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4000 Jahre in der Zukunft … die Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Die Menschen leben in Frieden und Freiheit. Ihr Netz aus Handelsbeziehungen und Bündnissen umfasst zahlreiche Planeten in der Milchstraße. Perry Rhodan träumt darüber hinaus von einem Bündnis, das mehrere Galaxien umfassen könnte – der Bund von San. Diese Vision rückt näher. Mit dem PHOENIX haben die Menschen einen neuen Raumschiffstyp entwickelt, der sich als Kurierschiff eignen soll, das den riesigen Abgrund zwischen den Sterneninseln überwinden kann. Dann taucht jedoch eine Fremde auf Terra auf. Sie nennt sich Shrell und fordert von Perry Rhodan, in die Agolei zu reisen, ein weit entferntes Sternenband, und dort seinen ältesten Freund zu töten: Reginald Bull. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, erschafft sie drei Anomalien, die man als Brennendes Nichts bezeichnet. Sie werden die Erde und den Mond vernichten, falls Rhodan nicht gehorcht. Notgedrungen begibt sich Rhodan auf den Weg zur Agolei, wo die Vielvölkerkultur der Leun lebt. Shrell fliegt ebenfalls dorthin, begleitet von Sichu Dorksteiger. Die beiden sehen DIE GEISTER DER AGOLEI …
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Nr. 3315
Die Geister der Agolei
Sie kamen aus dem Nichts – nie hatte man mit ihnen gerechnet
Olaf Brill
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
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Leserkontaktseite
Glossar
Risszeichnung BENU
Impressum
4000 Jahre in der Zukunft ... die Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Die Menschen leben in Frieden und Freiheit. Ihr Netz aus Handelsbeziehungen und Bündnissen umfasst zahlreiche Planeten in der Milchstraße. Perry Rhodan träumt darüber hinaus von einem Bündnis, das mehrere Galaxien umfassen könnte – der Bund von San.
Diese Vision rückt näher. Mit dem PHOENIX haben die Menschen einen neuen Raumschiffstyp entwickelt, der sich als Kurierschiff eignen soll, das den riesigen Abgrund zwischen den Sterneninseln überwinden kann.
Dann taucht jedoch eine Fremde auf Terra auf. Sie nennt sich Shrell und fordert von Perry Rhodan, in die Agolei zu reisen, ein weit entferntes Sternenband, und dort seinen ältesten Freund zu töten: Reginald Bull. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, erschafft sie drei Anomalien, die man als Brennendes Nichts bezeichnet. Sie werden die Erde und den Mond vernichten, falls Rhodan nicht gehorcht.
Notgedrungen begibt sich Rhodan auf den Weg zur Agolei, wo die Vielvölkerkultur der Leun lebt. Shrell fliegt ebenfalls dorthin, begleitet von Sichu Dorksteiger. Die beiden sehen DIE GEISTER DER AGOLEI ...
Sichu Dorksteiger – Die Ator ist eine Gefangene an Bord der ELDA-RON.
Shrell – Die Wüko-Leun ist auf der Suche nach einem alten Verbündeten.
Znirk – Die junge Luarrig begegnet den Geistern der Agolei.
Sirrgo, Fenkir und Rak – Znirks Gefährten erkunden ein fremdes Raumschiff.
Vingad
Wenn es Nacht wurde über Narrios, saß Znirk gerne auf dem großen Hügel vor der Stadt.
Sie starrte dann mit all ihren Augen zum Himmel und zählte die Lichtpunkte der Agolei.
Manchmal fiel sogar das Licht eines Planeten in eines von Znirks vielen Tausend Einzelaugen. Sie wusste selbstverständlich, dass die Planeten nicht von selbst leuchteten wie die Sterne und dass sie in Wahrheit viel kleiner als Sterne waren, selbst wenn sie in der Nacht so viel heller strahlten. Fenkir, Rak oder Sirrgo hätten sicher sofort ihre gekritzelten Tabellen herausgeholt und nachgewiesen, wo gerade welcher Planet stand und wie die Sterne im Einzelnen hießen.
Aber all das wollte Znirk gar nicht wissen.
Es genügte ihr, dazusitzen und hochzuschauen auf das Sternenmeer.
