Perry Rhodan 65: Die Altmutanten (Silberband) - Clark Darlton - E-Book

Perry Rhodan 65: Die Altmutanten (Silberband) E-Book

Clark Darlton

3,0

Beschreibung

Man nennt sie die Altmutanten: acht menschliche Bewusstseine, die ein tragisches Schicksal verbindet. Über Jahrhunderte hinweg kämpften sie an der Seite Perry Rhodans für Terra, bis sie der sogenannten Second-Genesis-Krise zum Opfer fielen. Doch nur ihre Körper starben, während ihre Bewusstseine im Hyperraum weiterlebten. Das seltsame PEW-Metall erwies sich als ihre einzige Chance, wieder in den Normalraum zurückzukommen. Jetzt ist ihr einziges Ziel das "wirkliche Leben" - und dafür ist ihnen jedes Mittel recht. Sie bringen den Supermutanten Ribald Corello und Alaska Saedelaere, den Mann mit dem Cappin-Fragment, in ihre Gewalt. Die beiden Verbündeten wider Willen erschaffen in einer uralten Geheimstation der Lemurer, tief unter dem Pazifischen Ozean, acht künstliche Körper. In diesen übereilt gezüchteten Hüllen wollen die Altmutanten überleben. Als die Körper absterben, beginnt ein verzweifelter Kampf gegen den Zerfall. Perry Rhodan wagt alles, um seinen alten Freunden zu helfen. Doch die Altmutanten folgen nicht seinen Vorschlägen und verfolgen nun ihre eigenen Pläne ...

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Nr. 65

Die Altmutanten

Man nennt sie die Altmutanten: acht menschliche Bewusstseine, die ein tragisches Schicksal verbindet. Über Jahrhunderte hinweg kämpften sie an der Seite Perry Rhodans für Terra, bis sie der so genannten Second-Genesis-Krise zum Opfer fielen. Doch nur ihre Körper starben, während ihre Bewusstseine im Hyperraum weiterlebten. Das seltsame PEW-Metall erwies sich als ihre einzige Chance, wieder in den Normalraum zurückzukommen.

Jetzt ist ihr einziges Ziel das »wirkliche Leben« – und dafür ist ihnen jedes Mittel recht. Sie bringen den Supermutanten Ribald Corello und Alaska Saedelaere, den Mann mit dem Cappinfragment, in ihre Gewalt. Die beiden Verbündeten wider Willen erschaffen in einer uralten Geheimstation der Lemurer, tief unter dem Pazifischen Ozean, acht künstliche Körper.

Vorwort

Furios endete der letzte Band der PERRY RHODAN-Bibliothek, und nahtlos geht es weiter mit Ribald Corellos Flucht über den Erdball und mit den Geistern, die ihn beherrschen. Im weiteren Verlauf wagten sich die Autoren schon zur Mitte der siebziger Jahre an solch brisante Themen heran wie die Schaffung von menschlichen Körpern aus Genpools. Es wurde dabei offengelassen, was mit den Synthokörpern geschehen wäre, hätten sie die vollen zwei Monate Zeit bis zu ihrer »Reife« gehabt.

Doch die Tendenz geht ganz klar dahin, dass es auch in der Zukunft nicht möglich sein wird, problemlos Leben aus der Retorte zu erschaffen – noch dazu »unbeseeltes« Leben, dem erst in einer komplizierten Prozedur so etwas wie Eigenbewusstsein aufgezwängt wird. Hinter dem ganzen Programm steht ein Albtraum, wie er den Gehirnen moderner Militärstrategen entsprungen sein könnte: willenlose Befehlsempfänger als Munition für zukünftige Kriege.

Die im Buch vertretenen Romane sind diesmal (wobei der letzte »geteilt« worden ist und im nächsten Band seine Fortsetzung findet): Im Labyrinth der Toten (578) von H. G. Ewers; Die Psycho-Vampire (579) von Ernst Vlcek; Die Zeitritter (580) von Clark Darlton; Die Mutantenfänger (582) von Hans Kneifel; Der Ara und die Verzweifelten (583) von William Voltz; Der Mutantenplan (584) von H. G. Francis und Das Doppelspiel des Arkoniden (585) von William Voltz.

Ich bedanke mich bei allen, die durch ihre Ideen und sachliche Kritik an den Originalromanen dazu beigetragen haben, dieses Buch in dieser Form zu realisieren.

Zeittafel

1971/84 – Perry Rhodan erreicht mit der STARDUST den Mond und trifft auf die Arkoniden Thora und Crest. Mit Hilfe der arkonidischen Technik Einigung der Menschheit und Aufbruch in die Galaxis. Das Geistwesen ES gewährt Rhodan und seinen engsten Wegbegleitern die relative Unsterblichkeit. (HC 1–7)

2040 – Das Solare Imperium entsteht und stellt einen galaktischen Wirtschafts- und Machtfaktor ersten Ranges dar. In den folgenden Jahrhunderten folgen Bedrohungen durch die Posbi-Roboter und galaktische Großmächte wie Akonen und Blues. (HC 7–20)

2400/06 – Entdeckung der Transmitterstraße nach Andromeda; Abwehr von Invasionsversuchen von dort und Befreiung der Völker vom Terrorregime der Meister der Insel. (HC 21–32)

2435/37 – Der Riesenroboter OLD MAN und die Zweitkonditionierten bedrohen die Galaxis. Nach Rhodans Odyssee durch M 87 Sieg über die Erste Schwingungsmacht. (HC 33–44)

2909 – Während der Second-Genesis-Krise kommen fast alle Mutanten ums Leben. (HC 45)

3430/38 – Das Solare Imperium droht in einem Bruderkrieg vernichtet zu werden. Bei Zeitreisen lernt Perry Rhodan die Cappins kennen. Expedition zur Galaxis Gruelfin, um dem Ganjo Ovaron zu seinem Recht als Herrscher der Ganjasen zu verhelfen und eine Pedo-Invasion der Milchstraße zu verhindern. (HC 45–54)

3441/43 – Die MARCO POLO kehrt in die Milchstraße zurück und findet die Intelligenzen der Galaxis verdummt vor. Der Schwarm dringt in die Galaxis ein. Gleichzeitig wird das heimliche Imperium der Cynos aktiv, die am Ende den Schwarm wieder übernehmen und mit ihm die Milchstraße verlassen. (HC 55–63)

3444

Prolog

Seit dem 8. Juni des Jahres 3443 ist die Schwarm-Krise beendet. Mit dem Cyno Nostradamus an der Spitze hat das riesige Sternengebilde die Milchstraße verlassen, um wieder seiner ursprünglichen Aufgabe gerecht zu werden und Intelligenz im Kosmos zu verbreiten. Die Verdummungswelle existiert nicht mehr. Überall in der Galaxis erholen sich die betroffenen Völker und gehen an den Neuaufbau. Allerdings wird es viele Jahre dauern, bis der frühere Zustand wiederhergestellt ist. Die Verdummung hat besonders kleinere Sternenreiche und Kolonien in den wirtschaftlichen Ruin getrieben. Zahlreiche Fragen sind offengeblieben, zum Beispiel die nach den geheimnisvollen Erbauern des Schwarms.

Perry Rhodan hat kaum Gelegenheit, sich diese Fragen zu stellen. Es gibt nicht nur die Probleme mit dem Wiederaufbau und der Betreuung besonders schlimm von der Verdummung Betroffener, sondern unerwartete innenpolitische Schwierigkeiten. Bestimmte Gruppen werfen ihm vor, während der Krise eine falsche Politik betrieben zu haben. Angesichts bald anstehender Neuwahlen ist er gefordert, sich zu behaupten und die Vorwürfe zu entkräften.

In dieser Situation erscheint an Bord eines längst überfälligen Robotschiffs ein Fremder auf der Erde. Mit dem Asporco kommen die »Stimmen der Qual«, geheimnisvolle, verheerende paranormale Mächte, die Chaos und Tod verbreiten. Perry Rhodan und seine Freunde fliegen mit dem Fremden an Bord des Raumschiffs TIMOR zum entfernten Planeten Asporc, der von einer Priesterkaste beherrscht wird.

Sie entdecken dort einen riesigen abgestürzten Meteoriten, der von Adern eines geheimnisvollen Materials – des so genannten PEW-Metalls – durchzogen ist. In diesem Metall scheinen sich die »Stimmen der Qual« zu materialisieren und verstärkt zu werden.

1.

April 3444

Südsee, Tuamotu-Archipel

Der Mann mit der Gesichtsmaske schritt neben dem schwebenden Kegel den Pfad entlang. Er musste sich anstrengen, um mit der Geschwindigkeit des roboterhaften Gebildes Schritt zu halten.

Hin und wieder warf er verstohlen einen Blick von der Seite auf den Teil eines Kopfes, der vom Insassen des Kegels als einziges zu sehen war, eine von bläulichen Adern überzogene riesige Stirn und darunter ein babyhaftes Gesicht mit faltiger Greisenhaut.

Das Gesicht zeigte einen für den geschulten Beobachter unverkennbaren Ausdruck: den Ausdruck eines Lebewesens, das unter hypnosuggestivem Zwang steht.

Der Mann mit der Gesichtsmaske überlegte, wie er sich verhalten sollte. Er, Alaska Saedelaere, trug eine ungeheure Verantwortung. Er wusste als einziger Mensch, wo sich Ribald Corello – das Wesen im Transportroboter – aufhielt und in welchem Geisteszustand er sich befand.

Er wusste auch genau, dass es eigentlich seine Pflicht war, Hilfe herbeizurufen. Ribald Corello stellte im gegenwärtigen Geisteszustand eine Gefahr für die gesamte Erde dar. Der Supermutant wusste das in klaren Augenblicken selbst, und hatte dann mehrfach versucht, Selbstmord zu begehen, um die irdische Menschheit vor Schaden zu bewahren.

Alaska war sicher, dass Corello seine neuen Fähigkeiten, wie beispielsweise die der Teleportation, nicht aus sich selbst heraus entwickelt hatte, sondern dass sie ihm von einer bislang unbekannten und unheimlichen Macht aufgezwungen worden waren.

