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Perspektiven pragmatischer Medienphilosophie E-Book

Mike Sandbothe

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Beschreibung

Inspiriert von den Vordenkern des amerikanischen Pragmatismus - William James, John Dewey und Richard Rorty - entwickelt Mike Sandbothe ein normativ nachhaltiges Konzept von Medien und Philosophie. Anhand exemplarischer Fallstudien zeigt er auf, wie sich dies in den Kultur- und Medienwissenschaften, den Bildungs- und Sozialwissenschaften sowie in der Psychologie nutzen lässt. Seine pragmatische Medienphilosophie kann dazu beitragen, die Betriebssysteme unserer Bildungsanstalten mit Hilfe von achtsamkeits- und körperbasierten sowie spirituellen Praktiken gesundheitsförderlich zu transformieren.

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Seitenzahl: 318

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Editorial

Eine zentrale Komponente von Achtsamkeit (mindfulness) ist die Einübung einer neutralen Perspektive auf den gesamten Bereich des Mentalen. In der Schriftenreihe Achtsamkeit - Bildung - Medien erscheinen Bücher, die sich mit dem Verhältnis von mentalen, medialen und edukativen Praktiken sowie den sich darauf beziehenden Narrativen befassen.

Dies geschieht aus der Sicht unterschiedlicher Disziplinen, Paradigmen und Wissenschaftsverständnisse. Neben den etablierten empirisch-theoretischen Studienformen werden auch Arbeiten publiziert, die vom amerikanischen (Neo-) Pragmatismus, der Aktionsforschung, der phänomenologischen, phronetischen und resonanzsoziologischen Forschung sowie anderen Vorgehensweisen Gebrauch machen, die stärker auf Praxis- und Erfahrungswissen Bezug nehmen.

Die Reihe setzt die Herausforderungen, vor denen Bildungssysteme im 21. Jahrhundert stehen, in Beziehung zu den psycho-sozialen und techno-politischen Disruptionen, die eine ökologisch ausgerichtete Transformation als dringlich erscheinen lassen.

Die Reihe wird herausgegeben von Mike Sandbothe und Reyk Albrecht.

Band 1: Mike Sandbothe/Reyk Albrecht (Hrsg.): Achtsame Hochschulen in der digitalen Gesellschaft (01/2021)

Band 2: Jacob Schmidt: Achtsamkeit als kulturelle Praxis. Zu den Selbst-Welt-Modellen eines populären Phänomens (2020)

Band 3: Mike Sandbothe: Perspektiven pragmatischer Medienphilosophie (2020)

Band 4: Andreas de Bruin: Achtsamkeit und Meditation. 10 Jahre Münchner Modell (01/2021).

Mike Sandbothe (Prof. Dr.) lehrt als Professor für Kultur und Medien an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. International ist er als Mitbegründer der modernen Medienphilosophie und zeitgenössischer Vertreter des philosophischen Pragmatismus hervorgetreten. Der zertifizierte Trainer für »Mindfulness Based Stress Reduction« (MBSR) ist Entwicklungsleiter des Thüringer Modells und Gründer der überregionalen Kooperationsplattform »Achtsame Hochschulen«.

Mike Sandbothe

Perspektiven pragmatischer Medienphilosophie

Grundlagen – Anwendungen – Praktiken

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-No-Derivs 4.0 Lizenz (BY-NC-ND). Diese Lizenz erlaubt die private Nutzung, gestattet aber keine Bearbeitung und keine kommerzielle Nutzung. Weitere Informationen finden Sie unterhttps://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de

Um Genehmigungen für Adaptionen, Übersetzungen, Derivate oder Wiederverwendung zu kommerziellen Zwecken einzuholen, wenden Sie sich bitte an [email protected]

Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

© 2020 transcript Verlag, Bielefeld

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Lektorat: Angelika Wulff

Korrektorat: Angelika Wulff

Print-ISBN 978-3-8376-5205-5

PDF-ISBN 978-3-8394-5205-9

EPUB-ISBN 978-3-7328-5205-5

https://doi.org/10.14361/9783839452059

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Vorwort

Teil 1: Grundlagen und Narrative

Was ist Medienphilosophie?

Der Vorrang der Medien vor der Philosophie

Medien und Erkenntnis

Filmphilosophie als Medienphilosophie

Teil 2: Anwendungen und Fallbeispiele

Medien – Kommunikation – Kultur

Wozu Medienkonvergenz?

Computerspielsucht und Suchtkultur

Medienpädagogik und Sozialarbeit

Teil 3: Praktiken und Prototypen

Spirituelle Medienphilosophie

Vollkostenrechnung

Kreativität fördern durch körperbasiertes Lernen

Wozu »Gesundes Lehren und Lernen«?

Textnachweise

Für Denisa

Vorwort

Die im vorliegenden Band enthaltenen Aufsätze stammen aus den Jahren 2003 bis 2015, einem Zeitraum, in dem sich kulturpolitische Veränderungen in der Verwendung des Wortes ›Medienphilosophie‹ vollzogen. Die ausgewählten Texte haben dazu Beiträge geleistet und wurden für diese Publikation nur leicht überarbeitet.

Im ersten Teil werden unterschiedliche Verwendungsweisen von ›Medienphilosophie‹ vor Augen geführt. In Auseinandersetzung u. a. mit konstruktivistischen, realistischen und systemtheoretischen Konzepten von Medienphilosophie wird für eine pragmatistische Verwendungsweise des Wortes plädiert. Vor diesem Hintergrund wird im zweiten Teil gezeigt, wie sich das pragmatistische Verständnis von Medienphilosophie in den Kulturwissenschaften, in den Medien- und Kommunikationswissenschaften, in der Psychologie, der Medien- und Kulturpädagogik sowie in den Sozialarbeitswissenschaften produktiv nutzen lässt. Der dritte Teil beschreibt ausgewählte Praktiken, mit deren Hilfe sich unsere Bildungs- und Mediensysteme auf pragmatische Weise transformieren lassen.

Den von mir vertretenen Ansatz einer pragmatischen Medienphilosophie habe ich in dem Buch Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet (Weilerswist 2001) entwickelt. Die Einordnung dieses Ansatzes in das diskursive Feld unterschiedlicher Konzepte von Medienphilosophie erfolgte u. a. in den von mir mitherausgegeben Sammelbänden Medienphilosophie – Beiträge zur Klärung eines Begriffs (Frankfurt a. M. 2003) und Systematische Medienphilosophie (Berlin 2005).

Das Pragmatismusverständnis, das sowohl den soeben erwähnten Büchern als auch dem vorliegenden Band zugrunde liegt, wurde im Zeitraum 1979 bis 2007 von dem amerikanischen Philosophen Richard Rorty (1931-2007) durch eine neuartige Verbindung von Überlegungen ermöglicht, die sich u. a. bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel, John Dewey, William James, Ludwig Wittgenstein und Martin Heidegger finden.1

In seinen Überlegungen hebt Rorty hervor, dass sich in den demokratischen Nationalstaaten der westlichen Welt zwei unterschiedliche Sorten von normativen Grundorientierungen durch entsprechende Bildungs- und Sozialisierungspraktiken etabliert haben. Die eine Sorte ist privat und richtet sich auf die individuelle Selbstvervollkommnung. Die andere Sorte hat öffentlichen Charakter. Sie zielt auf die Verringerung von Grausamkeit und Demütigung sowie auf die Vermehrung von Solidarität im Zusammenleben der Menschen.

