Philipp Plein - Tobias Bayer - E-Book

Philipp Plein E-Book

Tobias Bayer

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Beschreibung

Vergessen Sie Jil Sander und Wolfgang Joop, der erfolgreichste deutsche Designer heißt Philipp Plein!

Kaum zu glauben, aber wahr: Alles begann mit einem Hundebett. Die erste Million auf dem Konto, der Weg in die Luxusbranche ... Später startete das Multitalent dann in der Modewelt durch, sein Markenzeichen war ab dem ersten Piece ein funkelnder Totenkopf. Bis heute gilt Philipp Plein als das enfant terrible der Branche. Er hält sich nicht an geltende Regeln, sondern schafft neue Standards. Doch wie hat der Autodidakt es bis ganz nach oben im Mode-Olymp geschafft? Dieses intime Porträt gibt Auskunft: Wie ist Philipp Plein aufgewachsen? Warum ist Familie für ihn so wichtig? Und wie lautet sein Erfolgsrezept ..?

"Learning by doing. Das hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich habe mir immer alles selber beibringen müssen, von Anfang an. Es gab ja niemanden, der mich an der Hand genommen hat und der mir gezeigt hat, wie es geht. Ich habe natürlich viele Fehler gemacht, aber versucht, immer ein bisschen mehr richtig zu machen als falsch. Und das hat mich immer weitergebracht." - Philipp Plein

Über exklusive Interviews mit Philipp Plein, seiner Familie, Freunden, Mitarbeitern und Wegbegleitern, aber auch mit Gegnern und Kritikern, zeichnet der Modejournalist Tobias Bayer das facettenreiche Porträt eines Ausnahmeunternehmers, der es allen zeigt und sich dem Mainstream entgegenstellt. Ein originelles, überraschendes Buch.

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Seitenzahl: 467

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumKAPITEL EINS: IN DER KÖNIGSVILLAKAPITEL ZWEI: WHO THE FUCK IS PHILIPP PLEIN?KAPITEL DREI: DIE PLEIN-FAMILYKAPITEL VIER: BRAVO GIRL!KAPITEL FÜNF: MAMAKAPITEL SECHS: ROADTRIPKAPITEL SIEBEN: HUNDEBETTKAPITEL ACHT: TOTENKOPFKAPITEL NEUN: ELVISKAPITEL ZEHN: GEISTERBAHNKAPITEL ELF: PHILIPP PLEIN CONSPIRACYKAPITEL ZWÖLF: TRAUMFABRIKKAPITEL DREIZEHN: RAMBOKAPITEL VIERZEHN: AUF DER KÖKAPITEL FÜNFZEHN: FRANCAKAPITEL SECHSZEHN: CRAZY HORSEKAPITEL SIEBZEHN: TIGER GEGEN PUMAKAPITEL ACHTZEHN: PENTHOUSE AM CENTRAL PARKKAPITEL NEUNZEHN: WIE VIEL BIN ICH WERT?KAPITEL ZWANZIG: DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCKKAPITEL EINUNDZWANZIG: DAS SCHLOSS IN BEL AIRDANKSAGUNG

Über dieses Buch

Vergessen Sie Jil Sander und Wolfgang Joop, der erfolgreichste deutsche Designer heißt Philipp Plein! Kaum zu glauben, aber wahr: Alles begann mit einem Hundebett. Die erste Million auf dem Konto, der Weg in die Luxusbranche … Später startete das Multitalent dann in der Modewelt durch, sein Markenzeichen war ab dem ersten Piece ein funkelnder Totenkopf. Bis heute gilt Philipp Plein als das enfant terrible der Branche. Er hält sich nicht an geltende Regeln, sondern schafft neue Standards. Doch wie hat der Autodidakt es bis ganz nach oben im Mode-Olymp geschafft? Dieses intime Porträt gibt Auskunft: Wie ist Philipp Plein aufgewachsen? Warum ist Familie für ihn so wichtig? Und wie lautet sein Erfolgsrezept …? »Learning by doing. Das hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich habe mir immer alles selber beibringen müssen, von Anfang an. Es gab ja niemanden, der mich an der Hand genommen hat und der mir gezeigt hat, wie es geht. Ich habe natürlich viele Fehler gemacht, aber versucht, immer ein bisschen mehr richtig zu machen als falsch. Und das hat mich immer weitergebracht.« – Philipp Plein Über exklusive Interviews mit Philipp Plein, seiner Familie, Freunden, Mitarbeitern und Wegbegleitern, aber auch mit Gegnern und Kritikern, zeichnet der Modejournalist Tobias Bayer das facettenreiche Porträt eines Ausnahmeunternehmers, der es allen zeigt und sich dem Mainstream entgegenstellt. Ein originelles, überraschendes Buch.

Über den Autor

Tobias Bayer arbeitet in Mailand als Mode- und Luxuskorrespondent der Textilwirtschaft, des wichtigsten deutschen Fachmagazins für die Bekleidungsbranche. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen berichtete der gebürtige Stuttgarter für die Financial Times Deutschland aus Frankfurt, Zürich und New York über die internationalen Finanzmärkte. Seit zehn Jahren lebt und arbeitet Bayer in Italiens Modemetropole.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Dieses Werk wurde durch die Literaturagentur

Thomas Schmoll, 10717 Berlin, vermittelt.

Copyright © 2023 by Tobias Bayer

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 –20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Lektorat: Valérie Thieme

Textredaktion: Dr. Matthias Auer, Bodman-Ludwigshafen

Umschlaggestaltung: © Miriam Steinhart | Guter Punkt, München

Umschlagmotiv: © Philipp Plein

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-4850-6

luebbe-life.de

luebbe.de

lesejury.de

KAPITEL EINS: IN DER KÖNIGSVILLA

Es ist das erste Mal, dass ich mit Deutschlands erfolgreichstem Luxusdesigner allein bin. Das erste Mal nach über sechs Jahren vergeblicher Versuche. Seit 2016 hetze ich hinter Philipp Plein her. Ich bin ihm über den halben Globus nachgereist und habe bei unzähligen seiner Fashion Shows im Publikum gesessen. Es ist mehr als eine Stunde nach Mitternacht, und wir sind endlich unter uns: nur er und ich.

Plein hat die Presse und Geschäftspartner nach Cannes in seine Villa eingeladen, die er »La Jungle du Roi« getauft hat, »der Dschungel des Königs«. Mit dem König meint sich Plein selbst, Understatement ist nicht unbedingt seine hervorstechendste Eigenschaft. Das Haus ist weitläufig und verwinkelt. Ich denke an Citizen Kane von Orson Welles, in dem der Zeitungsmagnat Charles Foster Kane einsam durch sein Privatschloss Xanadu geistert. Wie Plein hat er aus eigenen Kräften und mit unbedingtem Willen ein Imperium aufgebaut.

In dieser Nacht bin ich der letzte Gast. Stundenlang hat Plein geredet, geschäkert, getanzt und dafür Sorge getragen, dass er mit jedem und jeder ein paar Worte gewechselt und ihnen damit das Gefühl gegeben hat, wirklich wichtig zu sein. Jetzt wirkt er erschöpft. Zumindest ein bisschen.

Wir haben uns auf ein Sofa in einem Ruheraum fallen lassen. Plein hat sich weit in die Kissen zurückgelehnt und seine nackten Füße hochgelegt. Er hat die Muße, über sich zu erzählen. Woher er kommt, was ihn geprägt hat, was er erreichen will. Er redet los, ohne dass ich eine Frage gestellt habe. Ich bin still. Mein Aufnahmegerät habe ich so sachte wie möglich neben mich gelegt und angeschaltet. Mehrmals versichere ich mich, dass das rote Licht leuchtet. Denn Plein ist in Fahrt.