Nach einer Reihe von Unternehmungen, von Alaska Saedelaere teilweise nur halb bewusst miterlebt, hatte sich der Supermutant aus dem Schweren Kreuzer TIMOR einen seiner Ersatztransportroboter geholt. Irgendwann danach war er mit Saedelaere zu einem Vergnügungsschiff im Pazifik teleportiert.

Dabei vernachlässigte er einige Zeit die geistige Kontrolle Saedelaeres, was dem Transmittergeschädigten die Gelegenheit gab, sich von den schockartigen Nachwirkungen der parapsychischen Beeinflussung zu erholen und sich unter die Kontrolle des eigenen Geistes zu bringen.

Später versuchte Ribald Corello, Saedelaere wieder voll unter seine geistige Kontrolle zu bekommen. Aber zu seinem eigenen Erstaunen vermochte der Transmittergeschädigte seinen eigenen Willen und den größeren Teil seiner eigenen Entscheidungsfreiheit zu behalten.

Alaska Saedelaere empfing und verstand von diesem Zeitpunkt an zwar die hypnosuggestiven Befehle des Supermutanten, aber er brauchte sie nicht zu befolgen.

Dennoch hatte er sie bisher befolgt, um sich gegenüber Corello nicht zu verraten. Er wollte den Supermutanten weiterhin begleiten, um ihn dann in einem günstigen Augenblick zu überwältigen.

Abermals warf er verstohlen einen Blick auf das, was von Corellos Kopf zu sehen war. Doch diesmal bemerkte der Supermutant es. Im nächsten Augenblick wurde Alaskas Bewusstsein mit einer Sturzflut neuer hypnosuggestiver Befehle überschwemmt.

Corello steuerte den Transportroboter emotionautisch zu einem Aussichtspunkt, von dem aus die hellen Lichter eines Badeortes als anheimelndes Lichtermeer zu sehen waren. Weiter draußen, über dem Meer, schwebte ein kugelförmiges Raumschiff im Antigravflug einem der zahlreichen kleinen Raumhäfen der pazifischen Inselwelt zu.

Plötzlich versickerten Corellos hypnosuggestive Befehlsimpulse.

Saedelaere trat einen Schritt vor, damit er das Gesicht des Supermutanten besser sehen konnte. Ribald Corello schien es überhaupt nicht zu registrieren. Sein Gesicht war völlig unbewegt; die grünen Augen wirkten starr und schienen in die Unendlichkeit zu sehen.

Alaska Saedelaere wollte ihn ansprechen, aber er brachte keinen Ton hervor. Die Erregung hatte ihm die Kehle förmlich zugeschnürt.

Er räusperte sich mehrmals, dann sagte er: »Corello?«

Der Supermutant reagierte nicht.

Alaska überlegte fieberhaft. Sollte er versuchen, den Supermutanten zu überwältigen und mit den Funkgeräten des Transportroboters um Hilfe zu rufen? Oder sollte er zu fliehen versuchen, um das nächste Not-Visiphon am Strand zu benutzen?

Über eines war er sich klar: Er musste etwas unternehmen, um Perry Rhodan wieder auf die Spur Corellos zu bringen. Der Transmittergeschädigte entschloss sich schließlich für den offenen Angriff.

Zentimeterweise schob er sich näher an den Transportroboter heran. Als er nur noch wenige Zentimeter entfernt war, ergriff er mit einer Hand den unteren Rand der Kugelrundung, zog sich hoch und versuchte, mit der anderen Hand weit genug ins Innere des Transportroboters zu gelangen, um die Öffnungsschaltung zu betätigen. Er schaffte es – beinahe.

Seine Finger waren nur noch Millimeter von der Schaltung entfernt, als Ribald Corello aus seiner starren Versunkenheit erwachte.

Der Supermutant wirkte verblüfft – aber nur für einen Moment. Im nächsten Augenblick jagten seine Gedankenbefehle durch den positronischen Umsetzer zu den Steuerungselementen des Transportroboters.

Die Greifarme der Maschine rissen Alaska hart zurück, schleuderten ihn zu Boden und schlugen auf ihn ein. Saedelaere schrie vor Schmerz. Er rollte sich fort. Doch dann traf ihn ein Schlag zwischen die Schulterblätter.

Der Transmittergeschädigte gab einen erstickten Laut von sich und brach bewusstlos zusammen.

Als Alaska Saedelaere wieder zu sich kam, fühlte er sich seltsam leicht. Er schlug die Augen auf und bemerkte, dass Corellos Roboter ihn auf seinen Greifarmen trug, während er den Pfad zum Strand zurückschwebte.

Erst Sekunden später spürte Alaska die Körperstellen, an denen ihn die stählernen Arme getroffen hatten. Wenn er einatmete, durchfuhren stechende Schmerzen seinen Rücken. Er hatte das Gefühl, innerlich wund zu sein.

Der Transmittergeschädigte erkannte, dass er verloren hatte. Dennoch resignierte er nicht. Er handelte abermals. Mit der rechten Hand winkte er, um Corellos Aufmerksamkeit von der linken Hand abzulenken, mit der er im nächsten Augenblick die Plastikhalbmaske von seinem Gesicht riss.

Der Supermutant schrie wie ein durch Qualen zum Wahnsinn getriebenes Tier, als er in das flammende Cappinfragment sah. Ein gewöhnlicher Mensch hätte durch den Anblick des Dings in Saedelaeres Gesicht augenblicklich den Verstand verloren.

Nicht so Ribald Corello.

Seine hyperparapsychische Begabung verhinderte das Schlimmste, während die Greifwerkzeuge des Transportroboters die Maske des Transmittergeschädigten an sich rissen und auf Alaskas Gesicht pressten.

Dann machte ein harter Schlag mit einem Metallarm Alaska Saedelaere erneut bewusstlos. Und einen Herzschlag später sank auch Corello in seinem Kegelroboter in Bewusstlosigkeit.

Doch nicht für lange, denn die unheimliche Macht aus dem Dunkel sandte unerbittlich ihre Befehlsimpulse aus und trieb Ribald Corello dazu, ihnen zu gehorchen ...

Der kegelförmige Transportroboter stieg gleich einem gasgefüllten Ballon taumelnd in die Höhe, den Gedankenimpulsen gehorchend, die vom Gehirn Corellos über den Bioponblock an die Schalt- und Steuerkreise des Fahrzeuges gingen.

Ribald Corello hockte zusammengekauert in der seinen Konturen angepassten Einsitzvertiefung, die mit einer watteweichen, moosfarbenen Substanz ausgeschlagen war. Die Substanz strömte wohlige Wärme aus, und innerhalb des Transportroboters herrschte eine Temperatur von konstant 37 Grad Celsius. Der Supermutant benötigte diese Wärme nicht unbedingt zum Leben, aber sie war die von ihm bevorzugte Temperatur, und in ihr fühlte er sich geborgen.

Das nur handflächengroße, babyhafte Gesicht zeigte allerdings keine Spur von Geborgenheit. Im Gegenteil. Es war grotesk verzerrt, und die großen grünschillernden Augen flammten infolge der Anstrengung eines titanischen Kampfes, der unter Corellos Schädeldach ausgefochten wurde.

Der Anblick des tobenden Cappinfragments in Alaska Saedelaeres Gesicht hatte dem Supermutanten zwar nicht den Verstand geraubt, seiner Psyche aber doch einen nachhaltigen Schock versetzt. Und dieser Schock hatte sich primär auf jene geistigen Kräfte ausgewirkt, die das Gehirn Corellos seit Tagen mehr oder weniger stark beherrschten.

Ribald Corello nutzte diese Tatsache aus, sobald er ihrer gewahr wurde. Er gab sich nicht der Illusion hin, die Macht aus dem Dunkel besiegen zu können. Sie würde ihn über kurz oder lang wieder in ihre Gewalt bringen.

Folglich versuchte Corello, die Mutanten Perry Rhodans und die Agenten der Solaren Abwehr auf sich zu ziehen, indem er seinen Transportroboter in eine Höhe steuerte, in der er von den Ortungsgeräten der Raum- und Luftüberwachung geortet werden musste.

Unter ihm, auf dem Aussichtspunkt, kam Alaska Saedelaere wieder zu sich. Er wälzte sich auf den Rücken und biss sich dabei auf die Lippen, um einen Schmerzensschrei zu unterdrücken.

Schwer atmend stemmte er sich hoch, lehnte sich über die Steinbrüstung und blickte zu den Lichtern des Badeortes hinab. Inzwischen waren viele erloschen; die Bewohner zahlreicher Appartements schliefen. Von mehreren Stellen klangen die lockenden Töne typischer Südseemusik herüber.

Alaska atmete tief ein, dann sah er sich nach Corello um. Bald entdeckte er den von innen heraus grünlich leuchtenden Transportroboter, der schaukelnd emporstieg.

Der Transmittergeschädigte fing verworrene Fragmente von hypnosuggestiven Impulsen auf. Offenbar kämpfte Ribald Corello dort oben gegen die Unbekannten, die ihn eben noch beherrscht hatten.

Saedelaere beschloss, diese Gelegenheit nicht unnütz verstreichen zu lassen. Er stieß sich von der Mauer ab und rannte den gewundenen Weg zurück, den er mit Corello gekommen war.

Als er den palmengesäumten Strand erreichte, war er völlig außer Atem. Er lehnte sich gegen einen Stamm und ließ seinen Blick über den Sand wandern. Irgendwo ganz in der Nähe hatte er den Siegelring fallen lassen, unter dessen ovaler Siegelplatte sich ein Impulssender mit seinem persönlichen Kode befand.

Ihm war nicht entgangen, dass sich kurz nach seiner und Corellos Rematerialisierung an diesem Strand eine kleine, dunkelhäutige Gestalt hinter eine angeschwemmte Kiste geduckt hatte. Ein Kind zweifellos.

Alaskas Hoffnung bestand darin, dass das Kind den Ring fand und einem Erwachsenen gab, der bei gründlicher Untersuchung den Impulssender finden würde. Dann brauchte er ihn nur an die nächste Polizeidienststelle zu übergeben. Bald darauf würde Rhodan wissen, dass Saedelaere auf dieser Insel – wie immer sie heißen mochte – war oder jedenfalls vor kurzem gewesen war.

