Perry Rhodan Neo Paket 10 - Michael H. Buchholz - E-Book

Perry Rhodan Neo Paket 10 E-Book

Michael H. Buchholz

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Beschreibung

Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan bei seiner Mondlandung auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet, sie beendet die Spaltung der Menschheit in einzelne Nationen. Ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen. Doch dann bringt das Große Imperium das irdische Sonnensystem unter seine Kontrolle. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während der Widerstand wächst. Der Konflikt spitzt sich weiter zu: In einem Überraschungsangriff zerschlagen arkonidische Raumschiffe die Terranische Flotte und vernichten ihre Zufluchtswelt. Die arkonidischen Truppen kehren im Triumph zur Erde zurück. Doch die Rebellenorganisation Free Earth gibt sich nicht geschlagen. Auch Perry Rhodan als Symbolfigur des Widerstandes denkt nicht daran, den Kampf um die Freiheit aufzugeben. Auf der Erde, auf dem Mars und im All zwischen den Planeten erfüllt sich das Schicksal der Menschheit ...

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Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan bei seiner Mondlandung auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet, sie beendet die Spaltung der Menschheit in einzelne Nationen. Ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen.

Doch dann bringt das Große Imperium das irdische Sonnensystem unter seine Kontrolle. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während der Widerstand wächst.

Der Konflikt spitzt sich weiter zu: In einem Überraschungsangriff zerschlagen arkonidische Raumschiffe die Terranische Flotte und vernichten ihre Zufluchtswelt.

Die arkonidischen Truppen kehren im Triumph zur Erde zurück. Doch die Rebellenorganisation Free Earth gibt sich nicht geschlagen. Auch Perry Rhodan als Symbolfigur des Widerstandes denkt nicht daran, den Kampf um die Freiheit aufzugeben. Auf der Erde, auf dem Mars und im All zwischen den Planeten erfüllt sich das Schicksal der Menschheit ...

Cover

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Band 97 – Zorn des Reekha

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Band 98 – Crests Opfergang

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Band 99 – Showdown für Terra

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Teil I

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Teil II

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Teil III

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Band 100 – Der andere Rhodan

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Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Band 97

Zorn des Reekha

von Michael H. Buchholz

Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan bei seiner Mondlandung auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet, sie beendet die Spaltung der Menschheit in einzelne Nationen. Ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen.

Doch dann bringt das Große Imperium das irdische Sonnensystem unter seine Kontrolle. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während der Widerstand wächst.

Chetzkel, dem militärischen Oberbefehlshaber der Invasoren, gelingt es schließlich, die Terranische Flotte auszuschalten. Er macht Hunderte von Gefangenen – und beschließt, sie in einem Schauprozess abzuurteilen, der die Menschheit in den offenen Aufstand treiben muss ...

1.

Chetzkel

Ab jetzt wird alles anders!

Dies war Chetzkels erster Gedanke, nachdem eine unendlich komplizierte Technik die sechs Schiffe und ihre Besatzungen wieder in den Normalraum geholt hatte.

Ein rascher Blick in das Rund der Zentrale zeigte ihm, dass er als Erster wieder handlungsfähig war.

Er schwang sich aus dem Kontursitz, strich die Uniform glatt und stand dann, hoch aufgerichtet und mit auf dem Rücken verschränkten Händen, einer für ihn kennzeichnenden Pose, vor dem Zentralholo.

Er verzog keine Miene, obwohl Kopfschmerzen und Sehbeeinträchtigungen bei jeder Transition auftraten. Es waren Begleiterscheinungen, die er nach den Abertausend absolvierten Überlichtsprüngen seines reich bewegten Lebens zu ignorieren gelernt hatte. Aufmerksam verfolgte er die projizierten Bilder, die von der Positronik der AGEDEN mithilfe der hochgerechneten Ortungsdaten im Zentralholo erschienen, während die übrigen Besatzungsmitglieder noch mit den Nachwirkungen des Entzerrungsschmerzes kämpften.

Er registrierte es mit einer gewissen Befriedigung.

Mertal, der Pilot der AGEDEN, regte sich als Nächster. Schon einen Augenblick später überflog er die Steuerungskontrollen, obwohl er sichtlich an Spannungsschmerzen litt. Ein kurzes Reiben der Schläfen, ein Wischen mit dem Ärmel über die Stirn, mehr erlaubte er sich nicht. Er kniff die Augen zusammen, zeigte nach einem kurzen Kopfschütteln volle Konzentration. Gut so. Chetzkel vermerkte es sich für einen späteren Personaleintrag. Harte Führung musste alle Fehler bemerken und ausmerzen, aber sie durfte über selbstlosen und vorbildlichen Einsatz auch nicht hinwegsehen. Seine Leute wussten, dass er weder das eine noch das andere jemals übersah.

Nach und nach rührten sich die anderen Mitglieder der Zentralebesatzung.

Der Vorgang der Transition, also der Prozess des Überlichtsprungs, entzog sich weitestgehend dem normalen Sprachgebrauch. Und erst recht dem tief greifenden Verständnis.

Zum Glück war es nicht seine Aufgabe, die schier unbegreifliche Technik, über die er gebot, zu verstehen. Er bestieg ein Raumschiff und gab Befehle. Die Maschinen und die sie bedienenden Mannschaften hatten zu funktionieren. So einfach war das. Seine Aufgabe bestand darin, der hohen Verantwortung gerecht zu werden, die das Imperium ihm übertragen hatte. Er allein war für die Sicherheit des Protektorats Larsaf verantwortlich, und der Gedanke, dass er mit der Vernichtung des Rebellenplaneten einen bedeutenden Schritt zum Erlangen dieser Sicherheit bewältigt hatte, erfüllte ihn mit tiefer Genugtuung.

Er fühlte große Befriedigung, ja. Und zugleich erlebte er einen eigenartigen inneren Widerstreit. Zorn und Triumph hielten sich in ihm die Waage.

Er hatte die geflohenen Rebellen der Terranischen Flotte, wie sich das Häuflein Versprengter hochspurig nannte, aufgespürt. Die Menschen, zusammen mit mehreren Tausend aus der Imperiumsflotte desertierten Naats und einer noch größeren Zahl von Ferronen – Arkonoiden, die von einem nahen System stammten –, hatten sich in einem Sonnensystem in knapp fünfhundert Lichtjahren Entfernung von Larsaf verkrochen. Dort hatten sie sich sicher geglaubt. Chetzkels Angriff hatte sie völlig überrascht. Es war seinem Verband gelungen, den Großteil ihrer Schiffe zu vernichten, ebenso wie ihre Stützpunktwelt, die sie »New Earth« getauft hatten. Und: Chetzkel hatte Gefangene gemacht.

So weit, so gut.

Doch ein Teil der Rebellen war entkommen. Und schlimmer noch: Die AGEDEN, Chetzkels ganzer Stolz, wäre fast vernichtet worden. Nicht durch das Feuer des Gegners, sondern von innen heraus. Ein Einsatzkommando von Free Earth hatte sich an Bord geschlichen und versucht, die Zentrale zu erobern. Seine Besatzung hatte sie zurückschlagen können, aber ein zweiter Angriff hatte beinahe das Ende bedeutet: Jemand hatte die AGEDEN sabotiert. Das Schiff war um ein Haar in dem Moment explodiert, als es das Feuer eröffnet hatte.

Dieser Frevel versetzte Chetzkel in ungeheure Wut, die er nur mühsam beherrschte. Sobald sie Larsaf III erreicht hatten, würden die Barbaren erfahren, was es bedeutete, einen Reekha des Großen Imperiums herauszufordern. Ein Strafgericht sondergleichen würde ein für alle Mal Klarheit verschaffen über die Stellung jener, die herrschten, und jene, die beherrscht wurden.

Er zwang sich zu kühlem Denken und gelobte sich noch kühleres Handeln. Strafe war ein Gericht, das am besten kalt serviert wurde. Bei diesem Gedanken spürte er plötzlichen Hunger. Wann hatte er zum letzten Mal etwas gegessen? Er wusste es nicht. Jedenfalls nichts mehr seit der Vernichtung von New Earth.

Dass er für diesen Sieg einen ganzen Planeten und dessen Ökosystem dem Atombrand und damit der völlig Vernichtung überlassen hatte, bekümmerte ihn wenig. Das waren gewissermaßen universale Kollateralschäden, die hinzunehmen er im Laufe seiner militärischen Laufbahn schon frühzeitig gelernt hatte. Sicher, er hatte mit seinem Befehl zum Abwurf der Arkonbombe viele Milliarden von unbeteiligten planetaren Lebewesen geopfert, aber war es denn seine Schuld, dass sich die rebellischen Menschen gerade diesen Planeten gerade dieser Sonne als Fluchtpunkt ausgesucht hatten? Nein.

Er hatte nur mit der nötigen Taktik und der gebotenen Härte auf militärische Gegebenheiten reagiert.

Tödliche Gewalt ist immer noch das beste Mittel gegen tödliche Gewalt!, dachte er.

Konflikte verursachten Schäden, das war naturgegeben, war geradezu ein Merkmal des Universums. Dem konnte sich niemand entziehen. Chetzkel war bis in die tiefsten Fasern seiner Existenz hinein ein überzeugter Soldat, und als solcher hatte er Konflikte als das zu nehmen, was sie darstellten – als Bewährungsproben der Beteiligten. Wer überlebte, hatte recht. Und seine vordringliche Sorge bestand nun einmal darin, zu gewährleisten, dass Arkon recht behielt. Immer. Sonst war dies der Anfang vom Ende. Nur so ließ sich ein Imperium über lange Zeiten führen, nur so ließ sich ein Imperium auf Dauer halten. Was dieser Weichling von Satrak nie zu begreifen schien.

Aber auch das wird sich ändern, verlass dich drauf!

Er blinzelte die Reste der Sehtrübungen fort und konzentrierte sich dann auf das in der Mitte der Zentrale schwebende Hologramm.

Die Navigationsstation meldete volle Einsatzbereitschaft. Saprest, der Chefnavigator, schob einige Holos zur Seite und sah Chetzkel fragend an.

»Larsaf III.«

Saprest nickte und schickte mit einer Handbewegung einen Datenstrom an die Schiffssteuerung.

