Perry Rhodan 3134: Unternehmen Sternenstaub - Wim Vandemaan - E-Book

Perry Rhodan 3134: Unternehmen Sternenstaub E-Book

Wim Vandemaan

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Beschreibung

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2071 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem 6. Jahrtausend nach Christus, genauer dem Jahr 5658. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Als die Liga Freier Galaktiker durch drei Deserteure erfährt, dass in der Nachbarschaft der Milchstraße ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie unverzüglich ihr größtes Fernraumschiff, die RAS TSCHUBAI, unter dem Kommando von Perry Rhodan. Denn von FENERIK geht wahrscheinlich eine ungeheure Gefahr für die Galaxis aus. Rhodan begegnet in der kleinen Galaxis Cassiopeia den unterschiedlichsten Völkern und findet Spuren, die darauf hindeuten, dass dort der Chaoporter havariert ist – weil der Kosmokratenraumer LEUCHTKRAFT ihn gerammt hat. In der Milchstraße haben Beauftragte von ES, die Galaktischen Kastellane, Reginald Bull als denkbaren Kollaborateur mit den Mächten des Chaos aus seinem Amt entfernt und wollen die Liga für die Zukunft wappnen. Bull startet daher das UNTERNEHMEN STERNENSTAUB ...

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Cover

Wim Vandemaan: 5000 Romane

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Die Zeit ändert alles

2. Unter Drachen

3. Ein Hotel zum Träumen

4. Der über das Wasser wandelt

5. Im besten Diner von ganz Queens

6. Schwarz und Weiß

7. Goliath

8. Die Jurte am Fluss

9. Alte Freunde

10. Vor den Toren der Stadt

Epilog: Unternehmen Sternenstaub

Stellaris 83

Vorwort

»Im Dilatationsflug« von Olaf Brill

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

Wim Vandemaan:

5000 Romane

Die Nummer 3134 der PERRY RHODAN-Serie ist der 5000ste Roman, der im Perryversum spielt – jedenfalls dann, wenn man alle Geschichten zusammenzählt: die Heftromane der Haupt- und die der Schwesterserie ATLAN, die Bände der verschiedenen Miniserien, die Planetenromane und die in anderen Verlagen erschienenen Taschenbücher, die abgeschlossenen E-Book-Romane, die »Kosmos-Chroniken« und natürlich die mittlerweile über 250 Romane der PERRY RHODAN NEO-Serie, allesamt Beiträge zum lange schon größten Erzählkosmos der Weltliteratur.

5000 Romane in beachtlicher Auflage – dazu ein paar Zahlenspielereien. Würde man alle Bücher und Hefte am Äquator von Rhodans Heimatwelt Terra zusammenlegen, würde das Band den Planeten 60-mal umrunden! Schnurgerade hintereinander aufgereiht, würden die Hefte bis zum Mond reichen, und zwar genau bis zu dem Krater, in dem im ersten Roman der Arkonidenkreuzer notlanden muss, um Rhodan den Weg zu den Sternen zu öffnen.

Würde man 85 Jahre lang jede Woche so viele Romane lesen, wie die Serie an Jahren alt ist – somit 60 Jahre –, hätte man am 8. Juni 1936 damit beginnen müssen, um bis heute sämtliche Romane gelesen zu haben. Am Geburtstag der Hauptperson Perry Rhodan also!

Zufall? Wohl kaum, schließlich habe ich mir all diese Zahlenspielereien einfach ausgedacht.

Ausgedacht ist eben auch dieses Perryversum: von inzwischen Dutzenden deutschsprachigen Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA, betreut von Generationen von Redakteuren und Lektoren, ins Bild gesetzt von Titelbild- und Risszeichnern, gelesen, geliebt, gescholten und immer wieder neu begeistert von zahllosen Leserinnen und Lesern, deren sachkundige Kritik die Serie nicht nur einmal in neue Bahnen gelenkt hat.

