Perry Rhodan 9: Das rote Universum (Silberband) - Clark Darlton - E-Book

Perry Rhodan 9: Das rote Universum (Silberband) E-Book

Clark Darlton

5,0

Beschreibung

Perry Rhodan und einige seiner Gefährten haben die relative Unsterblichkeit erhalten. Wenn sie diese verlieren, droht ihnen ein rascher Tod - und dagegen benötigen sie die sogenannten Zellduschen. Um ihre nächste Zelldusche zu erhalten, machen sich Rhodan und sein Freund Reginald Bull zum Planeten Wanderer auf. Doch die künstliche Welt der Superintelligenz ES ist nicht mehr an derselben kosmischen Position. Wie Wissenschaftler herausfinden, wurde Wanderer in das fremde Universum der Druuf verschlagen - ein seltsamer Kosmos, der von einem rötlichen Leuchten erfüllt ist. Die Jagd nach dem Ewigen Leben beginnt erneut, und diesmal führt sie in das rote Universum. Auch ein anderer Unsterblicher hat Schwierigkeiten: Atlan, der uralte Arkonide, wird von Erinnerungen übermannt. Der Untergang von Atlantis wird in ihm lebendig, und weitere Verbindungen zu den Druuf werden auf einmal deutlich ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 686

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
5,0 (1 Bewertung)
1
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nr. 9

Das rote Universum

Perry Rhodan und einige seiner Gefährten haben die relative Unsterblichkeit erhalten. Wenn sie diese verlieren, droht ihnen ein rascher Tod – und dagegen benötigen sie die so genannten Zellduschen. Um ihre nächste Zelldusche zu erhalten, machen sich Rhodan und sein Freund Reginald Bull zum Planeten Wanderer auf.

Doch die künstliche Welt der Superintelligenz ES ist nicht mehr an derselben kosmischen Position. Wie Wissenschaftler herausfinden, wurde Wanderer in das fremde Universum der Druuf verschlagen – ein seltsamer Kosmos, der von einem rötlichen Leuchten erfüllt ist. Die Jagd nach dem Ewigen Leben beginnt erneut, und diesmal führt sie in das rote Universum.

Einleitung

Obwohl jedes PERRY-RHODAN-BUCH aus mehreren Einzelromanen besteht, sollte seine Handlung möglichst komplex und abgeschlossen sein. Dies zu realisieren, ist eines der Probleme, die sich bei jeder Bearbeitung stellen, um so mehr, je weiter sich die Handlung in den Originalromanen verzweigt. Das vorliegende Buch ist ein typisches Beispiel dafür, dass zu diesem Zweck oft auch die numerische Reihenfolge des ehemaligen Erscheinens der Originalromane ignoriert werden muss, um einen chronologischen Handlungsablauf zu erzielen. Es erschien mir richtig, jene Bände in dieses Buch aufzunehmen, die mit der Auseinandersetzung der Menschheit mit den Druuf zu tun haben. In der Reihenfolge ihres ehemaligen Erscheinens sind dies: Hetzjagd durch die Dimensionen von Kurt Mahr; Im Halbraum lauert der Tod, von Kurt Mahr; Die letzten Tage von Atlantis von K. H. Scheer; Das rote Universum von K. H. Scheer; Unter den Sternen von Druufon, von Clark Darlton und In den Fesseln der Ewigkeit von Clark Darlton.

Bände, die Einzelabenteuer enthielten oder mit der Thematik dieses Buches nichts zu tun hatten, werden zum Teil in einem späteren Buch erscheinen. Trotz all dieser Überlegungen habe ich mich bei der Bearbeitung der in den frühen sechziger Jahren erstmals erschienenen Romane von dem Grundsatz leiten lassen, dass ungeachtet aller notwendigen Kürzungen und Korrekturen möglichst viel von der Aussage und der Atmosphäre der Originalromane für die Buchfassung erhalten bleiben soll. Für Entscheidungshilfen und Mitarbeit bei diesen Bemühungen bedanke ich mich bei Christa Schurm, Franz Dolenc und G. M. Schelwokat.

Heusenstamm, September 1980

Vorwort

Die Geschichte des Solaren Imperiums in Stichworten:

1971 – Die STARDUST erreicht den Mond, und Perry Rhodan entdeckt den gestrandeten Forschungskreuzer der Arkoniden.

1972 – Aufbau der Dritten Macht und einer geeinten Menschheit.

1975 – Die Menschheit greift erstmals in das galaktische Geschehen ein.

1976 – Perry Rhodan löst das galaktische Rätsel und entdeckt den Planeten Wanderer, wo seine Freunde und er von dem Geisteswesen ES die relative Unsterblichkeit erhalten.

1982 – Die Galaktischen Händler versuchen, die Erde zu einer Kolonie ihres Handelsimperiums zu machen.

1984 – Perry Rhodans erster Kontakt mit Arkon im Kugelsternhaufen M 13 und dem dort herrschenden Robotregenten. Der diktatorische Robotregent versucht, die Position Terras herauszufinden, um die Menschheit zu unterwerfen.

2040 – Das Solare Imperium der Menschheit ist entstanden. Atlan, der Einsame der Zeit, taucht aus seiner Unterwasserkuppel am Grund des Atlantiks auf, in der er 10.000 Jahre lang geschlafen hat, und wird zum Freund Perry Rhodans.

1.

»Kreuzer SOLAR SYSTEM, Kommandant Bull, meldet Rückkehr auf Sektor vier, Bahn einundzwanzig«, sagte eine dröhnende Stimme. »Vorsichtsmaßnahmen wie üblich. Die Sektoren eins bis sieben sind sofort zu räumen. Ende.«

Am Rand des riesigen Landefelds stand eine Reihe von Gebäuden, wie sie in der Umgebung eines jeden Raumhafens zu finden waren: Unterkünfte für die Mannschaften der Instandsetzungstruppe, Materiallager, ein kleines Hospital und ein langgestrecktes, flaches Bürogebäude für den Offizier vom Dienst und seinen Stab. Das alles sah sehr sachlich und schmucklos aus unter dem grau verhangenen, heißen Himmel; denn Raumfeld Nord auf dem großen Nordkontinent der Venus war allein der terranischen Flotte vorbehalten, und die Planer hatten sich über bombastische Empfangsgebäude, Zollstationen und Passagierdienste nicht den Kopf zu zerbrechen brauchen.

In den Bergen nördlich des Landefelds war der ehemals arkonidische Stützpunkt versteckt, den Perry Rhodan vor siebzig Jahren entdeckt hatte und dessen einstiger Herr, Atlan, der Unsterbliche, Rhodans Freund zu werden begann. Zum Stützpunkt gehörte die gewaltige positronische Rechenmaschine, Herz oder besser Gehirn aller politischen und physikalischen Kalkulationen im Solaren Imperium. Und vor allen Dingen: in weitem Umkreis das einzige Gerät seiner Art, das in der Lage war, die Bahn einer künstlichen Welt, die sich Hunderte von Lichtjahren weit um eine große Menge von Gravitationszentren schlang, aus einem kleinen, vorgegebenen Bahnstück und wenigen zusätzlichen Informationen innerhalb kurzer Zeit zu errechnen.

Die Bahn des Planeten Wanderer.

In einem kleinen, erstaunlich behaglich eingerichteten Raum des flachen Bürogebäudes saßen sich Perry Rhodan und Atlan, der Arkonide, gegenüber, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und wenig empfänglich für den in seiner Einsamkeit großartigen Anblick, den das weite Raumfeld mit den schnurgeraden schwarzen Strichen des venusianischen Dschungels an den Rändern bot.

Rhodan dachte vor allem an Thora, seine Frau, und ihren gemeinsamen Sohn, Thomas Cardif. Er wünschte, er hätte vieles ungeschehen machen können, was er in Zusammenhang mit seiner Familie entschieden hatte. Es war ...

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen.

Hoch über dem Feld tauchte ein leuchtender Punkt auf, wuchs rasch und sank herab. Ein harter Windstoß fauchte über den weiten Platz, und das dröhnende Orgeln eines hastig durch die dichte Atmosphäre stoßenden Raumschiffs kam hinter ihm drein.

»Er hat es eilig«, meinte Atlan.

Rhodan stand auf und trat zum Fenster, als könne er von dort aus den leuchtenden Ball des landenden Schiffes besser sehen.

»Das will ich ihm auch geraten haben«, antwortete er geistesabwesend.

»Wenn du ihm erlaubt hättest, Administrator«, sagte Atlan spöttisch, »am Ziel einen Hyperfunkspruch aufzugeben, dann hättest du dir zwei lange Wartetage ersparen können.«

Rhodan wandte sich um und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Fenster.

»Damit dein oberster Gebieter meinen Funkspruch auffängt und mit Hilfe seiner genialen Fähigkeit, positronische Ströme zu addieren, zu subtrahieren, zu potenzieren und wer weiß noch alles, die galaktische Position der Erde auf dem schnellsten Weg ausfindig macht, wie?«

Der Arkonide machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Die Chance war klein. Einen Richtspruch fängt man nicht so ohne weiteres auf.«

»Die Chance war klein, aber doch vorhanden. Ich möchte ihm aber gar keine Chance geben.«

Atlan stand ebenfalls auf. »Also gut: Du hast recht, Barbar. Mir tut nur deine Nervosität leid. Man sieht, wie aufgeregt du bist.«

Rhodan tippte mit dem Daumen gegen die Fensterscheibe.

»Da draußen kommt die Beruhigung«, sagte er lächelnd.

Etwa fünfhundert Meter über dem Niveau des Landefelds erreichten die von der SOLAR SYSTEM ausgehende Leuchterscheinung und der Donner, mit dem die nachdrängenden Luftmassen den leergefegten Landekorridor wieder füllten, ihren Höhepunkt. Das Glühen der ionisierten Partikel erlosch, als das große Schiff die übliche Sinkgeschwindigkeit erreichte und sanft auf das graue Feld herabschwebte.