Manchmal in einer klaren Nacht konnte sie Sternschnuppen sehen. Das waren Steine aus dem Weltraum, die auf Narrios fielen. Sobald sie in die Lufthülle des Planeten traten, glühten sie auf und zogen für kurze Zeit einen Schweif hinter sich her. So hatte es Sirrgo erklärt. Für Znirk waren es Wundersterne.
Der Herbst endete bald, und Znirk freute sich auf den Winter, der in diesem Teil der Welt immer mild verlief. Es gab sogar Blumen, die selbst in dieser Jahreszeit blühten. Aber im Winter legte sich die Nacht schneller über das Land, und deswegen hatte Znirk umso mehr Zeit, auf ihrem Lieblingshügel zu sitzen. Er war so hoch und breit, dass – wenn Znirk auf der anderen Seite saß – die Lichter der Stadt die strahlenden Sterne nicht überdeckten. Unten in der Stadt am Fluss, inmitten der Laternen und der Lichter von den Häusern hatte sie noch nie eine Sternschnuppe gesehen.
Je länger Znirk dasaß, desto reicher wurde das Bild der Sterne. Ihr Licht brannte sich in jedes einzelne von Znirks Augen, und sie bemerkte die kleinste Veränderung. Einmal hatte ein Gnookikäfer sie genarrt, der hoch am Himmel durch die Nacht getanzt war. Sie hatte ihn für ein fernes Gestirn gehalten, das vom Weg abgekommen war. Aber das war vor langer Zeit gewesen, als sie noch ein kleiner Sling war. Inzwischen war Znirk fast ausgewachsen, und es fiel ihr leicht, Insekten von Sternen zu unterscheiden.
Während sie noch so daran dachte, bemerkte sie eine kleine Veränderung in der Ferne.
Da war ein Stern, der nicht tat, was er tun sollte.
Das war kein Gnookikäfer. So viel war ihr sofort klar.
Er war ein Objekt weit draußen im Weltraum.
Und es tanzte über den Himmel.
*
Auf allen zehn Beinen krabbelte Znirk den Hügel hinunter, hinab zur Stadt der Luarrig. Es war ein weiter Weg, und Znirk war außer Atem, als sie unten ankam.
Dort erloschen allmählich die letzten Lichter in den wuchtigen Häusern, in denen die Luarrig lebten. Die älteren Luarrig zogen sich zur Ruhephase zurück, in der sie die Zusatzklauen aus ihren Beinen ausfuhren und sich in den Schlafmulden an der Decke verhakten, ganz wie in der Zeit, als die Luarrig noch in Höhlen gehaust hatten. Es gab noch einige dieser alten Höhlen. Sie lagen tief unter der Stadt.
An Nachtruhe dachte kein junger Luarrig, der kein Sling mehr war und noch keiner der Alten. Sie hatten schon ihre erwachsenen Farben, so wie Znirk, über deren schwarzes Fell sich wellenförmige blaue Linien zogen. Und sie ratterten mit diesen neuen motorbetriebenen Fahrzeugen, die jüngst in Mode gekommen waren, durch die Straßen. Dabei machten sie einen irrsinnigen Krach.
Es wunderte Znirk nicht, dass sie die Jungs in einem von diesen Dingern sah, wie sie ohne Ziel um die Ecken flitzten. Fenkir, Rak und Sirrgo ergötzten sich seit eh und je an den neuesten technischen Spielereien, sie waren überdies irrsinnige Angeber. Für manche der ausgewachsenen Luarrig waren sie die Schrecken der Stadt. Aber sie waren begabte Bastler und kannten sich mit wissenschaftlichem Kram aus. Bevorzugt solchem, mit dessen Hilfe sie irgendein grauenhaftes Gerät zusammenbauen konnten. Znirk musste eben mit den Freunden vorliebnehmen, die das Leben ihr bot.
Sie stieß einen schrillen Pfiff aus und winkte wie wild mit zweien ihrer vorderen Beine.
Aber natürlich kümmerte es die Jungs nicht, wer da am Straßenrand stand und versuchte, auf sich aufmerksam zu machen. Sie brausten an ihr vorbei, und weg waren sie.