Während der nächsten Stunden durfte er allerdings damit nicht rechnen. Vielleicht vergingen sogar Tage, bis der Ring in die Hände der Verantwortlichen gelangte. Möglicherweise behielt das Kind den Ring auch für sich, warf ihn in seine Spielkiste, wo er bestenfalls die Aufmerksamkeit anderer Kinder, aber nicht die Erwachsener erregen würde.

Falls ihn doch zufällig ein Erwachsener dort sah, würde er ihn nicht sonderlich beachten. Ein Ring aus einer Kinderspielkiste konnte höchstens zehn Soli wert sein!

Alaska Saedelaere blickte wieder nach oben. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Der Transportroboter war nicht mehr zu sehen!

Der Transmittergeschädigte zweifelte nicht daran, dass Ribald Corello sich wieder völlig im Bann der fremden Macht befand und nach ihm suchte.

Wie von Furien gehetzt rannte Alaska am Strand entlang. Der lockere Sand gab unter seinen Füßen nach und behinderte ihn erheblich, deshalb lief Alaska schließlich bis an die Wasserlinie und benutzte den nassen und deshalb festeren Sand.

Schon sah er vor sich die Lichter des Badeortes, da schwebte ein kegelförmiger Schatten heran und verstellte dem Transmittergeschädigten den Weg. Es sah nicht so aus, als hätte Corello Saedelaere bereits entdeckt, aber die Blockierung war nichtsdestoweniger wirksam.

Alaska kniete sich hinter einen Palmstamm und blickte sich suchend um. Er erkannte, dass er praktisch keine Möglichkeit besaß, an Corello vorbei zu einem Ort zu gelangen, an dem andere Menschen lebten. Jedenfalls nicht auf dem Landweg.

Der Transmittergeschädigte wandte das Gesicht dem Meer zu. Vom Bergpfad aus hatte er gesehen, dass sich etwa zwei Kilometer draußen ein Wallriff bogenförmig um die Küste schwang. In der dadurch gebildeten Lagune hatten andere Korallen eine kleine Insel geschaffen.

Alaska Saedelaere kam zu dem Schluss, dass er sich auf der Laguneninsel am besten verbergen konnte – jedenfalls so lange, wie Corello nicht in der Lage war, ihn parapsychisch zu orten.

Zentimeter um Zentimeter kroch Alaska durch das flach anrollende Wasser und durch die nur kniehohe Brandung. Als das Wasser tiefer wurde, stieß er sich mit den Füßen am Grund ab, während er die Arme unbeweglich nach vorn streckte.

Später schwamm er in einem ruhigen Seitenlagenstil geräuschlos zu der Insel hinaus. Geduckt überquerte er den schmalen Sandstreifen und hockte sich zwischen die Palmen.

Aber kurz darauf sah er abermals den kegelförmigen Transportroboter, aus dessen transparenter Kopfkugel grünes Licht fiel. Das Fahrzeug schwebte dicht über dem Meer auf die kleine Insel zu.

Saedelaere war einen Moment wie erstarrt. Hatte Corello ihn längst gesehen und spielte mit ihm nur wie die Katze mit der Maus?

Alaska knirschte mit den Zähnen. So leicht wollte er es dem Supermutanten nicht machen!

Er arbeitete sich durch teilweise dichtes Gestrüpp zur anderen Seite der Insel durch, watete ins Wasser und tauchte, sobald er den Boden unter den Füßen verlor. Sobald er unter Wasser war, schwamm er zügig los. Unter sich entdeckte er einen Adlerrochen, der sich wie mit mächtigen Flügelschlägen durch sein nasses Reich schwang. Eine Schule kleiner Abudefdufs, wegen ihrer Streifen von manchen Forschern scherzhaft »Hauptfeldwebel« genannt, wich ihm aus.

Links und rechts ragten Korallenbauten empor. Da es Nacht war, hatten die Millionen von Polypentierchen, die die Bauten bewohnten, ihre sternförmigen Tentakelkronen ausgestreckt, um nach Nahrung zu fischen. Das durch die Wasseroberfläche fallende Sternenlicht reichte aus, um die Unterwasserlandschaft wie einen blühenden Zaubergarten aussehen zu lassen.

Aber Alaska Saedelaere hatte kaum einen Blick für die Schönheit der Natur. Er versuchte, so weit wie möglich zu schwimmen, bevor ihm die Luft ausging. Als er wieder auftauchte, war er ungefähr fünfzig Meter vom Ufer entfernt. Der Transportroboter Corellos schwebte über dem diesseitigen Strand.

Saedelaere tauchte abermals. Er versuchte es mit einer neuen Taktik, indem er in weitem Bogen um die kleine Insel schwamm – mit dem Ziel, ans Festland beziehungsweise zur Hauptinsel zurückzukehren.

Jedes Mal, wenn Saedelaere auftauchte, um Luft zu holen, kurvte Corellos Transportroboter in fünfzig bis hundert Metern Entfernung über der See.

Zuerst wurde der Grund tiefer und tiefer, dann stieg er allmählich wieder an. Doch statt des erwarteten Sandbodens fand Alaska bei seinen Tauchmanövern muschelbesetzte Felsenriffe vor – und plötzlich schwamm er in einen tiefen Einschnitt.

Abermals tauchte der Transmittergeschädigte auf. Ungefähr siebzig Meter hinter ihm schwebte der Kegel auf der Stelle.

Im nächsten Augenblick schlug ein Protonenstrahl wenige Meter neben Saedelaere ein. Das Wasser kochte; eine Dampfwolke breitete sich aus.

Alaska holte tief Luft und tauchte weg. Ribald Corellos letzte Handlung hatte ihm klargemacht, dass der Supermutant unberechenbar geworden war. Saedelaere musste damit rechnen, dass der nächste Schuss traf, sobald er wieder auftauchte.

In dieser Situation klammerte sich Alaska Saedelaere an die Hoffnung, einen Ausweg zu finden – und der Einschnitt im Fels war, bildlich gesagt, der Haken, an dem er seine Hoffnung aufhängte.

Hier unten hatte sich Klippentang angesiedelt. Eine Blaukrabbe machte sich an der Eischnur einer Wellhornschnecke zu schaffen. Ein junger Schwertschwanz huschte über den gelblichen Sand am Grund der Vertiefung.

Und plötzlich fiel kein Licht mehr von oben herein, lediglich etwas Streulicht von hinten. Undeutlich nur vermochte Alaska die Umgebung zu erkennen.

Er zwang sich zur Ruhe, um seinen Sauerstoffvorrat nicht frühzeitig zu verbrauchen. Unbeirrt schwamm er weiter – und als er glaubte, seine Lungen müssten jeden Augenblick bersten, stieß sein Kopf durch die Wasseroberfläche.

Wie ein Ertrinkender sog Saedelaere Luft in seine Lungen. Vor seinen Augen flimmerten rote Kreise. Nach einer Weile beruhigte er sich. Behutsam schwamm er umher, entdeckte ein felsiges Ufer, eine schräg ansteigende Felswand, und zog sich hinauf.

Er war gerettet – vorläufig wenigstens. Hier konnte er einige Zeit warten, aber nicht bleiben. Vielleicht gab es einen Weg hinaus, der nicht ins Meer führte, über dem Corello lauerte. Alaska vermochte in der Finsternis nichts zu erkennen.

Er nahm sich vor, noch fünf Minuten zu warten und dann die Umgebung tastend zu erkunden.

Alaska Saedelaere fror. Zwar besaß seine Kombination eine Heizung, doch hatte Ribald Corello die Feldgezeitenbatterie der Anlage entfernt.

Die Tatsache, dass seine Augen immer noch nichts wahrnahmen, obwohl er sich nun schon eine halbe Stunde in der Meereshöhle befand, verriet dem Transmittergeschädigten, dass auch nicht die Spur von Licht hereinfiel. Folglich gab es kaum eine Verbindung zur Oberwelt.

Alaska hatte nicht die geringste Lust, zurück ins Meer zu schwimmen. Dort würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Supermutant in seinem Transportroboter lauern – und er würde bestimmt nicht noch einmal danebentreffen.

Alaska Saedelaere lauschte. Das Wasser klatschte ab und zu gegen die Felskante, ansonsten war nichts zu hören.

Oder doch?

Von irgendwoher drang ein Wehen an Saedelaeres Ohr, eine Art Klagegesang, so leise, als sänge ein Kinderchor in tausend Kilometern Entfernung.

Ein Chor der Totengeister!

Alaska lächelte ironisch. Er wusste aus vielen Erfahrungen, dass es Dinge gab, die sich ein mathematisch-wissenschaftlich vorprogrammierter Geist – wie es auf die meisten Menschen dieser Zeit zutraf – nicht vorzustellen vermochte. Dabei ließen sich alle diese Dinge ebenfalls wissenschaftlich erklären, aber zum Verständnis solcher Erklärungen gehörten ein umfangreiches Wissen und eine geistige Offenheit, wie sie im 35. Jahrhundert nur wenige Menschen besaßen.

Der Transmittergeschädigte erinnerte sich, als wäre er ihm erst gestern begegnet, noch deutlich an den kamashitischen SolAb-Agenten Patulli Lokoshan, der von vielen Menschen mit Hochschulbildung als eine Art Scharlatan abgetan wurde, weil ihr Geist in konventionellen Bahnen arbeitete und zwar die Dinge erklären konnte, nicht jedoch das ureigenste Wesen der Dinge. So betrachtet, waren die »streng wissenschaftlich denkenden« Menschen die Scharlatane.

Dennoch: Wahrnehmung war Wahrnehmung!

Alaska strengte sein Gehör an, um herauszubekommen, aus welcher Richtung die nicht identifizierbaren Geräusche kamen. Falls es sich nicht nur um eine Halluzination des überreizten Geistes handelte, gab es einen Weg, der aus der Meereshöhle wegführte. Es fragte sich nur, ob er groß genug für Menschen war.

Der Transmittergeschädigte wandte den Kopf langsam hin und her. Nach einiger Zeit glaubte er, die Richtung festgestellt zu haben. Er ging mit ausgestreckten Händen vorwärts.