»Kurs liegt an, Reekha.« Mertal bestätigte. Tief im Innern des Schlachtschiffs begannen schwere Aggregate zu rumoren.

Über Chetzkel schwebte das große Zentralhologramm und zeigte positronisch aufbereitet die Formation des Flottenverbands. Auch die rein optischen Linsensysteme des Schlachtschiffs hätten nur die Lichtlosigkeit des Leerraums zwischen den Sternen wiedergegeben und nicht die sechs Schiffe, die mit halber Lichtgeschwindigkeit auf den dritten Planeten zufielen.

Die AGEDEN, das 800-Meter-Schlachtschiff, flog voran.

Sie war zugleich das Flaggschiff der Protektoratsflotte – und Chetzkels ganzer Stolz. Nach den Kämpfen um New Earth und vor allem nach den erlittenen Sabotage-Anschlägen befand sie sich in schwerbeschädigtem Zustand. Das würde reichhaltige Konsequenzen nach sich ziehen, nicht nur die notwendigen Reparaturen. Für das Eindringen der Rebellen von Free Earth und für die Beinahe-Explosion des Schiffs gab es Schuldige, und die galt es unverzüglich ausfindig zu machen.

Die ENDRIR, der 500-Meter-Schlachtkreuzer, deckte den Rücken des Verbandes.

Die drei Schweren Kreuzer JARBAN, RO'KANG, KESTAI ... Die 200-Meter-Kugelraumer bildeten einen Dreiecksgürtel um das in der Mitte fliegende Gefangenenschiff.

Der gigantische Frachter VEARAN transportierte 848 Gefangene.

»Verbindung zur VEARAN!«, befahl Chetzkel.

Auch die Gefangenen waren während der Kämpfe in Mitleidenschaft gezogen worden. Etliche der Inhaftierten, manche aufgegriffen während der Bodenkämpfe, andere gestellt während der Flucht, wiesen zum Teil schwere Verletzungen auf, um die sich die Bordärzte des Frachters derzeit kümmerten.

»Sprechen Sie!« Schantool schaltete ein Holo vor Chetzkel frei, in dem das Abbild von Kemmat entstand, des Kommandanten der VEARAN.

»Status?«

»Keine besonderen Vorkommnisse, Reekha. Es gab ein paar unregelmäßige Energiefluktuationen vor der Transition, aber sie sind nicht wieder aufgetreten. Alle Systeme arbeiten einwandfrei.«

»Sie haben die Ursache der Fluktuationen ermittelt?«

»Es handelte sich meinem Chefingenieur zufolge um irreguläre Kopplungsfehler, die kaskadierten und zum Absenken von Sollwerten führten. Unter anderem im internen Schutzschirmgürtel um die Gefangenentrakte.«

Chetzkel runzelte die Stirn. »Eine Manipulation seitens der Inhaftierten?«

»Ausgeschlossen, Reekha. Nach der Transition habe ich eine positronische Zählung veranlasst. Alle Gefangenen sind vollzählig erfasst. Die Fesselfelder waren von den Energieschwankungen ohnehin nicht betroffen.«

»Sobald Sie Ihre Fracht gelöscht haben, docken Sie am Tender SIALD an. Ich erwarte Ihre Meldung über die schnellstmögliche Beseitigung der Kupplungsfehlerursache. Zustand der Gefangenen?«

Kemmat warf einen Blick auf ein Subholo. »Größtenteils unkritisch, nur leichte bis mittlere Verletzungen. Nur 48 Individuen befinden sich im Bordlazarett, sie werden medizinisch versorgt. Verschiedene Fälle schwerer Strahlerverbrennungen, vier liegen im Koma.«

»Ich will alle Gefangenen spätestens morgen in präsentablem Zustand sehen! Wie Sie das erreichen, ist mir gleichgültig! Chetzkel, Ende.«

Die den Bordärzten zur Verfügung stehende Medizin Arkons, ergänzt durch Araverfahren, griff auf Nanochirurgie, den Einsatz von massiven Drogen und auf zellulare Energiemanipulationen zurück. In keinem Fall schön für die solcherart Behandelten, aber äußerst nützlich für den bevorstehenden Prozess. Die längerfristige Gesundheit der Gefangenen stand ohnehin nicht zur Disposition. Ihr Schicksal war vorgezeichnet.

»Nicht nur das«, sagte er leise zu sich. »Es ist besiegelt.«

»Reekha?« Arona, die Ortungsoffizierin, hob die Hand.

»Ja?«

»Keine Fremdbewegungen im System.« Das gründliche Scannen des Raumsektors, den sie durchflogen, war Bordroutine.

Ebenso die Vorbereitung für die bevorstehende Landung. Hingegen fiel das, was dieser noch vorausgehen würde, eindeutig aus dem Rahmen des Üblichen – die Operation »Stahlregen« stand unmittelbar bevor.

Um diese Dinge hatte sich Yer'em Suleng zu kümmern, der Kommandant der AGEDEN, der als Erster Offizier diente, sobald Chetzkel an Bord war. Der ältere Arkonide war erfahren, hielt sich angenehm im Hintergrund und war durch nichts so leicht aus der Ruhe zu bringen. Yer'em Suleng zählte zu seinen schlachterprobten Veteranen. Die effektive Planung und Organisation einer Operation wie »Stahlregen« gehörte zu Sulengs Stärken. Chetzkel streifte ihn mit einem Seitenblick und sah ihn an seiner Konsole sitzen, von einem Dutzend Holos umgeben, die ihn umschwebten.

Larsaf III rückte scheinbar näher und wurde zusehends größer. Die Bordroutine verdrängte Chetzkels Hungergefühl, aber als der blauweiße Planet das Holo ausfüllte, meldete es sich zurück.

Er wandte sich an die diensthabende Kommunikationsoffizierin, Evshra Schantool.

»Status?«

»Die im Larsafsystem zurückgebliebenen Einheiten melden volle Einsatzbereitschaft. Keine besonderen Vorkommnisse während unserer Abwesenheit.«

Das betrifft nur die Raumsicherheit und damit die rein militärische Seite. Er ballte die Hände zu Fäusten. Auf dem innenpolitischen Parkett würde es ganz anders aussehen. Es gärte unter den Menschen, und mit Unruhen war jederzeit zu rechnen. Die Zerschlagung der Terranischen Flotte würde als Nachricht wie eine Bombe einschlagen – und bot die ersehnte Gelegenheit für ihn, endlich durchzugreifen und die Aufständischen zur Räson zu bringen. Ein Imperium, das war seine feste Überzeugung, ließ sich nicht durch Zaghaftigkeit und Schwäche zusammenhalten, sondern nur durch Entschlossenheit und Stärke. Da Fürsorger Satrak seiner Verantwortung nicht gerecht wurde, musste er es an seiner Stelle tun. Es war höchste Zeit dafür.

Endlich konnte er handeln, durfte er sich als Soldat beweisen. Für Arkon, für das Imperium, für die Imperatrice.

»Schantool, gewähren Sie Mia vollen Zugriff auf die Nachrichtenkanäle der Erde. – Suleng, geben Sie Befehl an den Verband! Lassen Sie die Schiffe in einen Orbit einschwenken! Landung erst nach meiner Anordnung. Die AGEDEN dockt am Flottentender SIALD an. Instandsetzung nach Prioritäten. Wir haben einige Vorkehrungen zu treffen.«

Welcher Art diese Vorkehrungen waren, verriet er nicht. Als er aus der Zentrale stapfte, ließ er zumeist ratlose Gesichter zurück. Nur Yer'em Suleng nickte wissend.

»Ich will unverzüglich erfahren, was inzwischen auf deiner Welt geschehen ist«, verlangte er, kaum dass er die Kabinenflucht, die er mit Mia teilte, ohne Gruß betreten hatte. »Setz dich unverzüglich ins Bild, Kätzchen. Die Positronik ist legitimiert, dir alle Kanäle freizuschalten.«

Mia lag auf dem breiten Bett, beendete ein über ihr schwebendes Holoprogramm und räkelte sich. »Hast du für so was nicht deine Besatzung?«

»Ich habe dafür jeden, den ich will. Und in diesem Fall will ich dich, Kätzchen. Du weißt als Mensch besser als Arkoniden zwischen den offiziellen Zeilen zu lesen. Finde heraus, was die Menschen aktuell bewegt. Ich will ihre Stimmung kennen, ihre Ängste, ihre Erwartungen. Also hopp, beeil dich!«

»Bin ich etwa nur einer deiner Befehlsempfänger?«

Chetzkel trat dicht ans Bett heran. Mit einer schnellen Bewegung ergriff er ihren Nacken und drückte zu. Mit harter Hand bog er ihren Kopf zu sich hoch.

»Du«, sagte er leise, »bist durch mich in den Genuss all dessen gekommen, was du dir seit vielen Jahren ersehntest. Deinen Traum, einer Katze so ähnlich zu sein wie nur möglich, lebst du jetzt allein durch mich. Ich an deiner Stelle würde es mir gut überlegen, nach wessen Hand ich schnappe. Es könnte die sein, die dich füttert. Oder die zweifellos die Macht hat, alle deine hübschen Augmentationen rückgängig zu machen.«

»Du bist eklig, weißt du das? Außerdem tust du mir weh.«

»Was du riechst, ist nur die Ausdünstung eines verschwitzten, vom Felde heimkehrenden Soldaten.« Er verstand sie bewusst falsch, lockerte aber den Griff. Dann ließ er sie los, schnallte sich den breiten Gürtel mit den beiden klobigen Strahlenwaffen ab und warf ihn achtlos über einen Sessel. »Tu, was ich dir gesagt habe! Die Zeit drängt.«

»Jauu«, machte sie widerwillig – unklar, ob der Laut ein »Ja« oder ein »Au« sein sollte. Protestierend rieb sie sich den Nacken, ehe sie mittels Blickschaltung das Holo über ihr neu aktivierte. Das Symbol der Schiffspositronik flammte auf. »Und was tut derweil der gebietende Kommandant?«

2.

Orome Tschato

Wir stecken allesamt bis zum Hals in der Klemme!