Plein ist ein Paradox. Einerseits ist er eine öffentliche Figur, die sich und ihr luxuriöses Leben vor drei Millionen Followern auf Instagram täglich ausstellt. Andererseits entzieht er sich auf magische Weise. Er lässt alle an sich ran, hält aber Distanz und ist nie so recht zu fassen. Eine »Nähe-Vermeidungsmaschine« nannte ihn eine meiner Kolleginnen, was es wohl trifft.

Plein, der Dschungelkönig, ist stets von einem Pulk umgeben, einem Tross von Menschen, die für ihn arbeiten. Von Menschen, die mit ihm Geschäfte machen oder gern mit ihm machen wollen. Von Menschen, die ihm auf die Schulter klopfen, ihn in exaltierter Herzlichkeit umarmen und ihm sagen, wie toll er sei. Einer, der ihn gut kennt, sagte mir: »Plein hat Angst, allein zu sein.«

Plein redet. »Es ist schon toll, die Freiheit zu haben, so kreativ zu sein«, sagt er. »Geld macht nicht glücklich. Der größte Luxus ist es, seine Ideen realisieren zu können. Ich bin ein Dreamer, ein Believer. Ich baue mir meine Traumwelt. Ich habe all meine Träume Schritt für Schritt erfüllt.«

Die Sätze sind fester Bestandteil seines Repertoires. Plein scheint sich für jedes Thema ein paar griffige Formulierungen zurechtgelegt zu haben, die er bei Bedarf aus der mentalen Schublade ziehen kann. Egal, ob es um einen neuen Schuh, ein neues Parfüm oder eben um ihn selbst geht.

Plein beschreibt sich als »Performer« oder »Verkäufer«. Wer mit ihm Zeit verbringt, gewinnt den Eindruck, dass Plein nicht diskutiert, sondern vorwiegend doziert. Fragt man ihn etwas Persönliches, neigt er dazu, sich auf eine abstraktere Ebene zu begeben. Er redet viel lieber über den Luxusmarkt, die Psychologie des Konsumenten, die Macht von Social Media, das Versprechen der Kryptowährungen und die Architektur seiner Häuser als über sich selbst. Die Person Plein verschwindet hinter dem Berg an Gedankenkonzepten, die Plein vor sich auftürmt. Umgekehrt will er auch nicht unbedingt wissen, was im Leben seines Gesprächspartners gerade passiert. Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass Plein mich irgendetwas Persönliches gefragt hätte.

Doch in dieser Nacht sagt er auch Sachen, die ich so von ihm noch nicht gehört habe und die mich verblüffen. »Ich habe sehr wenig Zeit, das, was ich aufgebaut habe, zu genießen«, räumt er ein. In der Traumfabrik Plein stehen die Räder niemals still. Der »King of Bling«, das »Enfant Terrible«, der »Anti-Held«, der »Underdog«, wie ihn die Presse nennt, ist ein Arbeitstier. Er schuftet rund um die Uhr. Er schläft wenig. Sechs Stunden Schlaf sind viel für ihn. Ist er wach, ist die Zeit durchgetaktet bis spät in die Nacht. Es ist ein irres Pensum, das sich Plein seit bald einem Vierteljahrhundert zumutet.

Es bleiben ihm nur wenige Momente in der Woche, um Atem zu schöpfen und zu sich zu kommen. Wenn er kurz vor Mitternacht nach Hause kommt, steigt er in die Badewanne. »Für eine halbe Stunde«, sagt er. Ganz schaltet er aber selbst im Blubberbad nicht ab. »Dann schaue ich meistens CNN und lese Women’s Wear Daily. CNN ist ein amerikanischer Nachrichtenkanal, Women’s Wear Daily ein Fachmagazin für Mode. Es ist eine Gutenachtbeschäftigung für Hochleistungsmenschen.

Relativ entspannt ist der Freitagabend, wenn er in seinen gelben Lamborghini steigt und von seinem Büro in Lugano in der Schweiz in rund vier Stunden in seine Dschungel-Villa an der Côte d’Azur braust. »Da kann ich nachdenken. Da wird mir bewusst, was um mich herum passiert ist.«

Und es ist eine ganze Menge passiert. Plein ist eine Ich-AG, die zu einer Welt-AG geworden ist. Er ist einer der ganz wenigen noch verbliebenen unabhängigen Designern auf dem 350 Milliarden Euro schweren Luxusmarkt, der von Giganten wie LVMH, Kering und Richemont beherrscht wird, zu denen Marken wie Louis Vuitton, Christian Dior, Gucci, Yves Saint Laurent, Cartier und Montblanc gehören.

»I’m not a businessman … I’m a business, man!«, dichtete Plein in seinen Anfangsjahren. War damals noch ein Schuss Wichtigtuerei dabei, so trifft der Satz heute voll zu. Die Philipp Plein Holding AG mit Sitz in Lugano erwirtschaftet einen Umsatz von über 200 Millionen Euro.

Seit über einer Dekade zeigt er seine Kollektionen auf der Mailänder Fashion Week neben Giorgio Armani, Gucci und Prada, wo deutsche Marken wie Hugo Boss oder Aigner nur gelegentlich auftreten. Er verkauft nicht nur Bekleidung, Schuhe und Taschen, sondern inzwischen auch Brillen, Uhren, Düfte und Möbel. In Mailand entstehen Apartments und ein Hotel samt Club unter seinem Namen, abgestempelt und besiegelt mit seinem Logo: zwei Ps, achsengespiegelt, in einem Sechseck.

Plein kann nicht loslassen und ist in jedes Detail eingebunden. Er entscheidet, wie die Kollektion aussieht, wer die Lampen in den Läden an die Decke schraubt und wie viel für das Wi-Fi-Netzwerk und die Drucker ausgegeben wird. Keine Rechnung wird ohne sein Okay bezahlt. Plein ist Vorstandschef und Kreativdirektor in Personalunion, was in der Mode sonst eigentlich nur auf Giorgio Armani zutrifft. Die anderen Marken haben die beiden Aufgabenfelder getrennt. Vielleicht, weil ihnen bewusst ist, dass der Tag nur 24 Stunden hat.

Wer eine Audienz mit dem König will, muss hartnäckig bleiben, sich in Geduld üben und darf nicht pingelig auf die Uhr gucken. Häufig wartet man eine Weile, ohne dass sich irgendetwas ereignet. Und dann ist Plein auf einmal da, und alles spielt sich wie im Zeitraffer ab. Viele Interviews finden in Bewegung statt. Typisch ist, dass Plein nach vorn rennt und die Journalisten ihm im Schlepptau hinterherhecheln. Mit Karacho eilt er durch den neuen Laden, den neuen Showroom oder eines seiner Anwesen und rattert in atemberaubendem Stakkato Informationen herunter. Umsätze, Quadratmeter und Preise.

Er redet ohne Punkt und Komma, erzählt, was er alles angepackt habe und in Bälde anpacken werde. Die Reporter fragen kreuz und quer. Am Ende bleibt vor lauter Zahlen, Fakten und Superlativen eine gewisse Ratlosigkeit zurück, wie man das gerade Erlebte einordnen soll.

Arbeit und Privates gehen bei Plein fließend ineinander über. Ja, vielleicht ist alles eins für ihn. Wer nicht von seiner Seite weicht, dem kann es passieren, dass er ihn zum Abendessen begleiten darf und sich auf einmal am Tisch mit seinen Eltern und seiner Schwester wiederfindet. Wie es mir einmal in München widerfahren ist, als er nach einer Ladeneröffnung in das Edelrestaurant Käfer bat.