Zu Znirks Überraschung kam das Höllengerät nach kurzer Zeit hinter ihr mit knatternden Auspuffen zu stehen.
Sie richtete sämtliche Einzelaugen auf das seltsame Gefährt, das kaum mehr war als ein aus zahlreichen Einzelteilen gefertigtes Fahrgestell mit Sitzen und Rädern. »Was ist das denn? Habt ihr das aus altem Schrott zusammengebaut?«
»Das ist ein richtiges Geschoss!«, schwärmte Fenkir, zweifellos der Hauptingenieur des Höllengeräts. »Total stabil. Damit fahren wir dich einmal um den ganzen Planeten!«
Znirk prustete. »Es ist ein Wunder, dass ihr euch damit nicht in die Luft gesprengt habt, Jungs. Außerdem könnt ihr mit einem Landfahrzeug gar nicht um den Planeten kommen. Habt ihr die Meere vergessen?«
Von einem Moment auf den anderen fiel Znirk wieder ein, warum sie zur Stadt zurückgekommen war. »Ich hab da was gesehen, Jungs. Das müsst ihr euch ansehen! Oben auf dem Hügel.«
»Etwas gesehen?«, fragte Sirrgo und hüpfte elegant aus dem Wagen. Er war normalerweise der Vernünftigste der drei. »So etwas wie ein Monster, vor dem wir dich beschützen müssen?«
Znirk würde sich das mit dem Vernünftigsten wohl noch mal überlegen müssen. »Quatsch, Monster! Da oben schwirrt was rum. Am Himmel!«
Rak tat es Sirrgo gleich und sprang beherzt auf die Straße. »Ein liebestoller Gnookikäfer vielleicht?«
Znirk verdrehte innerlich sämtliche Einzelaugen nach hinten. Das hatte man davon, wenn man den besten Freunden treudoof alles erzählte. »Kein Gnookikäfer! Es war ein weit entfernter Lichtpunkt. Ein Stern am Himmel.«
»Der Himmel ist voller Sterne. Was ist an dem so besonders?« Sirrgo, den Znirk inzwischen für leicht begriffsstutzig hielt, lehnte sich großspurig an den Schrottwagen.
»Es ist ein neuer Stern. Einer, den ich noch nie gesehen habe. Und er bewegt sich!«
»Ein Asteroid«, beschied Rak. »Von denen gibt es Tausende. Auch solche, die plötzlich auftauchen und wieder verschwinden.«
»Monsterasteroiden!«, unkte Sirrgo. Der Typ war ein Idiot.
»Kein Asteroid!«, schimpfte Znirk. »Das Ding bewegt sich nicht auf einer festen Bahn. Es fliegt hin und her!«
Nun wurde selbst der Idiot ernst. »Es ändert seinen Kurs? Dann ist es entweder ein Asteroid, der von einer großen Masse umgelenkt wird, oder es ist ...« Sirrgo verstummte. Er richtete all seine Augen zum Himmel. »Vom Hügel aus kann man es sehen, sagst du? Zeig's uns!«
Endlich hatten sie kapiert, was Znirk von ihnen wollte.
Rasch machte sie kehrt und wollte loslaufen, da rief jemand: »Hey!«
Fenkir, der noch im Wagen saß, tippte energisch auf den Lenkmechanismus, der aus zwei langen Stangen bestand, die man hin und her drehen konnte. »Nehmen wir doch den hier. Der schafft's mit Leichtigkeit den Hügel rauf.«
*
Znirk konnte kaum glauben, dass sie sich allen Ernstes dem Höllengerät der Jungs anvertraut hatte.
Das Ding schnaufte und keuchte und machte manchmal unkontrollierbare Sprünge. Fenkir brachte es mit den beiden Lenkstangen nur gerade eben so unter Kontrolle.
Aber sie kamen tatsächlich schneller voran, als Znirk es auf ihren Beinen vermocht hätte. Bald waren sie an der Stelle auf der anderen Seite, an der sie gesessen hatte, als sie den Monsterasteroiden gesehen hatte.
Angestrengt starrten sie zu viert hinauf in den Himmel, und Znirk befürchtete schon, dass das Himmelsobjekt auf Nimmerwiedersehen verschwunden war.
