Perry Rhodan 99: Treibgut der Sterne (Silberband) - H. G. Ewers - E-Book

Perry Rhodan 99: Treibgut der Sterne (Silberband) E-Book

H.G. Ewers

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Beschreibung

Das Jahr 3585 ist ein Meilenstein in der Geschichte der Milchstraße. Die Laren, die gemeinsam mit den Überschweren seit 125 Jahren ihr Regime der Unterdrückung ausübten, sind in die von den Keloskern gestellte Sternenfalle gegangen. Aus dem übergeordneten Raum, in den die Falle sie katapultiert hat, gibt es kein Zurück. Die Galaxis ist frei. Zorn und Hass der unterdrückten Völker entladen sich gegen die hilflos gewordenen Überschweren. Gleichzeitig wächst das Misstrauen gegen die Menschen von Gäa, die sich vor den Laren in den Schutz der Dunkelwolke Provcon-Faust geflüchtet haben und nun zur neuen Großmacht der Galaxis avancieren. Ein weiterer Krieg droht, als das Unglaubliche geschieht: Die Erde kehrt aus der fernen Galaxis Ganuhr an ihren angestammten Platz im Solsystem heim ...

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Nr. 99

Treibgut der Sterne

Das Jahr 3585 ist ein Meilenstein in der Geschichte der Milchstraße. Die Laren, die gemeinsam mit den Überschweren seit 125 Jahren ihr Regime der Unterdrückung ausübten, sind in die von den Keloskern gestellte Sternenfalle gegangen. Aus dem übergeordneten Raum, in den die Falle sie katapultiert hat, gibt es kein Zurück. Die Galaxis ist frei.

Vorwort

Völkerwanderungen gehören untrennbar zur Geschichte unseres Planeten und sind zweifellos mit ein Grund für die Entwicklung unserer Zivilisation. Einer Entwicklung mit allen Höhen und Tiefen wohlgemerkt, mit Exzessen, die sich keinesfalls wiederholen dürfen. Aus der Schulzeit haben wir wahrscheinlich noch die »klassischen« Themen in Erinnerung, die Wanderungen der germanischen Volksstämme, den Einfall der Hunnen in Ost- und Mitteleuropa oder auch der Langobarden in Norditalien.

Das mit der germanischen Wanderung, mögen wir salopp sagen, lag so zwischen dem zweiten und sechsten Jahrhundert. Also rund 1500 Jahre vor unserer Zeit.

Projizieren wir nun diese Zeitspanne in die Zukunft, gelangen wir ins 36. Jahrhundert – und damit ziemlich genau in die aktuelle PERRY RHODAN-Handlung. Ich weiß nicht, ob das ein Zufall ist, aber wir sehen uns in der Geschichtsschreibung der menschlichen Zukunft wieder mit einer Völkerwanderung konfrontiert. In einem Umfang allerdings, den unsere Historie bislang nicht kennt: Ein Planet wird neu in Besitz genommen. Überall in der Milchstraße, in der Dunkelwolke Provcon-Faust ebenso wie auf kleinen und eigentlich unbekannten Siedlungswelten, brechen Menschen mit ihrem gewohnten Dasein. Sie zählen nicht nach Hunderttausenden oder Millionen, es sind mehrere Milliarden, die sich in Bewegung setzen. Um eine Chance zu ergreifen und ein neues Glück zu suchen. Oder um einem unerträglich gewordenen Umfeld zu entfliehen.

Die Auslöser historischer Wanderungen waren vielfältiger Natur. Klimatische Veränderungen mit Überschwemmungen oder Dürreperioden, Epidemien, Kriege mit all ihren grauenvollen Begleiterscheinungen oder, ebenfalls in unserer Zeit, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich.

In der Zukunft haben wir es mit einer weiteren Motivation zu tun. Menschen verlassen die Welt, auf der sie geboren wurden und aufgewachsen sind, die ihnen vertraut ist, um sehr weit entfernt – auf der Erde! – ein neues Leben zu beginnen. Sie wissen nicht, was sie erwartet – sie wissen nur, dass dieser Planet die Heimat ihrer Eltern war.

Wir erleben hier die konsequente Erweiterung des Heimatbegriffs. War mit Heimat ursprünglich eine räumlich begrenzte Region oder Landschaft gemeint, das Dorf oder die Stadt, in der man geboren wurde und lebte, egal in welchem Land, so ist nun ein ganzer Planet als Heimat definiert. Weil es längst keine nationalstaatlichen, ethnischen oder religiösen Grenzen mehr gibt, die einengen, weil das menschliche Bewusstsein dementsprechend mitgewachsen und kosmischer geworden ist.

Wenn Menschen eines Tages sagen werden, dass die Milchstraße ihre Heimat sei, dann haben sie den Schritt hinaus in den Kosmos wirklich vollzogen. Dann sind sie reif und erwachsen geworden und haben alle Vorurteile gegenüber dem Andersartigen längst hinter sich gelassen. Das wäre es, was der Welt von heute schon sehr gut täte.

Ich wünsche Ihnen viel Kurzweil und gute Unterhaltung beim Lesen.

Die in diesem Buch enthaltenen Originalromane sind: Fremde auf Olymp (844) von H. G. Ewers; Treibgut der Sterne (845) von Hans Kneifel; Die Flucht des Laren (846) von Ernst Vlcek; Metamorphose (847) von H. G. Ewers; Titan – die letzte Bastion (848) und Sprung über den Abgrund (849) von Kurt Mahr; Heimat der Menschen (853) und Mutanten von Gäa (854) von H. G. Francis sowie Spektrum des Geistes (855) von Ernst Vlcek.

Zeittafel

1971/84 – Perry Rhodan erreicht mit der STARDUST den Mond und trifft auf die Arkoniden Thora und Crest. Mithilfe der arkonidischen Technik gelingen die Einigung der Menschheit und der Aufbruch in die Galaxis. Geistwesen ES gewährt Rhodan und seinen engsten Wegbegleitern die relative Unsterblichkeit. (HC 1–7)

2040 – Das Solare Imperium entsteht und stellt einen galaktischen Wirtschafts- und Machtfaktor ersten Ranges dar. In den folgenden Jahrhunderten folgen Bedrohungen durch die Posbis sowie galaktische Großmächte wie Akonen und Blues. (HC 7–20)

2400/06 – Entdeckung der Transmitterstraße nach Andromeda; Abwehr von Invasionsversuchen von dort und Befreiung der Völker vom Terrorregime der Meister der Insel. (HC 21–32)

2435/37 – Der Riesenroboter OLD MAN und die Zweitkonditionierten bedrohen die Galaxis. Nach Rhodans Odyssee durch M 87 gelingt der Sieg über die Erste Schwingungsmacht. (HC 33–44)

2909 – Während der Second-Genesis-Krise kommen fast alle Mutanten ums Leben. (HC 45)

3430/38 – Das Solare Imperium droht in einem Bruderkrieg vernichtet zu werden. Bei Zeitreisen lernt Perry Rhodan die Cappins kennen. Expedition zur Galaxis Gruelfin, um eine Pedo-Invasion der Milchstraße zu verhindern. (HC 45–54)

3441/43 – Die MARCO POLO kehrt in die Milchstraße zurück und findet die Intelligenzen der Galaxis verdummt vor. Der Schwarm dringt in die Galaxis ein. Gleichzeitig wird das heimliche Imperium der Cynos aktiv, die am Ende den Schwarm wieder übernehmen und mit ihm die Milchstraße verlassen. (HC 55–63)

3444 – Die bei der Second-Genesis-Krise gestorbenen Mutanten kehren als Bewusstseinsinhalte zurück. Im Planetoiden Wabe 1000 finden sie schließlich ein dauerhaftes Asyl. (HC 64–67)

3456 – Perry Rhodan gelangt im Zuge eines gescheiterten Experiments in ein paralleles Universum und muss gegen sein negatives Spiegelbild kämpfen. Nach seiner Rückkehr bricht in der Galaxis die PAD-Seuche aus. (HC 68–69)

3457/58 – Perry Rhodans Gehirn wird in die Galaxis Naupaum verschlagen. Auf der Suche nach der heimatlichen Galaxis gewinnt er neue Freunde. Schließlich gelingt ihm mithilfe der PTG-Anlagen auf dem Planeten Payntec die Rückkehr. (HC 70–73)

3458/60 – Die technisch überlegenen Laren treten auf den Plan und ernennen Perry Rhodan gegen seinen Willen zum Ersten Hetran der Milchstraße. Rhodan organisiert den Widerstand, muss aber schließlich Erde und Mond durch einen Sonnentransmitter schicken, um sie in Sicherheit zu bringen. Doch sie rematerialisieren nicht am vorgesehenen Ort, sondern weit entfernt von der Milchstraße im »Mahlstrom der Sterne«. Den Terranern gelingt es nur unter großen Schwierigkeiten, sich in dieser fremden Region des Universums zu behaupten. (HC 74–80)

3540 – Auf der Erde greift die Aphilie um sich, die Unfähigkeit des Menschen, Gefühle zu empfinden. Perry Rhodan, die Mutanten und andere gesund Gebliebene beginnen an Bord der SOL eine Reise ins Ungewisse – sie suchen den Weg zurück in die Milchstraße. (HC 81)

3578 – In Balayndagar wird die SOL von den Keloskern festgehalten, einem Volk des Konzils der Sieben. Um der Vernichtung der Kleingalaxis zu entgehen, bleibt der SOL nur der Sturz in ein gewaltiges Black Hole. (HC 82–84)

3580 – Die Laren herrschen in der Milchstraße, die freien Menschen haben sich in die Dunkelwolke Provcon-Faust zurückgezogen. Neue Hoffnung keimt auf, als der Verkünder des Sonnenboten die Freiheit verspricht. Lordadmiral Atlan sucht die Unterstützung alter Freunde, die Galaktische-Völkerwürde-Koalition (GAVÖK) wird gegründet. (HC 82, 84, 85)

Auf der Erde im Mahlstrom zeichnet sich eine verhängnisvolle Entwicklung ab. (HC 83)