Orome Tschato unterbrach seine ruhelose Wanderung. Schon jetzt spürte er, wie sich die Spannung unter seinen Mitgefangenen aufbaute wie die Hitze an einem trockenen Morgen ohne Aussicht auf erlösenden Regen. Er blickte in trübe, oft verzerrte Gesichter. Die der Männer waren mittlerweile blauschattig unrasiert, die der Frauen in verschiedenen Stadien der Auflösung begriffen. Verschmiertes Make-up, ungekämmte Haare, darunter traurige, trostlose, teilnahmslose, erschöpfte, verzweifelte Mienen – er entdeckte das gesamte Spektrum menschlicher Hoffnungslosigkeit.

Den Ferronen erging es nicht viel besser.

Er kniff die Lippen angesichts ihrer offensichtlichen Ausweglosigkeit zu einem Strich zusammen. Der zerschrammte Neoprenanzug, den er trug, seit er und seine Kameraden sich vor drei Tagen in Baikonur über die Wasserversorgung des Raumers an Bord der AGEDEN geschmuggelt hatten, scheuerte am ganzen Körper. Jetzt waren seine Kameraden tot, und Tschato war müde. Er hatte Durst, aber bis zur nächsten Getränkevergabe, die dem bisherigen Rhythmus nach alle zwei Stunden erfolgte, war es noch gut dreißig Minuten hin.

Die an höhere Temperaturen gewohnten Arkoniden dachten nicht daran, die klimatischen Bedingungen im Innern des Frachters VEARAN den unterschiedlichen Kreisläufen ihrer Gefangenen anzupassen. So war es vor allem für die Menschen unangenehm warm, besonders für die zahlreichen Verletzten. Das galt selbst für ihn als Afrikaner – schon zu lange hatte er in Deutschland gelebt. Die Luft in diesem Raumschiff erschien ihm in ihrer Künstlichkeit trockener zu sein als selbst die der Namib-Wüste in seinem Geburtsland. Der Trinkbehälter mit Aspruu'tan, einer Art kalten Tees, den jeder Gefangene vor zwei Stunden bekommen hatte, war längst leer.

Er setzte seinen Rundgang fort, der ihn durch alle drei Lagerräume führte: Die Zwischenschotts standen offen, die Gefangenen durften sich zwischen den Abteilungen frei bewegen.

Die Insassen ihres provisorischen Gefängnisses verteilten sich auf drei deutlich unterscheidbare Gruppen: Menschen und Ferronen, zahlenmäßig etwa vergleichbar stark, und dazwischen etliche Fremde, die hauptsächlich durch ihre tiefschwarze Haut und ihre dazu im höchsten Kontrast stehenden schlohweißen Haare auffielen – und aufgrund des merkwürdigen Umstands, dass sie arkonidische Flottenuniformen trugen.

Bei ihnen handelte es sich um ehemalige imperiale Soldaten vom Planeten Eruchin, die im Einsatz desertiert und von den Arkoniden auf New Earth gestellt worden waren; so jedenfalls wollten es die kursierenden Gerüchte wissen. Die Uniformen trugen Embleme und Bezeichnungen. Tschato erkundigte sich bei einigen Mitgefangenen, die der arkonidischen Schrift mächtig waren. Die überlebenden Männer und Frauen entstammten der Besatzung des Raumschiffs NAS'TUR II, einem umgerüsteten Frachter, der bis vor Kurzem der Protektoratsflotte als Hilfskreuzer gedient hatte.

Tschato hätte sich gerne ausgestreckt, um den entgangenen Schlaf nachzuholen. Nur entdeckte er nirgends Betten, Sitzgelegenheiten oder sonstige Möbel, sah man einmal von den leer geräumten stählernen Hochregalkonstruktionen ab, die die Frachträume in parallelen Linien zerteilten. Nicht einmal einfache Decken gab es, die dem kahlen Stahlboden wenigstens etwas Bequemlichkeit abgerungen hätten. Die vielen Hundert Leidensgenossen hatten sich notgedrungen die unteren Regalböden als provisorische Pritschen auserkoren. Diese verströmten einen an Parfüm erinnernden Geruch – die Ausdünstung arkonidischer Desinfektionsmittel. Es gab viele Verletzte.

Vor vier Stunden, gleich nach ihrer Verlegung in den Frachter, waren alle Gefangenen von einer Schwadron emsiger Medoroboter untersucht und unmittelbar behandelt worden. Die schwerer Verletzten hatte man aussortiert und angeblich in das Bordlazarett gebracht. Bisher war keiner der Abtransportierten zurückgekommen. Das verhieß nichts Gutes. Entweder waren die Verletzungen der Betroffenen gravierend, oder man hatte sie stillschweigend entsorgt, wie einige behaupteten.

Um sich herum sah er Angehörige aller ihm bekannten Ethnien: irdische Raumfahrer, die dem Ruf Perry Rhodans zu den Sternen gefolgt waren. Die New Earth zu kolonisieren begonnen hatten oder zu den Besatzungen der größtenteils vernichteten Terranischen Flotte gehörten. Sie gingen einzeln nervös umher oder hatten sich zu mehreren jeweils da niedergelassen, wo sie Platz fanden.

Die aus dem System der Riesensonne Wega stammenden Ferronen kannten keine unterschiedlichen Ethnien, dafür diverse komplizierte Stammeszugehörigkeiten. Worin die sich unterschieden, war Tschato ein Rätsel. Für ihn sah ein Ferrone wie der andere aus: meist korpulente Gestalten mit dunkelblauer Haut, viele in ziviler Kleidung, andere in Uniformen. Auch sie waren Raumfahrer, die die Terranische Flotte in ihr Exil begleitet hatten. Sie rochen unterschiedlich. Die blauhäutigen Humanoiden kamen etwas besser als ihre irdischen Mitgefangenen mit der Temperatur in ihrem vorläufigen Gefängnis zurecht. Oder die Zusammensetzung des Luftgemischs der Bordatmosphäre der VEARAN machte ihnen nicht so zu schaffen wie den anderen. Jedenfalls hörte Tschato nur Beschwerden von menschlicher Seite.

Er beendete seine Runde und setzte sich einfach da, wo er stand, auf den Boden; die Hallenwand diente ihm als Lehne. Den Becher stellte er zwischen seine Beine wie ein Bettler, der auf Almosen hoffte.

Ein nicht völlig unzutreffender Vergleich. Er verfiel in dumpfes Grübeln.

Die völlige Abwesenheit von Naats gab Tschato ein Rätsel auf.

Eine erkleckliche Anzahl der dreiäugigen Riesen hatte auf New Earth selbst gelebt oder den Dienst als Raumschiffbesatzung versehen. Logischerweise hätte es auch unter ihnen Gefangene geben müssen. Es ließ einige Rückschlüsse zu, dass dem nicht so war. Entweder hatte man die als hochgefährliche Kämpfer bekannten Wesen absichtlich isoliert, oder es gab schlichtweg keinen Grund mehr, sie einzusperren. Was im letzten Fall nur eines bedeutete – die Riesen waren sämtlich exekutiert worden.

Über die Naats an sich wusste er nur wenig. Eigentlich nur, dass das Imperium sie seit Jahrtausenden als Soldaten einsetzte – und als Kanonenfutter benutzte. Deshalb waren einige Tausend von ihnen mit ihren Schiffen zu Perry Rhodan und damit zur Menschheit übergelaufen. Sie hatten die Basis der Terranischen Flotte gebildet. Naats waren Krieger. Sie kämpften bis zum Tod. Tschato vermutete, dass die meisten von ihnen im Kampf gefallen waren.

Die Stimmung in den drei Lagerräumen war gedrückt, zugleich erfüllt von einer unterschwelligen Wut, die jeden Augenblick hochkochen konnte. Tschatos augmentierter Geruchssinn nahm eine verwirrende Vielfalt von miteinander widerstreitenden Emotionen wahr: Furcht, Hoffnungslosigkeit, Ärger, Zweifel, Hass, Trauer. Die Luft im Lagertrakt schillerte für Tschato förmlich von durcheinanderwirbelnden Farben. Die direkt in seine Netzhaut eingespiegelten Muster waren positronisch aufbereitete Wahrnehmungen seiner künstlich verbesserten Nase.

Die meisten, ob nun Menschen, Ferronen oder Eruchin – hatten Kameraden sterben sehen.

Am schlimmsten wog bei allen der entsetzliche Anblick, den keiner von ihnen wohl jemals würde vergessen können: Sie hatten New Earth, eine blühende Welt, im unvorstellbaren Wüten der Gluten eines Atombrands vergehen sehen. Noch saß jedem von ihnen der Schock in den Gliedern, aber aus einigen immer wieder hin und her gerufenen Bemerkungen war unschwer herauszuhören, dass in ihnen die Wut schwelte.

Selbstverständlich waren die Arkoniden klug genug, das zu erkennen. Sie dachten nur in Ausnahmefällen daran, sich persönlich in die unmittelbare Nähe der Gefangenen zu begeben. Wenn, dann jeweils geschützt von einem Kordon schwer bewaffneter Kampfroboter, von ihren eigenen, schussbereit gehaltenen Waffen ganz zu schweigen.

Die Gefangenen waren nicht nur wütend, sie hatten auch Angst. Um sich selbst. Und, was die Menschen betraf, vor allem um die Erde. Es brauchte nicht mehr viel Fantasie, um sich eine verglühende Erde vorzustellen.

Ihre Lage war aussichtslos.

An eine Flucht war nicht einmal zu denken, auch nicht an eine Meuterei – und selbst wenn ein Aufstand gelingen sollte, hätten sie dadurch nichts gewonnen. Die VEARAN war ein Frachter. Nahezu unbewaffnet und überdies langsam. Außerdem zweifellos bewacht von mehreren Kriegsschiffen des Protektorats. Und wohin hätten sie fliehen sollen? In das Vakuum des Weltalls?

Sie konnten unmöglich entkommen.

