Pferde sanft führen - Mark Rashid - E-Book

Pferde sanft führen E-Book

Mark Rashid

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Beschreibung

In unverwechselbar humorvoller Weise beschreibt Mark Rashid seinen Weg zu einem neuen, sanften Umgang mit Pferden. Unzählige Begegnungen mit beeindruckenden Pferdepersönlichkeiten haben ihn im Laufe seines Trainerlebens zum Umdenken angeregt. Er zeigt, wie es gelingt, eine von Einfühlung, Gelassenheit und Sanftheit getragene Beziehung zwischen Mensch und Tier aufzubauen. Rashids Prinzip ist leicht nachvollziehbar und führt zu einem tieferen Verständnis für den Partner Pferd.

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Seitenzahl: 332

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Dieses E-Book ist die digitale Umsetzung der Printausgabe, die unter demselben Titel bei KOSMOS erschienen ist. Da es bei E-Books aufgrund der variablen Leseeinstellungen keine Seitenzahlen gibt, können Seitenverweise der Printausgabe hier nicht verwendet werden. Stattdessen können Sie über die integrierte Volltextsuche alle Querverweise und inhaltlichen Bezüge schnell komfortabel herstellen.

Vorwort

Danke.

Für die Tatsache, dass Sie dies hier lesen. Dafür, dass Sie sich vielleicht die Frage stellen „Wie kann ich noch geschickter werden für mein Pferd, für ein Pferd, für jedes Pferd?“ oder womöglich „Was könnte es geben, das mir eine Tür zu größerem Verständnis öffnet, nicht nur von Pferden, sondern von meinem Lebensbereich… mir selbst?“

Danke.

Für die Reise, die Sie bereits unternommen haben, und die vielen Entscheidungen, die Sie dazu gebracht haben könnten, dieses Buch zur Hand zu nehmen, zu betrachten, zuzuhören, zu lernen, zu üben, sich zu kümmern, zu versuchen, sich zu verbessern, wiederum zu versuchen, zu lehren, einzustudieren, und noch einmal zu versuchen, vielleicht sogar Angewohnheiten und Denkweisen zu verändern, die Ihren Beziehungen mittlerweile nicht mehr Genüge tun, einschließlich Ihrer Beziehung zu Ihnen selbst.

Danke.

Für die lange Geschichte des Bemühens, die zum Herz und zum Verstand hinter den Worten in diesem und den vielen anderen Büchern geführt hat, die mein Freund Mark Rashid geschrieben hat.

Freund? Ich meinte Bruder.

Danke.

Für die Möglichkeit, mit dabei zu sein mit so vielen Herzen, so vielen Pferden und so vielen Menschen auf so vielen Ebenen.

Danke.

An Euch alle, für Eure Bereitwilligkeit, das Wesen Pferd immer wieder zu überdenken, und dies wieder, und wieder und wieder.

Danke.

Ich glaube dies ist der beste Platz um zu beginnen und ein noch besserer Platz um zu enden und ein guter Weg um sicherzustellen, dass jeder Abschluss ein immer noch besserer Start zum Weitermachen sein kann.

Wie ein Freund von mir und ich eines Tages geschrieben haben: „Wenn du es öfter richtig geschafft hast als falsch… dann hast du es richtig geschafft.“

Freund? Ich meinte Bruder.

In großem Vertrauen darauf, dass Du den Geist kennst, in dem dies hier geschrieben wurde,

– Skip Ewing

„You Got It Right“ (Skip Ewing, Mark Rashid)

©2013 Write! Music (BMI)/Rocking 5 R (BMI).Textverwendung mit Genehmigung

Stärke liegt im Muskel,Doch Macht in der Sanftheit.Mark Rashid

Kraftvolle Sanftheit

Dwight und ich waren noch nicht lange zu Pferd unterwegs, als wir den Gipfel eines kleinen Tafelbergs erreichten und ins Tal hinabblickten, das grün von frischem Frühlingsgras und gelb vom Schein des Sonnenaufgangs unter uns lag. Es war vielleicht einen Kilometer lang und zweihundert Meter breit und in ihm war eine Handvoll Pferde auszumachen. Eines sah schwarz oder zumindest sehr dunkelbraun aus, eines war ein Appaloosa, dann noch zwei Schimmel und drei Füchse. Und einer der Füchse hatte ein offensichtlich gerade geborenes Fohlen bei sich.

„Ist sie das?“ fragte ich.

Dwight neigte sich im Sattel. „Ich glaube nicht.“

„Nein?“ fragte ich, „Sie hat ein Fohlen und ich glaube sonst sind keine tragenden Stuten hier draußen.“

Sein Zeigefinger schob seinen verwitterten Cowboyhut ein wenig nach hinten, sodass er sich an der Stirn kratzen konnte. „Nein“. Er rutschte den Hut abermals zurecht. „Ich glaube, sie war eine Braune.“

„Eine Braune?“

„Oder dunkelbraun.“

„Du hast keine Ahnung, welche Farbe sie hatte?“

„Es war dunkel.“

„Das Pferd?“

„Ich glaub’ schon, aber als wir sie gekauft haben, war es auch schon dunkel draußen.“

Er blinzelte ins Tal und besah sich die Fuchsstute mit ihrem Baby. „Und das ist jetzt mehr als eine Woche her. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie kein Fuchs war.“

„Ziemlich sicher?“

„Naja, ich hab zwei Füchse gekauft“, sagte er, während er weiterhin die kleine Herde unter uns beobachtete. „Aber das waren Wallache. Die Stute war braun… oder dunkelbraun… glaube ich.“

Zumindest einigermaßen davon überzeugt, dass die Stute, die wir suchten (und, Dwights Vorschlag folgend, von der zweitausend Hektar großen Weide holen sollten, auf der unsere Pferde überwinterten), nicht Teil der Gruppe war, auf die wir gerade hinunterblickten, wendeten wir unsere Pferde und setzten unseren Weg fort.