Die in diesen Orientierungen und ihrer ausbalancierten Verwirklichung zum Ausdruck kommende Idee einer ›schwachen‹, weil nicht theoretisch begründeten, sondern auf kontingente Weise historisch etablierten Form von Normativität stellt die praktische Grundlage des Neopragmatismus dar. Vor ihrem Horizont prüft die pragmatische Medienphilosophie den Nutzen und Nachteil unterschiedlicher Medien und Mediensorten.

In den vorliegenden Aufsätzen werden dafür praxistaugliche Instrumente zur Verfügung gestellt und exemplarische Nutzungsfälle vor Augen geführt. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Unterscheidung von drei unterschiedlichen Mediensorten: (1) den sinnlichen Wahrnehmungsmedien, (2) den semiotischen Kommunikationsmedien und (3) den technischen Verbreitungs-, Verarbeitungs- und Speichermedien. Diese Unterscheidung gibt Medienphilosophinnen und Medienphilosophen eine pragmatistische Alternative zum klassischen Prinzip der Mediendefinition an die Hand. Diese besteht in der gebrauchstheoretischen Analyse der »Familienähnlichkeiten«2 zwischen unterschiedlichen Medien und Mediensorten mit dem Ziel ihrer normativen Nützlichkeitsprüfung.

Ein zweites Instrument, das sich im vorliegenden Band findet, besteht in der Exposition einer pragmatistischen Mediendefinition. Obwohl Pragmatisten – da sie die oben skizzierte wittgensteinsche Alternative bevorzugen – mit klassischen Definitionen zurückhaltend sind, kann es in einer Wissenschaftskultur, die nicht vom Pragmatismus geprägt ist, hilfreich sein, eine solche gleichwohl anzubieten. Das Angebot lautet:

»Medien sind Werkzeuge, die der Koordination zwischenmenschlichen Handelns dienen. Sie helfen uns dabei, die Vokabulare zu optimieren oder neu zu erfinden, die wir zu Zwecken der privaten und öffentlichen Selbstbeschreibung verwenden.«3

In diesem Definitionsangebot kommt zum Ausdruck, was für die pragmatische Medienphilosophie insgesamt charakteristisch ist: der metaphilosophische Übergang von einer stärker theoriegeleiteten zu einer eher praktisch-politisch geprägten Konzeption von Philosophie. Dieser Übergang stellt eine Herausforderung für das etablierte akademische Denken dar.

Mein Vorwort zu diesem Buch möchte ich aus diesem Grund mit genau den Sätzen beenden, die Richard Rorty am Ende des Vorworts zu seinem letzten Buch wie folgt formuliert hat:

»In einem überschwenglichen Moment verglich James das Potential des Pragmatismus zur Herbeiführung radikaler kultureller Veränderungen mit den Chancen der protestantischen Reformation. Gerne würde ich meine Leser davon überzeugen, daß dieser Vergleich nicht so abwegig ist, wie er vielleicht zu sein scheint.«4

***

Ohne die redaktionelle Unterstützung sowie das kreative und konzeptionelle Mitdenken von Thomas Wicher wäre das Buch in dieser Form nicht zustande gekommen. Ich danke ihm für die langfristige, verlässliche und freundschaftliche Kooperation. Zu danken ist auch Angelika Wulff für das Lektorat, Michael Volkmer und Gero Wierichs für die verlegerische Betreuung sowie der Leiterin der Bibliothek der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Andrea Heist, für die Förderung im Rahmen der Thüringer Strategie zur Digitalisierung im Hochschulbereich. Darüber hinaus geht mein Dank an die Verlage, die den Wiederabdruck derjenigen Aufsätze ermöglicht haben, die zuvor bereits an anderer Stelle erschienen sind. Meine tiefe, nicht weiter in Worte zu fassende, da den Raum der Sprache transzendierende Liebe und Dankbarkeit gilt Denisa, Maya, Joshua und Sheila.

1Vgl. hierzu Die Renaissance des Pragmatismus. Aktuelle Verflechtungen zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie, hrsg. von Mike Sandbothe, Weilerswist 2000; Wozu Wahrheit? Eine Debatte, hrsg. von Mike Sandbothe, Frankfurt a. M. 2005; Pragmatismus als Kulturpolitik, hrsg. von Alexander Gröschner und Mike Sandbothe, Berlin 2011.

2Ludwig Wittgenstein, »Philosophische Untersuchungen«, in: ders., Werkausgabe, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1988, S. 278 (§67).

3Im vorliegenden Band: »Medien – Kommunikation – Kultur. Grundlagen einer pragmatischen Kulturwissenschaft«, S. 82.

4Richard Rorty, Philosophie als Kulturpolitik, Frankfurt a. M. 2008, S. 11.

Teil 1: Grundlagen und Narrative

Was ist Medienphilosophie?

Abstract:»Was ist Medienphilosophie?« rekonstruiert den medienphilosophischen Diskurs so wie er zu Beginn dieses Jahrhunderts in Deutschland geführt wurde. Als Folie dient der 2003 vom Autor mitherausgegebene Sammelband Medienphilosophie – Beiträge zur Klärung eines Begriffs. Von den dort vertretenen Positionen wählt der Autor sechs besonders repräsentative aus und ordnet sie in vier Gruppen. Diese unterscheiden sich durch den Kontext, dem die medienphilosophischen Themenfelder vorrangig zugewiesen werden: Fachphilosophie (Margreiter, Seel), Kommunikationswissenschaft (Weber), Soziologie/Psychologie (Esposito) und Medienpraxis (Engell, Hartmann). Behandelt werden u.a. die folgenden Fragen: Wie lässt sich Medienphilosophie als prima philosophia und/oder als »Renovierungsunternehmen« der akademischen Fachphilosophie bzw. als Bereichsphilosophie konzeptualisieren, welche sich mit den Grundlagen der Kommunikationswissenschaft befasst? Bedarf es eines soziologisch-psychologischen Settings, um die interaktive Dynamik der digitalen Medienwelten angemessen zu erfassen oder gelingt es der Medienphilosophie den akademischen Theorie-Praxis-Graben durch systemtheoretische bzw. pragmatistische Ansätze zu schließen?

Normalerweise sind Was-ist-Fragen im akademischen Bereich beliebter als Wozu-Fragen. In Sachen Medienphilosophie aber ist das anders. Da es sie als wissenschaftliche Disziplin oder anerkanntes Forschungsparadigma noch nicht gibt, liegt die Frage »Wozu Medienphilosophie?« den meisten Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern viel eher auf der Zunge als die im Folgenden zu bearbeitende Was-ist-Frage.

