Perry Rhodan-Paket 19: Die Kosmischen Burgen (Teil 1) -  - E-Book

Perry Rhodan-Paket 19: Die Kosmischen Burgen (Teil 1) E-Book

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Beschreibung

Um die Materiequelle zu finden, die durch den Missbrauch der PAN-THAU-RA zu einer Gefahr geworden ist, müssen Perry Rhodan und seine Gefährten die in Mikrouniversen verborgenen Kosmischen Burgen der Sieben Mächtigen aufsuchen. Zuletzt kann Perry Rhodan die Superintelligenz ES retten, die in eine Materiesenke gestürzt ist. Atlan tritt seine lange Reise zu den Kosmokraten an, die hinter den Materiequellen residieren. In der Zwischenzeit bedroht der machthungrige Mutant Boyt Margor die Milchstraße, und im galaktischen Zentrum erwacht eine alte Anlage der Ritter der Tiefe zu neuem Leben. In dem Wahn, die längst verschwundenen Horden von Garbesch bekämpfen zu müssen, gehen ihre Orbiter gegen die Terraner vor.

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Seitenzahl: 6376

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Nr. 900

Laire

Der Roboter des Mächtigen manipuliert ein Sternenreich

von WILLIAM VOLTZ

In der Galaxis Algstogermaht, dem gegenwärtigen Aufenthaltsort der SOL und der BASIS, sind die meisten Besatzungsmitglieder der beiden Raumgiganten zum Warten verurteilt – zum Warten auf die Rückkehr Perry Rhodans und seines 300-köpfigen Einsatzkommandos.

Jetzt, gegen Ende November des Jahres 3586, halten sich Perry Rhodan und seine Leute schon seit geraumer Zeit in der PAN-THAU-RA auf, dem zweckentfremdeten Sporenschiff des ehemaligen Mächtigen Bardioc.

Es ist den Terranern inzwischen nach schweren Kämpfen mit den Ansken und anderen Wesen gelungen, zur Zentrale der PAN-THAU-RA vorzustoßen – wobei selbst der »Orkan im Hyperraum« sie nicht nennenswert hindern konnte.

Perry Rhodan und seine Leute haben somit die Aufgabe erfüllt, die das LARD, das ehemals nicht nur Quostoht, sondern das gesamte Sporenschiff beherrschte, ihnen gestellt hat.

Aber wer oder was ist das LARD? – Perry Rhodan und seine Gefährten erfahren eine Geschichte, die sie sich selbst in ihren kühnsten Träumen und bei lebhaftester Phantasie nicht haben vorstellen können.

Sie erfahren eine Geschichte, die in fernster Vergangenheit beginnt und wahrhaft kosmische Dimensionen annimmt. Es ist die Geschichte des Roboters LAIRE ...

Die Hauptpersonen des Romans

Laire – Roboter der Mächtigen.

Tork – Ein Roboter, der Laire verrät.

Kumor Ranz und Brozon Halv – Zwei Loower, die Laires Hyperauge rauben.

Brener Scul – Ein Anske der Laire überlistete.

Perry Rhodan

Bilder aus der Vergangenheit

Der Raum spie sie an einer Stelle aus, an der die Sonnen so dicht standen, dass sie nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren, sondern einen mächtigen Wirbel aus Licht bildeten, einen farbenprächtigen Pulk, der auf den Bildschirmen der GOLSERZUR wie eine Sonne aussah und so grell leuchtete, dass der loowerischen Besatzung die Augen schmerzten. Die Gravitation in diesem Gebiet war so gewaltig wie in der Nähe eines der geheimnisvollen Schwarzen Löcher, und sie griff so heftig nach dem Schiff, dass es unmittelbar nach seiner Materialisation zu vibrieren begann.

Die Raumfahrer der GOLSERZUR reagierten auf die äußeren Umstände so kaltblütig, wie man es aufgrund ihrer speziellen Ausbildung erwarten durfte, nicht umsonst galten sie als die hartgesottensten und unerschrockensten der loowerischen Hauptflotte.

Kommandant Kumor Ranz ließ alle Triebwerke abschalten und leitete die verfügbaren Energien in die Schutzschirme. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die GOLSERZUR wieder zur Ruhe kam. So hing sie im Raum, eine mit zwei so dünnen äußeren Häuten ausgerüstete Blase, dass man dem Leben in ihrem Innern kaum eine Chance einzuräumen bereit war. Und doch hatte die Blase dieses Leben über eine unermessliche Entfernung hinweg hierher getragen.

Ranz saß aufgerichtet vor den Kontrollen, seine Aufmerksamkeit hatte die kühle Sachlichkeit einer Maschine. Man konnte sich nicht vorstellen, dass er einmal die Übersicht verlieren oder einen Gefühlsausbruch erleiden würde.

Kumor Ranz war von unbestimmbarem Alter, und die Gerüchte, dass er ein verbannter Türmer sein könnte, wollten nicht verstummen.

Unbeteiligt nahm Ranz die Meldungen der einzelnen Sektionen entgegen, er zeigte auch keine Anzeichen von Betroffenheit, als man ihm berichtete, dass die meisten Triebwerke ausgebrannt und funktionsunfähig waren. Niemand hatte erwarten können, dass die GOLSERZUR diese unglaubliche Serie von Großtransitionen unbeschadet überstehen würde, aber kein Besatzungsmitglied hatte zu Beginn des Unternehmens befürchtet, dass sie als Wrack am Ziel ankommen würde.

Der Flug zurück, dachte Brozon Halv, der loowerische Waffenschmied von Gaigstor, würde eine Sache sein, bei der es in jedem einzelnen Augenblick um Leben und Tod ging.

Brozon Halv war durch einen Zufall zu dieser Expedition gestoßen, denn sie hatte der Teilnahme eines Waffenschmieds nicht bedurft. Unmittelbar vor dem Start war jedoch einer der Reparaturspezialisten ausgefallen und Halv war eingesprungen. Der Loower von Gaigstor, einer kleinen und unbedeutenden Welt in Schwarmstart, wurde von den anderen ein bisschen über die Schulter hinweg angesehen, denn er verfügte als einziges Besatzungsmitglied nicht über eine Spezialausbildung. Halv, der diese Haltung nur allzu deutlich spürte, war entschlossen, es den anderen zu zeigen.

»Glaubst du, dass wir hier richtig sind?«, fragte in diesem Augenblick der Stellvertretende Kommandant, Nisor Kuhn, und unterbrach damit die Gedanken des Waffenschmieds.

In Ranz' Gesicht wetterleuchtete es, diese starre Maske aus einer Summe von Erfahrungen und äußerster Beherrschung glänzte im Widerschein der Bildschirme wie poliertes Metall.

»Die Koordinaten wurden von den Robotsonden und den Scouts mit einer noch niemals dagewesenen Sorgfalt zusammengetragen«, erwiderte der Kommandant. »Kein Zweifel – es ist hier!«

Halv starrte auf die wirbelnden Sonnenmassen hinaus, und ein Schaudern überlief ihn. Er dachte an die Scouts, die unter Einsatz ihres Lebens die Sonden mit Informationen gefüttert hatten. Keiner dieser Scouts war je zurückgekehrt, dort draußen war ihr Leben erloschen; sobald ihre winzigen Schiffe keine Energien mehr besessen hatten, waren sie in die Sonnen gestürzt, mikroskopisch kleine Ascheflocken in unerträglicher Einsamkeit. Aber ihr Einsatz war nicht nutzlos gewesen. In unermüdlicher Kleinarbeit hatten sie alle nötigen Daten zusammengetragen. Und trotzdem hätten sie wahrscheinlich versagt, wenn ihnen nicht in der Gestalt des konischen Torks ein unschätzbarer Helfer entstanden wäre. Ob der konische Tork seinen Besitzer aus Naivität oder Wichtigtuerei heraus verraten hatte, war schwer abzuschätzen, aber die Beantwortung dieser Frage war letztlich auch bedeutungslos.

»Ich kann diese Ebene nicht sehen«, sagte Vruder Tink, einer der Ortungsspezialisten.

»Wir sind noch zu weit davon entfernt«, gab Ranz zurück.

An Bord der GOLSERZUR hielten sich sechsundneunzig Besatzungsmitglieder auf, aber nur sieben von ihnen würden hinüber zu der Ebene gehen – und Brozon Halv würde einer der sieben sein. Während des Fluges waren die Anpassungsfähigkeiten aller Kandidaten pausenlos getestet worden, und Halv gehörte seit dem Abschluss dieser Experimente zu den Auserwählten. Er, Kommandant Ranz und die fünf Loower Moden Sulk, Vahrden Ol, Kinert Gahn, Sylo Folg und Maner Huhm.

Nachdem die GOLSERZUR endgültig stabilisiert war, nahm sie langsam wieder Fahrt auf. Ranz manövrierte dieses Schiff mit einem Geschick, als wäre er ein Teil davon. Eigentlich war es Wahnsinn, dass der Kommandant mit zur Ebene gehen sollte, denn wer außer ihm sollte die GOLSERZUR zurückbringen? Aber Ranz besaß eben viele überragende Fähigkeiten, so dass man sich entschlossen hatte, das Risiko, dass er nicht mehr von der Ebene zurückkommen würde, einzugehen.

Vielleicht finden wir alle sieben den Tod!, dachte Halv entsetzt.

Das wäre gleichbedeutend mit einem Scheitern der Mission gewesen, denn sie würden keine zweite Chance bekommen. Wenn sie den Roboter überlisten wollten, musste dies beim ersten Mal geschehen.

Halv versuchte, sich in allen Einzelheiten an die Umstände zu erinnern, durch die es zu dieser Expedition gekommen war, aber es gelang ihm nicht völlig. Gaigstor war eine Welt, an der wichtige Entwicklungen vorbeigingen, ein verschwiegener kleiner Planet, auf dem viele Loower nicht einmal wussten, dass sie zu einem Volk gehörten, das einen Schwarm erbaut hatte.