Die Angelegenheit, mit der wir uns an diesem Morgen beschäftigten, hatte bereits einige Tage zuvor begonnen, als ich einen Anruf von Dwight bekam, einige Pferde betreffend, die er am vergangenen Wochenende gekauft hatte. Dwight war an diesem Wochenende rauf nach Minnesota gefahren, um Freunde und Verwandte zu besuchen, und nachdem er schon mal dort war, machte er einen Abstecher zu einer Pferdeverkaufsshow. Reitpferde bekam man gerade recht günstig, also hatte er sich entschlossen, einige zu kaufen, die ich auf der Gästeranch, auf der ich Vormann war, gut würde gebrauchen können.

Als lebenslanger Viehzüchter hatte Dwight ein ausgezeichnetes Auge sowohl für Rinder als auch für Pferde. Und nebenbei war sein Herz so groß wie Montana; sobald es darum ging, jemandem zu helfen, insbesondere einem Freund, tat er das ohne zu zögern. In diesem Fall wusste er, dass mir einige Pferde für die kommende Saison fehlen würden und so hatte er beschlossen, mir zu „helfen“ und ein paar für mich zu organisieren. Details – wo die Pferde hinsollten, nachdem er sie gekauft hatte, ob sie reitbar waren, ob sie irgendeine ansteckende Krankheit hatten, die möglicherweise den ganzen Bestand befallen könnte – das war alles nicht so wichtig.

Und als er mich anrief, um mir zu sagen, dass er ein paar Pferde gekauft hatte und mir dann erzählte, sie seien alle gesund und er habe sie zur Herde auf unsere Weide gebracht, war ich auch nicht allzu besorgt. Natürlich, ich hatte ihn nicht darum gebeten, auch nur irgendein Pferd für uns zu kaufen und ich hatte keine Ahnung wie sie aussahen. Die Tatsache, dass er zudem Probleme hatte, sich daran zu erinnern, wie sie aussahen, war allerdings ein wenig bedenklich, nachdem nicht alle Pferde auf der Weide der Ranch gehörten.

Etwa fünfzehn oder so gehörten anderen Leuten aus der Gegend, die ihre Pferde auch über den Winter auf dieser Weide hatten. Also konnte es durchaus sein, dass wir versehentlich das falsche Pferd nehmen würden, was natürlich einen Rattenschwanz von Problemen nach sich zöge.

Jedenfalls, als Dwight anrief, sagte er mir, er sei ziemlich sicher, dass eines der gekauften Pferde (die einzige Stute) trächtig sei, und er sei genau so sicher, dass sie nicht mehr als vielleicht eine Woche bis zur Geburt gehabt hatte, als er sie und die anderen auf die Weide gebracht hatte.

„Jetzt habe ich mir gedacht“, sagte er „wir sollten uns aufmachen und sie holen. Sie vielleicht rauf zur Ranch bringen, sodass sie dort abfohlen kann.“

„Du hast uns eine trächtige Stute gekauft?“

„Sie war ziemlich billig.“ antwortete er fröhlich. „Und außerdem kriegst du zwei zum Preis von einem!“

„Aber wir haben keinen Platz für eine Stute und ein…“

„Und wenn wir schon mal da sind, versuche ich, auch die anderen, die ich dir gekauft habe, rauszusuchen. Ich glaube, sie werden sich wirklich gut machen in deinem Betrieb.“

„Du wirst versuchen, sie rauszusuchen?“ erinnere ich mich gefragt zu haben, bemüht, die Müdigkeit zu verbergen, die ich beim Gedanken an all die zusätzliche Arbeit, die seine Großzügigkeit mit sich bringen würde, zu verspüren begann.

„Jawohl“, sagte er bester Laune, „es war dunkel, als ich sie auf die Weide brachte, also bin ich nicht wirklich sicher wie sie aussehen.“

Da standen wir nun also und hatten den Großteil des Tages damit zugebracht, auf zweitausend Hektar im Kreis zu reiten, um nach einer Stute Ausschau zu halten, die ich nie gesehen hatte, die braun oder dunkelbraun und außerdem noch schwanger sein könnte.

Um halb vier an diesem Nachmittag, etwa neun Stunden, nachdem Dwight und ich uns in den Sattel geschwungen hatten, fanden wir uns auf demselben Tafelberg wieder, von dem aus wir gestartet waren und blickten hinunter auf die selbe kleine Gruppe von Pferden in dem langen, engen Tal. Wir hatten mittlerweile alle anderen Pferde ausgeschlossen – ich wusste, welche bereits unsere waren, erkannte die Brandzeichen von denen, die uns nicht gehörten, oder schloss aus den Fellfarben, dass es nicht die Pferde waren, die Dwight gekauft hatte.

Als wir diesmal ins Tal blickten, sahen wir allerdings, dass das Fohlen nicht mehr wie noch vorher neben dem Fuchs herlief, sondern sich neben einem Pferd aufhielt, das schwarz zu sein schien.

„Naja“, sagte Dwight achselzuckend, „das muss sie dann wohl sein.“

Wir wendeten unsere Pferde in eine kleine Schlucht und arbeiteten uns zur Talsohle hinab. Es dauerte nicht lange, bis wir zu der kleinen Gruppe gelangt waren. Die Stute war eine gut aussehende, sehr dunkle Braune mit feinen Zügen und etwas, das wie eine Spur Morgan wirkte. Sie hatte einen liebevollen Blick und war vollauf damit beschäftigt, ihr Baby, ein Hengstfohlen, ebenso dunkel wie sie, von zwei Fuchswallachen fernzuhalten.

Einer der Wallache, einssechzig, mager, nach Mustang aussehend, mit Ramsnase und weißer Blesse, schien vollkommen fixiert auf das Fohlen. Der andere, deutlich kleiner, untersetzt und ohne irgendein Abzeichen, konzentrierte sich hingegen eher darauf, dem anderen Wallach zu folgen als der Stute oder dem Baby nachzustellen.

Das Baby war vermutlich an diesem Morgen, knapp vor unserer Ankunft, auf die Welt gekommen, und sah erschöpft aus. Das unablässige Interesse des Wallachs hatte die Stute das Baby unentwegt auf Trab halten lassen. Es war nicht festzustellen, wie viel Ruhe das Fohlen bekommen hatte, seit wir es heute Morgen an der Seite des Wallachs hatten laufen sehen, oder ob es hatte säugen können.