Philosophinnen und Philosophen, die es vor der Vorstellung schaudert, eine weitere vermeintliche Bindestrich-Philosophie in den Reigen ihrer Fachabteilungen aufzunehmen, reagieren auf das Wort Medienphilosophie zumeist irritiert mit der Frage: Wozu denn das? Und die Zunft der Medien- und Kommunikationswissenschaftler winkt gestresst ab. Sie hat mit sich selbst und den Grabenkämpfen schon genug zu tun, die derzeit zwischen den stärker sozialwissenschaftlich und den stärker kulturwissenschaftlich orientierten Kolleginnen und Kollegen um die Identität des Fachs ausgetragen werden.1

»Medienphilosophie« ist ein Wort, das von Medienleuten gern verwendet und von Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern gern vermieden wird. Jede Sendeanstalt, jede Redaktion, ja jede bessere Moderatorin und Talkmasterin oder jeder bessere Moderator und Talkmaster hat heute eine eigene Medienphilosophie. PR-Abteilungen und Öffentlichkeitsarbeiter in großen Unternehmen haben sie. Ebenso Filmemacherinnen und Filmemacher sowie Fernsehproduzentinnen und Fernsehproduzenten. Von den Politikerinnen und Politikern ganz zu schweigen. Peter Sloterdijk und Norbert Bolz gelten in Deutschland als Medienphilosophen. Vielleicht auch Ulrich Wickert und Harald Schmidt. Auf jeden Fall aber Christoph Schlingensief, Friedrich Küppersbusch und natürlich Alexander Kluge. International wäre darüber hinaus an Namen wie Michael Moore und Steven Spielberg, aber auch an die Wachowskis oder Peter Greenaway zu denken2, um auf diesem Weg sogleich die Brücke von U (Unterhaltung) zu E (Ernsthaftigkeit) zu bauen.

Das Wort Medienphilosophie ist ein zentraler Bestandteil der heutigen Kulturindustrie, zumindest was den bisher vorherrschenden Sprachgebrauch angeht. Aber Sprachgebräuche können sich verändern; und der Sprachgebrauch des Wortes Medienphilosophie befindet sich derzeit mitten in einem solchen Veränderungsprozess. Was ist Medienphilosophie? Wie wird das Wort heute verwendet? Welche Vorschläge gibt es, das Medienphänomen Medienphilosophie akademisch auszubuchstabieren und es sich anzueignen? Welche Konzepte, welche wissenschaftlichen Entwürfe liegen vor, und was folgt daraus für das Verhältnis von akademischer Forschung und massenmedialer Aufmerksamkeitsökonomie? Das sind Fragen, denen ich im Folgenden ein Stück weit nachgehen möchte.

Dabei wird es relativ trocken zugehen. Denn ich will versuchen, einen eher theoretisch gehaltenen Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion zu geben. Neben meiner eigenen Monographie, die im Jahr 2001 unter dem Titel Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet3 erschienen ist, liegen zwei weitere einschlägige Monographien vor. Da ist zum einen das Buch von Frank Hartmann, das unter dem Titel Medienphilosophie4 eine historische Rekonstruktion der Philosophiegeschichte unter medialitätstheoretischem Blickwinkel enthält; und da ist zum anderen der systematische Entwurf von Matthias Vogel, der unter dem Titel Medien der Vernunft – Eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf Grundlage einer Theorie der Medien5 publiziert worden ist.6

Vor dem Hintergrund dieser drei Buchpublikationen ist die transdisziplinäre Debatte zu sehen, die aktuell zum Thema geführt wird. Sie ist in dem Sammelband Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs7 dokumentiert. In programmatischen Aufsätzen antworten darin zwölf Autorinnen und Autoren auf die Frage: Was ist Medienphilosophie? Meine eigene Antwort möchte ich im Folgenden in der Auseinandersetzung mit sechs aus diesem Kanon ausgewählten Positionen entwickeln. Dabei handelt es sich – in alphabetischer Reihenfolge – um die Beiträge des Weimarer Medienphilosophen Lorenz Engell, der in Bologna lehrenden Mediensoziologin Elena Esposito, des bereits erwähnten Frank Hartmann, des Innsbrucker Medienphilosophen Reinhard Margreiter, des Gießener Philosophen Martin Seel und des Salzburger Kommunikationswissenschaftlers Stefan Weber.

Die inhaltlich jeweils sehr eigenständigen Positionen lassen sich auf einer eher formalen Ebene vier unterschiedlichen Gruppen zuordnen. Den Mitgliedern von Gruppe 1, 2 und 3 ist gemeinsam, dass sie Medienphilosophie primär als wissenschaftliche Tätigkeit, d. h. als neues Lehr- und Forschungsprogramm innerhalb der Universität verstehen. Im Binnenverhältnis unterscheiden sich die drei Gruppen hinsichtlich des Fachs, dem sie medienphilosophische Themenfelder zuordnen: Margreiter und Seel denken dabei in erster Linie an die Fachphilosophie (Gruppe 1), Weber an die Kommunikationswissenschaft (Gruppe 2) und Esposito an Soziologie und Psychologie (Gruppe 3). Die Mitglieder der Gruppe 4 – Engell und Hartmann – heben sich davon insofern ab, als sie Medienphilosophie nicht in erster Linie als wissenschaftliche Tätigkeit, sondern als mediale Praxis definieren, die außerhalb der Universität in Redaktionen, Sendeanstalten und Softwareschmieden bzw. vom Mediensystem als Mediensystem ausgeübt wird.

Ich beginne mit der ersten Gruppe, also denjenigen Autoren, die Medienphilosophie innerhalb der Fachphilosophie situieren. Deren schärfste Kritikerin ist Elena Esposito. Denn sie vertritt die Ansicht, dass es der traditionellen Philosophie aufgrund ihres »esoterisch[en]«8 Selbstverständnisses nicht gelingen wird, sich zu einer »spezifisch mediatischen Philosophie«9 zu entwickeln. Zwar kann die Philosophie sich »auf die Medien als ihr Objekt«10 einlassen. Was dabei herauskommt, sollte man Esposito zufolge aber nicht emphatisch als Medienphilosophie bezeichnen, sondern lieber mit dem bescheideneren Namen einer »Philosophie der Medien«11 ausstatten.

Wie eine Philosophie der Medien im Einzelnen aussehen könnte, erläutert Esposito nicht näher. Hier kann Margreiter weiterhelfen. Unter dem Titel einer als »Bereichsphilosophie«12 konzipierten Medienphilosophie bringt er etwas in den Blick, das Espositos Vorstellung von einer bescheiden angelegten und objektorientierten »Philosophie der Medien«13 nahekommt. Margreiter schreibt:

»So wie sich Philosophie z. B. mit Kunst, Moral oder Geschichte beschäftigen kann und dann als Kunst-, Moral- oder Geschichtsphilosophie auftritt, kann sie sich auch mit Medien und mit Medientheorie(n) als einem abgegrenzten und abzugrenzenden Gegenstandsbereich beschäftigen. Es geht dann [...] vor allem um Fragen der Begriffs- und Theoriebildung sowie der spekulativen Grundlagen und anzuwendenden Methoden innerhalb der Medienwissenschaft(en).«14

Im Unterschied zu Esposito jedoch ist Margreiter der Meinung, dass Medienphilosophie nicht nur als transdisziplinär orientierte Bereichsphilosophie zu konzipieren ist, sondern darüber hinaus als »zeitgemäße Gestalt einer ›prima philosophia‹«15. Für diese sei charakteristisch, dass sie im Unterschied zu jener »weder den gängigen Medienbegriff noch den gängigen Philosophiebegriff unberührt läßt«16. Eine Medienphilosophie, die als Bereichsphilosophie verstanden wird, übernimmt Margreiter zufolge das vorhandene philosophische Fachvokabular unhinterfragt, um mit seiner Hilfe die begrifflichen Grundlagen der Medien- und Kommunikationswissenschaft zu reflektieren. Medienphilosophie als prima philosophia aber würde sich demgegenüber auf das philosophische Fachvokabular selbst zurückwenden und zwar mit dem Ziel seiner medialitätstheoretischen Transformation.