Einmal rutschte er aus und stürzte hart auf den linken Ellenbogen. Der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen. Keuchend stand er wieder auf und setzte den Weg fort.

Wenig später spürte er einen schwachen warmen Luftstrom in dem Teil des Gesichtes, das ihm und nicht dem Cappinfragment gehörte.

Die tastenden Hände vermittelten dem Gehirn den Eindruck eines halbmeterbreiten Spalts in einer buckligen Felswand. Aus diesem Spalt kam der dünne warme Lufthauch, aus ihm kam auch das seltsame klagende Geräusch.

Alaska Saedelaere überlegte. Die Warmluft rührte wahrscheinlich daher, dass es weiter unten alte Magmalagerstätten gab. Andererseits lebte er immer noch, was bedeutete, dass es sich nicht um reine Ausdünstungen eines Vulkans handelte, sondern um einen sauerstoffreichen Luftstrom, der irgendwo über heißes Gestein floss.

Saedelaere schloss, dass er das Risiko eines Abstiegs in Kauf nehmen durfte.

Vorsichtig zwängte er sich durch den Spalt. Seine Füße traten auf lockere Felsbrocken. Alaska beugte einem weiteren Sturz vor, indem er sich mit beiden Händen an den Wänden abstützte.

Etwa zwei Minuten lang führte ein relativ schmaler natürlicher Stollen im Winkel von vielleicht fünfzehn Grad hinab, dann griffen Alaskas Hände ins Leere. Offenbar hatte sich der Gang zu einer Höhle erweitert.

Einige Zeit suchte Saedelaere blindlings nach festem Halt, dann besann er sich auf eine Orientierungsmethode, die er bei den Höhlenbewohnern von Catussa kennengelernt hatte.

Er ging auf die Knie und suchte zwei glatte Steine von ungefähr gleicher Größe und gleichem Material. Dann nahm er in jede Hand einen Stein, schlug sie gegeneinander und lauschte auf die verschiedenen Echos.

Im Verlaufe der nächsten Minuten erkannte er, dass es erheblich leichter war, eine fremde Methode zu verstehen, als sie anzuwenden. Es genügte nicht, Echos zu erzeugen; man brauchte zur Auswertung auch ein geschultes Gehör.

Ein Eingeborener von Catussa hätte nach zwei Sekunden auf den Zentimeter genau die nächste Gangöffnung sowie ihre Größe und Form angeben können. Alaska Saedelaere war froh, als er nach zehn Minuten verbissener Anstrengung zu hören glaubte, dass die nächste Öffnung irgendwo schräg links sein müsse.

Er warf die »Echosteine« weg, streckte die Hände aus und machte sich auf die Suche. Seinem Gefühl nach war die Öffnung ungefähr zwanzig Meter entfernt. Alaska brauchte aber nur knapp fünf Meter bis zur nächsten Öffnung zu gehen.

Es war ein Loch im Boden – und der Transmittergeschädigte fiel eine bange Sekunde lang, bevor er mit den Füßen aufprallte. Er rollte sich im Moment des Aufpralls ab, lag einige Sekunden danach still und versuchte herauszufinden, was er sich gebrochen hatte.

Außer ein paar blauen Flecken hatte er jedoch keinen Schaden erlitten. Saedelaere richtete sich vorsichtig auf und horchte. Der »Klagegesang« war lauter geworden und klang anders als zuvor. Er hörte sich eher danach an, als strömten Luftmassen mit großer Geschwindigkeit durch enge Felskanäle. Außerdem war es wärmer.

Alaska Saedelaere bedauerte, dass er keine Lampe bei sich führte. Ribald Corello hatte ihm alles abgenommen, womit er sich allein weiterhelfen oder Hilfe herbeirufen konnte.

Langsam tastete er sich vorwärts. Der Boden bestand aus nachgiebigem Sand, der wellenförmig aufgehäuft war und sich leicht nach rechts neigte. Folglich wandte sich Alaska ebenfalls nach rechts.

Plötzlich verfing sich sein rechter Fuß in einem Hindernis. Der Transmittergeschädigte warf sich zurück. Er fürchtete eine Falle. Aber nichts geschah, was seine Befürchtung bestätigt hätte.

Nach einer Weile ließ sich Alaska Saedelaere auf Hände und Knie nieder und kroch unendlich behutsam vorwärts. Seine Finger ertasteten etwas, das sich im ersten Moment wie glattes, gebogenes Astwerk anfühlte – bis ihm der Totenschädel mit den beiden Augenhöhlen in die Hände kam.

Alaska zuckte unwillkürlich zurück. Dann streckte er die Hände abermals aus. Diesmal betastete er das Skelett systematisch und wertete die Ergebnisse mit erzwungener kalter Logik aus.

Saedelaere war kein Mediziner, doch verfügte er über ausreichend biologische Grundkenntnisse, um festzustellen, dass er das Skelett eines Menschen, und zwar einer erwachsenen männlichen Person, gefunden hatte.

Verschiedene Hartplastikteile schienen darauf hinzudeuten, dass der Tote mit einem Froschmannanzug bekleidet gewesen war. Kurz darauf stießen Alaskas Finger auf einen Druckluft-Tauchtornister, der etwa einen Viertelmeter neben dem Skelett lag.

Der Mann musste durch den gleichen Gang getaucht, in der Meereshöhle angekommen und dann beim Abstieg in tiefere Regionen verunglückt sein. Das nahm Alaska Saedelaere jedenfalls an – bis er den Pfeilschaft fand, der aus dem linken Schulterblatt ragte.

Mit einem Ruck entfernte Saedelaere den Pfeil und wog ihn prüfend in der Hand. Der Taucher war also nicht verunglückt. Jemand hatte ihm einen Pfeil in den Rücken gejagt.

Aber wer?

Alaska spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Unwillkürlich horchte er auf Schritte des Wesens, das den Taucher ermordet hatte und sicherlich auch ihn ermorden würde, wenn es ihm gelang, ihn zu überraschen.

Doch wer konnte das sein? Wer schlich in dieser submarinen Höhlenwelt umher und brachte Eindringlinge um?

Einen Moment lang dachte Alaska Saedelaere an eventuelle Überreste des ausgestorbenen lemurischen Volkes, die sich an ein Höhlenleben gewöhnt hatten und eifersüchtig darüber wachten, dass kein Fremder ihr Reich betrat.

Aber dann schüttelte der Transmittergeschädigte den Kopf.

Kein Lemurer konnte hier leben. Selbst wenn einige Lemurer den Untergang ihres Kontinents wie durch ein Wunder überlebt und sich vermehrt hatten, musste der Bestand nach einigen wenigen Generationen endgültig aussterben, weil der menschliche Organismus ohne die Einwirkung des Sonnenlichts Schaden nahm.

Oder sich durch Veränderung anpasste?

Saedelaere seufzte resignierend. Er würde es selbst herausfinden müssen, und im Unterschied zu dem armen Teufel, der wahrscheinlich nichtsahnend den Tod gefunden hatte, war er nicht nur gewarnt, sondern auch in allen denkbaren Kampfarten geschult.

Er hockte sich neben das Skelett und tastete den Boden auf der Suche nach Steinen ab, denn er wollte abermals die Echomethode anwenden, um sich zu orientieren.

Als seine Fingerspitzen über einen kühlen, stabförmigen Gegenstand strichen, hielt er verblüfft inne. Im nächsten Augenblick hatte er den Gegenstand aufgehoben; seine Finger suchten nach einem Schalter und fanden ihn.

Trübes Licht flammte auf, sickerte als matter rötlicher Kegel über den bleichen Sand, färbte das Skelett und prallte von einer bläulich, von goldfarbenen Adern durchzogenen Felswand ab. Schließlich stieß der Lichtkegel in ein finsteres Loch und versickerte in dem Stollen dahinter.

Alaska Saedelaere stand auf. Er kannte diese Art Lampen. Sobald man sie in Betrieb nahm, luden die Speicherzellen sich durch Anzapfung des planetaren Schwerefeldes allmählich wieder auf.

Doch in die Freude über seinen Fund mischte sich die Frage, warum der Mörder des Tauchers sich die Lampe nicht angeeignet hatte. Sie besaß einen Wert von etwa dreihundert Solar, und wer immer in dunklen Höhlen umherstreifte, hatte jederzeit Verwendung für eine gute Lampe.

Es sei denn, der Mörder des Tauchers sah nicht mit gewöhnlichen Augen, sondern mit den Fernsinnen einer Maschine, etwa eines elektronisch gesteuerten Fallensystems, das mit Pfeilen tötete, um die Tat eines Menschen vorzutäuschen.

Alaska richtete den bereits helleren Lichtkegel auf das Tornister-Tauchgerät. Er überlegte, ob er mit dem Gerät nicht lieber den bisherigen Weg zurückgehen und unter Wasser zu einer belebten Stelle der Küste schwimmen sollte.

2.

Alaska Saedelaere ließ sich den letzten Meter des Felsschlotes fallen. Seine Beinmuskulatur zitterte von der Anstrengung des Abstieges. Der Schlot war mindestens siebzig Meter hoch und teilweise von einem Durchmesser gewesen, bei dem man leicht mangels ausreichenden Haltes abrutschen konnte.

Der Transmittergeschädigte hatte den Abstieg dennoch geschafft. Und trotz der vorübergehenden Erschöpfung wusste er jetzt, dass sich die Anstrengung gelohnt hatte. Denn hinter einer Öffnung in der Schlotwand zeigte der Lichtkegel der bei dem Skelett gefundenen Lampe die fragmentarisch erhaltenen Magnet-Führungsschienen eines Kabinenlifts.

Geschmolzenes Plastikmaterial, vermischt mit geschmolzenem Gestein, war über die Reste der Schienen geflossen und hatte sie konserviert.

Saedelaere legte sich flach hin, rutschte mit dem Oberkörper über den Rand des Liftschachtes und leuchtete hinunter. Er atmete auf, als er entdeckte, dass der Grund nur etwa drei Meter unter ihm lag. Er bestand aus teilweise versinterten Trümmern, die wahrscheinlich den größten Teil des Liftschachtes füllten. Aber in einer der Wände klaffte ein Spalt – und durch den Spalt fiel ein winziger Schimmer bläulichen Lichts, der allerdings nur zu sehen war, wenn Alaska seine Lampe ausschaltete.