„Sieht ganz danach aus, dass dieser Wallach versucht, an das Baby ranzukommen.“ sagte Dwight, als er sein Pferd in die richtige Position brachte, um dem Wallach den Weg abzuschneiden.

Ich bewegte mich auf die Stute zu und begann, sie und das Baby in die Richtung des Pfades zu wenden, den Dwight und ich genommen hatten, um ins Tal herunterzugelangen. Einmal oben angekommen könnten wir dann weiter zu dem großen Sammelpferch, bei dem wir das Auto und den Hänger geparkt hatten, weniger als einen Kilometer entfernt.

Für die Stute war der Aufstieg ein Leichtes, aber es wurde uns beinahe sofort klar, dass das Baby die Kletterei nicht schaffen würde. Sobald der Pfad an Steigung zulegte, und das war so ziemlich von Anfang an der Fall, verließen das Baby die Kräfte und dann blieb es stehen. Das wiederum brachte natürlich die Stute zum Anhalten, die sich umdrehte und dem Baby zuwieherte. Aber das erschöpfte Junge wollte oder konnte sich nicht bewegen.

„Wir müssen sie außen herum über den langen Weg führen.“ sagte ich, als ich die Stute weg vom Pfad und zurück ins Tal brachte. „Der Kleine schafft den Anstieg nicht.“

Der „lange Weg“ war ein enger Pfad, der zunächst dem Fuß des Berges folgte und sich dann entlang seiner Flanke in südlicher Richtung sanft emporschlängelte, um schließlich den Sammelpferch zu erreichen. Dieser Weg war etwa einen Kilometer länger, als der, der geradewegs über den Berggipfel führte, aber nachdem das Baby und unsere Reitpferde schon müde waren, erschien uns die Route unten entlang sicherer.

Ich manövrierte die Stute aus dem Gipfelpfad heraus und führte sie vorwärts den unteren Pfad entlang, während das Baby mühevoll neben ihr herging. Dwight bildete die Nachhut, wobei ihm die beiden Füchse unmittelbar folgten. Immer wieder einmal wandte Dwight sein Pferd herum und trieb die beiden Wallache zurück den Pfad ins Tal hinunter, doch sobald er kehrt machte, um wieder zu uns zu stoßen, tauchten die Wallache bald auch schon wieder hinter ihm auf.

Mehrfach versuchte der Größere, Dwight und mich zu überholen, aber der Pfad war viel zu eng und steinig, als dass er es geschafft hätte vorbeizukommen, also musste er sich wieder hinten anhängen. Endlich, nach fast einer halben Stunde und mehrfachem Stehenbleiben, um das Baby verschnaufen zu lassen, wurde der Weg wieder flach, um uns nach weiteren gut hundert Metern zum Sammelpferch zu bringen. Dwight und ich, wir wussten beide, dass, wenn der Wallach dieses offene Gelände erreichen würde, er uns leicht überholen und es so zur Stute und dem Baby schaffen könnte.

Deshalb, es fehlten keine hundert Meter mehr bis zur Hochebene, drehte Dwight erneut um und trieb die beiden Wallache fast den ganzen Weg ins Tal zurück. Während er damit beschäftigt war, lotste ich Stute und Baby zum Pferch, öffnete das rostige Metalltor und führte beide ruhig hinein. Sobald das erledigt war, machten mein Pferd Buck und ich uns auf den Weg zum Auto, um ein Halfter für die Stute zu holen.

An diesem Morgen hatte ich ein Halfter mitgenommen und an meinen Sattel gebunden. Wir hatten geplant, die Stute einfach aufzuhalftern und sie als Handpferd zum Hänger zurückzubringen. Aber wenngleich Dwights Erinnerung, was ihre Farbe betraf, ziemlich exakt war, ließ seine Erinnerung, ihre Größe betreffend, zu wünschen übrig. Er hatte scheinbar die Größe der Stute mit der des wie ein Mustang aussehenden Wallachs verwechselt und das Halfter, das ich mitgenommen hatte, war viel zu groß für sie.

Ich nahm ein kleineres Halfter aus dem Haufen auf der Ladefläche des Pickup, warf das Größere zurück auf den Haufen, und kehrte etwa gleichzeitig mit Dwight, der den Pfad heraufgaloppierte, zum Sammelpferch zurück. Als Buck und ich das Gatter erreichten, öffnete ich es und wir ritten hinein. Ich war gerade dabei, das Tor hinter uns zu schließen, als Dwight sein Pferd zum Pferchzaun ritt und abstieg. Die Stute stand ruhig über dem Fohlen, das fest schlafend am Boden lag. Ich hasste es, den kleinen Kerl stören zu müssen, denn ich war mir sicher, dass dies seine bisher einzige Rast war. Aber wir hatten Frühlingsbeginn, beinahe Abendessenszeit, das Tageslicht würde uns bald ausgehen und die Ranch war etwa sechzig Kilometer entfernt.

Doch dann, gerade als ich mich daran machte, Buck zur Stute zu bewegen, damit ich sie aufhalftern konnte, hörte ich ein Gebrüll, das nicht von dieser Welt schien, den Pfad heraufdröhnen. Gerade noch rechtzeitig blickte ich auf und sah den großen Fuchswallach auf uns zu rasen, Kopf und Schweif hoch aufgerichtet, das Maul weit offen, quietschend und grölend im Galopp. Er nahm direkten Kurs auf Dwight und drehte erst in letzter Sekunde ab, einen großen Kreis auf der Wiese neben dem Pferch beschreibend.

„Das reicht jetzt“, brummte Dwight und sprang, ohne zu zögern, zurück in den Sattel. Er raffte das Lasso von seinem Sattel, schüttelte eine Schlinge zurecht und begann, sie in einem großen Bogen über seinem Kopf kreisen zu lassen.

Dann tauchte plötzlich der zweite Wallach auf, den Pfad heraufgaloppierend rief er nach seinem Kumpan. Dieser hatte mittlerweile seinen großen Kreis fast vollendet und machte sich auf in Richtung Pferchgatter. Wieder drehte er ab, diesmal in einem kleineren Kreis zurück zum Gatter, wo er einen Sliding Stop hinlegte, nicht ohne dabei mit seiner Brust ins Tor zu krachen. Er brüllte frenetisch, schüttelte den Kopf und stampfte mit den Füßen.