In den ersten Jahrzehnten seiner Karriere hieß PERRY RHODAN im Untertitel »Der Erbe des Universums«. Das gab hin und wieder Anlass zu augenzwinkernden Nachfragen. Von wem genau unser Mann im All denn das Universum zu erben gedenke? Wer das entsprechende Testament als Zeuge unterschreibe? An wen und in welcher Höhe Rhodan die fällige Erbschaftssteuer zu zahlen gedenke?

Der Untertitel ist seit einiger Zeit verschwunden – ich vermute: nicht aus erbrechtlichen Gründen.

Literaturgeschichtler verweisen darauf, dass im Untertitel »Erbe des Universums« der »Erbe von Atlantis« nachhallt, ein Titel des Helden der phantastischen Vorkriegsserie »Sun Koh«. Für die Leser und die wenigen Leserinnen der frühen 1960er-Jahre klang »Der Erbe des Universums« deswegen entsprechend verheißungsvoll.

Nun ist der Ruhm des alten Heftromanhelden Sun Koh verblasst. Also hat man den Universalerben aus dem Titelkasten genommen. Schade eigentlich. Im Band 3 des großen Deutschen Wörterbuchs der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm heißt es beim Stichwort »Erbe«: »erbe kann (...) einfach die vorstellung von sohn und kind enthalten«.

Demnach wäre Perry Rhodan das Kind des Universums – seines Universums, dessen Geschichte und dessen Sternkarten, dessen Naturgesetze und darauf beruhende technische Möglichkeiten sich geringfügig von denen unseres Kosmos unterscheiden.

Im Kern aber ist und bleibt Perry Rhodan, was wir sind und bleiben: ein Mensch mit menschlichen Stärken und Schwächen, Sorgen und Sehnsüchten.

Und manchmal ist er darüber hinaus so, wie wir uns zu sein wünschen: ein guter Freund.

Ein Mensch, der den Mut hat, aus Fehlern zu lernen. Ein Unruhestifter dort, wo die Mehrheit meint, sich mit Unrecht abfinden zu sollen. Jemand, den auch nach 5000 Romanen noch eine gewisse Sehnsucht dorthin treibt, wohin die Menschen streben, seit es Menschen gibt: über sich selbst hinaus. Zu den Sternen.

Ad Astra!

Nr. 3134

Unternehmen Sternenstaub

Er kam aus den Tiefen des Universums – niemand hatte mit ihm gerechnet

Wim Vandemaan

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2071 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem 6. Jahrtausend nach Christus, genauer dem Jahr 5658. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.

Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.

Als die Liga Freier Galaktiker durch drei Deserteure erfährt, dass in der Nachbarschaft der Milchstraße ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie unverzüglich ihr größtes Fernraumschiff, die RAS TSCHUBAI, unter dem Kommando von Perry Rhodan. Denn von FENERIK geht wahrscheinlich eine ungeheure Gefahr für die Galaxis aus. Rhodan begegnet in der kleinen Galaxis Cassiopeia den unterschiedlichsten Völkern und findet Spuren, die darauf hindeuten, dass dort der Chaoporter havariert ist – weil der Kosmokratenraumer LEUCHTKRAFT ihn gerammt hat.

In der Milchstraße haben Beauftragte von ES, die Galaktischen Kastellane, Reginald Bull als denkbaren Kollaborateur mit den Mächten des Chaos aus seinem Amt entfernt und wollen die Liga für die Zukunft wappnen. Bull startet daher das UNTERNEHMEN STERNENSTAUB ...

Die Hauptpersonen des Romans

Reginald Bull – Der Zellaktivatorträger rettet einen Trox.

Madison Pasquotank – Eine junge Frau aus Queens begegnet einem Sitzpilz.

Sälsinde – Der Trox begegnet einem Bumerang.

Goliath

1.