Tschatos Blick fiel auf den Eingang zu den sanitären Anlagen. Sie bildeten einen kleinen, angrenzenden Trakt, gedacht für den Normalbetrieb des Frachters, falls arkonidisches Personal die Stauroboter beaufsichtigte. Für die Menge an Gefangenen waren sie völlig unzureichend. Lange Warteschlangen drängten sich dort inzwischen. Aggressionen lagen in der Luft, und Handgreiflichkeiten unter den Eingeschlossenen würden genau dort als Erstes ausbrechen. Duschen gab es keine, nicht mal Handwaschbecken – die arkonidische Technik nutzte keimtötende Desinfektionsfelder und Lotionen anstatt primitives, fließendes Wasser. Ein Umstand, der, falls ihre Gefangenschaft länger dauern sollte, zu einem echten Problem werden würde. Der Durst war das eine, die Unmöglichkeit, nicht einmal die eigene Unterwäsche notdürftig waschen zu können, das andere.

Die Gruppe der Eruchin hatte sich in eine Ecke der Halle zurückgezogen; die Raumfahrer unterhielten sich kaum, nur ab und zu fiel eine kurze, scharfe Bemerkung.

Neben Tschato saß ein ebenso wortkarger und schlanker, vollständig in Weiß gekleideter Mann am Boden, den Rücken wie Tschato an das Hochregal gelehnt. Die weiße Kleidung bildete zu Tschatos schwarzem Neoprenanzug den denkbar schärfsten Gegensatz. Sie unterstrich obendrein ihre unterschiedliche Hautfarbe – der Mann war ein Weißer, Tschato, als gebürtiger Ovambo, war dunkelhäutig. Von dem Weißgekleideten ging der betäubende Dunst von starker Erschöpfung aus. Ein ranziger, an Eitergeruch erinnernder Sinneseindruck, den Tschato sofort abdämpfte, als er ihn registrierte. Dazu genügte das Fixieren und Anpassen des in die Netzhaut eingeblendeten Schwellwertes; die Mikropositronik erledigte den Rest.

Auf dem Boden ihnen gegenüber hockte ein Ferrone im Schneidersitz und döste mit geschlossenen Augen. Seine blaue Haut glänzte im hellen Licht der Lagerlampen. Er roch auf verwirrende Weise fremdartig; Tschatos Nase empfing Emotionseindrücke, die er nicht zuzuordnen vermochte.

Zum wiederholten Mal sah Tschato auf sein Armbandchronometer, eine mechanische Taucheruhr, die ihre Bewacher ihm gelassen hatten: Das Zifferblatt zeigte die UTC an: 3.45 Uhr des 21. Januars 2038.

Erdzeit! Ob wir wohl die Erde jemals wiedersehen?

Sicher war das keineswegs. Die Arkoniden mochten überall hinfliegen, und Angaben zu ihrem Flugziel hatte keiner der Bewacher gemacht.

»Das sollte Ihre geringste Sorge sein«, sagte der vor ihm hockende Ferrone plötzlich. Eine bestätigende Kopfbewegung. »Sie haben laut gesprochen, Freund. Sie bringen uns ganz gewiss zur Erde zurück.« Dank der implantierten Translatoren gab es keine Verständigungsprobleme.

Der Ferrone zog eine schmerzhafte Grimasse, als er den rechten Arm bewegte. Erst jetzt entdeckte Tschato durch einen Kleidungsriss den arkonidischen Biomalplastverband darunter. Parfümdunst wehte ihm entgegen, durchmischt mit den körpereigenen Pheromonen.

Auch Tschato trug so ein Ding, um seinen rechten Oberschenkel gewunden – ein Streifschuss hatte ihm die Haut an der Vorderseite des Oberschenkels mitsamt des Neoprens weggebrannt. Die Wunde war so groß wie zwei Handflächen. Es schmerzte trotz der Medikamente, die man ihm verabreicht hatte, als anhaltendes Pochen im Hintergrund.

Nicht dran denken!, ermahnte er sich. Natürlich dachte er jetzt erst recht daran. Sitzen oder vielmehr am Boden hocken war kein Problem, aber schon einfaches Gehen ging nur mit zusammengebissenen Zähnen.

»Was macht Sie so sicher – Freund?«

»Chaktor«, sagte der Ferrone.

Tschato brauchte einen Moment, ehe er begriff, dass der andere ihm seinen Namen nannte. »Orome.«

Chaktor legte seinen verletzten Arm in die Beuge des gesunden. »Weil, Freund Orome, auf der Erde in diesem Fall alle Fäden zusammenlaufen, wie man bei Ihnen sagt. Der Sitz des Protektorats – der Aufenthaltsort des Fürsorgers – ist zugleich der Sitz der hiesigen arkonidischen Gerichtsbarkeit – zumindest im politischen und verwaltungstechnischen Sinn. Wenn – nein, falls – falls sie uns verurteilen wollen, dann wird es auf der Erde und nirgendwo sonst geschehen.«

»Rechnen Sie denn mit einem Verfahren?«

»Schwer zu sagen«, antwortete der Ferrone. »Es kommt auf Verschiedenes an. Im Prinzip kann alles geschehen. Vielleicht setzen sie uns auf einem unbewohnten Planeten aus. Oder verkaufen uns als Sklaven auf irgendeinem Markt. Oder sie richten uns einfach hin. Entscheidend wird sein, was Chetzkel für Absichten verfolgt. Er wird uns entweder loswerden wollen oder für seine Zwecke instrumentalisieren. Will er zum Beispiel sein Gesicht in den Medien sehen, käme ihm ein Verfahren gerade recht. Es steht buchstäblich in den Sternen.«

»Würde dann, im letztgenannten Fall, der Fürsorger über uns richten?«

»Er oder die von ihm eingesetzten Richter, vermute ich.«

Ein alles andere als amüsiertes Gelächter quittierte seine Worte. Alle neun Eruchin schüttelten ihre Köpfe. Es war offensichtlich, dass sie die Unterhaltung zwischen Chaktor und Tschato mitverfolgt hatten.

»Sie irren beide gewaltig«, sagte ein athletisch gebauter Mann, der nach irdischen Maßstäben um die dreißig sein mochte. Das bedeutete, er war als Arkonstämmiger womöglich doppelt so alt. Seine Stimme klang tief und dröhnend in der Ecke der großen Lagerhalle. Vermutlich sprach er reinstes Arkonidisch – für Tschato erklangen die Worte dank der simultan übersetzenden Audiokomponenten in seinen Ohren in deutscher Sprache.

Wie alle seine Kameraden trug der Mann schulterlange, schneeweiße Haare, und wenn Tschatos Haut schon dunkel war, so war die Hautfarbe der Eruchin pechschwarz. Er war derjenige, um den sich die anderen gruppierten. Tschato bemerkte zwei Mondsymbole auf der linken Brustseite und vermutete in ihm den kommandierenden Offizier.

Ex-Offizier!, korrigierte er sich sofort. Als Gefangener dürfte er keine offizielle Kommandogewalt mehr innehaben.

Chaktor richtete seinen Blick fest auf den Eruchin. Der Blick ließ ein gewisses Einvernehmen zwischen den beiden erkennen. Offensichtlich kannten sie sich schon aus der Zeit vor der Gefangennahme. »Jetzt frage ich: Was macht Sie so sicher?«

»Die Gesetzeslage«, erwiderte der Eruchin. »Sie lässt keinen anderen Schluss zu.« Er reichte Tschato die Hand. »Ich bin Verc'athor Asir Keithea, vormals stellvertretender Kommandant, Sie können mich Asir nennen. Das hier sind Arumen, Vamen, Remesta ...« Er stellte auch die restlichen Mitglieder seiner Mannschaft vor.

Allseitiges Zunicken machte die Runde. Allein der Weißgekleidete neben Tschato rührte sich nicht.

»Zurück zu Ihrer Frage, Chaktor«, sagte der Sprecher. »Wir alle sind im Kampf gegen arkonidische Soldaten gefangen genommen worden. Das macht uns zu Kriegsgefangenen, uns Eruchin gar zu Deserteuren.« Asir Keithea hob in einer verblüffend vertraut wirkenden Geste die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Damit fallen wir nicht mehr unter die Gerichtsbarkeit des Fürsorgers. Als Kriegsgefangene hat die Imperiumsflotte – vertreten durch ihren ranghöchsten Kommandanten – das ausdrückliche Recht, uns vor ein Stand- oder Kriegsgericht zu bringen. Nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht. Die Flottenvorschriften sind streng, und Chetzkel kann sich ihnen kaum entziehen. Vergesst allerdings den Fürsorger, falls ihr daran irgendeine Hoffnung hegt. Satrak ist in dieser Angelegenheit bestenfalls Zuschauer. Reekha Chetzkel wird das Urteil fällen, obzwar von ihm als Richter eingesetzte Offiziere es letzten Endes verkünden werden.«

»Immerhin erschießen sie uns somit nicht gleich«, sagte Tschato. »Es wird einen fairen Prozess geben, oder?«

»Einen fairen Prozess?« Das freudlose Lächeln des Arkonidenabkömmlings sprach Bände. »Chetzkel wird für Gerechtigkeit sorgen, das stimmt. Für die Art von Gerechtigkeit, wie er sie versteht. Ich kenne diesen Mann leider persönlich, und ich kenne seine Maxime: Tödliche Gewalt ahndet man im Krieg grundsätzlich durch tödliche Gewalt. Wir alle haben Einheiten und Angehörige der Imperiumsflotte angegriffen, in seinen Augen also Arkon den Krieg erklärt. Darauf gibt es seit Jahrtausenden nur eine Antwort – den gewaltsamen Tod.« Asir Keithea blickte in die Runde und nickte bekümmert. »Ja, das will ich damit sagen. Das Urteil steht längst fest. Die Verhandlung ist nur eine reine Formalität, vollzogen von Soldaten, die ihresgleichen bedroht sahen. Die Vollstreckung ist somit längst beschlossene Sache. Offen ist nur noch das Wann.«

Das zustimmende Gemurmel seiner Besatzung gab seinen Worten Gewicht.

Tschatos Gerechtigkeitssinn rebellierte. »Aber rechnen die Arkoniden denn nicht an, dass auch die Soldaten ihrer Gegner letzten Endes nur ihre Befehle befolgt haben? Dass deren Vorgesetzte, die höchste Führungsebene, allein verantwortlich ist?«

»So etwas interessiert einen arkonidischen Offizier nicht im Mindesten.«

»Das Wann rückt näher«, sagte der Weißgekleidete plötzlich. Er hielt die Augen geschlossen, als ob er angestrengt lausche. »Im Schiff laufen große Aggregate an. Das Schiff beschleunigt. Langsam zwar, aber stetig. Gewaltige Datenmengen fluktuieren. Energieströme fließen in die Puffer der für die Transition zuständigen Sektionen ein. Ein Überlichtsprung wird vorbereitet. Wann es so weit ist, kann ich nicht spüren.«

»Woher wissen Sie das?«, platzte Tschato heraus.