Der zweite Wallach lief direkt zum großen Fuchs und blieb neben ihm stehen, woraufhin dieser sich herumdrehte und ihn in die Schulter biss. Mittlerweile war Dwight um die Koppel herumgekommen und kam dem Paar immer näher. Er warf das Lasso in ihre Richtung, nicht so sehr, um tatsächlich einen zu fangen, als vielmehr, um sie vom Tor zu verscheuchen. Die beiden Wallache stoben in verschiedene Richtungen davon, der kleinere nach Osten, der größere nach Süden.

Als Dwight sein Seil wiederhatte und damit begann, eine neue Schlinge zu basteln, wendete der nach Mustang aussehende Wallach auf seiner Hinterhand und startete sofort erneut Richtung Gatter. Dieses Mal ließ ihn Dwights Schlingekreisen allerdings völlig kalt, er hetzte an ihm und seinem Pferd vorbei und sprang über das Tor, dass es schöner nicht mehr ging, um nun innerhalb des Pferchs zu landen.

Rasch drehte ich mich zur Stute um und sah, dass sie ihr Fohlen bereits auf die Beine gebracht hatte und den Kleinen nun vorwärtsdrängte, während sie ihn mit ihrem Körper vor dem Wallach schützte. Buck und ich stellten uns dem Wallach in den Weg und ich nahm mein Seil auf. Der Wallach flitzte an Buck und mir vorbei, als ob wir nicht da gewesen wären und nahm Fahrt auf Richtung Stute und Baby.

Was nun geschah, war ziemlich außergewöhnlich. Als der Wallach auf Tuchfühlung herangekommen war, beobachtete ich, wie die Stute ihre Hinterhand zu ihm drehte und ihn mitten auf die Brust trat, sodass er gut fünf Meter zurückgeschleudert wurde. Während die Kraft, die die Stute in diesen Tritt gepackt hatte, derart erstaunlich war, dass ich von meiner gute zehn Meter entfernten Position eine Schockwelle spürte, war noch viel erstaunlicher, was sie zur selben Zeit mit ihrem Baby anstellte.

Zum exakt gleichen Zeitpunkt, da sie diesen mächtigen Schlag auf die Brust des Wallachs führte, verwendete sie ihre Nase, um ihr erschöpftes Baby so sanft, wie man es sich nur vorstellen kann, aus der Gefahrenzone zu stupsen. Es war eine verblüffende Leistung vollkommener Körperbeherrschung. Während ihre Hinterhand die gesamte Kraft ihres Körpers zu bündeln schien und den Wallach mit einer Zielgenauigkeit und Geschwindigkeit traf, wie ich sie selten zu Gesicht bekommen hatte, war ihre Vorderseite so weich wie Butter, als sie ihr Fohlen zu einem sichereren Platz dirigierte und es dabei kaum berührte.

Allerdings hatte ich nicht viel Zeit darüber nachzudenken, was ich gerade gesehen hatte. Denn hatten die Dinge vor ein paar Sekunden noch ein wenig zum Schlechten gestanden, drohten sie nun, wirklich total außer Kontrolle zu geraten. Außerhalb des Pferchs hatte Dwight alle Hände voll zu tun, das zweite Pferd auf Abstand vom Tor zu halten. Der kleine Wallach hatte versucht, dem größeren zu folgen, hatte es dabei aber bloß geschafft, mit der Brust voran in das Gatter zu krachen und dieses dabei fast aus seinen schweren Metallscharnieren und seiner Verriegelung zu hebeln. Aufgeschreckt durch den metallischen Gong, als er auf das Tor geknallt war, und Dwights Gebrüll und Lassoschwingen ließ er vom Gatter ab und stob den Zaun entlang, bis er etwa auf gleicher Höhe mit dem Großen war, der sich ja immer noch im Pferch befand.

Sichtlich geschockt vom Tritt der Stute lief der Größere indessen zum hinteren Ende des Pferchs, weg von Stute und Baby. Sein Sinneswandel währte jedoch nicht lange und nachdem er für einen Moment angehalten hatte, um sich mit seinem frisch angekommenen und hektischen Kumpel die Nasen zu beriechen, wandte er seine Aufmerksamkeit erneut der Stute und dem Baby zu.

All diese Aktivitäten hatten mir Zeit eingeräumt, eine Lassoschlinge zu knüpfen und Dwight die Gelegenheit, sich und sein Pferd zu uns in den Sammelpferch zu bringen. Auch er hatte schon eine gute Schlinge zustande gebracht und war bereits auf dem Weg Richtung Störenfried des Tages.

Gemeinsam hatten Dwight und ich jahrelang mit Pferden und Rindern gearbeitet und es war dabei gar nicht ungewöhnlich, dass wir einen ganzen Tag mit Einfangen, Aussortieren, Brandzeichen verpassen oder Sonstigem beschäftigt waren und dabei nur ein paar Worte wechselten. Nicht weil wir uns nicht mögen würden, sondern weil es normalerweise einfach keinen Anlass gab, Worte zu verwenden. Wir wussten beide, welche Aufgabe gerade zu erfüllen war und führten sie aus. Wenn wir kommunizierten, war es oft mittels eines Nickens oder einer Geste, oder manchmal eines Wortes oder zweier.

Auch in unserer aktuellen Situation wussten wir beide, was zu tun war: Bring den Wallach unter Kontrolle und die Stute und das Baby raus aus dem Pferch und rein in den Hänger und auf den Weg zur Ranch. Warum dieser Wallach dermaßen verrückt nach dem Baby war, spielte keine Rolle. Diese Aufgabe musste erfüllt werden und das war’s.

Dwight trabte mit seinem Pferd etwa in die Mitte des 30 × 15-Meter-Pferchs, dann nahm er es zurück zum Schritt, während er sich dem Wallach näherte, der mittlerweile erneut seine gesamte Aufmerksamkeit der Stute und dem Baby auf der anderen Seite des Pferchs schenkte. Er schien nicht einmal zu registrieren, dass Dwight anwesend war, obwohl ich mir sicher bin, dass er es sehr wohl bemerkt hatte. Als er dem Wallach beständig näherkam, begann Dwight, die Schlinge über seinem Kopf einen Kreis beschreiben zu lassen. Aber noch bevor er nah genug herangekommen war, um damit etwas ausrichten zu können, preschte der große Fuchs plötzlich zurück in Richtung Stute und Baby.