Die Zeit ändert alles

Der Mann mit den lackschwarzen Haaren saß allein am Tisch. Er war nicht der einzige Gast im Stardust Pub, aber so früh am Abend standen noch etliche Tische leer. Der Mann hatte das Glas mit beiden Händen umfasst. Das Lied, dem er zuhörte, war alt, obwohl die Stimme des Sängers jung klang. Aber die ursprüngliche Sprache, in der er sang, war schon vor Jahrhunderten im Interkosmo aufgegangen.

»Away from home,

Away from home,

Cold and tired

And all alone.

Yes, I'm 500 miles

Away from home ... «

Die Zeit ändert alles, dachte der Mann. Vom Staatschef zum Exilanten in einem Wimpernschlag.

Ein wenig länger als einen Wimpernschlag hatte Alschoran allerdings benötigt, ihn aus dem Amt zu drängen. Dass und wie er es geschafft hatte – Respekt! Um eine solche Eleganz hätten ihn Katharina die Große, Napoleon Bonaparte oder Shalmon Dabrifa gewiss beneidet. Alles wirkte so vollkommen in sich logisch, sobald man es geschafft hatte, einige Axiome im Denken zu verankern.

Das vom chaotarchisch geprägten Zellaktivator, beispielsweise ...

Das war der Dreh- und Angelpunkt aller Argumentationen gewesen, und weil niemals jemand Genaueres über dessen Bedeutung herausgefunden hatte, blieben der Spekulation Tür und Tor geöffnet.

Ja, die Kastellane von ES hatten es geschafft: Sie herrschten über Terra, das Solsystem und die gesamte Liga, Reginald Bull als mächtiger und erfahrener Korrektor war ausgeschaltet.

In diesem Glauben wollte er die Galaktischen Kastellane jedenfalls vorerst lassen.

Er strich sich kurz über die Haare, die sich anders anfühlten, beinahe elektrisch. An der Wand des Pubs hingen Holos mit bewegten Unterwasserszenerien. In einem davon marschierte eine Prozession von Langusten über den Meeresboden. Auf einem anderen fuhr ein hell erleuchtetes gläsernes Tauchboot durch die submarine Finsternis, umschwirrt von einigen neugierigen Winterrochen; aus dem Boot winkten zwei Kinder dem Betrachter zu.

»Away from home, Away from home,

Cold and tired

And all alone.«

500 Meilen! Ob Alschoran und seine Clique von Kastellanen ihn mittlerweile weiter weg vermuten würden? Außerhalb des Solsystems? Weitab vom Schuss?

Er hatte sehr wohl beobachtet, dass die Kastellane ihre Macht bereits ausnutzten, und es erfüllte ihn mit Unbehagen, welche Verbündeten sie gefunden hatten: Es schien, als tauchten überall – zu kurz, um von der Öffentlichkeit bemerkt zu werden – Ylanten auf, jene geheimnisvollen Kinder NATHANS. Und sie hielten Ausschau.

Nach Reginald Bull.

Wie Spürhunde, die ein Gelände für ihre Herren sicherten. Nicht von ungefähr war einer der Kastellane schließlich offizieller Ansprechpartner für Ylantenfragen geworden. Da musste man nicht nachhaken, wessen Agenda sie aktuell folgten.

Ich hätte mich selbst früher und eingehender mit ihnen befassen müssen, dachte der Mann.

Aber die Chance war vertan.

Immerhin: Terra war groß, sogar für Ylanten. Und er konnte nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, dass die Treue der Ylanten in letzter Instanz NATHAN galt und dessen Loyalität der Menschheit. Wie weit war ihre Kooperation mit den Kastellanen Teil eines Täuschungsmanövers?

Der Mann seufzte leise, hob das Glas und nahm einen Schluck. Das Craft Beer schmeckte erfrischend bitter und war hinreichend kalt. Peter Kunst & Family Old German Style Craft Beer las er vom Holo des Glases ab.

Ziel seines Planes war es gewesen, sich aus der Schusslinie zu nehmen, dadurch freiere Hand zu bekommen, als es ihm unter unmittelbarer Kontrolle der Galaktischen Kastellane möglich gewesen wäre. Weiterhin die Fäden ziehen zu können.