Ich saß zwischen Plein und seinem Stiefvater. Plein hielt sich meinen Audiorekorder wie ein Diktiergerät vor den Mund und sprach die Geschichte seines Aufstiegs ein, gelegentlich unterbrochen von Einwürfen seiner Mutter und Schwester. Zwischendurch wandte ich mich seinem Stiefvater zu. Ich vertraute ihm an, dass ich gern ein Buch schreiben würde. Nur sei ich mir nicht sicher, von was oder wem das Buch handeln würde, beichtete ich ihm. Er sprach mir Mut zu. »Ich glaube, dass Sie es schreiben werden.«

Heute weiß ich, dass es Pleins Biografie ist. Ich habe lange gebraucht, bis ich mir das eingestanden habe. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, über Jil Sander zu schreiben. Mich hatte der Ehrgeiz gepackt, der schweigsamen Designerin ihr Geheimnis zu entreißen. Doch je tiefer ich ins Archiv abstieg, je mehr Daten und Fakten ich in meinen Ordnern ablegte, desto lustloser wurde ich. Jil Sanders Geschichte mag spannend sein, sie löst aber nichts in mir aus.

Das ist bei Plein anders. Mir ist er näher, mit seinem Werdegang kann ich mich identifizieren. Wir sind beide 1978 geboren. Mir imponiert, dass er an sich glaubte, als die meisten an ihm zweifelten und ihn verspotteten. Er ist kein Modedesigner und ist doch in der Mode gelandet, während ich Journalist geworden bin, ohne eine Journalistenschule besucht zu haben, weswegen ich mich am Anfang meiner Laufbahn manchmal wie ein Hochstapler fühlte. Vielleicht kam sich Plein auch so vor.

Mir ist es wichtig, die Menschen nicht zu belehren, sondern zu unterhalten. Das gilt auch für Plein. In der Mode, in der sich viele furchtbar ernst nehmen und unheimlich gebildet daherschwafeln, ist er der Entertainer, der etwas Verrücktes tut, damit alle ihren Spaß haben. In seinen Laden auf dem Mailänder Corso Venezia hat er eine Bar hineingebaut, die mit ihren gewölbten Wänden der Kabine eines Privatjets nachempfunden ist, und hat sie Air Force Plein getauft. Als ich das einem Studienfreund zeigte, sagte er mir: »Tobias, Plein ist doch viel geiler als Jil Sander.«

*

Ich horche mich ausgiebig bei seinen ehemaligen Weggefährten um. Da Plein fast jede Sekunde etwas zu tun hat, hat er mir keine Liste mit Personen gegeben, wie man es als Biograf hätte erwarten können. Stattdessen habe ich quasi alle Namen und Nummern selbst recherchiert. Bis auf wenige Ausnahmen. Eine ist wirklich amüsant. An einem Abend legte mir Plein nahe, mit X zu reden. »Dann gab es noch den X. Hast du mit dem schon gesprochen? Der war auch ein guter Typ.« Da Plein die Nummer nicht mehr hat, setze ich alle Hebel in Bewegung und mache X ausfindig, Nach zwei Wochen Stalking meldet sich X. Er ist bereit, mit mir zu sprechen, sofern Plein ihm persönlich die Erlaubnis erteilt. Ich gebe ihm Pleins Nummer. Doch jedes Mal, wenn X anruft, geht Plein nicht ran.

Weitere zwei Wochen vergehen, bis ich Plein wiedersehe. Ich bitte ihn, X das Okay zu geben. Plein reicht mir sein Handy und sagt: »Schreib du ihm.« Ich tippe und komme mir augenblicklich fadenscheinig vor: »Hallo X, du kannst mit Tobias sprechen.« X ist wohl misstrauisch, als er die Nachricht bekommt, und hakt nach. Er teilt mir mit, »ohne Erfolg« durchgeklingelt und eine SMS geschrieben zu haben, die nicht beantwortet worden sei. »Schade, ich versuche es weiterhin.« Weitere zwei Wochen ziehen ins Land, bis wir beide aufgeben. Und ich schäme mich, dem X ein X für ein U vorgemacht zu haben.

Gott sei Dank sind die meisten Personen bereit, mit mir zu sprechen. Man merkt, dass sie gern an ihre Zeit mit Plein zurückdenken. Egal, wie sie mit ihnen und Plein geendet hat. Ab und an schicke ich Plein Bilder von meinen Begegnungen. Nachdem ich ihm ein Selfie mit Karl-Heinz Müller, dem Ex-Chef der Messe Bread & Butter, geschickt hatte, antwortete Plein mit einem Herz. Auf der Bread & Butter hatte Plein seinen Durchbruch in der Mode. Und Müller hatte es möglich gemacht.

Nur ein einziges Mal hat mich Plein bisher angerufen. Er saß im Auto und war auf dem Weg von Lugano nach Mailand. »Tobias, matcht das, was ich dir sage, mit dem, was dir die Leute erzählen?« Ich bejahte das. Plein dramatisiert hin und wieder, er ist aber kein Märchenonkel. Allerdings hat er nie Zeit, sich mit mir länger zu unterhalten. Umgekehrt fällt ihm sofort auf, wenn ich keine Zeit habe und ausnahmsweise nicht zu einem seiner Events erscheine. Ich fehlte, als er in Genf eine Uhr vorstellte. Ein paar Tage später hielt er mir das vor: »Du warst ja nicht da. Wo warst du denn? Bei Brunello Cucinelli?«

Das ist eine versteckte Spitze. Brunello Cucinelli ist der italienische Kaschmirkönig. Er redet mit leiser Stimme gern über Aristoteles, Thomas von Aquin und die Würde des Handwerks. Cucinelli versteht es, die ganze Presse an sich zu binden. Wenn er während der Herrenmodenmesse Pitti Uomo in Florenz zum Dinner einlädt, versammelt er Journalisten aus aller Welt um sich. Darüber regen sich hinter vorgehaltener Hand einige Labels auf, die am gleichen Abend gern feiern würden, aber sich nicht trauen, weil sie Angst haben, trotz bestem Prosecco und Prosciutto alleine zu bleiben.

In der Hoffnung, endlich mit Plein in Ruhe sprechen zu können, bin ich extra aus Mailand zu ihm nach Cannes gereist. Laut Google Maps sind das 350 Kilometer. Es ist ein Wagnis gewesen, da ich im Voraus nicht abschätzen konnte, ob er sich für mich überhaupt Zeit nehmen würde. Es waren 350 Kilometer Fahrt einfach mal ins Blaue hinein.

Lange überlegen, ob sich die Tour lohnt, konnte ich nicht. Seine Einladung flatterte wie immer auf den letzten Drücker herein. Plein ist nicht nur Deutschlands erfolgreichster Luxusdesigner, sondern auch Deutschlands notorischster Auf-den-letzten-Drücker-Einlader. Wenige Tage zuvor landete eine E-Mail in meinem Postfach. Eingangszeit: 14:07 Uhr. Absender: Beniamino, der bei einer PR-Agentur angestellt ist, die sich für Plein um Presse und Events kümmert. Ich schenkte der Nachricht zuerst keine Beachtung, weil ich mit anderem beschäftigt war.

Plein aber ist nicht nur ein Getriebener, er treibt auch seine Leute an, sich so wie er ins Zeug zu legen. Nur etwas mehr als eine Stunde später, exakt um 15:22 Uhr, fasste Beniamino schon auf WhatsApp nach. »Hast du meine E-Mail gesehen?« – »Okay, es eilt«, murmelte ich vor mich hin.

Ich klickte die E-Mail auf, und mir leuchtete eine digitale Karte entgegen: »Entdecken Sie die exquisite Landschaft des Luxus. Mr. Philipp Patrick Plein würde sich freuen, Sie in seiner Villa in Cannes La Jungle du Roi zu begrüßen.« Das alles war in goldenen Lettern verfasst.

Was der Anlass der Einladung war, erschloss sich mir nicht so recht. Beniamino schrieb nur kurz etwas von einem neuen Parfüm, von Brillen und einem NFT, das »out of this world« sei. Ein NFT ist ein Non-Fungible-Token, also ein digitales Kunstwerk, das einem Eigentümer klar zugewiesen werden kann.

