Perry Rhodan 47: Die Cappins (Silberband) - Clark Darlton - E-Book

Perry Rhodan 47: Die Cappins (Silberband) E-Book

Clark Darlton

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Beschreibung

Die Bedrohung ist unsichtbar, ihre Auswirkungen sind aber tödlich: In der Sonne befindet sich ein Todessatellit, der das Zentralgestirn der Menschheit immer weiter aufheizt. Gelingt es den Terranern nicht, die scheinbar unzerstörbare Maschinerie zu überlisten, wird die Sonne bald zur Nova und vernichtet alles Leben auf der Erde und den anderen Planeten des Solsystems. Die einzigen, die etwas gegen das Ende der Menschheit tun können, sind achttausend Cappins. Die menschenähnlichen Fremden aus einer fernen Galaxis haben sich nach einem fehlgeschlagenen Experiment an Bord des Todessatelliten gerettet. Helfen wollen sie allerdings nicht, denn sie verfolgen ihre eigenen Pläne. Perry Rhodans letzte Hoffnung ruht nun auf dem Planeten Last Hope und Professor Waringers gefährlichen Experimenten. Den Terranern droht zudem von anderer Seite Gefahr: Ribald Corello, der mysteriöse Supermutant, bringt von seiner Geheimwelt Gevonia aus immer mehr Lebewesen unter seine Kontrolle. Icho Tolot, der riesenhafte Haluter, und Alaska Saedelaere, der Mann mit dem Cappin-Fragment, wagen die direkte Konfrontation ...

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Seitenzahl: 640

Veröffentlichungsjahr: 2011

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Nr. 47

Die Cappins

Cover

Klappentext

Vorwort

Prolog

Zeittafel

Kapitel 1-10

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Kapitel 11-20

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

Kapitel 21-34

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

Impressum

Die Bedrohung ist unsichtbar, ihre Auswirkungen sind aber tödlich: In der Sonne befindet sich ein Todessatellit, der das Zentralgestirn der Menschheit immer weiter aufheizt. Gelingt es den Terranern nicht, die scheinbar unzerstörbare Maschinerie zu überlisten, wird die Sonne bald zur Nova und vernichtet alles Leben auf der Erde und den anderen Planeten des Solsystems.

Die einzigen, die etwas gegen das Ende der Menschheit tun können, sind achttausend Cappins. Die menschenähnlichen Fremden aus einer fernen Galaxis haben sich nach einem fehlgeschlagenen Experiment an Bord des Todessatelliten gerettet. Helfen wollen sie allerdings nicht, denn sie verfolgen ihre eigenen Pläne. Perry Rhodans letzte Hoffnung ruht nun auf dem Planeten Last Hope und Professor Waringers gefährlichen Experimenten.

Vorwort

Wer weiß, wie es in PERRY RHODAN zyklusmäßig weitergeht, der wird vielleicht (wie ich), an verschiedenen Stellen dieses Buches sein »Aha-Erlebnis« haben. Das betrifft vor allem den letzten Teil, wo erstmals (und hier noch scheinbar bedeutungslos) Namen und Begriffe wie Kytoma oder die Gelben Eroberer auftauchen. Kytoma also, die in Zukunft immer wieder sporadisch erscheinen und den Leser mindestens so verblüffen wird wie den Mann, den ein geheimnisvolles Schicksal an sie zu fesseln scheint, und der in diesem Buch ebenfalls erstmals etwas von dem ahnen lässt, was ihn später zu einer der faszinierendsten Figuren werden lässt, die diese Serie hervorgebracht hat: Alaska Saedelaere. (Und wer sonst als William Voltz hätte diese Romane schreiben können?)

Vieles von dem, was uns jetzt wie nebensächlich erscheinen mag, wird uns immer wieder begegnen und schließlich Teil eines großen kosmischen Mosaiks werden, in dem alles seinen Platz hat.

Die in diesem 47. Band der PERRY RHODAN-Bibliothek enthaltenen Romane sind, ungeachtet notwendiger Kürzungen: Die Zeitpendler (422) von Hans Kneifel, Sonderkommando Atlan (423) und Das Ultimatum der Cappins (430) von Clark Darlton, Energie aus dem Jenseits (431) von H. G. Ewers und Die Welt des Mutanten (432) und Die Stadt der tausend Fallen (433) von William Voltz.

Um den Romanstoff zu straffen und den Leser nicht mit unhaltbaren, in sich widersprüchlichen und außerdem völlig überflüssigen Handlungen zu verärgern, wurden die Hefte 424 bis 429 nicht berücksichtigt. Was dort an Wissenswertem geschah, ist in Form einer Rückblende festgehalten. (Auf die zweite »Zeitreise« können wir dagegen nicht verzichten. Sie wird ein Schwerpunkt des nächsten Buches sein.)

Prolog

Seit dem Tag, an dem Perry Rhodan das gesamte Solsystem um exakt fünf Minuten in die Zukunft versetzen ließ, sind über zweieinhalb Jahre vergangen. Das Heimatsystem der Menschheit, von den Eingeweihten auch als »Ghost-System« bezeichnet, existiert für die gegnerischen galaktischen Mächte nicht mehr. Es ist dennoch nicht isoliert, denn über die so genannte Temporalschleuse hält man mit Vertrauten überall in der Realzeit Verbindung. Anson Argyris, ein Vario-500-Roboter in der Maske des »Kaisers« des Freihandelsplaneten Olymp, präsentiert sich der Galaxis als legitimer Nachfolger Perry Rhodans und organisiert die geheime Versorgung des Solsystems mit Gütern aller Art.

Perry Rhodan nimmt also weiterhin rege, wenn auch unerkannt, am galaktischen Geschehen teil. Und dies ist auch nötig, denn die Bewohner der Milchstraße sehen sich mit zwei Gefahren konfrontiert, die fast zeitgleich auftauchten: die Energieblasen der aus einem Antimaterieuniversum stammenden Accalauries und der Terror des Supermutanten Ribald Corello, der ganze Planeten geistig versklavt.

Corello, so weiß man inzwischen, ist der Sohn des beim Amoklauf der Mutanten im Jahr 2909 umgekommenen Kitai Ishibashi und des Anti-Mädchens Gevoreny Tatstun. Er glaubt nicht an Rhodans Tod und verfolgt mit unstillbarem Hass sein Ziel, das Solsystem und Rhodan zu finden und zu vernichten.

Im Herbst 3432 kommt es zur Verständigung zwischen Menschen und Accalauries. Die Antimateriellen kehren in ihren Kosmos zurück, nachdem einer ihrer Forscher den in der Sonne aktiv gewordenen Todessatelliten entdeckt hat. Seither lebt die solare Menschheit unter der tödlichen Bedrohung durch den Satelliten, den Unbekannte vor rund zweihunderttausend Jahren in der Sonnenatmosphäre installiert haben.

Das Wissen um diese Fremden, die sich Cappins nennen, ist dem Pseudo-Neandertaler Lord Zwiebus zu verdanken, der nach zweihunderttausendjährigem Tiefschlaf zu neuem Leben erweckt wurde und seither ein treuer Freund der Terraner ist. Zwiebus erinnert sich und berichtet davon, dass die Cappins damals auf die Erde kamen, um mit Menschen und anderen Wesen zu experimentieren. Er sagt auch aus, dass sie durch ihre Fähigkeit der »Pedotransferierung« Menschen geistig übernehmen können.

Noch kann Perry Rhodan mit diesem Wissen nicht viel anfangen, denn der Sonnensatellit wird robotisch gesteuert und heizt das Gestirn immer rascher zur Nova auf, die bald alle Planeten und alles Leben verschlingen muss. Doch dann geschieht etwas, womit niemand rechnen konnte.

Zeittafel

1971 – Perry Rhodan erreicht mit der STARDUST den Mond und trifft auf die Arkoniden Thora und Crest.

1972 – Mit Hilfe der arkonidischen Technik Aufbau der Dritten Macht und Einigung der Menschheit.

1976 – Das Geistwesen ES gewährt Perry Rhodan und seinen engsten Wegbegleitern die relative Unsterblichkeit.

1984 – Galaktische Großmächte (Springer, Aras, Arkoniden, Akonen) versuchen, die Menschheit zu unterwerfen.

2040 – Das Solare Imperium ist entstanden und stellt einen galaktischen Wirtschafts- und Machtfaktor ersten Ranges dar.

2326–2328 – Gefahr durch die Hornschrecken und die Schreckwürmer. Kampf gegen die Blues.

2400–2406 – Entdeckung der Transmitterstraße nach Andromeda; Abwehr von Invasionsversuchen von dort und Befreiung der Andromeda-Völker vom Terrorregime der Meister der Insel.

2435–2437 – Der Riesenroboter OLD MAN bedroht die Galaxis, und die Zweitkonditionierten erscheinen mit ihren Dolans, um die Menschheit für angebliche Zeitverbrechen zu bestrafen. Perry Rhodan wird in die ferne Galaxis M 87 verschlagen. Nach seiner Rückkehr wird sein Sohn, Roi Danton, bei der entscheidenden Auseinandersetzung mit der Ersten Schwingungsmacht getötet.

3430–3432

1.

Sie waren verloren.

Irgendwann waren sie mit dem Ziel gestartet, die Zukunft zu bezwingen, denn dies war ihr Forschungsauftrag. Sie hatten sich aus dem optisch erfassten Weltraum entfernt, waren durch die Dimensionen vorgestoßen und in die Dakkarzone hinein. In diesem fünfdimensionalen Überlagerungsraum hatten fremde Kräfte sie ergriffen.

Ihr Vorhaben: Sie sollten die Hypersexta-Halbspur, die ihnen normalerweise zur Überbrückung der gewaltigen Entfernungen diente, als Polungspunkt für das Eindringen in die übergeordnete, die sechste Dimension verwenden. Dieses Vorhaben war gescheitert.

Die fremden Kräfte rissen das riesige Schiff hin und her, erschütterten die Zelle und schufen in den Wesen, die es ausfüllten, die Überzeugung, dass sie verloren waren.

Waren sie es?

Die Kräfte waren unbekannt und mit den mächtigen, höchst differenzierten Maschinen, die einen unaufhörlichen Strom von Energie in die verschiedenen Teile des Schiffes ergossen – nicht mehr zu beherrschen.

Waren sie verloren ...?