Aber die Fäden hatten sich wundersam vermehrt, und es wurde immer schwieriger zu durchschauen, wer wen am Faden führte. Ein Netzwerk von Fäden, einer die Marionette des anderen.

»Cold and tired and all alone.«

Er warf einen Blick auf die Jukebox, die einer archaischen Seeburg Select-o-matic täuschend ähnlich sah. Eine junge Frau, die dort stand, nickte im melancholischen Takt des Liedes. Sie hielt die Arme auf die in allen Farben leuchtende Box gestützt, das eine Bein gestreckt, das andere leicht angewinkelt, der nackte Fuß auf die Zehenspitzen gestellt. Als hätte sie seinen Blick bemerkt, drehte sie sich zu ihm um. »Verstehst du, was sie singen? Ich nicht.« Sie tippte kurz auf den Pospoint an ihrer linken Schläfe. »Das Ding ist getraitort.«

Getraitort sagten die jungen Leute im Solsystem, wenn etwas außer Betrieb war, vernichtet, restlos zerstört. Dabei hatten sie die Invasion TRAITORS gar nicht selbst erlebt. Die Glücklichen. Ihm hingegen stiegen Erinnerungen auf, die er lieber unterdrückt hätte. Aber TRAITOR war fort. Eines Tages würden auch die Kastellane fort sein. Und eines anderen, hoffentlich fernen, Tages, auch er.

Der Mann nickte langsam. »Sicher. Es geht um einen Mann, der weit weg ist von zu Hause. Fünfhundert Meilen.«

»Was ist eine Meile? Eine Art Lichtjahr? Ein Parsec?«

»Etwas weniger«, sagte der Mann. »Oder etwas mehr. Je nachdem«

»Klingt ziemlich Einstein«, murmelte die junge Frau.

»Es ist ein präastronautisches Lied«, sagte der Mann, als wäre das die Erklärung. Hinter der Frontscheibe des Lokals begann die Nacht. Die Skyline der Stadt erhob sich in der Ferne mit ihren komplizierten Lichtmosaiken: die restaurierte alte Filiale der vergangenen General Cosmic Company, deren Dach ein stilisiertes Paar Hände zeigte, von denen die eine Hand gab und die andere nahm; die Bank der Baale mit den seit Jahrhunderten brennenden Statuen auf den Ecken des pentagonalen Dachs; das 111 Stockwerke hohe Haus der Weganischen Gilde, errichtet aus unglaublich beständigem ferronischen Kupferholz, eines der ältesten Gebäude New Yorks, erbaut anno 2021 alter Zeitrechnung; der Khasurn der Zoltrals am Ufer des East-Rivers, der, wie die eingeborenen New Yorker wussten, kein Fluss, sondern ein Arm des Atlantiks war; die unverwüstliche Brooklyn Bridge mit den gotischen Bögen; das aus selbstleuchtendem Glassit gefertigte Generalkonsulat der Herrlichkeit von Gatas mit dem künstlerisch ausgestalteten Antlitz der Purpurnen Kreatur des Gleichmuts, das, wie ihm schien, in dieser Nacht besonders nachsichtig in die Straßen von Manhattan schaute.

Der Himmel über der Skyline war schwarz; der Mond wie eine Scheibe aus Elfenbein, der letzte Spielstein eines verlorenen Spiels.

Die junge Frau stieß sich von der Musikbox ab, griff mit der einen Hand nach dem Glas und tänzelte, immer noch im Takt, zu dem Mann hinüber. Die andere Hand hatte sie zu einer Faust geballt.

»Darf ich mich setzen?«

Der Mann überlegte kurz und machte dann eine einladende Bewegung. Sie stellte ihr Glas auf den Tisch wie eine Eroberin ihre Standarte und setzte sich. Ein Aroma wie von Himbeeren und Fichtennadeln ging von ihr aus. In ihrem honigfarbenen Haar wanden sich ein paar Lichtfäden und versprühten rote, grüne und goldene Sterne. Der Mann sah, dass in ihrem Glas ein daumennagelgroßer, breitmäuliger Fisch schwamm, aber ohne Wellen zu werfen – ein Holo.