Vorsichtig ließ sich der Transmittergeschädigte hinab. Er rechnete mit Fallen, und er hoffte, dass seine Sinne scharf genug waren, um jede Bedrohung rechtzeitig zu »wittern« – und dass seine Reflexe gut genug funktionierten, um entsprechend zu reagieren.

Aber nichts geschah.

Alaska Saedelaere ließ sich neben dem Spalt nieder, hob einen Trümmerbrocken auf – er war seltsam leicht – und warf ihn durch die Öffnung. Der Brocken prallte mit hohlem Klang gegen ein Hindernis und fiel zu Boden. Ansonsten blieb alles ruhig.

Saedelaere zögerte noch. Er spürte mit den in zahllosen gefährlichen Unternehmungen geschärften Instinkten, dass jenseits des Spaltes etwas auf ihn lauerte, vermochte aber nicht zu sagen, was.

Der Spalt war zu niedrig, als dass er hindurchspringen, sich abrollen und im Rücken eines eventuellen Gegners wieder auf die Füße kommen konnte. Er würde kriechen müssen, wodurch er natürlich ein nicht zu verfehlendes Ziel darstellte.

Nach einiger Zeit entschloss sich Alaska dennoch, diesen gefährlichen Weg zu beschreiten. Er schaltete die Lampe aus, schob sie in eine seitliche Beintasche seiner Kombination und kroch so schnell wie möglich hinüber.

Noch bevor er ganz auf der anderen Seite war, sah er, dass der bläuliche Lichtschimmer von einem Muster winziger punktförmiger Lichtquellen kam, die die ihm gegenüberliegende Wand bedeckten.

Der Raum besaß die Form eines Kegelstumpfs und war nicht sehr groß – und er besaß keine andere sichtbare Öffnung als den Spalt, durch den Alaska Saedelaere gekrochen war.

Der Transmittergeschädigte kniete sich auf ein Bein und sah sich nachdenklich um. Dicht vor der lichtgepunkteten Wand lag der Trümmerbrocken auf dem Boden. Ansonsten war der Raum leer.

Alaska war sicher, dass der alte Liftschacht und dieser Raum zu einer jener Tiefbunkeranlagen gehörten, die die früheren Lemurer während des fürchterlichen Haluterkrieges gebaut hatten.

Er fragte sich jetzt, wie es kam, dass hier ganz offensichtlich noch immer Energie floss, ohne dass dies längst von terranischen Ortungsstationen angemessen worden war.

Die einzige denkbare Erklärung dafür war seiner Ansicht nach, dass sich in der Nähe starke Kraftwerke befanden, die unter anderem auch fünfdimensionale Energien erzeugten, durch die die Streustrahlung der unterirdischen Anlagen überlagert wurde.

Seine Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als die Lichtpunkte erloschen. Plötzlich war es finster.

Alaska Saedelaere wollte gerade nach seiner Lampe greifen, als mehrere Lichtpunkte wieder aufleuchteten. Es waren genau drei, und sie lagen so nahe beieinander, dass sie den Eindruck eines Striches erweckten.

Kurz darauf erloschen sie wieder – bis auf eine punktförmige Lichtquelle.

Alaska Saedelaere richtete sich auf.

Im nächsten Augenblick leuchteten sämtliche Lichtquellen wieder auf – erloschen abermals –, und dann kam System in die Sache.

Der Transmittergeschädigte hatte während seiner Sonderausbildung das alte terranische Morsealphabet lernen müssen, und nun erkannte er in dem Wechselspiel von Punkten und Strichen eine Botschaft.

»Kurz lang – kurz lang kurz kurz – kurz lang – kurz kurz kurz – lang kurz lang – kurz lang. Lang kurz kurz kurz – kurz lang kurz – kurz kurz lang – lang kurz kurz – kurz – kurz lang kurz. Kurz kurz kurz kurz – kurz kurz – kurz lang kurz kurz – kurz kurz lang kurz – kurz.«

Das bedeutete: »Alaska. Bruder. Hilfe!«

Saedelaere erschauerte. Wer rief da mit Hilfe des terranischen Morsealphabets? Wer nannte ihn »Bruder«?

Als keine neuen Morsezeichen mehr kamen, nahm Alaska die Lampe und blinkte, gegen die Lichterwand gerichtet, eine Antwort: »Wie kann ich helfen?«

Aber er wartete vergebens auf eine Reaktion. Nach einigen Minuten vergeblichen Wartens begann er zu rufen, zuerst auf Angloterran, dann auf Interkosmo und schließlich in den beiden Varianten des Tefroda. Doch auch darauf antwortete niemand.

Saedelaere verfolgte den Gedanken, eine vorprogrammierte Maschine könnte ihm die Botschaft zugeblinkt haben, sei aber nicht für Antworten programmiert. Aber er verwarf den Gedanken bald wieder.

Niemand konnte vorausgesehen haben, dass er, Alaska Saedelaere, zu einer bestimmten Zeit an diesem bestimmten Ort sein würde. Folglich hätte auch niemand eine Maschine mit einer Nachricht an ihn programmieren können.

Nein, der Absender hatte seine Botschaft direkt über die Maschinerie des alten Lemurer-Stützpunktes an ihn gerichtet, und zwar genau im richtigen Moment. Das bedeutete, er hatte gewusst, dass Alaska vor der Lichterwand stand. Folgerung: Dieser Jemand hatte ihn beobachtet und beobachtete ihn vielleicht noch immer.

Alaska Saedelaere holte tief Luft. Aber der Ärger über den »stillen« Beobachter verflog rasch. Dieses Wesen, höchstwahrscheinlich ein Mensch, hatte ihn Bruder genannt und um Hilfe gebeten. Natürlich war »Bruder« nicht im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinne gemeint gewesen, etwa gleichbedeutend mit »Freund« oder »Mitmensch« oder »Gleichgearteter«.

Jemand wollte ihm also klarmachen, dass sie beide keine Feinde waren, dass es zwischen ihnen keine unüberwindlichen Gegensätze gab und dass Alaska irgendwann in irgendeiner Form helfen möge.

Der Transmittergeschädigte seufzte. Er steckte in einer Sackgasse – und das sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn. Sollte er auf etwas warten, das vielleicht nie eintrat – oder sollte er lieber umkehren?

Erneut erloschen die Lichter – und zum zweiten Mal benutzte jemand die Erfindung von Samuel Morse dazu, einem Menschen der Zweiten Menschheit über ein von der Ersten Menschheit gebautes Gerät eine Botschaft zu übermitteln.

»Kurz lang lang – kurz lang – kurz lang kurz – lang – kurz – lang kurz. Warten!«

Alaska hatte das Empfinden, sein Rückgrat verwandle sich in Eis. Die letzte Botschaft hatte eine Tatsache eindeutig erwiesen: Der Unbekannte las Saedelaeres Gedanken! Ein Telepath!

Aber der erste Schreck darüber verflog schnell, vor allem wohl deshalb, weil sich der Unbekannte nicht in der Rolle des Supermenschen befand, sondern in der eines Hilfsbedürftigen.

Alaska Saedelaere wartete. Ungefähr eine halbe Stunde verging völlig ereignislos im Lichterraum, dann hatte Alaska das Gefühl einer körperlichen Berührung.

Er zuckte zusammen. Aber es war niemand da, obwohl sich das Gefühl wiederholte, ein Gefühl, als wenn eine Hand ganz zart über seinen Kopf streiche.

Das Gefühl der Berührung schwand – und wiederholte sich verstärkt an der linken Hand.

Ein greller Schmerz explodierte gleichzeitig in allen Körperzellen Saedelaeres, verschwand schlagartig – bis auf ein charakteristisches Ziehen im Nacken.

Eine Transition oder Teleportation!

Auf irgendeine Weise war Alaska sicher, dass es sich um eine Teleportation gehandelt hatte.

Der kegelstumpfförmige Raum mit der Lichterwand war verschwunden. Alaska Saedelaere stand in einem bedeutend größeren, quaderförmigen Raum, fast einem Saal, dessen Innenflächen aus einem blaugrünen, gläsern wirkenden Material bestanden.

An zwei Wänden standen große schwarze Metallplastikschränke, aus denen ein schwaches Summen und Knistern drang: Maschinen. Die beiden anderen Wände waren leer.

Doch nicht lange, denn sie verwandelten sich plötzlich in große Bildschirme, auf denen dreidimensional und farbig eine bizarre Unterwasserlandschaft zu sehen war. Und die Bilder wechselten.

Eben noch war die Unterwasserlandschaft zu sehen gewesen, im nächsten Augenblick zeigten die Bildschirme künstlich hängende Algengärten, große, von Delphinen bewachte Fischherden – und schließlich kurz hintereinander mehrere Unterwasserstädte, die gleich gläsernen Trauben an die zerrissenen Felshänge einer Insel gehängt waren.

Und eine dieser Städte erkannte Alaska Saedelaere an den transparenten Wohntürmen, die aus einer Unterwassermulde bis dicht unter die Meeresoberfläche ragten.

Auf Terra existierte erst eine Unterwasserstadt dieser Bauart, nämlich Bolpole an der Südwestflanke der Tuamotu-Insel Ragiora, eine Stadt, die vor der Verdummung rund eine Million Einwohner gehabt hatte und sich nach der Verdummung sehr schnell wieder regenerierte.

Alaska zerbrach sich den Kopf darüber, wie er an ein leistungsstarkes Funkgerät gelangen könnte, um Perry Rhodan oder einen anderen Mitarbeiter des Suchkommandos zu benachrichtigen, wo er sich befand und wo man nach Ribald Corello suchen musste.

Plötzlich änderten sich die Bilder auf den Schirmwänden abermals. Diesmal zeigten sie hallenartige Räume mit supermodern aussehender technischer Einrichtung, die teilweise an die Labors des Solaren Experimentalkommandos erinnerten.

»Interessant, nicht wahr?«, fragte eine hohe Stimme.