Durch intensive Nachforschungen hatten die Loower herausgefunden, dass fast alle Völker, die von geheimnisvollen Mächten zum Bau eines Schwarms gebracht worden waren, früher oder später degenerierten und in Bedeutungslosigkeit versanken. Die Loower ahnten, dass sie der Zufall vor einer ähnlichen Entwicklung gerettet hatte. Früher oder später musste den Mächten von jenseits der Materiequellen bekannt werden, dass die Loower eine blühende Zivilisation entwickelt hatten. Dann war damit zu rechnen, dass sie der ausgebliebenen rückläufigen Entwicklung gewaltsam nachhelfen würden. Um sich vor solchen Maßnahmen zu schützen, hatten die Loower beschlossen, den Unbekannten zuvorzukommen. Dazu mussten sie eine Materiequelle durchdringen, um einen Präventivschlag in jenem Bereich zu führen, der als Ursprungsort der geheimnisvollen Mächte galt. Bisher waren alle Versuche der Loower, eine Materiequelle zu finden und zu durchdringen, kläglich gescheitert. Sie besaßen dazu nicht die richtige Ausrüstung, den »passenden Schlüssel«, wie Kumor Ranz treffend gesagt hatte.

Nun waren sie in diesen Raumsektor gekommen, um sich diesen Schlüssel zu beschaffen.

»Da ist sie!«, drang Kumor Ranz' Stimme in seine Gedanken.

Halv blickte auf und ließ seine Blicke über die Bildschirme schweifen. Nur auf einem davon war die Ebene zu sehen, ein winziges, aber aufgrund seiner Position erstaunliches Objekt. Vermutlich hatten die Erbauer der Ebene diese Stelle aus Sicherheitsgründen gewählt. Es war undenkbar, dass irgend jemand aus Zufall die Ebene entdeckte, die drohenden Sonnenmassen würden jeden halbwegs vernünftigen Raumfahrer veranlassen, sofort einen anderen Kurs einzuschlagen.

Die loowerischen Raumfahrer, die sich in der Zentrale aufhielten, drängten sich nun hinter den Sitzen von Ranz und Kuhn zusammen, um einen Blick auf die Ebene zu werfen. Hunderte von Scouts hatten ihr Leben geopfert, um herauszufinden, was auf dieser Ebene dort vorging, und ohne ihr zufälliges Zusammentreffen mit dem konischen Tork, der in Abwesenheit des Roboters Zusammenhänge ausgeplaudert hatte, wäre ihr Einsatz wahrscheinlich sinnlos geblieben.

Die Ebene war nicht mehr als ein leuchtender Balken auf einem Bildschirm, eine flackernde Linie, die sich nur zögernd stabilisierte und der man ihre geschichtliche Bedeutung nicht ansah. Trotzdem reichte etwas von der Ebene bis zum Schiff der Loower herüber, der Hauch einer schicksalsträchtigen Einrichtung und der Pulsschlag unaussprechlicher Fremdartigkeit.

»Da ist sie!«, wiederholte Kumor Ranz. »Der Treffpunkt der Mächtigen!«

Brozon Halv wusste, dass die Mächtigen, die die Loower zum Bau eines Schwarms veranlasst hatten, nicht mehr existierten. Sie waren von den Unbekannten jenseits der Materiequellen abgezogen worden, ohne dass Näheres über ihr Schicksal bekannt geworden war. In zeitlichen Abständen, die so groß waren, dass Halv sie kaum zu erfassen vermochte, wurden die Mächtigen immer wieder gegen neue Gruppen ausgetauscht, vermutlich deshalb, weil sie nach mehreren Aufträgen innerlich zusammenbrachen.

Die Ankunft einer neuen Gruppe von Mächtigen stand unmittelbar bevor, das hatten die loowerischen Scouts von dem konischen Tork erfahren, und diese Informationen hatten sie mit Hilfe der Robotsonden an das Volk der Loower weitergegeben.

Sieben Mächtige sollten in absehbarer Zeit auf der Ebene erscheinen. Sie würden die gleichen Aufgaben übernehmen wie ihre Vorgänger: Mit gigantischen Sporenschiffen Lebenskeime in den verlassensten Bereichen des Universums ausstreuen und Schwärme bauen lassen, die das aufblühende Leben mit Intelligenz ausrüsteten.

Kumor Ranz brachte die GOLSERZUR zum Stillstand. Die Ebene war inzwischen ein bisschen größer geworden und auch auf anderen Bildschirmen zu sehen. Sie lag unter den wirbelnden Sonnenmassen wie ein abgeräumtes Tablett, eine funkelnde Fläche von überwältigender Leere und Einsamkeit.

Kumor Ranz schaltete den Schiffsfunk ein und stellte eine Verbindung zum Haupthangar der GOLSERZUR her.

»Macht das Beiboot startbereit!«, befahl er den Technikern. »Wir brechen in einer Stunde auf.«

Der Waffenschmied erbebte. Er wusste nicht warum, aber während des ganzen Fluges hatte er eigentlich nie damit gerechnet, dass es tatsächlich zu diesem irrsinnigen Einsatz kommen würde. Auch jetzt hatte er den Eindruck vollkommener Unwirklichkeit, er konnte sich nicht vorstellen, dass er in einer Stunde zusammen mit Kommandant Ranz und fünf anderen Loowern zur Ebene fliegen würde.

Ranz verließ seinen bevorzugten Platz an den Kontrollen und überließ ihn Nisor Kuhn. Auch Kuhn war zweifellos ein Mann mit überragenden Fähigkeiten, aber gemessen an Ranz war er ein Dilettant, eine blasse Persönlichkeit, die durch äußere Umstände hochgespült worden war und eines Tages verschwinden würde, ohne eine Spur zu hinterlassen. Ranz dagegen würde man nicht vergessen, solange es Loower gab und dies nicht nur, weil dieses Unternehmen seinen Namen trug und die »Ranz-Expedition« genannt wurde.

Ranz legte Kuhn einen Tentakel auf die Schulter.

»Falls ich nicht zurückkommen sollte, wirst du die GOLSERZUR zurückbringen«, sagte er. Niemand kam auf die Idee, darin eine kameradschaftliche Ermunterung zu sehen, es war ein Befehl, weiter nichts.

»Alle Ausgewählten begeben sich in den Hangar!«, ordnete der Kommandant an.

Halv starrte die anderen an, als hoffte er, dass sich Stimmen des Protests erhoben, um diesem Wahnsinn noch rechtzeitig ein Ende zu bereiten. Doch sie wichen seinen Blicken aus und wenn sie ihn ansahen, taten sie es auf eine seltsame Art und Weise. So schaut man Todgeweihte an!, kam es dem Waffenschmied in den Sinn.

Kumor Ranz würde die Zentrale als letzter verlassen, aber auch nach seinem Abgang würde er den anderen stets bewusst bleiben, der Druck seiner Persönlichkeit würde auf diesem Schiff lasten, bis es eines Tages zerfiel – die GOLSERZUR war ein Ranz-Schiff.

Brozon Halv schloss sich Vahrden Ol an, der jetzt die Zentrale verließ. Ol war ein schmächtiger Loower mit einem trainierten Gedächtnis, das ihm erlaubte, bei Bedarf Daten hervorzusprudeln wie eine Rechenanlage.

»Hast du Angst?«, fragte Vahrden Ol.

Halv blickte in den langen Korridor hinein, der sich zum Ende hin zu verengen schien. Ein Gefühl, als müsste er jeden Augenblick ersticken, machte sich in ihm breit.

»Panische Angst«, gab er zu.

Ol nickte zustimmend und sagte: »Eigentlich ist es bedauerlich, dass wir nicht mehr voneinander wissen, du, die fünf anderen und ich. Wir haben uns nie richtig kennen gelernt, obwohl wir während des gesamten Fluges häufig zusammen waren.«

»Es war einfach keine Zeit dazu«, meinte der Waffenschmied. »Die Ausbildung ließ uns keine Gelegenheit dazu.«

»Wie leben die Loower in Schwarmstart?«, fragte Ol.

»Nicht anders als alle anderen«, erwiderte Halv. »Was macht das für einen Unterschied, ob man dort lebt, wo der Schwarm seine lange Reise begonnen hat oder in einem Gebiet, wo er später einmal vorbeigekommen ist? Bei uns ist alles etwas ruhiger und älter, das ist alles.«

»Ich stamme von Loowern ab, die den Schwarm auf der ersten Etappe seines Fluges begleiteten«, sagte Ol verträumt. »Später gaben meine Vorfahren ihre Stellung an jene Wesen ab, die von den Mächtigen als Wächter des Schwarmes ausgewählt worden waren.«

»Wieviel Schwärme mag es geben?«, überlegte der Waffenschmied.

»Niemand weiß das! Aber es sieht so aus, als sollten die Sporenschiffe bald wieder aufbrechen. Dann wird auch ein neuer Schwarm geschaffen werden.«

»Wer wirst du sein?«, erkundigte sich Halv.

»Lorvorc«, erwiderte Ol. »Und du?«

»Ich werde Bardioc sein«, antwortete Halv.

»Ob der Roboter darauf hereinfällt?«

»Ich weiß nicht«, gab Halv zurück. »Wenn wir den Informationen, die der konische Tork unseren Scouts geliefert hat, trauen können, kennt der Roboter nur die Namen der sieben Mächtigen, die bald auf der Ebene ankommen werden. Er hat sie niemals zuvor gesehen. Das ist unsere Chance.«

Vor dem Antigravschacht trafen sie mit Sylo Folg zusammen.

»Hallo!«, sagte Ol. »Hallo, Murcon!«

»Lass das!«, fuhr Folg ihn an. »Ich mag solche Scherze nicht. Wir sollten unsere Namen beibehalten, solange es nur möglich ist.«

Ol entschuldigte sich.

Sie glitten mit ausgebreiteten Häuten zum Hangar hinab, wo sie von einer Gruppe aufgeregter Techniker empfangen wurden. Die Techniker befanden sich im Stress und hatten keine Zeit, sich über das Schicksal der sieben Einsatzteilnehmer Gedanken zu machen. Deshalb waren ihre Blicke nicht so inhaltsschwanger wie die der Loower in der Zentrale.