Sie legte die Faust auf die Tischplatte und öffnete sie. In ihrer Hand lag eine Münze, die sie von der Jukebox mitgebracht haben musste. Sie betrachtete die metallene Scheibe, das Relikt einer verschollenen Epoche, in der Geld im Alltag eine prominente Rolle gespielt hatte. Der Mann erkannte, dass es ein Dime aus Silber war mit dem Porträt Franklin D. Roosevelts. In seinen jungen Jahren hatte er seine Comics mit Dimes bezahlt, die der Gott Merkur zierte. FDR – auf den hatte seine Mutter größere Stücke gehalten als auf antike Götter.

Für die junge Frau mussten Berichte aus den Zeiten, in denen es solche Metallplättchen oder bedruckte Banknoten gebraucht hatte, um jenen Schimmer von Luxus zu leben, ohne den der Mensch das Leben einer knötterigen Waldameise führte, fern und finster klingen, voller albtraumhafter Spukgestalten wie Baba Jaga, Trolle, Ghule, Dschinns und anderer Kreaturen aus rauchlosem Feuer.

Das Mädchen fragte: »Wie heißt du?«

Sie hatte strahlend blaue Augen – wie Shinae. Seine Hände legten sich für einen Moment fester um das Glas voll Craft Beer. »Sagen wir: Joseph.«

»Nun, wenn wir so sagen ... Ich bin Madison«, stellte sie sich vor, legte die Handflächen aneinander und verneigte sich kurz und ernst.

»Madison?« Er lachte.

»Hab ich einen Witz verpasst?«, fragte sie.

»Madison«, wiederholte er. »Das ist der Name meiner Schwester.«

»Wo ist deine Schwester?«

»Nicht zu Hause«, sagte er. »Weit weg.«

»Fünfhundert Lichtmeilen?«

Er machte eine unbestimmte Geste. »Ungefähr.«

»Madison Pasquotank«, ergänzte sie.

»Pasquotank – wie der Landkreis? North Carolina? Elizabeth City?«

Sie zog fragend die Brauen hoch. »Keine Ahnung, wovon du redest.«

Der Mann hatte an seinen Vater nur wenige, aber dafür merkwürdig deutliche Erinnerungen. Er war noch ein kleines Kind gewesen, als sein Vater in einem präastronautischen Krieg ermordet worden war. Seine Mutter, Belle, wie der Vater sie nannte, hatte einige Monate nach der Trauerfeier mit ihm und Madison einen entfernten Verwandten ihres Mannes besucht, der in Elizabeth City wohnte – einen Vetter fünfhundertsten Grades, wie Belle gespottet hatte. Der Besuch stand ihm immer noch lebhaft vor Augen: der lautstarke und joviale Big Mouth Mike beziehungsweise Michael; unfähig, seine Trauer zu zeigen; die geschnitzte Indianerfigur an der Eingangstür seines Hauses; die wie Basketbälle herumhüpfenden und kläffenden Beagles namens Chinga und Uncas.

Dass dieses Kläffen immer noch nachhallte ... durch die Jahrtausende.

Madison zeigte auf die Jukebox, aus der die äonenalte, jugendliche Stimme von Bobby Bare klang. »Übersetzt du es mir?«

Der Mann nickte. »Es ist ein Lied gegen den Krieg. Ein Sohn ist irgendwo an irgendeiner Front und weiß, dass seine Mutter ihn vermisst.«

»Kommt er heil zurück, aus diesem Krieg?«, fragte Madison. In ihrem Haar versuchten zwei Lichtfäden gerade ein kompliziertes wechselseitiges Ausweichmanöver. Es misslang. Sie kollidierten. Blaue Funken sprühten durch ihre Frisur wie in einem Miniaturfeuerwerk.