3581 – Die SOL erreicht die Dimensionsblase der Zgmahkonen und begegnet den Spezialisten der Nacht. Um die Rückkehr zu ermöglichen, dringt ein Stoßtrupp in die Galaxis der Laren vor und holt das Beraghskolth an Bord. (HC 84, 85) Nur knapp entgeht die SOL der Vernichtung; die Entstehung des Konzils wird geklärt. (HC 86) Monate nach der SOL-Zelle-2 erreicht Perry Rhodan mit der SOL die Milchstraße und wird mit einer falschen MARCO POLO und dem Wirken eines Doppelgängers konfrontiert. Die Befreiung vom Konzil wird vorangetrieben. (HC 87, 88)

Im Mahlstrom halten der geheimnisvolle Plan der Vollendung und die PILLE die Menschen im Griff. Die Erde stürzt in den »Schlund«. (HC 86)

3582 – Alaska Saedelaere gelangt durch einen Zeitbrunnen auf die entvölkerte Erde (HC 88) und gründet mit einigen wenigen Überlebenden der Katastrophe die TERRA-PATROUILLE. (HC 91)

Die SOL fliegt aus der Milchstraße zurück in den Mahlstrom der Sterne (HC 89) und erreicht die Heimatgalaxis der Feyerdaler, Dh'morvon. Über die Superintelligenz Kaiserin von Therm eröffnet sich eine Möglichkeit, die Spur der verschwundenen Erde wiederzufinden. (HC 90, 91)

Die Inkarnation CLERMAC erscheint auf der Heimatwelt der Menschen, und das Wirken der Kleinen Majestät zwingt die TERRA-PATROUILLE, die Erde zu verlassen. (HC 93)

3583 – Die SOL erreicht das MODUL und wird mit dem COMP und dem Volk der Choolks konfrontiert. (HC 92) Hilfeleistung für die Kaiserin von Therm und der Kampf um die Erde. (HC 94)

In der Milchstraße machen die Laren Jagd auf Zellaktivatoren. (HC 93) Das Konzept Kershyll Vanne erscheint. (HC 95)

3584 – In der Auseinandersetzung mit BARDIOCS Inkarnationen (HC 96) wird Perry Rhodan zum Gefangenen der vierten Inkarnation BULLOC. EDEN II, die neue Heimat der Konzepte, entsteht. (HC 98)

3585

Prolog

Das Jahr 3585 n. Chr. kann als Meilenstein nicht nur für die Geschichte der Menschheit, sondern für alle raumfahrenden Völker in der Milchstraße bezeichnet werden.

Wieder einmal zeigt sich, dass Unterdrückung und Willkür nicht von langer Dauer sein können. Nach 125 Jahren Herrschaft des Konzils der Sieben existiert diese Macht nicht mehr, und daran tragen Perry Rhodan und seine Mitstreiter an Bord der gigantischen SOL, des größten Fernraumschiffs, das je von Menschen gebaut wurde, einen entscheidenden Anteil.

Die SOL hat die Milchstraße längst wieder verlassen und sich auf die Suche nach der verschollenen Erde begeben, in der fernen Galaxis Ganuhr, die zum Kriegsschauplatz zweier Superintelligenzen und ihrer Hilfsvölker gehört. Die Kaiserin von Therm und BARDIOC stehen einander unversöhnlich gegenüber. Das bekommen Perry Rhodan und die Besatzung der SOL zu spüren. Als sie glauben, einen Sieg errungen zu haben, wird Perry Rhodan zum Gefangenen des Gegners – seine Spur verliert sich im Sternendickicht von Ganuhr.

In der Milchstraße greift der Achtzig-Jahre-Plan, der die Befreiung bringen soll, schneller als erwartet. Die Sonne Arcur-Beta, von den Keloskern in ihrer Entwicklung angeheizt, wird zum Schwarzen Loch, ein Dimensionstunnel öffnet der Flotte der Laren den Weg in eine Konzilsgalaxis. Als die Besatzer diesen Weg gehen, wissen sie nicht, dass es für sie kein Zurück geben wird.

Die Freiheit für die Milchstraße ist damit zum Greifen nahe. Nun muss sich erweisen, ob die Völker mit der neu gewonnenen Freiheit umzugehen verstehen oder ob alte Ressentiments von Neuem aufbrechen. Schon jetzt werden die Überschweren, die ehemaligen Vasallen der Besatzer, an vielen Fronten angegriffen.

1.

Die LOTOSBLUME trug ihren Namen zu Unrecht; sie war eine verdorrte Blume. Risse, Rost und Zerfall nagten überall, und jede Linearetappe stellte ein unkalkulierbares Risiko dar.

»Die letzten Lichtjahre eines erbärmlichen Fluges.« Patricia dela Baree starrte ihr Abbild im Spiegel an. Es war fleckig und stumpf, das ölverschmierte Gesicht zeigte nicht nur Missmut, sondern zugleich tiefe Resignation. Langsam griff Pat nach einem Reinigungstuch und fing an, sich zu säubern.

Sie hatte das alles abgrundtief satt.

Angewidert warf sie das schmutzige Tuch in den Abfallvernichter, aber es verschmorte nur, anstatt sich aufzulösen. Ein grässlicher Gestank machte sich breit.

Patricia verachtete ihre 60-Meter-Korvette und fühlte sich dabei ebenso alt, zerlumpt und unnütz geworden. In einer Stunde, einem Tag oder einer Woche konnte sich die LOTOSBLUME mitsamt dem Snacker in eine tödliche Falle verwandeln.

Mit einem misstönenden Schnarren meldete sich der Interkom. Auf dem Schirm tauchte flackernd der Oberkörper ihres zehnjährigen Sohnes Sol auf. »Jason will in den Snacker! Und eben hat Borstian die Klimaanlage mit dem Vorschlaghammer repariert.«

»Wenn Jason in der Nähe ist, sage ihm, dass ich in zehn Minuten in der Zentrale sein werde! Sonst gibt es keine Hiobsbotschaften?«

Sol kicherte anzüglich. Er war der Jüngste an Bord, doch seine angeborene Intelligenz machte ihn den anderen ebenbürtig. »Noch nicht. Aber ich bin sicher ...«

Patricia schaltete die Verbindung ab. Sie dachte an die wuchtige Kiste, die sie aus dem Orbit eines Mondes geborgen hatten. Das Ding konnte voll Gold sein, voller Papier oder leer. Alles war möglich. Inzwischen schickte sich dieser wahnwitzige Jason wohl an, mit dem durchlöcherten Raumanzug und einem viel zu geringen Vorrat an Atemluft in den Snacker einzudringen.

Sie verließ ihre Kabine, warf aber zuvor einen forschenden Blick auf den Indikator. Noch gab es auf dem Korridor Atemluft. Argwöhnisch betrachtete sie die geflickten Rohre und Kabelbündel, die immer schlampiger repariert wurden, weil die Ersatzteile ausgingen.

Kreischend bewegte sich das Zentraleschott. Jason Wisenth stand neben dem Kartentank und sah Patricia entgegen.

»Wir sollten es riskieren!« Er deutete auf den vor ihm liegenden Raumanzug, das modernste Stück, das es gegeben hatte – vor hundert Jahren. Mittlerweile erinnerte er eher an einen Sack mit stählernen Ringen und Lederbändern.

»Ich denke, das Risiko ist zu groß.«

»Patricia!« Jason konnte unwahrscheinlich charmant sein, wenn es darauf ankam. »Wir müssen unser Wrack reparieren!«

»Das weiß ich besser als du, Nomadensohn!«

Wisenth war dreiunddreißig Jahre alt, ein schlanker Mann mit geschmeidigen Bewegungen, kühnem Verstand und außerordentlichen Fähigkeiten. Jedes Mal, wenn die Kommandantin ihn ansah, ahnte sie, dass alle nur einen schmalen Ausschnitt seines Könnens und seines Wissens kannten. Jederzeit waren Überraschungen möglich.

»Vorausgesetzt, wir finden eine Möglichkeit zur Reparatur, was dann?« Mit einem winzigen Schweißbrenner und einer zerquetschten Tube versuchte Jason, mehrere Löcher in dem Anzug zu flicken. Er hatte das falsche Material für diesen Zweck, aber es gab in der LOTOSBLUME kein besseres. Nach drei Stunden Aufenthalt im freien Raum erstarrte und zerbröckelte diese Paste.

»Dann handeln, tauschen, bezahlen wir. Oder wir machen es selbst«, antwortete Pat. Sie wunderte sich, dass der Autopilot bislang keine Ausfälle zeigte. Scheinbar bewegungslos standen die Sterne auf der Panoramagalerie. Vier Spezialschirme waren dunkel.

»Und womit bezahlen wir, Patricia dela Baree?«, fragte Jason mit spöttischem Lächeln.

»Mit dem, was wir in den Laderäumen haben.«

»Vorausgesetzt, wir finden einen Dummen, der mit dem Trödelkram etwas anfangen kann. Ich sage dir, unsere einzige Chance ist die Kiste.«

Pat deutete auf den Raumanzug. »Wir können uns keinen Toten leisten. Du bist zu wertvoll und darfst nicht in diesem verkommenen Sack sterben.«

»Meine Sache, Chefin. Wir müssen herausfinden, was die Kiste birgt. Diese Erkenntnis ist fast jedes Risiko wert.«

»Wir gehen in zwei Stunden wieder in den Linearraum.«

»Hundert Minuten reichen mir.«

»Trotzdem verweigere ich meine Erlaubnis, Jason.«

Er fuhr unbeirrt damit fort, die Risse, Löcher und Sprünge in dem Raumanzug zu reparieren. Während Patricia zu einer wütenden Entgegnung ansetzte, ertönte aus dem unteren Bereich des Schiffes ein dumpfes Summen. Das Geräusch wurde lauter und endete in einem peitschenden metallischen Schlag. Danach herrschte eine unheimliche Ruhe. Zahllose Gegenstände lösten sich von ihren Plätzen und segelten langsam davon.

»Die künstliche Schwerkraft ... Die Generatoren sind ausgefallen!«, ächzte Pat. Ihr blondes Haar breitete sich nach allen Seiten aus und gab ihrem Kopf das Aussehen einer seltsamen Blüte. Wütend ruderte sie mit den Armen.