Eine Kolonne offener Pritschenfahrzeuge kam hinter der Reihe der Magazinbauten hervorgeschossen, schien noch unter dem landenden Schiff hindurchgleiten zu wollen und hielt schließlich dort, wo die breite Laufbrücke, deren Vorderteil eben aus einer Schleusenluke zum Vorschein kam, wahrscheinlich den Boden berühren würde.

Schon wenige Sekunden, nachdem die Landung endgültig vollzogen war und der Kreuzer sicher auf den hydraulischen Landesäulen ruhte, erschienen oben in der Luke die Gestalten zweier Männer, glitten über die Brücke herab und sprangen auf einen der wartenden Wagen. Das Fahrzeug setzte sich noch im selben Augenblick in Bewegung und kam auf das Bürogebäude zu.

»Sie entwickeln eine unglaubliche Aktivität«, sagte Atlan, und am Klang seiner Stimme war zu erkennen, dass er wirklich staunte.

Der Wagen hielt draußen vor dem Haupteingang. Zwei Männer sprangen ab, beide mittelgroß und beide rothaarig. Der eine, kräftig gebaut, mit den Rangabzeichen eines Kommandanten, der andere, ein Alltagstyp, in der Kombination eines Captains.

Schritte polterten durch den Gang. Die Tür zu dem kleinen, behaglichen Raum wurde aufgerissen. Reginald Bull blieb auf der Schwelle stehen, und anstelle eines Grußes sagte er: »Nichts! Absolut nichts!«

Die Stille, die darauf folgte, war nahezu vollkommen.

Atlan, der Arkonide, stand immer noch in der Nähe des Fensters. Er wirkte unbeteiligt und wenig interessiert. Wenn er überhaupt Aufmerksamkeit hervorbrachte, dann hielt er sie auf Rhodan gerichtet, um dessen Reaktion zu beobachten.

Da war aber nicht mehr zu sehen als ein kurzes Verkrampfen der Kinnmuskeln, das die Wangenknochen für den Bruchteil einer Sekunde scharf hervortreten ließ. Danach sah Rhodan wieder so aus, als habe er eine nichtssagende, uninteressante Meldung bekommen.

»Komm herein«, sagte er. »Sie auch, Captain. Und dann möchte ich einen ausführlichen Bericht hören.«

Reginald Bull ließ sich in einen der Sessel fallen.

Captain Gorlat blieb stehen. Atlan brachte aus einem kleinen Schrank eine dickbauchige Flasche und ein paar Gläser zum Vorschein. Davon füllte er zwei und reichte sie Bull und dem Captain.

Bull leerte sein Glas in einem Zug. Dann erklärte er: »Da ist nicht viel zu berichten. Als wir an den Punkt kamen, den die Positronik ausgerechnet hatte, war nichts zu finden. Absolut nichts in einem Umkreis von mehr als sechs Lichtjahren. Natürlich suchten wir nach Spuren. Ein Planet verliert Wasserstoff, wenn er durch den Raum zieht. Wir fanden aber nicht ein einziges Wasserstoff-Molekül mehr, als dort sowieso hätte sein müssen. Wir saßen einen geschlagenen Tag an den Ortergeräten, aber außer einem einzigen Boliden kam uns nichts auf den Schirm. Wanderer ist verschwunden.«

Rhodan sah Gorlat an. Der Captain verstand die Aufforderung.

»Das Triebwerk ist in Ordnung. Die Möglichkeit eines Fehlsprungs ist ausgeschlossen. Wir haben zwei Probetransitionen durchgeführt und sind stets auf die Lichtsekunde genau am vorausberechneten Ort angekommen. Der Raum an der von der Positronik angegebenen Stelle war störungsfrei. Keine Magnetstürme, keine Eigenzeitkollision, nichts. Man kann tatsächlich keinen anderen Schluss ziehen als den, den Kommandant Bull schon gezogen hat.«

»Wanderer ist verschwunden«, meldete sich Reginald Bull von neuem, nachdem er ein zweites Glas geleert hatte. »Der Alte hat uns einen Streich gespielt. Vielleicht will er, dass wir dasselbe Rätselspiel wie vor Sechsundsechzig Jahren noch einmal durchmachen.«

Rhodan schüttelte den Kopf. Er tat ein paar Schritte, verschränkte die Hände auf dem Rücken und blieb vor Atlan stehen. Atlan hielt die Flasche noch in der Hand.

Rhodan sah ihn an und lächelte. »Gib mir auch ein Glas. Ich kann's brauchen.«

Wanderer war verschwunden. Die Welt, deren Existenz Rhodan nach den Wortes ihres Erbauers und Besitzers das ewige Leben garantierte, war verschollen.

Im Jahre 1976 hatte Rhodan ihr und ihrem Beherrscher, dem akkumulierten Bewusstsein eines längst vergangenen Volkes, den ersten und entscheidenden Besuch abgestattet. Er selbst und Reginald Bull, sein Kampfgefährte von den ersten Tagen jenes geschichtsträchtigen Fluges zum Mond an, waren würdig befunden worden, eine Zelldusche zu erhalten, die zweiundsechzig Jahre Leben ohne Altern bedeutete. Nach zweiundsechzig Jahren, hatte ES, das seltsame Wesen, das Wanderer beherrschte, angeordnet, hätten sie wieder auf Wanderer zu erscheinen, um sich ein zweites Mal behandeln und sich weitere zweiundsechzig Jahre schenken zu lassen. Nicht später und nicht früher als nach zweiundsechzig Jahren, mit einer Toleranz von nur drei Monaten. Infolge einer Retardierung des Zeitablaufs, der sie während des ersten Aufenthaltes auf Wanderer unterworfen gewesen waren, hatten sie die Erde erst im Jahre 1980 wieder erreicht.

Jetzt, im Jahr 2042, war die Frist um. Genauer gesagt: Der 1. Februar 2042 war der früheste, der 1. Mai 2042 der späteste Termin, zu dem sie auf Wanderer erscheinen mussten.

Überschreitung des spätesten Termins bedeutete sofortiges Nachlassen der Körperfunktionen. Ohne weitere Zellduschen würde der Körper in wenigen Tagen nachholen, woran er zweiundsechzig Jahre lang gehindert worden war. Eine Woche nach dem 1. Mai würden Perry Rhodan und Reginald Bull mehr als hundertjährige Greise sein, die mit einem Bein schon im Grab standen. Und Wanderer war verschwunden.

»Ich bin überzeugt davon, dass der Alte uns an der Nase herumführen will«, behauptete Reginald Bull störrisch.

Er hatte zehn Stunden lang ohne Unterbrechung geschlafen, und die Ruhe hatte ihm seinen Kampfeseifer und seinen gewaltigen Optimismus wieder zurückgegeben.

Das, was er »den Alten« nannte, war das Wesen auf Wanderer, ein Gigant an Geisteskraft, das Bewusstsein eines ganzen Volkes und an keinen Körper mehr gebunden.

Rhodan war anderer Ansicht.

»ES hat uns die Zellaktivierung zugesagt«, meinte er kopfschüttelnd. »Welchen Grund sollte ES haben, zu lügen?«

»Das mag der Himmel wissen«, polterte Bull. »Auf jeden Fall traue ich dem alten Burschen nicht. Hab' ihm nie getraut.«

Sie saßen in einem subplanetarischen Raum des alten arkonidischen Stützpunkts. Ein paar Gänge weit entfernt lag die Kontrollzentrale der großen Positronik.

»Nein«, erklärte Rhodan mit Bestimmtheit. »Das Verschwinden von Wanderer muss einen anderen Grund haben – oder sagen wir besser: eine andere Ursache.«

Atlan, der bisher schweigend der Unterhaltung gefolgt war, streifte Rhodan mit einem Seitenblick.

»Das klingt, als hättest du einen Verdacht«, meinte er.

Rhodan zuckte mit den Schultern. »Warum sollen wir uns über Vermutungen unterhalten, wenn die Maschine in ein paar Minuten zu Ende gerechnet hat?«

Lächelnd antwortete Atlan: »Es hätte mich nur interessiert, Barbar, ob du dasselbe denkst wie ich.«

Sie schwiegen über das, was sie dachten, aber die Positronik spie ihre Gedanken, auf Metallfolien gestanzt, unverblümt aus, wie es ihrem maschinellen Charakter entsprach.

Wanderer war einer Überschneidung zweier Zeitebenen zum Opfer gefallen. Als Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit dieser Aussage gab die Maschine mehr als einundachtzig Prozent an.

»War das dein Verdacht?«, fragte Atlan.

»Natürlich«, antwortete Rhodan. »Die Druuf haben Wanderer verschluckt, wie sie die Bewohner von Mirsal und andere verschluckt haben. Nur eines ist merkwürdig dabei.«

»Und ...?«

»Sollte das Wesen auf Wanderer wirklich keine Möglichkeit haben, sich gegen die Druuf zu wehren? Musste es sich ohne Gegenwehr entführen lassen?«

Atlan wurde nachdenklich. Erst nach einer ganzen Weile antwortete er: »Ich weiß, dass in euren Köpfen der Herr von Wanderer als ein fast allmächtiges Wesen herumspukt. Als vernünftiger Mensch, der du meistens zu sein pflegst, solltest du dir darüber klar werden, dass diese Allmacht natürlich eine Fiktion ist. Jede Macht hat ihre Grenzen, und es ist keineswegs schwierig, sich vorzustellen, dass die Druuf dem Alten, wie ihn Bull nennt, überlegen sind.«

Rhodan schüttelte energisch den Kopf. »Was mich betrifft – ich kann mir das nur sehr schwer vorstellen. Du hast nicht erlebt, mein Freund, was wir auf Wanderer erlebt haben. Nein, ich bin sicher, dass es da noch ein zweites Rätsel gibt, das auf Lösung wartet.«

»Dann gib dir Mühe, Barbar«, der Arkonide lachte leise. »Du hast nicht mehr viel Zeit zum Rätseln. Heute ist der sechste Januar, nach eurer Rechnung.«

Der nächste Schritt war deutlich vorgezeichnet.