»Das ist Josue Moncadas«, erklärte Chaktor. »Er ist einer der sogenannten Mutanten der Erde. Josue kann Stromkreise und Signale, nun ja, nennen wir es: interpretieren. Wenn er sagt, dass eine Transition bevorsteht, dann ist darauf Verlass.« Der Ferrone erhob sich ungeachtet seiner Schmerzen mit unerwarteter Kraft und Schnelligkeit. »Das bedeutet, uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Wenn wir etwas unternehmen wollen, um uns zu befreien, muss es bald sein. Nein – jetzt! Wir haben nur eine Chance. Ist dieses Schiff erst gelandet, ist es zu spät dafür. Wir brauchen einen Plan, und sei er noch so verrückt! Oder wir sind verloren! Irgendwelche Vorschläge – Freunde?«

Die Eruchin murmelten verblüfft durcheinander. Tschato starrte den Ferronen an, doch der meinte es ernst – tödlich ernst. Der blauhäutige Mann hatte etwas an sich, das ansteckend wirkte. Auch Tschato erhob sich und verbiss sich die Schmerzen, die sein Bein hinaufwallten.

»Ich bin dabei«, sagte er.

»Wir auch«, sagte Asir Keithea.

»Allein sind wir zu schwach.« Chaktor sah sich suchend um. »Was wissen wir über die Naats? Leben sie noch und hat man sie auch eingesperrt? Oder sind sie gleich hingerichtet worden? Sie haben mit der Erde nichts zu tun, es wäre müßig, auch sie zur Erde zu bringen. Sie sind als Kämpfer jedem Arkoniden oder Menschen – oder Ferronen – überlegen. Mit ihrer Hilfe hätten wir eine Chance. Hat jemand was gehört?«

Die Eruchin und Tschato verneinten.

»Dann ist die Informationsbeschaffung darüber unser vordringlichstes Ziel. Wir müssen alle Mitgefangenen befragen und ...«

»... verlieren darüber kostbare Zeit«, widersprach der Weißgekleidete. Der Eitergeruch nahm weiter zu. Abermals dämpfte Tschato die Wahrnehmungsintensität dieser Duftspur. Der hellrote, positronisch vermittelte Farbeindruck verblasste noch mehr. Moncadas' Gesicht war schweißüberströmt. »Dieser Bereich, in dem wir uns befinden, ist energetisch sehr auffällig, im Vergleich mit den anderen Sektionen. Schiffsinterne Schutzschirme teilen ihn ab, dazu die Signaturen diverser Roboter, eine hohe Dichte an Überwachungssignalen. Es gibt nur einen weiteren Abschnitt in der VEARAN, der ähnlich auffällig ist wie dieser. Die gleichen Muster, konzentriert wie hier. Nein, sogar stärker. Es sollte mich wundern, wenn dort nicht weitere Gefangene festgehalten werden.«

»Die Naats«, murmelte Asir Keithea.

Tschato runzelte die Stirn. »Klingt wahrscheinlich. Die Frage bleibt: Wie befreien wir die Naats, wenn es uns schon nicht gelingt, uns selbst zu befreien?«

»Mit List und Tücke«, sagte Chaktor bestimmt. »Und dem Einsatz aller unserer Fähigkeiten. Wissen wir erst, wo sie sich befinden, wissen wir vermutlich auch, wie sie zu befreien sind. Werden Sie gehen können, Josue?«

»Ich wusste, Sie würden mich das fragen.« Moncadas erhob sich ächzend. »Wir beide?«

»Wie gehabt.« Chaktor lächelte.

Tschato wunderte sich über die Zuversicht des Ferronen und er schüttelte leise den Kopf darüber. Unter den gegebenen Umständen sogar lächeln zu können war mehr, als er selbst in diesem Augenblick zuwege brachte.

»Wir drei«, widersprach er. »Unter Umständen müssen wir Josue tragen, so geschwächt, wie er ist.« Moncadas lehnte tatsächlich an der Wand und sah aus, als wolle er jeden Moment wieder daran herunterrutschen.

»Wir vier«, korrigierte Asir Keithea. »Sie brauchen jemanden, der sich auf einem Schiff wie der VEARAN auskennt.«

»Ich weiß, wie Arkonraumer üblicherweise konstruiert sind. Das dürfte genügen.« Chaktor wandte sich zum Gehen.

»Sie wissen vielleicht über Kriegsschiffe Bescheid«, entgegnete Keithea. »Das hier ist aber ein umgerüsteter Frachter. Vom Aufbau her sind diese Einheiten etwas völlig anderes. Ich bin jahrelang mit einem solchen Schiff geflogen und kenne mich auf jeden Fall besser aus als Sie.«

»Gut, überzeugt. Aber dann nicht wir vier. Die Gefahr einer Entdeckung wird mit jedem Mann nur größer Eine Dreiergruppe ist unauffälliger. Ich bleibe und bringe so viel Ordnung wie möglich in das Chaos hier. Einwände?«

Dreifaches Kopfschütteln.

»Also los!«, forderte Chaktor. »Bleiben Sie in Deckung! Keine Heldentaten. Wir brauchen Informationen, um planen zu können. Und beeilen Sie sich! Viel Glück!«

Wenn jetzt noch einer »Einer für alle, und alle für einen!« ruft, weiß ich wenigstens, dass ich träume.

Tschato reichte Moncadas den Arm. Noch während sie zu dritt auf das schwere Stahlschott zugingen, rätselte er, wie es sich wohl für sie öffnen sollte.

»Sie haben nicht zufällig einen sehr großen Dosenöffner bei sich, Josue?«, fragte er.

»Nicht mal einen sehr kleinen«, antwortete Moncadas. »Es muss ohne gehen. Geben Sie mir einen Moment.«

Er legte beide Hände an den Schottrahmen wie einer, der sich abstützen musste und sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten konnte. Tschato fragte sich, wie viel davon gespielt war und was der Wahrheit entsprach. Aber als Tarnung wirkte es unverdächtig. Mit Sicherheit gab es Kameras, die den Bereich des Schotts unaufhörlich überwachten. Ob der Mutant die Wand mit seinen Händen befühlte, um ihr Inneres zu erspüren? Tschato besaß keine Vorstellung davon, wie eine Mutantengabe überhaupt und speziell die des Weißgekleideten funktionierte.

»Zwillingssperrkode«, murmelte Moncadas. »Zwei parallele Eingaben sind erforderlich. Nein, das ist falsch. Es ist ein Drillingssystem. Fein versteckt, das Ganze. Zwei zeitgleiche Eingaben durch Zutrittssuchende sind erforderlich, dazu aber eine bestätigende Autorisationssequenz von der Zentralpositronik.«

Keithea kniff die Lippen zusammen. »Das entspricht den vorgeschriebenen Verschlussbestimmungen für Gefahrenfracht der Stufe III. Zwei Leute oder Roboter lösen an getrennten Komports via Datenschlüssel den Zugangskode aus, die Positronik verifiziert mit einem eigenen Schlüssel. Ohne die drei parallelen Schlüsseldatensätze kommt keiner rein oder raus.«

»Also aus die Maus«, sagte Tschato enttäuscht. »Noch ehe wir ...«

»Im Gegenteil. Es macht es um einiges schwieriger, aber nicht unmöglich. Wann war die letzte Getränkeverteilung?«

Tschato sah auf seine Taucheruhr. »Vor ziemlich genau zwei Stunden.«

Wie zur Bestätigung spürte er plötzlich das leicht würzige Aroma des Aspruu'tan-Tees in der Luft.

Noch immer hatte er sich nicht ganz an den Vorgang gewöhnt. Während der ersten Wochen nach seiner Augmentation, die ihm ein gesteigertes olfaktorisches Erkennen selbst feinster Nuancen und ein gesteigertes Reichweitenriechen ermöglicht hatte, war er sich höchst eigenartig vorgekommen. Inzwischen wunderte er sich nicht mehr ständig, sondern nur noch ein Dutzend Mal am Tag über die Unvermitteltheit der Eindrücke.

Seine augmentierten Sinneszellen, die ihm eine sprichwörtliche Hundenase verliehen hatten, und auch die Mikroimplantate in seiner Nase reagierten. Feinste Molekülverbindungen wurden binnen Nanosekunden erkannt, analysiert, abgeglichen und in für ihn verständlicher Form aufbereitet. Dazu setzte die Mikropositronik die hochgerechneten Werte in 3-D-Bilder um – die implementierten Kombausteine blendeten die Duftspur als violette Farbspur direkt auf seine Netzhaut ein. Er bemerkte ein gekräuseltes Band, das unter dem auffahrenden Schott aufstieg.

»Es ist Teezeit, Freunde. Achtung!«

Sekunden später starrten sie in die Linsensysteme von gut fünfzig mit Ausgabebehältern ausgestatteten Servorobotern, die in Reih und Glied in den Frachtraum zu strömen begannen. Dahinter standen zehn Kolosse mit drohend erhobenen Armen: Kampfroboter mit flimmernden Waffensystemen. Sie bildeten eine zweieinhalb Meter hohe Mauer, durch die es kein Entkommen gab. Hinter den stählernen Beinen verlief ein breiter Gang quer zum Schott, und die drei Männer bemerkten einen weiteren, der T-förmig vor dem Frachtraum auf den querlaufenden Gang stieß.

Ungerührt hielt Tschato dem nächstbesten Servoroboter seinen Becher hin.

»Besten Dank«, sagte er, als ihm die Maschine das Gefäß gefüllt hatte. »Sehr delikat, wirklich. Und so zuvorkommend. Wie ist Ihrerseits das werte Befinden?«

»Trinken, nicht quatschen«, gab der Servoroboter ebenso ungerührt zurück, ehe er sich entfernte.

3.

Chetzkel

Nach der Schlacht ist vor dem nächsten Feldzug!

