da war doch ein Unterschied, ob man am Schreibtisch saß oder in einem Raumschiff war, das im Begriff stand, einen halben Kilometer unter das Eis eines fremden Planeten zu dringen.
Kilmacthomas war froh, dass Hakru ein Kommandant war, der keine Unklarheiten duldete. Er verstand es, die Männer zu führen. Auch Major Lasalle ließ sich bei seinen Bedenken keineswegs von egoistischen Gefühlen leiten, hatte Kilmacthomas festgestellt. Der Erste Offizier wollte lediglich unkontrollierbare Risiken vermeiden, eine Tatsache, die man ihm nicht als nachteilige Eigenschaft anrechnen konnte.
Die TRISTAN ging unmittelbar über der Äquatorlinie nieder. Die Ortungsgeräte zeigten noch immer kein feindliches Schiff in gefährlicher Nähe. Sie hatten feststellen können, dass mehrere weiter entfernte Raumer der Blues ihren Kurs geändert hatten.
Mos Hakru führte dies auf den inzwischen laufenden Scheinangriff Rhodans zurück. Verwirrung war unter den Gatasern ausgebrochen. Sie mussten die ihnen zur Verfügung stehende Zeit nutzen, denn früher oder später würde man unter den gatasischen Führern feststellen, dass sie auf einen Trick hereingefallen waren.
Die TRISTAN war eigens dafür umgebaut worden, nicht nur extreme Temperaturen, sondern auch überdurchschnittliche Druckbelastungen auszuhalten.
Mit ruhiger Stimme gab Nortruk die geringer werdenden Höhen bekannt. Immer wieder wanderten Kilmacthomas' Blicke zu den Bildschirmen der Raumortung.
Mit der Gelassenheit eines erfahrenen Piloten brachten Nortruk und seine Helfer das Schiff auf das Eis.
»Gelandet, Sir«, gab er bekannt.
Hakru erwachte aus seiner Bewegungslosigkeit. Eine kurze Untersuchung ergab, dass das Schiff in einer flachen Senke niedergegangen war. Um die TRISTAN herum gab es nichts als Eis. Verth, die blaue Riesensonne, war so weit entfernt, dass ihr Licht kaum ausreichte, dort draußen etwas sichtbar zu machen. Kilmacthomas glaubte zu erkennen, dass das Land von schroffen Bergen zerrissen war, gefrorene Stoffe hatten groteske Figuren gebildet.
Die Thermostrahler waren wie ein Ring um die TRISTAN herum angebracht worden. Sobald sie in Tätigkeit traten, konnten sie praktisch jeden Punkt innerhalb eines 600 Meter durchmessenden Kreises erreichen. Sie würden der TRISTAN eine Bahn in die Tiefe freischmelzen.
Kilmacthomas' Gesichtsmuskeln verkrampften sich. Es war möglich, dass sie sich ein riesiges kühles Grab schufen, aus dem es keine Rückkehr gab.
»Thermostrahler abfeuern!«, befahl Hakru, nachdem er sich noch einmal überzeugt hatte, dass keine unbekannten Schiffe in der Nähe des Planeten aufgetaucht waren.
Die Männer innerhalb des Schiffes bekamen nicht viel von dem im Freien ausbrechenden Feuerwerk zu sehen. Die Stabilisationskontrollen der TRISTAN gerieten in Unruhe, als Nortruk die sinnlos gewordenen Landestützen einfahren ließ. Gemessen zur Landeebene kippte die TRISTAN in einem Winkel von knapp zehn Grad ab, aber die Thermostrahler pendelten diese Unregelmäßigkeit sofort aus, so dass der entstehende Schacht weiter direkt nach unten führte.
Kilmacthomas bemerkte, dass Hakru es vermied, einen der Offiziere anzusehen. Die Augen des Majors wichen nicht von den Stabilisierungskontrollen. Eine zu starke Abweichung, das wusste Kilmacthomas, würde ihr Vorhaben zum Scheitern bringen. Bei einem derartigen Zwischenfall mussten sie froh sein, wenn sie sich in einem raschen Start retten konnten.
»Schiff sinkt, Sir«, sagte Nortruk, der anscheinend ein Mann ohne Nerven war, solange er an den Steueranlagen saß.
Kilmacthomas blickte zu dem sehnigen, schwarzhaarigen Piloten hinüber. Eigentlich sah Nortruk wie ein Durchschnittsmann aus, aber das war er wohl nicht.