Die Positronik ermittelte das Bahnstück, das Wanderer vom ersten Auftauchen der Druuf bis zum 5. Januar 2042 – an dem er nachweislich schon verschwunden war – zurückgelegt hatte.

Rhodan ließ in aller Eile ein Beiboot vom Typ Kaulquappe mit Krümmungsfeldgeneratoren ausrüsten, jenen Geräten, die als einzige einen Übergang in die fremde Zeitebene der Druuf ermöglichten, indem sie sozusagen eine Tür zwischen zwei Eigenzeiten öffneten, und brach mit der DRUSUS, die die so ausgerüstete Kaulquappe an Bord hatte, dorthin auf, wo Wanderer im zweiten Drittel des Jahres 2040 seine Bahn gezogen hatte.

Die DRUSUS war schon von einer früheren Operation her mit Krümmungsfeldgeneratoren ausgerüstet. Wenn die irdische Flotte überhaupt ein Schiff besaß, das den von den Druuf drohenden Gefahren gewachsen war, dann nur die DRUSUS.

Die irdische Krümmungsfeldtechnik, vor mehr als einem Jahr gewissermaßen durch Zufall entdeckt, war im Lauf der Ereignisse auf der Kristallwelt so weit entwickelt worden, dass ein Übergang in die fremde Zeitebene überall dort erfolgen konnte, wo eine Überschneidung zweier Eigenzeiten in der Vergangenheit einmal stattgefunden hatte oder im Augenblick gerade stattfand. Die DRUSUS hatte also keine andere Aufgabe als die, die Wanderer-Bahn mit eingeschaltetem Linsenfeld entlangzufliegen. Wenn es wirklich, wie die Positronik behauptete, eine Überschneidung gegeben hatte, der Wanderer zum Opfer gefallen war, dann würde das Schiff, sobald es den Überschneidungspunkt erreichte, durch sein eigenes Feld in die fremde Zeitebene eindringen.

Das war nach kurzer Suche geschehen.

Die DRUSUS tauchte in einen Raum ein, der mit früher schon beobachtetem, tiefrotem Leuchten erfüllt war und anscheinend keinen anderen Zweck erfüllte, als einer giftgrün leuchtenden Sonne zum Aufenthaltsort zu dienen.

Die eigenartigen Farberscheinungen vermochten niemanden mehr zu erschüttern, da man sie früher schon erlebt hatte. Die Messgeräte der DRUSUS ermittelten den Abstand zwischen dem Schiff und der grünen Sonne zu vierundfünfzig astronomischen Einheiten – eine Maßangabe, der Rhodan mit wohlbegründetem Misstrauen begegnete, denn die Erfahrung, dass die konventionellen Maße des Einstein-Kontinuums auf der fremden Zeitebene nur beschränkt oder gar nicht gültig waren, war schon mehrere Male gemacht worden.

Die DRUSUS, die Rhodan auf keinen Fall der Gefahr der Eigenzeit-Angleichung aussetzen wollte, kehrte nach kurzem Aufenthalt im roten Universum durch das Krümmungsfeld zurück.

Man wusste jetzt, an welcher Stelle Wanderer verschwunden war. Man wusste auch, dass man auf der eigenen Zeitebene über den Verbleib des künstlichen Planeten nichts erfahren konnte.

Die mit Krümmungsfeldgeneratoren ausgerüstete Kaulquappe, die K-238, wurde startbereit gemacht. Rhodan hatte darauf verzichtet, eine Besatzung der üblichen Stärke zu der risikoreichen Operation mitzunehmen. Die Funktionen einer Kaulquappe, einschließlich der Geschützbedienung, konnten im Ernstfall von fünf Mann wahrgenommen werden, und diesen Ernstfall hielt Perry Rhodan jetzt für gegeben.

Außer Atlan, dem Arkoniden, und Reginald Bull hatte er sich Captain Gorlat und Leutnant Tompetch als Begleiter ausgewählt.

Das waren – mit ihm zusammen – die fünf Mann, die im kleinen Kommandoraum der K-238 am Abend des 17. Januar 2042 seufzend, fluchend oder mit angehaltenem Atem auf den Bildschirm starrten.

Alle fünf wussten, welche Risiken mit einem Eindringen in das Druuf-Universum verbunden waren. Grundsätzlich würden sie zweiundsiebzigtausendmal schneller sein als alles, was sich auf der anderen Seite bewegte, aber die Gefahr einer Zeitanpassung war nie auszuschließen, das wussten sie von den Ereignissen auf der Kristallwelt, die die Betroffenen nur aufgrund eines glücklichen Zufalls keine etlichen Jahrtausende gekostet hatte.

Schon damals hatte der Arkonide Crest nachzuweisen versucht, dass die erfolgte Zeitangleichung kein natürlicher, sondern ein von den Druuf herbeigeführter Vorgang war. Crests Hypothese war inzwischen von der Venus-Positronik bestätigt worden, ohne dass der große Rechner eine Antwort auf die Frage gefunden hätte, wie die Druuf die Zeitanpassung herbeiführten.

2.

Der Start erfolgte automatisch, als der Uhrzeiger die 20.45-Marke erreichte. Das Kabel, das die Verbindung mit dem Schiffsinneren bisher aufrechterhalten hatte, glitt aus der Buchse, auf dem Panorama-Bildschirm der K-238 erschien das hellerleuchtete, nichtssagende Bild des großen Beiboot-Hangars, an dessen jenseitigem Ende das innere Schleusenschott aufzugleiten begann.

Ein paar Sekunden später setzte sich die K-238 ebenfalls in Bewegung. Auf einem künstlichen Gravitationsfeld schwebte sie in den Schleusenraum hinein und verhielt, während sich das innere Schott schloss und das äußere sich im Anschluss daran zu öffnen begann.

Der milchige Ring des Linsenfelds wurde wieder sichtbar. Sein Zentrum fiel mit dem Mittelpunkt des Bugbildschirms zusammen.

Rhodan sah, wie das Schott auf der Seite anschlug und das grüne Startsignal aufleuchtete.

Mit einem plötzlichen Ruck glitt die Schleusenöffnung zur Seite. Der Ring des Linsenfelds schien sich mit einem mächtigen Satz auf das Beiboot zu stürzen – und im nächsten Augenblick war alles verschwunden: der Ring, der Lichtteppich der unzähligen Sterne und die DRUSUS, an deren Bord jetzt Baldur Sikermann das Kommando hatte.

Statt dessen umhüllte tiefes Rot das kleine Boot, und aus den Abgründen eines schreckenerregenden, fremdartigen Raumes leuchtete der grelle Feuerball einer grünen Sonne. Der Sprung war geglückt.

Sie wussten, dass sie von nun an mit einer anderen Zeit zu rechnen hatten. Vielleicht war auch »rechnen« nicht das richtige Wort, denn die Erscheinungen auf der purpurroten Welt waren so mannigfaltig, eigenartig und manches Mal einander scheinbar widersprechend, dass es bisher noch nicht einmal den Mathematikern gelungen war, sich ein eindeutiges Bild zu verschaffen, nach dem man sich hätte zurechtfinden können.

Rhodans Interesse galt zuerst der Frage, ob die grüne Sonne ein Himmelskörper in dem Sinn war, den der eilfertig gegebene Name ihr unterschob, und ob, wenn diese erste Frage bejaht war, sie Planeten besaß.

Die Aufgaben an Bord der K-238 waren sorgfältig verteilt: Rhodan war Kommandant und Pilot zugleich; Atlan, der Arkonide, saß an der Positronik und berechnete den Schiffskurs oder wertete Orterergebnisse aus; Reginald Bull bediente die Ortergeräte; Captain Gorlat hatte den Geschützstand inne, und Leutnant Tompetch fungierte als Ersatzmann.

Eine halbe Stunde nach dem Übergang in die fremde Zeitebene hatten die Messgeräte das Spektrum der grünen Sonne registriert und warfen ein Diagramm aus, das die differentielle Strahlungsdichte als Funktion der ausgestrahlten Wellenlänge angab. Atlan, dem das Diagramm als erstem vorgelegt wurde, stieß ein spöttisches Gelächter aus und meinte, das sei ein Spektrum, das zu nichts anderem tauge, als einen Spektroskopiker zum Wahnsinn zu treiben. Rhodan bestätigte kurz darauf, dass so etwas wie das Spektrum eines glühenden, rostigen Eisendrahts aussehen könne, aber nicht das einer Sonne.

Anstelle der glatten Kurve, die das Diagramm hätte zeigen sollen, erschien eine nahe der Abszissenachse verlaufende, ziemlich waagerechte Linie, die in unregelmäßigen Abständen spitze und hohe Zacken aufwies. Einer der Zacken wurde bei einer Wellenlänge von 5600 Ångström registriert und war offenbar für die grüne Farbe des eigenartigen Leuchtkörpers verantwortlich.

Bevor der Schluss, dass es sich nicht um eine Sonne, sondern um eine andere, bislang noch unbekannte Leuchterscheinung handelte, formuliert und ausgesprochen wurde, erzielten die Messgeräte ein neues Resultat: Von dem grünen Körper ging ein Gravitationsfeld aus. Die Entfernung zwischen der K-238 und der grünen Sonne betrug etwas mehr als achtzehn astronomische Einheiten. Der gemessene Gravitationswert, über diese Entfernung umgerechnet, ergab für den Leuchtkörper eine Masse von 9 mal 10 hoch 30 Kilogramm, das war rund das 4,5fache des irdischen Muttergestirns.

Kein anderer Körper als eine Sonne konnte eine solche Masse haben. Der Nachweis der Masse fiel schwerer ins Gewicht als das sonderbare Spektrum.