Gekonnt warf Dwight sein Lasso, als der Wallach ihn passierte und aus meiner Perspektive sah es danach aus, als würde er ihn mit Leichtigkeit erwischen. Aber just als die Schlinge dabei war, sich über seinen Kopf zu legen, senkte er seine große, alte Ramsnase gerade um jenes Quäntchen, welches ausreichte, um das Seil harmlos über seine Ohren abtropfen zu lassen und, von seinem Rumpf abfedernd, ihn schließlich gänzlich zu verfehlen. Als er nun auf die Stute zuhielt, waren ihm nur noch Buck und ich im Wege.

In dem Zeitraum, den ich benötigte, um mich zu orientieren und zu überprüfen, wo sich Stute und Baby befanden, hatte er schon fast die gesamte Länge des Paddocks hinter sich gelassen und würde uns gleich erreicht haben. Ich hatte eine gute Schlinge fabriziert, aber wenig Zeit, um irgendetwas damit zu bewerkstelligen, außer sie vor ihn zu werfen und zu hoffen, irgendetwas zu erwischen. Dwight würde mir später eröffnen, er habe noch nie einen peinlicheren Lassowurf als diesen gesehen, und so, wie es sich anfühlte, als das Seil meine Hand verließ, bin ich mir sicher, dass er recht hatte. Doch irgendwie fand dieses abwegig geworfene Seil seinen Weg über den Kopf des großen Wallachs, ließ sich um seinen Hals nieder und erlaubte es mir so, die nötige Spannung ins Seil zu bringen, um ihn zu bremsen.

Schon beinahe ab dem Moment, in dem das Lasso ihn umschlang, war klar, dass dies nicht das erste Mal war, dass er mit dem Seil gefangen worden war. Anstatt in Panik zu geraten oder gegen das Seil anzukämpfen, sobald es ihn enger umschloss, wie es die meisten Pferde in dieser Situation tun würden, fügte er sich augenblicklich. Als Buck und ich neben ihm her liefen, war es recht leicht, ihn von der Stute und dem Baby abzuwenden.

Nach wenigen Sekunden wendete er jedoch scharf und versuchte, zu ihnen zurückzuschwenken. Rasch wickelte ich das Seil um das Sattelhorn, was ihn sofort zum Anhalten brachte. Dwight galoppierte von hinten herbei, um ihn von seinem Ziel fortzutreiben. Mit mir am Seil und Dwights Druck von hinten schafften wir es, mit dem Wallach den Pferch zu überqueren, wo ich dann mein Seil um einen der schweren, hölzernen Zaunpfosten wickelte. Ich war ein wenig überrascht, als er dann ziemlich ruhig stand, sobald ich das Seil gesichert hatte, und abgesehen von ein bisschen frenetischem Stampfen und Gekreische, was seine Lungen hergaben, machte er ab diesem Zeitpunkt keinen Ärger mehr.

Dwight und ich konnten endlich absteigen, und er brachte unsere Pferde zurück zum Hänger. Ich las das Halfter auf, das ich auf die Erde hatte fallen lassen, als der Wallach über das Gatter gesprungen war, und Dwight brachte ein zusätzliches Halfter aus dem Auto. Er ging zur Stute, ließ es über ihre Nase gleiten und verschnallte es. Ich nahm das andere Halfter, und nachdem ich den Führstrick entfernt hatte, drehte ich es herum und zog es über den Kopf des erschöpften Babys. Durch das Umdrehen kam jener Riemen, der normalerweise auf der Nase eines ausgewachsenen Pferdes sitzt, am Halsansatz zu liegen, und der Riemen, der sich beim Erwachsenen hinter den Ohren befindet, war nun an der Position des Sattelgurts. Als ich die dort befindliche Schnalle schloss, wurde aus dem Halfter quasi ein Brustgeschirr, wie es Leute auch verwenden, um ihre Hunde auszuführen.

Dies war nun unsere erste Gelegenheit, das Baby aus der Nähe zu betrachten. Er war ein schicker Kerl, dunkelbraun wie seine Mutter, mit einem konkaven Profil, große, neugierige Augen und gerade Beine. Leider hatte er aber auch Schnittwunden an seiner Brust und den Vorderbeinen, was danach aussah, als wäre er in oder durch einen Stacheldrahtzaun getrieben worden. Außerdem hatte er einige Bissspuren auf Hals, Rücken, Flanken und den Hinterbeinen.

Dwight führte die Stute und ich verwendete das Halfter/Brustgeschirr, um das Baby zu lenken. So brachten wir sie zum Hänger und verluden sie. Unsere Reitpferde waren im vorderen Abteil untergebracht, der mittlere Teil blieb leer, und Stute und Baby kamen ins hintere Abteil. Wir stellten den Anhänger dann nach ein paar hundert Metern auf dem Weg ab, bevor wir zurückgingen, um den großen Wallach loszubinden.

Still war es im Auto, als wir zur Ranch zurückfuhren – nicht ungewöhnlich nach einem langen Tag. Die Ruhe ließ meinen Gedanken die Gelegenheit zu dem zurückzuschweifen was ich die Stute an diesem Nachmittag hatte zu Wege bringen sehen, als sie gleichzeitig ihr Baby vor dem Wallach verteidigte und den Kleinen von ihm wegdirigierte. Ich ließ die Szene immer und immer wieder vor meinem geistigen Auge ablaufen: die Kraft des Schlages, die ihrem rückwärtigen Bereich entsprang, die völlige Sanftheit ihrer Vorderseite. Ich war erstaunt, wie rasch sich das Fohlen aufgrund dieser nur ganz sanften Berührungen seiner Mutter bewegte, besonders, wenn ich bedenke, wie müde es zu dieser Zeit gewesen war.