Sie waren zu einem Pendel geworden, dessen Bewegungsebene die Zeit war. Die beiden Maximalpunkte befanden sich in der realen Nullzeit des gegenwärtigen Kontinuums und sechsundvierzig Stunden in der Zukunft. Das Schiff raste wie ein Weberschiffchen auf seiner genau errechneten Bahn hin und her, schlug einmal in der Realzeit an, dann wieder in der Zukunft. Hin und her, her und hin. Abwechselnd waren die Insassen sechsundvierzig Stunden älter, dann wieder jünger. Hunger wechselte ab mit völliger Erschöpfung, angelerntes Wissen wurde vergessen und war plötzlich wieder greifbar. Nur die Messgeräte blieben unbestechlich und registrierten jede der zahllosen Veränderungen wie irreale Seismographen.

Lecufe saß vor seinem Schaltpult. Es war eine gewaltige Anlage, die wie eine Viertelkugel, von Pol zu Pol durchgeschnitten, vor ihm quer durch den Arbeitsraum schwang.

»Die differenzierenden Zeitebenen sind unendlich geworden«, sagte Lecufe. Er war relativ jung und kühn. Seine Gedanken bewegten sich in verwegenen Bahnen, und er versuchte fieberhaft, einen Ausweg aus der offensichtlichen Notlage zu finden. Aus dem Innern des Schiffes kamen Töne wie von einem mächtigen Gong. Dann eine Serie knatternder Geräusche, die auf brechendes Metall oder durchschlagende Sicherungen hindeuteten.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sich Lecufe.

Noch immer raste das Schiff zwischen der Gegenwart und der Zukunft hin und her.

Etwa zwanzigtausend Wesen in dieser Spezialstation, die in die Zukunft vordringen sollte, befanden sich in höchster Not. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis ein totaler Zusammenbruch die gesamte Station und deren Insassen vernichtete.

Lecufe drückte auf eine Taste. Sofort erhellte sich vor ihm ein runder Sichtschirm. Ratschat war zu sehen.

»Lecufe, Sie haben mich gerufen?«

»Ja«, sagte der Junge zu dem Älteren. »Ich habe Sie gerufen. Ich sehe hier auf meinen Geräten, dass die Schwankungen unvermindert anhalten. Was schlagen Sie vor – wenn Sie etwas vorzuschlagen haben?«

Ratschat verzog sein Gesicht zu einer wütenden Grimasse. Es konnte ein bitteres Lachen sein oder der Ausdruck der Verzweiflung.

Ratschat war der militärische Chef des Unternehmens. Das heißt, dass innerhalb der Station eine Kontrollgruppe aus Wissenschaftlern und Verwaltungsbeamten bestand, die sich durch eine besonders straffe Disziplin auszeichnete – gleichzeitig leitete Ratschat dieses Unternehmen. Sein unmittelbarer Untergebener war Lecufe. Also der zweitwichtigste Mann in dem gigantischen Kugelraumschiff.

»Ich schalte Ihnen ein Bild in Ihr Büro«, sagte Lecufe. »Dort können Sie in einer graphischen Darstellung genau die Intervalle erkennen, in denen sich die Zeitstation zwischen Gegenwart und Zukunft bewegt.«

»Ja, bitte.«

Lecufe schaltete.

Vor Ratschat erschien auf einem Schirm eine längliche Tafel, die in Zeiteinheiten unterteilt war. In der Mitte der Tafel, die netzartig in kleine Vierecke unterschiedlicher Farben aufgeteilt war, schwang sich in Sinuskurven eine zitternde Linie, auf der ein großer, glimmender Punkt saß.

»Jetzt ist unsere Position fast identisch mit der Realzeit, also mit dem normalen Zeitablauf dieses Universums, unserer Gegenwart«, erklärte Lecufe.

Der Punkt wanderte ganz nach links und verharrte dort zitternd.

Er hing direkt bei dem Wert Null.

»Ich verstehe«, meinte Ratschat.

Du verstehst gar nichts, mein Freund, dachte Lecufe bitter. Aber das tut nichts. Niemand versteht es. Nicht einmal unsere Computer.

»Jetzt!«, sagte er laut.

Der Punkt bewegte sich rasend schnell, wie ein Korken auf einer Meereswelle. Er raste die Kurven entlang nach ganz rechts. Sechsundvierzig Stunden befand sich das Schiff jetzt wieder in der Zukunft. Schiff oder Zeitstation – die Funktionen blieben gleich. Auch die Auswirkungen der Kräfte, die an ihm zerrten.

»Sechsundvierzig Stunden!«, sagte Ratschat. »Woher kommen diese fremden Kräfte, Lecufe? Haben Sie nichts feststellen können?«

Lecufe hob verzweifelt die Arme.

»Nein!«, sagte er laut. »Weder meine Leute noch ich. Niemand weiß es. Die Maschinen laufen auf Hochtouren.«

Der Punkt schwirrte wieder zurück nach links, verharrte Sekunden lang in der Mitte und raste dann, die Täler und Höhen der Kurven nachzeichnend, ganz bis zum Anschlag.

»Aber wir befinden uns noch immer in der Dakkarzone, nicht wahr?«

»Ja«, erwiderte Lecufe. »Genau dort. In der Hypersexta-Halbspur. Unser Supertriebwerke schaffen es einfach nicht, diese Zone zu verlassen.«

Ratschat bekannte:

»Ich bin völlig verzweifelt. Was sollen wir tun?«

»Ich hoffe nur, dass wir in Kürze feststellen können, woher die unbekannten Kräfte kommen. Dann werden wir ein geeignetes Verfahren finden, ihnen zu begegnen. Ich bin fest davon überzeugt.«

Wieder durchraste der Punkt die gesamte Zeitskala und schlug rechts, also weit in der Zukunft an.

»Gut«, sagte Ratschat. »Ich werde weiter überlegen. Im Augenblick sind meine Leute dabei, das Problem den Computern vorzulegen. Vielleicht vermitteln sie uns neue Erkenntnisse.«

Lecufe hob die Hand, um auf die Taste zu drücken.

»Vielleicht«, schloss er.

Das Bild Ratschats vor ihm verblasste.

Lecufe lehnte sich zurück und dachte nach.

Um von einer Zeit in die andere zu kommen, wurde ein Raum benötigt, der die Nahtstellen zwischen der fünften und der sechsten Dimension bildete. Nur von dort konnte man in die neue Dimension eindringen. Lecufe wünschte sich weit von diesen Problemen entfernt an einen sonnenbestrahlten Strand, mit feinem Sand und salzigem Wasser – das hier überstieg, begann er deutlich zu spüren, bei weitem seine Kenntnisse und Fähigkeiten. Nach den ausgedehnten und langwierigen Forschungen seines Volkes war nur die Halbspur der Ausgangspunkt für eine längere Reise in die Zukunft. Kleine Zeitdifferenzen, also ein Sprung bis zu einigen Minuten, waren auch noch unter Benutzung des fünfdimensionalen Raumes zu machen – alles, was diese Zeit überschritt, erforderte das Eindringen in die Dakkarzone. Jahrhunderte und Jahrtausende sollten bei diesem Großversuch überwunden werden ... und genau hier lag die Gefahr, der sie jetzt ausgesetzt worden waren. Die fremden Kräfte des Dakkarraumes hielten sie fest und schleuderten sie hin und her. Entlang der Zeitlinie.

Lecufe beobachtete den Schirm.

Der glühende Punkt tanzte wie ein Automat. Hin und her, von einem Ende zum anderen, hielt mitten in der Strecke an und schoss dann zitternd weiter, wie der sichtbar gemachte Pulsschlag eines Lebewesens.

Zwanzigtausend Besatzungsmitglieder waren in unmittelbarer Gefahr.

Noch hielten die Schirmfelder, noch konnte das fremde Kontinuum sich nicht der Station bemächtigen. Noch nicht! Es konnte sich jedoch nur um Stunden handeln, dann geschah das Unfassbare.

»Wenn«, überlegte Lecufe laut, »die Station sich entlang einer Zeitlinie bewegt, dann muss sie nacheinander alles das entdecken können, was in dieser Zeit geschah. Gleichgültig, ob es sich um eine pulsierende Sonne handelt oder um einen Funkspruch, um ein Schiff, das sich gleich unserem eigenen in diesem Zwischen-Universum bewegt.«

Er wählte eine andere Stelle der Beobachtungssektion an und wartete, bis der Verantwortliche auf dem Schirm zu sehen war. Die Männer sahen sich unruhig und im Bewusstsein der ungeheuren Gefahr in die Augen.

»Eine Frage, Cnulp«, sagte Lecufe.

»Fragen Sie mich bitte nicht, ob sich dieser Zustand ändern lässt, sonst verliere ich meine Beherrschung!«, flüsterte der andere.

Lecufe schüttelte den Kopf.

»Nein, das sicher nicht. Sie haben die Empfangsstation unter sich. Sind Sie sicher, dass alle Ihre Geräte funktionieren?«

»Ja. Vor einer Stunde wurden Funktionskontrollen durchgeführt.«

»Gut. Wie steht es mit dem Dakkarkom?«

»Ist eingeschaltet, Lecufe.«

Lecufe ließ sich Zeit und sah nacheinander die Kontrollanzeigen seines doppelt geschwungenen Pultes an. Überall schlugen die Zeiger wild aus, nur einige Maschinen liefen mit normalen Werten und schufen konstante Abwehrfelder, die aber ständig überlastet wurden. Der verhängnisvolle Punkt raste weiter hin und her, wellenförmig von links nach rechts und zurück. Aus der Gegenwart in die Zukunft und wieder zurück in die Gegenwart, ein tödliches Pendel.

»Lassen Sie es eingeschaltet und beobachten Sie alle Geräte, die uns Informationen aus der Umgebung liefern. Lassen Sie sich nicht die kleinste Information entgehen! Meinetwegen setzen Sie doppelte Besatzungen an die Schirme und an die Oszillographen.«

»Verstanden!«

Der Schirm erlosch.

»Woher kommen diese Zugkräfte?«, fragte sich Lecufe zum wiederholten Mal verzweifelt. »Woher?«

Er ahnte es nicht.

Er drehte seinen schweren Sessel, der die Erschütterungen abfing, von denen die Zeitstation getroffen wurde. Dann ging er nachdenklich in den angrenzenden Raum, goss etwas in ein Gefäß und trank es leer.

»Verdammt!«, sagte er nachdrücklich.