Den Ausschlag aber gab schließlich die Entdeckung, die Reginald Bull mit extraempfindlichen Geräten eine Viertelstunde später machte. Die Geräte registrierten eine Störung des Gravitationsfelds, die nur auf ein zweites, schwereres Gravitationsfeld zurückgeführt werden konnte. Ein paar Augenblicke später war nachgewiesen, dass sich das zweite Feld gegenüber dem ersten bewegte. Aus dem ursprünglichen Wert der Störung und ihrer zeitlichen Änderung wurde ermittelt, dass der Körper, von dem das zweite Feld ausging, eine Masse von rund 5 mal 10 hoch 24 Kilogramm haben musste, und das wiederum war das 0,83fache der Erdmasse.

Niemand zweifelte mehr daran, dass Bulls Geräte einen Planeten entdeckt hatten und dass die grüne Leuchterscheinung sein Muttergestirn war, also eine Sonne.

Rhodan war sofort entschlossen, den vorerst noch unsichtbaren Planeten anzufliegen und eine Landung zu versuchen.

Auf den Bildschirmen tauchte die unbekannte Welt erst auf, als die K-238 sich ihr bis auf achthunderttausend Kilometer genähert hatte.

Rhodan drosselte die Geschwindigkeit des Bootes bis auf einen Wert, den er unter normalen Umständen als lächerlich empfunden hätte. In einer Lage wie dieser war es jedoch ohne Zweifel angebracht, so vorsichtig wie möglich zu sein.

Er beobachtete das Bild des fremden Planeten und hörte mit halbem Ohr die Messergebnisse, die Reginald Bull in den kleinen Raum rief. Er sah weite Wolkenflächen, die sich nur schwach und türkisfarben gegen die Oberfläche abhoben, und Linien auf der Oberfläche selbst, die eine Gliederung anzudeuten schienen.

Bull rief: »Durchmesser rund elftausend Kilometer! Oberflächengravitation 1,12-normal. Absorptionsbanden von Stickstoff, Sauerstoff und Argon. Zusammensetzung sechzig, fünfunddreißig, vier, Rest unbekannt.«

Also eine sehr sauerstoffreiche, sicherlich gut atembare Atmosphäre, dachte Rhodan. Wenigstens etwas, womit sich auf Anhieb etwas anfangen ließ.

Rhodan leitete das Landemanöver ein, und bald darauf setzte das Kugelschiff auf.

Die Oberfläche des fremden Planeten bedeckten – wenigstens an der Stelle, an der die K-238 gelandet war – freundliche, parkähnliche Wälder, weite Wiesenflächen und kleine Flüsse, die alle in eine Richtung strebten und sich anscheinend irgendwo jenseits des Horizonts vereinigen wollten.

Das alles sah aus, als hätte die K-238 ein neues Paradies entdeckt. Es kam jedoch noch etwas hinzu, was – wenigstens in den ersten Minuten – diesen Eindruck empfindlich störte. Die Atmosphäre enthielt eine winzige Beimengung von Schwefelwasserstoff; er gehörte zu dem einen Prozent, das Bull während der Annäherung nicht hatte identifizieren können, und erzeugte einen bestialischen Gestank wie nach faulen Eiern.

Eine sorgfältige Analyse ergab, dass die Beimengung des an sich giftigen Gases zwar äußerst geruchsaktiv, jedoch ungefährlich war, so dass die Anwendung von Filtern nicht notwendig wurde.

Im übrigen ist der Schwefelwasserstoffgestank ein erträglicher Gestank. Nach einer gewissen Zeit der Gewöhnung nimmt ihn die menschliche Nase nicht mehr wahr.

Nicht anders erging es Rhodan und seinen Begleitern. Als sie eine Stunde lang gesucht hatten, empfanden sie den Gestank nicht mehr und kamen zu der Überzeugung zurück, eine paradiesische Welt entdeckt zu haben.

Über Reginald Bulls spontanen Vorschlag, den Planeten Stinker zu nennen, wurde kein Wort mehr verloren.

Rhodan kehrte zum Schiff zurück, nachdem er festgestellt hatte, dass es in dessen nächster Umgebung nichts Beachtenswertes gab. Inzwischen hatte die Positronik die während des Ausflugs gemachten Aufnahmen ausgewertet und festgestellt, dass nirgendwo auf der Oberfläche des Planeten Spuren intelligenten Lebens zu sehen waren. Daraufhin erklärte Rhodan: »Unter diesen Umständen hat es keinen Zweck, dass wir uns länger hier aufhalten. Von einem unbelebten Planeten können wir nicht erfahren, wohin Wanderer verschwunden ist.«

Dagegen gab es kein Argument. Die K-238 wurde startbereit gemacht, und währenddessen versuchte die Positronik aus der mittlerweile bekannten Bahnkurve des Planeten zu errechnen, ob es irgendwo eine weitere Gravitationsstörung oder mit anderen Worten noch eine zweite Welt der grünen Sonne gab.

Dieser Versuch brachte ein interessantes Resultat. Die Bahn der grünen Welt war nicht stabil. Ihre Umlaufgeschwindigkeit war gegenüber dem Durchmesser zu groß. Das bedeutete, dass der grüne Planet sich von seinem Zentralgestirn irgendwann in der Zukunft lösen und in den purpurroten Raum hinaustreiben würde.

Auf den ersten Blick betrachtet, war das nichts Außergewöhnliches. Im Universum gab es zu jedem beliebigen Zeitpunkt mehr instabile als stabile Planetenbahnen – dem Grundsatz der Physik entsprechend, dass ein ungeordneter Zustand weitaus wahrscheinlicher ist als ein geordneter.

Eines jedoch war äußerst merkwürdig.

»Ich glaube, wir sind uns alle über eines im klaren«, sagte Rhodan. »Die Instabilität der Bahn kann erst vor kurzem aufgetreten sein. Bestünde sie schon von jeher, dann hätte sich auf dieser Welt keine Vegetation entwickelt. Zur Entstehung von Leben, und sei es selbst dem primitivsten, bedarf es geordneter Zustände, und nach meiner Schätzung gibt es Leben auf diesem Planeten erst seit einigen hundert Millionen Jahren.«

Er sah sich auffordernd um, aber anscheinend konnte außer Atlan niemand etwas mit seiner Feststellung anfangen.

»Du glaubst also an eine plötzliche Einwirkung, wie?«, fragte er lächelnd. »Einen Gravitationsausbruch irgendwo im freien Raum, der den Planeten beschleunigt, oder ...?«

Rhodan winkte ab.

»Weitaus weniger dramatisch, Admiral«, er lachte. »Ich glaube an Wanderer, um es deutlich zu sagen. Wanderer ist irgendwo in der Nähe auf diese Zeitebene übergewechselt. Wenn er dicht genug vorbeigezogen ist, dann kann er diese Störung hervorgerufen haben.«

Atlan nickte, als hätte er keine andere Antwort erwartet. »Du bist ein Mann, der schnell Schlüsse zieht, Barbar. Und jetzt?«

Anstelle einer Antwort schaltete Rhodan alle Triebwerksaggregate auf Null-Leistung. Die Kontrolllampen erloschen.

»Das«, sagte Rhodan. »Wir bleiben. Wenn wir ermitteln können, wann die Störung stattgefunden hat, können wir den Kurs errechnen, den Wanderer gezogen ist.«

»Oh!«, machte Atlan und zog die Brauen in die Höhe. »Das gibt sechsundzwanzig Gleichungen mit siebenundzwanzig Unbekannten. Ein Dreikörperproblem, über das sich die genialsten Mathematiker die Haare raufen würden.«

Rhodan machte lächelnd eine Handbewegung zur Schalttafel der Positronik hin. »Soll sie sich ruhig die Haare raufen!«

Nun, da sie sich entschlossen hatten zu bleiben, gaben sie der Welt einen Namen. Sie nannten sie Solitude, weil sie sich keinen einsameren Platz vorstellen konnten als diesen, auf dem es schöne Pflanzen in Hülle und Fülle, aber kein einziges Tier gab – wenn man von den kleinen spinnen- und käferartigen Wesen absah, die Rhodan bisher entdeckt hatte.

Eigentlich hatte nun niemand etwas Rechtes zu tun – mit Ausnahme der Positronik, die alle möglichen Informationen über integrale Strahlungsleistung der grünen Sonne, Oberflächentemperatur von Solitude, Masse von Solitude, Bahngeschwindigkeit und andere Dinge miteinander kombinierte, um herauszufinden, welches die ursprüngliche Solitude-Bahn gewesen war. Gelang ihr das, dann war es nicht mehr schwierig, den Zeitpunkt ausfindig zu machen, an dem die Bahnstörung zu wirken begonnen hatte, und von da aus war nur noch ein zwar komplizierter, aber einziger Schritt bis zur Bestimmung des Kurses, den Wanderer gezogen war, vorausgesetzt, dass sich Rhodans und Atlans Hypothese als Tatsache herausstellte.

Rhodan hatte nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass Bull, Gorlat und Tompetch ihrem Schlafbedürfnis nachgaben und sich in ihre Kabinen zurückzogen. Atlan war wach geblieben, aber nach einer Weile auch gegangen, um sich, wie er sagte, verschiedene Dinge durch den Kopf gehen zu lassen.

Rhodan beobachtete, während die Positronik hinter ihm emsig arbeitete, das grüne Land draußen, jenseits der Wände des Schiffs. Er studierte die eigenartigen Baumformen und hatte den Eindruck, sie sähen Eichen, Tannen und Riesenschachtelhalmen in gleicher Weise ähnlich, als hätten sie von jeder dieser drei Arten ein besonderes Kennzeichen mitbekommen.

Eine Wunderwelt für galaktische Biologen, dachte er. Pflanzen aus einer Welt, in der die Zeit stillsteht.