Für ein neues Parfüm nach Cannes? »Absurd«, schoss es mir durch den Kopf. Dabei starrte ich aber weiter gebannt auf die goldene Karte. »Oder ist das mein Glückstag, dass ich endlich mit ihm quatschen kann?« Minutenlang wälzte ich das Für und Wider in meinem Kopf und gab mir schließlich einen Ruck. »Ich probier’s«, entschied ich und tippte an Beniamino: »Okay.«

Nachdem ich dann morgens um 10 Uhr in Mailand aufgebrochen und am Nachmittag durch Cannes flaniert bin, stehe ich kurz vor 20 Uhr vor Pleins Anwesen auf einem der Hügel, die über der Stadt thronen. Vor dem Tor ist ein breitschultriger Bodyguard in schwarzem Anzug postiert. Er mustert mich etwas abschätzig. In der Eile habe ich übersehen, was über der Einladung stand. »Dresscode: Black Tie«. Als ich im Hotel meinen Fauxpas bemerkte, war es zu spät. Statt im Smoking mit schwarzer Fliege stehe ich in zerlöcherter Jeans und Jeanshemd vor dem Dschungel des Königs. Trotz meines unwürdigen Aufzugs darf ich passieren und finde mich nach wenigen Schritten im Garten der Villa wieder. Da Plein hier dauernd für Instagram filmt, kommt es mir so vor, als würde ich durch die Kulisse eines Hollywood-Movies schreiten, das ich schon hundertmal gesehen habe. Ich laufe ich an einer verglasten Garage vorbei, in der ein grüner Ferrari parkt, und gelange an einen plätschernden Springbrunnen. Grüner Ferrari, Springbrunnen? Ich habe ein Déjà-vu und stutze kurz, dann verstehe ich warum: »Natürlich, die Posse mit Ferrari!«

2019 stellte Plein seine Sneaker auf der Haube seines grünen Flitzers ab, den er vor dem Springbrunnen geparkt hatte. Er spritzte mit dem Gartenschlauch, zwei Bikini-Schönheiten in Gestalt seiner Partnerin Lucia und Alexa Dellanos, der Freundin des Graffitikünstlers Alec Monopoly, seiften seinen Boliden in aufreizender Pose ein. Die Bilder veröffentlichte er auf seinem Instagram-Account. Ferrari sah das mit Entsetzen und forderte ihn in einem gepfefferten Anwaltsschreiben auf, solch eine »geschmacklose Werbung« zu unterlassen. Plein keilte zurück und stellte sich auf den Standpunkt, dass es sich um keine Werbung für die Marke Philipp Plein gehandelt habe, sondern eine rein private Spielerei gewesen sei. Erstens gehöre der Ferrari ihm. Mit seinem Eigentum könne er machen, was ihm beliebe. Zweitens handele es sich um kein professionelles Fotoshooting mit Models, sondern um ein paar Schnappschüsse unter Freunden. Den Brief des Ferrari-Advokaten postete er natürlich auf Instagram.

Es war der Höhepunkt eines kuriosen Streits, der schon Jahre schwelte. In seiner Fashion Show im Juni 2017 hatte Plein mehrere Sportwagen losröhren lassen, darunter auch Ferraris. Anscheinend hatte er die Sportwagenschmiede aus Maranello nicht um Erlaubnis gebeten. Ein paar Monate später monierte Ferrari, dass Plein bei der Eröffnung seines Stores auf der New Yorker Mercer Street einen weißen Testarossa innendrin abstellte.

Am Ende musste Plein 300.000 Euro Schadenersatz zahlen. Es war nur etwas mehr als ein Zehntel dessen, was Ferrari ursprünglich verlangt hatte. Die Sportwagenschmiede hatte 2 Millionen Euro plus Anwaltskosten geltend gemacht. Plein nahm es gelassen und verbuchte es als Marketing. Denn der Zoff mit Ferrari bescherte ihm gewaltige Aufmerksamkeit. Medien in aller Welt berichteten über jede Volte der Auseinandersetzung. Wer heute »Plein« und »Ferrari« auf Google eingibt, erhält 11,7 Millionen Suchergebnisse. »Jeder Kanalarbeiter in Mexiko weiß davon.«

Der grüne Ferrari ist da, der Brunnen ist da. Es fehlt nur der Hauptdarsteller.

»Wo ist denn Plein?«, frage ich mich.

*

Den Namen Philipp Plein hatte ich das erste Mal im Frühjahr 2016 vernommen. Damals hatte ich gerade als Italienkorrespondent bei der TextilWirtschaft angefangen. Die TW ist Deutschlands wichtigstes Fachmagazin für Mode und wird sowohl von der Industrie als auch dem Einzelhandel gelesen. Besser als die Publikumspresse kann sie einschätzen, welche Designer und Marken kommerziell erfolgreich sind. Deshalb ist ihr Plein, der zu den wenigen deutschen Modeschaffenden zählt, die Kunden in aller Welt haben, immer eine Story wert. Dass Plein für mich bis dahin kein Begriff war, lag daran, dass ich vor meinem Job bei der TextilWirtschaft so gut wie nichts mit Mode am Hut hatte. Ich habe vor allem über Wirtschaft und Politik berichtet. Meine erste Leidenschaft war der Ölmarkt, weswegen mir meine frühere Redaktion den Spitznamen »Ölprinz« verpasste.

»Du, der Plein hat da etwas auf Instagram verkündet. Irgendetwas mit Briatore zusammen. Schaust du dir das bitte einmal an?«, schrieb mir damals ein TextilWirtschafts-Kollege aus der Zentrale in Frankfurt und schickte mir einen Internetverweis. »Wer bitte ist denn Plein?«

Ich klickte auf den Link. Es poppte ein Bild auf, das zwei Männer bei der Vertragsunterschrift zeigte. Rechts saß Flavio Briatore. Den kannte ich, weil er in den 1990er-Jahren mit Michael Schumacher als Benetton-Piloten zweimal die Formel-1-Weltmeisterschaft gewonnen hatte. Der Italiener besitzt eine Vorliebe für junge Frauen, getönte Brillen und Steuersparmodelle. Links saß ein mir unbekannter Blonder, der sich seinen Pony wie die Comicfigur Tim spitz nach oben gegelt hatte. Das musste also Plein sein. »Wir bauen ein Imperium«, stand unter dem Bild.

Die Nachricht war, dass Plein die Mehrheit an Briatores Label Billionaire übernehme. Plein präsentierte das als ein gewaltiges Manöver, das die Mode in ihren Grundfesten erschüttern werde. Pech für mich, dass ich von einem Label namens Billionaire zu der Zeit noch nie etwas gehört hatte. Briatore hatte einen Club auf Sardinien, der so hieß. Aber Mode namens Billionaire?

Im Herbst 2016 machte Plein ein zweites Mal von sich reden. Er trommelte die Presse zusammen. An der Via dei Giardini, keine schlechte Adresse. Ich ging zum Termin und stand verdattert vor einem siebenstöckigen Turm. Unten im Foyer funkelte bedrohlich ein gigantischer Totenkopf, oben auf dem Dach war in dicken Lettern »Philipp Plein« angeschrieben. Eine Mischung aus Trump Tower und Castle Grayskull aus Masters of the Universe, mit dem ich als Kind gespielt hatte.

»Wie ist das möglich?« Ich war platt. Von einem Korrespondenten wird erwartet, dass er immer informiert ist, wenn sich in der Stadt etwas tut. Der Plein-Wolkenkratzer musste über Nacht aus dem Mailänder Asphalt geschossen sein. Auf eine andere Weise konnte ich es mir nicht erklären.