Durch die offene Schleuse konnte Halv das Beiboot sehen, eine kompakte Masse aus blauem Stahl. Die Panzerungen waren so dick, dass ihre Wülste wie Fettlappen über die offene Luke reichten. Die wenigen Fenster waren so winzig, dass sie wie Einstiche aussahen, die an den Rändern geschwollen waren.

Wieder vermochte Halv nicht, sich vorzustellen, dass er sich dort aufhalten würde, in einem Zustand, der dem des lebendig Begrabenseins erheblich nahe kam.

Die Techniker schleppten die Ausrüstung für die sieben Einsatzteilnehmer heran und stapelten sie vor der Einstiegluke des Beiboots auf. Vom Eingang auf der anderen Seite des Hangars näherten sich zwei Loower. Es waren Moden Sulk und Kinert Gahn. Sie würden Ariolc und Partoc sein, erinnerte sich Brozon Halv. Die Begrüßung zwischen den Loowern fiel denkbar knapp aus. Sie warteten vor dem Beiboot, dass Maner Huhm und der Kommandant erscheinen würden.

Halv hockte sich auf sein Ausrüstungspaket und versuchte angestrengt, so etwas wie innere Ruhe zu erreichen. Er verpasste die Ankunft von Maner Huhm, der die Rolle des Mächtigen Ganerc übernehmen sollte. Die Techniker hasteten umher, als wären alle wichtigen Arbeiten am Beiboot in diesem letzten Augenblick zusammengedrängt.

Schließlich erschien Ranz, ruhig und gelassen, als befände er sich auf einem Inspektionsrundgang durch das Schiff.

»Von nun an«, sagte er zu den sechs anderen, »werdet ihr euch daran gewöhnen müssen, mich Kemoauc zu nennen.«

Er packte sein Ausrüstungsbündel und schleifte es hinter sich her auf die Luke des Beiboots zu. Das gepanzerte Kleinstraumschiff schien etwas von seinem bedrohlichen Aussehen zu verlieren, als reiche die Anwesenheit des Kommandanten aus, den Dingen eine andere Qualität zu verleihen. Halv tat das, was er vor wenigen Minuten noch für unmöglich gehalten hatte, nun fast mechanisch. Mit seinem Paket auf den Schultern betrat er das Beiboot. Es war so eng im Innern, dass sie nur hintereinander bis in den zentralen Raum gelangen konnten. Ranz wartete, bis sie ihre Plätze eingenommen hatten.

»Eines solltet ihr euch merken«, sagte er. »Wir werden mit diesem Schlüssel zurückkehren – oder überhaupt nicht.«

*

Die Rückkehr Laires von den Bereichen jenseits der Materiequellen zur Ebene verlief mit einer gewissen Hast, denn er wollte auf keinen Fall die Ankunft der neuen Mächtigen, die man ihm angekündigt hatte, versäumen. Die Eile, in der Laire vorging, bescherte ihm einige Probleme. Vor allem die rasche Umstellung vom linken Auge auf das rechte bereitete bei dieser Geschwindigkeit Schwierigkeiten. Jenseits der Materiequellen benötigte Laire sein linkes Auge, um sich orientieren zu können. Ohne dieses komplizierte künstliche Sinnesorgan wäre es ihm außerdem nicht möglich gewesen, die Materiequellen zu passieren, weder nach der einen, noch nach der anderen Richtung. Im Normalraum bediente er sich seines rechten Auges.

Das Verhalten im Normalraum war unkomplizierter als das im Bereich jenseits der Materiequellen, aber es dauerte einige Zeit, bis die Funktionen des linken Auges erloschen, und da Laire diesmal die notwendige Zeitspanne nicht eingehalten hatte, überlappten sich die von den Augen eingehenden Daten.

Die Folge war, dass Laire bei der Materialisation auf der Ebene alles verzerrt wahrnahm und unter postoptischen Effekten aus dem jenseitigen Bereich litt. Er blieb einfach stehen und wartete, dass diese lästigen Begleiterscheinungen abklangen.

Er hörte, dass sich irgend etwas näherte und wandte sich, immer noch halb blind, in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.

»Sei gegrüßt, Laire!«, rief eine wohlbekannte Stimme, und der Roboter sah die Konturen eines metallischen Gebildes auf sich zuschweben. »Ich bin froh, dass du zurückgekehrt bist.«

Laire rührte sich noch immer nicht, denn er wollte vermeiden, dass der konische Tork erkannte, was mit ihm los war. Dabei war es absurd, dass er sich wegen seines Anhängers Gedanken machte: Tork war wahrscheinlich nicht in der Lage, Veränderungen im Verhalten Laires wahrzunehmen. Laires Einstellung zu dem konischen Tork war zwiespältig, so sehr er ihn als brauchbaren Diener schätzte, so sehr waren ihm die unkomplizierten Denkvorgänge seines Anhängers verhasst.

Der konische Tork war etwa einen Meter hoch und besaß die Form eines Trichters. Er bestand aus dem gleichen dunkelbraunen Metall wie Laire, war aber ungleich schwerfälliger und besaß nicht den Bruchteil von dessen hochwertigen Anlagen. Tork wäre nie fähig gewesen, diese Ebene zu verlassen.

Laire registrierte zufrieden, dass das linke Auge allmählich zur Ruhe kam.

»Hat sich irgend etwas ereignet?«, fragte er.

Es handelte sich um eine routinemäßige Frage, und Laire hörte auch kaum zu, was Tork darauf antwortete.

»Ich bringe Neuigkeiten mit«, sagte er zu dem konischen Tork. »Die Mächtigen, die die ganze Zeit über den RUF erhalten haben, sind nicht mehr einsatzfähig. Eine Gruppe von sieben Neulingen wird an ihre Stelle treten. Ihre Namen sind Kemoauc, Ganerc, Partoc, Murcon, Lorvorc, Bardioc und Ariolc. Sie werden in kosmischen Burgen wohnen, von denen aus sie vor jedem neuen Auftrag zur Ebene kommen werden.«

»Das bringt Abwechslung in unser Dasein«, freute sich der konische Tork.

»Ja«, stimmte Laire zu, obwohl er genau wusste, dass sein Anhänger nur das nachplapperte, was er von ihm aufschnappte. Doch Laires Groll gegen den kleinen Roboter war nicht allzu groß. Immerhin unterhielt ihn Tork in Zeiten der Einsamkeit.

»Hast du erfahren, warum die alten Mächtigen abgelöst wurden?«, erkundigte sich Tork.

Laire verneinte. Er hatte sich ausführlich mit dieser Frage beschäftigt, aber keine Antwort darauf gefunden. Auch jenseits der Materiequellen hatte man ihm keine Erklärungen gegeben. Für ihn genügte es, zu wissen, dass neue Mächtige auftauchen, Sporenschiffe durch das Weltall steuern und befähigte Völker zum Bau von Schwärmen animieren würden. Das war der sich ständig wiederholende Ablauf, dessen tieferer Sinn Laire verborgen blieb.

Endlich hatte Laire sich auf die Bedingungen des Normalraums eingestellt, sein rechtes Auge wurde nicht mehr durch die Komponente von der linken Seite gestört. Sofort erkannte er, dass mit dem konischen Tork irgend etwas nicht in Ordnung war. Der Anhänger machte einen veränderten Eindruck, als wäre er von irgend etwas beschmutzt worden. Laire sann über seine Feststellung nach. Er wusste, dass er in dieser Beziehung vorsichtig sein musste, denn er litt ab und zu unter so genannten »relativistischen Symptomen«. Soweit ihm bekannt war, stellte er auf robotischem Gebiet in dieser Beziehung etwas Einzigartiges dar. Das, was er an Tork zu bemängeln hatte, war nicht konkret, das hieß, es bewegte sich in einem Gebiet, auf dem Laire sich unsicher fühlte.

Er wiederholte seine eingangs gestellte Frage.

»Hat sich irgend etwas ereignet?«

»Nein«, antwortete Tork wie beim ersten Mal. Wenn er irritiert war, dass Laire nachhakte, dann zeigte er es nicht.

Laire sagte nachdenklich: »Es hat den Anschein, dass du von irgend etwas berührt worden bist!«

Sie bewegten sich nebeneinander über die Ebene, die stumpfen Außenhüllen ihrer Körper schienen das Licht der wirbelnden Sonnenmassen in sich aufzusaugen. Laire schritt leicht und lässig dahin, während Tork an seiner Seite schwebte.

»Berührt?«, echote der Anhänger.

»Vergiss es!«, befahl Laire.

Auf die Dauer war der konische Tork ein langweiliger Unterhalter. Vielleicht würde Laire, wenn er zum nächsten Mal durch die Materiequellen nach »drüben« ging, darum bitten, dass man ihm einen etwas anspruchsvolleren Partner zur Verfügung stellte.

Er konnte nicht ahnen, dass er gerade von seinem letzten Besuch zurückgekommen war.

*

Sie hockten eng nebeneinander in den kabinenähnlichen Nischen an den Wänden in der Zentrale des Beiboots. Nur Kumor Ranz, der als Pilot fungierte, hatte einen gewissen Freiraum und konnte sich nach allen Richtungen bewegen.