Die Pflanzen bewegten sich nicht. Es schien keinen Wind zu geben. Wenn man die eigenartigen Halme anfasste oder die Blätter der Bäume, hatte man das Gefühl, auf hartes Metall zu greifen. Rhodan kannte diese Erscheinung von jener Welt her, die Marcel Rous Kristallplanet genannt hatte. Sie war weiter nichts als ein Ergebnis des verlangsamten Zeitablaufs.

Er versank ins Grübeln über das unfassbare Problem der verschiedenen Eigenzeiten, bis er schließlich den dunklen Fleck bemerkte, der jetzt zwischen zwei kräftigen Baumstämmen in etwa vierhundert Metern Entfernung auftauchte und von dem er wusste, dass er zuvor noch nicht dort gewesen war.

Das fesselte seine Aufmerksamkeit. Auf einer Welt, in der die Zeit zweiundsiebzigtausendmal langsamer verläuft als woanders, kann nichts innerhalb weniger Minuten auftauchen – auch kein dunkler Fleck zwischen zwei Baumstämmen.

Wenn nur das Grün nicht wäre, dachte Rhodan. Grün scheint meinen Augen nicht zu bekommen.

Er blendete ein kleines Quadrat des Bildschirms aus und veränderte die Linsenstellung des Aufnahmesystems so, dass das Teilbild vergrößert wurde. Je höher der Vergrößerungsmaßstab, desto deutlicher glaubte Rhodan zu erkennen, dass dort zwischen den Bäumen ein Mensch stand. Er bewegte sich nicht und schien zum Schiff herüberzuschauen. Sein Gesicht war nicht zu erkennen und auch nicht, welche Art von Kleidung er trug.

Einer von den vieren ist hinausgegangen, ohne mir etwas zu sagen, überlegte Rhodan, aber da er seiner Sache nicht ganz sicher war, rief er der Reihe nach die Kabinen an. Reginald Bull, der es sich erlauben konnte, war sehr ungnädig über die Störung. Captain Gorlat meldete sich ordnungsgemäß zur Stelle, und Mike Tompetch war so verschlafen, dass er gar nicht begriff, was man von ihm wollte.

In Atlans Kabine jedoch meldete sich niemand.

»Warte nur, Admiral!« Rhodan lachte vor sich hin. »Das Schiff ohne Erlaubnis des Kommandanten zu verlassen!«

Er stand auf und ging zum Feuerleitstand hinüber. Es würde dem Arkoniden nichts schaden, wenn durch einen gut gezielten Desintegratorschuss in seiner Nähe ein Baum gefällt wurde und er einen Schrecken bekam.

Aber Rhodan hatte den Platz, auf dem sonst Captain Gorlat saß, noch nicht erreicht, als das Eingangsschott leise rumpelnd zur Seite glitt. Atlan, der Arkonide, erschien in der Öffnung.

Er sah ein wenig verstört aus, obwohl er lächelte. Rhodan warf einen raschen Blick auf den Bildschirm und sah, dass die dunkle Gestalt immer noch zwischen den Bäumen stand.

Also war es doch ...! »Ich fürchte, ich brauche einen kräftigen Schluck, Perry«, sagte Atlan. Er schien verwirrt.

»Weswegen?«, fragte Rhodan.

Atlan schüttelte den Kopf. »Frag lieber nicht. Du würdest mich sonst vielleicht ...«

»Sag's schon!«

Atlans rötliche Augen sahen ihn groß und hilflos an.

»Ich habe einen kleinen Mann gesehen in meiner Kabine«, gestand er leise und zaghaft.

Zu seinem Erstaunen reagierte Rhodan darauf völlig gelassen. Er wandte sich um und zeigte auf den Bildschirm.

»War es vielleicht dieser dort?«, fragte er und stieß gleich darauf ein überraschtes Brummen aus.

Die Gestalt zwischen den beiden Baumstämmen war verschwunden.

Atlan betrachtete den Bildschirm und klagte: »Ein kleiner Mann«, dabei zeigte er mit den Händen eine Spanne von etwa fünfundzwanzig Zentimetern, »und dabei völlig humanoid, mit einer terranischen Raumschiffskombination als Anzug – und dazu noch durch das verschlossene Schott.«

»Wie sah er aus?«, wollte Rhodan wissen. »Ich meine sein Gesicht?«

Atlan zuckte mit den Schultern. »Weiß ich nicht. Er – ich konnte es nicht richtig sehen. War aber ziemlich merkwürdig. Wie – ja, jetzt weiß ich es: wie der halb vollendete Kopf einer Plastik. Noch nicht ganz fertig, sozusagen.«

»Aha. Wie kam er herein?«

»Weiß ich auch nicht. Ich stand mit dem Rücken zum Schott und sah auf den Bildschirm. Als ich mich umdrehte, war er da. Ganz ohne Geräusch. Stand neben dem Tisch.«

»Und was tat er?«

»Nichts – außer sich umsehen. Er bewegte sich ziemlich schnell, erstaunlich schnell für ein Wesen dieser Welt.«

»Dann ging er wieder?«

»Von Gehen ist gar keine Rede«, protestierte der Arkonide. »Ich hatte mich gerade von meiner Überraschung erholt und wollte ihn etwas fragen, da war er weg. Von einem Augenblick zum anderen, wie ein Teleporter.«

»Hm«, machte Rhodan. »Vielleicht ist er einer. Das würde auch erklären, wie er durch das geschlossene Schott gekommen ist. Was tatest du dann? Kamst du hierher?« Atlan nickte.

»Weißt du«, sagte er dann, »dass er ein Teleporter ist, kann schon sein. Aber hast du je einen gesehen mit einem halbfertigen Gesicht und nur anderthalb Handspannen groß?«

Rhodan lachte halblaut. »Nein, natürlich nicht. Aber Solitude ist eine seltsame Welt. Wir brauchen deshalb nicht gleich den Kopf zu verlieren. Vielleicht gibt es ...«

»Recht hast du, Barbar«, dröhnte Atlan und schien sein Gleichgewicht wiedergefunden zu haben. »Vielleicht gibt es eine ganz natürliche Erklärung.«

»Richtig«, stimmte Rhodan zu und drückte auf den Alarmknopf.

Als die Sirenen aufheulten, schrak der Arkonide zusammen. Der Zwischenfall schien ihm sehr auf die Nerven gegangen zu sein, auch wenn er jetzt nach außen hin den Eindruck machte, als sei er völlig ruhig.

Der Alarm wurde mit der an Bord üblichen Geschwindigkeit beachtet. Die Sirenen verstummten gerade, als Reginald Bull in den Kommandoraum gestürmt kam.

Dicht hinter ihm erschien Captain Gorlat. Als letzter kam Leutnant Tompetch.

»Hat jemand in der vergangenen Stunde etwas Ungewöhnliches bemerkt?«, fragte Rhodan.

Reginald Bull schüttelte mürrisch den Kopf.

»Captain?«

»Nein, nichts. Habe geschlafen.«

»Leutnant?«

»Nein. Habe auch geschlafen.«

Rhodan schilderte in knappen Worten, was er und Atlan beobachtet hatten.

»Wir wissen nicht«, schloss er, »ob wir Halluzinationen zum Opfer gefallen sind. Hier auf Solitude kann manches passieren, was nicht in unsere Vorstellung passt. Aber natürlich müssen wir uns überzeugen. Captain Gorlat, untersuchen Sie die Kabine, in der der kleine Mann gesehen worden ist. Bully, du übernimmst das Kommando an Bord, während Atlan und ich die Stelle in Augenschein nehmen, an der ich den Fremden beobachtet habe. Leutnant Tompetch, Sie halten Funkverbindung mit uns!«

Der Himmel überzog sich unendlich langsam mit einem eigenartigen Braun.

Mischfarben, registrierte Rhodan. Das Tagesgrün und das Purpurrot des Raumes mischten sich zu Braun. Wenn die Sonne untergegangen ist, werden wir nur noch Rot sehen.

Es stellte sich heraus, dass er sich bei der Beobachtung der eigenartigen dunklen Gestalt in der Entfernung ganz erheblich verschätzt hatte. Aus den vierhundert Metern wurden doppelt soviel, bis er mit dem Arkoniden die beiden Baumstämme erreichte, zwischen denen der Fremde gestanden hatte.

»Wir haben die Stelle erreicht, Leutnant«, sprach Rhodan in das kleine Funkgerät. »Können Sie uns sehen?«

»Jawohl«, antwortete Tompetch. »Vorerst noch sehr gut. Aber es wird allmählich dunkler.«

»Gut. Wie groß sehen Sie uns?«

»Wie einen Daumen so groß, würde ich sagen.«

»Danke, das genügt. Bleiben Sie am Gerät!«

Er sah Atlan an. »Schade, Admiral. Ich dachte, aus deinem Zwerg wäre ein Riese geworden. Aber fast so groß wie einen Daumen habe ich ihn auch gesehen.«

Sie suchten nach Spuren. Da es zu dunkel geworden war, als dass man mit bloßem Auge etwas hätte erkennen können, zog Rhodan eine kleine, aber leistungsfähige Lampe hervor und leuchtete den Boden ab.

»Das Gras ist hart«, murmelte der Arkonide. »Spuren, wie wir sie gewöhnt sind, kann er nicht hinterlassen haben. Das Gras drückt sich nicht nieder.«

Rhodan wollte etwas erwidern, aber in diesem Augenblick fühlte er, dass hinter ihm etwas war – spürte fast körperlich, dass er aus der braunen Finsternis heraus beobachtet wurde.

Seine Reaktion war rein mechanisch. Sie geschah instinktiv und weitaus schneller, als der Schreck das Gehirn erreichte und den Verstand lähmte. Der breite Lichtkegel der Lampe erfasste eine Gestalt, die nur ein paar Meter weit entfernt über dem Boden zu schweben und sich im Wind sanft zu wiegen schien – in einem Wind, den es auf Solitude gar nicht gab.