Meine Neugier war geweckt. Ich begann, mich mit Plein zu beschäftigen, und stellte fest, dass wir derselbe Jahrgang sind und die gleichen Fernsehserien geguckt haben. Ein Colt für alle Fälle, Der Prinz von Bel-Air und Herzblatt mit Rudi Carrell. Warum ich das weiß? Weil ich es ihn gefragt habe.

Im Januar 2022 auf der Mailänder Fashion Week überraschte Plein alle mit einem Roboter. Der Androide, der mich an C-3PO aus Krieg der Sterne erinnerte, wurde mitten in den Raum geschoben. Er hieß wie sein erstgeborener Sohn »Romeo« und fachsimpelte mit einer Frauenstimme über das Metaverse. Am Ende beantwortete er die Fragen des Publikums. Als ich meinen Blick durch die Reihen schweifen ließ, sah ich, dass einige mit offenem Mund die Maschine anstarrten, die plapperte und plapperte und dazu ihre Lippen bewegte.

Auf seiner nächsten Show einen Monat später traf ich Plein im Foyer. Er unterhielt sich mit einer jungen Frau, die sich mir als Cheryl vorstellte. Kaum hatte sie die ersten Worte ausgesprochen, platzte es aus mir heraus: »Moment mal, bist du etwa Romeo?« Sie lachte los: »Ja, ich bin Romeo.«

Der Roboter war in Wahrheit genauso eloquent wie eine Bauchrednerpuppe. Cheryl hatte ihm ihre Stimme geliehen und hinter der Bühne improvisiert. Plein hatte also ein Kabarettkunststückchen aufgeführt.

»Erinnerst du dich an Herzblatt? Sie klingt wie Susi«, sagte ich zu Plein, der sofort verstand, wovon ich redete. »Klar, Herzblatt mit Rudi Carrell.« In der Flirtshow rangelten drei Kandidaten mit möglichst charmanten, witzigen Antworten um die Gunst des Studiogastes. Am Ende fasste Moderatorin Susi Müller, die »erotischste Stimme Deutschlands«, aus dem Off das Gesagte zusammen. Als Plein und ich versuchten, Cheryl diese Sternstunde des deutschen Fernsehens näherzubringen, und die Amerikanerin uns mit blankem Gesichtsausdruck fixierte, hatte ich kurz den Eindruck, wieder Romeo vor mir zu haben.

Mögen Plein und ich etwa zur selben Zeit gestartet sein, so ist klar, dass er sich mit einer viel höheren Geschwindigkeit durchs Leben bewegt als ein Durchschnittsmensch wie ich. 1998 machten wir Abitur, danach hängte er mich gnadenlos ab: Er baute ein luxuriöses Hundebett, das nach einer gewissen Zeit auch Jennifer Lopez und Antonio Banderas toll fanden, während ich mit dem Studium in St. Gallen begann. Ihn verschlug es ins nahe gelegene Amriswil, wo er auf ein Gut zog, zu dem Pferdestall und Swimmingpool gehörten. Als ich mein erstes Redakteursgehalt bekam, hatte er bereits mit Möbeln und seiner Totenkopf-Lederjacke Millionen verdient. 2011 bezog ich als Korrespondent ein WG-Zimmer in Mailand. Zwölf Quadratmeter mit Dusche. Er präsentierte da längst seine Klamotten auf der Fashion Week und hatte einen Showroom mitten im Mailänder Modedreieck. Samt Masseurin, die den Kunden den Rücken knetete.

Er vertraute mir einmal an, dass er gern mit Elon Musk plaudern würde. Mir war sofort klar, warum. Musk gleicht Tony Stark aus der Comicserie Iron Man. Er hat zwar keinen Reaktor in der Brust wie der Marvel-Held Stark, aber seine Taten sind dennoch fast genauso aberwitzig. Nachdem er PayPal mitgründete und an Ebay verkaufte, attackierte der Amerikaner mit Tesla die etablierten Autohersteller, flog mit SpaceX ins All und übernahm Twitter. Einer der Lieblingsfilme von Musk ist die Krieg-der-Sterne-Persiflage Spaceballs von Mel Brooks. Der amerikanische Komiker schickt das Raumschiff der Bösen schneller als mit Lichtgeschwindigkeit, nämlich mit »lächerlicher Geschwindigkeit« durch die Galaxis. Musk hat deshalb in seinem Tesla einen »Lächerlich-Modus« eingebaut. Plein operiert auch gern im Lächerlich-Modus.

Das brachte mich auf die Idee, ihn für eine Reportage 24 Stunden unentwegt zu begleiten. »Ein Tag im Leben von Philipp Plein« nannte ich das Projekt, das ich mit Pleins damaliger Pressesprecherin Amandine besprach: »Ein normaler Tag. Der kann auch ohne Highlights sein. Aber von morgens bis abends. Wir fangen an, wenn er anfängt. Und hören auf, wenn er aufhört. Wir wollen sehen, wie er arbeitet. Den Rhythmus erleben. Die Prioritäten«, schrieb ich ihr.

Sie war sofort Feuer und Flamme. »Die Idee ist klasse!«

Das war im September 2016. Dann war erst mal Sendepause. Als ich im November nachhakte, versicherte sie mir: »Philipp war begeistert. Das mit dem Termin finden ist nur nicht ganz so einfach, aber wir bekommen das hin! Schicke auch schon zehn WhatsApp Nachrichten und E-Mails täglich!« Auf dem Verteiler stand auch Pleins Assistentin, die gern im Konjunktiv formulierte. Sie schrieb Sätze wie: »Das könnte funktionieren.« Oder: »Vielleicht wird er nach Mailand fahren.«

Im April 2017 hatte Plein die Assistentin gewechselt, aber ein Datum hatten wir immer noch nicht festgezurrt. Amandine schlug Mai vor. »Denn im Juni ist viel los.« Ob und was ich darauf antwortete, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls erblickte das Meisterwerk »Ein Tag im Leben von Philipp Plein«, mit dem ich sicher den Egon-Erwin-Kisch-Preis eingeheimst hätte, nie das Licht der Welt.

In Cannes ist es derweil 20:30 Uhr. Ich bahne mir den Weg durch Grüppchen von Damen in Abendkleidern und Herren in Smokings. Ein Ober balanciert ein Silbertablett voller Champagnergläser an mir vorbei. Ich nehme mir eines und stehe auf einmal neben Noemi Alboreto. Sie ist die Tochter des Rennfahrers Michele Alboreto, der im Ferrari Vizeweltmeister der Formel 1 wurde und die 24 Stunden von Le Mans gewann. 2001 verunglückte er tödlich auf dem Lausitzring. Seit rund zehn Jahren organisiert Alboreto für Plein als Creative Manager Kampagnen und Fotoshootings. Es ist ein Job, der gute Nerven erfordert, schließlich hat Plein extrem hohe Ansprüche, aber auch extrem wenig Zeit, alles durchzusprechen. Es kann schon passieren, dass er im allerletzten Moment umentscheidet. Binnen weniger Tage müssen Fotos und Videos im Kasten sein. Wie viel Stress Alboreto hat, verrät ihr Firmenhandy. Es ist ein altes Modell, was für den Technologie-Nerd Plein ungewöhnlich ist. »Wenn ich wütend bin, schleudere ich das Handy immer an die Wand«, sagt Alboreto. »Weil ich so viele kaputt gemacht habe, kauft mir Philipp keines mehr.« Seitdem muss sie sich zusammenreißen. Nach dem Baujahr des Handys zu urteilen, gelingt ihr das ganz gut.

Alboreto ist top ausgebildet und kennt in der Mode jede und jeden, der etwas zu sagen hat. Sie könnte problemlos für andere Luxusmarken arbeiten. Alboreto bleibt aber bei Plein. Die Firma zu wechseln komme ihr überhaupt nicht in den Sinn: »Nie im Leben werde ich das tun.« Sie habe von Plein viel gelernt. Als sie bei ihm als Praktikantin angefangen habe, sei sie noch »verhätschelt« gewesen. »Dank ihm habe ich kapiert, was in mir steckt.«

Entweder bist du für Plein. Oder du bist gegen Plein. Dazwischen gibt es nichts. Plein polarisiert. »Wir sind nicht Coca-Cola, denn die schmeckt jedem. Wir sind Whiskey-Cola«, sagt er.