Brozon Halv kauerte zusammengekrümmt da und kämpfte gegen Übelkeit und Furcht an. Wenn er sich zur Seite neigte und den Körper verrenkte, konnte er einen Ausschnitt des großen Bildschirms sehen und darauf die allmählich größer werdende Ebene. Dieses Objekt, das ihm von Bord der GOLSERZUR aus noch winzig erschienen war, entpuppte sich jetzt als Gebilde von so gewaltigen Ausmaßen, dass eine ganze Flotte loowerischer Raumschiffe darauf hätte landen können. Dieser Eindruck der Größe verstärkte noch Halvs Gefühl der Unsicherheit, obwohl ihm die Daten der Ebene durch die Berichte der Scouts längst zur Verfügung gestanden hatten. Unwillkürlich dachte er daran, wieviel Robotsonden die Loower hierher entsandt hatten. Einige tausend, erinnerte er sich, und nur ein paar Dutzend waren zurückgekommen, ausgeglüht, mit zernarbter Oberfläche und Schlackebrocken ähnlicher als flugfähigen Objekten. Aus den Datenfragmenten, die sie enthalten hatten, war schließlich ein Bild von den Vorgängen auf der Ebene entstanden. Halv dachte voller Stolz an die Scouts und die Sonden, sie stellten einen heroischen Abschnitt in der Geschichte der Loower dar.

Es gab einen Ruck und Halv wäre fast aus der Nische gekippt, wenn ihn die Klammern an seinem Anzug nicht gehalten hätten.

»Bardioc, du musst besser aufpassen!«, ermahnte ihn Ranz, aber Halv brauchte einige Zeit, um zu begreifen, dass er gemeint war.

Das Beiboot wurde von den ungeheuren Kräften der Gravitation durchgeschüttelt und unablässig mit unsichtbaren Strahlenschauern aus den Sonnen beschossen. Halv fragte sich, ob die Konstrukteure des Spezialschiffs in der Lage gewesen waren, alle besonderen Bedingungen dieses Raumsektors beim Bau zu berücksichtigen, denn davon würde schließlich abhängen, ob die sieben Passagiere ihr Ziel erreichten.

Aber da war ja noch Ranz!, dachte Halv. Ein Mann, dem man zutrauen konnte, einen Blechkanister von der GOLSERZUR zur Ebene zu steuern.

»Beim ersten Turm, was ist mir übel!«, stöhnte Ol, der auf dem hintersten Platz saß. »Ich halte das nicht mehr lange aus.«

Wenn wir nur erst da wären!, fieberten Halvs Gedanken. Nur heraus aus diesem engen Kasten, der mich zu ersticken droht.

Dabei wusste er, dass die Probleme erst bei der Ankunft auf der Ebene beginnen würden. Gewiss, sie kannten einige Details der dortigen Umgebung aus den Informationen der Scouts, aber diese verführten nur dazu, sich ein bestimmtes Bild zu machen.

Und der Roboter?, fragte sich Brozon Halv.

Würde er sich so leicht überrumpeln lassen, wie Ranz sich das vorstellte?

Laire war ein monoider Denker, das wussten die Loower. Eigentlich seltsam, dass ein Roboter, der über zwei so gegensätzliche Instrumente verfügte, wie es die beiden Augen Laires waren, als Monoid-Denker erbaut worden war. Das ließ nur den Schluss zu, dass die Erbauer Laires ebenfalls Monoid-Denker waren.

Der Waffenschmied besaß keinen Dünkel wegen seiner Fähigkeit des entelechischen Denkens, aber er konnte nicht verhindern, dass er sich unbewusst allen Wesen überlegen fühlte, die keine zwei Bewusstseine besaßen.

Eine Welle von Übelkeit durchflutete Halv und lenkte ihn von seinen Gedanken ab, indem sie ihn zwang, sich wieder mit seinem eigenen Körper zu beschäftigen. Der Flug im Beiboot war eine Folter. Dieses kleine Schiff war so konstruiert worden, dass es einen Flug durch diesen Raumsektor überstand, ohne zerquetscht zu werden, aber man hätte bei seinem Bau daran denken sollen, dass es schließlich dazu diente, Loower zu transportieren. Auf der Ebene herrschte eine normale Gravitation, jedenfalls beinhalteten dies die Berichte der Scouts. Das war auch die einzige Chance der sieben Loower, denn der Waffenschmied konnte sich keinen Schutzanzug vorstellen, der die gravitationalen Gewalten aushalten würde, denen das Beiboot gerade ausgesetzt war.

Halv mochte nicht daran denken, unter welchen Bedingungen die Scouts gearbeitet hatten. Es war ein Wunder, dass sie auch nur ein paar Berichte durchgebracht hatten.

Der Loower fand eine Haltung, in der er sich halbwegs entspannen konnte, zumindest redete er sich das ein. Er hing so in seiner Nische, dass er den Bildschirm beobachten konnte. Die Ebene füllte diesen jetzt vollständig aus, ihre Oberfläche war so glatt und poliert wie ein Spiegel. Es war weit und breit keine Spur von Laire oder dem konischen Tork zu sehen, aber das war bei der Ausdehnung der Ebene auch nicht erstaunlich. Trotzdem spürte Halv ein Prickeln im Nacken, das Gefahr signalisierte.

Was, wenn Laire wusste, wie die sieben Mächtigen aussahen und auf welche Weise sie auf der Ebene ankommen würden?

Die Antwort auf diese Frage war einfach!

Laire würde die Annäherung des gepanzerten Kleinstraumschiffs als Angriff betrachten und die sieben Loower aus dem Raum pusten. Irgendwo in der fernen Heimat würde man ihrer gedenken, eine Zeitlang jedenfalls, und dann mit der Vorbereitung einer zweiten Expedition beginnen. Denn der Gedanke, dass sie dem unbekannten Gegner zuvorkommen mussten, ließ die Loower nicht mehr los. Ihr Denken und Handeln wurde davon bestimmt. Es war ein regelrechtes Trauma, dachte Halv.

Dabei war nie bewiesen worden, dass die Mächte von jenseits der Materiequellen etwas gegen die Loower unternehmen würden, weil diese nicht der bei Schwarmerbauern üblichen Degeneration erlegen waren. Die Loower hatten lediglich angenommen, dass man jenseits der Materiequellen nicht gern sah, wenn eine Zivilisation, die zuviel wusste, weiter aufblühte. Und aus dieser Annahme war allmählich eine Gewissheit geworden, nach der die Loower ihre Handlungen ausrichteten.

Halv seufzte unwillkürlich.

Vielleicht war alles nur ein gigantisches Missverständnis oder die Reaktion eines mit einem Minderwertigkeitskomplex behafteten Volkes. Früher hatte der Waffenschmied nie so intensiv darüber nachgedacht, vor allem hatte er die Dinge nicht auf diese Weise betrachtet. Aber hier in diesem Panzer, gequält von den Auswirkungen gravitationaler Erschütterungen, erschien ihm plötzlich alles in einem anderen Licht. Ob die anderen ähnlich dachten?

»Sobald ich mit dem Landemanöver beginne, müssten die unerträglichen Begleiterscheinungen, die während des Fluges geherrscht haben, eigentlich aufhören«, drang Ranz' Stimme durch die Stille. Auch er wusste natürlich nicht, inwieweit sie den Berichten der Scouts vertrauen konnten. »Das kann zu neuerlichen Belastungen führen, die jedoch nur kurze Zeit anhalten werden. Jetzt!«

Das kleine Schiff, das die ganze Zeit über mehr durch den Raum gestampft und geschlingert als geflogen war, sackte plötzlich ab und segelte wie eine Papierschwalbe zur Ebene hinab.

Brozon Halv hatte den Eindruck, herumzukippen und den gesamten Inhalt seines Körpers in einer explosionsartigen Eruption nach allen Richtungen auszustoßen. Es war, als würde sein Innerstes nach außen gekehrt. Er schoss aus der Nische hoch und prallte gegen die Decke. Unwillkürlich klammerte er sich am Rahmen über dem Sitz fest. Dann kam die Gegenreaktion, gemischt aus dem eigenen Beharrungsvermögen und dem von den Absorbern des Sitzes geschaffenen Andruckpolstern. Halv hatte das Gefühl, als würden ihm die Tentakel herausgerissen. Er stieß einen Schreckensruf aus und ließ den Rahmen wieder los. Er plumpste wie ein unförmiger Sack in den quietschenden Sitz und lag ruhig. Sein Atem ging stoßweise.

»Alles in Ordnung?«, fragte Kumor Ranz.

Der Waffenschmied schaute umher. Seine Artgenossen (von Ranz einmal abgesehen, der im Spezialabsorber des Pilotensitzes in Sicherheit gewesen war) hingen schlaff in ihren Nischen.

»Gut«, sagte Ranz. »Macht euch fertig zum Aussteigen!«

Mechanisch begann Halv an den Verschlüssen seines Schutzanzugs zu hantieren, obwohl er sich so elend fühlte wie niemals zuvor in seinem Leben. Er zitterte vor Schwäche und Erschöpfung. Die anderen bewegten sich scheinbar ziellos in ihren Nischen, aber am Klicken der Verschlüsse hörte man, dass sie mit ihren Anzügen beschäftigt waren.

Kumor Ranz war bereits fertig. Er kippte den Sitz zurück und wirbelte in ihm herum. In seinem Schutzanzug wirkte er wie ein fremdartiges Wesen. Der Kopfwulst war gerade noch im Helm zu sehen, ebenso die sich aufblähende Sprechblase.

»Der Automat wird uns sicher landen. Ihr werdet euch bis dahin erholt haben. Vergesst nicht, wer ihr jetzt seid! Tretet sicher und selbstbewusst auf. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir Schwierigkeiten haben oder unsicher sind.«

Moden Sulk zog sich den Helm über und fragte mühsam: »Was ist, wenn bisher alle Mächtigen ohne Schutzanzüge gekommen sind?«

Ranz erwiderte: »Wir sind die neuen Mächtigen! Wir kommen so und nicht anders, ist das klar? Laire darf nicht auf den Gedanken kommen, über das Beiboot und die Schutzanzüge nachzudenken, das wäre gleichbedeutend mit unserem Ende. Wenn er darüber nachzudenken beginnt, müssen wir ihn bereits überwältigt haben.«

Wer außer Ranz sollte das schaffen?, fragte sich Halv mit einem Blick auf seine Artgenossen, die sich jetzt aus ihren Nischen aufrappelten und in den Korridor traten. Das Beiboot setzte so sanft auf wie ein fallendes Blatt, und die Antriebsaggregate verstummten plötzlich.