Dann sah sie es wieder. Sie sahen es alle.
Ein Stern zog quer über den Himmel. Dann drehte er um und flog in eine andere Richtung.
»Da!«, keuchte Rak aufgeregt. »Da sind noch zwei!«
Es stimmte. Drei Sterne lieferten einander so etwas wie eine wilde Verfolgungsjagd.
»Das sind keine Asteroiden«, beschied Znirk. »Und Gnookikäfer sind es auch nicht. Wie nah diese Sterne wohl an uns dran sind?«
»Wir hätten nachdenken sollen, bevor wir hierhergekommen sind«, schimpfte Sirrgo. »Wir hätten Ferngläser mitbringen sollen!«
»Wir müssen das der Wissenschaftsbehörde melden!«, forderte Fenkir. »Die können feststellen, wie hoch diese Objekte am Himmel stehen. Sie peilen sie zur genau gleichen Zeit von zwei weit voneinander entfernten Observatorien an und messen den Winkelabstand. So geht das!«
»Wenn sie sich nicht zu stark bewegen!«, wandte Sirrgo ein.
Wie schön es war, drei Klugscheißer als Freunde zu haben!
Mit einem Überlicht-Faktor von 5,5 Millionen flogen wir durch den Linearraum, jenes dem Standarduniversum übergeordnete Kontinuum, in dem unser Raumschiff die Entfernung zwischen den Galaxien überwand.
Dieses Raumschiff war ein Durcheinander.
Es war alt und verschlissen, überall lag Zeug herum, das wohl einmal der früheren Besatzung gehört hatte, Bonnifers Techno-Erweiterungen, die ich an jeder Ecke fand, wirkten wie Fremdkörper, es war kalt und es stank.
Ich beabsichtigte, mir all dies zunutze zu machen, solang Shrell mich während des Linearflugs in bescheidenem Ausmaß die Korridore inspizieren ließ. Ich sollte verschmorte Leitungen reparieren und nachschauen, warum einige von Bonnifers Geräten nicht leisteten, was sie sollten. Ich wusste jedoch nicht, wie viele Kameraoptiken mich dabei überwachten. Ich musste vorsichtig sein.
Behutsam nahm ich den eigenartigen Gegenstand vom Boden auf und betrachtete ihn nachdenklich, als wäre das alles, was mich in diesem Augenblick interessierte. Das Objekt bestand aus einer Vielzahl Kugeln, die eine Traube bildeten. Drehte ich es in der Hand, rasteten die Kugeln an anderer Stelle ein und bildeten eine neue Form mit zum Teil ebenen Flächen.
Beiläufig ließ ich mit der anderen Hand den Laserschneider, den ich ebenfalls am Boden gefunden hatte, in eine Tasche meines Bordanzugs gleiten. Ich hoffte, die Spionaugen Shrells würden es nicht in allen Einzelheiten aufzeichnen und meine Entführerin glauben lassen, die grünhäutige Frau würde nur dieses Kugeldings anstaunen. Der Schneider mochte mir noch nützlich sein, wenn ich den Versuch machen wollte, das Fesselfeld auszuschalten, das mich zur Gefangenen an Bord der ELDA-RON machte.
Illustration: Swen Papenbrock
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich die kugelförmigen Flugroboter, die das Fesselfeld projizierten, das meine Bewegungen einschränkte. Sie standen in so einem Winkel hinter mir, dass ihre Optiken unmöglich registriert haben konnten, dass ich den Schneider an mich genommen hatte. Aber es mochte andere geben.
»Was hast du denn da, Sklavin?«
Ich fuhr zusammen, als hinter mir die tiefe und dennoch eiskalte Stimme ertönte, die ich in den vergangenen Tagen nur allzu gut kennengelernt hatte. Ich nahm den erdigen, säuerlichen Duft wahr, den die Leun ausströmte. Gleichzeitig ärgerte ich mich, dass ich so schreckhaft reagierte.