Jedenfalls hätte ein terranischer Translator diesen Fluch so oder entsprechend übersetzen müssen.

Er ging wieder zurück. Die Ahnung, die ihn peinigte, war undeutlich und verschwommen. Es konnte immerhin sein, dass sie bei ihrer schnellen Wanderung durch die Dimensionen auf einen Gegner gestoßen waren. Das hielt Lecufe zwar für unwahrscheinlich, grundsätzlich aber für möglich. Wenn es nicht so war, dann geschah diese Einwirkung von außen zufällig. Sie war in diesem Fall von der Zeitstation selbst ausgelöst worden, als diese eine Linie überschritt oder gegen eine unsichtbare und unmessbare Barriere gestoßen war. Für diese Möglichkeit hatte sich Lecufe entschieden. Eine solche Sperre, wie immer sie sich darstellte, von wem immer sie stammte, musste aber fassbar sein, denn es gab nichts, was die Maschinen und Orter dieser Station nicht feststellen, anmessen, testen oder ergründen konnten. Sie waren an Computer angeschlossen, die auf jede Veränderung der Normalwerte schneller reagierten als jedes organische Gehirn. Und die rund zwanzigtausend Besatzungsmitglieder stellten einen Querschnitt der Elite ihres Volkes dar – sonst hätte man der Zeitstation diesen Auftrag nicht erteilt.

Mitten in die Überlegungen des jungen Wissenschaftlers hinein schrillte die Warneinrichtung.

Lecufe wirbelte in den Raum hinein, schwang sich in seinen Sessel und drückte auf die aufleuchtende Taste.

»Hier Lecufe!«, rief er.

Der Leiter der Suchabteilung war auf dem Sichtschirm. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck höchster Erregung.

»Sie ... wir haben etwas gefunden!«, schrie er.

Lecufe fühlte, wie sich sein Pulsschlag erhöhte.

Er zwang sich gewaltsam zur Ruhe und fragte halblaut:

»Was?«

»Ein Zeichen. Der Dakkarkom.«

»Welches Gerät?«, wiederholte Lecufe ungläubig. »Ausgerechnet der Dakkarkom?«

Es handelte sich um eine spezielle Abart eines auf Funkimpuls-Basis beruhenden Gerätes der Nachrichtenübermittlung über weiteste und verwirrendste Distanzen hinweg. Die Sendewellen und die Linien der Empfangseinrichtungen reichten – indem sie den fünfdimensionalen Raum umgingen – durch die Dakkarzone. Der Impuls oder die Impulse wurden also durch die überlagernde Dakkarzone geleitet. Dies alles war ohnehin nur einem Mathematiker oder einem, dessen Verstand in abstrakten, der Wirklichkeit weitestgehend entfernten Schablonen dachte, voll verständlich. Lecufe gehörte der ersten Gattung der beiden Gruppen an, er war Wissenschaftler.

»Der Dakkarkom, Lecufe!«, schrie der andere.

»Wie schön«, sagte Lecufe, der an einen bitteren Scherz oder an ein Versagen der Maschinen glaubte. »Sicher hat sich der Verwalter dieser Dimension diese Wellenfronten nur ausgedacht, weil er unser Erscheinen hier gebührend feiern wollte.«

Der andere schien in seinem Sessel kleiner zu werden. Empört sagte er: »Ich mache keine Scherze, Lecufe.«

»Ich auch nicht«, erwiderte Lecufe. »Sie haben sicher diesen Kontakt irgendwie festgehalten?«

»Ich habe.«

»Dann fahren Sie den entsprechenden Datenträger bitte an.«

»Wahrscheinlich kann ich Sie nicht überzeugen, aber ich glaube daran«, sagte der andere erbittert. Er konnte es nicht fassen, dass jemand, dazu noch der zweite Mann in der hierarchischen Folge der wichtigen Personen, seine Ruhe behielt – echte Ruhe oder vorgetäuschte. Außerdem verübelte er ihm die ironische Betrachtung dieses Problems.

»Hier Schirm drei.«

»Ich warte«, sagte Lecufe.

»Die Impulse erscheinen nur ganz kurz.« Lecufe versicherte:

»Seien Sie unbesorgt – ich werde sie kaum übersehen.«

Ein Bild erschien. Es waren, auf einigen technischen Umwegen bewerkstelligt, die sichtbar gemachten Emissionen des hyperfunktionellen Dakkarkoms. Der Dakkarkom hatte seine Bezeichnung von dem Entdecker des Dakkarraumes, einem unglücklich verkrüppelten kleinen Mann mit haarlosem Schädel, eben dem Dimensionsphysiker Ascina Dakkar. Er war seit vielen Jahrtausenden tot und vermodert, aber seine Konzeption der Dimensionsphysik galt nach wie vor. Die nun sichtbaren Impulse des Dakkarkoms erschienen normalerweise auf einem kleinen, schwarzen Sichtschirm. Über diesem Schirm war die Zeitlinie eingeblendet, auf der sich das Schiff hin und her bewegte.

»Ich sehe ein, dass ich nichts sehe«, sagte Lecufe langsam und nahm seine Augen nicht von dem Schirmbild.

»Gleich werden Sie sehen, dass Sie etwas sehen.« Die Antwort kam bissig und schnell.

Und ... er sah es!

»Bei allen Galaxien!«, schrie er auf. »Phantastisch! Endlich etwas!«

»Haben Sie es gesehen?«, fragte der andere misstrauisch.

»Sie und Ihre Mannschaft sind hervorragend. Entschuldigen Sie – aber ich hatte alle Hoffnung längst fahren lassen«, sagte Lecufe begeistert. »Das müssen wir Ratschat berichten. Seine Kopfschmerzen werden schlagartig vergehen!«

»Hat er welche?«, fragte der andere.

»Ich glaube schon. Schließlich verantwortet er alles, was hier geschieht. Wir haben also die Funkimpulse für einen Sekundenbruchteil aufgespürt. Jetzt müssen wir versuchen, in genau dieser Ebene die Station zu stabilisieren.«

Der andere nickte.

»Das wird«, sagte er ruhig, »nicht ohne Schwierigkeiten vonstatten gehen.«

»Das ist«, erwiderte Lecufe in genau dem gleichen Tonfall, »gerade das Reizvolle bei solchen Aufträgen, mein Freund.«

Er grinste breit. Im stillen war er überzeugt, dass das Ende der Schwierigkeiten nahe war.

»Warten Sie«, sagte Lecufe, nachdem er einige Schaltungen vorgenommen hatte. Ratschat erschien auf einem Schirm, auf einem anderen der Leiter der Stabilisierungsabteilung. Er sah grimmig aus, und er wusste noch nicht, was Lecufe von ihm wollte.

»Frohe Botschaften«, sagte Lecufe mit guter Laune. »Wir brauchen nur noch drei bis vier mittelgroße Wunder und einige Überraschungen, dann sind wir aus unserer prekären Situation heraus.«

Ratschat erkundigte sich finster:

»Haben Sie getrunken, Lecufe?« Lecufe erwiderte:

»Keinen Schluck, Ratschat. Sehen Sie sich einmal die überlagerten Bänder an. Wir haben einen kurzen Impuls per Dakkarkom hereinbekommen. Wir müssen nur noch die Zeitstation in genau dieser Zeit festhalten, dann werden wir die Begrüßungschöre hören oder etwas Entsprechendes in dieser Art.«

Die drei dazugeschalteten Männer sahen sich mit ernsten Augen an. Sie zweifelten inzwischen am Geisteszustand des jungen Wissenschaftlers. Indes wusste Lecufe sehr genau, was er tat, und was dieser winzige Impuls in Wirklichkeit bedeutete. Dies war der Sieg eines wissenschaftlichen Verstandes über einen militärischen – wie so häufig in den letzten Jahrhunderten.

Sehr ernst erklärte Lecufe:

»Meine Herren – wir haben folgendes Problem zu bewältigen. Gehen wir von der absoluten Realzeit aus. Etwa dreihundert Sekunden, von Null aufwärts gerechnet, haben wir im Vorbeirasen entlang der Zeitlinie einen schwachen, undeutlichen Impuls aufgefangen. Per Dakkarkom. Unglaublich, aber wahr!

Woher diese Impulse kommen, werden wir feststellen müssen.

Unser Problem gipfelt also darin, diese Station ungefähr dreihundert Sekunden in der Zukunft zu stabilisieren – gerechnet von Punkt null, also der absoluten Realzeit. Werden Sie das schaffen?«

Der Verantwortliche der Ortungssektion sagte, von dem drängenden Eifer und der Überzeugung des jungen Wissenschaftlers angesteckt:

»Wir müssen vorher mindestens drei komplette Schwankungen miterleben und die Impulse genau anmessen. Zeitlich gesehen, meine ich.«

Lecufe grinste verwegen.

»Wie überraschend – eben dieses wollte ich in meiner kindlichen Einfalt vorschlagen. Dreimal nachmessen und dann versuchen, die Zeitstation genau in dieser Ebene festzuhalten. Ist das mit unseren Maschinen zu schaffen?«

Der Mann auf dem rechten Schirm antwortete abschätzend:

»Wenn ich die genauen Zeiten habe – vielmehr die genaue Zeit, in der ich die Station arretieren soll, dann kann ich es vielleicht schaffen.«

»Gut«, sagte Ratschat. »Geben Sie bitte acht. Ich sehe gerade, dass sich die Zeitstation schon wieder entlang der Zeitlinie bewegt.«

»Verstanden, Ratschat!«

Acht Augenpaare betrachteten die beiden Schirme.

Über der optischen Erfassung der Dakkar-Impulse bewegte sich der berüchtigte Punkt, der die temporäre Position der Zeitstation anzeigte. Als der Punkt das freie Feld zwischen der ersten Stunde und dem Nullpunkt übersprang, zeichnete der Dakkarschirm einen schnellen, verwischten Impuls auf.

Das geschah einmal ...

Atemlos und gespannt starrten die Männer auf die Schirme.

Ihnen schlossen sich die Mitarbeiter an, die jetzt erfuhren, worum es ging. Die Rettung aus dieser Situation war nahe! Jedenfalls verhieß das der unbeschwerte Kommentar von Lecufe, der damit nichts anderes als eine Welle der Begeisterung auslösen wollte, was ihm auch restlos gelang.