Huhm, der in der hintersten Nische gehockt hatte, sah sich unverhofft in die Rolle des Anführers gedrängt, denn er befand sich dem Ausstieg am nächsten. Halv stand genau in der Mitte, eingekeilt zwischen je drei Körpern vor und hinter ihm.

Die Schleuse glitt auf und versank mit einem schmatzenden Geräusch in der Arretierung. Sollte es auf der Ebene eine Art von Atmosphäre geben oder hatte ihm sein Unterbewusstsein den Lärm des sich öffnenden Tores nur suggeriert?, fragte sich Halv. In den Berichten der Scouts war nie von einer Atmosphäre die Rede gewesen.

Von seinem Standort aus konnte Halv nur einen Fußbreit der Ebene sehen, ein glattes und im Sonnenlicht glänzendes Stück Metall.

Maner Huhm kletterte hinaus, umständlich und zögernd. Er wirkte nicht sehr überzeugend in seiner Rolle als der Mächtige Ganerc. Die anderen folgten. Als Brozon Halv an der Reihe war, gab er sich einen Ruck. Die Ebene breitete sich vor ihm aus wie ein erstarrter Ozean aus Stahl, aber weit im Hintergrund glaubte der Waffenschmied Stellen zu erkennen, die Zerstörungen aufwiesen. Das waren keine Spuren von Kämpfen, sondern Anzeichen eines einsetzenden Zerfalls. Daraus konnte man ableiten, dass diese Ebene schon unermesslich lange bestand.

Kumor Ranz betrat die Ebene zuletzt, jeder Zoll ein wirklicher Mächtiger.

»Der Lieblingsplatz des Roboters ist der Sockel der Unberührbarkeit«, sagte Ranz über den Helmfunk. »Wir wollen versuchen, diese Stelle zu finden.«

Kinert Gahn ließ sich plötzlich zu Boden sinken und begann hemmungslos zu schluchzen.

»Es geht nicht«, jammerte er. »Wir beherrschen nicht einmal diese Sprache vollkommen.«

Eine derartige Krise war absehbar gewesen, erstaunlich erschien nur, dass sie nur einen der Loower betroffen hatte. Der Kommandant ging zu Gahn und riss ihn gewaltsam hoch.

»Wir sind Mächtige, die in einem Beiboot kommen und Schutzanzüge tragen«, sagte er gelassen. »Und wir beherrschen diese Sprache nicht vollkommen.«

Er hielt Gahn solange fest, bis dieser aus eigener Kraft stehen blieb.

»Der Roboter wartet auf sieben Mächtige, Partoc«, sagte Ranz zu Kinert Gahn. »Vielleicht erinnert dich das daran, dass du für uns alle verantwortlich bist.«

»Das ist mir egal«, sagte Gahn. »Wir werden dabei umkommen.«

Ranz ließ ihn los und nickte den anderen zu.

»Tretet zur Seite«, befahl der Kommandant. »Ich werde ihn erschießen.«

Gahns Sinnesorgane bewegten sich in äußerstem Entsetzen, er wich vor Ranz zurück.

»Das wirst du nicht tun!«

»So?«, brummte Ranz. »Ich werde es tun!«

Er zog seine Waffe und richtete sie auf Gahn. Halv sah wie betäubt zu. Er überlegte, ob Ranz wirklich schießen würde. Zum Glück wurde die Entschlossenheit des Kommandanten nicht auf die Probe gestellt, denn Gahn gab nach und marschierte nach Loowerart breit und watschelnd davon.

»Gib dir Mühe!«, rief Ranz ihm nach. »Jeder Schritt muss kontrolliert wirken!«

Gahn richtete sich weiter auf, sein Bewegungsablauf wirkte jetzt wie die Karikatur eines fremdartigen Ganges. Halv war sich darüber im klaren, dass sie alle nicht viel besser aussahen, von Ranz einmal abgesehen.

Was für ein läppischer Auftritt!, dachte Halv niedergeschlagen. Aber der bittere Ernst der Situation ließ kein Gefühl von Sarkasmus in ihm aufsteigen.

Und so marschierten sie in breiter Front nebeneinander über die Ebene, Kumor Ranz (Kemoauc, wie er sich jetzt nannte) ein bisschen vor den sechs anderen.

*

Laire hielt sich zusammen mit dem konischen Tork in einem Zugang zur Halle versteckt und wartete. Er war überwältigt von einem Gefühl maßloser Enttäuschung und schwer unterdrückbarem Widerwillen.

Das waren sie also!

Sieben unförmige Gestalten in plumpen Anzügen, die in einem kleinen Raumschiff von hoffnungslos veralteter Technik auf der Ebene gelandet waren. Laire wusste, dass er früher oder später hinaustreten und die sieben Mächtigen begrüßen musste, das gehörte ganz einfach zur Zeremonie. Doch dazu musste er sich innerlich wappnen. Bisher waren die Mächtigen der verschiedensten Art in Energieblasen zur Ebene gekommen oder einfach auf ihr materialisiert. Keiner der Ankömmlinge hatte je einen Schutzanzug getragen, jedenfalls nicht derartig primitive Ausrüstungen.

Was mochte die Mächte von jenseits der Materiequellen dazu bewogen haben, von ihrer bisherigen Linie abzuweichen und diese Figuren zu schicken? Würden diese Fremden überhaupt in der Lage sein, Sporenschiffe zu fliegen?

»Wir müssen hinausgehen und sie begrüßen«, ermahnte ihn der konische Tork.

Irgend etwas an der Stimme seines Anhängers irritierte Laire, aber er war zu sehr mit der Betrachtung der sieben Gäste beschäftigt, um darauf zu achten.

»Warte noch!«, befahl Laire. »Ich muss mich erst mit ihrem Anblick vertraut machen. Oder findest du, dass sie jenen Mächtigen ähneln, mit denen wir es bisher zu tun hatten?«

»Jede Generation von Mächtigen unterscheidet sich von der vorausgegangenen«, erwiderte der konische Tork.

Wahrscheinlich war Tork nicht in der Lage, wirklich zu differenzieren, überlegte Laire. Auf jeden Fall musste er sich mit der Situation abfinden. Kemoauc und die sechs anderen durften niemals spüren, was er von ihnen hielt. Die ganze Zeit über hatte Laire auf eine Unterbrechung seiner Einsamkeit gewartet, nun hätte er gerne weiter in ihr ausgeharrt, um den Besuchern nicht entgegentreten zu müssen, denn es war mehr als zweifelhaft, dass ihr Denken und Handeln kein Spiegelbild ihres Auftritts sein würde.

Er durfte nicht vergessen, dass er nur ein Werkzeug der Mächte von jenseits der Materiequellen war. Es stand ihm nicht zu, ihre Entscheidungen zu kritisieren. Wenn sie diese Geschöpfe geschickt hatten, besaßen sie bestimmt auch einen Grund dafür.

»Nun gut«, sagte er zu dem konischen Tork. »Lass uns hinausgehen und sie willkommen heißen.«

Der Anhänger, der die ganze Zeit über gedrängt hatte, schien plötzlich zu zögern.

»Was ist?«, erkundigte sich Laire. »Sind dir mit einem Mal Bedenken gekommen?«

»Ich habe gerade überlegt, ob es nicht eine gute Idee wäre, wenn ich sie allein begrüßen würde«, sagte der konische Tork. »Du könntest später hinzukommen.«

»Was bedeutet das?«, fragte Laire.

»Nichts, nichts!«, beteuerte Tork. »Ich wollte dir nur mehr Zeit geben, dich an sie zu gewöhnen.«

Laire sah ihn nachdenklich an.

»Es ist sicher absurd«, meinte er, »aber je länger ich dich mit meinem rechten Auge betrachte, desto wahrscheinlicher kommt es mir vor, dass du aus einem Grund, den ich nicht kenne, ein schlechtes Gewissen hast.«

Tork sagte lakonisch: »Ich habe überhaupt kein Gewissen!«

»Das weiß ich, aber trotzdem ist dein Verhalten merkwürdig, so, als würdest du mir irgend etwas verheimlichen.«

»Ich bin dein Anhänger!«, rief der konische Tork entsetzt.

»Weißt du etwas über die Wesen, was mir nicht bekannt ist?«

Der konische Tork begann zu schwanken.

»Sobald ich die Mächtigen begrüßt habe, werden wir uns darüber unterhalten müssen«, kündigte der Roboter streng an. »Irgend etwas ist mit dir nicht in Ordnung. Vermutlich ist es nur eine kleine Störung, aber ich werde mich dieser Sache annehmen.«

»Ja, Laire«, hauchte Tork.

Laire verließ den Zugang zur Halle, die für die Zusammenkünfte der Mächtigen zur Ebene hinaufgefahren werden konnte, und trat ins Freie hinaus. Der konische Tork hielt sich ganz dicht hinter ihm. Die sieben Mächtigen sahen ihn sofort und blieben stehen.

»Das müssen Barbaren sein!«, stieß Laire in ohnmächtiger Wut hervor.

»Was willst du tun?«, erkundigte sich der konische Tork besorgt.

»Ich werde sie begrüßen und ihnen zu Diensten sein«, antwortete Laire. »Aber ich werde für jede Sekunde, in der ich mich nicht in ihrer Nähe aufhalten muss, dankbar sein.«

*

Natürlich hatten die Scouts versucht, in ihren Beschreibungen dem Aussehen Laires gerecht zu werden, aber keiner der von ihnen benutzten Begriffe entsprach auch nur annähernd der Wirklichkeit.

Laire war von hinreißender Vollkommenheit, so dass die Bezeichnung »Roboter« für ihn geradezu abwegig erschien.

Brozon Halv konnte nicht anders, als den Wächter der Ebene unentwegt anzustarren.