Ich begann mich zu fragen, ob es einen Weg geben könnte, diese kraftvolle Sanftheit, die die Stute demonstriert hatte, für den Menschen zu erschließen oder nachzubilden. Das erste Problem bestand einmal darin, dass ich damals noch nie jemanden über so etwas hatte sprechen hören, geschweige denn jemanden gesehen hatte, der irgendetwas auch nur Ähnliches getan hatte. Als ich weiter darüber nachdachte, begann ich zu erkennen, dass die beiden Worte nicht einmal zueinander zu passen schienen: kraftvolle Sanftheit. Ein Oxymoron? Eine Fähigkeit, die nur Tiere besaßen? Gab es so etwas überhaupt oder war es eine Einbildung meinerseits? Konnte es jemand kultivieren, oder war jemand vielleicht sogar schon dabei, es in irgendeiner Form für die Welt des Menschen zu entwickeln?

Meine Gedanken wanderten zu dem Fohlen, das da im hinteren Anhängerabteil reiste. Ich fragte mich, ob er während des ganzen Tages überhaupt getrunken hatte. Ich fragte mich, wo ich ihn und seine Mutter unterbringen würde, sobald wir zurück auf der Ranch wären. Ich hatte gehört, das Wetter würde sich in den nächsten paar Tagen verschlechtern und fragte mich, ob er bis dahin kräftig genug sein würde, die Art von Frühlingsstürmen zu überstehen, die in den Bergen häufig vorkamen. Etwa zu dieser Zeit räusperte sich Dwight, wie er es immer tat, bevor er sich anschickte, etwas zu sagen.

„Leute zahlen eine Menge Geld für Pferde, die so hoch springen können.“, sagte er, meinen Gedankenfluss unterbrechend.

„Wie?“

„Ich meinte nur, man könnte wahrscheinlich ein Springpferd aus dem Wallach machen.“

„Nicht viel Bedarf für Springpferde auf einer Urlauberranch.“

„Tja. Wohl eher nicht.“ Er richtete seine Aufmerksamkeit aus dem Autofenster. „Trotzdem, der springt einfach gut.“ Er machte ein paar Sekunden Pause. Eine Herde Black Angus Rinder trieben sich auf einem großen, offenen Feld herum, und eine Handvoll drei Tage alter Kälber stoben buckelnd davon, Schwänze in der Höhe und ihre Köpfe schüttelnd. Er lächelte. „Ich mag diese Jahreszeit sehr.“

Ich beobachtete die Kälber, wie sie begannen, spielerisch mit den Köpfen zusammenzustoßen, während ihre Mütter daneben friedlich grasten.

„Ich auch.“ sagte ich.

Das Ziehen

Während ich durch die Beobachtung der Stute und ihres Babys die Idee kraftvoller Sanftheit vermutlich zum ersten Mal bewusst wahrgenommen hatte, war dies nicht meine erste Begegnung mit dem Konzept der Sanftheit. Der alte Pferdemann, mit dem ich als Junge gearbeitet hatte – ich habe ihn immer den alten Mann genannt – hatte es mir bereits Jahre zuvor präsentiert. Natürlich kann ich mich nicht erinnern, dass er das Wort Sanftheit oft verwendet hätte, falls überhaupt. Anstatt mir damals mitzuteilen, dass etwas sanft war, würde er einfach darauf hinweisen, wenn es das nicht war.

Ich muss wohl elf gewesen sein, als ich einen kleinen Wallach namens Spark ritt und Probleme hatte, ihn zu wenden und anzuhalten. Zog ich nach rechts, zog er nach links; zog ich nach links, zog er nach rechts. Zog ich an ihm, in dem Versuch anzuhalten, kam er mir schwer auf die Hand und marschierte einfach weiter. Je länger ich ihn ritt, umso frustrierter wurde ich und umso mehr schien er mit mir kämpfen zu wollen.

Sowohl Menschen wie Pferde handeln unabhängig von ihrem Alter aufgrund ihres Wissensstandes und ihrer Lebenserfahrung. Dies war zweifellos zutreffend, was meine Arbeit mit Spark betraf. Zu jener Zeit hatte ich noch nicht sehr viele Pferde geritten, also waren meine Kenntnisse beschränkt auf Dinge, die ich geritten hatte, Dinge wie mein Fahrrad. Wenn man den Lenker nach links bewegt, geht das Ding nach links. Den Lenker nach rechts, und es geht nach rechts. Trittst Du nicht mehr in die Pedale, so hält es an. Vermutlich nahm ich an, dass es bei einem Pferd ebenso läuft.

So denkt ein Elfjähriger. Bevor er es besser weiß, sind ein Pferd und ein Fahrrad im Prinzip dasselbe. In punkto Verständnis klafft da noch eine Lücke, die ihn daran hindert zu erkennen, dass ein Fahrrad eine Maschine ist, die immer tut, was man ihr sagt, wenn man es ihr sagt, und das Pferd ein lebendiges, atmendes, denkendes Tier mit Ideen, Empfindungen und Gefühlen. Im Kinderkopf sollten beide prinzipiell gleich funktionieren. Dies ist der Grund, warum ein Kind auf diesem niedrigen Wissensstand ziemlich schnell frustriert reagiert, sobald ein Pferd seine Empfindungen, Ideen und Gefühle zeigt, während es geritten wird.

Jedenfalls hatte mich der alte Mann schon eine Zeitlang beobachtet, wie es mir gerade schwerfiel, auch nur irgendetwas mit Spark zustande zu bringen. Ich nehme an, es wurde ihm dann einfach zu bunt und schließlich kam er zu uns herüber. Der Wallach und ich hatten soeben eine monumentale Schlacht beendet, die auf der vorderen Weide begonnen hatte. Nachdem sämtliche meiner Versuche gescheitert waren, Spark in die eine Richtung, dann in die andere zu wenden, und schließlich ihn zu stoppen, zerrte er uns beide kurzerhand hinüber zum Heuschober, wo Spark seine Nase an die verblasst gelbe Ziegelmauer legte und dann einfach dort stand.

„Pferde mögen es nicht, wenn man an ihnen zieht.“ sagte der alte Mann trocken, während er Spark am Nacken streichelte.

„Ich habe nicht an ihm gezogen, er zog an mir!“ erwiderte ich, wie es nur ein Elfjähriger konnte.