Bei der Rückkehr aus der Zukunft erschien zum zweiten Mal der schnelle, verwischte Impuls.

Jetzt glaubten es auch die skeptischen Mitarbeiter.

Der dritte ...

»Tadellos«, sagte Ratschat. »Wir versuchen, was Lecufe vorgeschlagen hat.«

»Sehen Sie jetzt«, erkundigte sich sarkastisch der Ortungsfachmann bei Lecufe, »dass Sie etwas sehen?«

»Ich sehe es«, erwiderte Lecufe ernst. »Was werden wir sehen, wenn wir das Schiff stabilisiert haben?«

Der Ortungsfachmann begann heftig zu lachen und sagte laut:

»Das werden Sie dann schon sehen, Lecufe.«

Alle Vorbereitungen wurden getroffen.

Zusätzliche Maschinen liefen an und schleusten ihre Energie in das Verbundnetz der Zeitstation. Schaltungen wurden gelöscht und neu programmiert. Eine mächtige potentielle Energie wartete darauf, eingesetzt zu werden.

»Was mag das für eine Art Signal sein?«, fragte Ratschat.

»Keine Ahnung«, sagte Lecufe. »Wann stabilisieren wir?«

Ratschat antwortete knapp:

»Wir koordinieren die Energieschaltung mit den Beobachtungen der Computer. Sie werden sicherer und genauer schalten, als wir alle es könnten.«

»Der Sieg der Maschinen über die lebenden Wesen«, sagte Lecufe leise. »Ich habe einen Wert von sechshundert Sekunden errechnet – plus der eigentümlichen Bewegung und des Vorlaufs.«

Ratschat gab die Zahlen weiter an die Rechenabteilung.

Überall in der kugelförmigen Zeitstation wuchs die Erregung. Männer, die den sicheren Untergang schon vor Augen gehabt hatten, schöpften wieder neue Hoffnungen. Hochrufe auf Lecufe wurden ausgebracht. Sie pendelten weiter durch die Zeit, aber es ging wie ein gigantisches Atemholen durch die Station.

»Start!«, sagte Ratschat.

Die miteinander verbundenen Aggregate und Maschinen, die Computer und die unzähligen Module, die vielen Schaltstellen und die mächtigen Projektoren, die mithelfen sollten, die Zeitstation zu stabilisieren, waren in Nullfunktion. Grünwerte flackerten auf den Anzeigepulten. Eine erwartungsvolle Stille herrschte im Schiff. Die zwanzigtausend Wesen sahen sich bedeutungsschwer an – sie wussten, wie sehr dieser Versuch über Leben und Tod entschied.

Die Computer arbeiteten.

Gleichzeitig schwang das Schiff bis weit in die Zukunft, blieb dort kurz haften, wie an einem gewaltigen Magneten, löste sich und eilte zurück. Jetzt übernahm der Computerverbund der Station die Schaltkommandos. Genau an dem Punkt, an dem die Signale gehört worden waren, blieb die Station auf der Zeitlinie stehen.

Mächtige Maschinen summten und arbeiteten. Ströme von unendlich großen Leistungen rasten durch die Leitungen.

Projektoren stemmten sich gegen den Zug des Zeitstroms und hielten das Schiff an. Zwei Kräfte begannen zu wirken. Bremse und Antrieb. Die unmittelbare Folge davon war, dass die gigantische Zelle des Schiffes in Schwingungen geriet. Gläser fielen von den Platten, Trinkgefäße zerschellten, und den Insassen brach der kalte Schweiß aus. Gleichzeitig zersplitterten die Schirme der am meisten überlasteten Beobachtungsgeräte.

»Informationsfluss!«, schrie einer der Männer.

Der Ruf lief wie ein Lauffeuer durch die Station.

Informationsfluss! Das bedeutete, dass die Signale hereinströmten. Aufzeichner und Entschlüsselungssätze liefen gleichzeitig mit dem Eintreffen des ersten Signals an. Auf dem Schirm, der die Information sichtbar machte, zeichneten sich Kurven und Punkte ab. Sie bildeten wirre Muster.

»Hier ist die Ortungsabteilung«, sagte jemand laut.

»Haben Sie etwas?«, fragte Lecufe.

»Ja. Deutliche Signale. Ich lasse die Aufnahmegeräte mitlaufen.«

Der Sichtschirm zeigte die Signale, aber er machte sie nicht verständlich. Sie hatten Angst, die Männer der Zeitstation, aber gleichzeitig hofften sie, dass Lecufes Ansichten richtig wären.

Dann ...

»Ich kann die Stabilität nicht mehr halten. Ich muss abschalten«, schrie der Betreffende.

»Warten Sie noch!«, schrie Ratschat. Es kam auf Sekunden an.

Eine kaum zu übertreffende Spannung bemächtigte sich des gesamten Forschungskommandos. Das Metall des Zeitsatelliten schien zerreißen zu wollen unter dem Druck der entgegenwirkenden Kräfte.

Jemand meldete sich aus der Ortungsabteilung.

»Das sind Signale eines Pedopeilers«, rief er laut. »Unverkennbar.«

Lecufe hörte diesen Begriff und wusste gleichzeitig, was er bedeutete.

Pedopeiler waren Riesensatelliten, die meist in der inneren Atmosphäre einer Sonne standen. Die Männer, die sich in der Zeitstation befanden, kannten den Begriff der Pedopeiler sehr genau – diese Satelliten wurden häufig verwendet. Kraft ihrer Fähigkeit konnten durch eine Pedopeilung gigantische Entfernungen innerhalb des Alls in Nullzeit überwunden werden.

»Es sind Notzeichen!«, meinte jemand keuchend.

»Unglaublich«, sagte Lecufe und kontrollierte mit scharfen Augen die Bildschirme. Die flackernden Zeichen, die aus der anderen Abteilung kamen, deuteten darauf hin, dass es mit der Zeitstabilisierung bald vorbei sein würde.

»Aus!«, flüsterte Sekunden später jemand resignierend.

Die Zugkräfte – jene unbekannte hyperphysikalische Macht – hatten die Zeitstation wieder in ihrem Griff. Der Punkt, der lange Minuten an einer Stelle gestanden hatte, rutschte wieder an den Nullpunkt und raste dann nach rechts, der Zukunft entgegen.

»Haben Sie alles aufgenommen?«, fragte Lecufe.

»Ja. Bis eben. Ich weiß nicht, ob es eine Sendepause war oder nur eine Pause zwischen zwei Sätzen.«

»Entschlüsseln und im Klartext über sämtliche Abteilungen der Station senden!«, ordnete Ratschat an. Seine Stimme klang jetzt um eine Idee hoffnungsvoller als vor kurzer Zeit, obwohl sich an der Situation der Zeitstation nichts geändert hatte.

»Sofort!«

Die zwanzigtausend Männer warteten.

»Zunächst möchte ich bemerken«, sagte der Verantwortliche aus der Ortungsabteilung, »dass es sich bei diesem Pedopeiler um einen völlig unbekannten handelt.«

»Na so was«, staunte Lecufe.

Der Mann auf dem Sichtschirm sah ihn unsicher an und fragte sich, wie es der junge Wissenschaftler wohl gemeint hatte. Die folgende Antwort enthob ihn weiteren Rätselratens.

»Wäre es ein bekannter Pedopeiler gewesen«, meinte Lecufe mit unüberhörbarem Sarkasmus, »dann wäre er in unseren Kursgeräten vermerkt gewesen. Was haben Sie noch an attraktiven Neuigkeiten?«

Ratschat grollte:

»Mäßigen Sie sich! Sie sind hier nicht als Alleinunterhalter tätig!«

»Nein«, kommentierte Lecufe. »Das nicht. Lassen Sie uns weiter hören, lieber Freund. Was sagt dieser seltsame Peiler?«

»Das Gerät sendet Notzeichen«, sagte der Verantwortliche aus der Ortungsabteilung.

Ratschat fragte humorlos:

»Arbeiten die Computer?«

»Tun sie, Chef«, sagte jemand in sein Mikrophon.

»Was ergibt die Auswertung? Schnell – es wird brenzlig!«, meinte der Leiter der Stabilisierungsgruppe.

»Die Auswertung ergibt, dass dieser Pedopeiler uralt sein muss. Er hat ein vorsichtig geschätztes Alter von mindestens zweihunderttausend Jahren.«

Lecufe sagte mit gerunzelter Stirn:

»Der Jüngste ist er nicht mehr, damit haben unsere Maschinen sicherlich recht. Was gibt es weiter Bemerkenswertes?«

Jetzt explodierte Ratschat.

»Lassen Sie endlich diese überflüssigen Witzeleien, Lecufe! Es reicht, wenn wir in eine solche Notlage geraten. Wir können Ihre billige Ironie durchaus entbehren!«

Lecufe gab ungerührt zurück:

»Sind Sie sicher, Ratschat? Ironie ist der einzige Weg, von allen Dingen die nötige Distanz zu bekommen. Ich fürchte, Sie lassen sich von den Problemen zu sehr gefangen nehmen!«

»Meinetwegen! Hören Sie damit auf!«

Lecufe sagte kopfschüttelnd:

»Jawohl, Ratschat!«

Der andere Mann auf dem Bildschirm fuhr fort:

»Dieser unbekannte, uralte Pedopeiler gibt, wie wir inzwischen erfahren haben, Notzeichen. Er meldet, dass seine Programmierung ihm vorschriebe, dass durch das Auftauchen überlegener Intelligenzen und dadurch, dass seine Auftraggeber nicht erschienen wären, nunmehr die Vernichtung eines Sonnensystems eingeleitet werden würde.«

Lecufe brachte sein Ohr in die Nähe des Lautsprechers und erkundigte sich zweifelnd:

»Sagte dieses Ding wörtlich: Durch das Auftauchen überlegener Intelligenzen?«

Sein Gesprächspartner witterte eine neue Teufelei und bestätigte:

»Genau das sagte der Pedopeiler.«

Lecufe grinste Ratschat ins Gesicht und sagte unüberhörbar laut:

»Überlegene Intelligenzen – er meint Sie, Ratschat!«

Ratschat musterte ihn drohend, dann glitt ein Grinsen auch über sein Gesicht.

»Weiter!«, brüllte er.