Die internen Gestaltungsaufgaben einer fachphilosophisch ausbuchstabierten Medienphilosophie betont auch Martin Seel in seinem Beitrag. Allerdings mit einem anderen Akzent: »Sie [die Medienphilosophie – M.S.] ist keine neue Disziplin neben den anderen Disziplinen, sondern vielmehr ein Renovierungsunternehmen, das, wenn es seine Sache gut macht, nicht allzu lange in Anspruch genommen werden muß.«17 Während Margreiters Rede von der »prima philosophia«18 erhaben und zeitlos klingt, stellt Seels »Renovierungsunternehmen«19 die »begrenzte Mission«20 der Medienphilosophie heraus. Gleichwohl handelt es sich um zwei Seiten ein und derselben Medaille. Margreiter betont das Ergebnis des Renovierungsprozesses und bezeichnet die medialitätstheoretisch renovierte Philosophie als Medienphilosophie. Seel akzentuiert den Prozess der Renovierung und schlägt vor, den Begriff der Medienphilosophie allein für die Phase der Renovierung – also für »eine vorübergehende Sache«21 – zu verwenden.

Vergleicht man die begriffspolitischen Strategien von Margreiter, Esposito und Seel, dann steht Margreiter allein auf der Seite der Liberalen und Esposito und Seel stehen vereint auf der Seite der Rigoristen. Die Rigoristen klammern Margreiters Bereichsphilosophie, d. h. den medien- und kommunikationswissenschaftlich vermittelten Gegenstandsbezug um der Reinheit der Wortbedeutung willen, aus dem Begriff der Medienphilosophie aus. Eben deshalb wird Margreiters Bereichsphilosophie von Esposito ja nicht als »Medienphilosophie«, sondern als »Philosophie der Medien« bezeichnet. Und gemeinsam mit Seel geht sie noch einen Schritt weiter. Denn die beiden wollen auch dem, was Margreiter unter Medienphilosophie als prima philosophia versteht, noch die begriffliche Anerkennung versagen: Seel, indem er vorschlägt, nur den Übergangsprozess von der alten zur neuen prima philosophia (aber nicht die neue prima philosophia selbst) als Medienphilosophie zu bezeichnen, und Esposito, indem sie die Möglichkeit einer »spezifisch mediatischen Philosophie«22 und damit auch den Weg dorthin (sprich: den Sinn von Medienphilosophie als Renovierungsunternehmen) in Frage stellt.

Soviel zum aktuellen Disput, den die Mitglieder der ersten Gruppe einerseits untereinander, anderseits mit ihrer schärfsten Kritikerin führen. Im Zentrum steht dabei die Fachphilosophie als Ort medienphilosophischer Reflexion. Im Unterschied dazu situieren die Vertreter der zweiten Gruppe die Medienphilosophie schwerpunktmäßig innerhalb der Medien- und Kommunikationswissenschaft. So stellt etwa Stefan Weber gleich zu Beginn seines Beitrags fest:

»Ich verstehe Medienphilosophie [...] als intellektuelle Gegenbewegung, als eine Renaissance des Luxus des reflektierenden Denkens im Kontext einer Medienwissenschaft, die sich immer mehr der Tyrannei der Praxis unterwirft.«23

Und zur Vermeidung von Missverständnissen fügt er hinzu:

»Medien- und Kommunikationswissenschaft konstituiert sich im kybernetischen Kreislauf von Theorie, Empirie, Method(ologi)e und Praxis. Keinesfalls wäre Medienphilosophie auf Kosten medienpraktischer Übungen zu betreiben (doch passiert das irgendwo?), mindestens genauso fahrlässig wäre aber auch zunehmend theorie- oder sogar hypothesenlose Empirie (und dies ist sehr wohl in steigendem Maße zu beobachten).«24

Der Ansatz von Weber erinnert an Margreiters dienstleistungsorientierte Bereichsphilosophie. So lesen wir bei Weber: »Medienphilosophie in diesem Sinn meint [...] die Beschäftigung mit den philosophischen Grundlagen medien- und kommunikationswissenschaftlicher Theoriebildung.«25 Und erläuternd fährt er fort:

»Medienphilosophie wäre somit auch als ein Bemühen zu verstehen, Theorie-Importe ins Fach der Medien- und Kommunikationswissenschaft und Anleihen bei philosophischen Strömungen strukturiert (diachron wie synchron) zu rekonstruieren.«26

Eine Liste dieser Strömungen liefert er – selbstverständlich »ohne Anspruch auf Vollständigkeit«27 – gleich mit. Sie lautet:

•Postmoderne und Poststrukturalismus

•Technikphilosophie

•(Neo-)Marxismus und Kritische Theorie

•Strukturalismus und Semiologie

•Feministische Philosophie

•Symbolphilosophie

•Pragmatismus

•Kulturalismus und Kulturphilosophie

•Sozialphilosophie

•Phänomenologie

•Hermeneutik

•Konstruktivismus und Systemtheorie

Webers Liste lässt sich als kommunikationswissenschaftliche Konkretisierung von Margreiters Bereichsphilosophie lesen. Dabei geht es weder um die Transformation der Philosophie, noch um tiefgreifende Veränderungen der medienwissenschaftlichen Forschungspraxis. Stattdessen beauftragt Weber die Medienphilosophie mit wissenschaftstheoretischen Import-Export-Geschäften zwischen zwei mehr oder weniger unverändert bleibenden wissenschaftlichen Disziplinen. Man kann sich fragen, ob ein solches Modell die Anforderungen zu erfüllen vermag, die an eine zeitgemäße Medienforschung zu stellen sind.

Elena Esposito würde das sicherlich bezweifeln. Ihrer Ansicht zufolge sind sowohl die traditionellen Massenmedien als auch die neuen digitalen Netzwerke durch eine »autonome innere Dynamik«28 gekennzeichnet. Dies führe dazu, dass das Mediensystem immer stärker durch »Zirkularität«29, »Unkontrollierbarkeit«30 und »Unvorhersehbarkeit«31 geprägt sei. Journalistinnen und Journalisten haben im heutigen Mediensystem nicht mehr die neutrale Stellung externer Beobachterinnen und Beobachter, die klassische Philosopheninnen und Philosophen noch immer für sich reklamieren. Das gleiche gelte für Computernutzerinnen und Computernutzer sowie Internetsurferin und Internetsurfer, so Esposito. Sie alle seien eingeschlossen und involviert und würden damit anerkennen, dass die »Bedingung der Beobachtung selbst«32 in der »konstitutive[n] Einbeziehung des Beobachters«33 in die Operationen des zu beobachtenden Systems besteht.