Rhodan registrierte mit Erstaunen, dass der Lichtstrahl der Lampe die Gestalt durchdrang, wenigstens zu einem Teil, und auf einem Baumstamm, der hinter ihr lag, einen hellen Kreis zeichnete.

Was war das?

Atlans Hand griff zum Gürtel hinunter und hatte die Waffe schon herausgerissen, bevor Rhodan eine abwehrende Geste machte und dem Arkoniden zurief: »Nichts überstürzen! Wir wissen nicht, was er will!«

Gleichzeitig versuchte er zu erkennen, wer »er« war, der sich immer noch in einem imaginären Wind wiegte und dem das grelle Licht der Lampe so wenig ausmachte, als nehme er es gar nicht wahr.

Er trug den grauen Overall, der an Bord irdischer Raumschiffe zur Arbeitskleidung gehörte, aber der Overall, sonst aus grobem, festem Stoff gefertigt, war durchsichtig. Er trug die hochschäftigen Stiefel mit Magnetverschluss, wie auch Rhodan sie trug, aber sie verletzten das Gras nicht, auf dem er stand, während es unter Rhodans Tritten knisternd brach und splitterte. Er schien dichten Haarwuchs zu haben, aber das Gesicht darunter war nicht zu erkennen.

»Na schön, mein Freund«, sagte Atlan spöttisch. »Irgend etwas müssen wir unternehmen. Anstarren bringt uns nicht weiter. He, wer bist du?«

Der laute Ruf weckte ein groteskes Echo an den diamantharten, glatten Stämmen der Bäume. Die Gestalt jedoch reagierte nicht.

Rhodan tat einen Schritt auf sie zu, da kam sie in Bewegung und entfernte sich um die Länge eines Schrittes rückwärts. Sie ging nicht, sondern glitt über das Gras dahin. Rhodan machte einen zweiten Schritt und erzielte den gleichen Erfolg.

»Wenn ich einen Bogen schlage«, meinte Atlan, »könnten wir ihn vielleicht fangen.«

»Fangen? Womit? Er würde uns wie kalter Dampf zwischen den Händen hindurchgleiten.«

Seine Stimme klang gereizt und nervös. Bevor er noch den Satz zu Ende sprechen konnte, setzte sich die Gestalt ein drittes Mal in Bewegung – diesmal, ohne dass ihr jemand näher gekommen war.

Rhodan ließ den Lichtstrahl dem Fremden folgen. Er glitt an einem Baumstamm vorbei und entfernte sich aufs offene Grasland hinaus. Das seltsam ungehobelte Gesicht hielt er rückwärts gewandt, als wollte er wissen, ob ihm jemand folgte.

»Hinter ihm her!«, entschloss sich Rhodan. »Wäre interessant zu erfahren, wohin er geht.«

Er benachrichtigte Tompetch über den Vorfall und wies ihn an, von nun an den Ultrarotsucher zu benutzen.

»Versuchen Sie, uns nicht aus den Augen zu verlieren«, schloss er. »Es könnte sein, dass wir Hilfe brauchen.«

Dann folgte er mit Atlan zusammen der Gestalt. Dem Fremden schien es nichts auszumachen, dass jemand hinter ihm herkam. Er änderte sein Tempo nicht und glitt weiter über das Gras dahin.

Es war keineswegs leicht, ihm zu folgen. Das Gras, obwohl spröde, machte nichtsdestoweniger den Eindruck, als recke eine unübersehbare Armee von Zwergen den Eindringlingen ihre stählernen Speerspitzen entgegen, und ein einziges Blatt, durch eine schlecht verschweißte Stelle des Schuhs eindringend, würde ohne Zweifel bösartige Verletzungen hervorrufen.

Nach Rhodans Schätzung hatten sie sich inzwischen etwa drei Kilometer von der K-238 entfernt, als im weiten Lichtkegel ein Höhenrücken auftauchte, der sich gleichförmig und ungegliedert quer über das Blickfeld zog. Der Fremde schwebte die Anhöhe hinauf und verschwand jenseits des Kammes. Atlan und Rhodan folgten ihm, und als sie den Kamm erreichten, sahen sie den Fremden am Fuße des jenseitigen Hanges stillstehen. Zu seinen Füßen war ein dunkler Fleck, als sei dort das Gras niedergebrannt worden.

Er schien nur darauf zu warten, dass Rhodans Lampe über dem Hügelrücken erschien und ihn, den Fremden, beleuchtete. Dann sank er langsam, als wollte er sein Vorgehen deutlich demonstrieren, in den dunklen Fleck hinein. Nach ein paar Sekunden war er verschwunden.

»Jetzt nimm deine Waffe, Admiral«, sagte Rhodan, ohne den Arkoniden anzusehen.

Sie schritten den Hang hinab, und als sie zur Hälfte unten waren, konnte man im hellen Lichtkegel sehen, dass der dunkle Fleck nichts weiter als ein Loch war, das anscheinend senkrecht in den Boden führte. Es war nahezu kreisrund und hatte einen Durchmesser von anderthalb Metern. An seinem Rand blieben sie stehen, und Rhodan leuchtete hinein. Sie konnten erkennen, dass der Schacht nur anderthalb Meter weit senkrecht lief und dann zur Seite hin abbog. Wohin er führte, war nicht zu erkennen.

»Also steigen wir hinunter«, schlug Atlan vor.

Rhodan schüttelte den Kopf.

»Zu gefährlich«, meinte er. »Wir brauchen mindestens einen Mann, der hier oben Wache hält.« Er rief Tompetch an. »Kommen Sie her. Sie können unsere Spur im Gras erkennen. Außerdem lasse ich die Lampe nach oben leuchten.«

Tompetch bestätigte den Befehl und sagte, er wäre in spätestens einer halben Stunde dort.

»Was sollen wir uns darunter vorstellen?«, fragte Atlan nach langem Schweigen. »Wie kommt ein immaterielles Gebilde zustande, das die Gestalt eines Menschen hat und den Overall der terranischen Raumflotte trägt?«

Rhodan antwortete: »Um ehrlich zu sein: Ich kann mir überhaupt nichts darunter vorstellen. Ich hoffe aber, dass wir da unten«, dabei deutete er in den finsteren Schacht hinein, »eine Erklärung finden werden.«

Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Dabei ist zu bedenken, dass wir es nicht immer mit einem Gebilde schlechthin zu tun haben. Es ist nicht etwa eine Bildprojektion mit besonderen Raffinessen. Das Ding besitzt Intelligenz. Es scheint ein echter Geist zu sein.«

»Ein Gespenst, wie?«, spottete Atlan.

»Vielleicht. Wobei allerdings festzulegen wäre, was ein Gespenst überhaupt ist.«

Das Gespräch drohte aus Mangel an Information ins Metaphysische hinüberzugleiten, als oben auf dem Hügelkamm mit mächtigem, dröhnendem Schritt Leutnant Tompetch erschien. Er kam den Hang herunter, blieb vor der Lampe stehen und lächelte erwartungsvoll.

»Tompetch, wir klettern jetzt da hinunter. Halten Sie Ihre Waffe schussbereit und das Ohr am Empfänger. Ich weiß nicht, was uns da unten erwartet«, befahl Rhodan.

Tompetch kauerte sich an den Rand des Loches, während Rhodan hineinstieg, sich an den Armen hinunterließ und den Halt aufgab, als er Boden unter den Füßen spürte. Der Schacht verlief jedoch auch weiter unten noch zu schräg, um ihm Halt zu bieten. Auf einer staubigen, aber erstaunlich glatten Rutschbahn schoss er mit zunehmender Geschwindigkeit ins Innere des Planeten hinein.

Er kam erst zur Ruhe, als der Schacht sich in die Horizontale wandte. Eilig kroch Rhodan ein Stück weiter, und da kam hinter ihm auch schon der Arkonide schimpfend den seltsamen Schlot herabgefahren.

Blitzschnell richtete sich Atlan auf, soweit es die geringe Höhe des Stollens erlaubte, und sah den Weg zurück, den er gekommen war.

»Möchte wissen, wie wir da wieder hinaufkommen sollen«, murmelte er.

Rhodan kroch weiter.

»Fürs erste bin ich froh«, meinte er, »dass wir hier unten sind. Über das, was nachher kommt, will ich mir später den Kopf zerbrechen.«

Die Lampe hatte den Fall gut überstanden. Ihr kräftiger Strahl beleuchtete die glatten Wände des Stollens, und weiter vorn drang er durch eine kreisrunde, schwarze Öffnung in einen Raum, der anscheinend zu groß war, als dass die Lampe ihn hätte erhellen können.

Der Stollen selbst war niedrig, aber so, dass man sich noch bequem bewegen konnte. Während sie beide nach vorn krochen, um den finsteren Raum in Augenschein zu nehmen, ließ Atlan eine Hand über die Stollenwand gleiten und stellte fest, dass der glatte Überzug aus einer harten, fugen- und rillenlosen Plastikmasse bestand, die in Spritztechnik aufgebracht worden zu sein schien.

Als sie das vordere Stollenende erreichten, erfasste der Strahl der Lampe einen weiten Raum, der mit fremdartigen Apparaturen vollgestopft war. Eine Reihe von kastenähnlichen Geräten war mit anderen durch Röhren und Leitungen verbunden. In der Mitte des Raumes standen sargähnliche Behälter, die eine besonders große Zahl von Leitungen und Röhren aufwiesen.

Die Särge, in denen die meisten Leitungen endeten, begannen Rhodan zu interessieren. Er sprang aus dem Stollen auf den einen Meter tiefer gelegenen Boden, zwängte sich zwischen einer Reihe von Geräten hindurch und blieb vor dem ersten Sarg stehen, um ihn zu untersuchen. Er schien aus Metall zu bestehen.