»Einhundert Meter, Sir!«, rief Nortruk.
Die TRISTAN sank weiter. Kilmacthomas versuchte sich vorzustellen, was außerhalb des Schiffes vor sich ging. Die Thermostrahler schmolzen eine riesige Öffnung in das Eis. Der Leutnant bezweifelte, dass die Eisdecke tiefer als einige Kilometer reichte. Wie die eigentliche Oberfläche des Planeten beschaffen war, konnte man nur erraten.
»Neigung fünfzehn Grad!«, rief Lasalle mit heiserer Stimme eine Warnung an Nortruk.
Für Kilmacthomas war es unvorstellbar, wie ein Pilot in einer Situation, die für ihn eine nie zuvor gestellte Aufgabe darstellte, die auf minimaler Stärke laufenden Triebwerke so einsetzen konnte, dass das Schiff eine halbwegs normale Lage einnahm.
Doch Nortruk schaffte es.
»Acht Grad«, sagte Lasalle erleichtert. Kilmacthomas hörte sich aufatmen.
»Zweihundert Meter«, gab Nortruk bekannt. Mit diesen Tiefenangaben war der Schiffsmittelpunkt gemeint, so dass noch immer ein Teil der TRISTAN über das Eis ragte.
Die Abwärtsbewegung ging jetzt zusehends langsamer vor sich. Kilmacthomas ahnte, dass sich abgeschmolzenes Eis und Millionen kleiner Brocken im Grund der Höhlung stauten. Da immer weniger nach oben abgestrahlt wurde, benötigten die Thermostrahler längere Zeit, um dem Schiff den Weg weiterhin freizuhalten.
»Dreihundert Meter, Sir«, sagte Nortruk.
Kilmacthomas musste den intensiver werdenden Wunsch unterdrücken, etwas gegen das Einsinken zu unternehmen. Er fühlte keine direkte Angst, aber das Unbehagen wuchs in ihm. Seine Hände wurden feucht vor Aufregung. Oberst Hakru musste ähnliche Gefühle empfinden, Gerade für Hakru war es schwierig, die Vernunft vor den blinden Drang zu stellen, das Unternehmen abzubrechen.
»Starke Erhöhung der Temperatur im Abschnitt sieben«, meldete sich Lasalle, der unentwegt die Kontrollen beobachtete.
Hakru und die Offiziere warfen sich fragende Blicke zu.
»Wir beginnen im eigenen Saft zu schmoren, Sir«, bemerkte Nortruk trocken.
»Temperatur steigt schnell weiter, Sir!«, rief Lasalle. Seine Stimme klang schrill.
»Vierhundert Meter, Sir!«, gab Nortruk bekannt.
Hakru versuchte eine schnelle Entscheidung zu treffen. Um vollständig gesichert zu sein, mussten sie noch mindestens hundert Meter tiefer. Aber das Schiff war im Augenblick stark gefährdet. Sollte er es riskieren, noch tiefer zu gehen?
»Um Himmels willen, Sir, wir müssen anhalten«, stöhnte Lasalle verzweifelt.
Hakru ließ sich die eingehenden Werte geben. Die Hitze hatte an einer Stelle der Hülle fast die kritische Grenze erreicht, obwohl sämtliche Anlagen arbeiteten, die die Temperatur in Grenzen halten sollten.
»Thermostrahler in Sektor sieben abschalten«, befahl Hakru.
Nortruk fuhr herum. »Sir, das wirft uns um«, kamen seine Bedenken.
»Tiefe?«
»Vierhundertfünfzig, Sir.«
Kilmacthomas ertappte sich dabei, wie seine Hände den Kartentisch umklammerten. Die Männer atmeten in kurzen Zügen, als hätten sie einen schnellen Lauf hinter sich.
»Temperatur sinkt, Sir. Neigungswinkel bereits sechzehn Grad.«
»Thermostrahler wieder in Tätigkeit setzen«, ordnete Hakru an.
Nortruk sagte: »Fünfhundert Meter, Sir.«
Bei einem Neigungswinkel von fast zwanzig Grad erreichte die TRISTAN eine Tiefe von 570 Metern. Dann ließ Hakru die Thermostrahler abschalten. Die Temperatur in Abschnitt sieben lag unwesentlich über der Höchstgrenze und sank ständig.