„Jedes Mal, wenn ich will, dass er etwas macht, will er einfach etwas anderes. Er will nicht wenden, er will nicht stehenbleiben, er will nicht –“

Der alte Mann hielt seine wettergegerbte, schwielige Hand hoch, sein Signal an mich, mit dem Reden aufzuhören, was ich auch tat. Sogar als Elfjähriger wusste ich es besser, als mich mit einer Hand anzulegen, die so aussah wie diese. Er fasste nach unten und nahm mit zwei Fingern den linken Zügel in die Hand, also auf der Seite, die ihm am nächsten war. Dann, indem er den Zügel mit kaum einer Anstrengung anhob, drehte er Sparks Kopf mit Leichtigkeit zu sich. Sanft ließ er den Zügel sinken, fasste über Sparks Nacken nach hinten und nahm den rechten Zügel auf. Er wiederholte die Vorgangsweise und Spark reagierte, indem er seinen Kopf mühelos nach rechts wandte. Der alte Mann senkte den Zügel, sodass Spark den Hals strecken konnte. Dann, während er den rechten Zügel weiterhin festhielt, nahm er den linken auf, und wiederum, mit sanftem und minimalem Kontakt an beiden Zügeln, überzeugte er Spark, sich bereitwillig rückwärts zu richten.

Zwei oder drei Meter richtete er Spark rückwärts weg von der Wand, dann ließ er den rechten Zügel los. Den linken Zügel weiterhin in der Hand, führte er uns beide auf die Weide, auf welcher der ganze Ärger begonnen hatte.

„Pferde mögen es nicht, wenn man an ihnen zieht.“ wiederholte er. Dann ließ er Spark und mich frei und schritt von dannen.

Obwohl es mir zu dieser Zeit nicht bewusst war, so war dies eine versiert ausgeführte Demonstration von Sanftheit gewesen durch „Fühlen“, wie viele in der Pferdeszene es heutzutage ausdrücken würden. Natürlich waren mir beide Konzepte damals völlig unbekannt. An diesem Tag war mein Verständnis dessen, was ich gerade gesehen hatte, jenes, dass er einfach nur nicht so stark gezogen hatte wie ich und der Wallach darauf dann irgendwie reagiert hatte. So machte ich nach, was ich dachte, den alten Mann tun gesehen zu haben und begann, von Spark bessere Reaktionen zu bekommen. Nicht so gute Reaktionen wie jene des alten Manns wohlgemerkt, aber bessere als die, bevor er eingeschritten war.

Wie vermutlich viele andere Leute auch, tat ich mir sehr schwer, das Konzept des Nicht-Ziehens zu verstehen. Denn schließlich liegt es in der Natur der meisten Tiere, Menschen inklusive, dagegenzuhalten, sobald man gezogen wird und gegen etwas zu drücken, das einen drückt. Und natürlich, je mehr man gedrückt oder gezogen wird, umso tendenziell abwehrender wird man. So wird ein Pferd, an dessen Maul dauernd herumgezogen wurde, den Punkt erreichen, an dem es sich automatisch abwehrend in den Druck hineinlehnt, sobald ein Reiter auch nur irgendwie Kontakt mit dem Zügel aufnimmt. Oft veranlasst dies dann den Reiter, an den Zügeln zu ziehen, sodass der Kreislauf wieder von vorne beginnt.

Diesen Kreislauf zu durchbrechen ist nicht immer leicht, besonders wenn man nicht weiß, was man sonst tun sollte. Doch es waren der alte Mann und seine einfache Beobachtung, die mir ganz konkret dabei halfen, ein anderes Verständnis zu entwickeln.

Einige Wochen nach meinem ursprünglichen Kampf mit Spark war ich mit ihm auf der Weide und wir versuchten es erneut. Die Dinge standen nicht zum Besten. Ich konnte sehen, wie der alte Mann uns von der Tür der Sattelkammer aus beobachtete, als Spark sich in die eine Richtung warf, dann in die andere, dann rückwärts, immer in die entgegengesetzte Richtung zu derjenigen, in die ich ihn bewegen wollte. Er schüttelte seinen Kopf, stampfte auf, schlug mit dem Schweif, schlug mit seinen Hinterbeinen aus und schnaubte unzufrieden durch seine Nase. Unerschrocken versuchte ich weiterhin, seinen Kopf in eine Biegung zu zwingen, und war dabei tatsächlich an dem Punkt angelangt, mit beiden Händen an einem Zügel zu ziehen, nur um ihn nach rechts zu bekommen. Und das, während wir immer noch nach links marschierten!

Auch dieses Mal hielt sich der alte Mann zurück, solange es ihm nur irgend möglich war, bevor er sich schließlich zum Feld aufmachte, auf dem Spark und ich noch immer herumwirbelten. Als er bei uns angekommen war, streckte er die Hand aus und nahm jenen Zügel auf, an welchem ich zog. Und beinahe im selben Augenblick, in dem er den Zügel berührte, geschahen zwei Dinge. Erstens wollte ich nicht länger am Zügel ziehen. Es war, als hätte seine Berührung meine ganze Kraft verpuffen lassen und mein gesamter Körper, gerade noch angespannt wie eine Sprungfeder, hatte sofort begonnen, sich zu entspannen. Zweitens stoppte Spark seine Bewegung, und ließ, nachdem er ein paar Sekunden dagestanden hatte, seinen Kopf sinken und entspannte sich.

Es war das erste Mal, dass ich etwas in dieser Art verspürte. Durch seine Berührung des Zügels, hatte der alte Mann irgendwie eine Verbindung zwischen uns dreien hergestellt, die unsere Anspannung vollkommen verschwinden hatte lassen und sie durch eine Art Sanftheit ersetzte. Es war ein erstaunliches Gefühl, eines das ich für eine lange Zeit nicht wieder verspüren würde.

„Mit diesem Wallach würde es viel besser laufen“, sagte er leise, „wenn du aufhören würdest, an ihm zu ziehen.“

„Ich weiß nicht, wie man das macht.“ sagte ich frustriert.

„Wie man was macht?“

„Nicht ziehen!“

Während er den Zügel immer noch hielt, stand der alte Mann einige Sekunden ruhig da, sein Gesicht wie versteinert. Dann bewegte sich ganz, ganz langsam der Ansatz eines Lächelns über sein Gesicht, als ob er einsah, wie schwierig es sein würde, sich selbst dabei zu sehen, wie man etwas nicht tat. Er nickte, als ob er mir zustimmen würde.