Rhodan betastete mit der Hand den Kastendeckel und spürte, dass er langsam pulsierte. Eine der Leitungen, die im Sarg endeten, schien ihm eine Schwingung mitzuteilen, deren Periode etwa zwei Sekunden betrug. Das bedeutete, auf die andere Eigenzeit umgerechnet, eine Frequenz von sechsunddreißigtausend Hertz, also eine Schwingung im Ultraschallbereich.

Rhodan versuchte, den Deckel zu heben, aber das gelang ihm nicht.

Er schwenkte die Lampe einmal im Kreis und sah, dass der große Raum keinen zweiten Eingang oder eine Tür besaß. Das Stollenloch, in dem Atlan mit schussbereiter Waffe hockte, um Rhodans Inspektion zu decken, war die einzige Öffnung.

Irgendwo in der Nähe musste also der Geist, das Gespenst sein – es sei denn, es hätte sich durch die Wände davongemacht.

Aber wo war es und vor allen Dingen: Was bedeutete das alles?

Als Rhodan sich diese beiden Fragen stellte, spürte er zum ersten Mal, dass sein Kopf zu schmerzen begann. Es war ein dumpfer, unangenehmer Schmerz wie nach einer durchzechten Nacht mit billigem Wein, und Rhodan wunderte sich darüber, denn die Luft hier unten war ebenso kühl und frisch wie oben im Freien.

An der Luft konnte es also nicht liegen.

Rhodan wich bis zur Rückwand des Raumes zurück und wartete, ob sich der Schmerz änderte. Nach einer Weile schien er schwächer geworden zu sein und wurde noch um einen Grad reduziert, als Rhodan sich bis in die Ecke zwischen Längs- und Rückwand zurückzog.

Es fiel ihm auf, dass an dieser Stelle die Entfernung zwischen ihm und den sechs sargähnlichen Kisten, die fast in der Mitte des Raumes standen, die größtmögliche war, aber dieser Entfernung maß er erst Bedeutung zu, als er langsam an der Längswand entlanggewandert war und festgestellt hatte, dass der Schmerz dort am intensivsten war, wo er den sechs Käfigen genau gegenüberstand.

Die geheimnisvolle Kraft, die ihm Schmerzen verursachte, ging also von den Särgen aus. Dass er nichts gespürt hatte, als er zum ersten Mal vor ihnen stand, lag wohl an der fremden Eigenzeit. Auch ein Schmerz brauchte länger, um sich bemerkbar zu machen, als unter normalen Umständen.

»Irgend etwas steckt dort drinnen«, sagte er nachdenklich zu Atlan, »und ich möchte gern wissen, was es ist.«

Dann griff er nach dem kleinen Sender. »Tompetch, sind Sie da?«

»Ja.«

»Rufen Sie das Schiff an und sagen Sie, Gorlat soll herkommen. Mit einem Shift, damit es schneller geht, und einem Psychographen. Verstanden?«

»Verstanden.«, antwortete Tompetch.

Während die Minuten verstrichen, überlegte Rhodan, ob er einen der sechs Särge mit Gewalt öffnen sollte, um zu sehen, was darin war. Er verwarf die Idee jedoch rasch. Wenn von den Särgen eine Kraft ausging, die ihm Kopfschmerz bereitete – nur ihm, nicht etwa dem Arkoniden –, dann war der Gedanke, dass die Särge etwas Lebendes zum Inhalt hatten, nicht einmal so absurd. Und ein gewaltsames Öffnen eines Sarges würde seinem Inhalt vielleicht nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen.

Rhodan nahm sich vor, von nun an die Bezeichnung »Kasten« anstatt Sarg zu gebrauchen.

Nach einer Viertelstunde meldete sich Captain Gorlat vom oberen Schachteingang her. Rhodan befahl ihm, den Psychographen herunterzubringen, und gab Tompetch den Befehl, ein Seil, von denen mehrere zur Standardausrüstung des Shifts gehörten, so zu befestigen, dass Gorlat daran herunterklettern konnte und das empfindliche Gerät nicht dem Risiko eines Sturzrutsches auszusetzen brauchte.

Bald darauf wurde Captain Gorlat hinten im Stollen sichtbar.

Rhodan nahm ihm das Gerät aus den Händen, stellte es auf den Boden und schaltete es ein. Wenn es irgendwo in der Nähe artikulierte gedankliche Ausstrahlung gab, dann würde das Gerät sie registrieren. Allerdings war die fremde Eigenzeit zu berücksichtigen. Zur Ausbildung eines kurzen Gedankens benötigte das menschliche Gehirn eine Zeitspanne in der Größenordnung von einer Hundertstelsekunde. Wenn das Fremde dort in den Kästen mit der gleichen Schnelligkeit dachte, dann entsprach dies in der Eigenzeit des Psychographen einer Spanne von 720 Sekunden oder zwölf Minuten.

Und damit war nur der kürzeste aller möglichen Gedanken erfasst. Um eine ganze telepathische Sendung aufzunehmen – wenn es überhaupt eine gab –, hätte man Tage, Wochen oder gar Monate warten müssen.

Rhodan erinnerte sich plötzlich daran, wie schnell sich das »Gespenst« bewegt hatte. Es schien der fremden Eigenzeit nicht zu unterliegen. War es da vernünftig anzunehmen, dass die Ausbildung von Gedanken mit der üblichen Langsamkeit vor sich ging?

Es gab ein gewichtiges Argument für diese Annahme: Der Schmerz, den Rhodan verspürte, hatte nicht unmittelbar in dem Augenblick eingesetzt, als er den Raum betrat oder zum ersten Mal vor den sechs Kästen stand. Er war erst weitaus später aufgetaucht – etwa eine Viertelstunde, nachdem Rhodan heruntergesprungen war. Das bedeutete ohne Zweifel, dass die fremde Intelligenz zum Erkennen und zum Formulieren ihrer Gedanken die der fremden Eigenzeit entsprechende Zeitspanne brauchte.

Rhodan sah auf die Uhr: Zehn Minuten waren vergangen, seitdem er den Psychographen eingeschaltet hatte. Atlan kauerte immer noch in der Stollenmündung, und Captain Gorlat stand halb gebückt, wie es die Höhe des Stollens erforderte, hinter ihm und sah in den Raum herein.

Fünf weitere Minuten vergingen, und die Stille wurde durch nichts weiter unterbrochen als ab und zu durch das Scharren eines Fußes, einen heftigen Atemzug oder ein Räuspern.

Bis der Arkonide plötzlich aufsprang, mit zusammengekniffenen Augen in den Hintergrund des Raumes starrte und verstört vor sich hin murmelte: »Da stimmt doch etwas nicht!«

Rhodan spürte einen Schwall heißer Luft, der von den sechs Kästen herzukommen schien, und hörte fast im selben Augenblick ein Knistern. Er sah, wie sich die Deckel der Kästen zu wellen begannen, als habe jemand ein kräftiges Feuer unter ihnen entfacht, und die Schnelligkeit, mit der das alles trotz der fremden Eigenzeit vor sich ging, ließ keinen Zweifel darüber, dass Gefahr im Verzug war.

»Raus hier!«, schrie er Gorlat und dem Arkoniden zu.

Beide reagierten auf der Stelle. Als Rhodan den Psychographen abgeschaltet und aufgenommen hatte und sich daranmachte, in den Stollen hineinzuklettern, waren sie schon weit hinten, wo der Gang sich nach oben zu neigen begann. Ein paar Schritte weiter entdeckte er das untere Ende des Seils, das sich hin und her bewegte, zum Zeichen dafür, dass entweder Gorlat oder Atlan schon dabei war, in die Höhe zu klettern.

Als der Schacht so steil geworden war, dass er zu Fuß nicht mehr weiterkommen konnte, hakte Rhodan den Psychographen am Gürtel fest, ergriff das Seil und zog sich Hand über Hand daran hinauf.

Gorlat war schon oben und hatte den Shift anlaufen lassen. Tompetch saß mit unglücklichem, verständnislosem Gesicht auf dem Rücksitz. Atlan schwang sich in diesem Augenblick neben ihm hinauf.

»Fort!«, keuchte Rhodan, fasste den Bordrand und ließ sich vom Schwung des davongleitenden Fahrzeugs hinaufziehen.

Gorlat wusste ohne weiteren Befehl, was er zu tun hatte. Der Shift schoss schräg den Hügelhang hinauf und legte damit vertikale und horizontale Entfernung in gleicher Weise zwischen sich und die seltsame Höhe.

Gorlat ließ das Fahrzeug über den Damm hinüberkippen und sah sich dabei fragend nach Rhodan um.

»Warten!«, befahl Rhodan.

Er sprang aus dem Shift, nachdem er den Psychographen vom Gürtel abgenommen und in den Gerätekasten geschoben hatte, und kroch zum Hügelkamm hinauf, den das Fahrzeug um etwa zwanzig Meter hinter sich gelassen hatte.

Er war noch nicht ganz oben, als der Boden unter ihm zu zittern begann – auf die gleiche grotesk-langsame Weise, mit der auf Solitude und überhaupt in diesem Universum alle Vorgänge abliefen. Es war mehr ein Rütteln und Stoßen.

Ein paar Sekunden später erhob sich drüben im Tal eine Säule fahlen, grünlichen Lichts. Rhodan, der mittlerweile den Kamm erreicht hatte, sah sie träge aus dem Boden hervorkommen und langsam in die Höhe steigen.

Dort, wo die Feuersäule aus dem Boden hervorbrach, stoben Erdbrocken davon – auch diese so gemächlich, dass man sie mit der Hand bequem hätte auffangen können. Das Ganze ging ziemlich still vor sich. Das einzige, was man hören konnte, waren ein tiefes Rumpeln, das aus dem Innern von Solitude kam, und ein dumpfer Brummton, den die langsam aufsteigende Feuersäule von sich gab.

Es gab keinen Zweifel daran, dass die Höhle mitsamt ihren geheimnisvollen Bewohnern – immer vorausgesetzt, dass es überhaupt welche gab – in einer Explosion beachtlichen Ausmaßes vernichtet wurde.