Nortruk war von seinem Platz aufgestanden. Die Reaktion der Nerven ließ ihn erschauern. Ohne Hast schob Hakru seinen zierlichen Körper an Major Lasalle vorbei auf Nortruk zu. Er klopfte dem Piloten auf die Schulter.
»Wir haben es geschafft«, sagte er aufatmend.
Nortruks Stimme hatte einen aggressiven Klang, als er heftig erwiderte: »Noch einmal würde ich das nicht tun, Sir. Ich würde es nicht wieder tun.«
»Ich verstehe Sie, Leutnant Nortruk«, sagte Hakru.
Der Pilot wandte sich um und verließ mit steifen Schritten den Kontrollraum. Kilmacthomas hatte geglaubt, dass er Erleichterung fühlen würde, wenn sie erst unten angelangt waren.
Doch das war nicht so.
Gewiss, sie hatten es fertiggebracht, mit diesem Schiff einen halben Kilometer tief in das Eis vorzustoßen.
Aber das, ahnte Don Kilmacthomas, war erst der Anfang.
Es war ein sinnloses Beginnen, die Schiffe der Gataser zählen zu wollen, die von allen Richtungen in das System eindrangen, das von Rhodan als Ziel des Ablenkungsmanövers ausgesucht worden war. Innerhalb kurzer Zeit sah sich der Flottenverband des Vereinigten Imperiums einer großen Übermacht gegenüber. Die meisten Kampfschiffe der Blues verfügten über die unzerstörbaren Molkexpanzer. Der einzige Vorteil der terranischen Schiffe lag in ihrer Beweglichkeit. Das Beschleunigungsvermögen der Kugelraumer lag weit über dem der Diskusschiffe.
In tollkühnen Manövern steuerte Oberst Kors Dantur die ERIC MANOLI durch die Schlacht. Rhodan beobachtete den Kampf auf den Bildschirmen. Es blieb den Offizieren in den Feuerleitzentralen nichts anderes übrig, als ihre Aufmerksamkeit den Feindschiffen ohne Molkexüberzug zu widmen. Nur dort konnten sie entscheidende Treffer landen.
Innerhalb des arkonidischen Robotverbandes gab es die ersten Verluste.
Ohne ihre überlegene Schnelligkeit hätte es für die Schiffe des Imperiums schlecht ausgesehen. Rhodan erkannte, dass sich ihre Position in zunehmendem Maße verschlechterte.
Aber der Funkimpuls der TRISTAN, der eine gelungene Landung bestätigte, war bisher noch nicht eingetroffen. Rhodan konnte nur hoffen, dass im Verth-System alles nach Plan verlief.
»Es wird allmählich ernst für uns«, bemerkte Bull, der neben Rhodan stand. »Ich schlage vor, dass wir uns bald zurückziehen.«
Perry Rhodan warf einen kurzen Blick auf die Borduhr. Er musste Oberst Mos Hakru und der übrigen Besatzung der TRISTAN noch eine Chance geben.
»Zehn Minuten können wir uns noch ohne große Verluste halten«, antwortete er. »Ich hätte nicht gedacht, dass unser Angriff auf dieses unbedeutende System eine derartige Reaktion unter den Blues auslösen würde. Wir konnten zwar mit einem Eingreifen rechnen, aber nicht damit, dass sie eine ganze Flotte mobilisieren.«
»Das kann Hakru nur recht sein«, meinte Bull lakonisch und strich über sein kurzgeschorenes Haar.
Kors Dantur steuerte das Flaggschiff in die Nähe einiger stark bedrängter Kreuzer. Die Abwehrschirme des 1500 Meter durchmessenden Superschlachtschiffs erbebten, als gleichzeitig vier Gegner die ERIC MANOLI angriffen.
Geschickt drehte Dantur den Kugelriesen aus dem Gefahrenbereich. Rhodan, der in Funkverbindung mit allen Schiffen stand, gab den Befehl, sich allmählich zurückzuziehen.
»Noch nicht in den Linearraum flüchten«, ordnete er an. »Es muss so aussehen, als könnten wir uns nur schwer entschließen, von hier zu verschwinden.«
Sofort stießen die Diskusschiffe der Gataser nach, als sich die Angreifer allmählich aus dem System zurückzogen. Rhodan konnte sich vorstellen, dass man an Bord der Molkexraumer vor Siegesgewissheit fieberte.
Acht Minuten waren verstrichen, als sich die TRISTAN mit dem verabredeten Kurzimpuls meldete. Bull stieß einen zufriedenen Knurrlaut aus. Rhodan, der schon nicht mehr an einen Erfolg geglaubt hatte, gab erleichtert den Befehl zur allgemeinen Flucht.