Saedelaere fuhr herum und starrte Corello an, der wie ein materieloser Geist hinter ihm aufgetaucht war, ohne dass es zu den Begleiterscheinungen einer Teleportation gekommen wäre.

Doch dem Schreck folgte verstohlenes Aufatmen – denn Ribald Corello hatte endlich wieder einmal wie ein ganz normaler Mensch gesprochen.

»Allerdings«, erwiderte der Transmittergeschädigte. »Ich finde es darüber hinaus erstaunlich, dass wir diese alten lemurischen Anlagen erst heute entdecken. Ihre energetische Aktivität hätte sie längst verraten müssen.«

»Sie sind durch Milliarden eingelagerter Labyrinth-Kristalle gegen Entdeckung durch mechano-energetische und psionische Ortungsmethoden geschützt, Alaska.«

Alaska Saedelaere blickte den Supermutanten, der noch immer in seinem Transportroboter saß, grübelnd an.

»Wenn sich das so verhält, wie konnten dann Sie diese Anlage finden – und woher wollen Sie wissen, dass es Labyrinth-Kristalle sind, die sie gegen Ortung abschirmen? Was ist überhaupt ein Labyrinth-Kristall?«

Corellos kindliches Gesicht verzog sich, als wollte der Mutant weinen. »Sie kommen und gehen«, flüsterte er, »aus etwas jenseits von Raum und Zeit, wo die Existenz grauenhaften Verformungen unterworfen ist – und ihr Wissen ist groß.«

Er öffnete den Mund weit und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Dann sackte er in der Einsitzvertiefung des Transportroboters zusammen.

Saedelaere zögerte, weil Corello eben noch normal gewesen war. Doch dann siegte das Pflichtgefühl. Er musste Perry Rhodan unterrichten, damit Ribald Corello gefunden und in eine Parapsi-Klinik gebracht werden konnte.

Alaska Saedelaere sprang den dicht über dem Boden schwebenden Transportroboter an, zog sich am unteren Rand der Kopfhülle hoch und griff in Richtung der innen angebrachten Öffnungsschaltung. Sein Finger berührte den Sensorknopf – und im nächsten Moment glitt das vordere Drittel des Kegelroboters auf.

Alaska streckte die Hände nach dem Minikom, einem hochleistungsfähigen Miniaturhyperkom, Corellos aus – und zuckte wie unter einem elektrischen Schlag zurück, als der Supermutant die Augen öffnete.

Der Transmittergeschädigte glaubte, in einem irrsinnig strahlenden Grün zu versinken. Lallend wich er weiter zurück.

Grauenhafte Schreie gellten auf parapsychischer Ebene in Saedelaeres Gehirn, Schmerzwellen peitschten durch alle Körperzellen – und ganz fern, hinter dem Hintergrund des bekannten Seins, brannte die unsichtbare Flamme einer undefinierbaren Sehnsucht.

Alaska Saedelaere prallte mit dem Rücken gegen eine Wand. Im letzten Augenblick, bevor sein Bewusstsein sich in unergründlichen Tiefen verlor, stieß er einen langgezogenen Schrei aus und riss sich die Maske vom Gesicht.

Das Cappinfragment in Alaskas Gesicht loderte, zuckte und verschoss grelle Lichtblitze; es tobte in zorniger Pein und strahlte dabei hellen Wahnsinn aus.

Ribald Corello hielt diesem Strahlen einen Herzschlag lang stand, dann brach der Irrsinn über seinen Geist herein. Der kleine Körper wurde von grässlichen Zuckungen geschüttelt und wäre zweifellos aus dem Transportroboter gefallen, wenn die Stützklammern der Kugelrundung den übergroßen Schädel nicht festgehalten hätten.

Eine psionische Wellenfront schuf ein verrücktes Universum rings um Alaska Saedelaere und Ribald Corello – bis der Supermutant schlagartig verschwand.

An seiner Stelle pulsierte ein kugelförmiges schwarzes Wallen – und davor taumelte ein leerer Transportroboter ziellos durch den Saal.

Alaska Saedelaere wankte zwei, drei Schritte darauf zu, dann erschlaffte er und brach haltlos zusammen.

Als Alaska Saedelaere zu sich kam, lag er nackt in einem Bioplasmatank. Die fließende Masse war kristallklar und körperwarm. Eine Sauerstoffmaske presste sich über Alaskas Gesicht.

Er richtete sich auf, wodurch Kopf und Schultern aus dem Plasma tauchten. Sofort fröstelte der Transmittergeschädigte. Es war ein Gefühl, wie es Babys im Augenblick der Geburt haben mussten.

Alaska nieste.

Es knackte, dann sagte die kindlich hohe Stimme Corellos: »Gesundheit, Alaska! Der Tonspeicher wurde durch Ihr Niesen aktiviert. Ich hoffe, Sie haben sich gut erholt. Steigen Sie aus dem Plasmatank und bedienen Sie sich der übrigen Einrichtungen des Regenerierungssektors, um wieder einsatzfähig zu werden. Ihre Kombination liegt irgendwo bereit. In etwa zehn Minuten müssen Sie fertig sein, denn ich brauche Sie dann, Alaska. Beeilen Sie sich also. Ende!«

Alaska Saedelaere dachte nach. Allmählich sickerte die Erinnerung an die letzten Geschehnisse in sein Bewusstsein. Er schauderte. Widerwillig stieg er aus dem Plasmabad. Der Raum, in dem der Tank stand, war klein und aus fugenlosem Plastikmaterial.

Eine Türöffnung führte in den Nebenraum. Saedelaere legte sich auf die Massagepritsche und ließ sich von robotgesteuerten Massagewerkzeugen mit einer belebenden Emulsion bestreichen und durchkneten.

Danach begab er sich in die anliegende Nasszelle, duschte mit heißem und kaltem Wasser und ließ sich von Warmluftstrahlen trocknen. Einen Raum weiter fand er seine Sachen. Insgeheim hatte er erwartet, sie wären gereinigt; doch so weit wollte Ribald Corello den Service offenbar nicht treiben.

Als er angezogen war und seine Plastikmaske aufgesetzt hatte, öffnete sich direkt vor ihm ein Schott. Dahinter schwebte der Supermutant in seinem Transportroboter.

»Wie fühlen Sie sich?«, fragte Corello. Seine Stimme klang anders als sonst; sie war irgendwie roboterhaft.

»Gut«, antwortete Alaska.

Dann gehen Sie voraus! Ich werde Ihnen jeweils die Richtung angeben!, befahl Ribald Corello, aber diesmal sprach er nicht, sondern sandte einen hypnosuggestiven Gedankenbefehl aus.

Alaska Saedelaere prüfte sich und stellte dabei fest, dass der hypnosuggestive Zwang Corellos bei ihm weiterhin nicht mehr wirkte. Er konnte dem Mutanten gehorchen oder auch nicht.

Er entschloss sich allerdings wieder, so zu tun, als stünde er in Corellos Bann. Irgendwann, so hoffte er, würde er Gelegenheit erhalten, den Supermutanten zu überwältigen und Hilfe herbeizurufen.

Durch dieses Schott!, kommandierte Corello. Danach rechtsherum, hundert Meter geradeaus und nach links zur Treppe!

Alaska Saedelaere marschierte los. Er musste vier Treppen tiefer steigen und wurde zu einem geschlossenen Panzerschott dirigiert.

Öffnen Sie das Schott!, befahl Ribald Corello.

Der Transmittergeschädigte hob die Schultern. Zu spät merkte er, dass er damit einen nicht wiedergutzumachenden Fehler begangen hatte.

Corello hatte die teils resignierende, teils verächtliche Geste gesehen, und er wusste natürlich, dass jemand, der vollständig unter seinem hypnosuggestiven Zwang stand, zu derartigen Äußerungen nicht fähig war.

Alaska merkte Sekunden später, dass die Zwangsimpulse Corellos sich verstärkten. Er konnte weiterhin klar denken, war sich seiner und Corellos Lage bewusst, aber er vermochte den hypnosuggestiven Impulsen des Supermutanten nicht länger zu widerstehen.

Er untersuchte das Schott. »Es lässt sich nur mit einem Kodeschlüssel öffnen«, berichtete er.

Zur Seite!

Saedelaere sprang zur Seite und warf sich hin, als er sah, dass Corello den Inpotronstrahler seines Transportroboters auf das Schott richtete.

Der Inpotronstrahler konnte seine Wirkung fokussieren, so dass sie sich erst im Zielgebiet – und nur dort – entfaltete. Sie bestand darin, dass bestimmte Atomgruppen zum Kernverschmelzungsprozess angeregt wurden.

Durch seine Finger hindurch beobachtete Alaska Saedelaere, wie sich auf dem Material des Schottes kreisrunde blauweiße Flecken bildeten. Das benachbarte Material bog sich unter der Hitze, die die genau dosierte Kernreaktion ausstrahlte. Wenige Sekunden später wölbte sich das Schott birnenförmig nach innen und brach aus dem Rahmen.

Der Transportroboter schwebte auf Alaska zu. Die Greifarme packten den Transmittergeschädigten, hoben ihn hoch und trugen ihn über das völlig verformte Schott, das trotz erloschener Kernreaktionen eine mörderische Hitze ausstrahlte.

Als der Roboter Alaska absetzte, wandte der Transmittergeschädigte den Kopf – und entdeckte erst dann, dass er und Corello sich in einer Art Aufenthaltsraum befanden, in dem die mumifizierten Leichen von ungefähr zwanzig Männern saßen. Die Mumien trugen Kleidungsstücke, die den terranischen Kampfanzügen ähnelten, aber die Helme waren geöffnet.

Saedelaere sah, dass die Toten alle an einem langen Tisch saßen. Die meisten waren im Augenblick ihres Todes mit dem Oberkörper auf die Tischplatte gesunken.

Selbstmord!, kamen Corellos Gedanken durch. Vermutlich durch beabsichtigten allmählichen Druckverlust. Eine schmerzlose Methode. Die Tatsache, dass die Luft abgepumpt wurde, erklärt auch die Mumifizierung der Leichen.