In der Hygienezelle eilten Chetzkels Überlegungen schon voraus und spielten im Geist die einzelnen Stufen der bevorstehenden Großaktion durch.

Aber als Chetzkel frisch geduscht und nach einem schweren arkonidischen Kosmetikum duftend zu Mia in die weitläufige Kabinenflucht zurückkehrte, verdrängte der Hunger jeden anderen Gedanken, selbst den an Mias verlockende Schenkel, mit denen sie zum Takt der leisen Musik wippte. Es waren irdische Klänge, etwas mit Gesang und orchestral-wuchtigen Instrumenten, er empfand es als harmonisch und irgendwie fröhlich stimmend.

»Was ist das?«, fragte er beiläufig, während er dem Servorobot ein Zeichen gab. Die Maschine signalisierte Empfangsbereitschaft.

»Musik aus dem vergangenen Jahrhundert. Famose Klassiker. Finde ich jedenfalls. Drei Brüder. Sie nannten sich Bee Gees. Die Gebrüder Gibb.«

»Waren das nicht auch, warte, diese antiken Märchensammler?«

Mia verzog das Gesicht. »Nein, das waren die Gebrüder Grimm. Die Gibbs waren begnadete Komponisten.«

Er winkte ab und lauschte dann. »You Win Again? Lautet so der Titel?«

»Ja. Großartig, oder?«

»Du sagst es.« Er grinste vieldeutig. Manchmal schaffte er es, seinem Schlangengesicht auch freundliche Züge abzuringen. Dies war ein solcher Moment. Er genoss es zu seiner Verwunderung sogar selbst.

Nach der entspannenden Licht- und Aromadusche und nachdem seine Muskeln dank des Massageprogramms der Hygienezelle durchgewalkt worden waren, fühlte er sich prächtig. Sogar die medizinisch nicht erklärbaren Schmerzen, die ihn so häufig plagten und um den Schlaf brachten, waren in dieser Stunde eine bloße Erinnerung.

Er instruierte den Robot, eine Mahlzeit für zwei zu organisieren, zusammen mit einem irdischem Wein, den Mia so mochte. Australischer Chiraz, ein Rotwein mit fast schwarzer Färbung und dem Bouquet von Schokolade und Erdbeeren. Ein Tropfen, dem auch Chetzkel etwas abgewinnen konnte.

In der Zeit, die er benötigte, um sich anzukleiden, servierte der Robot das Essen. Ein fremdartiger Duft erfüllte die Unterkunft, und Chetzkel seufzte – es gab offenbar wieder einmal mehr ein Menü aus irdischer Fertigung. Die AGEDEN war bei ihrer letzten Landung mit Proviant aus Baikonur ausgerüstet worden. Angeblich waren die Mahlzeiten Kreationen eines irdischen Spitzenkochs.

Er setzte sich und winkte Mia zu sich. Dann reichte er Mia ihr Glas und hob das seinige. »Auf unseren Sieg!«, sagte er gut gelaunt.

Mia sah ihn ausdruckslos an. Sie stellte das Glas ab, ohne zu trinken. »Es ist dein Sieg, Chetzkel. Nicht meiner. Und ich trinke nicht auf den Tod eines ganzen Planeten.«

Er knallte sein Glas auf den Tisch. »Höre ich da einen Vorwurf in deiner Stimme?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Du tust, was du für richtig hältst. Vielleicht ist es sogar das, was du tun musst. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass es dem Universum nicht egal sein wird, was du getan hast.«

Er lachte auf. »Dem Universum? Geht es nicht noch etwas größer?«

»Es ist groß genug. Das Universum hat Jahrmilliarden darauf verwendet, gerade diesen Planeten – wie alles Übrige – zu erschaffen. Ich finde nur, es steht dir, es steht uns nicht zu«, verbesserte sie sich, »derart massiv in die Schöpfung einzugreifen und Planeten zu vernichten. Verstehst du nicht? Die Natur verschwendet nicht, niemals. Deshalb war New Earth für den Kosmos wichtig, aus welchen Gründen auch immer. Seine mutwillige Zerstörung ist ein Frevel, anders kann ich es nicht sagen. Tief in mir fühle ich, dass es falsch ist, durch und durch falsch. Das ist alles. Und ich mag mich nicht daran erfreuen. Tu du es, wenn dir danach ist. Ich kann es nicht. Ich fürchte, du hast die Waagschale auf deiner Seite zu sehr nach unten gedrückt, Chetzkel. Irgendwas wird passieren, irgendwer wird kommen, und dann wird das Universum seinen Preis verlangen, verlass dich drauf! Du hättest das nicht tun dürfen.«

Mia schlug die Hand vor den Mund, selbst erschrocken über das, was plötzlich aus ihr hervorgebrochen war.

»Du verstehst es jedenfalls, einem den Appetit zu verderben.« Er ließ seine Zunge warnend hervorschnellen. Seine eben noch so großartige Stimmung kippte. »Was ist das da überhaupt auf den Tellern?« Es interessierte ihn nicht die Spur, solange es nur schmeckte, aber es war eine willkommene Möglichkeit, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken.

»Eine Kokossuppe mit Falafelbällchen, steht hier«, sagte sie. »Dann eine Gemüserolle mit Süßkartoffelmus, Wasabicrunch, Kürbis-Chutney und Currysauce. Es folgt ein gegrilltes Krokodilsteak mit einer Beilage von Algenspaghetti und einem ebenfalls gegrillten Gurken-Spargel-Duett. Den Abschluss bildet eine Quarkmousse mit Mango und Granatapfelkernen.«

»Aha«, machte Chetzkel, der kein Wort verstand. Wozu auch, er versenkte erst sein Besteck und danach die Zähne in dem, was ihm die irdische Küche anbot. Es schmeckte wider Erwarten ganz ordentlich, was sicher an den arkonidischen Gewürzen lag, die Chetzkel auf der Zunge wiedererkannte.

Immerhin etwas, dachte er.

Mit einer Handbewegung forderte er Mia auf, mit ihrem Bericht zu beginnen. Er kaute unentwegt, während sie die Ergebnisse ihrer Recherche von ihrem Pod ablas.

Sie selbst rührte keinen Bissen an.

»Grundsätzlich hat sich die Lage beruhigt«, sagte Mia. »Die aufgebrachten Gemüter maßen der Gerichtsverhandlung gegen Asech Kelange einen überaus hohen Stellenwert bei – wie nicht anders zu erwarten war. Der Mord an der irdischen Frau durch einen Arkoniden hat eine Art emotionalen Tsunami ausgelöst.«

Chetzkel nickte kauend. »Asech Kelange ist unschuldig, egal, was eure Anwälte vorbringen.«

»Vorbrachten«, korrigierte Mia. »Das Gericht sah es anders. Es befand ihn des Mordes für schuldig und hat ihn zum Tode verurteilt.«

Chetzkel ließ das Besteck sinken. »Wurde das Urteil schon vollstreckt?«

»Nein. Das Urteil wurde von einem Gericht der Vereinigten Staaten von Amerika gefällt. In diesem Bundesstaat ist es seit Jahrzehnten üblich, dass zum Tode Verurteilte mehrfach in Berufungen gehen und Urteile nicht oder sogar erst nach Jahrzehnten vollstreckt werden. «

Der Reekha schüttelte den Kopf. »Natürlich hat unser allseits geschätzter Fürsorger Satrak diesem Urteil vehement widersprochen. Und dieser Farce ein Ende bereitet.«

»Davon berichten die Medien nichts. Nach allem, was ich herausgefunden habe, ist Kelange in das Hochsicherheitsgefängnis in Hazelton überführt worden.«

Chetzkels Schlangenzähne bleckten. »So, ist er das? Wo liegt dieser ... Ort?« Das letzte Wort war wie ein leises Schnappen.

»In den früheren Vereinigten Staaten von Amerika, in West Virginia.«

»Zeig mir eine Karte!«

Mia rief eine Map-Routine auf und hielt Chetzkel ihren Pod hin. Ein kleiner Punkt blinkte unterhalb der Großen Seen auf der östlichen Seite Nordamerikas.

Chetzkel stürzte den Rest seines Weins hinunter. »Allein das zeigt den mangelnden Reifegrad der Menschheit.«

»Was?«, fragte Mia verwirrt. »Mein Pod? Der Wein? Oder dass Kelange seine letzten Tage in Hazelton verbringen muss?«

Chetzkel gestattete sich ein Lächeln. »Nein, mein Kätzchen. Angenommen, Asech Kelange wäre wirklich ein Mörder – was definitiv nicht stimmt. Und angenommen, dieses sogenannte Gericht wäre wirklich befugt, über ihn zu richten, dann ist die Todesstrafe das einzig sinnvolle Urteil. Tödliche Gewalt ist und war stets das wirksamste Mittel gegen tödliche Gewalt. Was nützt es der Gemeinschaft, einen Mörder lediglich einzukerkern? Ohne ihm die Möglichkeit zu nehmen, abermals zu morden, sobald er die Freiheit zurückerlangt? Nein. Wer den Tod verursacht, muss selbst des Todes gewärtig sein. So weit wäre ich einverstanden, wie gesagt, wenn.« Er löffelte den Nachtisch. »In diesem Fall zeigt sich eure Unreife an der überflüssig zögerlichen Durchführung. Urteile haben unverzüglich vollstreckt zu werden, sonst verpufft die abschreckende Wirkung. Einspruch – lächerlich. Das erweckt den Eindruck, als wären sich die Richter ihrer Sache nicht sicher. So was wäre auf Arkon undenkbar. Konsequentes Handeln kennt kein Zögern! Fünf Tage sind für die Medien eine lange Zeit. Sie reicht aus, das Ereignis in den Hintergrund zu drängen, es fast vergessen zu lassen. Fort aus den Schlagzeilen, weg aus dem Sinn. Dann noch ein gesondertes Verfahren ... Wie gesagt, es ist lächerlich. Für uns ist es allerdings ein Glück. So kann der Gerechtigkeit doch noch zum Sieg verholfen werden.«

»Wie meinst du das?«

»So, wie ich es sage«, wich Chetzkel aus. »Was gibt es noch?«

»Das Begräbnis Aurora Freemans ...«

»Wer ...?«

»Des ... des angeblichen Mordopfers«, kam es zögernd von Mia. »Es hat Hunderttausende angezogen, ist aber ohne Zwischenfälle verlaufen.«

»Dem Fürsorger sei Dank.« Wäre Hohn wie Honig gewesen, wäre er Chetzkel in diesem Augenblick von den schmalen Lippen getropft.