»Der Pedopeiler, dessen Signale wir auffangen und entschlüsseln konnten, gibt ferner bekannt, dass er so programmiert worden sei, dass er nach Ablauf einer Sicherheitsfrist seinen Standort und seine Pedopeilung jedem technisch orientierten Lebewesen bekanntgeben müsse.«

Jetzt meldete sich wieder der Leiter der Ortungsgruppe, der mit steigender Verwunderung den Dialog mitgehört hatte. Er sagte:

»Wir haben voller Verblüffung feststellen müssen, dass dieser Pedopeiler von jemandem erbaut worden ist, den niemand an Bord kennt. Eigentlich verständlich, würde unser junger Freund sagen, da diejenigen, die ihn vor unglaublich vielen Jahrtausenden erbaut haben, schon längst gestorben sein müssen.«

Lecufe nickte.

»Endlich, endlich werde ich an Bord richtig interpretiert!«, sagte er laut.

»Der Peiler ist in Aktion getreten. Er ist genau sechshundert Sekunden, von der Nullzeit ab gerechnet, in der Zukunft. Das, muss ich gestehen, macht mich neugierig.«

Ratschat erklärte:

»Mich auch! Was schlagen Sie vor?«

Lecufe sagte schnell entschlossen:

»Sehen wir an Ort und Stelle nach, Freunde.«

Ratschat schien zu zögern. Langsam fragte er:

»Gut. Mir ist endlich alles klar. Befänden wir uns nicht in der Zukunft, beziehungsweise, hätten wir nicht diese Schwingungen zu erleben, würden wir diesen leitstrahlähnlichen Impuls niemals empfangen haben. Das ist die logische Begründung, dass wir die Notzeichen überhaupt registrieren konnten.«

Lecufe zögerte nicht lange. Er überdachte seinen Plan, der seit einiger Zeit immer deutlichere Formen annahm, ein letztes Mal und sagte dann:

»Ich brauche Freiwillige!«

Ratschat sah ihn von oben bis unten an und schüttelte dann den Kopf.

»Wozu?«

»Um nachzusehen«, sagte Lecufe. »Schließlich sendet dieser Pedopeiler diese Notimpulse nicht aus reinem Übermut. Es ist ein gewagtes Experiment, aber ich gehe mit. Ich bin sicher, dass es klappt.«

Ratschat dachte nach, dann, nach einer Weile, sagte er vernehmlich durch die Kommunikationsgeräte:

»Freunde! Lecufe will sich hinüber in den Pedopeiler begeben. Wer mit ihm gehen möchte, soll sich melden. Die Computer werden die Freiwilligenziffern addieren und bekanntgeben. Los!«

In sämtlichen Abteilungen des kugelförmigen Raumkörpers meldeten sich Freiwillige. Als nach einigen Minuten das Rechenwerk die Meldungen zusammenzählte, kam es auf eine Zahl. Sie betrug genau achttausend.

Lecufe staunte.

»Hätte ich nicht gedacht. Können wir diesen Zeitkörper, in dem wir dahinrasen, noch einmal stabilisieren?«

Der Betreffende meldete sich und erklärte mürrisch:

»Ebenso leicht oder ebenso schwer wie vorhin – und sicher keine Sekunde länger als vor einigen Minuten.«

Ratschat warf einen langen Blick auf die Kontrollinstrumente und sagte schließlich:

»Diese Aktion wird sehr viel Mühe kosten und wird unter Einsatz unserer letzten Energiereserven vonstatten gehen. Voraussetzung ist, dass die Ortungsabteilung uns haargenau auf die Zeitspur des Pedopeilers einpendeln kann.«

Der Mann auf dem Bildschirm sagte:

»Das kann ich schaffen – mit Hilfe der Computer.«

»Gut«, sagte Lecufe zurückhaltend. »Leiten Sie das bitte ein. Kommen Sie mit, Ratschat?«

Der militärische Leiter der Zeitstation schüttelte langsam den Kopf.

»Nein«, erwiderte er. »Ich werde meine Aufgabe erfüllen. Sie bedeutet, dass ich die Zeitstation aus dem Mahlstrom der fremden Kräfte herausreißen werde – oder es wenigstens versuche. Wer mit Ihnen gehen will, soll dies tun.«

Lecufe fragte verständnislos:

»Sie resignieren, Ratschat?«

»Nein«, wiederholte Ratschat. »Ich wähle lediglich die schwerere Aufgabe. Gehen Sie ruhig!«

»Einverstanden.«

Während ein zweites Mal das gesamte Manöver eingeleitet wurde, überdachte Lecufe kurz die Situation. Er ließ seine Ausrüstung heranbringen und wusste: Die einzige Möglichkeit für achttausend seiner Leute, diese Zeitstation lebend zu verlassen, war der Sprung in den Pedopeiler, in den unbekannten Sonnensatelliten. Zwar wusste Lecufe nicht, wo dieser Satellit sich befand und welchem Zweck er gedient haben mochte, aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Sturm der Zeit die Zeitstation mit sich reißen und zerstören würde, war sehr groß. Lecufe bezweifelte, dass die Zeitstation jemals wieder in den normalen, dreidimensionalen Raum zurückgebracht werden konnte. Er sah die Pedotransferierung als die vielleicht letzte Rettungsmöglichkeit an und bedauerte, dass nur achttausend von zwanzigtausend Mitarbeitern diesen Ausweg ergriffen.

Die ersten Kommandos kamen durch.

»Ich kann die Station höchstens eine volle Minute stabil halten. Machen Sie Ihre Durchsage«, sagte der Leiter der Stabilisierungsabteilung.

»Danke. Schalten Sie den Computerverbund ein!«

»Verstanden!«

Lecufe griff zum Mikrophon, schaltete sämtliche Kommunikationsgeräte der Station ein und sagte nach kurzem Zögern:

»Hier spricht Lecufe. Freunde, es ist soweit. Unser Freund von der Stabilisierungsgruppe wird eine Sirene einschalten. Wenn dieser Ton abreißt, springen wir gemeinsam. Wir polen uns auf den Pedoleitstrahl ein, nehmen über eine noch unbekannte Entfernung Kontakt mit dem Satelliten auf und transferieren. Wo wir herauskommen, ist ungewiss – ungewiss ist auch das weitere Schicksal der Station, und wie wir wieder hierher zurückkommen. Achtung – Ausrüstung bereithalten – wir pedotransferieren in etwa drei Minuten.«

Er schaltete ab, zog sich in fieberhafter Eile um und nahm die Stücke der Sicherheitsausrüstung in die Hände. Dann wartete er geduldig und schweigend.

Der Augenblick näherte sich.

Der Punkt auf dem Anzeigeschirm raste von rechts nach links, schlug am Nullpunkt an und blieb einige Sekunden dort. Totenstille herrschte jetzt in dem Satelliten. Nur die Geräusche der Maschinen und die Bewegungen des strapazierten Metalls waren zu hören, sie schienen durch die Wände zu sickern. Dann jagte der Punkt auf die Fünf-Minuten-Marke zu, hielt kurz davor an und bewegte sich dann genau auf den feinen Strich zu. Die ersten Sekunden nach dem Heulen der Sirene verstrichen.

Die Männer von Lecufes Kommando fädelten sich in den Leitstrahl ein, überwanden in einer riesigen Schleife die Dimensionen und kamen nacheinander im Innern des Satelliten zum Vorschein. Lecufe hob die Hand, grüßte kurz Ratschat, seinen Vorgesetzten, und sprang in den Mahlstrom der Zeit hinein.

Er würde Ratschat vielleicht niemals wiedersehen.

Nacheinander sprangen achttausend Männer »hinüber« in den rätselhaften Satelliten. Sie überwanden den Abgrund zwischen den Dimensionen und einer kosmischen, gewaltigen, in Zahlen kaum mehr fassbaren Entfernung zwischen den dreidimensionalen Räumen von Start und Ziel. Der Kontakt war vollkommen – und alle achttausend Männer kamen unbeschädigt im Satelliten an.

Ihre Plätze an Bord der Zeitstation waren leer, als habe es achttausend Männer niemals gegeben. Sie hatten an ihre einzige Chance der Rettung geglaubt und waren nicht enttäuscht worden.

Sie lebten.

Ganze achtundfünfzig Sekunden konnte die Zeitstation stabil gehalten werden, dann waren die Energiereserven restlos erschöpft.

Als sichtbares Zeichen der Bewegung innerhalb der Zeit raste der glühende Punkt, der die Position kennzeichnete, wieder nach rechts, der Zukunft entgegen. Die verbleibenden zwölftausend Männer versuchten wieder und immer wieder, die Station anzuhalten oder auf eine andere Weise aus dem verderblichen Mahlstrom zu bringen.

Vergebens.

Die Geheimnisse der Dimensionen waren nicht enträtselt. Die unheilvolle Kraft, die an der gewaltigen Konstruktion riss und zerrte, konnte nicht festgestellt werden. Irgendwo, in den Weiten des Kosmos – nicht in der Galaxis der Menschen, auch nicht in einer der Millionen bekannten Galaxien, sondern irgendwo an einem entfernten Ort der Schöpfung – raste die Station weiter.

Von der Realzeit bis in die Zukunft.

Sechsundvierzig Stunden weit und wieder zurück. Ein tödlicher Reigen. In den Tiefen der Dakkarzone schwang das stählerne Pendel hin und her, die Bewegung erfüllte die Männer mit lähmendem Entsetzen. Sie erkannten jetzt langsam die furchtbare Wahrheit: Nie wieder würde es ihnen gelingen, die Zeitstation in den normalen Raum zurückzubringen, obwohl die reine Entfernung zwischen der Heimat und ihrer jetzigen Position nicht sehr groß war. Aber Abgründe und Schründe in der Zeit, in den Dimensionen und den rätselhaften, überlappenden Übergangszonen trennten sie davon.

Das ewige Dunkel breitete sich aus.

Die Vorräte würden noch lange reichen. Vielleicht ließ diese fremde Kraft irgendwann nach, vielleicht erschöpfte sie sich, vielleicht erbarmte sich ein gnädiger Tod. Niemand wusste es.

Ratschat war mit seinen Gedanken bei Lecufe.

Er bedauerte jetzt, nicht mitgesprungen zu sein, aber dann sagte er sich, dass er hier mehr gebraucht würde. Er schaltete einige Schirme ab, damit die Männer seinen hoffnungslosen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnten, und ging in einer kurzen Pause hinunter in die Energieabteilung.

Als er das Gespräch beendet hatte, war er noch hoffnungsloser als zuvor.