Unwillkürlich nickte Saedelaere. Er konnte verstehen, warum die Lemurer Selbstmord begangen hatten. Sie waren in ihrer Bunkeranlage mitsamt dem Erdteil Lemuria untergegangen, vermochten keine Verbindung zu anderen Lemurern aufzunehmen und wussten, dass sie das Tageslicht nie wiedersehen würden.

Weitergehen!, kamen abermals Corellos Zwangsimpulse an. Die gegenüberliegende Tür hat einen Öffnungsschalter. Drücken Sie ihn!

Saedelaere gehorchte. Als er auf einen der beiden Knöpfe drückte, löste sich der Boden unter seinen Füßen auf – und er fiel auf ein orangerotes Feuermeer zu ...

Alaska Saedelaere sah sich bereits in der Glut, als ihn eine unsichtbare Hand brutal zurückriss. Er landete auf den Greifarmen des Transportroboters, doch er war nicht der einzige, der darauf landete. Als er merkte, dass er auf einer mumifizierten Leiche lag, schrie er auf.

Ruhig bleiben!, befahlen die parapsychischen Impulse Corellos. Das war ein lemurischer Offizier. Er trägt einen Kodegeber an einem Kettchen um den Hals. Offenbar gingen die alten Lemurer absolut idiotensicher vor. Nehmen Sie den Kodegeber in die Hand und drücken Sie auf die geriffelten Flächen!

Der Transmittergeschädigte gehorchte. Kaum pressten sich seine Fingerkuppen gegen die geriffelten Flächen des stabförmigen Gerätes, öffnete sich das eben noch so widerspenstige Schott.

Der Transportroboter ließ die Mumie fallen und schwebte mit Saedelaere weiter. Zielsicher bewegte er sich dicht über dem Boden durch ein System von breiten hellen Korridoren.

Nach etwa fünfzehn Minuten hielt der Roboter in einem Raum an, der offenbar eine Schaltstation war. Er setzte Alaska ab.

Pressen Sie den Kodegeber mit der breiteren Fläche auf alle blauen Schaltplatten!, befahl Ribald Corello. Der Transmittergeschädigte gehorchte auch diesmal.

Plötzlich leuchteten überall an den Wänden Bildschirme auf. Die sonderbaren Grüfte energetisch konservierter Lemurer wurden sichtbar. Es handelte sich sowohl um Männer als auch Frauen – und es waren mehrere hundert Personen, die seit mindestens 50.000 Jahren hier lagern mussten.

Eine unsichtbare Lautsprecheranlage schaltete sich ein. Durch sie verkündete eine kraftvolle Stimme in lemurischer Sprache, dass alles bereit für die Herstellung der Normalsynthos sei. Sie erteilte genaue Anweisungen, was die Besucher zu tun hatten. Danach sollten sie zuerst eine Energiekonserve zu neuem Leben erwecken, und zwar die Konserve des lemurischen Biogenetikers Vauw Onacro.

Alaska Saedelaere wurde von Grauen geschüttelt. Er ahnte, dass hier Ungeheuerliches geschehen konnte, und er wollte etwas tun, um es zu verhindern. Aber er konnte es nicht.

Ribald Corellos hypnosuggestive Impulse klammerten seinen eigenen Willen in einen imaginären Schraubstock, aus dem er sich nicht zu lösen vermochte. Wiederum führte er Corellos Befehle aus, präzise wie eine robotgesteuerte Maschine.

Mit tiefem Brummen liefen starke Kraftwerke an. Ein neuer Bildschirm leuchtete auf. Er zeigte einen einzelnen Lemurer mit langem rötlichem Haar, der unter einer blassroten Energieglocke lag.

Diese Energieglocke strahlte stärker und stärker, bis sie sich nach langer Zeit zusammenzog und spurlos verschwand. Der Bildschirm erlosch.

Eine halbe Stunde danach öffnete sich das Schott der Schaltstation. Der Lemurer, der unter der Energieglocke gelegen hatte, trat ein – diesmal voller Vitalität.

Er sprach die traditionelle lemurische Grußformel – und Ribald Corello erwiderte auf die gleiche Art und in der gleichen Sprache. Alaska Saedelaere wollte auch etwas sagen, doch sein Sprechapparat war gelähmt.

»Wer sind Sie?«, fragte Vauw Onacro. Er verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Gesicht und Schädel des Supermutanten.

»Wir sind mutierte Nachkommen von Lemurern, die schon vor vielen Jahren in die Andromedagalaxis auswanderten«, sagte Corello. Er nannte die richtigen Namen.

»Wie lange liegt der Untergang von Lemuria zurück?«, fragte Onacro weiter. Diesmal schwangen Trauer und Wehmut in seiner Stimme mit.

»Zweiunddreißig Jahre«, log der Supermutant. »Die halutischen Invasoren konnten zurückgeschlagen werden. Das System ist von ihnen gesäubert – aber unsere Verluste waren fürchterlich. Unsere geheimen Produktionsanlagen können täglich zweitausend Kampfschiffe bauen, aber wir haben keinen Mann, um auch nur eines der neuen Schiffe zu besetzen.« Er hob seine schrille Stimme. »Es ist an der Zeit, dass Sie Ihre Aufgabe erfüllen, Vauw Onacro!«

Alaska Saedelaere begriff nichts, absolut nichts. Zwar hatte er gesehen, dass in dieser Station die Energiekonserven von etwa sechshundert Frauen und Männern ruhten, aber sechshundert Personen lösten das Personalproblem der lemurischen Flotte nicht.

Einer Flotte, die seit mehr als fünfzigtausend Jahre nicht mehr existierte! Wahnsinn!

Kein Wahnsinn!, wisperte es in Alaskas Geist. Onacro muss belogen werden, sonst durchkreuzt er unsere Pläne. Passen Sie auf, Alaska! Als vor rund 50.000 Jahren der Haluterkrieg schon hundert Jahre lang getobt hatte, gingen den Lemurern ziemlich rapide die Schiffsbesatzungen aus.

Man verfiel auf den Ausweg, die Nachwuchsmannschaften in so genannten Schnellbrütern in Massen zu züchten, indem man weibliche und männliche Fortpflanzungszellen in Brutmaschinen gab. Erfinder des Produktionsprozesses war der geniale Biogenetiker Vauw Onacro.

In vier Wochen sollten aus den Gameten »geburtsreife« Babys entstehen, die in weiteren vier Wochen körperlich einem Erwachsenen von vierundzwanzig Jahren glichen. Da sich in dieser kurzen Zeitspanne keine geistige Entwicklung erzielen lässt, sollte dieser Prozess nachträglich durch elektronische Aufprägung vorgefertigter Bewusstseinsschablonen erfolgen. Übrigens gibt es Milliarden brutreifer Fortpflanzungszellen.

Das Wispern brach ab.

Saedelaere war entsetzt. Seinem Bewusstsein drängte sich die Vorstellung von Milliarden Menschen mit leeren Gehirnen auf, die mit elektronischen Schablonen sozusagen programmiert werden sollten. Der Transmittergeschädigte fragte sich, was Ribald Corello hier wollte.

Noch stärker aber fragte er sich, wer den Supermutanten dirigierte. Es musste jemand sein, der aus erster Hand alle Einzelheiten des lemurischen Menschenbrutprogramms erfahren hatte – und Ribald Corello gehörte nicht zu jenem Personenkreis.

Abermals erschauerte Alaska. Waren die Unbekannten, die die geheimsten Geheimnisse der alten Lemurer kannten, identisch mit jenen, die ihm mittels terranischer Morsezeichen »Alaska, Bruder, Hilfe«! zugeblinkt hatten?

3.

Das ist also die neue Generation, die das lemurische Volk vor dem Untergang bewahren soll, dachte Vauw Onacro enttäuscht.

»Die Wiedererweckung wird bald abgeschlossen sein«, sagte der Biogenetiker zu den Botschaftern aus Andromeda. Aber er erhielt keine Antwort.

Ribald Corello saß in seinem Tragerobot, als wäre er mit ihm verwachsen, und starrte mit seinen riesigen Augen, die den größten Teil seines winzigen Kindergesichtes beanspruchten, fasziniert auf den Bildschirm. Alaska Saedelaere stand reglos im Hintergrund, das Gesicht hinter der Maske verborgen.

Vauw Onacro wurde aus den beiden nicht klug. Der Versuch, ihnen menschlich näherzukommen, war an ihrem seltsamen Verhalten und an ihrer Verschlossenheit gescheitert.

Er hatte von Anfang an den Eindruck gehabt, dass mit den beiden irgend etwas nicht stimmte. Er stieß sich keineswegs an ihrem Aussehen, es war vielmehr die Art, wie sie auf Reize reagierten, und überhaupt ihr ganzes Auftreten, das ihn misstrauisch machte.

Ihre Reaktionen fielen immer anders als erwartet aus und konnten als anomal bezeichnet werden. Sie waren beide, jeder auf seine Art, unberechenbar, sie ließen sich in kein Schema einordnen. Wenn Corello und Saedelaere die besten Leute waren, die man in Andromeda für diese Mission aufgetrieben hatte, dann war es um das lemurische Volk schlecht bestellt.

Corello und Saedelaere hatten zwar behauptet, Mutanten zu sein, und Onacro wollte das ohne weiteres glauben. Aber die Tatsache, dass sie Mutanten waren, befähigte sie nicht von vornherein für diese Aufgabe. Onacro hatte herauszufinden versucht, welche besonderen Fähigkeiten sie besaßen.

Aber Corello war ihm immer wieder ausgewichen, wenn die Sprache auf ihn kam. Er hatte es bisher verstanden, Onacros Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken. In der Tat, es gab auch wirklich viel wichtigere Dinge als das Gefühlsleben des zwergenhaften Mutanten mit dem riesigen Kopf.

Und für Onacro sollte eigentlich nur zählen, dass sich die Exilregierung in Andromeda endlich dazu entschlossen hatte, das Überlebensprogramm anlaufen zu lassen. Aber es befriedigte ihn nicht ganz, dass es dafür keine anderen Beweise als Ribald Corellos Aussage gab.