Seine Mode verströmt Sex & Rock ’n’ Roll. Während viele Designer wie Billie Eilish hauchen und flüstern, sind Pleins Kollektionen laut und hart wie Billy Idol, der »More, more, more!« in seinem Hit »Rebell Yell« ins Mikro schreit. Er entwirft Jacken aus Krokodilleder für die Herren und Glitzerkleider mit Strasssteinen für die Damen. Auf den Taschen steht »Cash«, der Duftflakon eines Parfüms ist wie eine Dollarnote geformt. Es gibt auch schwarze Anzüge und elegante Kleider, doch das meiste ist »in your face«. Einmal flanierte ich mit dem Kreativdirektor einer anderen Modemarke durch das Mailänder Modeviertel, vor Pleins Schaufenster machten wir Halt. Ich kann mich noch genau an seine Worte erinnern. Er sprach von »Los-Angeles-Vibe« und bezeichnete Philipp Plein nicht als Designermarke, die mit außergewöhnlichen Teilen einen eigenen Standpunkt ausdrücke, sondern als »Serviceanbieter« mit Komplettgarderobe im Los-Angeles-Stil, vom T-Shirt über die Jeans bis hin zum Turnschuh. »Das ist ein Service für Menschen, die auffallen und zeigen wollen, was sie haben«, sagte er mir.

Ich bin mir nach all den Jahren immer noch nicht sicher, ob Plein mit dem, was er da in die Läden hängt, sich selbst ausdrückt oder ob er eben das designt, was sich möglichst gut verkauft. Plein stellt er sich gern als der gewinnmaximierende Opportunist dar, der alles, was er tut, genau kalkuliert, und die Kunden meisterhaft verführt. Er gefällt sich in der Rolle des Homo Oeconomicus, der zufällig in die Mode geraten ist, aber genauso gut im Maschinenbau oder im Gesundheitswesen hätte landen können. Als ich ihn in New York besuchte, kränkelte sein zweiter Sohn, Rocket Halo Ocean. Plein war außer sich vor Sorge und brachte den Kleinen mehrfach zum Arzt. Er regte sich unglaublich über die aus seiner Sicht mangelnde medizinische Versorgung in der Nacht auf. Eines Morgens lief er in sein New Yorker Penthouse ein, das als Laden dient, und trommelte seine Mitarbeiter zusammen. Er rief ihnen zu: »A star is born!« Er werde eine Kette von Kinderapotheken in Großstädten gründen, die 24 Stunden geöffnet seien, also auch in der Nacht, verkündete er. Er habe schon mit seinem Stiefvater, der Arzt ist, und seinem Berater telefoniert. Plein, der Universalnischenspezialist.

An dieser Selbstbeschreibung mag etwas dran sein. Trotzdem halte ich sie für eine Karikatur. Ich habe mir die Bilder und Videos von früher angeschaut. Als Teenager hatte Plein längere Haare und zierte das Cover der Bravo Girl!. Am Anfang seiner Karriere trug er die Haare kurz, da sah er aus wie der typische Chefarztsohn: Die Haare nach oben gegelt, einen Hermès-Gürtel um die Taille geschlungen, donnerte er mit einem Ferrari California herum. In Anzug und Krawatte baute er sich auf der Frankfurter Messe Ambiente auf und warb für sein Hundebett.

Der Plein, der heute in Cannes neben mir auf der Couch sitzt, ist nicht mehr der von früher. Es sind nur Nuancen, aber sie fallen mir auf. Vor allem der Blick. Er flackert weniger. Er ist fester, ja auch ernster geworden. Auf der Brust und auf den Armen lugen unter dem weißen Hemd, das er am Kragen und an den Handgelenken aufgeknöpft hat, Tätowierungen hervor. »Veni, vidi, vici« steht da, »Ich kam, sah, siegte«, ein Ausspruch, der dem römischen Staatsmann Julius Caesar zugeschrieben wird. Seinen Namen hat er sich auch eingravieren lassen. Es war sein erstes Tattoo, das er sich in einem Studio auf dem Sunset Boulevard in Los Angeles hat stechen lassen. »Das hat rund um die Uhr geöffnet. Da gehen die Besoffenen nach der Party hin«, sagt Plein.

Wegen seiner durchaus selbstreferentiellen »Philipp Plein«-Tätowierung wird er von Journalisten gern mal verspottet. »Man könnte auch sagen, dass sich Philipp Plein damit gewissermaßen selbst auf den Arm nimmt«, höhnte ein Redakteur einmal. Der Kalauer funktioniert, keine Frage.

Darauf angesprochen, krempelt er sich den Hemdärmel nach oben und legt das Tattoo auf dem rechten Unterarm frei. Er habe sich das machen lassen, als er das Jurastudium abgebrochen und sich entschlossen habe, die Marke Philipp Plein aufzubauen. »Das war so eine Art Commitment zu meiner Entscheidung, zu der ich mich ja auch habe durchringen müssen. Ich musste das gegenüber meinen Eltern durchboxen.«

Dass das einige skurril finden, lässt ihn kalt. »Meine Marke hieß ja Philipp Plein, meine Firma hieß Philipp Plein, meine Klamotten hießen Philipp Plein. Viele lassen sich ein Arschgeweih auf den Hintern tätowieren oder irgendwas Chinesisches, was sie gar nicht lesen können. Ich habe mir damals meinen Namen tätowieren lassen, weil es einfach für mich das Projekt meines Lebens war.«

Vielleicht hat Plein, Salem-Schüler und später Jurastudent aus gutem Hause, dessen Eltern es gern gesehen hätten, wenn er wie sein Stiefvater Arzt geworden wäre, die Figur Philipp Plein erschaffen, die sich von niemandem etwas sagen lässt, die sich an keine Regeln hält, die ausbricht, die bedingungslos ihren Weg geht, und ist ihr mit der Zeit immer ähnlicher geworden.

Freunde und Weggefährten Pleins erzählen mir, dass Plein früher zuhörte. Dass man mit ihm über Gott und die Welt palavern konnte. Heute hat er dafür fast keine Muße mehr. Je mehr sich sein Unternehmen ausgedehnt hat, desto kleiner ist der Raum geworden, der ihm für menschliche Interaktionen bleibt, die nicht den Charakter einer Transaktion haben. Wenn es nicht um Anliegen seiner Familie geht, sortiert Plein alles aus, was ihn nicht seinen Zielen näherbringt. Wie Glückwünsche. Ich gratulierte ihm via WhatsApp zum Neuen Jahr. Er las die Nachricht, antwortete aber nicht. Das wiederholte sich bei seinem Geburtstag. Man kann das als unhöflich empfinden. Oder als radikales Zeitmanagement deuten. Welcher Welteroberer schreibt schon Weihnachtskarten?