Der Mann zuckte mit der Achsel. »Keine Ahnung. Vielleicht. Er stellt sich jedenfalls vor, wie es sein wird, wenn er endlich zurückkehrt. Er geht die alte Straße, aber sie sieht anders aus, als er sie in Erinnerung hat. Er selbst sieht auch anders aus, schätzt er. Denn die Zeit verändert alles. Cause time changes everything.«

»Das ist wahr«, sagte das Mädchen ein wenig altklug. »Du sprichst diese Sprache wirklich?«

Er nickte.

»Wieso kannst du so etwas? Bist du Spracharchäologe?«

»Ich bin gelernter Elektroingenieur. Aber außer Dienst.«

»Dann hast du dir diese Ursprache hypnotronisch eingeSEMTet?«

»Nein. Ich habe sie von meinen Eltern gelernt.«

»Echt? Nathan!« Sie nippte von ihrem Getränk. »Ich spreche übrigens ein wenig Topsidisch. Hör zu: Wrnech kosdriysh g'vretnon.«

»Das tut mir aber leid.« Der Mann unterdrückte ein Lachen.

Madison hob die Augenbrauen. »Was habe ich denn gesagt?«

»Dass dir nicht gestattet ist, zur Toilette zu gehen – oder zur Endablage, wörtlich übersetzt.«

»Sicher sprichst du Topsidisch auch von deiner Mutter?«

Er schüttelte den Kopf.

Madison fragte: »Kommst du von dyodrüben?«

Er schüttelte weiter den Kopf.

»Meine Eltern sind von Plophos«, sagte sie. »Aber daran habe ich keine Erinnerung mehr. Ich kenne übrigens etliche Dyos von dyodrüben.«

Die schwere Holztür zum Pub ging quietschend und knarrend auf; eine Gruppe von lärmenden Terranern und Arkoniden drängte ins Lokal; junge Leute. Man lachte und puffte sich mit den Ellenbogen in die Seiten.

Im Gefolge der Menschen wehte es eine exotische Gestalt herein, eine Art zusammengeknäultes Spinngewebe auf sechs bleistiftdünnen Beinchen. Der Körper wirkte auf eigentümliche Weise durchsichtig; man konnte die Umrisse und Tönungen der inneren Organe sehen. Zu einem Teil wurde er von einer ockerfarbenen, schlauchförmigen Schärpe bedeckt. Im oberen Drittel der Schärpe entdeckte Bull einen Gürtel, an dem ein kleiner Beutel hing. Aus der Schulter wuchsen zwei dürre Ärmchen, die in diesem Wirrwarr von Menschen nach Halt suchten. Aus dem kleinen, nur wenig mehr als faustgroßen Kopf lugte ein rotes Auge zugleich neugierig und bange in den Raum. Ein Trox, dachte der Mann erstaunt.

Ein seltener Gast auf Terra.

Ein seltener Gast überall.

»Ich bin von hier«, antwortete der Mann endlich der jungen Frau.

Madison zog die Stirn kraus. »Hier im Sinne von ...?«

»Hier im Sinne von genau hier«, sagte er und machte eine umfassende Bewegung.

»Du meinst New York?«, fragte Madison.

»Ich meine Queens.«

»Yohoho«, machte sie. »Queens! Du hast es ja weit gebracht, Sitzpilz!«

»Tja«, sagte er. »Wie man's nimmt.«

»Warst du überhaupt schon mal irgendwo? Da oben, zum Beispiel?« Sie zeigte auf den Mond, der über den erleuchteten Häusern stand wie ein helles Siegel auf einem schwarzen Brief.

»Ja. Da bin ich tatsächlich schon mal gewesen.« Er schloss kurz die Augen.

»Ist aber eine Weile her?«, fragte Madison.

»Eine Weile.«

Sie musterte ihn nachdenklich, schwieg aber.

»Was ist mit deinem positronischen Point passiert?«, wollte er wissen. Viele junge Leute trugen einen Pospoint, diese Mischung aus Miniaturpositronik, Omnithek, Translator, Tagebuch, Schmuckstück und Lebensberater.