Dies war der vierte Ausfall der Schwerkraftgeneratoren in Folge.

Jonas griff nach ihrem Arm und wirbelte sie in Richtung des Ausgangs. Nebeneinander, sich leicht drehend und nach vorn überschlagend, schwebten sie durch die Luft und schoben allerlei Gerümpel zur Seite.

»Die LOTOSBLUME geht ihrem Ende entgegen«, sagte Patricia dumpf.

»Umso dringender wird die Frage der Bezahlung einer Reparatur. Ich werde nach draußen gehen, sobald wir diesen elenden Generator, notfalls mit Fellners Zehnpfundhammer, zurechtgestutzt haben.«

Pat dachte an die Kiste, die sie hinter sich herschleppten. Würde deren Inhalt ihnen das Überleben garantieren?

Als einstiges Beiboot eines Schlachtschiffs hatte die LOTOSBLUME andere Aufgaben gehabt als Schiffe, die von Planetenbasen starteten. Fünf Personen waren in der Lage, die altersschwache Korvette zu fliegen. Es gab kaum Laderäume, dafür sehr viel Technik. Die Antriebsaggregate, Ortungen, Funkanlagen, eigentlich alle Einrichtungen, welche die Bewegungsfähigkeit des Schiffes sicherten, waren stärker und robuster ausgelegt als für gewöhnlich. Andernfalls wäre die Korvette schon vor einem halben Jahrhundert verglüht oder schlichtweg auseinandergebrochen. Der Linearkonverter erfüllte seine Aufgabe noch wie beim ersten Fernflug.

Wegen der schlechten Platzverhältnisse waren sehr viele der gefundenen, eingetauschten oder gestohlenen Beutestücke im Snacker verstaut.

Kurz bevor Patricia und Jason die Maschinenräume nahe der Bodenschleuse erreichten, hörten sie vor sich einen kurzen Fluch und zwei donnernde Schläge.

»Fellner ist schon da«, bemerkte Jason säuerlich. Er kannte die verblüffenden Ergebnisse von dessen Hammerschlägen, trotzdem hasste er diese Art brachialer Reparatur.

Augenblicke später sahen sie Borstian Fellner. Er hatte die Füße in den Wandverstrebungen verhakt und schwang seinen Hammer gegen die wuchtigen Schraubbolzen der Verkleidung.

»Es geht genauso mit einem Schraubenschlüssel und dem Testapparat!«, rief Jason.

»Schlaumeier.«

»Ich weiß, du bist älter, klüger und stärker – aber schlechter rasiert«, gab Jason zurück.

Als der nächste Hammerschlag die Verkleidung des Verteilers wegsprengte und davonwirbelte, lagen Kabelhüllen, Verzweigungen und Verstärker offen. »Schaffst du es, das Ding wieder in Gang zu kriegen, Jason?«, fragte Fellner. »Wenigstens für die Zentrale und die anderen wichtigen Räume?«

»Irgendwann wohl nicht mehr. Von Tag zu Tag bricht dieses Wrack weiter auseinander.«

Unheilvolle Stille breitete sich aus. Jason Wisenth fing an, den Generator auseinanderzunehmen. Die Teile befestigten er und Fellner teilweise mit Klebeband, damit sie nicht wegdrifteten. Keiner redete, weil ohnehin jeder wusste, dass die Korvette nicht mehr lebensfähig war.

»Wenn wir dieses mistige Aggregat wieder in Gang gebracht haben, dann gehe ich hinaus und hole die Kiste«, verkündete Jason Wisenth geraume Zeit später. »Vielleicht ist dieser Safe voller Howalgonium. Dann finden wir überall Helfer, die unsere WELKE BLUME reparieren.«

Patricia wusste, dass es wenig sinnvoll war, ihm auf Dauer zu widersprechen. Hinauszugehen war zwar ein Selbstmordunternehmen, aber Jason hatte dennoch die besseren Argumente.

Mehr als eine Stunde verging, dann setzte die künstliche Schwerkraft wieder ein. In mehreren Anläufen erreichte sie tatsächlich den gewohnten Wert.

»Ich hole jetzt die Kiste«, entschied Jason.

Patricia zuckte die Schultern. »Nimm zur Kenntnis, dass ich weiterhin dagegen bin. Ich hoffe zwar, dass sie voll wertvoller Dinge ist. Aber ich habe eine ungute Ahnung ...«

Logbuch der LOTOSBLUME:

3. April 3585, 23.15 Uhr

»Das Schiff verfällt immer weiter. Bisher haben wir uns mit Galgenhumor darüber hinwegsetzen können, inzwischen ist ein lebensgefährlicher Zustand erreicht. Nur die wichtigsten Anlagen arbeiten zuverlässig. Soeben haben wir die Reparatur des Schwerkraftgenerators mit dem letzten Ersatzteil abgeschlossen. Die nächsten beiden Linearetappen müssen uns in ein Gebiet bringen, in dem wir die LOTOSBLUME generalüberholen können.

Wir wissen nicht, ob wir die Gerüchte glauben dürfen, die wir seit etwa einem Monat auffangen. Wenn es zutrifft, dass sich die Laren aus der Milchstraße zurückgezogen und die Überschweren ihre Aktivitäten eingestellt haben, wachsen unsere Chancen deutlich.

Die LOTOSBLUME befindet sich im unterlichtschnellen Flug hundertsiebzehn Komma drei Lichtjahre von Arcur-Beta entfernt. Wenn die Meldungen stimmen, haben sich die Laren in jenem Bereich zurückgezogen. Prospektor Knothe verlangt vehement, wir sollen diese Koordinaten ansteuern, denn sie bedeuten nicht nur einen der gegenwärtig wertvollsten Fundorte in der Galaxis, sondern zudem reichlich Gelegenheit für Reparaturarbeiten.

Jason holt nun die Kiste aus dem Snacker. Ende. Patricia dela Baree, Kommandantin.«

Jason Wisenth wusste, dass er gegen die Zeit arbeitete. Er stand in der offenen kleinen Schleuse. Neben seiner rechten Schulter führte die Haupttrosse zum Snacker, an die er soeben einen großen Karabinerhaken anschloss.

»Alles klar?«, fragte Sols helle Stimme. Vor Jason breitete sich das Panorama der Sterne aus.

»Natürlich. Einen Moment, Sol!«

Jason machte sich keine Illusionen mehr, Patricia menschlich näherzukommen. Sie schien das Kapitel Männer abgeschlossen zu haben. Hin und wieder, wenn sie ihre ölverschmierte Kleidung gegen neue vertauschte oder sich nicht als hart arbeitende Kommandantin zeigte, wurde ihre Schönheit sichtbar. Ein unguter, Jasons Nerven strapazierender Zustand.

Er grinste prompt. Immerhin war er seine eigene Interessengruppe an Bord. Sol Kane und die Kommandantin waren die zweite, und die Prospektoren Fellner und Knothe kochten ohnehin ihr eigenes Süppchen. Jeder belauerte jeden.

»Mach's gut, Jason!«, sagte Sol aus dem Bedienungsstand der Winde.

Die Haupttrosse, acht Zentimeter Durchmesser, gedreht aus Litzenseelen hochflexibler Terkonitstahllegierung, reichte zweihundertneunzig Meter weit in den Raum hinaus. An ihrem Ende war undeutlich, als Schatten vor den Sternen, der Snacker zu erkennen. Jason holte tief Luft, stieß sich ab und aktivierte den Rückentornister.

Das Flugaggregat schob ihn vorwärts. Er beschrieb, von dem Haken und einem kurzen Stahlseil am Gürtel gehalten, eine lang gestreckte Spirale um die Trosse. Nach einigen Sekunden Flug bremste er ab.

»Ich hole die Kiste ohne Risiko, Sol.«

Jason empfand keine Angst. Obwohl die Löcher des Raumanzugs schon bei einer zu hastigen Bewegung aufreißen konnten. Ebenso, falls er zu harten Kontakt mit dem Gewirr aus Ballen, Kisten, Kanistern, Säcken und anderen Fundgegenständen bekam.

Über dem Triebwerksringwulst der Korvette flammten Scheinwerfer auf. Das ansonsten unsichtbare Licht traf auf die mit einem Netz verschlossene Öffnung des Snackers. Das birnenförmige Gebilde, dreißig Meter von der Öffnung bis zum hintersten Teil der Schleppsackrundung messend, hing regungslos an der Haupttrosse und den beiden nur zwei Zentimeter dicken Stabilisierungsseilen.

»Ich bremse jetzt ab!«

Augenblicke später war das Netz heran und fing federnd seinen Aufprall ab. Jason Wisenth klammerte sich fest und wartete, bis die Schwingungen nachließen. Er versuchte, die achteckige Kiste zu erkennen.

In der Korvette gab es kaum Stauraum für Fracht. Schon nach dem ersten Fund und dem folgenden Tauschhandel hatte sich für die Besatzung die wichtige Frage gestellt, wohin mit den meist voluminösen Gegenständen. Schließlich hatten sich die Prospektoren dieses Verfahrens erinnert. Ihre ersten Snacker hatten seinerzeit Erze und Mineralien enthalten. Die Anwendung der nachgeschleppten Säcke war eine in Vergessenheit geratene Technik. Mit Großraumschiffen als Schlepper für weitaus prallere Säcke waren einmal viel Aufwand und Geld gespart worden.

Jason löste die Klammern, die den Einstieg in das Netz zusammenhielten. Die Öffnung durchmaß gut neun Meter.

»Probleme?«, kam es aus den Lautsprechern. »Hast du die Kiste gefunden?« Die Worte klangen zischend und pfeifend. Als Sol schwieg, ertönte weiterhin ein feines Geräusch, kaum wahrnehmbar.

Jason schenkte dem keine Beachtung. »Ich denke. Sie schwebt hier ziemlich weit vorn«, antwortete er.

Mit wenigen Handgriffen schob er einen ovalen Spalt, löste den Sicherungshaken, stieß sich ab und trieb zwischen die Fundstücke. Das gesuchte Objekt schob sich hinter einigen Kugeln und Ballen hervor.