Laire war zweieinhalb Meter hoch und von ästhetischer Schlankheit. Die Ausgewogenheit seiner Konstruktion kam auf den ersten Blick vor allem im Verhältnis zwischen Körpergröße, Durchmesser des Rumpfes und in der Länge von Armen und Beinen zum Ausdruck. Laire besaß je zwei Arme und Beine. Er schien aus einem Stück geschaffen worden zu sein, wirkte aber so unglaublich beweglich und elastisch, dass Halv sich unwillkürlich fragte, aus welchem Material er bestehen mochte. Die Frage war natürlich absurd, denn der Roboter bestand zweifellos aus Stahl, aber es musste sich dabei um eine spezielle Legierung handeln, die eine besondere Weichheit besaß. Am gesamten Körper des Roboters waren keine Gelenke zu erkennen; wenn Laire sich bewegte, entstanden an den benutzten Körperteilen Falten in der offensichtlich selbsttragenden Hülle. Diese Hülle besaß auf der Außenfläche eine dunkelbraune Farbe, die kein Licht reflektierte und daher stumpf wirkte. Laire war äußerlich völlig glatt und fugenlos. Er besaß sechsfingrige, sensitiv wirkende Hände.

Die Blicke des Waffenmeisters blieben schließlich am Kopf des Roboters haften, denn dieser war zweifelsohne der wichtigste und herausragendste Körperteil. Er besaß die Form einer kurzen, dicken Birne. Vom halbrunden Kinn ausgehend, erstreckte sich die Schädelhülle immer weiter ausladend nach oben, wo sie schließlich in einer schwach gekrümmten Schädeldecke endete. Es gab schlitzförmige Andeutungen von Mund-, Nasen- und Ohrenöffnungen, aber am faszinierendsten in diesem Robotergesicht waren die beiden Augen, die wie zwei glitzernde Riesendiamanten aus ihren Höhlen hervortraten.

Brozon Halv erschauerte, als er sich daran erinnerte, dass diese beiden Augen besondere Instrumente waren.

Eines davon, das linke, gestattete seinem Besitzer, das Normaluniversum zu verlassen und durch eine Materiequelle in ein Gebiet zu gehen, in dem sich jene Mächte aufhielten, von denen die Loower sich bedroht fühlten.

Dieses Auge war der Schlüssel, um dessentwillen die sieben Loower auf die Ebene gekommen waren.

Wenn ihm das ganze Unternehmen seit Beginn unsinnig und unwirklich erschienen war, dann empfand Brozon Halv das in diesem Augenblick mit besonderer Intensität. Er wusste nicht, was ihn an diesem Platz verharren ließ, in einem Augenblick, da alles in ihm nach schneller Flucht drängte.

»Willkommen, ihr Mächtigen!«, sagte Laire mit angenehm klingender Stimme. »Ich habe euch bereits erwartet und bin bereit, euch über die Ebene zu führen und die Halle zu errichten. Eure Ankunft hat mich verwirrt, vielleicht deshalb, weil ihr alle zusammen in einem Raumschiff gekommen seid.«

Täuschte sich Brozon Halv oder schwang in der Stimme des Roboters Abscheu mit?

Der Waffenschmied wunderte sich, wie gut er die Sprache des Roboters verstehen konnte. Doch sie zu verstehen und sie zu sprechen waren zwei verschiedene Dinge, so dass die eigentliche Prüfung noch bevorstand.

»Wir haben nicht viel Zeit«, antwortete Kumor Ranz etwas holprig, aber nichtsdestoweniger kaltblütig. »Ich bin Kemoauc und das sind meine Brüder Ariolc, Ganerc, Bardioc, Partoc, Lorvorc und Murcon.« Bei jedem Namen wies er auf den entsprechenden Loower.

»Ich werde euch sofort zur Halle führen«, verkündete Laire und drehte sich in einer eleganten Bewegung um.

Das Ding neben ihm musste der konische Tork sein!, schoss es Halv durch den Kopf. Er hatte dem kleinen Roboter, dem sie soviel verdankten, bisher überhaupt noch keine Beachtung geschenkt, so sehr war er vom Anblick Laires in Bann geschlagen worden.

»Jetzt!«, sagte Kumor Ranz in loowerischer Sprache.

Das verabredete Signal kam für Brozon Halv und die anderen völlig unerwartet, und der erste Türmer mochte wissen, was Ranz dazu bewogen haben mochte, sofort anzugreifen. Vielleicht fürchtete der Kommandant, dass sie ihr unwürdiges Schauspiel keine Sekunde länger durchhalten konnten, vielleicht gefiel ihm Gahns Haltung nicht, vielleicht folgte er aber auch nur jener inneren Eingebung, die sich in vielen Einsätzen vorher bewährt und ihn zu der Persönlichkeit gemacht hatte, die er war.

Beim ersten Türmer!, dachte Halv benommen. Nun geschieht es wirklich!

Er riss seine Waffe heraus, genau wie die anderen. Laire war beim Klang des fremden Wortes herumgefahren, seine Haltung drückte überdeutlich aus, dass er sofort begriff, was um ihn herum geschah. Diese unglaubliche Reaktion schockierte den Waffenschmied so sehr, dass er innerlich fast erstarrte, ohne jedoch in der begonnenen Bewegung innezuhalten.

Laire war schnell, viel schneller als die Loower in ihren düstersten Befürchtungen jemals geglaubt hatten. Aus seiner Brust zuckte ein Blitz, traf Ol und Huhm und hüllte sie ein. Die beiden Loower verwandelten sich in leuchtende Ballons, torkelten zurück und zerplatzten in zwei unregelmäßig geformte Schwärme winziger Bläschen, die davonstoben. Laire kam nach vorn geschossen, direkt auf die Loower zu, noch bevor Halv den Arm mit der Waffe ganz erhoben hatte. Die Geschwindigkeit des Roboters besaß etwas von einer Wildheit, die nicht zu einem mechanischen Geschöpf passte. Laire traf Gahn mit einem Arm und riss den Anzug des Loowers über die gesamte Länge hinweg auf.

»Schießt doch!«, schrie Ranz mit sich überschlagender Stimme.

Ranz so in Not zu sehen, erfüllte Halv mit Kummer. Er schluchzte auf, als neben ihm Sulk regelrecht auseinanderbrach. Wieder blitzte es auf und diesmal wurde Sylo Folg getroffen. Er erlitt das Schicksal wie vor ihm Ol und Huhm.

Der Waffenschmied nahm die sich überstürzenden Vorgänge nur unbewusst in sich auf. Er hörte das Zischen von Ranz' Waffe und sah Laire, der auf ihn zusprang, eine seltsame Drehung vollführen. Der Roboter hing ein paar Sekunden scheinbar schwerelos in der Luft, den elastischen Körper wie zum Schutz verkrümmt, dann landete er auf der Ebene.

Halv feuerte seine Waffe ab. Laire rutschte von dem Druck der Energie getrieben über den Boden, ein schrecklicher und grandioser Anblick zugleich. Halv taumelte auf ihn zu, wollte erneut schießen, stolperte aber über den am Boden liegenden Sulk und kam selbst zu Fall. Er schrie jetzt unausgesetzt. Er richtete sich wieder auf und hätte wahrscheinlich das ganze Magazin der Waffe in den stählernen Körper entleert, aber Ranz fiel ihm in die Arme und riss ihm die Waffe aus dem Tentakelende.

»Bist du wahnsinnig?«, keuchte der Kommandant. »Willst du ihn zerstören?«

Halv rang nach Luft, etwas drohte von Innen heraus seine Brust zu sprengen, er war in einem unbeschreiblichen Zustand zwischen tiefer Trauer und nie gekannter Aggressivität.

Ranz schlug ihn.

»Halv!«, schrie der Kommandant. »Halv, komm zu dir! Es ist vorbei.«

Plötzlich drängte sich der konische Tork zwischen sie.

»Es war ausgemacht, dass ihr ihn nicht umbringen würdet!«, kreischte die kleine Gestalt. »Es war ausgemacht! Ihr habt das Versprechen, das eure Scouts mir gegeben haben, nicht gehalten!«

Ranz stand schweratmend da, er hatte etwas von seiner überlegenen Haltung verloren.

»Sei still!«, herrschte er den konischen Tork an. »Es ist ihm nichts geschehen. Die kinetische Energie hat ihn lediglich bewegungsunfähig gemacht. Das wird vorbeigehen.«

Tork glitt auf den am Boden liegenden Roboter zu.

»Ihr habt ihn vernichtet!«, heulte er.

Ranz hob einen Tentakel und schoss. Er hatte seine Waffe auf volle Leistung gestellt. Der konische Tork zerbarst, und seine Überreste ergossen sich in einem Regen glühender Teilchen auf Laire, die toten Loower und auf die Ebene.

»Nun bist du an der Reihe, Brozon Halv!«, sagte Kumor Ranz nach einer Weile.

»Was?«, stieß der kleine Loower verständnislos hervor.

»Wir müssen diesen verdammten Schlüssel mitnehmen«, erklärte Ranz tonlos. »Sprenge ihm das Auge aus dem Kopf! Wozu bist du Waffenschmied?«

Halv starrte ihn an, dann blickte er auf den am Boden kauernden Laire.

»Ich ... ich kann es nicht!«

Er dachte, der Kommandant würde vollends den Verstand verlieren. Ranz begann zu brüllen, aber er brachte kein verständliches Wort hervor. Schließlich zielte er mit seiner Waffe auf den Waffenschmied. Er schluchzte so heftig, als würden sich alle seit Jahren in ihm angestauten Emotionen mit einem Schlag entladen.

»Weißt du, was wir auf uns genommen haben, um hierher zu kommen?«, schrie er außer sich. »Kannst du dich erinnern, wieviel Loower ihr Leben gelassen haben, damit unser Volk den Schlüssel bekommt?« Er deutete auf die Toten. »Und das hier? Bedeutet es dir nichts?«

Wenn ich nur tot wäre!, dachte Halv, von Ekel und Abscheu über ihr eigenes Tun überwältigt. Tot oder an irgendeinem anderen Ort in diesem Universum. Doch er war hier auf der Ebene, stand zwischen den Opfern eines wahnwitzigen Unternehmens und musste zu Ende bringen, was sie begonnen hatten.