„Warum bringst Du ihn nicht erst mal zurück?“ Es war mehr ein Vorschlag als eine klare Ansage. „Wir werden es morgen wieder versuchen.“

Als ich auf das seltene Lächeln in den Augen des alten Mannes hinunterblickte, begann meine Enttäuschung langsam zu weichen. Ich ließ den Zügel, den ich hielt, auf Sparks Hals sinken. „Ok“ sagte ich, als ich abstieg. So machten wir drei kehrt und gingen zum Stall zurück.

Nachdem ich Spark zurückgebracht und einige andere Aufgaben erledigt hatte, neigte sich der Tag seinem Ende entgegen, als ich mein Fahrrad, das ich an die Seite des Stalls gelehnt hatte, nahm und zur Vorderseite schob. Gerade als ich mein Bein darüber schwang und mich bereit machte, die Zufahrt hinunter in die Pedale zu treten, trat der alte Mann aus der Sattelkammertür heraus, eine immer anwesende Zigarette zwischen seinen Fingern.

„Wiedersehen.“ piepste ich, die Frustration des frühen Nachmittags bereits eine entfernte Erinnerung.

„Warte.“ Von der Sattelkammer kam er zu mir herüber, während ich noch auf meinem Rad saß. Er blickte auf meine Hände an der Lenkstange hinunter, nahm einen Zug von seiner Zigarette, und blies eine Schwade blauen Rauchs aus seinem Mundwinkel. „Komm und fahr hier mit dem Rad einen kleinen Kreis.“ Er zeigte auf den mit Erde bedeckten Hof und beschrieb einen Kreis in der Luft.

Ich tat, worum er mich gebeten hatte, ohne nach dem Warum zu fragen. Er beobachtete, wie ich ein paarmal im Kreis fuhr, dann hob er wieder die Hand und zeichnete den Kreis in der Luft in die andere Richtung. „Nun andersherum.“ sagte er und nahm einen weiteren Zug von seiner Zigarette.

Ich hörte kurz auf, in die Pedale zu treten und glitt mühelos in einen netten kleinen Halbkreis, der mich in der anderen Richtung zurückbrachte. Wieder begann ich, in die Pedale zu treten. Ich hatte etwa zwei weitere Runden gezogen, da zeichnete er wieder einen Kreis in die Luft, mich zum Richtungswechsel auffordernd, was ich tat. Nach zwei weiteren Runden bedeutete er mir stehenzubleiben.

„Wie du dein Fahrrad lenkst,“ sagte er, während er den Zigarettenstummel am Absatz seines Stiefels ausdrückte, „so reitest du dein Pferd, ohne an ihm zu ziehen.“ Dann machte er die nun ausgedrückte Zigarette bereit für den Abgang, sodass der Tabak zu Boden rieselte, als er den Papierstummel drückte und ihn zwischen seinen Fingern zwirbelte, und er ging an mir vorbei zurück in die Sattelkammer. „Bis morgen.“ sagte er und verschwand hinter der Holztür.

Eine Sekunde wartete ich noch, um zu sehen, ob er nochmals zurück herauskommen würde, wendete dann mein Rad in Richtung der fünfhundert Meter langen Hofzufahrt, setzte mich in Bewegung und radelte los zum Haupttor. Auf dem vorderen Feld befanden sich keine Pferde, also stand es offen. Ich flitzte hindurch auf die Schotterstraße, in den Pedalen stehend strampelte ich, um an Geschwindigkeit zuzulegen. Sobald ich eine akzeptable Geschwindigkeit erreicht hatte, legte ich los mit meinem täglichen Ritual, welches darin bestand, in einer großen Serpentine von dem einen Straßengraben quer über die Straße zum Straßengraben auf der gegenüberliegenden Seite und wieder zurück zu kurven. Dieses Muster wiederholte ich den ganzen Weg bis zum Beginn der Asphaltierung, eine Strecke von etwa einem Kilometer. Sehr selten befuhr ein Auto den geschotterten Abschnitt, und ich genoss die Gelegenheit, so viel Straße für mich zu beanspruchen, wie ich wollte.

Der Vergleich des alten Mannes zwischen dem Lenken meines Fahrrads und dem Wenden eines Pferdes ohne zu ziehen bedeutete mir nicht viel, als er ihn aussprach. Aber als ich mein Fahrrad so von einem Straßengrabenrand zum anderen dirigierte, wurde mir langsam bewusst, worauf es beim Lenken meines kleinen Schwinn-Stingray-Rades ankam. Ich bemerkte, wie ich beispielsweise in einer Wendung nach rechts nur ein klein wenig mehr meine rechte Hand belastete, als Druck mit meiner Linken auszuüben. Ebenso verhielt es sich mit einer Linkswendung. Ungeachtet der Richtung, fühlten sich beide Hände tatsächlich so an, als hätten sie ziemlich gleich starken Kontakt zum Lenker, wie ich da von einer Kurve zur nächsten manövrierte.

Umso mehr ich mich darauf konzentrierte, desto bewusster wurde mir, dass ich die Griffe kaum festhielt, wenn ich die Lenkstange in die eine oder andere Richtung schwenkte. Angesichts einer derart vernachlässigbaren Berührung war es manchmal schwer zu erkennen, ob ich das Rad nun in eine Kurve drückte oder zog. Als ich den Asphalt erreichte, ließ ich das Rad gerade werden und steuerte es auf die rechte Straßenseite, auf der ich dann für den Rest der Wegstrecke bis nach Hause blieb.

Zugegeben, als ich an diesem Tag den geteerten Straßenabschnitt erreichte, verschwanden die Gedanken an das Gefühl zwischen der Lenkung und meinen Händen. Meine Überlegungen hatten sich anderen, wichtigeren Elfjährigen-Jungen-Dingen zugewandt, beispielsweise eine Entscheidung zu treffen, auf welcher Position ich später am heutigen Abend spielen würde, wenn einige von uns Jungen aus der Nachbarschaft zum Baseball zusammenkämen.