Sie wedelte unwillig mit der Hand. »Getraitort. Gehackt. Von bösen Buben.«

»Funktioniert denn seine Autoreparaturroutine nicht?«

»Du ahnst ja nicht, wie böse die bösen Buben sein können.« Sie seufzte. »Woher auch? In einem friedlichen Städtchen wie New York lebt man hinter dem Mond. Und ein böser Bube bist du selbst keiner. Oder?« Sie stemmte die Ellenbogen auf den Tisch, stützte das Kinn auf die verschränkten Hände und sah ihn mit einem strahlenden Lächeln an.

Er erwiderte das Lächeln eher matt. Er hatte es in seinem Leben durchaus mit bösen Buben zu tun gehabt, hin und wieder.

»Wobei manche von diesen bösen Buben eher bittersüß sind«, klärte Madison ihn auf. »Traitorant in den Manieren, aber vom Geschmack her ... Pişmaniye!«

Pişmaniye. Seit der Rückkehr so vieler Terraner von der anderen Seite des Dyoversums hatten viele Jugendliche begonnen – die Dorfjugend von Terrania, wie Gucky gutmütig spöttelte –, Worte aus archäoterranischen Sprachen auszugraben und in das Gegenwarts-Interkosmo einzubringen. Warum? Keine Ahnung. Es beliebte halt dem Geist der Sprache.

Eine ulkige Aktion des Trox riss ihn aus seinen Gedanken. Das ätherische Wesen schnellte mit einem Satz an die Decke und blieb dort haften wie eine Seifenflocke, die ein heftiger Windstoß in die Höhe geblasen hatte. Die Schwerkraft schien für ihn eine Ausnahme zu machen.

Die Gruppe seiner Begleiter lachte; einer von ihnen rief: »Immer oben bleiben, Edelmann!«

Der Trox griff mit den zweigdürren Fingerchen einer Hand in den Beutel, den er an einem um den federleichten Leib geschlungenen Gürtel trug, und warf gleich darauf eine Handvoll Staub in die Luft des Pubs. Die Partikel glitzerten wie ein Schneeschauer aus Weißgold, hielten sich in der Luft, formierten sich und wechselten plötzlich die Farbe. Ein winziger Tryortan-Schlund schien sich unter der Decke der Wirtschaft aufzutun, rostrot, die Ränder von schwarzen Blitzen umzüngelt. Der Anblick war verblüffend wirklichkeitsgetreu.

Der Mann ertappte sich dabei, wie er den Atem anhielt.

»Hou!«, rief irgendwer. Andere lachten, andere applaudierten. Dann erlosch das Bild. Wohin war der Staub verschwunden?

Die Terraner und Arkoniden juchzten. »Du bist ein wahrer Edelmann!«, rief einer von ihnen. Die anderen fielen im Chor ein: »Edelmann, Edelmann!«

Der Trox neigte dankbar, fast beschämt, das Köpfchen.

Bobby Bare kam ans Ende seines Vortrags, war aber nach wie vor 500 Meilen fern von zu Haus.

Madison federte von ihrem Sitz hoch. »Willst du tanzen, Joseph? Soll ich etwas Neues für uns auflegen?« Sie hielt ihm den Dime vor die Augen.

»Zu welcher Musik? Was hörst du denn so?«

»Was man so hört. Heißspornistas. Pralininnen und Pralinen. Auf Shakuntalas Schaukel. Brizz also«, sagte sie. »Überwiegend jedenfalls. Manchmal S'sö. Meistens aber Brizz.«

Der Mann schloss kurz die Augen und rief sich Bilder von Brizz-Tänzern in Erinnerung mit ihren codierten Kunde-Bewegungen der Arme, Hände und Finger; eine Sprache für sich, exklusiv, rhythmische Hieroglyphen in schnell wechselnden Takten.

»Ich bin aber nicht kundig«, sagte er.