Während Mia weiter berichtete, hörte Chetzkel nur noch mit einem Ohr zu.

Die ganze Angelegenheit war lächerlich. Satrak beschwichtigte in einem fort, anstatt, wie es richtig gewesen wäre, mit harter Hand durchzugreifen und die Autorität Arkons über allen Zweifel zu stellen. Doch Beschwichtigung war ein temporär limitiertes Vorgehen. Es versiegte ohne weitere Nahrung in Form neuer, noch weitreichender Beschwichtigung von allein. Vordergründig mochte diese Leisetreter-Strategie des Fürsorgers Früchte getragen haben; insbesondere auch die törichte Amnestie, die er diesem angeblichen General de Soto und seinen Aufrührern gegenüber ausgesprochen hatte.

Ihm, Chetzkel, konnte man nichts vormachen. Diese mit Würdelosigkeit erkaufte Ruhe war nur die trügerische Phase vor dem unvermeidlich heraufziehenden nächsten Sturm. Und der würde losbrechen, da war er sich sicher, und er würde stärker sein als zuvor.

Die Menschen haben Zeit gewonnen, sich auf den Kampf vorzubereiten.

Das war die Wahrheit unter der Tünche der fürsorgerischen Guttuerkleckserei.

Der Hass der Menschen auf die Arkoniden würde weiter wachsen, spätestens, wenn sie von der Zerschlagung ihrer geflohenen Flotte erfuhren. Allerspätestens, wenn sie die Urteile hörten und ihre Vollstreckung erlebten, die sein, Chetzkels Gericht, über die Kriegsgefangenen verhängen würde. Dabei hatte er keinen Zweifel, dass seine Soldaten einen Aufstand der Menschen brechen konnten. Aber dieser Aufstand musste früh losbrechen, je eher, desto besser. Je länger Chetzkel und seine Truppen darauf warten mussten, dass der Sturm losbrach, desto stärker würde er ausfallen und desto mehr arkonidische Leben würde es kosten. Also war es von erheblichem strategischen Vorteil, diesen Vulkan künstlich und kontrolliert zu zünden, ehe er von allein ausbrach.

Genau so bekam man den Widerstand auf Protektoratswelten unter Kontrolle. Und nicht auf die leisepfotige Art des felltragenden Fürsorgers, der sich allen Ernstes erdreistete, sich selbst einen Arkoniden zu nennen.

»Mehr habe ich an Wesentlichen nicht eruieren können«, drangen Mias Worte wieder in sein Bewusstsein.

»Danke, es reicht auch«, antwortete er. »Ich bin satt – von diesem Wasserbierplantsch hier, oder wie das heißt, und von deinen Neuigkeiten.«

»Es heißt Wasabicrunch und bezeichnet ...«

»Unwichtig«, fiel er ihr ins Wort. Er ließ seinen Blick über Mias wohlgeformten Körper gleiten. »Kommen wir zu was Angenehmeren. Etwas Delikaterem, wenn du weißt, was ich meine. Mir ist jetzt nach schamlos ...«

Ein Summer unterbrach ihn. Ein Holo entstand zwischen ihnen über dem Tisch. Es zeigte Evshra Schantools Kopf. Und als gäbe es ein geheimes Einvernehmen unwillkommener Störungen, ertönte im selben Moment, als die Funkerin den Mund öffnete, ein satter Gong. Jemand stand vor der Tür und wollte den Reekha persönlich sprechen.

»Moment«, sagte er, an Schantool gerichtet.

Per Blickschaltung aktivierte er die Überwachungseinrichtung, die ihm den Besucher in einem Ganzkörperholo zeigte – mitsamt der Scannerauswertung, dass der Einlass Begehrende erstens keine verborgenen Waffen bei sich trug und es sich zweitens tatsächlich um denjenigen handelte, der er dem optischen Anschein nach war.

Vor der Tür stand – positronisch verifiziert – Chefingenieur Jakkat in Habachtstellung.

Chetzkel winkte. Die Kabinenpositronik interpretierte die Handbewegung als Zeichen, den Gast einzulassen. Die Doppeltüren glitten geräuschlos auf. Jakkat betrat zögernd den Wohnraum des Flottenchefs. Die ehrenvolle Verbeugung entsprach nicht den Vorschriften, sondern galt der Person Chetzkels, nicht dem militärischen Rang. Chetzkel registrierte es beifällig.

Er winkte Jakkat näher und musterte zugleich das Hologramm über dem Tisch. »Also, Evshra. was haben Sie?«

»Der Fürsorger wünscht Sie zu sprechen, Reekha.«

Chetzkel dachte an die letzte Unterredung mit Satrak zurück, die vor dem Start des Verbandes nach New Earth im Palast des Fürsorgers erfolgt war. Satrak hatte ihn über Gebühr warten lassen.

Revanche, mein bepelzter Freund. Dieses Spiel kann ich auch spielen.

»Noch nicht«, gab der Reekha die Anweisung. »Der Fürsorger soll sich etwas gedulden.« Er grinste, als er süffisant hinzufügte: »Sagen Sie ihm, mich hinderten dringende Amtsgeschäfte.«

An Mias verdrehten Augen erkannte er, dass sie diese Spitze genau verstand, obwohl sie von dem vorangegangenen Vorspiel im Wald des Palastes keine Kenntnis hatte.

Sie ist nicht dumm, die Kleine. Ich sollte sie besser nicht unterschätzen.

Er schwenkte seinen Sitz zum Chefingenieur der AGEDEN herum. »Was haben Sie zu berichten, Jakkat?«

Der Arkonide warf der Menschenfrau einen zögerlichen Blick zu.

»Sprechen Sie frei, Jakkat. Mia genießt mein Vertrauen.«

»Selbstverständlich, Reekha. – Es haben sich einige bedeutende Neuigkeiten ergeben. Erstens: Wir haben aufgeklärt, wie ein menschlicher Kommandotrupp sich an Bord hat schmuggeln können. Die Menschen müssen sich die Wasserversorgung der AGEDEN auf dem Raumhafen Baikonur zunutze gemacht haben. So sind sie ohne die Hilfe technischer Geräte in den Leitungen geschwommen.«

»Wie das?«

»Möglich war das durch künstliche rote Blutkörperchen, die sie sich injiziert haben. Dies hat es ihnen erlaubt, stundenlang mit einem Atemzug auszukommen.«

Chetzkel verzog sein Schlangengesicht zu einer zweifelnden Miene.

»Das ist bestätigt durch Aussagen von Gefangenen wie durch unsere Analysen«, beeilte sich Jakkat zu versichern.

»Woher haben die Menschen diese Blutkörperchen?«, fragte Chetzkel weiter. »Ihre Technologie ist viel zu primitiv, als dass sie sie entwickeln könnten.«

Jakkat fuhr sich nervös mit der Hand über die Hosennaht. »Soweit ich das beurteilen kann, sind sie eine Eigenentwicklung. Das ist ungewöhnlich, aber nicht so ungewöhnlich, wie man vermuten sollte. Es gibt in jeder Kultur einzelne technische und wissenschaftliche Ausreißer, die sich nicht erklären lassen. Nach unten und nach oben. Lücken – oder eben auch Spitzenleistungen wie diese.«

»Sehr unwahrscheinlich, das müssen Sie zugeben. Aber schön – nicht unmöglich. Ich vertraue Ihrem Beurteilungsvermögen, Jakkat. Sehen Sie zu, dass wir diese Spitzenleistung verwertbar mit nach Arkon nehmen können.«

Jakkat beugte bejahend den Kopf. Als er aufblickte, sah er Chetzkels ungeduldigen Blick auf sich gerichtet. Hastig fuhr er fort: »Zweitens: Die Explosion, die die AGEDEN um ein Haar zerstört hätte, als sie in der Schlacht mit der Terranischen Flotte das Feuer eröffnete.«

»Haben Sie dafür eine weniger unwahrscheinliche Erklärung, Jakkat?«

»Sie wurde durch einen Software-Trojaner ausgelöst, den man auf die Bordrechner der AGEDEN eingespielt hat. Der Algorithmus hat versucht, sich selbst zu löschen, aber in einem Backupspeicher, der bei der Explosion teilweise vernichtet wurde, fanden wir eine Kopie.«

»Einen Software-Trojaner?« Chetzkel ergriff die Weinflasche und wollte sich nachschenken, aber die Flasche war leer. Unwirsch stellte er sie auf die Essplatte zurück. »Das nennen Sie weniger unwahrscheinlich? Wie soll das möglich sein? Die Computertechnologie der Menschen hinkt der unseren um mehrere Größenordnungen hinterher. Ein zweiter Ausreißer?«

Jakkat verneinte vehement. »Auf keinen Fall, Reekha, jedenfalls meiner Meinung nach. Ich halte eine andere Möglichkeit für weit wahrscheinlicher.« Der Chefingenieur senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Der Trojaner wurde nicht von Menschen geschrieben und eingeschleust.« Er hielt kurz inne, funkelte Mia an, als trüge sie allein Schuld an allem. Dann rückte er mit der niederschmetternden Wahrheit heraus: »Sondern von Arkoniden.«

»Von Arkoniden ...?«

Chetzkel war sofort klar, wer allein dafür infrage kommen könnte.

Und kaum hatte er es gedacht, füllte sich das Holofeld über dem Esstisch erneut. Evshra Schantools Kopf verneigte sich ehrerbietig. »Fürsorger Satrak besteht darauf, Sie zu sprechen, Reekha. Sofort!«

Wie passend, dachte Chetzkel spöttisch. Seine gute Laune stellte sich wieder ein. Kaum denkt man an den Teufel, klopft der auch schon an. Sagen das die Menschen in ihrem Primitivglauben nicht so?

4.

Orome Tschato

Warum lasse ich mich auf ein solches Risiko ein?