Unschuldig richtete ich mich zu meiner vollen Größe auf und drehte mich dabei zu Shrell um, die breitbeinig dastand. Sie hatte anscheinend den Pentaferer benutzt, den handtellergroßen Minitransmitter, den sie an ihrem Gürtel trug. Wahrscheinlich wollte sie mir damit zeigen, dass sie jederzeit hinter mir auftauchen konnte.
Die Leun war mehr als einen Kopf kleiner als ich. Sie reichte mir etwa bis zur Brust und musste nun, da ich aufgestanden war, zu mir aufblicken. Es schien ihr nichts auszumachen. Die Leun litt nicht unter Minderwertigkeitsgefühlen. Sie richtete die feuerroten Augen auf mich und musterte mich.
»Sklavin?«, fragte ich mit fester Stimme. »Hatten wir nicht die Vereinbarung getroffen, dass wir einander, solang ich an Bord bin, anständig behandeln?«
»Sprichst du einer Anrede die Hochachtung ab? Du und deine Art seid bemitleidenswert, wenn es das ist, was euch kümmert.« Shrell beschrieb mit ein paar raumgreifenden Schritten einen Halbkreis um mich herum. Dabei ließ sie den Blick wie zufällig über den Boden schweifen, wo ich das Kugeldings und den Laserschneider aufgelesen hatte. »Aber ich bin dir wohlgesinnt, und daher werde ich dich fortan nicht mehr Sklavin nennen, sondern bei deinem Namen: Sichu Dorksteiger. Gleichwohl ... du wirst zugeben müssen, dass du an Bord tatsächlich meine Sklavin bist?« Sie streckte die flache Hand aus.
Ich hielt den Atem an und legte das Kugeldings hinein.
»Das ist ein Spielzeug«, beschied Shrell abfällig. »Diente wohl einem der früheren Besatzungsmitglieder zur Freizeitgestaltung. Man muss die Kugeln in eine bestimmte Reihenfolge bringen, dann wird es zu einem Dodekaeder. Siehst du!«
Geschickt drehte sie das Spielzeug in ihren krallenartigen Fingern, bis etwas Klick! machte und das Kugeldings tatsächlich zu einem perfekten Pentagondodekaeder wurde. Sie warf ihn in die Luft und zerstrahlte ihn mit einem Minidesintegrator, den sie geschickt von ihrem Gürtel in dieselbe Hand gleiten ließ, mit der sie geworfen hatte. Eine weitere kleine Machtdemonstration.
Shrell vollendete den Kreis um mich und strich mir dabei mit der Hand über die Schulter. Die andere Hand hielt sie hinter ihrem Rücken verborgen. Ich wusste, dass es sich dabei um eine robotische Prothese handelte. »Ich habe es dir schon einmal gesagt, Sichu Dorksteiger: Du riechst gut. Deshalb habe ich dich an Bord behalten. Wir werden es wohl noch eine ganze Weile miteinander aushalten müssen. Bist du dazu bereit? Vielleicht werden wir am Ende der Reise sogar gute Freundinnen sein.«
Ich fletschte die Zähne. Die Leun litt wohl an Wahnvorstellungen. Das Besatzungsmitglied, von dem das Kugelspielzeug stammte, war wahrscheinlich von ihr ermordet worden. Sie hatte die gesamte Besatzung für grausame Experimente missbraucht und anschließend hingerichtet, wie der wurmartige Kheti-Leun Alcot mir verraten hatte. Sie hatte Alcot und die anderen ins Mentatron gesteckt, ein Gerät, das den Körper entstofflichte und den Geist in einer Art zeitlosem Traum gefangen hielt.
In Terrania, auf Neu-Atlantis und auf dem Mond hatte sie das Brennende Nichts gezündet und unzählige Intelligenzwesen getötet.
Shrell ging buchstäblich über Leichen, um ihre Ziele zu erreichen. Sie war eine Massenmörderin.
Und dieses verabscheuungswürdige Wesen wollte meine Freundin sein?
Ich wies auf den wuchtigen Kasten: ein Fremdkörper an der Bordwand des altersschwachen Kriegsschiffs der Leun. Aus ihm ragten wahrhaftig einige Kabelstränge, die durch in die Wand gebohrte Löcher ins Innere des Schiffs führten. Andere hingen schlaff und funktionslos herunter. Ich hatte eine Klappe abgenommen und mir den Kasten von innen angesehen.