»Sieht gut aus. Ich muss die Kiste nur hinausbugsieren.«

In seinen Ohren knackte es, das leise Geräusch schien sich zu verstärken. Aber seine Atemzüge überlagerten die warnenden Zischlaute, die immer dann leiser wurden, sobald er seine Beine streckte.

»Beeile dich. Denk an den durchsiebten Raumanzug!«, rief Sol.

Mit der Schulter schob Jason einen Ballen zur Seite, trieb mit den Armen kleinere Gegenstände auseinander und prallte dann der Länge nach auf den silberglänzenden Metallsarg. Er orientierte sich, zündete das Flugaggregat für zwei Sekunden und trieb mit dem Fund ziemlich genau zurück zu der Netzöffnung.

Vorsichtig wickelte er von seinem rechten Oberschenkel ein zweites Seil ab und schlang es mit wenigen Armbewegungen um die Silberkiste. Langsam zog er sie in die Richtung der Öffnung, und als er diese passiert hatte, konnte er seinen Karabinerhaken wieder an der Haupttrosse einklinken.

»Geschafft«, murmelte er. Das Zischen war lauter geworden, und er kannte dieses Geräusch sehr genau. Die Luftzufuhr versuchte, den nachlassenden Druck auszugleichen, und arbeitete mit größerem Durchsatz. Er kämpfte seine aufflackernde Panik nieder und zerrte die Kiste durch die Öffnung im Schutznetz.

»Scheinwerfer aus, bitte Licht in der großen Schleuse!«, ordnete er an, als er auf das Schiff zutrieb.

Augenblicklich erloschen die Lichtbündel. Jason versuchte, sich zu orientieren. Die Sterne drehten sich um ihn herum, aber schon leuchtete das Viereck der Ladeluke auf. Indem Raum befanden sich Ersatzteile für den Waring-Konverter.

Auf halber Strecke spürte er in der Gegend seines rechten Knies eisige Kälte. Genau dort befand sich ein fingergroßer Riss, vor einer Stunde hatte er ihn so sorgfältig wie möglich abgedichtet. Die erhärtete Paste schien bereits zu bröckeln. Vorsichtig winkelte er das Bein an. Das Kältegefühl ließ nach. Der Anfall von Todesfurcht verging und ließ ihn schweißnass und mit rasendem Herzschlag zurück.

»Himmel! Kleiner, ich habe ein Loch im Anzug. Sobald du mich in der Schleuse siehst, schaltest du die Schnellschließung, klar?«

»Ich habe dich gewarnt, Jason. Aber ich tue, was ich kann.«

Jason versuchte, die Kiste und sich selbst durch vorsichtiges Verändern seiner Körperhaltung in die richtige Position zu bringen. Zuerst musste das schwere Fundstück in die Schleuse gelenkt werden, dann konnte er folgen. Zweimal lief er Gefahr, das Seil zu verlieren, aber nach mehreren kurzen Bremsstößen befanden sich die Kiste und er in der richtigen Reihenfolge.

Die Schleuse kam schnell näher. Jason sah die Kiste schräg gegen die Wand schrammen, und schon hatte er genug damit zu tun, sich abzufangen. Hinter ihm glitt das Außenschott zu, während sich die silbernen Flächen des Fundes mit Reif überzogen.

Bedächtig löste Jason die Verschlüsse des Raumhelms. Er atmete tief durch. Viel Zeit, fürchtete er im Nachhinein, wäre ihm nicht geblieben.

Als Tubbs Knothe geboren wurde, erfolgte die Invasion der Konzilsmächte. Jetzt, da er 126 Jahre alt war, sah es für ihn so aus, als sei dieser geschichtliche Prozess abgeschlossen. Abermals stand die Milchstraße vor einer grundlegenden Veränderung. Für ihn, der sein Leben lang Versteck gespielt hatte, war eines dennoch klar: Niemals wieder würde es werden wie zu Perry Rhodans Zeit, als die Erde der Mittelpunkt gewesen war und man sich an feste Regeln hatte halten können. Er betrachtete die Kiste mit gemischten Gefühlen. Mittlerweile taute das Eis.

Tubbs passte auf seine skurrile Art zu diesem Schiff und dem Rest der Mannschaft, er wollte es nur nicht wahrhaben.

Der achteckige, einem seltsamen Säulenstumpf oder einem Luxussarg ähnelnde Fund ruhte auf zwei wuchtigen Stahlböcken in der Zentrale. Wasser tropfte zu Boden. Die LOTOSBLUME beschleunigte, Patricia saß im Pilotensessel.

»Es wird Zeit, dass wir den Snacker einholen und festzurren«, sagte Knothe halblaut.

»Noch eineinhalb Stunden, Tubbs.«

Knothe war ein mittelgroßer Mann mit breiten Schultern und krummen, aber kräftigen Beinen. Für sein Alter war er erstaunlich schnell, ausdauernd und wendig. Er schlief selten länger als drei Stunden, und dies in völlig unberechenbaren Abständen. Sein Schädel war bis auf Oberlippenbart und Augenbrauen kahl. Die Spitzen seines gedrehten Bartes reichten fast bis zu den Ohren, die Brauen waren buschig dicht und schlohweiß.

Zweifelnd betrachtete er das abtropfende Wasser. »Notfalls kann Borstian die Kiste aufhämmern«, sagte er schließlich und starrte Patricia an. Sein Blick war eindeutig und drückte Verlangen nach ihr aus. Falls Pat das bemerkte, ignorierte sie seine Sehnsucht jedoch.

»Gern!« Fellner schluckte schwer. Ihm war anzumerken, dass er andere kühne Fantasien wälzte – für ihn war diese Kiste mindestens mit Howalgonium gefüllt. »Wohin fliegen wir?«, fügte er nach einer Weile hinzu.

»Wir haben gehört, dass die Laren unsere Galaxis durch ein Schwarzes Loch verlassen haben«, sagte Knothe überraschend beredsam. »Für mich steht fest, dass mindestens die Hälfte aller aufgefangenen Funksprüche stimmt. Danach sind viele SVE-Raumer ohne Energie. Sie werden irgendwo im Raum hängen, ohne Besatzungen, aber voller Reichtümer für uns. Dorthin fliegen wir. Das haben Patricia und ich entschieden.«

»Hört sich gut an«, sagte Jason Wisenth vom Eingang her. Er hatte den Raumanzug abgelegt und trug wieder Bordkleidung. Wie er es schaffte, seine wenigen Klamotten stets sauber und gepflegt wirken zu lassen, war jedem an Bord ein Rätsel. Ein helles Hemd mit ungewöhnlichem Kragen, die dünne Platinkette mit dem goldenen Medaillon auf der Brust, das nackenlange schwarze Haar und die weiche Hose aus Leder, dazu die mokassinartigen Schuhe ...

Noch einmal so jung und voller Selbstbewusstsein sein, dachte Knothe in stiller Ohnmacht. Er drehte sich um und knurrte: »Ich ziehe den Snacker ein.«

Seit Jason den Fund an Bord geholt hatte, nahmen Nervosität und Spannung zu.

Knothe hatte sogar noch eines der letzten Schiffe gekannt, die mit Snackern geflogen waren. Er erinnerte sich deutlich an die Erzählungen der Besatzung. Große Teile der Lasten waren bei den ersten Versuchen im Normalraum geblieben, es hatte Verluste und Unfälle gegeben, Trossen und Teile der Snacker waren mit dem Schiff durch den Linearraum gekommen, die kostbare Ladung im Einstein-Kontinuum geblieben. Schließlich hatten sich zwei Varianten dieser Transportart entwickelt: Entweder flog man im Bereich eines Sonnensystems mit höchstens halber Lichtgeschwindigkeit, oder man zerrte die Last so dicht an den Schiffskörper heran, dass sie unbeschädigt den Sprung in die höhere Dimension mitmachte.

Er betrat den kleinen Schaltraum, ein Dauerprovisorium, das er und Fellner konstruiert hatten. Die schwierigste Arbeit war die Abdichtung des Rumpfes gewesen, denn die Seiltrommeln befanden sich einmal innerhalb des Luftkreislaufs, einmal im Vakuum. Die Haupttrommel war verhältnismäßig groß, immerhin musste sie dreihundert Meter der acht Zentimeter dicken Trosse aufnehmen.

»Knothe an Zentrale. Ich fange an.«

Unablässig wanderte sein Blick über die Monitoren für die Haupttrosse und die Spannseile.

»Geht alles glatt, Tubbs?«

Undeutlich war Patricias Stimme zu erkennen. Patricia! Sie wäre die erste und einzige Frau gewesen, die Knothe für sich akzeptiert hätte. Sie war ihm ebenbürtig, obwohl sie viel jünger war. Aber dreimal hatte sie ihn abgewiesen, einen vierten Versuch wollte er nicht mehr machen. Dabei liebte sie nicht einmal Jason Wisenth, diesen jungen Gecken.

»Selbstverständlich.« Er antwortete mürrisch und kurz angebunden.

Der Snacker kam langsam näher. Seine verschlossene Öffnung näherte sich der Schiffswandung oberhalb des Ringwulsts, die runde Ausbuchtung wurde seitlich an das Schiff herangezogen. Der Trick bestand lediglich darin, den Snacker so eng wie möglich an den Rumpf zu pressen, um ihn in der Einflusszone zu halten.

Das Netz steckte voller Reichtümer. Doch die Leute der LOTOSBLUME glichen einem Mann mit Säcken voller Gold, der auf einer einsamen Insel verhungerte, weil er nicht davon abbeißen konnte.

Zehn Minuten später war die Haupttrosse angezogen, der Sack lag flach am Schiffsrumpf an. Tubbs kontrollierte das Ergebnis. »Alles vorschriftsmäßig«, meldete er weiter. »Du kannst in den Linearraum gehen, Pat. Ich komme in die Zentrale. Hoffentlich klaut dein missratener Sohn nicht die Hälfte des Inhalts.« Er stieß ein heiseres, humorloses Lachen aus und setzte sich in Bewegung.