Tief im Herzen kannte er die Antwort. Die bisherige Untätigkeit machte ihn verrückt. Dem drohenden Ende tatenlos entgegenzustarren, ohne ihm aktiv entgegenzuwirken, war schlimmer als jedes Risiko. Lieber wurde er bei einem Ausbruch geschnappt, auch in einem ehrenvollen Kampf für die Freiheit getötet, als sich in den letzten Augenblicken seines Lebens mit dem Vorwurf quälen zu müssen, nichts zu ihrer Rettung unternommen zu haben. Dieser Grundhaltung verdankte er die Schussverletzung, die er sich in der Zentrale der AGEDEN zugezogen hatte; er war bereit gewesen, sich für die fliehenden Kameraden von Free Earth im Kampf zu opfern, um ihren Rückzug zu decken.

Es war anders gekommen.

Tschato fragte sich, was wohl aus Julian Tifflor und Mildred Orsons geworden war. Die beiden hatten ihm vor dem Angriff auf die Zentrale das Leben gerettet, als die künstlichen roten Blutkörperchen in seinem Körper versagt hatten. Ohne ihre rasche Hilfe wäre Tschato erstickt.

Julian und Mildred war es gelungen, aus der Zentrale zu fliehen. Aber er hatte sie nirgends unter den Gefangenen finden können. Das ließ nur einen Schluss zu: Die beiden waren tot. Auch wenn Tschato das nicht wahrhaben wollte. Noch nicht.

Das schwere Schott fuhr zischend zu. Die Verriegelungen rasteten ein. Schlagartig waren die leisen Betriebsgeräusche der sich zurückziehenden Roboter nicht mehr zu hören.

Tschato trank seinen Becher aus und wusste plötzlich nicht, wohin damit.

»Geben Sie mir die Dinger!« Die schlanke Eruchin nahm zuerst Keitheas Trinkgefäß entgegen, dann das von Moncadas und sein eigenes.

»Danke«, sagte Tschato. »Remesta, richtig?«

»Remesta Karunga.« Ihre kurzen weißen Haare irritierten ihn. Aber was ihn umhaute, war ihr Nachname. Karunga war der Name des männlich-weiblichen Gottes, an den zu glauben er als Kind im Buschdorf gelernt hatte. Der Große Karunga, der mal als Mann, dann wieder als Frau wirkte, der Erschaffer des Landes, die Hüterin der Wüsten und Regenwälder, der Savannen, Flüsse, Seen und Berge, die schwarze Gottgöttin der Menschen, Tiere und Pflanzen. Karunga beschützte die Menschen vor Dürren und vor dem bösen Treiben der Shadipinyi, der Dämonen, wobei ihm die Himmelskörper halfen. Die Himmelskörper ... Tschatos Gedanken überschlugen sich. »Wie bitte? Sie heißen – Karunga?«

»Ja.« Irritiert trat sie einen Schritt zurück. »Stimmt was nicht damit? Es ist ein auf Eruchin weitverbreiteter Name.«

Ist das ein Zufall? Ist es denkbar, dass ... »War Ihr Volk jemals auf der Erde?«, fragte er.

»Davon weiß ich nichts. Aber viele Eruchin verrichteten schon immer ihren Dienst in der Imperiumsflotte, und die kommt bekanntlich weit herum. Weshalb fragen Sie?«

Tschato winkte ab. »Ist nur so ein vager Gedanke.«

»Sind Sie jetzt fertig?«, fragte Keithea mit leicht gereiztem Unterton.

»Aber ja.« Remesta Karunga stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Keithea zum Abschied auf die Wange.

Verstehe. Das erklärt den Unterton.

»Passen Sie gut auf meinen Becher auf!« Er folgte dem Eruchin und dem Mutanten.

Am Innenschott hielt Moncadas beide Hände an die Seitenverkleidung der großen Türöffnung. »Sind Sie bereit?«

Nicken.

»Was tun wir, wenn die Kampfroboter noch dort draußen stehen?«, fragte Tschato.

»Das werden sie nicht«, behauptete Keithea. »Falls sie keine Sonderbefehle erhalten haben, werden sie nur aktiv, sobald sie gebraucht werden. Eine geschlossene Stahlwand zu bewachen, ist im Sinne der Programmierung sinnlos, zumal die Gänge sicherlich mit Schirmfeldern versperrt sind. Die Robots werden sich in ihre Bereitschaftskammern zurückgezogen haben.«

Moncadas schloss die Augen. »Dann aufgepasst.«

Was er mit seinen Mutantensinnen tat, entzog sich Tschatos Vorstellungskraft. Auf irgendeine unverständliche Weise beeinflusste er die Datenströme in der Zugangskontrolle. Winzige Schweißperlen bedeckten schon nach Sekunden die Stirn des Weißgekleideten – und das Schott fuhr auf.

»Et voilà«, sagte Moncadas.

Der Gang mit seiner T-Kreuzung lag verlassen da.

Sie traten vorsichtig hinaus. Das Schott schloss sich selbsttätig und rastete hörbar ein.

In einer Entfernung von jeweils zwanzig Metern flimmerte in allen drei Gangeinmündungen die Luft.

»Schirmfelder«, sagte Keithea lakonisch. »Genau wie ich es sagte.«

»Wohin jetzt?« Es gab Orientierungstafeln an der Kreuzung, aber Tschatos Kenntnisse der arkonidischen Schrift waren rudimentär. Was er mit Mühe entzifferte, war der Name VEARAN ganz oben. Der Rest war für ihn unleserlich.

»Die energetisch auffälligen Schiffsregionen liegen geradeaus«, sagte Moncadas.

»Dieser Gang führt uns tief in den Schiffsbauch hinein.« Keithea schüttelte den Kopf. »Sind Sie sich sicher, nicht die Fusionsmeiler und Antriebsblöcke geortet zu haben? Die liegen nämlich genau voraus.«

»Ich bin mir sicher. Die mit unserer Sektion vergleichbaren Energiemuster liegen hinter den völlig anders gearteten Maschinendecks.«

»Dennoch rate ich davon ab, den vermeintlich kürzesten Weg quer durch die VEARAN zu wählen. Das hieße, quer durch die Strukturfeldkonverter des Transitionsantriebs zu marschieren, die den Großteil des Volumens beanspruchen. Da gibt es nur einige wenige Durchgänge – und das ist damit zu riskant, weil wir eher anderen begegnen. Wir müssen die Maschinenräume deshalb umgehen, da ist kein sicheres Durchkommen.«

»Was dann?«

»Der Umweg ist oft der schnellste Weg. Dieser Querkorridor hier ist nicht gerade, obwohl es so aussieht. In Wahrheit ist es einer der äußeren Rundkorridore, die das gesamte Schiff jenseits der peripheren Lagerhallen umrunden. Wir haben Glück und sind nicht nahe des Ringwulstes untergebracht, sondern zweihundert Meter über der unteren Polschleuse. Über uns liegen die Beiboothangars. Ob wir nach rechts oder links gehen, ist egal.«

»Ist es nicht«, widersprach Moncadas. »Ich spüre eine erhöhte Betriebsamkeit auf der rechten Seite. Roboter womöglich.«

»Dann nach links.«

Der Mutant ging los. Vor dem senkrechten Schirmfeld blieb er stehen. »Kodesperren«, murmelte er. »Aber mit Notfallüberbrückung – wie nett.« Er kniete sich hin und legte die Hände diesmal auf den Boden des Gangs, nicht an eine der Wände.

Das Schirmfeld erlosch. Sie traten über die eben noch unpassierbare Grenze. Hinter ihnen flammte das Absperrfeld wieder auf.

»Weiter!«, drängte Tschato.

»Eilen wir mit Weile, mein Freund.« Keithea grinste plötzlich und deutete nach etwa vierzig Metern auf eine rechts von ihnen befindliche Tür. Das Symbol daneben sagte Tschato nichts. Die Tür war nicht verschlossen und öffnete sich bei Annäherung. Ein kleinerer Lagerraum, vollgestopft mit irgendwelchen technischen Gerätschaften. Der Eruchin schob sie hinein, orientierte sich und machte sich dann an den Wandhalterungen zu schaffen. Er nahm drei handgroße, flache Gegenstände heraus. Zwei davon hielt er seinen Begleitern hin.

»Was ist das?«, fragte Moncadas.

»Spiegelfeld-Generatoren. Sogar die Expeditionsausführung, gedacht für die Erkundung bewohnter Primitivwelten.« Keithea grinste um zwei Größenordnungen breiter. »Sie sind frei justierbar. Ab jetzt sind wir zumindest optisch reinrassige Besatzungsmitglieder. Warten Sie, ich stelle sie für Sie ein.«

Wenige Minuten danach erfassten die Optiken möglicher Überwachungssysteme lediglich drei hochgewachsene Arkoniden in Flottenuniformen, die mit forschen Schritten und wehenden schulterlangen Haaren dem Verlauf des Rundkorridors folgten.

Bei Begegnungen mit echtem Bordpersonal redete Keithea auf seine Begleiter ein, plapperte auf Arkonidisch mit Fachbegriffen über Dienstplaneinzelheiten, die nur eines zum Ziel hatten – die anderen davon abzuhalten, sich in ihr Gespräch einzumischen. Sie grüßten knapp, schritten stur aus, als erwarte sie jemand dringend an ihrem Bestimmungsort, und die Taktik ging auf. Niemand aus der Besatzung sprach sie an oder hielt die offensichtlich auf ein bedenkliches Problem konzentrierten drei Essoya auf.

Bis sie auf eine Robotkontrolle stießen. Vor ihnen versperrte ein neues Schirmfeld den Gang, davor sicherte ein Kampfroboter den Korridor. Seine Waffenarme wiesen nach außen, vom Schirmfeld fort. Offenbar sollte er nicht die Naat-Gefangenen bewachen, sondern jeden unbefugten Zutritt zu ihnen verhindern.

»Bitte benutzen Sie das höher gelegene Hangardeck«, schnarrte er, als sie vor ihm hielten. »Das Passieren dieses Durchgangs ist temporär untersagt.«

»Nicht für uns«, behauptete Tschato. Sein Translator lieferte akzentfreies Arkonidisch.

»Nicht ohne Legitimation«, konterte der Robot. »Bitte identifizieren Sie sich.«