Die Schiffe des Flottenverbandes beschleunigten und drangen in die schützende Halbraumzone ein. Die Blues stießen ins Leere. Wütend rasten die Diskusraumer durch das System, um noch den einen oder anderen Gegner zu fassen.
Doch schnell wie sie aufgetaucht waren, so schnell verschwanden die Kugelschiffe auch wieder.
An Bord der ERIC MANOLI sagte Rhodan: »Gewiss, die TRISTAN hat den vorgesehenen Platz erreicht, aber damit beginnt ihr Problem erst.«
Niemand ahnte, wie recht er hatte.
Zwei Stunden nach ihrem geglückten Vorstoß unter das Eis gelang es Leutnant Don Kilmacthomas, mit einem Gravitationsbohrer bis an die eigentliche Oberfläche des Planeten vorzustoßen. Kilmacthomas leitete die Arbeiten mit dieser Spezialmaschine von der großen Luftschleuse der TRISTAN aus. Sie hatten jetzt einen vier Meter durchmessenden Kanal zur Verfügung, durch den sie alles abgeschmolzene Eis an die Oberfläche abstrahlen konnten. Außerdem waren sie jetzt in der Lage, selbst nach oben zu gehen, wenn es die Lage erforderte.
Danach begannen Kilmacthomas und seine Helfer mit einer systematischen Aushöhlung des Eises rund um die TRISTAN. Sie schufen verzweigte Gänge und große Höhlen, in denen die Spezialisten, die später durch den Transmitter eintreffen sollten, ihre Lager aufschlagen konnten.
Kilmacthomas nahm ständig Proben des Eises mit ins Schiffslabor, um es dort zu untersuchen. Schließlich glaubte er, alles Notwendige zu wissen. Er verließ das Labor und erstattete Oberst Hakru Bericht. Inzwischen trieben die Männer unter Führung des Technikers Masterson einen neuen Schacht ins Eis.
»Vorerst wird es nicht möglich sein, ohne Schutzanzug in die Höhlen zu gehen«, sagte Kilmacthomas. »Selbst wenn wir Sauerstoff hineinpumpen, müssen wir noch einige Zeit warten. Ich habe eine Menge giftiger Stoffe entdeckt, die während des Schmelzprozesses losgelöst werden.«
»Ich werde eine Meldung zur ESS-1 geben«, kündigte Hakru an. »Die Spezialisten sollen sich dementsprechend ausrüsten.«
Bevor Kilmacthomas antworten konnte, sprach die Alarmanlage an.
»Wir werden angegriffen«, stieß Hakru hervor.
»Nein, Sir«, widersprach Kilmacthomas, bereits nach seinem Schutzanzug greifend. »Ich habe mir erlaubt, die Hauptwarnanlage während unserer Arbeit umzuschalten. Dieses Signal kommt von Masterson. Es muss etwas schiefgegangen sein.«
Hakru warf dem Leutnant einen schwer zu deutenden Blick zu. Kilmacthomas verschloss den Helm.
»Ich muss zu Masterson, Sir«, sagte er.
Schnell entschlossen sagte Hakru: »Ich komme mit.«
Kilmacthomas verließ das Labor, ohne auf den Oberst zu warten. In der Luftschleuse traf er auf einen Trupp verstörter Männer. Major Lasalle war bei ihnen.
»Der Schacht, in dem Masterson arbeitete, ist eingestürzt«, rief er Kilmacthomas entgegen.
»Eingestürzt?«, wiederholte Kilmacthomas grimmig. »Nein, Sir, da irren Sie sich.« Das jungenhafte Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. Seine Blicke überflogen die Gruppe. »Wer bedient die Abstrahlanlage?«, erkundigte er sich.
»Sergeant Wallaby«, erwiderte Lasalle.
Kilmacthomas schob den Major einfach zur Seite, um schneller weiterzukommen. Außerhalb der Luftschleuse fand er den Sergeanten mit auf der Brust verschränkten Armen vor den Kontrollen der kleinen Kraftstation stehen.
»Wir müssen Masterson herausholen, Sir«, sagte er zu Kilmacthomas.
Mit einem Blick übersah Kilmacthomas die Maschine.
»Wer hat den Befehl gegeben, die Abstrahlanzeige abzuschalten?«, fragte er scharf.