»Ich bringe dir die Kunde bei«, versprach sie. »Wenigstens die Grund-Brié. Ist auch nicht schwieriger als Topsidisch.« Sie bildete mit dem Daumen und dem Zeigefinger der rechten Hand einen Kreis. »Ja«, übersetzte sie das Bri. Dann spreizte sie Daumen und Zeigefinger weit voneinander ab. Das Bri für »Nein.«

Die Handsprache der Thesanit, dachte der Mann. Merkwürdigerweise war aus der Lasha Zemina Paath in den letzten Jahren eine Figur der Populärkultur geworden. Eltern nannten ihre Töchter Zemina; es galt als schick, Hou! zu rufen, wenn man sein Erstaunen ausdrücken wollte.

Madison bewegte die Finger, die Zeichenfolgen wurden komplexer. Sie übersetzte Bri-é: »Sei kein Sitzpilz.«

Der Sitzpilz seufzte. »Ich fürchte, ich bin zu alt dafür.«

»Zu alt?« Sie zog die Stirn kraus. »Wie alt bist du? Dreißig? Vierzig? Tausend?«

Er lächelte. Biologisch betrachtet war er 37 Jahre alt. Tatsächlich war er ein wenig älter, als er aussah. Vor einigen Wochen, im Mai des Jahres 2071 NGZ, hatte er seinen 3720. Geburtstag gefeiert. Im kleinen Rahmen. Ein paar Tage später hatten sich die Ereignisse überschlagen: Die Kluft beim Tannhäusersystem hatte sich aufgetan und wieder geschlossen; die drei Deserteure aus dem Chaoporter hatten um Asyl gebeten; das rätselhafte Mars-Ereignis mit den bekannten Folgen. Die politische Umgruppierung auf Betreiben der Galaktischen Kastellane.

Sein Start mit der THORA. Wie sich das Hangartor vor ihm geöffnet und das Katapult die Raumlinse hinausgeschleudert hatte, ohne Antrieb, ohne aktivierten Andruckabsorber. Wie er die entsprechenden Geräte seines Slender-SERUNS ausgeschaltet hatte. Wie die THORA verschwunden war, offiziell, um den Residenten fortzuschaffen, irgendwohin, wohin er wollte.

Was hatte Alschoran gefragt, mit seiner sonoren, fast väterlich besorgten Stimme? »New Lakota? Das liegt fast fünfzehntausend Lichtjahre von hier, nicht wahr? Eine eher dünn besiedelte Welt. Wird es dir dort gut gehen?«

»Es ist das Paradies«, hatte er dem Kastellan geantwortet. »Komm doch mit.«

Alschoran hatte gelacht wie über einen gelungenen Witz. Fast hatte Bull erwartet, dass der Ase ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte.

Bull hatte keinen Zweifel, dass die Kastellane ihre Spione an Bord der THORA platziert hatten. Das Schiff würde bei Chalmers Welt einen Zwischenstopp einlegen, an der Peripherie zum Sternenreich der Topsider – Sternengelege nannten sie es mittlerweile, auch so ein Begriff, der es in diesen Zweig des Dyoversums geschafft hatte und die alte Bezeichnung für die Einflusssphäre Topsids zunehmend ersetzte. Auffällig unauffällig würde eine Space-Jet ausgeschleust werden, und Holger Bendisson, der Kommandant der THORA, würde ein auffällig unauffälliges Gespräch mit dem Piloten und einzigem Passagier der Jet führen. Als Antwort würde man eine Stimme hören, die Stimme des entlassenen Residenten, die mit unterdrückter Wut der THORA eine gute Reise, Alschoran und seine Handvoll galaktischer Siebenschlafmützen zur Hölle wünschte.

Ob das genug Theater war, um den Asen und seine Kastellane zu täuschen?

»Sag schon: Habe ich gewonnen?«, fragte Madison.

»Mit meinem Alter?«

Sie nickte, das Kinn immer noch auf den verschränkten Händen.