Aus diesem Grund sieht Esposito die Aufgabe einer zeitgemäßen Medienforschung darin, »eine Medientheorie anzubieten, die zirkulär über die Zirkularität der Medien reflektiert«34. Das solchermaßen von der Verfassung des Gegenstands geforderte »immersive« (d. h. in die Praxis der Medien eingebettete) Forschungsdesign aber könne aus prinzipiellen Gründen nicht von der durch esoterische Distanz geprägten Fachphilosophie realisiert werden. Das gelte auch für eine als Bereichsphilosophie konzipierte »Philosophie der Medien«35. Denn sobald diese »die Theorie mit den konkreten Operationen eines Systems korreliert«36, wäre sie gezwungen, »sich in Soziologie oder in Psychologie umzuwandeln«37. Die Medien- und Kommunikationswissenschaft befinde sich bereits auf diesem Weg. Die von ihr vorgeschlagenen Lösungen seien bisher jedoch »bloß pragmatisch«38, d. h. »Ergebnis einer empirischen Trial-and-error-Einstellung und keiner Theorie«39.

Die Vertreter der vierten Gruppe von Medienphilosophen – Lorenz Engell und Frank Hartmann – lassen sich auf die von Esposito beschriebenen Herausforderungen ein. Im Unterschied zu ihr jedoch wollen sie darauf reagieren, ohne dabei Medienwissenschaft und Philosophie in Soziologie oder Psychologie umzuwandeln. Die immersive Verschränkung von außerakademischer Medienpraxis und wissenschaftlicher Medienforschung, die ihnen vorschwebt, setzt freilich Veränderungen im medienwissenschaftlichen und fachphilosophischen Selbstverständnis voraus, die weit über das von Weber vorgeschlagene Import-Export-Modell transdisziplinärer Forschung hinausgehen.

Der Grundgedanke von Lorenz Engell lautet: »Medienphilosophie ist [...] ein Geschehen, möglicherweise eine Praxis, und zwar eine der Medien. Sie wartet nicht auf den Philosophen, um geschrieben zu werden. Sie findet immer schon statt, und zwar in den Medien und durch die Medien.«40 Dieses Zitat macht deutlich, dass Engell das Wort Medienphilosophie gezielt mit Blick auf die Medienpraxis verwendet. Er bezieht es also nicht in erster Linie auf die Fachphilosophie oder die Medien- und Kommunikationswissenschaft, sondern bezeichnet damit eine Tätigkeit innerhalb der medialen Praxis. Darin liegt der produktive und weiterführende Aspekt von Engells Ansatz. Problematisch ist demgegenüber sein Versuch, die medienphilosophische Tätigkeit, die innerhalb der medialen Praxis stattfindet, von den menschlichen Akteuren abzulösen und als interne Aktivität des Mediensystems zu bestimmen.

Dieser Versuch tritt in Engells Analyse der audiovisuellen Medienphilosophie zutage, die das Mediensystem des Fernsehens in Gestalt eines selbstreflexiv operierenden Programmangebots im Laufe seiner Geschichte ausgebildet habe. So interpretiert Engell die Live-Sendungen aus dem All und vom Mond, die in den Jahren 1968/69 ausgestrahlt wurden, als selbstreflexive und in diesem Sinn medienphilosophische Bildsequenzen: »Die fernsehgenerierte Welt als Welt schaut sich selbst beim Zuschauen zu und erfährt ihre eigene Medialität [...].«41 Das dieser Erfahrung zugrunde liegende medienphilosophische Paradigma besteht Engell zufolge in dem für das klassische Fernsehen charakteristischen Modell der Gleichzeitigkeit durch Übertragung. An seine Stelle trete im Fortgang der Fernsehgeschichte das Modell der Differenzerfahrung durch Selektion. So schreibt Engell: »Eine Selektionsmaschine entsteht. [...]. In der Fernbedienung kristallisiert sich apparativ das reflexionsfähig gewordene Fernsehen als Medium der Selektion. In ihr denkt und entwirft sich das Fernsehen als Medium; sie ist auf ihre Weise eine Philosophie des Fernsehens.«42

Die beiden Beispiele machen deutlich: In Engells Ansatz wird das Fernsehen als geschlossenes System zum Akteur medienphilosophischer Reflexion. Es sind nicht Menschen, also Medienberaterinnen, Fernsehproduzenten, Redakteurinnen, Regisseure oder Kameraleute, die dem Medium Räume der Gestaltung eröffnen. Stattdessen handelt das im luhmannschen Sinn verstandene Medium selbst. Es generiert seine Formen im nichtsprachlichen Raum der Bilder und Apparate als Fernsehphilosophie. Diese erscheint nicht als bewusstes Ergebnis der Arbeit von Medienphilosophinnen und Medienphilosophen, sondern als mehr oder weniger unkontrollierbarer Binneneffekt des Mediensystems und seiner Programmgeschichte. Das mag in den von Engell exemplarisch untersuchten Fällen sogar stimmen, bedeutet aber keinesfalls, dass es notwendig oder gar sinnvollerweise so ist.

Hier kann Hartmann weiterhelfen. Er beschreibt die Problemlage, in der sich die Philosophie im Zeitalter der digitalen Medien befindet, wie folgt:

»Die neue Medienkultur tangiert alle Bereiche, die Philosophie bildet hier keine Ausnahme. Die Bedingungen vernetzter Kommunikation zwingen auch ihr einen Blickwechsel auf. Als abstrakte Form des kollektiven Gedächtnisses wird sie von einem neuen Medienarchiv herausgefordert; ihr absoluter Geist wird vom Eigensinn der Mediensphäre konkurrenziert; doch neben ihrer traditionellen Domäne der Begriffsarbeit lockt eine ungewohnte Immersion in Audiovisualität.«43

Was bei Engell und Esposito als Entweder-Oder erscheint (Esposito: Entweder philosophische Begriffsarbeit oder mediale Immersion! Engell: Entweder schriftliche Philosophen-Philosophie oder nichtsprachliche Fernsehphilosophie!), präsentiert Hartmann als Möglichkeit eines Sowohl-als-Auch: »Es müßte gelingen, eine Medienphilosophie als ebenso eingreifende Praxis wie als Theorie anzulegen.«44 Der zentrale Unterschied zwischen Engell und Hartmann besteht in Sachen Theorieverständnis darüber hinaus darin, dass Engells Vorschlag systemtheoretisch konfiguriert ist, während Hartmann eher pragmatisch vorgeht.