Um 21:30 Uhr halte ich vor einer Statue an, die wie eine umgedrehte Champagnerflasche aussieht. Dann schwant es mir auf einmal: Das ist das überdimensionierte Abbild des neuen Parfüms, weswegen Plein uns ja alle zu sich eingeladen hat. »Plein Fatale« heißt es. Derjenige, der das Parfüm erschaffen hat, ist dann auch nicht mehr weit: Alberto Morillas, der Meisterparfümeur aus Genf. 2019 wurde er das erste Mal von Plein gerufen. Die Pressemitteilung, mit der Plein seinen ersten Duft ankündigte, war mit der Zeile überschrieben: »Wenn der King of Now auf die Welt der Parfüms trifft.«

Das neue Parfüm ist für Plein die Nummer drei. Für Morillas ist es Nummer 2000 und ein paar Zerquetschte. Von ihm stammen unter anderem CK One von Calvin Klein, Acqua di Giò von Giorgio Armani und Opium von Saint Laurent. Für den Anlass hat er sich ganz in Plein geworfen. Sakko und Hose glitzern im Partylicht so stark, dass man die Augen zukneifen muss. Als ich von Morillas wissen will, welche Gefühle er mit einem Plein-Duft assoziiert, schaut er in die Höhe und gestikuliert mit den Händen: »Philipp is fun«, sagt er. Dann kramt er eine Schachtel mit Zigaretten hervor, was mich erstaunt. »Stört einen Parfümeur Zigarettenrauch nicht?«, will ich wissen. Morillas schüttelt den Kopf und tippt sich an die Schläfe: »Düfte entstehen im Kopf.« Er mixt sie also im Geiste. Der Duft der Zigarette sei für ihn die Basis, die »Zero«. Das ist wahrscheinlich ähnlich wie mit der Null auf dem Thermometer, von der aus sich bestimmt, wie heiß oder kalt es ist, reime ich mir später zusammen.

Im Augenwinkel sehe ich zum ersten Mal Plein, an der Seite Lucia, die Mutter seines zweiten Kindes Rocket. Er bemerkt mich nicht. Keine Ahnung, warum, aber ich frage mich in dem Augenblick: »Wie hätten Plein und ich uns verstanden, wenn wir gemeinsam zur Schule gegangen wären?«

Mir fällt unser Gespräch auf der Mailänder Fashion Week im Januar 2020 ein. Plein hatte für sein Label Billionaire – genau, das von Flavio Briatore – die Präsidentensuite im Luxushotel Principe di Savoia gemietet, wo er spätabends Models in allen Zimmern positionierte. Tolle Sache, aber total unpraktisch. Denn wer das erleben wollte, musste in der Lobby des Hotels in einen speziellen Aufzug steigen, der ganz nach oben fuhr. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich heute noch, wie ich nach einem langen Tag, an dem ich durch die ganze Stadt von Show zu Show gehetzt war, durch die Drehtür flitze und abrupt abbremse, weil sich vor dem Aufzug eine lange Schlange gebildet hatte.

Am Kopf der Schlange stand eine junge Dame, die einen dicken Packen Papier in der Hand hielt und hektisch die Seiten umblätterte, auf der winzig eine nicht enden wollende Gästeliste abgedruckt war. Als ich einlief, redete ein Besucher aus Asien auf sie ein, der offenbar versuchte, seinen Namen auf Englisch zu buchstabieren. Sie blätterte, blätterte und blätterte. Und es ging nicht weiter. Ich sah, wie sich die Aufzugtür öffnete, rannte los, an allen vorbei, und sprang rein. Oben angekommen durchkämmte ich die ganze Suite. Vergeblich, von Plein keine Spur. Ich ließ mich auf den Sessel im Schlafzimmer fallen und unterhielt mich mit den Models. Irgendwann stand dann auf einmal Plein im Zimmer, an seiner Seite seine damalige Freundin.

Er grüßte, ich grüßte zurück. Um uns herum herrschte Tumult. Links und rechts quetschten sich die Leute an uns vorbei, Musik dröhnte laut. Richtig Party also. Und wir fingen mitten in dem Chaos an, über seine Vertriebsstrategie zu reden. Nicht lange, aber zu lang nach dem Geschmack seiner Freundin, die neben uns stand und etwas genervt mit den Augen rollte. So, als wollte sie uns sagen: »Jungs, hier wird gefeiert, was seid ihr eigentlich für Nerds?«

War ich ein Nerd auf der Schule? Na ja, ich war in der Schach-AG, daddelte viel am Computer, mochte Latein und las P.M. – Peter Moosleitners interessantes Magazin. Plein war auch keiner der Coolen. Er hatte zwar eine Lederjacke an, saß aber dennoch nicht hinten im Bus oder hing im Rauchereck ab. »Ich mochte keinen Alkohol, mochte keine Zigaretten«, sagte mir Plein. Irgendwie habe ihm auch die Mentalität der Coolen nie gepasst. »Letztendlich verstand ich mich mit den Losern und Strebern besser. Die waren eigentlich viel sympathischer.«

Ein Partylöwe ist Plein nicht. Er ist der Partyveranstalter, der ausschenkt, aber keinen Tropfen anrührt. Er vergnügt sich nicht selbst, sondern achtet darauf, dass es seine Gäste tun und am Ende die Kasse stimmt. Die Kasse, das sind für ihn die Bilder und Videos schöner, junger Menschen, die später im Internet kursieren und Likes und Kommentare anziehen.

»Ich bin kein geselliger Mensch«, sagt Plein über sich.

Gegen 23 Uhr ist es endlich so weit. Plein spricht mich an: »Hey Tobias. Komm zum Dessert.« Ich sprinte zu ihm auf die Terrasse, wo eine Tafel mit Törtchen aufgebaut ist. Zeit, mir eines zu schnappen, habe ich keine, denn Plein sagt: »Ich stelle dich jetzt allen vor.« Er hält bei einer jungen Frau an. »Das ist Tobias. Er ist Journalist. Das ist die Tochter von Herrn Popov, unserem Partner in Bulgarien.« Kurzer Small Talk, Plein hechtet weiter zu der Band, die er eingeladen hat: die Gipsy Queens. Sie spielen Evergreens wie »La Bamba« mit einem Eifer, über den eigentlich nur Plein verfügt. Der Frontmann, der sich eine Gitarre vor den Bauch geschnallt hat, hatte einmal mit einer Plein-Mitarbeiterin ein Verhältnis. Seitdem stehen die Gipsy Queens auf Platz eins der Plein-Charts.

Direkt vor der Band wedelt eine Frau mit ihrem ganzen Körper. Plein nähert sich ihr im Tanzschritt. Sie stellt sich als Journalistin des Forbes-Magazins vor und erwähnt, dass sie mal in Philadelphia gelebt habe. Die Umstehenden sind beeindruckt. Auch Plein, der sich schon auf dem Cover von Forbes sieht und sagt: »Philadelphia? Wir hatten dort mal einen Laden. Im Einkaufszentrum King of Prussia.« Die Journalistin kennt das Einkaufszentrum nicht. »Den Laden habe ich gehasst«, sagt Plein. Notabene: Plein zierte in der Tat ein paar Monate später die Titelseite der deutschen Forbes.

Kaum hat er mit der Forbes-Redakteurin ein paar Worte gewechselt, ist Plein schon in der nächsten Ecke und umringt von Personen. Dieses Mal bekomme ich keinen Namen richtig mit. Jedenfalls erzählt Plein, wie er seine Kinder in das Musical König der Löwen geschleppt habe. Schon nach kurzer Zeit sei er genervt gewesen. »König der Löwen ist überhaupt nicht mehr aktuell. Die Kostüme gehen gar nicht. Ich bin eingeschlafen.«

Plein möchte mir sein Anwesen zeigen. Lucia zwingt ihn, am Büffet innezuhalten, und drückt ihm einen Teller in die Hand. Plein habe den ganzen Abend noch keinen einzigen Bissen zu sich genommen. »Er isst zu wenig«, sagt sie und schaut ihn besorgt an, während er hastig etwas in sich hineinschlingt.