Er öffnete sein Ausrüstungspaket und nahm die Utensilien heraus, die er für seine schreckliche Arbeit benötigte. Mit zitternden Tentakelenden legte er einen Sprengkranz um das linke Auge des Roboters. Laire bewegte sich schwerfällig, aber das waren keine gewollten oder gar gesteuerten Aktionen.

»Beeil dich!«, drängte Ranz. »Er kann sich jeden Augenblick erholen.«

»Wenn ich nicht aufpasse«, murmelte Halv, »zerstöre ich das Auge, dann ist keinem von uns geholfen.«

Ranz schwieg, denn er sah ein, dass der andere recht hatte. Für Halv gab es bei seiner Aufgabe nur ein Problem: Er musste das Auge unversehrt herausholen. Das bedeutete, dass die Sprengwirkung sich nur auf die Hülle des Robotkörpers ausdehnen durfte. Obwohl er diesen Vorgang in unzähligen Experimenten geübt hatte, wusste er nicht, ob er Erfolg haben würde. Es war ein Unterschied, ob man an Puppen arbeitete oder an diesem Roboter selbst. Halv wusste nicht genau, wie das Auge befestigt war; wenn es Querstreben zum rechten Auge und in die seitlichen Kopfpartien gab, würde der Versuch scheitern.

Es würde eine lautlose Sprengung sein, bei der im Bruchteil von Sekunden ungeheure Hitzegrade erzeugt werden sollten. Halv ging davon aus, dass er das Auge mit einem kleinen Feldprojektor aus der Höhle ziehen konnte.

»Tritt zurück!«, forderte er den Kommandanten auf. »Es ist möglich, dass Laire eine Selbstvernichtungsanlage besitzt, von der wir nichts wissen.«

Ranz befolgte seinen Rat nicht, sondern sah ihm wie gebannt weiter aus unmittelbarer Nähe zu.

Halv löste die Sprengung aus. Um das linke Auge Laires entstand ein glutender Ring, der sich blitzschnell in die Tiefe auszudehnen schien. Der Waffenschmied handelte mehr mechanisch als überlegt. Er schob den Feldprojektor über Laires linke Gesichtshälfte. Die Hitze war so stark, dass sie die Schutzstulpen von Halvs Anzug über den Tentakelenden aufzulösen begann. Doch das Auge hatte sich bereits gelockert und kam aus der Höhle geglitten. Halv ergriff es mit dem freien Tentakelende.

Laire bewegte sich wieder. Mit quälender Langsamkeit hob er beide Arme und führte sie zum Gesicht. Halv sah zu, wie der Roboter beide Hände in die glühende Augenhöhle schob, als wollte er nach dem verlorenen Auge tasten. Es war ein erschütterndes Bild. Die unvorstellbare Hitze, die noch immer in der Augenhöhle tobte, ließ Laires schlanke Fingerspitzen aufglühen. Als er seine Hände wieder aus der stählernen Wunde löste, fielen die Fingerspitzen ab und tropften auf den Boden. Zurück blieben ausgeglühte Stummel.

Halv musste sich abwenden.

Er ergriff das unter dem Projektor hängende Auge. Die Sprengung war so exakt ausgeführt worden, dass sich das Auge kaum erhitzt hatte.

Er überreichte es Kumor Ranz, der es umklammerte. Im Gesicht des Kommandanten entstand ein seltsamer Ausdruck.

In einer triumphierenden Geste hob er den Arm.

»Der Schlüssel!«, stieß er hervor. »Wir haben ihn!«

Sie rannten nebeneinander über die Ebene zum Landeplatz des gepanzerten Beiboots.

Brozon Halv konnte nicht an den beschwerlichen Rückflug denken. In seinem Gedächtnis brannte das Bild des Roboters Laire, wie dieser in einer verzweifelten Bewegung in seine Augenhöhle griff. Halv wusste, dass dieses Bild ihn zeit seines Lebens verfolgen würde.

*

Als der Schock der kinetischen Energie abklang, stand Laire langsam auf und schaute sich um. Er wusste, dass die Angreifer die Ebene längst wieder verlassen hatten. Es war völlig sinnlos, an eine Verfolgung zu denken, außerdem hatte er jetzt Wichtigeres zu tun. Jeden Augenblick konnten sie kommen, die wahren Mächtigen. Er würde ihnen verschweigen, was geschehen war. Sie wussten nicht, wie er vorher ausgesehen hatte, und wenn sie ihn wirklich nach seinem Auge fragen sollten, würde er etwas von einem Unfall erzählen.

Laire begann die Trümmer des konischen Torks wegzuräumen. Er empfand keinen Groll gegen den vernichteten Anhänger. Tork war ein Opfer seiner mangelhaften Konstruktion geworden, daran war nichts zu ändern. Danach entfernte Laire die toten Fremden. Die Mächtigen sollten keine Spur von ihnen finden.

Die ganze Zeit über vermied Laire, daran zu denken, was wirklich geschehen war, was die Konsequenzen dieses heimtückischen Angriffs waren:

Dass er niemals wieder durch die Materiequelle auf die andere Seite gehen konnte!

*

Der Regen prasselte in nicht enden wollenden Sturzbächen auf das silberne Landefeld von Urzurk-Urzurkan herab und verwandelte es in eine spiegelnde Fläche. Groden-Loran, der Türmer von Oprertais, ging unter seinem Regenschutz an der Spitze des Empfangskomitees auf die DALOSER zu, die vor wenigen Augenblicken aus den dunklen Wolken über dem Raumhafen herabgesunken war und deren Schleusen sich nun öffneten, um eine breite Gangway freizugeben.

Was für ein Aufwand für den größten Misserfolg in der loowerischen Geschichte!, dachte Groden-Loran missgestimmt.

Die Kühle dieses Morgens passte so richtig zu der Stimmung, die von den Heimkehrern verbreitet wurde.

Der Türmer schaute sich zu den anderen Mitgliedern seiner Delegation um und stellte fest, dass die höchsten Würdenträger von Oprertais zusammengekommen waren, wenn man von dem kranken Kuner Grol absah.

Von einer Sekunde zur anderen war auch die Gangway durchnässt. Als die führenden Besatzungsmitglieder, allen voran Kommandant Zuhlen, oben in der Schleuse der DALOSER erschienen, empfand der Türmer Mitleid für diese Loower, denn keine noch so großartige Begrüßung konnte darüber hinwegtäuschen, dass das Unternehmen gescheitert war.

Zuhlen trug den Kasten mit dem Auge darin in beiden Tentakelenden.

Die Loower am unteren Ende der Gangway standen wie versteinert im Regen, und das Prasseln der Tropfen auf Metall war das einzige hörbare Geräusch in diesem Augenblick.

Zuhlen kam die Gangway herab, ein geschlagener Mann!

Und mit welchen Hoffnungen war er an der Spitze der größten loowerischen Flotte, die jemals aufgestellt worden war, vor vielen Jahren aufgebrochen. Mit Hilfe des Auges hatte er die Materiequelle passieren und dem unheimlichen Gegner, von dem die Loower sich bedroht fühlten, eine militärische Lektion erteilen sollen.

Dabei hatte es sich herausgestellt, dass das Auge nur der Schlüssel für eine einzige zu ihm passende Materiequelle war. Die Materiequelle, die die Loower entdeckt hatten, ließ sich damit nicht durchqueren.

Bei dem Gedanken, wie lange sie brauchen würden, um die richtige Quelle zu finden, überkam den Türmer Groden-Loran ein Schwindelgefühl. Er riss sich von diesen trübsinnigen Überlegungen los und konzentrierte sich auf die Ankömmlinge, die das Recht hatten, dass man ihren Stolz respektierte.

Kommandant Zuhlen blieb vor der Delegation stehen. Seine Stummelschwingen waren verfärbt und zerfurcht, deutlich sichtbare Zeichen hohen Alters. Seinem Gesichtsausdruck war jedoch nicht zu entnehmen, wie sehr er unter dem verpfuschten Abschluss eines erfolgreichen Lebens litt.

»Wir bringen das Auge zurück, Türmer!«, sagte er.

Er reichte Groden-Loran den Kasten, und dieser hielt ihn ein wenig ungeschickt in den Händen, ganz so, als wüsste er nichts damit anzufangen.

»Kommandant«, sagte der Türmer bewegt, »das loowerische Volk ist dir zu großem Dank verpflichtet.«

»Wofür?«, fragte Zuhlen und ließ seiner Bitterkeit freien Lauf.

Die Frage ging im zögernden Beifall unter. Groden-Loran trat unter dem Regenschutz hervor. Nachdem er den Kasten mit dem Auge darin an einen seiner Begleiter weitergereicht hatte, umarmte er Zuhlen und dessen Stellvertreter.

Später, beim inoffiziellen Teil der Zeremonie, saß er mit Zuhlen zusammen im Turmtreff von Urzurk-Urzurkan, und sie plauderten so zwanglos miteinander, wie das bei zwei Loowern von so unterschiedlichem Rang und unterschiedlicher Ausbildung nur möglich war.

»Deine Arbeit war nicht umsonst«, versuchte er Zuhlen zu trösten. »Wir wissen nun, welche Aufgabe wir wirklich zu bewältigen haben. Es gilt, die richtige Materiequelle zu finden. Wir werden unter den dafür geeigneten Personen einen Loower mit überragenden Qualifikationen auswählen.«

Der Türmer konnte nicht wissen, dass er mit diesen Worten die Wahl für den ersten Quellmeister der Loower einleitete.

Zuhlens düstere Stimmung besserte sich nicht.

»Was für einen Sinn hätte das?«, fragte er. »Bis wir die richtige Quelle gefunden haben, wird uns dieses Auge zum Verhängnis werden.«

»Das ist ein berechtigter Einwand«, gab Groden-Loran zu. »Es ist durchaus möglich, dass der rechtmäßige Besitzer des Auges uns auf die Spur kommt.«

Zuhlen gab ein klagendes Geräusch von sich.