Engell denkt Medienphilosophie als Effekt eines Mediensystems. Das Mediensystem der Schrift bringt die klassische Schriftphilosophie hervor. Das Mediensystem des Fernsehens bringt so etwas wie eine vom Fernsehen selbst mitproduzierte Fernsehphilosophie hervor. Letztere lässt sich zwar mit den Mitteln der Schriftphilosophie reflektieren und beschreiben, aber innerhalb des Fernsehens selbst lässt sie sich nicht aus der Distanz betrachten und gezielt gestalten, sondern nur immersiv mitproduzieren. Damit aber geht das spezifisch Philosophische – die kritische Distanz und der immer auch normativ auszubuchstabierende Wahrheitsbezug von Reflexion – verloren.

Um das zu vermeiden, denkt Hartmann sowohl die schriftbasierten als auch die nichtsprachlichen Typen von Medienphilosophie vom Menschen und seinen privaten und öffentlichen Zielen her. Medienphilosophie wird von ihm nicht systemtheoretisch als Form der Selbstbeobachtung des Mediensystems entworfen, sondern als Ausdruck einer »Wissenschaftsauffassung« konzipiert, die »Eingriffe im emphatischen Sinn«45 kennt. Damit ist ein pragmatisches Verständnis der wissenschaftlichen Praxis angesprochen, das »den Schritt vom Argument zum Experiment und von der Rekonstruktion zur Antizipation«46 vollzieht.

Argument und Rekonstruktion stehen im Zentrum des klassischen Wissenschaftsverständnisses. Wissenschaft im klassischen Sinn gewinnt die Argumente, mit deren Hilfe sie das Gegenwärtige analysiert, durch die historische Rekonstruktion des Vergangenen.

Davon unterscheidet sich das pragmatische Wissenschaftsmodell.47 Die Analyse des Gegenwärtigen im Rekurs auf das Vergangene ist für den Pragmatisten nicht das entscheidende Ziel wissenschaftlichen Forschens. Stattdessen geht es ihm um die Gestaltung der Zukunft durch eine gezielte Veränderung des Gegenwärtigen. Zugespitzt könnte man sagen: Der klassische Wissenschaftler sucht die Wahrheit in der Vergangenheit; der Pragmatist aber weiß, dass die Wahrheit immer noch aussteht, d. h. sich erst in der Zukunft zeigen wird.48 Aus diesem Grund sind für ihn das Experiment und die Antizipation wichtiger als das Argument und die Rekonstruktion.

Wenn man sich diesen Unterschied zwischen der klassischen und der pragmatischen Wissenschaftsauffassung einmal klargemacht hat, wird verständlich, warum Medienphilosophie in Hartmanns Sinn »zu ihren ersten Aufgaben [...] die Überwindung der bestehenden Kluft zwischen Technikern und Theoretikern, Medienakteuren und Medienanalytikern, Programmierern und Programmierten«49 zählt. Techniker, Medienakteure und Programmierer arbeiten mit den Mitteln des Experiments und der Antizipation. Sie verändern Gegenwart, um Zukunft zu gestalten. Theoretiker, Medienanalytiker und Programmierte finden sich demgegenüber mit der Gegenwart ab und versuchen, diese mit argumentativen Mitteln aus der Vergangenheit heraus, d. h. im Rekurs auf ihre Geschichte zu verstehen. Will man die Wissenschaft pragmatisieren, dann ist es wichtig, den zukunftsorientierten Geist der Techniker mit dem vergangenheitsorientierten Geist der Theoretiker zusammenzubringen.

Diesem Ziel ist Hartmann zufolge das Projekt der Medienphilosophie verpflichtet. Während Engell die Fernsehphilosophie der Praktiker von der Schriftphilosophie der Theoretiker fein säuberlich trennt und an der Eigenlogik der unterschiedlichen Mediensysteme festhält, lässt Hartmann sich auf den systemtheoretischen Denkzwang, dem Engell unterliegt, erst gar nicht ein: »Medienphilosophie weist über die Dichotomien von Theorie und Praxis, Text oder Nicht-Text hinaus [...].«50 Dem korrespondiert, dass Hartmann Medien nicht mit Luhmann abstrakt als lose Koppelungen zwischen beliebigen Elementen definiert. Stattdessen werden sie von ihm konkret als »Operatoren im Prozeß der Menschwerdung«51 verstanden. Daraus ergeben sich für die Medienphilosophie medienpraktische Transformationsaufgaben, die weit über die bloße Perfektion der Eigenlogik des jeweiligen Mediensystems (sensu Engell) hinausgehen. Diese Aufgaben werden von Hartmann mit dem Begriff der »Medienkritik«52 bezeichnet und im Rekurs auf Vilém Flusser, Michel Serres und Gilles Deleuze53 sowie in lockerem Anschluss an das vor allem von Horkheimer explizierte Konzept einer »Kritischen Theorie«54 skizziert55.

Wendet man auf die beiden Vertreter der vierten Gruppe von Medienphilosophen – also auf Hartmann und Engell – das von mir bereits des Öfteren verwendete Prinzip des Sowohl-als-Auch-Denkens an, dann kann man sagen, dass Engell und Hartmann sich in Sachen Medienphilosophie ergänzen. Beide bestimmen die Aufgaben der Medienphilosophie nicht nur innerhalb der Fachphilosophie, sondern auch und vor allem mit Bezug auf die Medienpraxis. Im einen Fall sind es mehr theoretische, im anderen mehr praktische Aufgaben, welche die Medienphilosophie innerhalb der Medienpraxis zu erfüllen hat. So geht es Engell in erster Linie um die theoretische Rekonstruktion der Eigenlogik eines Mediums, das aus sich heraus Formen ausbildet. Hartmanns Ansatz zielt demgegenüber auf die menschlichen Akteure und ihre Intentionen, Wünsche, Hoffnungen sowie ihre privaten und öffentlichen Ziele. Ins Zentrum der Medienphilosophie rückt bei ihm daher die moralisch-praktische Frage nach dem Zweck, den ein Medium für konkrete Menschen und bestimmte Gesellschaften erfüllen soll.

Damit begibt Hartmann sich auf diejenigen Pfade, die ich in meiner Pragmatischen Medienphilosophie markiert habe. Allerdings tut er das auf sehr zurückhaltende und vorsichtige Art und Weise. So spricht er zwar von den Medien als »Apparaten [...], die wir besser wie Instrumente spielen lernen sollten«56. Wozu aber der Gebrauch medialer Instrumente letztlich dient, bleibt einigermaßen unbestimmt, wenn Hartmann im letzten Satz seines Beitrags in Frageform antwortet: »Für einen neuen Sound?« In der Schwammigkeit dieses Antwortversuchs kommt zum Ausdruck, dass Hartmann in letzter Instanz der Mut fehlt, die von ihm eingeforderte Medienkritik tatsächlich in einem politisch-praktischen Sinn auszubuchstabieren. Stattdessen zieht er sich auf eine pluralistisch angehauchte Binnenpolitik medialer Praktiken zurück.