Definitiv wusste Vauw Onacro nur folgendes: Als der Krieg des lemurischen Volkes gegen die halutischen Invasoren schon hundert Jahre andauerte, waren nicht mehr genügend Lemurer am Leben, um die Kampfraumschiffe ausreichend zu bemannen. Er, Vauw Onacro, war zusammen mit 592 Wissenschaftlern in diese gigantische biologische Versuchsstation abgestellt worden, um ein Programm zu verwirklichen, das den Fortbestand des lemurischen Volkes sichern sollte.

Vauw Onacro und seine Wissenschaftler hatten 1,9 Milliarden befruchtete menschliche Keimzellen energetisch konserviert. Diese genaktivierten Zellverbände konnten jederzeit in der Retorte innerhalb von vier Wochen zu Menschenkindern heranreifen. Der Prozess, um aus diesen Kleinkindern voll ausgewachsene 21- bis 24-jährige Männer und Frauen zu machen, dauerte nochmals vier Wochen. Es genügten also insgesamt nur acht Wochen, um aus einem befruchteten Ei einen erwachsenen Menschen zu erhalten. Man brauchte diese Normalsynthos dann nur noch mit dem nötigen Wissen auszustatten, dann besaß man vollwertige Kämpfer, mit denen man die Schiffe bemannen konnte.

Als der Kontinent Lemuria von den Halutern vernichtet wurde und im Meer versank, hatte man sich jedoch noch nicht zur Belebung der 1,9 Milliarden Normalsynthos entschließen können. Die lemurische Regierung hatte immer noch gehofft, sich gegen die Haluter mit herkömmlichen Mitteln behaupten zu können. Sollte das jedoch nicht gelingen, dann wollte man auch zu einem späteren Zeitpunkt auf das Überlebensprogramm zurückgreifen können. Deshalb wurden Vauw Onacro und die 592 Wissenschaftler in Tiefschlaf versetzt, und eine spezielle Erweckungsschaltung wurde programmiert, um sie bei Bedarf schnellstens ins Leben zurückrufen zu können.

Das war die Situation, als sich Vauw Onacro in der nunmehr subozeanischen Station in den Tiefschlaf begab. Er wurde von Ribald Corello und Alaska Saedelaere erweckt und erfuhr von ihnen, was in der Zwischenzeit passiert war.

Corello behauptete, dass seit dem Versinken Lemurias 32 Jahre Erdzeit vergangen seien. Auf jener Welt im Andromedanebel, auf der sich die frühzeitig von der Erde geflüchteten Lemurer niedergelassen hatten, entsann man sich Vauw Onacros. Corello und Saedelaere wurden ausgeschickt, um den Biogenetiker und sein Team zu wecken, damit sie ihre Pflicht erfüllten. Die 1,9 Milliarden Normalsynthos sollten erschaffen und der an Besatzungsmangel leidenden Raumflotte zugeteilt werden.

Vauw Onacro hatte keinen Grund, Corellos Geschichte zu bezweifeln. Wenn der Biogenetiker dennoch Unbehagen verspürte, dann war es lediglich auf Ribald Corellos seltsames Verhalten zurückzuführen. Ganz abgesehen von Alaska Saedelaere – der Maskenträger machte den Eindruck, als befände er sich ständig in Trance. Wenn er einmal sprach, was selten genug geschah, dann hörte es sich an, als müsse er sich jedes Wort in einem mühsamen seelischen Kampf abringen.

»Lassen Sie die Energietoten schlafen, Onacro!«, schrie Alaska Saedelaere plötzlich. Es klang wie eine Warnung.

Vauw Onacro wirbelte herum. Er sah, wie der Maskenträger seine Beine ungelenk bewegte und mit den Armen eckig wirkende Gesten machte. Onacro schien es, als wolle er sich ihm nähern. Doch nach zwei Schritten erstarrte Alaska Saedelaere plötzlich. Unter seiner Maske zuckten in allen Farben des Spektrums schillernde Lichtblitze hervor. Die Feuerzungen erstarben schließlich, aber hinter den Augenschlitzen und an den Maskenrändern war ein Leuchten zu sehen, das in immer länger werdenden Intervallen pulsierte.

»Was ist passiert, Saedelaere?«, erkundigte sich Onacro besorgt und wollte dem wie zu Stein erstarrten Maskenträger zu Hilfe kommen.

»Bleiben Sie hier und achten Sie auf Ihre Geräte!«, herrschte ihn Ribald Corello mit seiner schrillen Stimme an.

»Aber Saedelaere ...«, wollte der Biogenetiker aufbegehren.

»Er hat nur einen seiner Anfälle gehabt«, erklärte Corello. Als er merkte, dass sich Onacro damit nicht zufriedengeben wollte, fügte er hinzu: »Saedelaere leidet an Übersensibilität, wie eigentlich alle Mutanten. Aber bei ihm kommt noch eine starke Xenophobie hinzu. Er ängstigt sich in fremder Umgebung und verliert die Kontrolle über sich. Sie werden sich damit abfinden müssen, dass er von Zeit zu Zeit manische Anfälle bekommt. Aber seien Sie unbesorgt, im Grunde genommen ist er ungefährlich.«

Onacro runzelte die Stirn. »Was mag er nur damit gemeint haben, dass ich die Energietoten schlafen lassen soll?«, fragte er.

»Wenn Sie für alles, was Saedelaere sagt, eine Erklärung suchen, dann werden Sie selbst noch irrsinnig«, antwortete Ribald Corello.

»Er tut mir leid«, sagte Onacro mitfühlend. »Ich würde ihm gerne helfen.«

»Ich bin gerührt«, sagte Corello spöttisch. In seinem Gesicht zuckte es. Er griff sich plötzlich mit seinen zierlichen Händen an die Schläfen seines riesigen Schädels und kniff die Augen zusammen. Über seine Lippen kam ein kurzes Stöhnen. Als er nach wenigen Sekunden wieder die Augen öffnete, tat er, als sei nichts geschehen. »Saedelaere braucht Ihre Hilfe nicht. Denken Sie lieber nicht über sein Schicksal nach, sondern konzentrieren Sie sich statt dessen auf Ihre Arbeit. Sie wissen, was davon abhängt.«

Onacro betrachtete ihn prüfend. »Ich glaube«, sagte er nach einer Weile, »Saedelaere ist nicht der einzige, dessen Psyche stark angegriffen ist. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, Corello ...«

»Halten Sie den Mund!«, fuhr der Mutant ihn an. In seinen großen Augen blitzte es gefährlich auf, und er presste die Lippen fest zusammen. Als er den Mund nach einer Weile wieder öffnete, gab er ein erleichtertes Seufzen von sich.

»Entschuldigen Sie, Onacro«, flüsterte er. Er wollte offenbar noch etwas hinzufügen, aber dann verkrampfte sich sein Mund wieder; es schien Onacro fast so, als pressten sich die Lippen gegen seinen Willen zusammen, um ihn am Sprechen zu hindern.

»Wogegen müssen Sie ständig ankämpfen, Corello?«, erkundigte sich Onacro. »Gegen sich selbst – oder gegen fremde Einflüsse?«

Diesmal blieb der Mutant völlig ruhig. Obwohl Onacro ihn scharf beobachtete, konnte er an ihm nicht die geringste verräterische Reaktion erkennen.

»Sie mögen ein genialer Biogenetiker sein, Onacro, aber ganz sicher sind Sie ein miserabler Psychologe«, entgegnete Ribald Corello ruhig. »Konzentrieren Sie sich auf Ihre Aufgabe. Es wäre fatal, wenn durch Ihre Unaufmerksamkeit einige Ihrer Kollegen bei der Wiedererweckung körperlichen oder geistigen Schaden erlitten.«

Ribald Corello hatte recht. Er, Onacro, durfte sich durch nichts von seiner Tätigkeit ablenken lassen. Zwar vollzog sich die eigentliche Erweckung der im Tiefschlaf befindlichen Wissenschaftler robotisch, aber er musste die Schaltungen vornehmen, die den Vorgang auslösten, und die individuellen Weckprogramme abrufen und an jede Energiekonserve einzeln weitergeben. Das erforderte volle Konzentration.

Obwohl er versuchte, an nichts anderes als an die Erweckungsschaltung zu denken, schweiften seine Gedanken immer wieder zu Corello ab. Er spürte förmlich, wie ihn die großen Augen des Mutanten aufmerksam beobachteten, wie sie jeder Bewegung seiner Hände folgten und die Anzeigen der Armaturen registrierten. Corello entging nicht die geringste Kleinigkeit.

»Mir kommt es fast so vor, als wollten Sie mich bewachen«, sagte Onacro unbehaglich.

»Damit kommen Sie der Wahrheit ziemlich nahe«, bestätigte Corello. »Um Sie von der in Ihnen nagenden Ungewissheit zu befreien und um Kompetenzstreitigkeiten vorzubeugen, will ich Ihnen nicht vorenthalten, dass ich das Kommando über diese Station übertragen bekommen habe. Sie sind nach wie vor der wissenschaftliche Leiter, aber Sie unterstehen meinem Befehl, Onacro!«

Der Biogenetiker fragte: »Können Sie belegen, dass man Ihnen Befehlsgewalt über diese Station gegeben hat?«

Onacro hörte hinter sich ein Röcheln, als würde Corello nach Atem ringen. Dann sagte der Mutant mit krächzender Stimme: »Fragen Sie nicht – gehorchen Sie!«

Es klang nicht wie ein Befehl oder eine Drohung, sondern eher wie ein gutgemeinter Ratschlag oder eine freundschaftliche Warnung. Und wieder hatte Vauw Onacro den Eindruck, als müsse Ribald Corello in seinem Innern einen Kampf austragen. Nur glaubte er nicht mehr, dass dem Mutanten eine Bewusstseinsspaltung zu schaffen machte, sondern dass er gegen einen fremden Einfluss, gegen einen Zwang, ankämpfte.

Ribald Corello handelte wider seinen Willen – daran konnte kaum ein Zweifel bestehen.

Und Alaska Saedelaere? Er schien noch stärker im Bann des fremden Einflusses zu stehen. Aber wer, welche Macht, beherrschte die beiden Mutanten, die angeblich aus Andromeda kamen? Die Haluter?