»Immerhin ist Kumor Ranz jetzt nicht mehr die einzige tragische Figur in der jüngeren loowerischen Geschichte«, meinte er. »Er hat in mir einen Schicksalsgenossen gefunden.«

»Was ihr beide getan habt, war nicht umsonst«, wiederholte der Türmer mit Nachdruck. Er blickte durch die Trennscheibe hinaus auf ein am Turmtreff vorbeiführendes Schwebeband. In jeder Minute wurden dort Tausende von Loowern vorbeigetragen. Das war das Tröstliche an dieser Sache, dachte der Türmer, dass das Leben weiterhin einen Verlauf nahm, als wäre nichts geschehen. Die meisten Loower dort draußen ahnten nicht einmal etwas von den schicksalhaften Vorgängen in ihrer Nähe.

»Ich glaube«, sagte Groden-Loran nachdenklich, »dass wir das Auge verstecken müssen. Jedenfalls bis zu dem Augenblick, da wir die richtige Materiequelle gefunden haben.«

»Wo wollen wir es hinbringen?«, erkundigte sich Zuhlen, von der vagen Hoffnung beseelt, dass man ihn damit beauftragen könnte.

»Auf eine Welt, auf der keine intelligenten Wesen leben«, erwiderte der Türmer. »Es gibt genügend jungfräuliche Planeten in den verschwiegenen Seitenarmen der Galaxis, die als Versteck in Frage kommen.«

Zuhlen wagte nicht zu fragen, ob er diese Mission übernehmen könnte, und Groden-Loran wagte nicht, ihm jetzt zu sagen, dass er zu alt dafür war.

Plötzlich spürten beide, dass sie sich nichts mehr zu sagen hatten. Wie auf ein heimlich verabredetes Signal erhoben sie sich.

»Gutes, entelechisches Denken, Türmer«, verabschiedete sich der Kommandant.

Groden-Loran murmelte eine Antwort, die einen ähnlichen Sinn besaß, aber das hörte der Raumfahrer schon nicht mehr. Er ging davon, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.

*

Jedes Mal, wenn Muden-Sprengan sich der Neunturmanlage auf Alkyra-II von außen näherte und sie in ihrer Kompaktheit vor sich liegen sah, wurde er von dem Gefühl überwältigt, dass er einem Zweig der loowerischen Zivilisation angehörte, der sich nur zu einem einzigen Zweck entwickelt hatte: regelmäßig den Impuls des Auges zu empfangen!

Das verlieh seinem Leben den Anschein von Sinnlosigkeit.

Der Planet, auf dem die Loower das Auge versteckt hatten, gehörte zu einem Sonnensystem, das 226.000 dieser Planetenjahre benötigte, um innerhalb der Galaxis eine volle Rotation auszuführen. Nachdem ein solcher Zeitraum verstrichen war, strahlte das Auge einen auf Alkyra-II gerichteten Impuls ab, und die Loower wussten, dass es sich unbeschädigt in seinem Versteck befand.

Der letzte Impuls war zeitgemäß lange vor Muden-Sprengans Geburt erfolgt, und der nächste würde erst lange nach seinem Tod ankommen.

Auch dieser Umstand war ein Teil der Leere, die der junge Loower empfand.

Er wusste, wozu er lebte, aber er konnte diesen Sinn gefühlsmäßig nicht begreifen. Das änderte sich auch nicht, wenn er daran dachte, dass unzählige Loower unter der Führung von Quellmeistern unterwegs waren, um die zu dem Auge passende Materiequelle zu finden. Diese Geschehnisse, von denen er nur vom Hörensagen wusste, waren unendlich weit entfernt, sie ereigneten sich in räumlichen und zeitlichen Abständen, die kaum noch übersehbar waren.

Muden-Sprengan fühlte sich als bedeutungsloser Bestandteil einer unüberschaubaren Maschinerie, und er wusste, dass es vielen tausend Artgenossen genauso erging.

Er steuerte seinen neunrädrigen Sumpfwagen auf die Schleuse eines der neun Türme zu. Die Zahl neun spielte im Leben der Loower eine immer größere Rolle, seit einer der Quellmeister herausgefunden hatte, dass die Materiequelle, nach der sie suchten, neun Auslässe besaß. Die Loower wussten außerdem, dass einer dieser neun Auslässe in rhythmischen Abständen strahlte und hatten die Intervalle ihrer kosmischen Leuchtfeuer entsprechend eingestellt. (In terranische Zeitbegriffe umgerechnet, betrug der Abstand zwischen zwei Impulsen übrigens dreiundzwanzig Stunden und achtzehn Minuten).

Vor der Schleuse hielt Muden-Sprengan an und identifizierte sich bei den Wächtern. Diese Vorsicht war geboten, weil man vermutete, dass es auf Alkyra-II Wesen mit paranormalen Fähigkeiten gab.

Muden-Sprengan arbeitete als Gehilfe eines Waffenschmieds, eine interessante und abwechslungsreiche Arbeit, die ebenfalls dem großen Ziel untergeordnet war. Die Waffenschmiede arbeiteten an der Herstellung eines Großroboters, den die Loower bei Krisensituationen einzusetzen gedachten.

Der junge Loower durfte passieren und fuhr mit dem Sumpfwagen an den überall liegenden Trümmern vorbei ins Zentrum der Neunturmanlage. Die besondere Art, ihre Unterkünfte einzurichten, sollte die Loower im Fall einer Entdeckung durch die Mächte von jenseits der Materiequelle schützen und den Gegner glauben machen, dass die Loower ausgestorben waren. Muden-Sprengan bezweifelte, ob der gewünschte Effekt im Ernstfall erzielt werden konnte. Das Ganze erschien ihm mehr ein psychologischer Trick zu sein.

Manchmal fragte sich der Schmiedgehilfe, ob die Gefahr, die sie alle fürchteten, tatsächlich bestand. Seit einer in dunkler Vergangenheit liegenden Zeit fühlten die Loower sich bedroht, aber es war nie zu einem Angriff gekommen.

Muden-Sprengan hielt den Sumpfwagen an und nahm den Beutel mit Grol-Sand vom Rücksitz, den er im Auftrag des Schmieds draußen im Allar-Tal geholt hatte. Um ihn herum herrschte rege Geschäftigkeit. Er watschelte quer durch eine Schneise und legte den Beutel an einer umgestürzten Säule ab. Dann hockte er sich auf das brüchige Metall und wartete, dass Kemen-Ortep, der Schmied, kommen würde. Sie hatten sich hier verabredet, weil Kemen-Ortep den Grol-Sand für private Experimente brauchte und nicht wollte, dass man ihm ihn in der Werkstatt ablieferte.

Während er auf den Schmied wartete, überlegte Muden-Sprengan, wie er den scheinbar vorgeschriebenen Ablauf seines Lebens ändern könnte. Es war eine Frage, die ihn immer häufiger beschäftigte, obwohl er wusste, dass er niemals eine Antwort darauf finden würde. Seine einzige Hoffnung war, dass ein Quellmeister die richtige Materiequelle im Verlauf von Muden-Sprengans Leben finden würde. Dann würden die Loower das Auge, das in einem Spezialbehälter lag und im Boden des dritten Planeten einer namenlosen Sonne vergraben war, abholen und den Flug durch die Materiequelle wagen. Es war jedoch unsinnig, anzunehmen, dass dieses Ereignis ausgerechnet zu Lebzeiten Muden-Sprengans stattfinden würde. Zuviel Zeit war seit Beginn der Suche schon verstrichen.

Muden-Sprengan war so in Gedanken versunken, dass er den Schmied nicht herankommen hörte. Erst, als Kemen-Ortep nach dem Beutel griff, um den Inhalt zu begutachten, fuhr er hoch.

»Nun?«, fragte der alte Loower. »Wieder einmal am träumen?«

»Ja«, bestätigte Muden-Sprengan. »Und es ist immer der gleiche Traum.«

Der Waffenschmied nahm ein Tentakelende voll Sand aus dem Sack heraus und ließ ihn langsam zurückfließen.

»So, wie dieser Sand durch mein Tentakelende rinnt, vergeht die Zeit, junger Freund«, sagte Kemen-Ortep. »Und die Zeit dieses Universums schöpft aus einem schier unerschöpflichen Vorrat.«

»Was für ein Leben!«, empörte sich der Jüngere. »Es beginnt mit Warten, und es wird dereinst mit Warten enden.«

»Du wirst es lernen. Geduld zu haben, ist nicht die Eigenart der Jugend.«

Muden-Sprengan sah ihn an.

»Du hast keinen einzigen Impuls erlebt – und du wirst keinen erleben. Genau wie ich. Und das lässt dich kalt?«

»Ja«, sagte Kemen-Ortep. »Alles, was ich tue, hilft unseren Nachkommen, den nächsten Impuls zu empfangen. Und eines Tages werden wir das Auge holen.«

Nun griff Muden-Sprengan in den Sack und holte ebenfalls Sand heraus. Er ließ ihn jedoch nicht zurückfließen, sondern streute ihn in den Wind.

»Auch das ist symbolhaft«, sagte er ärgerlich. »Es zeigt, wie Zeit ebenfalls verstreichen kann – nutzlos!«

»Mit dieser Haltung schändest du das Andenken von Männern wie Kumor Ranz und Zuhlen«, warf ihm der Schmied vor.

»Glaubst du, dass sie wirklich gelebt haben?«, fragte der Gehilfe. »Vielleicht sind es nur Gestalten einer erfundenen Geschichte, die uns in die Verantwortung nehmen soll.«

»Für mich haben sie gelebt!«, rief Kemen-Ortep. Er nahm den Beutel und ging davon.

Das war es!, dachte Muden-Sprengan, während er dem Alten nachstarrte. Das war die Methode, wie man ein solches Leben zwischen zwei Impulsen ertragen konnte. Man musste an die Vergangenheit und an die Bestimmung der Loower glauben.

Wie alt muss ich werden, um es zu lernen?, fragte sich Muden-Sprengan.

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