Dieser durchaus interessanten Konzeption zufolge öffnet Medienphilosophie »die Aufmerksamkeit für andere Register des Symbolischen«57. Sie setzt sich für diejenigen Medien ein, die von einer Gesellschaft tabuisiert und vernachlässigt werden. Insofern betreibt Medienphilosophie im hartmannschen Sinn Mediendemokratie im Binnenbereich der unterschiedlichen Mediensysteme. Sie wendet die Ideale demokratischer Gleichberechtigung auf die Welt der Medien an, indem sie sich für eine Gleichberechtigung der Mediensorten einsetzt. Das ist wichtig und verdienstvoll. Aber in letzter Instanz bleibt das ein eher abstrakter Wert, der Hartmanns Pragmatismus zugleich ein Stück weit ausbremst.

Konkret und im aristotelischen Sinn »praktisch« wird die Sache erst dann, wenn man die Gleichberechtigung der Mediensorten ihrerseits als Instrument versteht, mit dessen Hilfe Menschen lernen können, offener und demokratischer miteinander sowie sensibler und ökologischer mit Natur und Technik umzugehen. Erst wenn man diesen Schritt macht, hat man den von Hartmann begonnenen, aber nicht konsequent vollendeten Übergang auch wirklich vollzogen, der von einem theoretischen Denken der Medien zu einer politischen Praxis gelingenden Lebens führt; einer Praxis, die sich in einem dichten Kontext konkreter Normen und Werte vollzieht, auf die zu rekurrieren unter den Bedingungen praktischer Vernunft alles andere als eine petitio principii ist.

Literatur

Engell, Lorenz: »Tasten, Wählen, Denken – Genese und Funktion einer philosophischen Apparatur«, in: Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, hrsg. von Stefan Münker, Alexander Roesler und Mike Sandbothe, Frankfurt a. M. 2003, S. 53-77.

Esposito, Elena: »Blindheit der Medien und Blindheit der Philosophie«, in: Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, hrsg. von Stefan Münker, Alexander Roesler und Mike Sandbothe, Frankfurt a. M. 2003, S. 26-33.

Hartmann, Frank: Medienphilosophie, Wien 2000.

Hartmann, Frank: »Der rosarote Panther lebt«, in: Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, hrsg. von Stefan Münker, Alexander Roesler und Mike Sandbothe, Frankfurt a. M. 2003, S. 135-149.

Horkheimer, Max: Kritische Theorie I-II, Frankfurt a. M. 1968.

Margreiter, Reinhard: »Medien/Philosophie: Ein Kippbild«, in: Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, hrsg. von Stefan Münker, Alexander Roesler und Mike Sandbothe, Frankfurt a. M. 2003, S. 150-171.

Münker, Stefan/Roesler, Alexander/Sandbothe, Mike (Hrsg.): Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, Frankfurt a. M. 2003.

Sandbothe, Mike: Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet, Weilerswist 2001.

Sandbothe, Mike (Hrsg.): Wozu Wahrheit? Eine Debatte, Frankfurt a. M. 2005.

Seel, Martin: »Eine vorübergehende Sache«, in: Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, hrsg. von Stefan Münker, Alexander Roesler und Mike Sandbothe, Frankfurt a. M. 2003, S. 10-15.

Vogel, Matthias: Medien der Vernunft. Eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf Grundlage einer Theorie der Medien, Frankfurt a. M. 2001.

Weber, Stefan: »Under Construction – Plädoyer für ein empirisches Verständnis von Medienepistemologie«, in: Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, hrsg. von Stefan Münker, Alexander Roesler und Mike Sandbothe, Frankfurt a. M. 2003, S. 172-184.

1Vgl. hierzu im vorliegenden Band: »Medien – Kommunikation – Kultur. Grundlagen einer pragmatischen Kulturwissenschaft«.

2Vgl. hierzu im vorliegenden Band: »Filmphilosophie als Medienphilosophie – Pragmatische Überlegungen zu ›THE MATRIX‹ und ›MINORITY REPORT‹«.

3Mike Sandbothe, Pragmatische Medienphilosophie. Grundlegung einer neuen Disziplin im Zeitalter des Internet, Weilerswist 2001.

4Frank Hartmann, Medienphilosophie, Wien 2000.

5Matthias Vogel, Medien der Vernunft. Eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf Grundlage einer Theorie der Medien, Frankfurt a. M. 2001.

6Vgl. hierzu im vorliegenden Band: »Der Vorrang der Medien vor der Philosophie«.

7Medienphilosophie. Beiträge zur Klärung eines Begriffs, hrsg. von Stefan Münker, Alexander Roesler und Mike Sandbothe, Frankfurt a. M. 2003.

8Elena Esposito, »Blindheit der Medien und Blindheit der Philosophie«, in: ebd., S. 26-33, hier: S. 26.

9Ebd., S. 206, Anm. 1.

10Ebd.

11Ebd.

12Reinhard Margreiter, »Medien/Philosophie: Ein Kippbild«, S. 150-171, hier: S. 150.

13Esposito, »Blindheit der Medien«, S. 206, Anm. 1.

14Margreiter, »Medien/Philosophie«, S. 150.

15Ebd., S. 151.

16Ebd., S. 150.

17Martin Seel, »Eine vorübergehende Sache«, S. 10-15, hier: S. 10.

18Margreiter, »Medien/Philosophie«, S. 151.

19Seel, »Eine vorübergehende Sache«, S. 10.

20Ebd.

21Ebd.

22Esposito, »Blindheit der Medien«, S. 206, Anm. 1.

23Stefan Weber, »Under Construction – Plädoyer für ein empirisches Verständnis von Medienepistemologie«, S. 172-184, hier: S. 176.

24Ebd., S. 176.

25Ebd.

26Ebd., S. 177.

27Ebd.

28Esposito, »Blindheit der Medien«, S. 30.

29Ebd., S. 29.

30Ebd., S. 28.

31Ebd., S. 29.

32Ebd., S. 33.

33Ebd.

34Ebd.

35Ebd., S. 206, Anm. 1.

36Ebd., S. 33.

37Ebd.

38Ebd., S. 32.

39Ebd.

40Lorenz Engell, »Tasten, Wählen, Denken – Genese und Funktion einer philosophischen Apparatur«, S. 53-77, hier: S. 53.

41Ebd., S. 61.

42Ebd., S. 64f.

43Frank Hartmann, »Der rosarote Panther lebt«, S. 135-149, hier: S. 136.

44Ebd., S. 148.

45Ebd., S. 146.

46Ebd.

47Die Renaissance des Pragmatismus. Aktuelle Verflechtungen zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie, hrsg. von Mike Sandbothe, Weilerswist 2000.

48Vgl. Wozu Wahrheit? Eine Debatte, hrsg. von Mike Sandbothe, Frankfurt a. M. 2005.

49Hartmann, »Der rosarote Panther lebt«, S. 148.

50Ebd., S. 149.

51Ebd., S. 147.

52Ebd., S. 139.

53Vgl. ebd., S. 140ff.

54Max Horkheimer, Kritische Theorie I-II, Frankfurt a. M. 1968.

55Vgl. Hartmann, »Der rosarote Panther lebt«, S. 146.

56Ebd., S. 149.

57Ebd., S. 148.