2.

Juni 3433

Der erste Tag – 2. Juni

Über Terrania City lag die Dämmerung des frühen Morgens. Um den Planeten Erde lag die riesige, fast unsichtbare Schale des Paratronschirmes. Sie färbte das Licht der Sterne ein wenig, und an ihr brachen sich die vielfältigen Ausstrahlungen der überhitzten Sonne. Der Helligkeitsstreifen wurde breiter, und die obersten Fenster der Hochhäuser begannen zu blinken. Die Erde erwachte langsam auf dieser Hälfte.

Von Osten kam die Helligkeit. Der breite Streifen, der wie ein fernes Gebirge die riesige Stadt Terrania City umspannte, begann zu lodern. Das Zentralfeuer des Systems, vor kurzer Zeit noch eine ruhige Sonne des G-Typs, schien zu rasen. Ihr Zustand ähnelte dem einer Nova – einer Pseudonova, weil fremde Kräfte, nicht die der atomaren Prozesse im Gestirnsinnern, diese Reaktion auslösten. Aus einer Pseudonova würde eine echte Nova werden, die nach den neuesten Berechnungen innerhalb von acht Wochen das System bis hinaus zu den letzten Planeten in eine sterbende Gluthölle verwandeln und alles Leben auslöschen würde. Vorausgesetzt, die festgestellte Kurve wurde weitergeführt.

Über den Wohntürmen, den Kronen der riesigen Bäume und den Antennen der Raumhafen-Kontrolltürme gleißte nun das Strahlenbündel auf, das den ersten direkten Sonnenstrahlen vorausging. Ein wolkenloser, fahlblauer Himmel spannte sich über der mächtigen Stadt rund um den Goshunsee, nördlich der chinesischen Mauer. Noch war alles ruhig. Kein Verkehrslärm, keine Stimmen, nur die der Tiere in den zahlreichen Naturschutzgebieten mitten in der Stadt und um sie herum.

Es wurde heller und heller.

Dort, wo dieses Licht herkam, gleichzeitig mit sämtlichen Strahlungen quer über die Bandbreite, schien die Vernichtung ihren Einzug gehalten zu haben. In der Sonnenatmosphäre kreiste der Satellit des Todes, der unangreifbar war und die Schuld an den unnormalen Reaktionen der Sonne hatte. Nur die beiden Spezialraumschiffe, die dort in Sonnennähe arbeiteten, konnten Hilfe bringen ... vielleicht! Es waren schwer isolierte Sonderanfertigungen, die nur für diesen Zweck gebaut worden waren.

Jetzt wurden die ersten Strahlen über die Stadt geschleudert.

Die Glasflächen loderten auf, jedes Stück Metall und auch die weißen Mauern spiegelten die ungeheure Lichtflut wider. Plötzlich schien die Luft zu kochen. Licht erfüllte alles. Licht, nichts als Licht. Keine andere Kraft schien mehr wirksam zu sein als die der harten, kalkigen Helligkeit, die sogar die Staubkörner in der Luft sichtbar machte. Die Augen der wenigen Menschen, die um diese Zeit schon aufgestanden waren, begannen zu schmerzen. Jeder setzte eine dunkle Brille auf, die Doppelscheiben wurden mit der lichtschluckenden Flüssigkeit gefüllt, und die Menschen versuchten, sich gegen die Grelle, das Licht, die Helligkeit und, damit verbunden, auch gegen die Wärme zu schützen.

Aus der Oberfläche des Goshunsees wurde eine unbewegte Platte aus Silber. Sie wirkte wie ein Spiegel, und jemand, der sich in der Nähe des Ufers befand, sah die Binsen und die Äste der Bäume wie ein Strichmuster aus Schwarz vor einer starken Lampe. Der Tag hatte begonnen – einer der furchtbaren, heißen Tage, in denen sogar das Blut zu gerinnen schien. Die Planeten waren fest im Griff ihres Zentralfeuers. Es war wie eine würgende Fessel aus körperlicher Unbeweglichkeit und geistiger Lähmung.

In der Nähe des Goshunsees, entlang eines Pfades, dessen Oberfläche aufgerissen war und bröckelnde Erde zeigte, zwischen der die wenigen Pfützen schon längst der Glut zum Opfer gefallen waren, ertönten ungewohnte Geräusche. Die dumpfen Schläge, genau rhythmisch, wurden von den Bäumen zurückgeworfen. Einige seltene, exotische Tiere hoben matt die Köpfe. Wütendes Vogelgeschrei ertönte.

Über den Pfad kamen in einem langsamen Galopp drei Reiter.

Eine etwa fünfundzwanzigjährige junge Frau saß auf einem pechschwarzen, riesigen Pferd. Das Mädchen war dunkelhaarig. Sie trug leichte Stiefel, eine dünne Hose und ein kurzärmeliges Hemd. Vor den Augen hatte sie eine dunkle Brille.

»Nicht so schnell, Ghislaine«, sagte eine Stimme hinter ihr. Sie zog am Zügel, und das Pferd mäßigte seine Gangart.

Hinter Ghislaine Cordelier ritt der Arkonide.

»Denk daran«, sagte er leise, als er auf gleicher Höhe mit ihr war, »dass die Tiere unter der Hitze ebenso leiden wie wir alle. Obwohl es noch sehr früh ist – langsam!«

»Meinen Gedanken entsprechend«, sagte Ghislaine und nickte.

Schweigend und starr im Sattel sitzend, ritt hinter Ghislaine und Atlan Perry Rhodan. Er schwieg und konzentrierte sich auf das Pferd. Es schien, als versuche er, das Bild eines asketischen Helden einer lustfeindlichen Gesellschaft zu verkörpern.

Atlan drehte sich im Sattel herum.

»Perry«, sagte er vorwurfsvoll und halblaut.

Rhodan schaute auf. Hinter dunklen Gläsern blickten sich die beiden Männer an, und der weißhaarige Arkonide zügelte sein Pferd und wartete, bis Rhodan aufgeschlossen hatte.

»Was hast du?«, fragte er.

Rhodan zog die Schultern in einem dünnen Polohemd hoch und ließ sie mutlos fallen.

»Ich glaube, ich muss mir den Vorwurf machen – oder sogar gefallen lassen – die Milliarden Menschen in diesem System in geistiger Unmündigkeit gehalten zu haben.« Atlan lächelte zurückhaltend.

»Wie meinst du das?«

»Wir alle«, sagte Rhodan bitter, »scheinen den falschen Weg eingeschlagen zu haben. Die Situation heute und hier scheint es zu beweisen. Wenigstens für mich.«

Sie ritten nebeneinander her.

Die Hufe der Pferde schlugen dumpfe Wirbel in der Einsamkeit des Parks. Alles schien tot und zerbrochen unter der Helligkeit zu liegen, die immer stärker wurde. Der Sand des Ufers sah aus wie Nebel. Der See selbst wirkte wie eine Linse, die einseitig verspiegelt war. Die Schläfen der drei Terraner begannen zu klopfen, und hinter den Brillen blinzelten sie. Sie schienen krank zu sein in ihrer Sehnsucht nach Ruhe, nach Kühle und einer deutlichen Geborgenheit vor diesem schrecklichen Lodern der Sonne.

Atlan sagte scharf:

»Du scheinst tatsächlich sehr zu leiden, Freund Rhodan. Wo ist deine strahlende Selbstsicherheit der frühen Jahre?«

Rhodan lächelte bitter. In den letzten Tagen hatte man ihn in den Nachrichten und den Zeitungen als den Mann, der nicht mehr lachte, charakterisiert. Das stimmte. Er hatte auch nicht einen einzigen Grund dafür.

»Mich hat vor einer Stunde Alaska Saedelaere angerufen«, sagte er. »Er hatte so etwas wie einen Traum.«

Atlan blieb ernst.

»Traum? Seit wann richtest du deine Entscheidungen nach den Träumen deiner Mitarbeiter, Perry?«

»Seit einiger Zeit. Einen Traum kann man es nicht nennen, eher einen Gedanken oder einen bestimmten Denkanstoß. Alaska sagte mir, dass er eine Ahnung habe. Es wären Fremde, mit denen er sich selbst irgendwie in Verbindung bringt, in erreichbarer Nähe.«

Die beiden Pferde griffen aus, und Atlan und Perry ritten einige Minuten schweigend nebeneinander her, bis sie Atlans Begleiterin erreicht hatten. Das Licht war jetzt, eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang, noch intensiver geworden, obwohl die Kühle der Nacht sich noch nicht völlig hatte verdrängen lassen. Die Helligkeit schoss wie mit Myriaden von Lichtpfeilen durch das Geäst, schien aus der Stadt alle Kräfte zu saugen oder verdunsten zu lassen. Farben wurden undeutlich. Gestalten schienen zu verschwimmen wie Schemen, und eine gigantische körperliche Müdigkeit senkte sich über die Millionen Quadratkilometer des Landes.

»Fremde? Welcher Art?«, fragte Atlan beharrlich.

Rhodan wischte sich den Schweiß von der Stirn und erwiderte:

»Keine Ahnung. Alaska wusste es selbst nicht.«

»Wo sollen sie sein?«, erkundigte sich der Arkonide.

»Das wusste er auch nicht«, sagte der Großadministrator.

»Was wusste er überhaupt?«, meinte Atlan.

»Wenig«, gab Rhodan zu.

»Das ist auch so eine Art der unbewussten Panikerzeugung«, sagte der Arkonide laut und warf das lange Haar zurück. »Selbst nicht genau wissen, was los ist, aber ein mächtiges Geschrei erheben und die Pferde scheu machen – beziehungsweise die Administratoren.«

Rhodan schwieg. Er schien wieder seinen trüben Gedanken nachzuhängen.

»Warum eigentlich diese Selbstvorwürfe, Partner?«, fragte Atlan nach einigen Sekunden.

»Hätte ich nicht das Sonnensystem in der Zukunft versteckt«, sagte Rhodan, »dann könnten wir jetzt alle mühelos fliehen und wären nicht der sterbenden Sonne und ihren Strahlungen ausgeliefert.«

Er hob den Arm und deutete in die Richtung des Sees, der wie eine Platte weißglühenden Metalls hinter den Bäumen, Büschen und Riedgräsern lag.