Rhodan blieb länger als eine halbe Stunde hinter dem Hügelkamm liegen. Selbst dann war die Explosion noch nicht beendet. Die Feuersäule allerdings hatte den Gipfelpunkt überschritten und sank ebenso langsam wieder nach unten, wie sie hinaufgestiegen war. Rhodan konnte erkennen, dass dort, wo zuvor das anderthalb Meter durchmessende Loch des Schachteingangs gewesen war, jetzt ein trichterförmiger Krater von wenigstens fünfzehn Meter Durchmesser gähnte.

Er richtete sich auf und kehrte zum Shift zurück. Fragende Augen sahen ihn an.

»Alles kaputt«, sagte er lakonisch. »Sie haben die Feuersäule ja gesehen.«

»Ja«, platzte Tompetch heraus, der seine Erregung nicht mehr zügeln konnte, »und es war die komischste Explosion, die ich je gesehen und gehört habe.«

Gorlat setzte das Fahrzeug wieder in Bewegung. Er hielt auf das Schiff zu, ohne einen Befehl bekommen zu haben, und Rhodan war damit einverstanden.

»Was kann das gewesen sein?«, fragte Tompetch. »Wer hat die Explosion ausgelöst?«

Rhodan zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß es nicht«, antwortete er.

»Aber es muss doch unten einen Hinweis gegeben haben«, sprudelte Tompetch weiter. »Ich meine – oh, da fällt mir ein, kurz bevor Sie aus dem Loch gekrochen kamen, meldete sich der ...«

»Halt den Mund, Mike!«, fuhr ihn Gorlat an. »Du treibst einen zum Wahnsinn mit deinem Geschwätz!«

Tompetch schwieg beleidigt. Aber inzwischen war Rhodan aufmerksam geworden. »Was meldete sich, Leutnant?«

»Der Mikrokom, der in den Shift eingebaut ist«, antwortete Tompetch. »Ich wollte gerade aufnehmen, weil ich dachte, dass es Bull sein könnte, der vom Schiff aus ruft, aber da kam der Captain schon aus dem Loch hervor und fing so schnell zu hantieren an, dass ich gar nicht mehr wusste, was los war.«

Rhodan beugte sich nach vorn, um den Mikrokom in Betrieb zu setzen. Er strahlte das übliche »Anruf-bitte-kommen« ab und erhielt sofort Antwort. Bulls aufgeregte Stimme fragte: »Was ist los? Warum hört man nichts von euch?«

»War nicht nötig«, antwortete Rhodan. »Hast du uns vorhin angerufen?«

»Nein«, antwortete Bull ohne Zögern. »Ich habe vor meinen Geräten gesessen und aufgepasst. Warum?«

»Ich erkläre dir's später. Wir sind gleich zurück.«

Er schaltete ab und wandte sich zu Tompetch um. »Sie sagten: Der Mikrokom meldete sich, Leutnant. Wie sah das aus?«

Die Frage verwirrte Tompetch. »Na, wie üblich. Die Meldelampe leuchtete auf.«

»Lange?«

»Ja, natürlich, das heißt, so genau kann ich's eigentlich nicht sagen. Wie gesagt: Captain Gorlat kam wie ein Wilder aus dem Loch hervorgestürmt, und von da an ging alles drunter und drüber.«

»Versuchen Sie, sich zu erinnern«, drängte Rhodan. »Als Gorlat in den Wagen stieg, brannte da die Lampe noch?«

»Nein«, antwortete Gorlat. »Ich war zwar ziemlich aufgeregt, aber ich bin sicher, dass ich die Meldelampe bemerkt hätte, wenn sie noch gebrannt ...«

Er wurde unterbrochen. Tompetch schlug sich klatschend gegen die Stirn und stöhnte: »Ja, natürlich! Oh, ich Dummkopf! Ich überlegte mir noch: Na, wenn Gorlat kommt, dann kann er ja den Ruf selbst aufnehmen. Ich wollte es ihm sagen, als er einstieg, aber erstens hatte er etwas anderes zu tun, und zweitens sah ich, dass die Lampe nicht mehr brannte. Daran erinnere ich mich jetzt ganz genau.«

Rhodan nickte.

»Welch ein Glück«, meinte er spöttisch.

»Hat das eine besondere Bedeutung?«, setzte Tompetch sofort nach. »Steht es in Beziehung zur Explosion, die ...«

»Bitte«, wandte sich Gorlat an Rhodan. »Wenn er Ihnen auf die Nerven geht, wenden Sie sich an mich. Ich glaube, ich bin der einzige, der ihn zur Ruhe bringen kann.«

Rhodan lachte. »Lassen Sie ihn, Captain. Er hat uns auf eine wichtige Spur gebracht. Und was Ihre Frage betrifft, Tompetch, so heißt die Antwort: Ich weiß es noch nicht.«

Ein paar Augenblicke später tauchte die sechzig Meter hohe Kugel der K-238 aus der Finsternis auf. Reginald Bull war angewiesen worden, die Lastschleuse aufzufahren. Gorlat hob den Shift in die Höhe und ließ ihn durch das weite Schott in den Schiffskörper hineingleiten.

Rhodan nahm den Psychographen an sich und bat seine Begleiter, sich so schnell wie möglich im Kommandoraum einzufinden.

Rhodans wichtigstes Beweisstück waren zwei Arbeitsdiagramme – das eine aus dem Psychographen, das andere aus dem Registrierwerk des in den Shift eingebauten Mikrokoms.

Der Psychograph hatte insgesamt fünfzehn Minuten und ein paar Sekunden gearbeitet und währenddessen ein Diagramm aufgenommen, das, wenn man die Abszisse im Maßstab 1 : 72.000 verkürzte, ein einwandfreier Beweis dafür war, dass in jenem Höhlenraum »etwas« gedacht hatte.

Der Psychograph war im Grunde genommen ein primitives Gerät. Er registrierte die schwachen elektromagnetischen Felder, die jede Gedankentätigkeit begleiten und deren Intensität und Frequenz ein gewisses Maß für die Intelligenz des Denkenden sind. So sind zum Beispiel die Felder, die die Denktätigkeit eines Tieres begleiten, ungleich schwächer und niederfrequenter als die eines Menschen. Der Psychograph war keineswegs dazu geeignet, Gedanken zu entschlüsseln, er stellte nur die Denktätigkeit fest. Diese Fähigkeit hatte ihm bei einigen Spaßvögeln den Namen »Intelligenzradar« eingetragen.

Als zweites wies Rhodan das Arbeitsdiagramm des Mikrokoms vor. Der Mikrokom hatte ein Signal registriert, das fünfeinhalb Sekunden angedauert hatte und sich in zwei Hyperwellengruppen gliederte, die sich auf dem Diagramm jeweils als scharfe Zacken abzeichneten. In der fremden Eigenzeit hatte das ganze Signal also rund sechsundsiebzig Mikrosekunden gedauert. Die beiden Zacken wiesen auch in der größtmöglichen Entzerrung keine weitere Gliederung auf. Sie bedeuteten nichts weiter als zwei kurz aufeinanderfolgende Stromstöße, die dem unbekannten Empfänger zugeführt worden waren. Es handelte sich also nicht um eine Sendung in dem Sinne, dass ein Sender einem Empfänger irgend etwas hatte mitteilen wollen. Es war nichts weiter als ein Signal, und Rhodan war fest davon überzeugt, dass es das Zündsignal gewesen war, das die unterirdische Explosion ausgelöst hatte.

Er fasste zusammen: »Erstens: In der Höhle lebte ein denkendes, intelligentes Wesen. Man muss annehmen, dass es versucht hat, sich mir auf telepathischem Wege mitzuteilen. Ich empfing jedoch anstatt einer telepathischen Botschaft nur einen dumpfen Kopfschmerz. Zweitens: In der Höhle war ein Sprengkörper verborgen. Als sich das fremde Wesen gerade mit mir in Verbindung gesetzt hatte – oder noch dabei war, das zu versuchen –, wurde der Sprengkörper von außen her gezündet. Am einleuchtendsten ist daher die Annahme, dass ein Unbekannter von der Kontaktaufnahme erfuhr und dass sie ihm unangenehm war. Er reagierte kurz entschlossen und sprengte die fremde Intelligenz mitsamt ihrer Höhle in die Luft. Wahrscheinlich hatte er die Absicht, uns ebenfalls zu vernichten, aber da unsere Zeit wesentlich schneller verläuft als die seine, konnten wir uns noch rechtzeitig aus dem Staub machen.«

»Und was ist mit dem Gespenst?«, fragte Atlan.

»Das wissen wir nicht«, gab Rhodan zu. »Es scheint zu der fremden Intelligenz zu gehören, die durch die Explosion vernichtet wurde. Offenbar wollte es uns zu ihr führen.«

»Noch etwas anderes«, fuhr Atlan fort. »Du hattest Kopfschmerzen, nicht wahr? Wann haben die aufgehört?«

Rhodan schien die Frage erwartet zu haben.

»In dem Augenblick«, antwortete er ohne Zögern, »in dem ich das Seil ergriff und nach oben kletterte. Nach meiner Ansicht haben die telepathischen Kräfte der fremden Intelligenz nur eine begrenzte Reichweite.«

Der Arkonide seufzte. »Bleibt also noch herauszufinden, wer oder was das ›Gespenst‹ ist, in welchem Zusammenhang es mit den Ereignissen steht und wohin es verschwunden ist. Denn in der Höhle konnten wir es ja nicht finden.«

Rhodan nickte.

»Und noch etwas«, fügte er hinzu. »Warum hat die Höhle einen Zugang?«

Atlan sah ihn verblüfft an. »Warum? Ach so: Gespenster brauchen keinen gebahnten Weg, wie? Sie bewegen sich durch feste Wände ebenso ungehindert wie durch die Luft. Ist es das, was du meinst?«