Der Vorrang der Medien vor der Philosophie

Abstract:»Der Vorrang der Medien vor der Philosophie« diskutiert medienphilosophische Ansätze, die Brücken über den Theorie-Praxis-Graben bauen. Die einen tun das von der Praxisseite aus (»Pragmatismus«), die anderen von Seiten der Theorie her (»Theoretizismus«). Im Zentrum stehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Ansätzen von Martin Seel, Matthias Vogel, Reinhard Margreiter und Mike Sandbothe. Gemeinsam ist den vier Autoren ein Medienverständnis, das Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Verbreitungsmedien integriert sowie der damit verbundene Anspruch, die akademische Fachphilosophie durch ein medienphilosophisches Upgrade für die Bewältigung ihrer zeitgenössischen Aufgaben tauglicher zu machen. Während Seel und Vogel den Medienbegriff innerhalb der etablierten philosophischen Fachmatrix semantisch streng definieren wollen, plädieren Margreiter und Sandbothe auf der Grundlage einer gebrauchstheoretischen Analyse der Verwendungsweisen von »Medium« (zusätzlich) für eine transdisziplinäre Perspektive. Die pragmatistische Variante besteht dabei in dem Vorschlag, nicht nur in begriffslogischer sondern auch in genetischer Hinsicht von einem Vorrang der Medien vor der Philosophie auszugehen und diesen in den Kontext des von Richard Rorty skizzierten Vorrangs der Demokratie vor der Philosophie zu rücken.

In meinem Buch Pragmatische Medienphilosophie habe ich einen programmatischen Vorschlag gemacht, wie Medienphilosophie als akademische Disziplin im Zeitalter des Internet institutionell etabliert werden könnte.1 Der Schwerpunkt meiner Überlegungen lag dabei auf der Frage, wie medienphilosophische Untersuchungsperspektiven im Kontext der zeitgenössischen Fachphilosophie zu situieren sind. Im Schlussteil des Buchs skizziere ich darüber hinaus das für empirische Forschungsmethoden offene Konzept einer experimentellen Medienepistemologie und deute an, welche Aufgaben der Medienphilosophie als wissenschaftstheoretischer Dienstleisterdisziplin innerhalb der Kultur-, Medien- und Kommunikationswissenschaften zukommen könnten.2

Im Folgenden werde ich mich auf die Frage konzentrieren, wie verschiedene fachphilosophische Konzeptionen von Medienphilosophie sich zueinander verhalten. In meinem Buch unterscheide ich zwischen einer stärker theoretizistischen und einer stärker pragmatischen Ausrichtung von Medienphilosophie. Während die Vertreter der erstgenannten Ausrichtung Medienphilosophie als philosophische Fundamentaldisziplin bzw. als »zeitgemäße Gestalt einer ›prima philosophia‹«3 konzipieren, die mit neuen Mitteln auf die alten Lehrbuchfragen des Fachs zu reagieren versucht, handelt es sich bei der zweiten Ausrichtung um ein Unternehmen, das die Etablierung der neuen Disziplin mit einer kritischen Inventur des philosophischen Themenkanons verbindet, aus der sich zugleich ein stärker transdisziplinär ausgerichtetes Forschungsdesign ergibt.

Ein solcher Vorschlag kann zu einer Vielzahl von Bedenken, Missverständnissen und Überreaktionen Anlass geben. In diesem Text möchte ich deshalb versuchen, die engen Beziehungen hervorzuheben, die zwischen der pragmatischen und der theoretizistischen Ausrichtung von Medienphilosophie bestehen. Zu diesem Zweck werde ich mich mit einem Buch auseinandersetzen, das ich in der Pragmatischen Medienphilosophie leider nicht mehr berücksichtigen konnte.4 Es ist im November 2001 erschienen und trägt den Titel Medien der Vernunft. Eine Theorie des Geistes und der Rationalität auf Grundlage einer Theorie der Medien.5 Matthias Vogel entwickelt darin auf systematische Art und Weise die Grundlagen einer theoretizistisch ausgerichteten Medienphilosophie. So stellt sich die Sache jedenfalls aus meiner Perspektive dar. Der Autor selbst bezeichnet das von ihm verfolgte Projekt jedoch weder als »theoretizistisch« noch als »Medienphilosophie«.

Seine Vermeidung des Wortes »theoretizistisch« lässt sich leicht erklären. Bei diesem Epitheton handelt es sich um einen unschönen Kampfbegriff, der zumeist von Autoren benutzt wird, die aus der Defensive heraus zum Angriff übergehen.6 Das ist bei Vogel nicht der Fall. Da er sich selbst innerhalb des philosophischen Mainstream verortet, kann er darauf verzichten, dessen Selbstverständnis auf einen anderen Begriff zu bringen als weithin üblich. Im Rekurs auf Jürgen Habermas geht Vogel davon aus, »daß die Philosophie in ihren nachmetaphysischen, posthegelschen Strömungen auf den Konvergenzpunkt einer Theorie der Rationalität zustrebt«7. Während Habermas an der von Vogel zitierten Stelle die Rationalitätstheorie zunächst nur hypothetisch als möglichen Konvergenzpunkt bezeichnet, avanciert sie im Fortgang von Vogels Untersuchungen zum unverzichtbaren Leitmotiv einer über sich selbst aufgeklärten Fachphilosophie. Daraus ergibt sich zugleich einer der Gründe, warum Vogel in seinem Buch vom Begriff der Medienphilosophie keinen Gebrauch macht.8 Der Autor geht davon aus, dass die Frage nach den Medien nicht im Kontext einer neuen Disziplin zu situieren ist, sondern sich intern aus begrifflichen Notwendigkeiten der etablierten rationalitätstheoretischen Fachmatrix ergibt.

Insofern ist meine eingangs aufgestellte Behauptung, dass die Vertreter einer stärker theoretizistisch ausgerichteten Medienphilosophie diese als neue Fundamentaldisziplin konzipieren, mit Blick auf Vogel zu korrigieren. Zwar vertritt auch er die Ansicht, dass medientheoretische Fragestellungen innerhalb der zeitgenössischen Fachphilosophie zunehmend fundamentale Bedeutung erlangen. Zugleich macht er jedoch darauf aufmerksam, dass dies ohne Veränderung der etablierten Fachmatrix möglich ist. Das läuft auf die von Martin Seel vertretene These heraus, dass Medienphilosophie »eine vorübergehende, aber dennoch eine gute Sache«9 sei.

Seel zufolge sind medienphilosophische Fragestellungen derart grundlegend für das Fach, dass sie Veränderungen mit sich bringen, »die in jedem Bereich der Philosophie eine neuerliche Reflexion verlangen«10. Aus diesem Grund – so weiter Seel – sei es nicht sinnvoll, Medienphilosophie professionell als eigene Disziplin auszudifferenzieren. Die medienphilosophische Blickveränderung wäre gewissermaßen zu fundamental, um in einen disziplinär begrenzten Rahmen – selbst wenn es sich dabei um den Rahmen einer neuen Fundamentaldisziplin handeln würde! – eingesperrt zu werden. Diese Argumentation hat nicht nur Charme, sondern sicherlich auch wissenschaftstheoretisch eine Menge für sich.