»Fünfundzwanzig Milliarden Menschen!«, sagte Atlan und stöhnte. »Bist du irre?«

Rhodan sagte:

»Noch nicht, Atlan, noch nicht. Weißt du einen besseren Weg?«

Atlan bückte sich unter einem überhängenden Ast und sagte, sich wieder aufrichtend, leise:

»Ja.«

»Welchen?«, fragte Rhodan.

Atlan bekannte:

»Einen anderen jedenfalls. Wie lange haben wir noch Zeit, bis die Sache akut wird? Ich meine nicht die endgültige Vernichtung des Systems, sondern die ersten wirklich unangenehmen Folgeerscheinungen der sterbenden Sonne.«

Rhodan überlegte und erwiderte dann:

»Wir können es uns noch genau zwölf Tage leisten, zu warten. Dann werden die größeren Katastrophen eintreten. Noch zwölf Tage, Atlan, in denen wir ununterbrochen arbeiten müssen. Ab dem dreizehnten Tag müssen wir das System räumen.«

Atlan bestätigte:

»Wobei dir und mir unklar bleibt, wie man fünfundzwanzig Milliarden Menschen mit den vorhandenen Mitteln evakuieren soll.«

»So ist es«, bestätigte Rhodan.

Das Solsystem befand sich, unsichtbar für jeden, der es suchte, um fünf Minuten in der Zukunft. Die Sonne hatte aber die Bewegung um dreihundert Sekunden mitgemacht, und das beginnende Verderben fand ebenfalls fünf Minuten in der Zukunft statt – was an der drohenden Gefahr nicht das mindeste änderte. Langsam wurde die Sonne zur Nova. In den kommenden zwölf Tagen musste ein Ausweg oder eine Möglichkeit der Totalevakuierung gefunden werden, sonst schloss die Geschichte Terras hier ab. Und es lag im Interesse aller Terraner, die Geschichte nicht hier enden zu lassen. Denn die Ursachen waren nicht die natürlichen Prozesse in der Sonne – die niemand, auch nicht Abel Waringer, aufhalten konnte – sondern die Ausstrahlungen des Todessatelliten.

Ghislaine kam aus einem Nebenweg angaloppiert, zügelte das Pferd und blieb vor den beiden Männern stehen. Sie hob den Arm und sagte laut:

»Reiten wir zurück. Ich habe ein ausgezeichnetes Frühstück vorbereitet.«

Rhodan lächelte zögernd.

»Reizend«, sagte er. »Nett, wie Sie sich um uns kümmern.«

Ghislaine sagte mit einer umfassenden Handbewegung:

»Atlans Freunde sind auch meine Freunde. Und da Sie sich den ganzen Tag über in Ihrer Administration mit Wissenschaftlern, Flottenkommandanten und übergroßer Hitze herumschlagen werden ...«

Atlan ergänzte in gutmütigem Spott:

»... und mit teilweise völlig ungerechtfertigten Selbstvorwürfen ...«

Ghislaine erklärte dem verdutzten Perry:

»... werden Sie die Segnungen eines wohlsortierten Frühstücks in Gegenwart zweier bezaubernder Menschen und guter Freunde besonders genießen. Ein gutes Frühstück ist entscheidend für den Verlauf des ganzen Tages. Vielleicht bringt der Traum von Alaska Saedelaere Ihnen die Lösung dieser Probleme. Ich jedenfalls bin optimistisch. Bisher ist noch keine Krise in der Lage gewesen, einen Perry Rhodan zu knicken.«

Atlan sagte:

»Nicht einmal Selbstkritik!«

Sie wendeten die Pferde und galoppierten los, dem kühlen Bungalow des Arkoniden entgegen, in dem die Roboter und das Frühstück auf sie warteten. Hätte einer der beiden Männer eine Ahnung von den wirklichen Geschehnissen gehabt, dann wäre das Essen am frühen Morgen, es war nicht einmal fünf Uhr, weniger gelockert und in guter Stimmung verlaufen.

Dann stiegen Atlan und Rhodan in einen Gleiter, schalteten das Kühlaggregat ein und rasten ins Zentrum der großen Stadt. Sie hatten, den heutigen Tag eingerechnet, zwölfmal vierundzwanzig Stunden Zeit.

In seiner fast unüberschaubar großen Administration benutzte Perry Rhodan den obersten Raum für die Sitzungen. Es war nichts anderes als ein großes Büro, dessen Seitenlänge jeweils dreißig Meter betrug. Dieser Raum war in verschiedene Zonen und Bereiche aufgeteilt, und jede dieser Funktionsgruppen erfüllte eine andere Aufgabe. Nachdem Rhodan und Atlan, anschließend an das gemeinsame Frühstück mit Ghislaine Cordelier, dieses Gebäude betreten hatten, waren sie durch den Antigravlift nach oben geschwebt und sichteten jetzt die Nachrichten, die in der vergangenen Nacht eingegangen waren. Es war sieben Uhr fünfzehn.

Ein Interkom summte.

Rhodan drückte die Antworttaste und sagte leise:

»Rhodan.«

»Soeben haben Alaska Saedelaere und Lord Zwiebus das Haus betreten. Sie sind auf dem Weg zu Ihrem Büro.«

Rhodan nickte.

Das Bild verblasste wieder.

Auf einem anderen Schirm liefen die Nachrichten durch. Die Lage hatte sich, wie nicht anders zu erwarten gewesen war, weiter zugespitzt. In den Atmosphären der großen Planeten bewirkte der Anstieg der Sonnenintensität starke Bewegungen der verschiedenen Gasschichten. Stürme waren entfesselt worden und tobten mit ständig steigender Geschwindigkeit über die eisbedeckten Oberflächen der Planeten.

Atlan sagte:

»Die Spitzenwerte sind nur geringfügig angestiegen, aber die Auswirkungen scheinen im Quadrat zu wachsen. Hier, einige Bilder von Pluto.«

Atlan schaute von seinen Papieren und vom Schirm auf und schaltete kurz. Auf dem großen Sichtschirm an Rhodans Schreibtisch begann das Bild zu flackern, das die Plutooberfläche zeigte.

Rhodan sagte leise und fast verzweifelt:

»Und das wird in den kommenden Tagen stärker werden. Die Ammoniakgletscher werden vermutlich abschmelzen. Dadurch gibt es Gravitationsschwankungen und Verschiebungen auf den Oberflächen. Versuche, dir das alles hier auf der Erde, in entsprechender Form vorzustellen, Atlan!«

Atlan stand auf und schaltete die Filmgeräte ab.

»Warte«, sagte er. »Wir haben noch einige Eisen im Feuer – buchstäblich. SUN DRAGON I und SUN DRAGON II sind noch in der Sonne – außerdem werden wir uns zunächst mit Zwiebus und Saedelaere unterhalten, bevor die Wissenschaftler uns überfallen.«

»Du rechnest dir Chancen aus?«, fragte Rhodan und schob seinen Sessel zurück.

»Ja. Echte Chancen. Noch zwölf Tage, Perry. Uns kann und wird etwas einfallen!«

Rhodan fühlte sich in einer seltsamen, hoffnungslosen Stimmung befangen. Seine Gedanken kreisten unablässig um dieses Problem, und er sah nicht einmal die Spur eines Auswegs. Er lehnte es aus reinen Gründen des Verstandes ab, sich an Alaska Saedelaeres Traum zu klammern, sah aber gleichzeitig ein, dass an diesen vagen Vermutungen doch etwas dran sein konnte.

»Warten wir also«, sagte Rhodan und sah zur Tür, die sich gerade aufschob und die riesige Gestalt des Neandertalers zeigte, hinter dem Alaska fast verschwand. Die beiden Männer kamen näher. Sie begrüßten Atlan und Rhodan und nahmen dann in den schweren, stationären Sesseln Platz.

»Sie sagten, Sie hätten heute Nacht eine Beobachtung machen können?«, fragte Atlan ruhig und deutete mit der Hand auf den Transmittergeschädigten.

Alaska zuckte mit den Schultern.

»Ich wachte mitten in der Nacht auf«, sagte er ruhig, »und ich wusste, als ich ganz hellwach geworden war, dass jemand erschienen war. Kennen Sie dieses Gefühl, Lordadmiral?«

Atlan blieb wohlwollend skeptisch.

»Welches Gefühl, Alaska?«

»Sie liegen in einem dunklen Raum. Und Sie schlafen. Und plötzlich werden Sie wach, weil Sie ganz genau wissen, dass jemand das Zimmer betreten hat. Sie sehen nichts. Gar nichts. Aber Sie wissen es genau: Jemand ist da und belauert Sie. Kennen Sie dieses Gefühl?«

Atlan stimmte zu.

»Ziemlich genau, Alaska. Wann war das ... ungefähr?«

Der Mann, dessen Gesicht von der Maske verdeckt war, spreizte die Finger und erwiderte halblaut:

»Etwa zwischen Mitternacht und ein Uhr. Aber versuchen Sie bitte nicht, aus meinen persönlichen Empfindungen zuviel abzuleiten.«

»Nein«, sagte Atlan. »Aber wenn wir Waringer und die anderen Wissenschaftler hier haben werden, kann dieses Steinchen ein wertvoller Beitrag zu einem Mosaik werden. Vielleicht!«

Wieder summte auf Rhodans Schreibtisch der Interkom.

»Ja.«

»Sir«, sagte jemand, »hier spricht die Hafenkontrolle. Ich erhalte eben die Meldung, dass die beiden Sonnenschiffe einfliegen. Die Kommandanten wahren Funkstille.«

Rhodan nickte und erwiderte:

»Danke. Ich kümmere mich um die Landung.«

Rhodan schaltete ab und wandte sich an den transmittergeschädigten Mann, der ihn ansah. Es herrschte eine beklemmende Stimmung unter den vier Menschen.