»Du hattest mich aufgefordert, dieses Aggregat zu prüfen«, sagte ich sachlich. »Ich hab in seinem Inneren Hyperenergieströme angemessen. Also habe ich eine Hyperkristallmatrix rekalibriert, um den Quintronenstrom frequenzrein weiterzuleiten.« Was man als Hyperphysikerin eben so tut, wenn man es mit einer fremdartigen Technik zu tun bekommt.
Leider hatte ich keine Möglichkeit gesehen, daraus ein Hyperfunkgerät zu basteln. Schon gar nicht eines, dessen Sendungen von Shrell nicht abgefangen worden wären, bevor Perry kommen und mich aus der ELDA-RON heraushauen könnte.
»Ich bin schließlich Hyperphysikerin und keine Technikerin«, sagte ich, schloss die Klappe an dem Kasten wieder und klopfte beiläufig darauf. »Aber das Ding sollte wieder tun, wofür es gebaut worden ist. Was immer das konkret war.«
Shrell gab einen Ton von sich, der, wie ich inzwischen wusste, im Thoiko, der Sprache der Leun, Zufriedenheit ausdrückte. Ansonsten verwendete die Leun, wenn sie mit mir redete, das Interkosmo. Sie hatte die Sprache der Terraner in den gut fünfzig Jahren erlernt, die sie im Inneren der ELDA-RON als Beobachterin auf der Erde verbracht hatte. Sie hatte sich allerdings nicht die Mühe gegeben, die Sprache ihren Robotern oder dem Bordgehirn beizubringen. Wenn ich mit ihnen kommunizierte, benutzte ich den Translator, der an meinem Gürtel hing. Das Gerät war ebenfalls nicht in der Lage, Hyperfunksendungen auszustrahlen.
»Ein anderer Grund, warum ich dich als meine Sklavin an Bord geholt habe!«, kommentierte die Leun meine Leistung. »Du bist als Wissenschaftlerin gut genug, um mit der Wycondertechnik klarzukommen, die Bonnifer überall in der ELDA-RON verbaut hat.« Sie machte eine umfassende Geste. »Du wirst überall rumkommen im Schiff. Es gibt viel Arbeit.« Sie trat einen Schritt auf mich zu, sodass ich ihren erdigen Atem riechen konnte, und sah zu mir hoch. »Das ist die Freiheit, die ich dir geben kann. Aber keine Tricks!«
»Keine Tricks!«, log ich.
*
Ein leiser Signalton summte an Shrells Gürtel. Es konnte sich nur um eine Nachricht des Bordgehirns handeln.
Sie schnalzte auf eine bestimmte Weise mit der Zunge, und die Flugroboter, die auf meiner Augenhöhe in der Luft standen, gerieten in Bewegung. Ich spürte, wie das Fesselfeld sich enger um meinen Körper legte, mich einschnürte und festhielt. Die Roboter hatten es zuvor gerade so weit gelockert, dass ich meiner Arbeit an dem Wyconderkasten hatte nachgehen können. Dennoch war es mir gelungen, den Laserschneider an mich zu bringen, den ich immer noch in meinem Bordanzug verbarg.
Die Leun trat näher an mich heran und aktivierte wortlos ein weiteres Mal ihren Pentaferer. Diese kleinen Geräte taugten normalerweise gerade dazu, eine Person über kurze Distanzen zu transportieren, und dann mussten sie wieder aufgeladen werden. Doch Shrell hatte offenbar Lust auf eine weitere kleine Machtdemonstration. Das fünfdimensionale Feld erfasste uns beide.
Urplötzlich wechselte die Umgebung, und wir standen in der Zentrale der ELDA-RON. Falls das Fesselfeld zwischenzeitlich desaktiviert worden war, hatte ich nichts davon bemerkt. Am Zielort angekommen, lag es jedenfalls wie eine zweite Haut um meinen Körper und hinderte mich an jeder Bewegung. Nur mein Herz, der Blutkreislauf und der Atem gingen noch – und mein Gehirn funktionierte mit der gewohnten Zuverlässigkeit. Hoffte ich jedenfalls.