Auf halbem Weg erreichte ihn die scharfe Antwort der Kommandantin. »Sol ist mein Sohn. Er hat dir nichts getan, also ist es überflüssig, ihn anzugreifen.«

»In diesem Punkt verstehst du gerade so viel Spaß wie unser Kursrechner, Patricia. Aber du musst zugeben, dass hier jeder vom anderen nur das Schlechteste denkt.«

Ein scharfes Klicken beendete den charakteristischen Disput.

Als Knothe wieder in Sichtweite der Zentrale war, rief Wisenth: »Ich fange Funksprüche auf. Sie sind von Störungen verzerrt, aber da scheint etwas im Gang zu sein! Von verschiedenen Richtungen, aus unterschiedlichen Entfernungen – hört selbst!«

Aus den Lautsprechern drang ein Stimmengewirr.

»... können wir bestätigen, dass eine gewaltige Flotte von SVE-Raumern durch das Black Hole gerast ist.«

»Auch in unserem Abschnitt gibt es seit Wochen keine Aktivitäten mehr. Alle sind weg.«

»Offizielle Stellungnahme. Die Planetenregierung gibt bekannt: Das Schiff der Überschweren ist Hals über Kopf geflüchtet. Wir sind sicher, dass sich nach hundertsechsundzwanzig Jahren der Versklavung die Lage entscheidend ändert. Jedenfalls ist jedes Schiff auf unserem Planeten auf das Herzlichste willkommen. Hier spricht die neue Regierung ...«

Unaufhörlich prasselten Texte dieser Art aus den Lautsprechern. Schweigend und mit zwiespältigen Gefühlen hörten es die fünf Besatzungsmitglieder des Trampschiffs. Die Freiheit schien tatsächlich zurückgewonnen zu sein.

Patricia dela Baree sagte: »Bisher haben wir uns wie Flüchtlinge oder Ausgestoßene gefühlt. Nun werden wir wieder auf Welten der Menschheit landen können. Für mich ist das ein neuer und verwirrender Zustand.«

»Ein Zustand, der dich vielleicht wieder dazu bringt, zu baden, dein Haar zu frisieren und dich als schöne Frau zu zeigen«, bemerkte Jason. Er trat an die Kiste heran und wischte den nassen Eisbelag zu Boden.

»Wenn ich mich so verhalte, dann sicher nicht deinetwegen, Jason«, fauchte Pat zurück.

Wisenth breitete grinsend die Arme aus. »Keine Aufregung, schönste Patricia. Ich wollte nur unsere angespannten Nerven mit einem Scherz entkrampfen. Inzwischen fiebert doch jeder von uns, weil er seine eigene Vorstellung vom Inhalt der Kiste hat. Wir sollten sie endlich öffnen.«

Mit ungelenker Schrift schrieb Sol Kane in sein persönliches Tagebuch.

Ich habe Angst. Ich verstehe nicht, was alle denken, aber ich spüre, dass sie nervös sind. Das Schiff knirscht und ächzt, und Pat beschleunigt mit großer Vorsicht. Sie sagt, sie traue den Andruckabsorbern nicht mehr.

Alle wollen wissen, was in der Kiste ist. Ich vermute, wir werden enttäuscht sein. Ebenso das Gerede von der neuen Freiheit in der Milchstraße – ich kann mir nicht vorstellen, dass sich an der Irrfahrt der LOTOSBLUME viel ändern wird.

Jason ist eben in seine Kabine gegangen. Er hat versucht, die eisige Kiste zu öffnen, aber er fand keinen Zugang. Mutter schweigt vor sich hin. Vielleicht gibt es dort, wohin wir fliegen, einen Planeten voller Menschen, die nicht auf uns schießen. Das wäre wunderbar.

Abschließend setzte er hinzu: Ich glaube, die Besatzung sollte auseinandergehen. Niemand liebt den anderen. Abgesehen von Pat und mir.

Die LOTOSBLUME trat in den Linearraum ein und fiel in sicherer Entfernung zum Zielort wieder ins normale Kontinuum zurück.

Borstian Fellner hatte, wie er es während seiner Bordwache stets tat, fast alle überflüssigen Energieverbraucher ausgeschaltet. In der Zentrale herrschte ein ruhiges Halbdunkel.

Keine größere Sonne stand in der Nähe. Der Funkempfang schwieg.

Wenn Tubbs Knothe breitschultrig und wuchtig wirkte, trotz seines hohen Alters, so war Fellner schmal, schlank und knochig. Alles an ihm erschien grau und faltig. Sein Gesicht erinnerte an ein uraltes zerknittertes Pergament, und das kurze Haar war unordentlich, fett und strähnig. Neben dem Pilotensessel lehnte sein Reparaturhammer, den er so gut wie nie aus den Augen ließ.

Fellner drehte sich schweigend um. Seit einigen Sekunden hatte er das beklemmende Gefühl, jemand stünde mit angeschlagener Waffe hinter ihm. Obwohl er sah, dass er nach wie vor allein in der Zentrale war, blieb das deutliche Gefühl des Unbehagens und der Furcht.

»Elende Kiste!«, flüsterte er heiser.

Sie war inzwischen abgetaut und hatte ihre Temperatur der Umgebung angeglichen. Im matten Licht der Armaturen und Schirme schimmerte sie noch geheimnisvoller.

Fellner widmete sich wieder den Instrumenten. Überrascht bemerkte er mehrere Ortungsechos. Die Distanz betrug knapp eine Lichtwoche.

Nach seiner Erfahrung waren dies Raumschiffe. Allerdings schon eine kleine Flotte, die antriebslos durch den Raum driftete wie die LOTOSBLUME ebenfalls. Es schienen um die fünfzig Einheiten zu sein. Immer wieder verschoben sich deutlichere und weniger deutliche – also relativ nähere und fernere – Echos gegeneinander.

»Das können nur Larenschiffe sein. Menschen oder andere Völker würden einen solchen Aufmarsch nicht riskieren. Demnach hat der alte Tubbs wieder einmal recht«, brummte Fellner im Selbstgespräch.

»So sieht es aus!«, erklärte die ruhige Stimme Jason Wisenths vom Eingang her.

Ohne erkennbare Reaktion antwortete Fellner: »Offensichtlich wird es langsam interessant. Der alte Fuchs hat genau den richtigen Kurs angegeben.«

Jason kam näher und betrachtete die Anzeigen. »SVE-Raumer!«, behauptete er nach einer Weile im Brustton der Überzeugung. »Ich wette, das ist der energielose Rest der stolzen Invasionsflotte. Die anderen sind abgehauen.«

»Also stimmen die Gerüchte?«

Wisenth schlug sich mit der Faust in die flache Hand. »Wenn alles zutrifft, sind diese Schiffe eine wahre Goldgrube. Wir werden die reichsten Tramps, die es jemals gegeben hat.«

»Vorerst sind wir noch die Tramps mit dem lausigsten Seelenverkäufer, der je zwischen den Sternen flog. Was hat dich geweckt?«

»Ein blödes Gefühl.«

»Die Kiste?«

»Genau. Dieses verdammte Ding.« Wisenth setzte sich halb auf das Steuerpult, schaute die Kiste an und wieder zurück auf die Schirme. »Wie lange brauchen wir dorthin?«

»Bei unserem Tempo etwas mehr als sieben Tage. Wir haben genügend Zeit, unseren Fund zu öffnen. Ich meine, wir brauchen den Hammer. Es gibt keinen sichtbaren Öffnungsmechanismus.«

Bisher waren alle Funde Dinge gewesen, die sie verstanden und kannten. Dieses Artefakt machte die Ausnahme. Neben dem lang gestreckten Metallstück blieben sie stehen. Nur eine undeutliche Nässespur auf dem abgewetzten Bodenbelag deutete noch darauf hin, dass der Eispanzer abgeschmolzen war.

Jason Wisenth kauerte sich auf die Hacken und fuhr langsam mit den Fingerspitzen die gebrochenen Kanten der Längsseite entlang. Er fand nicht die geringste Unebenheit. Nach zwanzig Minuten hob er den Blick wieder. »Nichts«, sagte er seufzend. »Es ist also doch ein Fund der Geheimnisse.«

Fellner wischte seine Handflächen am Brustteil des Overalls ab. »Mein Hammer wird die Sache schon regeln.«

»Warte!«

Jason betrachtete mit zusammengekniffenen Augen das Stirnteil des metallenen Sarges. Abermals fuhr er mit den Fingerkuppen die Linien nach. Weder er noch Fellner hörten, dass hinter ihnen Schritte lauter wurden und schließlich Patricia neben ihnen stand.

»Nicht besonders viel Glück bisher, wie?«, fragte die Kommandantin.

»Absolut nichts«, murmelte Jason. »Aber irgendwie muss diese Kiste zu öffnen sein!«

Fellner packte den Hammer in der Mitte des Stieles und hob ihn an. »Soll ich?«

»Nein!«, sagte Patricia entschieden. »Es muss eine andere Möglichkeit geben.«

In dem Augenblick ertastete Jason Wisenth an der am tiefsten liegenden Stelle, also an der untersten der acht langen Flächen, ein längliches Loch, in dem er drei etwa fingerdicke Erhebungen fühlte. »Ich glaube, ich hab's«, raunte er und drückte einen der Knöpfe nach dem anderen.

Entlang einer Kante entstand ein schmaler Spalt, der sich rasch vergrößerte. Der Länge nach teilte sich die Kiste in zwei Hälften. Eine unsichtbare Kraft klappte den Deckel hoch.

»Sieht aus wie dicke silberne Scheiben«, murmelte Fellner.

Mehr Licht fiel in den etwa zwei Meter langen Kasten. Die äußere Form war achteckig, aber der Hohlraum innen erschien wie ein länglicher Zylinder mit ungefähr fünfzig Zentimetern Durchmesser. In diesem Hohlraum befand sich etwas, das aussah wie eine Raupe. Vorn und hinten kantig abgeschnitten und aus silbern schimmernden Ringen bestehend, zwischen denen drei Finger tiefe und zwei Finger breite Rillen klafften.

Patricia lachte sarkastisch. Sie bemühte sich erst gar nicht, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Sobald das Ding zu sprechen anfängt, sollte es uns erklären, was es ist!«

Die etwa hundert ineinandergreifenden Ringe sahen bedeutungslos aus. Trotzdem spürten die drei Menschen, dass dieses Ding gefährlich war. Vermutlich empfanden sie die alte archaische Angst vor dem Unbekannten.

»Zumindest sieht es wertvoll aus.« Fellner stieß mit dem Hammerstiel gegen die Ringe. Sie gaben ein schwaches Klirren von sich. Aus dem Innern der Kapsel schlug den Raumfahrern Kälte entgegen, aber es gab weder Raureif noch Feuchtigkeit.

»Ich halte das Zeug da für absolut wertlos!«, rief Jason wütend. »Schrott, wo schon genügend Schrott ist.«

Patricia ging bereits zum Kommandantenpult. Auf halbem Weg schaute sie über die Schulter zurück. »Gibt es auf den Schirmen etwas, das ich wissen sollte?«, fragte sie.

»Eine ganze Menge«, antwortete Fellner. »Schiffsechos, mehr als ein halbes Hundert in einer Lichtwoche Entfernung. Jason glaubt, es wären energielose SVE-Raumer.«

»Es hat sich eben wieder bestätigt, dass unser junger Freund ein hoffnungsloser Optimist ist.« Patricia musterte die Schirme. »Aber mit seiner Analyse der Ortungsechos scheint er nicht weit danebenzuliegen.«

Die Männer wandten sich ebenfalls von dem Sarg ab. Auf den Schirmen hatte sich nichts verändert.

»Wenn sich meine Vermutungen als richtig erweisen, dann sind wir am Ziel aller Wünsche angelangt«, behauptete Jason. »In den Schiffen lagern Ausrüstungsgegenstände, die wir brauchen können. Und sie sind groß genug, dass wir wenigstens einen Hangar finden werden, in dem wir die LOTOSBLUME ordentlich reparieren können.«

»Lauter Wenn und Aber«, sagte die Kommandantin. »Wir haben längst gelernt, dass die sinnloseste Lebenseinstellung der Optimismus ist. Fliegen wir hin, dann erst werden wir wissen, ob wir wirklich den Fund unseres Lebens gemacht haben.«

2.

»Das Ding ... ist lebendig!«, stöhnte Jason. Niemand hörte ihn, denn der Lärm war zu groß. Das System der ineinander hängenden Ringe hatte sich tatsächlich als eine Art Raupe entpuppt, die sich mit rasender Eile bewegte. Und mit rasendem Hunger.

An einem Ende dieser fast zwei Meter langen Kreatur hatte sich ein Maul geöffnet. Es bewegte sich derart schnell, dass Einzelheiten kaum zu sehen waren. Aber der Eindruck von dreieckigen Zähnen, funkelnden Schneiden und blitzenden, diamantartigen Zangen entstand. Der Körper krümmte sich in zuckenden Bewegungen.

Die Raupe fraß im Augenblick die Kiste auf, den Kokon, in dem sie bisher überlebt hatte. Die Geschwindigkeit, die sie dabei an den Tag legte, war bestürzend. In den wenigen Sekunden, in denen die Tramps noch versuchten, ihren Schrecken zu beherrschen, krümmte und buckelte sich der Körper, und ein Drittel des oberen Sargteils verschwand hinter den zupackenden, mahlenden, sich drehenden Zähnen und Schneideflächen.

Jason Wisenth zog seinen Strahler. Als er die Waffe entsicherte, flackerte die Beleuchtung. Der Lärm, mit dem die stählerne Raupe fraß, blieb ohrenbetäubend.

Jason zielte auf das Vorderteil der Kreatur, die sich gefräßig hin und her bewegte und bereits am letzten Drittel der Sarghälfte angelangt war. Unbeirrbar fraß dieses Geschöpf weiter. War es eine Maschine oder ein Tier? Oder etwas völlig anderes?

Der Lärm hallte durch das Schiff. »Schieß endlich!«, schrie Patricia in heller Panik.

»Er hat uns noch nichts getan. Er frisst nur seine eigene Hülle!«, brüllte Wisenth zurück.

Tatsächlich hatte der Metallfresser dem Schiff und ihnen bislang nicht geschadet. Er kümmerte sich überhaupt nicht um die Zuschauer, sondern fraß weiter, mit dem gleichen schauerlichen Geräusch und den schnellen, verblüffend systematischen Bewegungen.

»Er wird das ganze Schiff fressen!« Fellner ergriff seinen Hammer. Im Eingang tauchten Sol und Tubbs Knothe auf. Beide wirkten verschlafen.

Die Raupe krümmte sich zusammen, sprang aus dem unteren Teil der Kiste heraus und federte rasselnd auf den Boden.

»Holt Waffen! Das Biest war in dem Sarg!«, kommandierte Patricia.

Sie starrten diese Kreatur an, die wie eine echte Raupe den Rücken hochwölbte, in einer engen Kurve auf das Unterteil der Kiste zukroch und ihre Stahlzähne in das Material schlug. Wieder brach das Heulen und Kreischen los. Sol hielt sich, vor Angst schreiend, die Ohren zu.

»Schieß doch, Jason!«, donnerte Tubbs.

Wisenth zielte auf den schauerlichen Rachen, der wie eine Kreuzung aus einem Hochleistungsbohrkopf und einer Fräse wirkte. Aus seiner Waffe löste sich ein kurzer Feuerstrahl. Glühendes Material spritzte nach allen Seiten, aber sowohl die Flammen als auch die glühenden Teile der Kiste wurden von dem Vieh verschlungen. Der Angriff zeigte keine Wirkung.

Noch einmal feuerte Wisenth. Diesmal zielte er auf den Spalt zwischen zwei Ringen dicht hinter dem Kopfteil des Fressers. Der Energiestrahl schien aufgesogen zu werden, verschwand jedenfalls wirkungslos zwischen den Panzerringen.

Die Erkenntnis war furchtbar.

»Der Fresser ist unverwundbar. Er schluckt nicht nur Stahl, sondern auch Energie.«

Sol nahm die Hände von den Ohren und drehte sich um. Dann rannte er aus der Zentrale hinaus.

Die Hälfte der unteren Kassette war bereits verschwunden. Der Rand sah aus, als sei er von dem Schneidstrahl eines Desintegrators abgetrennt worden. Die Besatzung verharrte immer noch in ohnmächtigem Entsetzen. Mittlerweile kam Sol Kane in die Zentrale zurück; er schleppte den schweren Desintegrator, der Fellner gehörte. Patricia machte einen Satz und entriss ihrem Sohn die plumpe Waffe.

Bis auf einen kleinen Rest waren sowohl das untere Segment des Sarges als auch die beiden stählernen Stützen verschwunden, gefressen von dieser Superraupe, deren Hunger augenscheinlich unstillbar war.

»Das Ding frisst ein Loch durch das halbe Schiff!«, stöhnte Jason.

Fellner löste sich aus seiner Starre. Seine Augen funkelten. Er holte mit dem Hammer aus, den Stiel ganz am Ende greifend, und versetzte der Raupe einen furchtbaren Hieb. Die zehn Pfund Terkonitstahl krachten mit dem spitzen Ende zwischen die Ringe und rissen den Fresser von seiner Beute weg, wirbelten ihn durch ein Drittel der Zentrale und schmetterten ihn gegen die Wand. Das Sägegeräusch hatte blitzartig aufgehört.

Eine Sekunde lang wandte der Fresser der Mannschaft seinen »Kopf« zu. Etwa fünfzig Zentimeter durchmaß das Maul. Ringsum waren die dreieckigen Felder der Zähne oder Mandibeln zu erkennen, und dahinter saßen funkelnd kleine runde Dinge, die entfernt an die Kniegelenksaugen von Spinnen erinnerten. Zwischen den »Augen« auf dem ersten Ringsegment befanden sich schmale, nur Millimeter breite Schlitze. Sonst gab es absolut nichts festzustellen, abgesehen davon, dass trotz der breiten Ringe und der schmalen Zwischenräume die Bewegungsfähigkeit der stählernen Raupe nicht eingeschränkt war. Sie bewegte sich noch schneller, als sie fraß.

Patricia justierte den Desintegrator auf schärfste Bündelung, dann riss sie mit einem wilden Ruck den Auslöser durch. Es roch betäubend nach Staub und Gasen, als sich verschiedene Materialien auflösten. Aber die Raupe ließ sich nicht aufhalten. Die Geschwindigkeit, mit der dieser Körper in einem plötzlich klaffenden Loch verschwand, war atemberaubend. Das Geräusch wurde unerträglich, hörte überraschend auf, und Sekunden später erklang ein metallisches Klirren.

»Dieser verdammte Allesfresser ist ein Deck tiefer gelandet«, fauchte Jason. »Wenn er sich durch die Außenhülle frisst, sind wir verloren!«

»Ich habe noch nichts gesehen, was einem Desintegrator widerstand«, gab Fellner zu. »Und der Hammer hätte das Vieh wenigstens einbeulen müssen.«

»Wir haben es an Bord geholt. Nun müssen wir das Biest wieder loswerden. Das ist dein Job, Jason.«

Eine Ebene tiefer klang abermals das heulende Geräusch auf. Die Raupe bemächtigte sich unbekannter Teile des Schiffes und verschlang sie. Welche Art von Metabolismus besaß dieses Rätselwesen?

»Wir müssen verhindern, dass noch mehr zerstört wird!« Fellner setzte sich in Bewegung.

»Wohin rennst du?«, brüllte Jason.

»Hole deinen Raumanzug! Ich besorge einen Antigrav- und Fesselfeldprojektor.«

»Das kann die Lösung sein«, gab Jason Wisenth zu. »Wir müssen den Angreifer in die Nähe einer Schleuse treiben. Wo ist er?«

»Unter uns!« Sol zitterte am ganzen Körper. Jason konnte sich nur an zwei Gelegenheiten erinnern, bei denen er den Jungen in solcher Angst erlebt hatte.

»Das sieht schlecht aus. Zudem können wir das Schiff nicht einmal richtig abschotten!«, sagte Patricia.