Rhodan lehnte sich zurück und schwieg, dann sagte er leise:

»Wir sollten wirklich daran denken, einen Plan für eine großangelegte Evakuierung zu entwickeln. Wir verfügen zwar über Eventualpläne für die einzelnen Planeten, aber keinen für eine umfassende Evakuierung des Systems. Gleichzeitig sträubt sich alles in mir gegen diesen Plan.«

Atlan fragte knapp:

»Aus welchem Grund?«

Rhodan presste die Lippen zusammen und sagte leise:

»Ich sträube mich dagegen, weil dann endgültig unsere Tarnung in der Zukunft hinüber wäre. Das Geheimnis des Ghost-Systems müsste zwangsläufig aufgegeben werden. Aber ich unterwerfe mich der Notwendigkeit. Wenn wir das System räumen müssen, werde ich der erste sein, der zu arbeiten beginnt. Aber zuviel ist geschehen, das schlagartig geändert werden müsste. Ich habe ganz einfach Angst vor dieser riesigen Aufgabe. Schon wieder von vorn anfangen! Ganz von neuem alles einrichten ... vielleicht hänge ich auch nur einfach an dieser Erde, auf der ich geboren bin.«

»Das ist möglich«, sagte Atlan. »Kümmere dich erst einmal um die beiden Sonnendrachen. Ich muss mit den Kommandanten sprechen.«

Rhodan drückte die Taste nieder, der Schirm erhellte sich. Eine Stimme fragte:

»Was wünschen Sie, Sir?«

Rhodan sagte:

»Stellen Sie mir bitte eine Verbindung her zu den beiden Kommandanten von SUN DRAGON I und SUN DRAGON II.«

Die Stimme erwiderte schnell. »Sofort, Sir, selbstverständlich!«

Dann schaltete Rhodan das Bild auf drei andere Schirme, und die anderen Männer konnten sein Gespräch mit den beiden Kommandanten mitverfolgen. Bevor das erste Wort gesprochen wurde, wusste Atlan, wie das Gespräch ausgehen und welches Ergebnis es erbringen würde.

Beide Kommandanten waren ältere Männer in dunklen Uniformen ohne Rangabzeichen. Ihre Gesichter waren hart und voller Kerben, und die Augen hatten einen überraschend ernsten Ausdruck, als hätten sie Dinge gesehen wie keiner vor ihnen. Die Hände beider Männer waren der beste Ausdruck ihrer Nervosität – die Finger fuhren unruhig auf der Tastatur der Sichtschirme umher.

»Meine Herren«, sagte Rhodan leise, »Sie sind gelandet und haben bisher keine Funksprüche gewechselt. Was ist der Grund?«

Einer der Kommandanten erwiderte, ohne die Augen von Rhodans Gesicht zu nehmen:

»Wir halten nichts davon, zu einer Panik beizutragen. Das, was wir zu berichten haben, ist nicht unbedingt positiv, Sir.«

Atlan fragte:

»Also negativ?«

Der Kommandant der SUN DRAGON II nickte mehrmals. Es war eine hoffnungslose Geste.

»Ja, leider.«

Die Männer im obersten Stockwerk der Administration erlebten den Bericht mit. Sie sahen die Aufnahmen, sahen, wie die Kamera auf die Anzeigen der Instrumente überblendete und in den verschiedenen Abteilungen der Schiffe eingesetzt wurde. Die beiden Spezialschiffe arbeiteten in der glühenden Hölle der Sonnenatmosphäre und versuchten, ihr gesamtes Arsenal an Defensivwaffen und Offensivwaffen einzusetzen, um den riesigen Todessatelliten abzuschießen oder aus der Sonnennähe herauszubugsieren. Nichts half.

Gleichzeitig liefen die Messungen weiter ...

Sie bestätigten den einzelnen Abteilungen, in denen die Wissenschaftler ihre Analysen machten, dass nur einzig und allein der Todessatellit die Schuld trug, dass sich die irdische Sonne langsam, aber unaufhaltsam in eine Nova verwandelte. Alle Zeichen deuteten unwiderruflich darauf hin.

Rhodan fragte in eine Pause hinein:

»Haben Sie, meine Herren, in der Umgebung der Sonne oder auch meinetwegen am Satelliten selbst etwas Ungewöhnliches feststellen können? Ungewöhnlich natürlich in der Form, dass es über die Pränova-Momente hinausging?«

Der Kommandant von SUN DRAGON I schüttelte den Kopf.

»Nein, nichts. Natürlich haben wir den sonnennahen Raum sehr genau abgesucht. Wir konnten kein Zeichen feststellen, das auf die Einwirkung von Fremden hinwies.«

Saedelaere fragte ruhig:

»Wie lauten die Daten der letzten Auswertung?«

Einer der Männer runzelte die Stirn und griff nach einem Blatt, das außerhalb des Sichtbereichs der Aufnahmelinsen lag. Dann sagte er, den Text ablesend:

»Wir können die nächsten zehn bis zwölf Tage noch abwarten. Die Paratronschirme werden die größten Schäden abwehren können. Dann aber müssen wir schlagartig handeln. In etwa fünfzig Tagen werden die Planeten verbrannt sein, Sir.«

Saedelaere sagte steif:

»Danke. Haben Sie einen Vorschlag, wie wir diesen verdammten Satelliten ausschalten können?«

»Nein«, erwiderte Rhodan.

Er stützte sein Gesicht in beide Hände und stemmte die Ellbogen gegen die Tischplatte. Dann fragte er leise:

»Gibt es noch etwas, was wir wissen müssen, meine Herren?«

Einer der Kommandanten blickte Rhodan an und sah, dass der Großadministrator wie ein alter, gebrochener Mann wirkte. Rhodan schien resigniert zu haben.

»Nein. Sämtliche Unterlagen gehen Ihnen durch einen Kurier zu. Er ist bereits unterwegs in die Administration.«

»Danke«, sagte Rhodan. »Sie haben getan, was Sie konnten. So sehr ich bedaure, dass Sie mir kein besseres Ergebnis mitteilen konnten, so sehr muss ich Sie loben. Vielen Dank, meine Herren.«

Sie grüßten, dann waren die Schirme grau.

»Wieder eine Hoffnung weniger«, sagte Atlan düster. Auch er schien jetzt stückweise seinen Optimismus zu verlieren.

»Eine kleine Hoffnung, aber immerhin eine«, sagte Rhodan. »Aber ... außer der Räumung des Systems muss es noch eine andere Möglichkeit geben. Es muss sie einfach geben!«

Atlan setzte sich auf Rhodans Tisch und sagte:

»Warten wir auf Waringer und sein Team, Perry.«

Sie brauchten nicht mehr lange zu warten.

»Sir«, sagte einer der Männer, »Sie werden tun müssen, was wir vorschlagen. Schon allein deswegen, weil wir sämtliche anderen Möglichkeiten durchprobiert haben und dabei auf kein Ergebnis gestoßen sind. Glauben Sie uns ... wir finden den Gedanken an eine vollständige Räumung des Sonnensystems ebenso befremdend wie Sie.«

Rhodan verhielt sich schweigend und abwartend.

»Wir müssen sofort das Antitemporale Gezeitenfeld abschalten, in die Realzeit zurückkehren und mit sämtlichen Schiffen, die wir haben, fliehen. Andere Planeten werden die Menschen gern aufnehmen.«

Auch Atlan wollte zuerst hören, was die Wissenschaftler zu sagen hatten. Er sah einen nach dem anderen an und las in ihren Augen das gleiche: Sie waren mit ihren Kenntnissen am Ende.

»Fünfundzwanzig Milliarden Menschen!«, sagte Rhodan leise.

»Das sind, bei fünfzigtausend Schiffen, je fünfhundert Flüge mit tausend Flüchtlingen an Bord«, erklärte ein Mathematiker laut.

»Ich weiß«, sagte Rhodan. »Ich habe bereits nachgerechnet. Das ist auch nicht der Grund meines Zögerns.«

»Sondern?«, fragte Geoffry Abel Waringer.

»Ich sehe das große Vorhaben unseres Volkes, nämlich die Stabilisierung des Friedens in der Galaxis, in weite Fernen schwimmen. Dabei berührt mich besonders tief unsere Machtlosigkeit. Das Geschehen ist unbesiegbar. Und es handelt sich nur um einen einzigen Satelliten in der Sonne. Dieses Verhältnis ist unangemessen, meine Herren.«

Die Männer, die sich in Rhodans Büro versammelt hatten, zählten zur administrativen und wissenschaftlichen Spitze der Planeten des Ghost-Systems. Auf ihren Schultern lag die Verantwortung für das Schicksal der fünfundzwanzig Milliarden Menschen. Sie waren, entweder durch Wahlen oder durch ihre wissenschaftliche Qualifikation, diejenigen, die zu entscheiden hatten.

Die Entscheidung war schwerer als alle vorhergehenden, obwohl die Männer nicht eine Sekunde lang an ihr persönliches Wohl dachten. Sie waren integre Persönlichkeiten. Einer der Wissenschaftler versuchte, die düstere, hoffnungslose Stimmung durch eine sarkastische Bemerkung aufzulockern und sagte warnend:

»Es sind schon viel große Männer durch Mückenstiche gestorben, Sir. Sie sollten in weniger spektakulären Dimensionen denken. Kleiner, schneller, wirkungsvoller. Und unmittelbarer, denn die Situation schreit nach einer Lösung.«

Rhodan erwiderte:

»Besteht die Chance, dass wir diesen Satelliten angreifen können? Bestehen auch nur die geringsten Aussichten, dass wir in den folgenden zehn, zwölf Tagen dieses Problem aus der Welt schaffen können? Nein!«

Alaska Saedelaere trat aus dem Hintergrund in die Mitte der Versammlung und sagte, seine Maske auf Rhodan richtend:

»Ich glaube, ich muss mich etwas ausruhen. Ich fühle mich nicht besonders wohl – vielleicht kommt wieder einer dieser mysteriösen Anfälle. Wenn ich wieder kann, werde ich an den Beratungen weiter teilnehmen.«

Rhodan winkte zwei Ordonnanzen, die ihn hinausbegleiteten. Alaska ging zwischen ihnen wie ein Mann, den seine Kräfte zu verlassen drohten. Rhodan wünschte einen Augenblick, er wäre an der Stelle des Transmittergeschädigten und könne sich der Verantwortung und den quälenden Gedanken durch Flucht in eine Krankheit entziehen. Dann aber sah er wieder die Hölle der Sonnenatmosphäre vor sich. Er straffte sich und sagte endlich in mühsam erzwungener Ruhe:

»Meine Herren, ich schlage einen Kompromiss vor. Nach meiner Ansicht enthält er alle Möglichkeiten und schadet niemandem, wie ich glaube. Wollen Sie ihn hören?«

Atlan munterte ihn auf.

»Selbstverständlich, Perry«, sagte er halblaut. »Wir hören.«

Rhodan warf einen Blick auf die Projektion der Galaxis, die an einer Längswand des Büros dreidimensional in den verschiedenen Farben glühte. Er sagte: