Perry Rhodan 53: Die Urmutter (Silberband) - Clark Darlton - E-Book

Perry Rhodan 53: Die Urmutter (Silberband) E-Book

Clark Darlton

5,0

Beschreibung

Die Ereignisse in Gruelfin, der Galaxis der Cappins, spitzen sich zu: Auf der Suche nach Verbündeten geraten Perry Rhodan und Atlan - sie tragen die Bewusstseine der Cappins Ovaron und Merceile in sich - in die Unterwelt des Planeten Erysgan. Unter der Oberfläche der Welt kämpfen die Farrog-Mutanten in einer Hölle mit schrecklichem Leben und unzähligen Fallen um ihr Überleben. In dieser grausigen Umgebung muss Perry Rhodan die Mutanten davon überzeugen, dass er tatsächlich den Ganjo in sich trägt, den seit Jahrzehntausenden verschollenen Herrscher aller Cappins. Nur so kann er die Urmutter, ein uraltes Robotgehirn, dazu bringen, Ovaron anzuerkennen und seine Herrschaft wiederherzustellen. Ein Verräter stellt sich allerdings quer - und löst das Chaos aus: Die kugelförmige Kleingalaxis Morschatztas fällt aus dem Hyperraum, in dem sie lange Zeit versteckt worden war. Nun können die Takerer ihre uralten Feinde angreifen und zur Vernichtungsschlacht rufen ...

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Nr. 53

Die Urmutter

Die Ereignisse in Gruelfin, der Galaxis der Cappins, spitzen sich zu: Auf der Suche nach Verbündeten geraten Perry Rhodan und Atlan – sie tragen die Bewusstseine der Cappins Ovaron und Merceile in sich – in die Unterwelt des Planeten Erysgan. Unter der Oberfläche der Welt kämpfen die Farrog-Mutanten in einer Hölle mit schrecklichem Leben und unzähligen Fallen um ihr Überleben.

In dieser grausigen Umgebung muss Perry Rhodan die Mutanten davon überzeugen, dass er tatsächlich den Ganjo in sich trägt, den seit Jahrzehntausenden verschollenen Herrscher aller Cappins. Nur so kann er die Urmutter, ein uraltes Robotgehirn, dazu bringen, Ovaron anzuerkennen und seine Herrschaft wiederherzustellen.

Vorwort

Nun ist es also soweit. Die Flotten zweier Galaxien prallen aufeinander, die Fetzen fliegen, und die Erzhalunken reiben sich wieder einmal die schmutzigen Hände. Ein ins Gigantische gewachsenes Robotgehirn, von Ovaron selbst noch in Auftrag gegeben und programmiert, wacht über das Versteck der Ganjasen und tut das so gründlich, dass es den – längst identifizierten – Ganjo erst nach dem hundertsten Test als solchen anerkennt und damit seinen politischen Gegnern die Zeit gibt, ihre Fäden zu ziehen und das Chaos vorzubereiten.

Dies sind im wesentlichen die Punkte, die der Handlung des 53. PERRY RHODAN-Buches anzukreiden wären. Auf der anderen Seite liegt hiermit ein Werk vor, das an Spannung und Dramatik nicht so leicht zu überbieten ist. Die Ereignisse in der Cappin-Galaxis streben ihrem Höhepunkt entgegen – und dieser wird im nächsten Band stattfinden, allerdings an anderer Stelle, nämlich im Solsystem, das danach nie mehr so sein wird wie vorher.

Diesmal fanden die folgenden Romane Aufnahme ins Buch, in Klammern die Nummern der Hefte: Die Mutanten von Erysgan (485), System der tausend Fallen (490) und Transmitter nach Takera (491) von H. G. Ewers; Zwischen Weltraum und Untergrund (486) und Ich, der Ganjo (487) von William Voltz; Plan der Vernichtung (488) von Hans Kneifel; Gucky und der Verräter (489) von Clark Darlton.

Ich möchte mich wieder bedanken bei allen Lesern, Freunden und Kollegen, die nicht mit Kritik und Anregungen für die PERRY RHODAN-Buchreihe hinter dem Berg gehalten haben und sogar schon Vorschläge für den nun bald beginnenden Schwarm-Zyklus gemacht haben. Er wird die offenbar sehr hohen Erwartungen erfüllen, dessen bin ich ganz sicher.

Zeittafel

1971 – Perry Rhodan erreicht mit der STARDUST den Mond und trifft auf die Arkoniden Thora und Crest.

1972 – Mit Hilfe der arkonidischen Technik Einigung der Menschheit.

1976 – Das Geistwesen ES gewährt Rhodan und seinen engsten Wegbegleitern die relative Unsterblichkeit.

1984 – Galaktische Großmächte versuchen, die aufstrebende Menschheit zu unterwerfen.

2040 – Das Solare Imperium ist entstanden und stellt einen galaktischen Wirtschafts- und Machtfaktor ersten Ranges dar.

2400 – Entdeckung der Transmitterstraße nach Andromeda; Abwehr von Invasionsversuchen von dort und Befreiung der Völker vom Terrorregime der Meister der Insel.

2435 – Der Riesenroboter OLD MAN und die Zweitkonditionierten bedrohen die Galaxis. Perry Rhodan wird nach M 87 verschlagen. Nach seiner Rückkehr Sieg über die Erste Schwingungsmacht.

2909 – Während der Second-Genesis-Krise kommen fast alle Mutanten ums Leben.

3430 – Um einen Bruderkrieg zu verhindern, lässt Rhodan das Solsystem in die Zukunft versetzen. Bei Zeitreisen lernt er den Cappin Ovaron kennen.

3437/38

Prolog

Seit dem Flug der MARCO POLO zur über 35 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernten Galaxis NGC 4594 sind mittlerweile mehr als neun Monate vergangen, und die insgesamt 8000 Expeditionsteilnehmer haben sich seitdem erbittert gegen die Flotten der Takerer zur Wehr setzen müssen, jenes Cappin-Volkes, das nach Ovarons Aufbruch zur Erde die Macht an sich gerissen hat. Vor rund 200.000 Jahren nutzten sie die Abwesenheit des Ganjos aus, um das bisher stärkste Volk, die Ganjasen, vernichtend zu schlagen. Seitdem gelten die Ganjasen als verschollen oder ausgestorben. Nur wenige überlebten auf radioaktiv verstrahlten Welten, wo sie ein kümmerliches Dasein unter der Oberfläche führen, die meisten von ihnen mutiert.

Ovaron, der heimgekehrte Ganjo, klammert sich verzweifelt an die Hoffnung, dass es sein Volk noch irgendwo gibt, während Perry Rhodan in erster Linie um die Milchstraße und das Solsystem besorgt ist. Immer wieder erhält er Informationen über die so gut wie abgeschlossenen Vorbereitungen der Takerer zur Pedoinvasion der Galaxis. Was Pedotransferer (nicht alle Cappins verfügen über diese Gabe) anrichten können, wenn sie Menschen geistig übernehmen, haben die Terraner schon bitter zu spüren bekommen.

Bei der Flucht vom Zentralplaneten der Takerer entdecken die Gefährten seltsame Roboter, die so genannten Vasallen. Sie finden heraus, dass diese Vasallen jeweils Teile einer größeren Einheit sind, der so genannten Sammler.

Und die Sammler gehören wiederum zu einem rätselhaften Riesenroboter, der Urmutter, deren Gesandter Florymonth Rhodan und Ovaron den Weg zur Terrosch-Rotwolke zeigt – und von dort aus in die im Hyperraum verborgene Kleingalaxis Morschatztas, ins langgesuchte Versteck der Ganjasen.

Perry Rhodan mit Ovaron und Atlan mit Merceile geraten dort in eine Falle der Pedolotsen, einer verräterischen Sekte, die nach außen Ovaron verehrt und die Rückkehr des Ganjos predigt, in Wirklichkeit aber den Ganjo-Kult nur dazu benutzt, die eigene Macht zu stabilisieren.

Die Freunde können den Pedolotsen und deren grausamem Anführer, Guvalasch, entkommen.

1.

April 3438

Bericht Perry Rhodan

Admiral Farros Gesicht wirkte wie eine Maske aus grauem Solitgestein. Die hellblauen Augen verschleierten sich kurz, als die letzte glühende Gaswolke im All verwehte.

Ich wandte mich rasch ab und konzentrierte mich auf die Kontrollen, als ich merkte, wie die Starre von Admiral Farro wich. Der Admiral brauchte nicht zu wissen, dass ich ihn beobachtet hatte, während das letzte Schiff seines Eliteverbandes von den Einheiten des Robotgehirns vernichtet wurde. Er würde niemals verstehen, dass mich der Tod seiner besten Männer nicht sonderlich erschütterte.

Vielleicht, wenn er wüsste, wer ich in Wirklichkeit war ...

Doch das war mein Geheimnis, das ich ohne zwingende Notwendigkeit nicht preisgeben würde. Meine Namen waren so zahlreich wie die Leben, die ich gelebt hatte. Noch hieß ich Ervelan, aber in spätestens fünfzig Jahren musste ich eine neue Identität annehmen, wenn mein Geheimnis nicht offenbar werden sollte.

»Wie lange noch, Ervelan?«, fragte Admiral Farro unvermittelt.

»Nicht mehr lange, Admiral«, antwortete ich vage. Meine Finger glitten über das Kontrollpaneel mit den verschiedenfarbigen Tasten. Die SALTEQUYN sprang vorwärts wie ein Uvair, als die Schubleistung sich erhöhte.

»Sind Sie ...«, begann Farro aufgebracht. Er verstummte und biss sich auf die Lippen, als ich mich umwandte und ihn anlachte.

Kurz darauf heulten die Alarmpfeifen auf. Ortungsalarm. Auf den Kontrollschirmen des Objekttasters erschienen zahllose hellgrün leuchtende Punkte. Eine mechanische Stimme sagte Werte auf.

Ich schaltete die Alarmanlage ab. Es war unerheblich, dass die Robotschiffe die Energieemissionen unserer Triebwerke angemessen hatten. Die SALTEQUYN befand sich bereits zu dicht am Wechselpunkt, als dass sie noch eingeholt werden konnte. Sie konnte auch nicht mehr beschossen werden, denn die Energieentladungen wären auf die Energiekonzentration des Wechselpunktes übergesprungen und hätten einen irreparablen Kontinuumsdefekt hervorgerufen.

Wenige Llarags später tauchten wir in den Wechselpunkt ein. Ein eigenartiges Glühen umgab die SALTEQUYN. Der normale Weltraum schien nicht mehr zu existieren. Ich schlug auf die AUS-Taste der Triebwerke, röhrend setzten die Aggregate aus.

Das rote Glühen kroch förmlich durch die Wände des Raumschiffes, sickerte in meinen Körper, bis alles davon erfüllt war. Dann erlosch es mit einer Plötzlichkeit, die wie ein Schock wirkte. Meine Sinne brauchten einige Llarags, um sich auf die veränderte Lage einzustellen. Zuerst registrierten sie ein alles umfassendes Schweigen, danach gähnende Leere – und mitten in der Leere das nervöse Blinken eines grünen Kontrollauges.

Neben mir zog Admiral Farro geräuschvoll die Luft ein. Ich wollte über seine Nervosität lächeln, merkte jedoch, dass meine Nervenenden ebenfalls kribbelten, als wären sie elektrisch aufgeladen. Es war nicht nur die völlige Ungewissheit, die mich so nervös machte, sondern auch die Nachwirkung eines verwirrenden Eindrucks, den ich während des Wechsels gehabt hatte, des Eindrucks, dies alles nur zu träumen.

Doch es konnte unmöglich nur ein Traum sein, dazu lagen die Gegebenheiten viel zu klar vor meinem Bewusstsein. Es hatte mit dem mysteriösen Verschwinden des Ganjos Ovaron begonnen. Niemand konnte oder wollte sagen, was aus ihm geworden war. Folglich erschienen mir die Gerüchte, die von einer Rückkehr des Ganjos in ferner Zukunft wissen wollten, unglaubhaft. Wahrscheinlich war Ovaron von Mördern beseitigt worden, die der Nandor-Clan gedungen hatte. Dafür sprach die Tatsache, dass der Nandor-Clan bald nach dem Verschwinden des Ganjos die Regierungsgewalt über das Ganjasische Reich an sich gerissen hatte.

Eine Revolte der Militärs unter Kapitän Moshaken fegte die Usurpatoren bald danach wieder hinweg. Moshaken bildete eine Militärregierung und organisierte den Kampf gegen die Raumflotten des takerischen Volkes, dessen Taschkar die internen Machtkämpfe der Ganjasen ausgenutzt hatte, um seine Macht auf Kosten des Ganjasischen Reiches auszudehnen. Innerhalb der Galaxis Gruelfin tobten erbitterte Kämpfe. Die Fronten wogten hin und her, und jeder Cappin, der über die militärischen und wirtschaftlichen Potenziale der verfeindeten Reiche informiert war, konnte erkennen, dass es in diesem Krieg keinen Sieger, sondern nur Verlierer geben würde.

Bei dieser Lage erschien der Gedanke nur allzu verlockend, den wahnwitzigen Krieg zu beenden, und genau das hatte jenes riesige Robotgehirn zu seinem Ziel erklärt. Nach seinen Anweisungen zog sich das ganjasische Volk systematisch von seinen Welten zurück und siedelte sich innerhalb der Kleingalaxis Morschatztas an, während die Flotte des Reiches die Flottenverbände der Takerer an Stellen band, von denen aus die Übersiedlungsaktion nicht beobachtet werden konnte. Die Befehle des Robotgehirns erreichten auch die ganjasische Volksgruppe der Nasoms, die von Admiral Farro geführt wurde. Die Nasoms hatten seit langer Zeit den Kugelsternhaufen Nasomes bewohnt, eine jener Sternenballungen, von denen rund siebenhundert im Halo von Gruelfin gruppiert waren. Eine gewisse Isolation und die erkämpfte wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Ganjasischen Reich hatten die Nasoms zu einem stolzen Cappinschlag gemacht. Sie waren deswegen keine Abtrünnigen geworden, sondern fühlten immer noch als Ganjasen, aber es widersprach ihrer Mentalität, den Befehlen eines Robotgehirns zu gehorchen und ihre Heimat aufzugeben.

Admiral Farro dachte nicht anders als seine Nasoms. Vielleicht hätte er gehorcht, wenn der Umsiedlungsbefehl von Kapitän Moshaken gekommen wäre, denn die beiden Männer hatten vor rund hundert Planetenumläufen Borghas gemeinsam gegen den Nandor-Clan gekämpft. Aber Moshaken regierte nicht mehr. Er war verschollen, und an seiner Stelle gab eine Maschine die Befehle aus.

Farro schlug mit seinen Verbänden eine Flotte von Robotschiffen zurück, die in den Kugelsternhaufen Nasomes eingedrungen war, um die Evakuierung der besiedelten Welten zu erzwingen. Das war vor einem halben Planetenumlauf Borghas gewesen. Inzwischen hatten wir erfahren, dass es zwischen den Kugelsternhaufen Nasomes und Almaden einen Wechselpunkt gab, durch den man die Koordinaten des Robotgehirns erreichen konnte. Dieser Wechselpunkt wurde von einer Flotte Robotschiffe bewacht, und Admiral Farro hatte seinen Eliteverband geopfert, um die Wachflotte vom Alleingang der SALTEQUYN abzulenken.

Und nun waren wir hier, in einem Weltall ohne Sterne – und das blinkende Kontrollauge zeigte die unmittelbare Nähe eines Himmelskörpers an, der von keinem Panoramaschirm abgebildet wurde.

»Landen Sie, Ervelan!«, befahl Admiral Farro mit rauer Stimme. »Landen Sie auf dem – hm – Ortungsreflex!« Sein Gesicht glich wieder einer steinernen Maske, doch die Augen verrieten Unsicherheit.

Ich ließ meine Finger über das Kontrollpaneel gleiten. Die Leuchtkontrollen der Manuellsteuerung erloschen, dafür blinkte das rosa Auge der Automatsteuerung auf. Grollend erwachten die Triebwerke zu neuem Leben. Die SALTEQUYN drehte sich etwas nach Backbord und sank dann rasch weg.

Mehrere grüne Lichter zeigten einige Llarags später an, dass die Landebeine Kontakt mit festem Untergrund hatten. Im gleichen Augenblick erschien auf den Panoramaschirmen eine wogende gelbe Nebelmasse. Formen bildeten sich heraus, zuerst undeutlich, dann zu vertrauten Vorstellungen assoziierend.

Ich erkannte – wenn man das »erkennen« nennen durfte – einen Wald von Obelisken, blaurote schlanke Gebilde, die in einen diffusen Himmel ragten. Silbrig schimmernde Fäden hingen zitternd zwischen den Obelisken, und die Außenmikrophone übertrugen ein helles Klingen. Mein Blick fiel auf den Boden zwischen den nadelschlanken Bauwerken. Ich schluckte unwillkürlich, als ich die schwarze Masse sah. Sie bewegte sich in langen Intervallen auf und ab, als wäre sie die Haut eines atmenden Ungeheuers.

Admiral Farro zog seinen Desintegrator und schnallte sich los. Er handelte entschlossen und zielbewusst. Ich fürchtete mich, dennoch folgte ich seinem Beispiel. Farros Persönlichkeit war so stark, dass ich mich ihrem Bann nicht entziehen konnte.

Wir schlossen unsere Raumanzüge und gingen zur Bodenschleuse. Es zischte, als das Innenschott sich öffnete. Nachdem es sich wieder geschlossen hatte, betätigte der Admiral den Schalter, der die Luftabsaugung unterband. Beinahe sofort öffnete sich das Außenschott. Es gab keine Kammer-Dekompression, folglich befand sich außerhalb des Schiffes eine Atmosphäre von annähernd gleichem Druck wie im Schiffsinnern.

Admiral Farro zögerte unmerklich, bevor er einen Fuß auf die schwarze pulsierende Masse setzte. Der Boden verfärbte sich zu einem hellen Grau, gab jedoch nicht nach. Farro ließ den Haltegriff los. Ich folgte ihm hinaus, ohne meinen Strahler zu ziehen. Auch der Admiral erkannte, dass es sinnlos wäre, sich gegen das Etwas, auf dem wir gelandet waren, mit einer Energiewaffe zu wehren. Er schob seinen Desintegrator ins Gürtelhalfter zurück.

Im nächsten Moment verschwanden die Obelisken. Nur die silbrig schimmernden Fäden blieben, schwangen an unsichtbaren Verankerungen hin und her. Der Boden löste sich auf. Farro und ich schritten eine Weile über dem Nichts, bevor der Schock des Erkennens uns stocken ließ.

Ich hatte das Gefühl, in einen unendlichen Abgrund zu stürzen. Einen Llarag lang kämpfte ich um mein Gleichgewicht, bevor ich merkte, dass das Nichts mich trug.

Plötzlich strebten all die silbrigen Fäden zu einem gemeinsamen Mittelpunkt, ballten sich zusammen, formten eine Gestalt, einen Mann in silbrig glitzerndem Raumanzug, der uns durch seinen transparenten Kugelhelm hindurch ansah.

Der Ganjo!

Farro stöhnte und nahm dann Haltung an. Also hatte er den Ganjo Ovaron ebenfalls erkannt, obwohl er – im Unterschied zu mir – noch sehr jung gewesen war, als Ovaron spurlos verschwunden war.

Warum missachten Sie meine Befehle, Admiral? Die Worte formten sich unmittelbar in meinem Bewusstsein, dennoch hatte ich das Gefühl, Ovarons Stimme zu hören.

»Ihre Befehle, Ganjo ...?«, wiederholte Farro betroffen.

Die Befehle des Robotgehirns sind meine Befehle, denn ich habe die Urmutter persönlich programmiert.

»Das wusste ich nicht«, erwiderte Farro. »Selbstverständlich werde ich ab sofort die Weisungen des Robotgehirns befolgen, Ganjo.«

Ich danke Ihnen, Admiral.

Die Gestalt des Ganjos löste sich auf. Silbrige Fäden trieben waagrecht davon, obwohl die Rezeptoren meines Raumanzugs keine Luftbewegung anzeigten.

»Kommen Sie zurück!«, schrie Admiral Farro.

Mit einemmal war auch der Admiral verschwunden. Die Obelisken schmolzen in kalten Leuchterscheinungen auseinander. Ich wandte mich um und sah, wie die SALTEQUYN zu einem Lichtpunkt schrumpfte.

»Reiß dich los, Perry!«, wisperte eine seltsam vertraute Stimme. Über mir erschien ein konturloses Gesicht, dahinter und daneben wogte schemenhafte Bewegung.

Langsam glitt ich aus der fiktiven Welt zurück in die Wirklichkeit ...

Die Ebene aus pulsierendem Nichts verwandelte sich in das lachsfarbene Innere einer summenden Maschine. Rechts neben und über mir erkannte ich die leuchtenden Tasten eines Kontrollpaneels, darüber das konturlose Gesicht, das mit einer vertrauten Stimme gesprochen hatte.

»Er hat sich zu stark mit Ervelan identifiziert«, sagte die Stimme einer anderen Person. »Ich warnte nicht grundlos davor, den Erlebnis-Simulator zu benutzen.«

Der Erlebnis-Simulator ...!

Nun begriff ich erst, dass ich nicht wirklich mit Admiral Farro zusammengewesen war. Ich hatte die ganze Zeit über – eine Zeit, die fast zweihunderttausend Jahre zurücklag – in einer Art Traummaschine gelegen und als die fiktive Person des Mutanten Ervelan geschichtliche Ereignisse miterlebt.

Nein, nicht miterlebt, sondern geträumt – und die geträumten Ereignisse waren auch keine aufgezeichnete Realität gewesen, sondern eine elektronische Rekonstruktion von Ereignissen, die sich so ähnlich abgespielt hatten, vor etwa zweihunderttausend Jahren, als ich gemeinsam mit Ovaron dessen eigene Ankunft auf dem Saturnmond Titan beobachtet hatte.

Das zweidimensionale Gesicht bekam plötzlich Konturen. Ich erkannte Atlan, meinen arkonidischen Freund. Gleichzeitig regte sich in mir etwas, das während des Traumspiels nicht dagewesen war.

»Ovaron?«

»Ja, ich bin zurückgekehrt, Perry.« Die Worte entstanden schlagartig in meinem Bewusstsein, denn Ovarons und mein Geist waren wieder vereint. Ich richtete mich auf.

»Endlich«, sagte Atlan. Ich sah seinem Gesicht an, dass er erleichtert war. »Wir dachten schon, du könntest dich nicht mehr aus der Fiktion lösen.«

Er reichte mir ein Glas, und ich trank den Inhalt auf einen Zug aus. Das Getränk war kalt, dennoch erfüllte es mich mit einer Wärme, die sich durch meinen ganzen Körper ausbreitete und meine Lebensgeister anregte.

Ich ließ mir aus dem Erlebnis-Simulator helfen. Nun erblickte ich auch die zweite anwesende Person, einen hochgewachsenen Ganjasen mit schmalem Gesicht, gelblichen Augen und schulterlangem rötlich-braunem Haar: Remotlas, Chef der Perdaschistenzentrale auf Erysgan und fähiger Dimensionsphysiker.

Remotlas sah mir gespannt entgegen. »Haben Sie erfahren, was Sie wissen wollten, Rhodan?«, fragte er ungeduldig.

»Nicht genug«, erwiderte ich und griff nach meiner Kombination. In dem Erlebnis-Simulator hatte ich nur Unterwäsche getragen.

Plötzlich hielt ich inne.

Nicht genug?

Ich erschauerte, als mir klar wurde, dass ich mich nicht nur an mein fiktives Erlebnis mit Admiral Farro erinnerte, sondern dass ich praktisch die gesamte Erinnerung des fiktiven Mutanten Ervelan besaß – und damit über ein Wissen verfügte, das einen Zeitraum von zweihunderttausend Jahren umfasste. Sicherlich war es nicht vollständig und teilweise fehlerhaft, da es sich nur um rekonstruierte Fakten handelte. Wer immer die Speicher der Maschine gefüllt hatte, er war nicht in der Lage gewesen, Dinge einzuspeichern, die im Verlauf von zweihunderttausend Jahren ganjasischer Geschichte vergessen worden waren.

»Nein, ich glaube, ich weiß genug«, sagte ich nachdenklich.

Atlan half mir in die Kombination. Er musterte mich dabei prüfend. Ich ahnte, worüber er sich Sorgen machte. Meine geistige Verbindung mit der Fiktivperson des Mutanten Ervelan war inniger gewesen, als wir geplant hatten. Die Schwierigkeiten, die ich gehabt hatte, um mich aus der Fiktion zu lösen, waren der beste Beweis dafür.

Ich hatte natürlich vorher gewusst, dass die Fiktiverlebnisse in einem Erlebnis-Simulator die Gefahr der Persönlichkeitslöschung in sich bargen. Dennoch hatte ich mich für stark genug gehalten, um erfolgreich dagegen anzukämpfen. Meine Schwierigkeiten mussten anderer Natur sein.

Und plötzlich wusste ich den Grund dafür. Atlan blickte mich misstrauisch an, als ich leise lachte.

»Bist du nun Ervelan oder Perry Rhodan?«, fragte er. Von Ovarons ÜBSEF-Konstante strahlte Heiterkeit aus.

Ich grinste. »Natürlich bin ich Perry Rhodan«, antwortete ich. »Es ist Ervelan, der mit Schwierigkeiten kämpft. Dieser fiktive Mutant ist mir so ähnlich, dass seine Persönlichkeit beinahe untergegangen wäre – und zwar in meiner Persönlichkeit, nicht umgekehrt.«

»Heißt das, der Fiktivspeicher Ervelans ist gelöscht?«, fragte Remotlas scharf. Der Ganjase war offensichtlich beunruhigt, weil er befürchtete, die elektronischen Speichermuster des Erlebnis-Simulators könnten durcheinandergeraten sein.

»So schlimm wird es nicht sein«, beruhigte ich ihn. »Ervelans Persönlichkeit ist schlimmstenfalls verändert. Wahrscheinlich trägt sie nun einige Züge von mir. Das dürfte aber nur einem Spezialisten auffallen.«

»Sie sind mir unheimlich, Rhodan«, sagte Remotlas. Seine Augen glitzerten. »Wir haben Ihnen wertvolle Informationen gegeben. Es ist an der Zeit, dass Sie den letzten Beweis dafür antreten, dass sich die ÜBSEF-Konstante des echten Ganjos in Ihnen befindet.«

»Lassen Sie mich das übernehmen, Perry«, wisperte Ovaron in mir.

»Einverstanden«, dachte ich zurück.

Ovarons Geist drängte meinen Geist zurück. Ich hatte das Gefühl, nur noch in einem Winkel meines Gehirns zu hausen und unbeteiligter Zeuge zu sein. Der Ganjo verschmolz mit meinem Körper zu einer Einheit, er hörte mit meinen Ohren, sah mit meinen Augen, sprach mit meiner Stimme und fühlte mit meinen Nervenenden. Ich war nur noch Gast in dem Zellverband des Terraners Perry Rhodan.

Aber Geist ist Funktion, er existiert nur so, wie die Zeit nur in der Bewegung der Materie existiert. Deshalb nahm ich alles auf, was um mich herum vorging. Ich kannte Ovarons Gedanken und wusste, welche er sprachlich äußerte und welche er für sich behielt, ich empfing alle Informationen, die seine Sinne aufnahmen, und wusste alles, was seine Gesprächspartner sagten. Dennoch waren es Informationen aus zweiter Hand, denn sie hatten bereits eine persönlichkeitsbedingte Wertung durchlaufen, bevor sie klar erkennbar wurden. Manchmal eilten mir die Informationen sogar davon, wenn die geistigen Entsprechungen der beiden Tryzomkörper Ovarons den Geist des Ganjos auf zwei unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig arbeiten ließen. Wahrscheinlich würde ich den Verstand verlieren, wäre ich gezwungen, lange Zeit über passiver Gast eines Tryzomtänzers zu sein.

Ovaron sprach mit überlegener Ruhe und absolut sachlich. Seine Erklärungen waren eindeutig und ließen keine Missverständnisse aufkommen. Falls Remotlas noch die geringsten Zweifel gehegt hatte, dass der Geist des echten Ganjos in mir war, dann mussten sie jetzt endgültig ausgeräumt sein. Remotlas hörte den Argumenten Ovarons aufmerksam zu, ich hatte das Gefühl, dass er völlig unter den zwingenden Bann der Persönlichkeit des Ganjos geraten war. Von seiner Seite würde es keine Schwierigkeiten mehr geben, davon war ich fest überzeugt.

Atlans Gesicht blieb unbewegt, aber ich entdeckte im Hintergrund der Augen einen Funken Ironie. Der Arkonide amüsierte sich offensichtlich darüber, dass von meinem Körper die Aura Ovarons ausstrahlte.

Noch bevor Ovaron geendet hatte, flackerte über dem Kommunikationspult des Raumes eine orangefarbene Meldelampe auf. Remotlas beobachtete es nicht; die Augen des Perdaschistenführers waren unbewegt auf meinen Körper gerichtet und strahlten in fanatischem Glanz.

»Ich übergebe diesen Körper jetzt wieder seinem rechtmäßigen Eigentümer«, schloss Ovaron. »Aber vergessen Sie nicht, Remotlas, dass alles, was Perry Rhodan tut oder sagt, mein volles Einverständnis hat. Wenn er befiehlt, so ist es für Sie, als wenn ich Ihnen persönlich befehle.«

Remotlas erwachte aus seiner fast hypnotischen Starre. Er richtete sich hoch auf und schlug sich mit der rechten Faust gegen die linke Schulter.

»Ich bin Ihr Diener, Ganjo!«, sagte er eifrig.

Ovaron und ich wechselten die »Plätze«. Ich deutete auf die Lampe und sagte: »Man ruft nach Ihnen, Remotlas.«

Der Ganjase fuhr herum, sah das Licht und ging steifbeinig zum Kommunikationspult. Er drückte eine Taste und meldete sich.

»Wir empfangen eine Ansprache des falschen Ganjos«, sagte eine fremde Stimme. »Soll ich die Übertragungsschaltung aktivieren, Remotlas?«

Remotlas bejahte.

Sekunden später flammte über dem Kommunikationspult ein 3-D-Bildschirm auf. Wir sahen ein niedriges Befehlspult und dahinter in einem Schalensessel das künstlich erzeugte Monstrum, das dem echten Ganjo nachgebildet war. Der falsche Ganjo war aufgeputzt wie ein Paradepferd. Im Hintergrund funkelte das überdimensionale Staatswappen des Ganjasischen Reiches.

»... steht es inzwischen fest ...«, sagte das Monstrum, »... dass sich die geflohenen terranischen Verbrecher auf Erysgan verbergen. Ich empfinde es als tragisch, dass wir ausgerechnet in den Tagen, in denen mit meiner Heimkehr die Erneuerung des Ganjasischen Reiches begonnen hat, auf unserer Zentralwelt nach den Verbrechern einer anderen Rasse fahnden müssen. Noch tragischer erscheint mir der Umstand, dass diese Verbrecher wahrscheinlich Unterschlupf bei Angehörigen einer Organisation ganjasischer Verräter gefunden haben. Ich spreche von den so genannten Perdaschisten, einer Gruppe von Wirrköpfen und Anarchisten, die jede Autorität verneinen und die Ordnung in unserem Reich untergraben möchten. Die Pedolotsen und ich haben sie bisher mit größter Nachsicht behandelt, doch nun, da sie sich auf die Seite fremdartiger Staatsfeinde gestellt haben, werde ich mit der ganzen Härte des Gesetzes gegen sie vorgehen. Die einundzwanzig Ganjatoren haben sich mir freiwillig zur Verfügung gestellt, um bei der Jagd nach den terranischen Verbrechern und ihren ganjasischen Helfershelfern mitzuwirken. Ich übergebe jetzt an den Ersten Ganjator, der bereits darauf wartet, das Wort an Sie zu richten.«

Das Bild des Monstrums verschwand und machte einem Symbol Platz. Kurz darauf erschien das Abbild eines weißhaarigen Ganjasen auf dem Schirm.

»Maischat«, flüsterte Remotlas erregt. »Das ist Maischat, der Erste Ganjator.«

Der Weißhaarige hob den Kopf; es schien fast, als sähe er mir direkt in die Augen. Ich hatte sofort das Gefühl, als wäre in Maischats Blick etwas, das Hilfe erbat. Dann sprach der Erste Ganjator mit leiser Stimme. Dabei senkte er den Blick, als müsse er von einem Manuskript ablesen – und genau so klangen auch seine Worte.

»Er spricht nicht aus freiem Willen«, stellte Atlan fest.

»Wie?«, rief Remotlas bestürzt. »Das wäre ja schrecklich!«

Atlan lächelte vage. Wer den Arkoniden so gut kannte wie ich, der wusste, dass er die Handlungen seiner und unserer Gegner bereits in seine Planung einbezogen hatte.

»Es war unumgänglich für die Pedolotsen«, erwiderte er bedächtig. »Gleichzeitig aber haben sie damit einen entscheidenden Fehler begangen, denn die Ganjatoren dürften nun wissen, dass der dem Volk präsentierte Ganjo falsch und nur eine Marionette der Pedolotsen ist.«

Remotlas begriff offenbar nicht gleich, worauf Atlan abzielte. Das Gesicht des Perdaschistenführers glühte vor Zorn, er war eben ein Fanatiker, und Fanatiker übersehen oft das Naheliegende. Wir durften uns nicht in seine Planung einspannen lassen, sondern mussten endlich die Angelegenheit in unsere Hände nehmen.

»Atlan und ich möchten in unserer Unterkunft beraten«, sagte ich. »Unternehmen Sie bitte vorläufig nichts, Remotlas. Unsere Aktionen müssen sorgfältig koordiniert werden.«

Der Ganjase war unschlüssig. Es widerstrebte ihm offensichtlich, von uns Anweisungen entgegenzunehmen.

»Der Ganjo wünscht es so«, fügte ich deshalb hinzu.

Das gab den Ausschlag. Remotlas unterrichtete die Wachtposten innerhalb dieses Stützpunktes davon, dass wir in unsere Unterkunft zurückkehren durften.

In unserem gemeinsamen Wohnraum angekommen, tastete ich an der Versorgungseinheit zwei Obshans und kehrte damit in die gemütliche Sitzecke zurück. Obshans war ein ganjasisches Getränk, das terranischem Tee mit dem Aroma einer Ceylon-Darjeeling-Mischung verblüffend ähnelte.

Atlan und ich nippten an unseren Gläsern und lehnten uns behaglich in die bequemen Sessel zurück. Seit wir vor zwei Tagen in diese Zentrale der Perdaschisten umquartiert worden waren, hatten sich zum ersten Mal heute einige vielversprechende Ansatzpunkte ergeben. Heute, das war der 14. April des Jahres 3438 Erdzeit. Ich muss gestehen, dass ich allmählich unruhig wurde. Zu lange schon waren wir von zu Hause fort, länger, als es sich der Regierungschef eines Sternenreiches normalerweise erlauben durfte. Aber ich wusste, dass die Regierungsgeschäfte bei meinem alten Freund Reginald Bull in guten Händen waren, außerdem standen Bully bewährte Männer wie Julian Tifflor und Galbraith Deighton zur Seite. Dennoch blieb meine Unruhe, denn wir spielten mit Kräften, die sich weitgehend unserer Kontrolle entzogen. Es musste etwas geschehen, das uns die weitgespannte Lenkung der Geschehnisse in der Galaxis Gruelfin erlaubte.

Atlan lächelte mich ironisch an. »Nun, Terraner«, begann er. »Wird deine Autorität als ehemaliger Berater Admiral Farros ausreichen, den falschen Ganjo durch eine offene Revolte zu stürzen?«

Ich setzte mein Glas ab, nachdem ich noch einen Schluck Obshans getrunken hatte.

»Eine offene Revolte ist sinnlos, und das weißt du ganz genau«, konterte ich schärfer, als ich beabsichtigt hatte. »Die Pedolotsen haben das Volk auf ihrer Seite. Schließlich können sie den Ganjo vorweisen und beherrschen sämtliche Kommunikationsmedien. Anfangs hoffte ich noch, mit Hilfe der Perdaschisten eine Guerillaorganisation aufzuziehen und den Ganjo durch genau dosierte Anschläge zu stürzen ...« Ich schwieg resigniert.

Der Arkonide nickte. Er war wieder ernst geworden.

»Also ein Spielchen nach echt terranischer Art. Leider erwies sich die Macht der Perdaschisten als zu klein, um einen solchen Plan mit Aussicht auf Erfolg einleiten zu können.«

»Wir hätten kläglich Schiffbruch erlitten«, gab ich zurück. »Auch eine umfassende Propagandaaktion wäre zwecklos.« Ich lächelte. »Ganz davon abgesehen, dass der Mutant Ervelan ja nur eine fiktive Gestalt aus einem Erlebnis-Simulator ist und nie wirklich existiert hat. Ich kenne im Moment nur einen einzigen erfolgversprechenden Ansatzpunkt.«

Atlan sah mich fragend an. »Und der wäre ...?«

»Die Urmutter. Dieses riesige Robotgehirn hätte eigentlich längst erkennen müssen, dass es betrogen wurde.«

»Aber die Urmutter unternimmt nichts gegen den falschen Ganjo und die Pedolotsen«, entgegnete Atlan. »Sie ist mit unserer unfreiwilligen Unterstützung getäuscht worden, indem die Pedofalle auf dem ARRIVANUM Ovarons Tryzomimpulse aufnahm und als die des echten Ganjos registrierte. Da die Quelle der Impulse offensichtlich nicht genau lokalisiert werden konnte, mussten der falsche Ganjo und Ovarons Impulse als Einheit erscheinen.«

Ich lächelte, denn er hatte eine Kleinigkeit übersehen, obwohl er sie mit seinen eigenen Worten selbst angedeutet hatte.

»Ganz recht, die so genannte Urmutter unternimmt nichts gegen den falschen Ganjo ...« Ich beugte mich vor. »Aber sie unternimmt auch nichts für ihn, und das wäre eine völlig unlogische Handlungsweise für ein Robotgehirn – es sei denn, der Urmutter wären gewisse Zweifel gekommen. Denk daran, dass der echte Ovaron von Florymonth, also einem Teil der Urmutter, identifiziert worden ist! Andererseits müsste sie dann aber auch in die Propagandaaktion zugunsten des falschen Ganjos eingegriffen haben.«

»Schön«, erwiderte Atlan sarkastisch. »Gehen wir also zur Urmutter und klären sie auf. Bekanntlich kann nur sie die Genehmigung erteilen, den Passierkonvulsator zu benutzen; die Schleuse zum Rest des Universums, von der Remotlas berichtet hat. Sollten wir ihre Genehmigung erhalten, könnten wir die Kleingalaxis Morschatztas verlassen. Ovaron würde an Bord der MARCO POLO in seinen eigenen Körper zurückkehren und brauchte nur noch von der Terrosch-Rotwolke nach Morschatztas zu fliegen. Ganz einfach, wie?«

Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen. Der Arkonide hatte mir wieder einmal die ganze Kompliziertheit der Situation vor Augen geführt. Natürlich konnten wir die Urmutter nicht überzeugen, solange Ovaron sich nicht in seinem eigenen Körper befand und sich dem Robotgehirn zu einem Test stellte. Folglich hätten wir zuerst zur Terrosch-Rotwolke zurückkehren und danach Kontakt zur Urmutter aufnehmen müssen. Nur vermochte niemand Morschatztas zu verlassen, bevor er nicht die Genehmigung zur Benutzung des Passierkonvulsators erhalten hatte.

Eine solche Genehmigung erhielten aber nur zwei Gruppen, wie wir inzwischen wussten. Das waren einmal die führenden Leute der Ganjoprester, die Pedolotsen und zum anderen die einundzwanzig Ganjatoren, die während der Abwesenheit des Ganjos die eigentlichen Regierungsgeschäfte geführt hatten.

Und selbst Angehörige dieser Gruppen mussten eine ausreichende Begründung vorbringen, wenn sie die im Hyperraum eingebettete Kleingalaxis verlassen wollten. Angesichts der Tatsache, dass die Flotten der Takerer noch immer nach dem Zufluchtsort der verschwundenen Ganjasen suchten, war das eine sehr verständliche Vorsichtsmaßnahme. Für Atlan und mich bedeutete es, dass wir innerhalb von Morschatztas gefangen waren.

»Für Merceile und mich ist es weitaus schlimmer, Perry«, meldete sich Ovaron. Ich spürte neben den Gedanken die Impulse aufkeimender Panik. »Unsere Körper befinden sich auf der MARCO POLO.«

Der Ganjo versuchte vergeblich, seine weiteren Gedankengänge vor mir zu verbergen. Doch mir wäre auch so klar gewesen, worum er sich sorgte. Die MARCO POLO schwebte in höchster Gefahr, und diese Gefahr nahm zu, je länger mein Flaggschiff in der Terrosch-Rotwolke auf uns wartete. Ovaron rechnete offenbar damit, dass das Schiff von den Pedolotsen in eine Falle gelockt werden könnte. Ich meinerseits fürchtete eher, dass mein Herr Sohn die Geduld verlor und sich auf eine abenteuerliche Suchaktion einließ, die ihn und die MARCO POLO ins Verderben stürzen konnte. Mike war ein überaus tüchtiger Junge, aber ich kannte auch seinen Hang zur Tollkühnheit. Geduldiges Ausharren war nicht gerade seine Stärke. Unwillkürlich musste ich lächeln, als ich beim Vergleich unserer Charaktere feststellte, dass ich in früheren Jahren ebenfalls ungestüm gewesen war. Verglichen mit Atlan, der gleich einem uralten Reptil monatelang auf die günstigste Gelegenheit zum Zupacken warten konnte, war ich immer noch alles andere als ein geduldiger Jäger.

»Er lächelt«, bemerkte Atlan ironisch. »Dann dürfte der geniale Geistesblitz nicht weit sein.«

Ich öffnete die Augen, beugte mich vor und griff nach meinem Teeglas. Langsam leerte ich es bis zur Hälfte, dann stellte ich es wieder ab.

»Wir werden ein Spielchen nach terranischem Muster spielen, mein Freund«, erklärte ich.

»Aha, der Herr Sofortumschalter!«, meinte Atlan. Er musterte mich unter halbgesenkten Lidern, und ich erkannte, dass seine Bemerkung durchaus nicht ironisch gemeint gewesen war.

»Wir müssen die Ganjatoren befreien«, sagte ich. »Sie sind der einzige Personenkreis, der uns eine Genehmigung zur Benutzung des Passierkonvulsators verschaffen könnte, und sie werden unseren Argumenten aufgeschlossen gegenüberstehen, weil sie inzwischen die wahren Absichten der Pedolotsen erkannt haben dürften.«

Ich wartete auf eine Entgegnung des Arkoniden. Sie blieb aus. Folglich ahnte er bereits, in welcher Richtung sich meine Gedanken bewegten.

»Da wir auch mit Unterstützung der bisherigen Perdaschisten nicht in der Lage sein dürften«, fuhr ich fort, »die Ganjatoren zu befreien, müssen wir uns nach mächtigeren Verbündeten umsehen. Auf Erysgan gibt es aber nur eine Gruppe, die mächtig genug ist, uns wirkungsvoll zu unterstützen: die Farrogs.«

Atlan nickte, dennoch entging mir nicht, dass er bei der Erwähnung der Farrogs leicht zurückgeschreckt war.

»Du hast recht, Terraner«, stimmte er bedächtig zu. »Schon die Tatsache, dass sich auf den meisten besiedelten Planeten in Morschatztas diese Volksgruppe selbständig erhalten hat, beweist, dass sie sehr mächtig ist.« Atlan sah mich fest an. »Aber sie beweist auch, dass die Farrogs größten Wert auf ihre Isolierung legen. Ich bin nicht sicher, ob sie zur Zusammenarbeit mit uns bereit wären, Perry. Es handelt sich um mutierte Ganjasen, und Intelligenzen solcher Art sind zumeist unberechenbar.«

Ich nahm wieder einen Schluck Tee.

»Was die Fragen hinsichtlich der Farrogs betrifft, so stellen wir sie Remotlas. Ich bin sicher, er kann uns einige davon beantworten. Danach sehen wir weiter. Einverstanden?«

Atlan erhob sich. »Einverstanden, Perry.«

Ich ging zum Visiphon und stellte eine Verbindung mit Remotlas' Führungszentrale her. Der Perdaschistenführer erklärte sich sofort bereit, uns aufzusuchen. Wenige Minuten später betrat er unser Quartier.

Er hörte sich meine Fragen aufmerksam an, dann erklärte er:

»Wie Sie wissen, zog sich die von Admiral Farro geführte Volksgruppe zuletzt nach Morschatztas zurück. Das geschah zu einer Zeit, als sich das ganjasische Volk auf einen Überfall durch takerische Flotten vorbereitete und auf allen besiedelten Planeten der Kleingalaxis gigantische Bunkeranlagen baute. Als feststand, dass Morschatztas im Hyperraum in relativer Sicherheit war und wahrscheinlich keinen Angriff zu fürchten hatte, kehrten die Ganjasen aus den Tiefbunkersystemen an die Oberfläche der Planeten zurück. Mit Ausnahme der Nachkommen jener ehemals von Farro geführten Volksgruppen. Sie blieben in den Bunkersystemen, da sie dort die Möglichkeit hatten, ein relativ autarkes Leben zu führen. Im Laufe der Jahrtausende mutierten ihre Nachkommen infolge der besonderen Bedingungen, die in ihren Lebenssphären herrschten. Dadurch wurde die Isolation endgültig. Wir wissen, dass die heutigen Farrogs nur sehr ungenau über die Geschichte ihrer Volksgruppe informiert sind. So wurde durch jahrtausendelange Überlieferungen aus dem Admiral Farro der Gott Farro, den seine Anhänger religiös verehren. Allerdings entwickelte sich allmählich eine gewisse Zusammenarbeit zwischen den Farrogs und den auf den Planetenoberflächen lebenden Ganjasen. Es gibt seit langer Zeit sogar einen regen Güteraustausch. Die Oberwelt-Ganjasen liefern hauptsächlich Lebensmittel, während die Farrogs dafür hochwertige Mineralien und vor allem technische Ausrüstungen liefern, die an der Oberfläche nicht mehr hergestellt werden können. Hier auf Erysgan – oder vielmehr in der Unterwelt von Erysgan – soll ein sagenhaftes Geschöpf namens Arhaeger herrschen.«

Ich horchte auf, weniger wegen des »sagenhaften Geschöpfes« als wegen der Erwähnung von technischen Ausrüstungen, die man an der Oberfläche nicht mehr herstellen konnte. Demnach mussten die Farrogs Techniken beherrschen, die bei den Oberwelt-Ganjasen längst in Vergessenheit geraten waren. Das verstärkte meine Entschlossenheit, mit den hiesigen Farrogs Verbindung aufzunehmen.

»Haben die Pedolotsen niemals versucht, die Farrogs zu unterwerfen?«, fragte ich gespannt.

Remotlas lächelte.

»Es existieren Gerüchte, sie hätten es vor langer Zeit einmal versucht, wären aber zurückgeschlagen worden. Tatsache ist, dass sowohl die Pedolotsen als auch die Ganjatoren die Autarkie der Farrogs respektieren. Dafür mischen sich die Mutanten niemals in die Angelegenheiten der Oberwelt-Ganjasen ein. Wir haben versucht, sie auf unsere Seite zu ziehen, doch bisher keinen Erfolg damit gehabt.«

Atlan zog scharf die Luft ein. Anscheinend hatte er jetzt erkannt, worauf ich meine Planung bereits aufgebaut hatte.

»Sie halten also Kontakt zu den Farrogs?«, fragte ich den Perdaschistenführer.

»Nur einen sehr lockeren«, antwortete Remotlas. »Wir haben fast zwei Jahrtausende gebraucht, um überhaupt einen Kontakt herzustellen.«

»Dann können Sie uns also zu ihnen bringen?«

»Ich weiß es nicht, Rhodan«, sagte Remotlas. »Es gibt keine Funkverbindung. Ich müsste einen Kurier schicken und anfragen lassen, ob den Farrogs Ihr Besuch angenehm ist. Manchmal reagieren diese Mutanten allerdings sehr eigenartig.«

Ich atmete auf.

»Dann schicken Sie so schnell wie möglich einen Kurier. Der Mann soll den Farrogs mitteilen, dass der echte Ganjo sich in mir befindet. Vielleicht sind sie dann eher geneigt, uns zu empfangen. Es ist wichtig, Remotlas.«

Remotlas stimmte zu.

»Ich werde alles veranlassen, Rhodan.«

Als er gegangen war, sah mich Atlan skeptisch an.

»Hoffentlich finden wir nicht nur einen Weg in die Unterwelt, sondern auch einen wieder zurück, Perry.«

2.

Der Kurier kehrte am Nachmittag des 15. April 3438 aus der Unterwelt von Erysgan zurück. Er überbrachte uns die Nachricht, dass die Farrogs bereit seien, uns in ihrer eigenartigen Welt zu empfangen.

Wir waren unterdessen nicht untätig geblieben. Remotlas hatte sich erboten, uns auf dem Abstieg in die Unterwelt zu begleiten. Unsere Kampfanzüge, die noch von der ODIKON stammten, waren überprüft, die Aggregate durchgetestet und die Energiespeicher aufgefüllt worden. Jeder von uns besaß hochwertige Flugaggregate, Schutzschirmprojektoren und je einen Impulsstrahler und einen Desintegrator.

Zwei Farrogs sollten uns bei Einbruch der Dunkelheit im so genannten Pakolan-Bunker erwarten, das war nach Remotlas' Aussage ein uraltes halbverfallenes Bunkersystem in der Nähe des Raumhafens Cappinoscha. Für uns bedeutete das, dass wir uns durch die halbe Riesenstadt schleichen mussten, denn unser derzeitiger Aufenthaltsort lag im Stadtzentrum unter den Anlagen eines alten, nicht mehr benutzten Bades.

»Es wäre ein Wunder, wenn wir nicht unterwegs erkannt würden«, bemerkte Atlan, während er seinen Kampfanzug schloss. »Die Pedolotsen kennen unsere Individualdaten und werden gewiss überall in Cappinoscha Suchgeräte installiert haben.«

Remotlas schloss seinen Waffengürtel.

»Ich habe neununddreißig Mann meiner Organisation an unserem Weg postiert. Sie führen Messgeräte bei sich, mit denen sie die Individualpeiler der Polizei orten können. Das gibt ihnen die Möglichkeit, uns rechtzeitig zu warnen. Wir werden so weit wie möglich in einem Detektorwagen der Stadtverwaltung fahren. Das Fahrzeug enthält zahlreiche Geräte zur fernmesstechnischen Überprüfung von Versorgungsleitungen und strahlt eine Menge Energie aus, was die Anmessung Ihrer Individualdaten erschweren dürfte. Außerdem sind an verschiedenen Punkten unseres Weges Gleiter stationiert, in die wir umsteigen können.«

Ich nickte anerkennend. Remotlas hatte ein großes Maß an Umsicht und Organisationstalent bewiesen. Ein gewisses Risiko würde sich natürlich nicht vermeiden lassen. Die Hauptsache war, dass wir die Strecke nicht zu Fuß zurücklegen mussten, denn dann wären wir sicher entdeckt worden. Mit einem schnellen Fahrzeug dagegen konnte man eventuelle Verfolger abschütteln.

Ein Perdaschist brachte drei dunkelgraue Overalls. Schweigend streiften wir sie über unsere Kampfanzüge.

Da die Kampfanzüge mit faltbaren Helmkapuzen versehen waren, konnten wir uns mit Hilfe von auf Erysgan üblichen Kopfbedeckungen noch unauffälliger kleiden. Es handelte sich bei diesen Kopfbedeckungen um Zwischendinge von Hut und Mütze, hergestellt aus einem atmungsaktiven, hellgrauen Kunststoff mit transparenten grünen Schilden als Schutz gegen die starke Sonnenstrahlung.

Dermaßen präpariert, stiegen wir eine Wendeltreppe hinauf zu einer geräumigen Garage, in der der Detektorwagen auf uns wartete. Es gab in diesem Versteck der Perdaschisten zwar auch Antigravschächte, doch sie waren für Notfälle reserviert. Wären sie ständig in Betrieb gewesen, hätte die Polizei sie längst angemessen. Seit der Ankunft des falschen Ganjos mussten die Perdaschisten sich noch mehr in acht nehmen als zuvor.

Zwei schwerbewaffnete Posten kamen von draußen herein und meldeten, dass alles ruhig sei. Wir stiegen in den Detektorwagen, Remotlas nahm hinter der Steuerung Platz. Mit fauchendem Geräusch hob das Fahrzeug vom Boden ab und schwebte auf das breite Tor zu, das sich quietschend öffnete.

Seit zwei Tagen sahen Atlan und ich zum ersten Mal wieder natürliches Tageslicht. Unwillkürlich zogen wir die Schilde tiefer ins Gesicht, als das grelle blaue Licht der Sonne Syveron uns überflutete. Mit schwachem Summen sprang die Klimaanlage des Detektorwagens an. Ich las die Anzeigen des Außenthermometers ab und rechnete die Werte auf die Celsius-Skala um. Draußen herrschte eine Temperatur von achtundvierzig Grad.

Wider allen Erwartens erreichten wir unser Ziel, ohne entdeckt oder aufgehalten zu werden.

In der Nähe einer Müllverbrennungsanlage bog Remotlas ab. Er deutete auf etwas, das wie ein gigantisches Hünengrab aussah: Mächtige Blöcke, von Moos, Flechten und niedrigen Gräsern überwuchert, lagen im Halbschatten einer kreisrunden Talsenke. Die Sonne Syveron stand bereits dicht über dem Horizont und verschwand aus unserem Gesichtskreis, als wir den Talboden erreichten.

»Der Pakolan-Bunker«, sagte Remotlas. Seine Stimme klang triumphierend. Schließlich war es seiner Organisation zu verdanken, dass wir tatsächlich unbehelligt hierhergelangt waren.

Er steuerte das Detektorfahrzeug unter die tief herabreichende schirmartige Krone eines Baumes und stellte den Antrieb und die Detektoren ab.

»Meine Leute holen den Wagen später ab«, erklärte er und betätigte den Öffnungsmechanismus.

Wir stiegen aus und blickten uns aufmerksam um. Atlan und ich hielten unsere Impulsstrahler in den Händen. Wir wollten uns nicht noch im letzten Augenblick überraschen lassen.

»Hier sind wir sicher«, sagte Remotlas und schritt zielstrebig auf einen Dornenbusch zu, der vor zwei gegeneinandergekippten Blöcken wuchs. Dicht davor aktivierte er sein Flugaggregat und schwebte über das Hindernis hinweg.

Atlan und ich folgten seinem Beispiel. Wir schalteten unsere kleinen tragbaren Scheinwerfer an, als wir durch die dunkle Öffnung zwischen den beiden Blöcken schwebten. Die Luft wurde kühl und feucht. Vor uns lag eine von Schwemmsand und Schlamm gefüllte Höhle. Die Wände glitzerten vor Feuchtigkeit, waren aber hier drinnen nicht bewachsen, so dass ich teilweise noch erkennen konnte, dass sie aus hellgrauem Plastikbeton bestanden.

Als die Lichtkegel unserer Scheinwerfer über die Wände glitten, scheuchten wir unzählige fledermausähnliche Tiere auf. Einige Sekunden lang wirbelte ein Schwarm lederhäutiger Wesen um unsere Köpfe, dann hatten die Tiere mit hastigen Flügelschlägen ihren Zufluchtsort verlassen.

Remotlas ließ sich zu Boden sinken. Kurz darauf standen Atlan und ich neben ihm. Der Perdaschistenführer hatte seinen Scheinwerfer ebenfalls eingeschaltet und richtete den Lichtfinger auf einen Spalt. Wir folgten ihm mit den Blicken und sahen, dass der Spalt in eine runde Halle mit durchhängender Decke führte.

Und noch etwas sahen wir: zwei schemenhaft vorübergleitende Gestalten, die aus einem grausigen Albtraum entsprungen schienen.

Atlans Hand mit der Waffe zuckte hoch. Remotlas griff zu, umklammerte seinen Arm und flüsterte: »Nicht schießen! Das sind die beiden Farrogs, die uns in die Unterwelt führen sollen!«

Atlan ließ den Arm mit der Waffe sinken und holte tief Luft.

»Sie hätten uns auf diesen Anblick vorbereiten sollen, Remotlas«, sagte er vorwurfsvoll. »Ich war zwar auf Mutanten gefasst, aber nicht auf derartig monströse Geschöpfe.«

»Ich wusste selbst nicht, wer uns erwarten würde«, verteidigte sich der Perdaschistenführer.

Ich spähte durch den Spalt, aber die beiden Farrogs waren verschwunden. Hoffentlich hatte Atlans Reaktion sie nicht völlig verscheucht.

»Gehen Sie vor, Remotlas«, sagte ich. »Halt, warten Sie noch! Wir brauchen diese hinderlichen Overalls nicht mehr. Ziehen wir sie doch einfach aus.«

Wir entledigten uns der Overalls und hängten die Scheinwerfer wieder in die dafür vorgesehenen Magnethalterungen am Brustteil der Kampfanzüge ein. Danach stieg Remotlas durch den Spalt.

Ich folgte ihm und sah mich anschließend in der runden Halle um. Die Decke hing beängstigend weit durch und erweckte den Eindruck, als könnte die geringste Erschütterung sie endgültig einstürzen lassen. Im Boden klaffte ein etwa fünf Meter durchmessender Krater mit glasierten Rändern. Vor längerer Zeit musste hier eine starke Sprengladung gezündet worden sein. Wahrscheinlich hatte man den Bunker gesprengt und die Trümmer wegräumen wollen, es aber dann aus unerfindlichen Gründen unterlassen.

Von den beiden monströsen Lebewesen war nichts mehr zu sehen. Sie mussten die Halle durch das Loch mit den zerbröckelten Rändern verlassen haben, das früher einmal eine Tür gewesen sein konnte. Vorsichtig stiegen wir über Schutthügel und einen halb zerschmolzenen Knäuel aus Metallplastik. Handgroße Asseln und fingerlange Tausendfüßler flohen vor dem Licht unserer Scheinwerfer. Aus dem Dunkel hinter der Öffnung leuchteten uns drei riesige »Augen« entgegen: Kolonien von Leuchtbakterien, die von einem Kranz hellgrünen Mooses und winziger Farne umgeben waren.

»Ich begreife nicht, warum die Burschen sich so zieren«, sagte Atlan. »Meine Reaktion von vorhin sollten sie doch begreifen. Sie hätten sich eben zu erkennen geben sollen, anstatt vor uns herumzuschleichen.«

Wir duckten uns unwillkürlich, als vor uns ein gellender Pfiff ertönte. Atlan und ich schalteten die Lampen aus, Sekunden später folgte Remotlas unserem Beispiel.

»Allmählich wird mir dieses Versteckspiel zu dumm«, murrte Atlan.

Ich dachte ähnlich wie er, enthielt mich aber jeder diesbezüglichen Bemerkung. Wie sonderbar sich die Farrogs auch immer benahmen, wir waren auf sie angewiesen, wenn wir einen Schritt weiterkommen wollten.

Als es ruhig blieb, schalteten wir unsere Scheinwerfer wieder an. Ich erhob mich zuerst und legte die letzten Schritte bis zu der Öffnung zurück. Der Lichtkegel meiner Lampe traf auf fleckiges Metallplastik und auf Stufen, die steil abwärts führten. Deutlich waren die geriffelten Abdrücke von Sohlen zu sehen.

Ich unterrichtete Atlan und Remotlas flüsternd von meiner Entdeckung, dann stieg ich vorsichtig die steile Treppe hinab. Die Oberfläche der Stufen war glatt wie Schmierseife, und ich hielt eine Hand am Schalter des Flugaggregats, um einem Sturz rechtzeitig vorbeugen zu können.

Die Treppe endete nach vierundzwanzig Stufen am Beginn eines Stollens. Teilweise war die Decke eingebrochen und mit Metallplastikstempeln abgestützt worden; die Trümmer waren weggeräumt.

Ich zögerte nicht, den Stollen zu benutzen. Er führte schnurgerade zu einem verschlossenen Panzerschott, in das jemand vor langer Zeit eine rechteckige Öffnung gebrannt hatte. Ich richtete den Lichtkegel meines Scheinwerfers durch die Öffnung und erblickte eine abwärts führende Rampe, an deren Ende ein Saal lag. Die Überreste verrotteter Transportbänder bedeckten den Boden, in einer Vertiefung schimmerte eine ölige Lache. Der Anblick war nicht gerade einladend, aber ich hoffte, dass die Farrogs sich schließlich doch zeigen und uns in eine annehmbare Welt führen würden.

»Immer noch nichts zu sehen?«, fragte Remotlas hinter mir.

»Ich sehe eine ganze Menge«, erwiderte ich ironisch. »Folgen Sie mir bitte in einigen Schritten Abstand. Atlan, du übernimmst die Rückendeckung.«

»Hast du etwas Verdächtiges bemerkt?«, flüsterte der Arkonide.

Ich hatte ein ungutes Gefühl. »Nein, aber ich habe eine Ahnung, dass uns dort unten Gefahr erwartet.«

Atlan stieß eine Verwünschung aus. Ich sprang durch die Öffnung und eilte die Rampe hinab. Dann presste ich mich gegen die feuchte Wand und ließ den Lichtkegel über den Boden der Halle wandern. Etwa fünf Schritte hinter mir lehnte Remotlas an der gegenüberliegenden Wand, von Atlan war nichts zu sehen. Er hatte seinen Scheinwerfer ausgeschaltet.

Etwas an der Halle vor mir beunruhigte mich, ohne dass ich konkret hätte sagen können, was. Es herrschte vollkommene Stille. Nicht einmal die fledermausähnlichen Tiere an der Hallendecke regten sich, auch dann nicht, als ich einige von ihnen länger anleuchtete. Mit zusammengefalteten Flughäuten hingen sie so steif da, als wären sie paralysiert.

Die Erkenntnis durchzuckte mich wie ein Schlag.

Die Tiere waren tatsächlich paralysiert!

Ich reagierte dennoch nicht schnell genug, da ich trotz der alarmierenden Entdeckung ausschließlich die beiden Farrogs vor uns vermutete. Als die beiden schwarzgekleideten Gestalten von links und rechts unter das Tor der Halle sprangen, konnte ich mich nur fallen lassen. Sengende Glut fauchte über mich hinweg, das ganze Gewölbe wurde in grelles Licht gehüllt, dann folgte der Donner der Energieentladungen.

Ich rollte mich zur Seite, Remotlas schrie, abermals rasten grelle Energiebahnen über mich hinweg, diesmal aus der entgegengesetzten Richtung. Bevor ich feuerbereit war, verging eine der Gestalten in einer hellen Entladung. Der zweite Schwarzgekleidete wollte flüchten, da rasten aus dem Hintergrund der Halle zwei blasse Strahlen heran, umspielten seinen Körper – und dann erlebte ich etwas Grauenvolles.

Der Schwarzgekleidete schrumpfte innerhalb weniger Sekunden zu einem fingerlangen Zwerg zusammen. Anfangs schrie er noch, dann verstummte er, kippte um und lag wie eine gläserne Statue starr und steif auf dem Rücken.

Ich richtete mich auf, während Atlan von der Öffnung her angerannt kam. Remotlas erhob sich ebenfalls. Er hielt sich die linke Schulter, und ich sah, dass ein Streifschuss seinen Kampfanzug geschwärzt hatte. Die Schmerzen kamen wahrscheinlich nur von der Auftreffwucht des Energiestrahles.

»Alles klar, Perry?«, fragte Atlan.

»So ziemlich«, antwortete ich heftig atmend. »Mir ist auch klar, dass unsere beiden Farrogs unser Leben aufs Spiel setzten, um ihre Kampfkraft zu demonstrieren.«

»Hast du das gehört, Poncruter?«, ertönte eine blubbernde Stimme in seltsam gefärbtem Gruelfin.

»Ich bin nicht taub, Lapender«, antwortete eine von zischenden Geräuschen untermalte Stimme. »Der Terraner muss noch eine Menge lernen.«

Atlan, Remotlas und ich richteten die Lichtkegel unserer Scheinwerfer auf den Hintergrund der Halle, von wo die Stimmen gekommen waren. Die beiden verrücktesten Gestalten, die ich jemals gesehen hatte, standen plötzlich im grellen, schattenlosen Licht.

Das eine Wesen war höchstens neunzig Zentimeter hoch und fast ebenso breit. Es stand auf kurzen Beinen, seine Arme hingen so weit herab, dass die Hände den Boden berührten. Auf den breiten Schultern lag eine gallertartige Masse von der ungefähren Form eines einseitig aufgewölbten Eierkuchens, eigentlich verriet nur der sabbernde Mund darin, dass es sich um den Kopf des Farrogs handelte. Eine lange röhrenförmige Zunge mit einer violett verdickten Spitze fuhr unruhig hin und her. Bekleidet war der Mutant mit einer enganliegenden Kunstfaserhose, Schnürsandalen und einem ärmellosen Kasack, der von einem Waffengürtel zusammengehalten wurde. Die Haut – außer der des Kopfes – wirkte dick und rissig wie Elefantenhaut und besaß einen eitergelben Farbton.

Der zweite Mutant wirkte etwas menschenähnlicher, aber dennoch grotesk genug, um jedem Durchschnittsmenschen kalte Schauer über den Rücken zu jagen. Er war mindestens drei Meter groß und klapperdürr; nur sein Bauch wölbte sich kugelartig vor. Zwischen den schmalen Schultern stieg ein ungefähr vierzig Zentimeter langer Rüsselhals empor, darauf saß ein eiförmiger Schädel, über den sich grobporige, schmutziggrüne Haut spannte. Ein Facettenauge wölbte sich wie ein funkelnder Edelstein an der Stirn auf. Wenige Zentimeter darunter befand sich eine stumpfgraue, eiförmige Verdickung. Die Beine waren lang, die Arme unglaublich kurz. Der Große war genauso gekleidet wie der Kleine, und in der rechten, absolut menschenähnlichen Hand hielt er eine seltsame Strahlwaffe.

Bei keinem der beiden Mutanten erblickte ich etwas, das auch nur annähernd einer Lichtquelle ähnlich sah. Offenbar konnten sie im Infrarotbereich sehen. Und diese Verdickungen ..., ich blickte auf das Kombinationsarmband, das zu meinem Kampfanzug gehörte ..., sie sandten Ultraschallimpulse aus, denn die Anzeigemarke für Sonar flackerte in kurzen Intervallen.

»Lebensuntüchtige Individuen«, blubberte der Große. »Verkümmerte Augen und gewöhnliche Schallaufnahmetrichter.«

Der Kleine bewegte die Röhrenzunge. Weißer, schaumiger Speichel rann aus seinem Mundwinkel und über den Kasack.

»Sie sind auf künstliches Licht angewiesen, Lapender«, zischelte er undeutlich. »Immerhin, einer von ihnen hat vorhin recht gut reagiert.«

Der Große hieß also Lapender, dann musste der Kleine Poncruter sein.

Ich senkte den Lichtkegel meines Scheinwerfers und trat einige Schritte vor. Bei dem auf Fingergröße zusammengeschrumpften Angreifer blieb ich stehen und drehte ihn mit dem Lauf meines Impulsstrahlers um. Der Widerstand, den mir seine Masse entgegensetzte, überraschte mich. Hier schien eine Komprimierung der Moleküle stattgefunden zu haben, möglicherweise hatte sich der Vorgang sogar auf die atomare Ebene erstreckt. Das Lebewesen war hart wie bester Terkonitstahl, aber der Plastikbeton, auf dem es lag, zeigte kaum Veränderungen.

»Ein Verdichtungsstrahler ...«, konstatierte ich und fixierte Lapender, »... der hauptsächlich auf organische Substanzen wirkt. Interessant. – Mein Name ist übrigens Perry Rhodan.« Ich deutete auf meine Gefährten.

»Das ist Atlan – und das Remotlas, Chef der Perdaschisten auf Erysgan.«

»Sie reagierten sehr kaltblütig«, erwiderte statt Lapender der Mutant Poncruter. Er schien offenbar den Ton anzugeben. »Aber vorhin waren Sie sehr leichtsinnig. Ohne unsere Hilfe hätten die beiden Geheimagenten der Pedolotsen Sie getötet.«

Atlan ging an mir vorbei und blieb dicht vor dem Zwerg stehen.

»Daran wären Sie schuld gewesen!«, fuhr er ihn an. »Anstatt sich gleich zu erkennen zu geben, haben Sie mit uns Verstecken gespielt. Natürlich konnten meine Gefährten nicht sofort schießen, weil sie erst sicher sein mussten, nicht Sie vor sich zu haben. Aber anstatt unsere Gegner gleich zu töten, haben Sie gewartet, bis Sie als Retter auftreten konnten. Ihr Verhalten missfällt mir sehr.«

Der gallertartige Schädel Poncruters wabbelte.

»Sie sind sehr arrogant, Oberflächenwurm«, zischelte der Mutant.

Atlan packte den Zwerg am Waffengurt und stemmte ihn hoch.

»Nicht einmal mein ärgster Feind darf mich beleidigen«, sagte er zornig. Ich erkannte jedoch, dass sein Zorn nur gespielt war. »Meinen Freunden gestatte ich das erst recht nicht. Merken Sie sich das, Sie abgebrochener Riese!« Er setzte ihn unsanft wieder ab.

Lapenders Rüsselhals bewegte sich vor und zurück. Der Mund in dem eiförmigen Schädel gab glucksende Laute von sich. Kein Zweifel, der Große lachte.

Plötzlich kicherte der Zwerg in den höchsten Tönen, während er sich mit den Händen auf der Brust kratzte.

»Ich denke, Lapender, die Terraner sind in Ordnung«, sagte er.

Atlan und ich fielen in das Gelächter ein. Es löste die Spannungen, die bisher zwischen den Mutanten und uns bestanden hatten. Anscheinend hatten sie Atlans Reaktion provoziert und waren mit dem Ergebnis zufrieden. Dass sie uns beide als Terraner ansahen, war fast schon normal. Für die Cappins hier in Gruelfin waren wir alle, die mit der MARCO POLO aus der Milchstraße gekommen waren, eben »Terraner«.

Remotlas starrte verwirrt von einem zum anderen. Atlan ergriff die rechte Hand Poncruters und schüttelte sie.

Der Zwerg kreischte und schrie: »Was soll das?«

»Es ist unsere Art, Freunde zu begrüßen«, entgegnete der Arkonide grinsend.

Ich wurde unwillkürlich an die Menschheit des zwanzigsten Jahrhunderts erinnert. Wieviel Dummheit, Intoleranz und Hass hatte es doch damals gegeben, und wie oft waren Menschen, die es für selbstverständlich hielten, dass wir Terraner einmal auf fremdartige Lebensformen treffen und uns mit ihnen verständigen würden, des gestörten Realitätsbezugs beschuldigt worden. Intelligenzen wie Poncruter und Lapender wären im zwanzigsten Jahrhundert auf der Erde entweder umgebracht oder für eine Kuriositätenschau missbraucht worden.

Sogar heute noch hätten die meisten Menschen sich schaudernd abgewandt, wären sie den beiden Farrogs begegnet. Zu sehr glichen die beiden Mutanten Figuren aus Gruselgeschichten und Albträumen. Aber man hätte sie schließlich doch akzeptiert.

Ich muss gestehen, dass auch ich anfangs von instinktivem Misstrauen und einer gewissen Reserviertheit befallen gewesen war. Doch jetzt, eine halbe Stunde nach unserer ersten Begegnung, empfand ich sogar eine gewisse Sympathie gegenüber den beiden Mutanten. Ihr Verhalten war trotz einiger Verschiedenheiten durchaus menschlich.

Poncruter und Lapender hatten darauf verzichtet, die Schrumpfleiche des feindlichen Agenten zu beseitigen. Der Geheimdienst der Pedolotsen, erklärten sie, konnte ruhig erfahren, dass kein Unbefugter ungestraft in die mit der Oberflächenregierung vereinbarte Sperrzone eindringen durfte. Die beiden Agenten hatten die Vereinbarung verletzt, denn der verfallene Bunker gehörte bereits zum Hoheitsgebiet der Farrogs.

Ich hielt an, als Lapender, der vor mir ging, stehenblieb und sich nach mir umdrehte. Der Kopf schwankte auf dem Rüsselhals wie ein Rohrkolben im Wind. Wir befanden uns auf den Stufen einer Wendeltreppe, die scheinbar bis in die Unendlichkeit führte.

»Achtung, wir kommen gleich in eine Zone von Fallen, die noch von den Urbewohnern errichtet wurden«, blubberte der Mutant. »Poncruter kennt sich hier aus. Er wird versuchen, die Fallen zu umgehen, aber es gibt Systeme, die laufend mobile Einheiten produzieren. Rechnen Sie mit Überraschungen.«

»Welcher Art sind diese Fallen?«, fragte ich.

Lapender lachte glucksend und wandte sich ab.

»Hast du das gehört, Poncruter?«, blubberte er.

»Ich bin doch nicht taub«, rief der Zwerg zischelnd zurück. »Der Terraner Rhodan ist sehr neugierig. Warten Sie es ab, Rhodan, Sie werden bestimmt einige Fallen kennenlernen!«

Ich schwieg verärgert. Die beiden Farrogs benahmen sich wie große Kinder. Sie schienen sich über Dinge zu amüsieren, die ich überhaupt nicht komisch finden konnte.

Wir setzten unseren anstrengenden Abstieg fort. Mir schmerzten bereits die Muskeln an der Rückseite der Oberschenkel sowie die großen Zwillingswadenmuskeln. Den Farrogs schien das Treppensteigen nichts auszumachen. Sie bewegten sich beide in dem gleichen lässigen Gang, der mir gleich zu Anfang aufgefallen war: Poncruter mit dem Watschelgang einer überfetten Ente, wobei er die langen Arme schlenkerte, und Lapender mit den affektiert wirkenden Schritten eines höfischen Tanzmeisters.

»Wenn das noch eine Stunde lang so weitergeht«, äußerte sich Atlan hinter mir stöhnend, »kann ich nicht mehr geradeaus gehen. Diese Wendeltreppe ist das reinste Folterinstrument.«

Das war mir aus der Seele gesprochen. Ich hatte das Empfinden, als wäre ich eine Stunde lang ununterbrochen Karussell gefahren. Die Treppe war so eng gewendelt wie ein Korkenzieher.

Als die Umgebung vor meinen Augen verschwamm, hielt ich das zuerst für eine Auswirkung des Linksdralls, aber ein überraschter Ausruf von Remotlas machte mir schnell klar, dass das Phänomen eine andere Ursache haben musste.

Ich blieb stehen, schloss die Augen und öffnete sie wieder. Lapenders Gestalt sah aus, als betrachtete ich sie durch eine bewegte Wasserwand hindurch. Die Konturen des Riesen verzerrten sich unablässig.

»Lapender!«

Der Mutant antwortete nicht. Statt dessen verschwand er um die nächste Biegung. Ich drehte mich behutsam um, da ich das Gefühl hatte, mein Gleichgewicht bei einer schnellen Bewegung zu verlieren.

Atlan und Remotlas waren verschwunden – und nicht nur sie. Einen Meter über mir war die Wendeltreppe wie abgeschnitten. An ihrer Stelle sah ich eine pulsierende lange Röhre mit einem blinkenden Licht am oberen Ende.

Ich lehnte mich gegen die feuchte Wand. Unbekannte Strömungen drangen von außen auf meinen Geist ein und suchten ihn zu verwirren. Ich war in eine Falle geraten.

Doch warum wich ich nicht in den Gang aus, der sich rechts unter mir auftat?

Schwankend, mit ausgestreckten Händen tastete ich mich die verschwimmenden Stufen abwärts. Die Umgebung verzerrte sich stärker, es sah aus, als kreisten die Wände um mich herum. Schneller! Endlich fühlte ich mit den Fingern die Kanten der rechteckigen Öffnung. Meine Brustlampe leuchtete in den Gang und enthüllte glatte Plastikwände, die in beruhigendem Grün gehalten waren.

Hier war nichts verschwommen, hier war ich in Sicherheit. Ich schritt rasch aus, auf das metallisch glänzende Panzerschott zu, das ich am Ende des Ganges entdeckt hatte. Es öffnete sich, als ich noch zwei Schritte entfernt war. Der Raum dahinter war mir eigenartig vertraut, ein dicker weicher Bodenbelag dämpfte das Geräusch meiner Schritte und verlieh mir das Gefühl, nur noch die Hälfte meines Gewichts zu besitzen.

Vier glatte Wände aus grünem Glas, eine in mattem Rosa leuchtende Decke und ein Schalensessel in der Mitte des Zimmers. Erleichtert ließ ich mich in den Sessel sinken. Das Panzerschott hatte sich hinter mir wieder geschlossen; ich achtete nicht darauf, denn ich fühlte mich sonderbar gelöst und zufrieden. Alles war Harmonie. Das Universum füllte sich mit Sphärenklängen.

»Perry!«

Wer störte da meine Ruhe? War es wieder Akishon, der Telepath? Nach wem rief er? Wer war Perry?

»Sie sind Perry! Und ich bin nicht Akishon, sondern Ovaron, der Ganjo!«

Ich lachte leise. Jemand erlaubte sich einen dummen Scherz. Ich kannte weder einen Ovaron noch einen Ganjo, und ich hieß nicht Perry, sondern ...

Ja, wie hieß ich eigentlich?

Aber war das nicht unwichtig? Ich existierte, und das genügte, und das Universum existierte auch. Diese Klänge ...! Harmonie, vollständige, alles umfassende Harmonie!

»Atlan ist in Gefahr, Sie Narr!«

Jäh brachen die Sphärenklänge ab, die Wände stürzten ein, die Decke barst, und das Licht verlosch. Der Sessel unter mir löste sich auf. Ich stürzte – und fand mich auf harten Stufen wieder. Vor mir stand ein heller Kreis auf der Wand aus Plastikbeton. Ich wandte mich um und kniff die Augen zusammen, um nicht von dem Scheinwerfer geblendet zu werden, der über mir in der Finsternis leuchtete.

Ich bin Perry Rhodan – und im Universum herrscht alles andere als vollendete Harmonie! – »Ovaron?«

»Ja, Perry! Haben Sie begriffen?«

»Sehr gut sogar. Wir befinden uns im Wirkungsbereich eines Persönlichkeitsdestruktors, eines Geräts, dessen Ausstrahlung die Persönlichkeit löschen soll. Danke für Ihre Hilfe, Ovaron.«

Ich richtete mich vorsichtig auf, aber diesmal trat keine Verzerrung der Umwelt ein. Mein Geist hatte sich erfolgreich gegen den Einfluss des Persönlichkeitsdestruktors abschirmen können. Ich schaltete meinen Scheinwerfer wieder ein und stieg hinauf.

Sechs Stufen höher fand ich Remotlas. Der Ganjase lag zusammengekrümmt auf den Stufen. Seine Haltung glich der eines Embryos im Mutterleib, also war höchste Eile geboten, wenn ich seinen Geist noch retten wollte.

Ich packte Remotlas am Halsteil seines Kampfanzuges und schlug ihm mit der flachen Hand mehrmals ins Gesicht. Der Perdaschistenführer stöhnte, öffnete aber die Augen nicht.

Wo war eigentlich Atlan?

Ich sah mich um. Er hätte sich zwischen meinem letzten Standort und Remotlas befinden müssen. Ich musste ihn suchen, aber zuerst benötigte der Ganjase meine Hilfe.

In meiner Notausrüstung fand ich einige Injektionspflaster mit einem Halluzinogen, das einem terranischen Mescalin-Modifikat ähnelte, einer Droge, die zur Kompensation mechanohypnotischer Einflüsse verwendet wurde. Ob das ganjasische Mittel bei Remotlas in der gewünschten Form wirkte, blieb abzuwarten. Zumindest konnte es keinen größeren Schaden anrichten als den, der durch eine weitere Verzögerung der Handlung entstehen musste.

Ich presste Remotlas zwei Injektionspflaster in den Nacken. Da ich vorerst nichts weiter für ihn tun konnte, stieg ich die Wendeltreppe hinab, um nach Atlan und den beiden Farrogs zu suchen. Als ich an der Stelle vorbeikam, an der ich während meiner Halluzinationen den Gang gesehen hatte, tastete ich die Wand unwillkürlich nach Spuren der Öffnung ab. Natürlich fand ich keine.

»Was suchen Sie dort, Terraner?«, zischelte Poncruter.