»Es muss vor allem schnell gehen. Das Vieh frisst sonst die LOTOSBLUME auf!« Tubbs Knothe hob die Schultern. »Ich bin sicher, wenn sich jemand von uns ihm in den Weg stellt, dann verspeist es auch den.«

Wisenth hatte seinen lebensgefährlichen Raumanzug in einem Spind nahe der Zentrale deponiert. Jetzt zerrte er ihn heraus und wechselte die Sauerstoffpatronen. Er schleppte die rissige Hülle zurück in die Zentrale und ließ sich von Patricia und ihrem Sohn hineinhelfen. Viele solcher Aktionen hielt der Anzug nicht mehr aus.

»Los!«, drängte er. »Alle dorthin, wo diese Eisen fressende Kuriosität gerade haust. Chefin – wird die automatische Abschottung noch einmal funktionieren? Wir können dann die einzelnen Abschnitte von Hand öffnen und schließen. Andernfalls würde ich vorschlagen, das Schiff zu öffnen. Aber wir haben ...«

»... keine fünf Raumanzüge mehr!«, beendete Patricia seinen Satz.

»Genau das wollte ich sagen.«

Sie nickte. Jede Schaltung dieser Art war gefährlich, denn gerade die stetig benutzten Nebenaggregate waren am meisten ramponiert. »Einverstanden. Ich werde die Schotten schließen. Und dann kümmern wir uns um die Bestie.«

Alle bis auf Pat verließen die Zentrale. Sie zählte bis zehn und drückte, nachdem sie die zersplitterte Schutzkappe hochgehoben hatte, den runden roten Notknopf. Überall in der Korvette schlossen sich daraufhin die Schotten.

Sekundenlang wurde das Geräusch des Allesfressers übertönt. Die Scharniere, Lager und Angeln, die hydropneumatischen Anlagen und Servomotoren knirschten und rasselten. Hin und wieder hallten knallende Geräusche durch das Schiff. Fast sämtliche Isolierschotten bewegten sich und wurden gegen die mürben Dichtungswülste gepresst.

Eine Ebene tiefer entbrannte ein verzweifelter Kampf gegen den heißhungrigen Fremdling.

Ein wenig schwerfällig rannte Jason Wisenth den Korridor entlang. Vor ihm tobte der Lärm, den das Kreischen und Reißen der Zähne dieses Fabelwesens verursachte. Er sah das Loch in der Kante zwischen Decke und Wand, das wie ausgestanzt wirkte.

»Tubbs! Hast du den Projektor?«, brüllte er über die Schulter zurück.

»Ja. Aber die Energiezelle ist ziemlich erschöpft.«

Das Fressgeräusch wurde unerträglich laut. Sie blieben stehen und blickten nach rechts. Der Allesfresser hatte eine halbmeterbreite Spur über den Boden des Korridors gezogen. Sie sahen die Träger, Verbindungen und zerschnittene Leitungen, die zwischen den Platten der Sandwich-Bauweise verliefen. Stahl, Isoliermaterial, Kunststoffrohre – alles hatte der Fresser verschlungen und dabei seinen Weg fortgesetzt. Aus einer runden Öffnung drang Lärm hervor wie aus einem Bohrschacht.

»Noch weiter nach unten, Tubbs!«, drängte Jason.

»Die Bestie ist höllisch schnell.«

Binnen weniger Sekunden befanden sich die Tramps ein Deck tiefer. Das kreischende Heulen kam nun aus der Decke über ihnen. Tubbs Knothe schaltete den Kombiprojektor ein und gab ihn Jason.

»Zwischen der Schleuse und unserem Standort haben wir drei Schotten!« Borstian Fellner, der den beiden zusammen mit Pats Sohn gefolgt war, umklammerte seinen Hammer.

»Sol, öffne die Schleuse vor uns!«, ordnete Jason an.

Er versuchte, den schweren Projektor exakt zu justieren, denn er musste ein Feld schaffen, das groß genug war, den gesamten Raupenkörper zu erfassen.

»Vielleicht absorbiert der Allesfresser auch die Antigravleistung«, argwöhnte Knothe.

»Wir werden das gleich wissen.« Jason richtete den Projektor auf die Stelle, an der die Raupe wohl erscheinen würde. Noch tobte die Lärmquelle schräg über ihnen.

Zwanzig Meter weiter vorn mühte sich Sol mit dem Handrad des Schottes ab. Sämtliche Einrichtungen dieser Art waren schwergängig. Knirschend und knarrend bewegte sich das Rad endlich, und der schmächtige Junge stemmte sich mit der Schulter gegen den Dichtungswulst und schob das Schott langsam auf.

»Geschafft, Tubbs!«, brüllte er.

»Dann zur Seite, Sol!« Fellner packte seinen Hammer fester. Der Junge flüchtete sich in eine Nische des Korridors und schob den Kopf hervor.

Eineinhalb Meter neben der erwarteten Stelle platzte der Stahl auf. Isoliermaterial fiel in Brocken herab. Ein silberfarbenes Stück der Raupe wurde sichtbar, und das Fressgeräusch wurde ohrenbetäubend laut. Unruhig hob Fellner den Hammer, ließ ihn dann wieder sinken.

Selbst wenn diese Fressmaschine alles Material in Staub verwandelte oder in winzige Späne, müsste sie sich schon wie ein Ballon gefüllt haben. Aber ihr Umfang hatte sich nicht im Geringsten verändert. Die Ringe klirrten und ratterten, als sich der Körper zusammenzog und dehnte und sich ruckweise aus dem selbst geschaffenen Loch schob. Siebzig Zentimeter, eineinhalb Meter, dann rutschte das Biest schräg nach unten.

Der Antigrav erfasste die Raupe, als sie sich fallen ließ. Es funktionierte. Sie schwebte plötzlich hilflos, ohne Halt, inmitten des Korridors.

»Den Zug haben wir gewonnen«, sagte Jason aufatmend. »Wir müssen es nur noch schaffen, die Bestie aus dem Schiff zu werfen.«

Jason Wisenth und Tubbs Knothe wuchteten den Projektor hoch. Rund drei Meter von ihnen entfernt schwebte der Allesfresser. Geräuschlos dehnte, krümmte und spannte sich sein Körper, und nur hin und wieder klirrten die Panzerringe.

»Hoffentlich hält die Energiezelle«, murmelte Tubbs.

»Wir haben den Projektor monatelang nicht benutzt. Die Ladung müsste reichen.«

Hinter den beiden ging Fellner, seinen Hammer über der Schulter. Sie schoben sich an Sol vorbei, der sie schweigend und gespannt beobachtete, und bugsierten den Allesfresser mit einiger Mühe durch das offene Schott.

»Sol, schließe hinter uns das Schott! Dann öffnest du das nächste!«

»Lasst das Biest bloß nicht frei!«, rief der Junge.

Ein scharfes, lang gezogenes Klirren und Rasseln ertönte. Der Allesfresser wehrte sich stärker. Der lange Körper drehte und wendete sich und schnellte immer wieder in die gestreckte Form zurück. Die Segmente der dreieckigen Zähne öffneten und schlossen sich rasend schnell. Ein metallisches Rasseln kam vom Vorderteil des Wurmes. Dazu ein bösartiges Zischen, als würde Luft durch die Schlitze gepresst.

»Noch dreißig Meter.« Jason keuchte.

»Wir schaffen es. Und wenn nicht, wird Fellner den Allesfresser mit seinem Hammer erledigen.«

Vor ihnen traktierte der Junge das nächste Schott. Auch hier klemmten die manuellen Bedienungselemente. Schließlich zwängte sich Borstian Fellner an dem Projektor vorbei und half dem Jungen mit mehreren Hammerschlägen. Das Schott öffnete sich kreischend.

»Ihr seid jetzt im richtigen Abschnitt!«, meldete Patricia über Interkom. »Die Schleuse kann ich von der Zentrale aus öffnen und schließen.«

Während sie ihre Last zielgenau durch das Schott bugsierten, erwiderte Wisenth gepresst: »Alles klar, Chefin. Wir versuchen unser Bestes.«

Der Korridor verbreiterte sich zu einer Art Plattform. Tubbs und Wisenth setzten den Projektor ab. Jetzt war der Allesfresser nur noch einen Meter von der verschlossenen Schleuse entfernt, fünf Meter vom Vakuum des Weltraums.

»Sind beide Schotten zu?«

Aus der Zentrale kam die Antwort: »Die Kontrollen zeigen Grün.«

»Dann öffne das Innentor!«, sagte Jason Wisenth.

Vor sechs Wochen hatten sie einiges an der Mechanik ausgebessert. Leise summend schob sich die Platte in die Wand zurück. Die leere Schleusenkammer lag vor ihnen.

»Helft mir!« Jason versuchte, den Helm seines Raumanzugs zu schließen.

»Wir anderen gehen dort hinein!« Sol öffnete eine kleine Seitenkammer. Das Licht in der Schleuse flackerte. Wie besessen wand sich der Stahlwurm in dem Fesselfeld und der aufgezwungenen Schwerelosigkeit, aber der Projektor hielt ihn fest.

Der Helm des Raumanzugs schloss sich, doch aus mehreren Rissen entwich die Atemluft. Jason öffnete die Versorgungsventile bis zum Maximum. Der entscheidende Moment kam für ihn, als Fellner und Knothe den Projektor wieder aufnahmen und das Gerät mit dem Allesfresser in der Schleuse abstellten.

Die Ladungskontrolle flackerte, das rote Warnsignal darunter war stechend hell.

»Tubbs! Die Ladung ... schnell aus der Schleuse raus!«, rief Jason entsetzt.

Der Zusammenbruch des Fesselfelds stand bevor. Fellner und Tubbs sprangen aus der Schleuse zurück, während Jason nach vorn tappte.

»Patricia. Das Schleusenschott schließen ... Nein!«

Es geschah mit atemberaubender Geschwindigkeit. Bereitschafts- und Warnanzeige erloschen gleichzeitig. Sich heftig krümmend, klirrte die Raupe zu Boden und rollte bis an die Seitenwand. Augenblicklich krachten ihre rotierenden Zähne in den Stahl, der kreischende Lärm fing wieder an, und eine Sekunde später war ein Teil des Kopfstücks schon in der Wand verschwunden.

Jason zerrte den Projektor mit einem wilden Ruck zurück. Fellner stürzte an ihm vorbei, holte mit seinem Hammer aus und traf die Raupe dicht hinter dem Kopfteil. Der Allesfresser wurde aus dem größer gewordenen Loch herausgerissen, prallte dröhnend und klappernd gegen das äußere Schleusentor und kollerte von dort wie ein Stück Rohr wieder zurück in den Korridor. Mit voller Wucht traf er Jason und Knothe und riss sie von den Beinen. Beide stürzten fluchend zu Boden.

Am Projektor krümmte sich der Allesfresser und fing sofort an, das Gerät zu zernagen. Borstian Fellner konnte kein zweites Mal mit dem Hammer zuschlagen, weil Jason ihm ungewollt den Weg versperrte, als er sich aufrappelte.

»Ihr müsst das Ding aus der Schleuse hinaustreiben!«, gellte Patricias Stimme aus dem Interkom.

Fellners nächster Hieb riss den Allesfresser von dem halb zerstörten Projektor weg. Der Wurm rollte wieder auf den Eingang der Schleuse zu. Fellner deutete in die Schleusenkammer.

»Es gibt keine andere Möglichkeit, Jason. Ich treibe das Vieh in die Schleuse, und du wirfst es ins All.«

»Ich kann es versuchen.« Der Außenlautsprecher des Raumanzugs krächzte fürchterlich.

Die Raupe hatte sich bereits auf das nächste Stück Material gestürzt, das sich in der Nähe ihrer mörderischen Zähne befand. Die dünne Abdeckung eines Versorgungsschachts brach splitternd. Der Stahlwurm versank einen Meter tief in dem Loch und machte sich über Kabel und Leitungen her. Entladungen zuckten aus der Öffnung.

Jason riss Fellner den Hammer aus der Hand und holte aus. Er wollte den Allesfresser aus dem Loch herauskatapultieren. Mit einem harten Klirren traf der Stahl auf die Ringe, aber die Erschütterung trieb den Wurm zur Seite und nur noch tiefer in den Schacht hinein. Das Fressgeräusch wurde sofort lauter.

»Das war nichts. Der Kampf verlagert sich weiter nach unten«, murmelte Tubbs Knothe.

Jason und Fellner liefen schon zur nächsten Nottreppe, Sol und der Alte folgten ihnen. Sie hasteten abwärts.

»Dieser Korridor führt zu den Winschenräumen, Jason. Das wird immer gefährlicher. Soll ich euch helfen?« Patricias Stimme klang mühsam beherrscht.

»Bleib in der Zentrale!« Knothe stöhnte. »Aber ruf deinen Sohn zurück. Drei Mann sind genug für dieses Selbstmordunternehmen.«

»Ich verstehe. Sol! Komm bitte in die Zentrale! Und schließe alle Schotten hinter dir. So schnell wie möglich, ja!«

»Ja. Pat«, erwiderte der Junge. Er nutzte die nächste Abzweigung, um die Gruppe zu verlassen.

Vor ihnen lag genau die Schleuse, von der aus Jason die Kiste ins Schiff geholt hatte. Die Schleuse und die Steuerkammer für die Winschen befanden sich über dem Ringwulst. Jason spürte, dass die Situation ihnen zu entgleiten drohte. Sie hatten keine Kontrolle mehr über die Gefahr, die sich durch die LOTOSBLUME fraß.

»Keine Panik«, sagte Knothe. »Wir werden es kurz und schmerzlos machen.«

Sie warteten. Hinter den Verschalungen fraß sich der Wurm durch Leitungen, Platten und Ersatzteile. Ereignislos verging fast eine Minute.

»Unsere beste Chance ist, dass der Allesfresser sich durch das Schiff nach draußen bohrt«, bemerkte Fellner. »Zugegeben, eine geringe Chance ...«

»Ich werde aus diesem stählernen Wurm nicht schlau. Inzwischen müsste er an Übersättigung leiden. Einige Zentner Metall und Kunststoff hat er schon verschlungen, dazu kräftige Energieladungen.« Hilflos hob Knothe die Arme.

»Immer mehr Kontrollen erlöschen«, meldete Pat aus der Zentrale. »Nicht mehr lange, dann wird dieser Teil des Schiffes tot sein.«

Der Lärm schwoll an und nahm ab, kam mit gesteigerter Lautstärke wieder und ließ sich nicht lokalisieren. Erst nach zwei Minuten veränderten sich die Vibrationen. Sie schienen näher zu kommen.

Fellner hob den Hammer. Tubbs und Jason beobachteten Decke und Wände. An irgendeiner Stelle musste dieses elende Geschöpf herauskommen.

Eine weitere Minute verging in quälender Ungewissheit.

Dann fiel der Allesfresser fast direkt zwischen sie. Aus einem kreisrunden Loch in der Decke stürzte er herab. Gleichzeitig schwang Fellner den Hammer. »Die Schleuse, Pat!«

Von der Zentrale aus geschaltet, glitt der schmale Flügel halb auf. Dann ertönte ein peitschender Knall, und das Schott blieb unbeweglich stehen. Knothe warf sich mit der Schulter gegen die Kante und schob die Platte bis zum Anschlag zurück.

Fellner entwickelte seine Taktik zur Vollkommenheit. Immer wieder drosch der Terkonithammer gegen die Stahlringe. Ehe der Allesfresser Gelegenheit bekam, sich festzubeißen, wurde er von Neuem zur Seite gerissen, krümmte sich und kam keine Sekunde lang zur Ruhe.

Jason schloss den Helm. Mit einem Satz war Tubbs heran und half ihm.

Der Allesfresser wurde von einer Korridorwand zur anderen geschleudert. Mit einem letzten wuchtigen Hieb trieb ihn Fellner in die Schleuse und drückte Jason den Hammer in die Hände.

Drei schnelle Schritte trugen Jason Wisenth ebenfalls in die kleine, hell erleuchtete Schleusenkammer. Vor ihm krümmte sich der Stahlwurm. Kaum berührten seine Zähne einen Teil der Wand, setzte er seine Vernichtungsarbeit fort.

»Schließt das Schott! Und sobald das Ding zu ist, schaltet die Notanlage ein! Ich kann nicht zwei Dinge gleichzeitig tun!« Wütend hieb Jason auf den Allesfresser ein. Er durfte das Biest nicht länger als einen Sekundenbruchteil an einer Stelle liegen lassen, musste es stetig in Bewegung halten und auf diese Weise verhindern, dass es sich festbiss und wieder entkam.

Zwei mal zwei Meter maß die Schleuse. Ununterbrochen schlug Jason zu, aber er führte die Schläge nicht mit voller Wucht, sondern vorsichtig dosiert. Hin und wieder trat er auch mit dem schweren Stiefel zu, aber er hütete sich, den Fuß in die Reichweite des vernichtenden Gebisses zu bringen.

Tubbs und Borstian zerrten an dem inneren Schleusenschott und wuchteten es handbreitweise zu.

Jason vollführte indessen eine Art akrobatischen Tanz. Ständig wich er aus, schlug zu, trat zur Seite oder sprang in die Höhe, wenn der Allesfresser nach ihm schnappte.

Der Spalt zwischen Türkante und Rahmen wurde schmaler. Endlich sah Jason, dass die Dichtung auf den Rahmen gedrückt wurde.

Dann schob sich das äußere Schleusenschott auf.

Viel zu langsam, registrierte Jason und schlug zu. Wieder und wieder. Die Beleuchtung fiel aus, es wurde stockdunkel. Das Schott war erst mehr als zur Hälfte zurückgeglitten.

Mit grimmiger Zufriedenheit führte Jason den Hammer. Endlich öffnete sich das Schleusenschott ganz, und ein letzter Hieb schleuderte den stählernen Wurm kreiselnd in den Raum hinaus. Das Biest krümmte sich und streckte sich nach wie vor, und das Streulicht aus der Schleuse wurde sekundenlang von den silbern schimmernden Ringen reflektiert. Dann flammten die Landescheinwerfer auf. Sie beleuchteten den Snacker und den abdriftenden Allesfresser. Der Superwurm rutschte genau zwischen den Maschen des Abdecknetzes hindurch ins dunkle Innere des Beutesacks.

Jason stöhnte auf. Er glaubte, die kreischenden Fressgeräusche deutlich zu hören. Die Vernichtungsorgie ging weiter.

»Patricia, schließe das äußere Schleusenschott!«, sagte er müde. »Der Allesfresser ist aus dem Schiff, aber er ist im Snacker gelandet und frisst unseren gesamten Besitz auf.«

Dreißig Minuten später, die Borduhr zeigte den 5. April an, kurz vor Mitternacht.

Patricia dela Baree hatte ihren Sohn mithilfe eines leichten Schlafmittels dazu gebracht, in seiner Kabine zu bleiben. Im Augenblick hatte er die wenigsten Probleme von allen. Patricia selbst, Wisenth, Knothe und Fellner saßen in der Zentrale und tranken heißen Kaffee.

»Wir sind vom Pech verfolgt.« Sie goss sich aus einer der letzten Flaschen Alkohol in den Becher.

»Dieser verfluchte Allesfresser hätte auch haarscharf an der Öffnung vorbeitreiben können«, sagte Jason zornig. »Aber nein! Mitten in den Snacker musste er hineindriften.«

»Und nun verwandelt er unsere mühsam erbeuteten Reichtümer in submolekularen Staub.«

»Lamentiert nicht!«, rief Fellner. »Handelt lieber oder sagt, was getan werden muss!«

»Offensichtlich können ihm Vakuum und Kälte nichts anhaben«, stellte die Kommandantin fest.

»Er schien sehr lebendig, als er zwischen den Ballen und Verpackungen verschwand«, bestätigte Jason. »Die Gefahr besteht, dass er sich schnell nach der größeren Masse orientiert und entlang der Haupttrosse zurück zum Schiff kommt. Dann ist unser Schicksal endgültig besiegelt.«

»Wie stark sind die Zerstörungen?«, wollte Tubbs wissen.