Wallaby wurde unruhig. Er fühlte das Unheil auf sich zukommen und wusste nicht, wie er ihm ausweichen konnte.
Er deutete mit dem Daumen hinter sich. »Ich merkte, dass etwas nicht stimmte, Sir«, sagte er. »Die Kontrollen zeigten an, dass wir viel weniger Schmelzwasser ausstießen als normal. Schließlich sanken die Zeiger auf Nullwert.« Wallaby zuckte die Achseln. »Da habe ich vorsichtshalber abgeschaltet.«
Oberst Hakru sprang aus der Schleuse und kam auf die beiden Männer zu. Kilmacthomas beachtete ihn nicht. Selbst über den Helmfunk klang seine Stimme gefährlich ruhig, als er zu Wallaby sagte: »Wenn Sie nicht sofort mit der Wahrheit herausrücken, Sergeant, dann sorge ich dafür, dass Sie wegen Sabotage und zwölffachen Mordes vor Gericht gestellt werden.«
Unter der Sichtscheibe des Helmes verdunkelte sich Wallabys Gesicht. Die Arme des Sergeanten sanken nach unten. Hilfesuchend wandte er sich an Hakru.
»Los«, sagte der Oberst kühl. »Reden Sie, Wallaby.«
»Masterson teilte mir über Funk mit, dass er eine kurze Pause einlegen wollte«, begann Wallaby, und seine Stimme war vor Angst unsicher. »Da dachte ich mir, dass es wohl besser sei, die Anlage einen Augenblick abzuschalten, um sie zu schonen, denn Mastersons Truppe schmolz ja im Augenblick kein Eis ab.«
»Weiter!«, drängte Kilmacthomas den Sergeanten.
»Nach einer Weile meldete sich Masterson wieder und fragte, warum das Schmelzwasser plötzlich so schlecht abfließe. Da schaltete ich die Anlage wieder ein, aber sie funktionierte nicht.«
Leutnant Kilmacthomas stieß hörbar die Luft aus.
»Wir müssen etwas unternehmen, um Masterson zu befreien«, sagte Hakru. »Sie sind der Fachmann, Leutnant. Was tun wir jetzt?«
»Die wenigen Minuten, während der die Anlage nicht arbeitete, genügten, um den Kanal an der Oberfläche zufrieren zu lassen. Das Schmelzwasser bildete schnell eine harte Kruste. Als Masterson mit seinen Begleitern die mitgeführten Thermostrahler wieder einsetzte, konnte das Schmelzwasser nicht nach oben entweichen. Es staute sich im Gang hinter Masterson und fror die Gruppe ein.«
»Um Himmels willen«, stöhnte Hakru. »Wallaby, wenn den Männern etwas passiert ist, lasse ich Sie ohne Schutzanzug auf der Oberfläche aussetzen, Sie einfältiger Narr!«
Der Sergeant schluckte, wagte aber nicht, etwas zu sagen.
»Was nun?«, fragte Hakru. »Leben die Männer noch?«
»Wenn sie rechtzeitig die Strahler abgestellt haben, können sie noch am Leben sein«, meinte Kilmacthomas. »Allerdings spricht die Tatsache, dass sie sich nicht mehr melden, gegen diese Hoffnung.«
»Wallaby, lassen Sie Thermostrahler herbeischaffen. Wir werden die Gruppe Masterson suchen«, ordnete Hakru an.
Der Sergeant war froh, dass er sich zurückziehen konnte.
»Wir müssen noch damit warten, Sir«, schränkte Kilmacthomas ein. »Es muss vor allem der Kanal wieder freigebrannt werden.«
»Aber es geht um Menschenleben!«
Kilmacthomas sagte: »Sir, ich habe Erfahrung mit dem Eis. Glauben Sie nicht, dass ich zögern würde, sofort mit der Befreiungsaktion zu beginnen. Aber wir gefährden nur weitere Männer, wenn wir keinen Abgang für das Schmelzwasser schaffen.«
»Also gut«, resignierte Hakru. »Übernehmen Sie die Leitung der Rettungsaktion.«
»Danke, Sir«, nickte Kilmacthomas. Er hastete davon, um den Gravitationsbohrer bereit zu machen. Diesmal ging es erheblich schneller, da praktisch nur die Schicht an der Oberfläche zu durchstoßen war. Ungeduldig wartete Kilmacthomas, bis der Bohrer wieder im Kanal auftauchte.