Lucia ist in Großbritannien aufgewachsen. Sie schrieb Plein auf Instagram an, und es folgte ein Hin und Her an Kurznachrichten. Der private Chat ist so privat nicht, denn Plein liest ihn gern laut in ihrem Beisein vor und kommentiert ihn mit Verve. Am 23. Februar 2019 textete Lucia: »Hey, du wirst diese Nachricht wahrscheinlich nicht sehen, aber ich fände es toll, wenn du einen veganen Sneaker entwerfen würdest.« Den Satz beendete sie mit einem »X«, was Plein als klare Anmache deutet: »Das X ist offensichtlich ein Kuss gewesen.«

Geschmeichelt war er damals aber nicht. Im Gegenteil. Er antwortete ihr brüsk nur mit einem Fragezeichen und einem Ausrufezeichen. »What the fuck?«, habe er sich gedacht, als er das gelesen habe, sagt er heute. »Philipp Plein, das ist Leder, das ist Python. Genauso gut hätte sie einen Metzger fragen können, ob er ihr ein veganes Schnitzel klopft.« Nach ein paar Wochen schickte er einen zwinkernden Smiley. »Da hatte er noch eine Freundin«, sagt Lucia leicht vorwurfsvoll.

Irgendwann gingen die beiden in London aus. Inzwischen haben sie einen Sohn miteinander, Rocket, der während der Party in Cannes im Haus schlummert. Das Babyglück teilte Plein mit der Welt: Im Februar 2022 kleidete er die Halle mit Bildschirmen aus, auf denen Flammen aufloderten. Die Models liefen zu harten Techno-Beats, die durch die Wörter »Feuer, Feuer« durchschnitten wurden. Eine Frau, ganz in Plein gekleidet, stand von ihrem Platz auf, schwang ihre Arme zur Musik und rief: »Yeah, Philipp!« Am Ende der Show kam Plein auf die Bühne, ergriff die Hand Lucias, die im Publikum saß, zog sie auf den Catwalk, kniete sich hin und küsste sie auf den Babybauch. Eine Modejournalistin neben mir verfolgte das Schauspiel mit verkniffenem Mund. Was hätte ich dafür gegeben, ihr in den Kopf schauen zu dürfen.

Die Uhr zeigt 23:45 Uhr an. Wir sind im Innern des Hauses angelangt. Plein erklärt, was er wann wie verändert habe. Unübersehbar ist der ausgestopfte Löwe, der sich in einem Glaskasten aufrichtet. »Das wird doch nicht der König der Löwen sein, den Plein zur Strafe für zwei langweilige Musical-Stunden erlegt hat?«, frage ich mich und lächle über meinen Witz. Plein sieht, dass ich dem Löwen in den Schlund schaue. »Der war schon hier drinnen. Vor 15 Jahren gefiel so etwas den Leuten«, sagt er fast schon entschuldigend.

»Warst du schon im Heimkino?«, fragt Plein und biegt rechts in einen Kinosaal ab. Wir setzen uns, an jeder Armlehne hängt eine Schachtel mit Popcorn. Gezeigt werden zwei Kurzfilme: der Werbespot für das Parfüm und eine Rallye in New York, mit der Plein und seine Fans den Times Square blockiert haben. Ferraris, Lamborghinis und Porsches, alle versehen mit dicken Plein-Aufklebern. Konzentrieren kann ich mich auf das, was auf die Leinwand geworfen wird und mit bummernder Musik untermalt ist, nicht. Plein hält nämlich einen Flakon seines neuen Parfüms in der Hand, schaut zu seiner Eventmanagerin Alboreto, die in derselben Reihe wie wir sitzt, führt sich das Fläschchen an den Mund und tut so, als würde er es austrinken, weswegen sich Alboreto vor Lachen kringelt.

Die Leinwand wird schwarz, wir verlassen das Kino und staksen eine enge Wendeltreppe hinunter. Auf einmal finden wir uns in der Küche wieder, wo der Koch mit seinem Team mit dem Aufräumen begonnen hat. Es ist noch viel zu tun, überall verstreut liegen Reste von Fisch, Fleisch und geschnittenem Gemüse. »Ihr habt echt großartige Arbeit geleistet«, ruft Plein und fegt wieder hinaus.

Er öffnet die Tür nebenan, die den Weg ins Billardzimmer freigibt. Auf dem Billardtisch steht ein Rucksack, aus dem eine Kameraausrüstung hervorlugt. Ich meine, eine Drohne zu erkennen, und frage, ob es wirklich eine sei. »Damit haben wir alles gefilmt«, sagt Plein. »Mein Nachbar droht uns immer damit, sie mit seinem Gewehr abzuschießen.«

Ich lasse das kurz sacken und frage mich, wie ich mich wohl als Nachbar Pleins aufführen würde. Das wäre ja so, als ob ich direkt neben den MGM-Filmstudios oder dem Freizeitpark Rust wohnen würde, denke ich mir. Das lässt mich ein wenig erschaudern.

»Wir sollten Wayne anrufen«, sagt Plein. Wayne hat eine Tuning-Werkstatt in New York. Er hat die Plein-Rallye in New York organisiert und soll das Ganze nun in Los Angeles wiederholen. »Schauen wir mal, ob er abnimmt.« Er tut’s. Auf seinem Telefon erscheint ein Mann mit Bart und Baseballmütze.

Wayne spricht mit einem heiseren Brummton, eines seiner Lieblingswörter scheint »crazy« zu sein. Plein sagt zu ihm: »In New York hatten wir unsere eigenen Polizisten. Erklär Tobias mal, wie man das hinbekommt.« Wayne antwortet: »Du musst bei der Polizei jemanden kennen, der dann die Polizei kontrolliert. Die Rallye in New York war crazy.«

Wayne gibt sich supercool, ist aber auch supernervös. Denn die New Yorker Rallye hatte Plein binnen fünf Tagen auf die Beine gestellt, was Wayne die Schweißperlen auf die Stirn trieb. Die Rallye in Los Angeles soll um einiges größer werden. Sie werde noch abgedrehter als die in New York: »Ich habe so langsam Angst. Die Polizei von Beverly Hills hat bei uns schon angerufen.«

Das scheint Plein zu amüsieren und sogar ein bisschen stolz zu machen. Mit gespielter Entrüstung fragt er: »Die Polizei von Beverly Hills hat angerufen? Was wollen die von uns, zum Teufel nochmal?« Wayne antwortet: »Du musst diese Formulare ausfüllen. Das ist schon crazy.«

Die Formulare scheinen Plein wenig zu kümmern. Er wechselt das Thema. »Wayne, ich wollte dich daran erinnern, dass du das Nummernschild am Rolls-Royce in Ordnung bringst. Es sieht so aus, als hätte da jemand rumgespielt.« Und dann ist Plein auf einmal bei dem Rapper und Schauspieler Ice-T. »Lass uns ein Dinner mit Ice-T machen. Er ist wirklich cool, er weiß alles über Philipp Plein. Er ist ein großer Fan.«

Wayne nickt, schaut aber ernst drein. Er denkt wahrscheinlich wieder an die Rallye in Los Angeles. Er faltet die Hände wie zum Gebet und bewegt sie auf und ab. »Lass uns das bitte schleunigst angehen.« Plein antwortet: »Wayne, peace out«, und beendet per Tastendruck den Videoanruf.

Gegen 1 Uhr hat Plein alle Gäste verabschiedet. Alle bis auf mich. »Die Tour ist noch nicht zu Ende«, sagt er. Er will mir noch das zweite Haus zeigen, wo er mit Lucia und seinem Sohn schläft. Vor einer Glastür bleiben wir stehen. »Schuhe aus«, sagt Plein. »Wir müssen leise sein. Rocket liegt oben.« Wie die Einbrecher schleichen Plein, Lucia und ich durch das Haus. Kein Raum sieht aus wie der andere, zu jedem einzelnen hat Plein eine Geschichte zu erzählen. »Mir gefällt es, wenn jedes Zimmer anders ist. Jedes Mal, wenn du ein Zimmer betrittst, findest du dich in einer anderen Welt wieder.«

Wir lugen in ein Zimmer mit Konferenztisch hinein. »Das ist der Panikraum«, sagt Plein. »Warum Panikraum?«, frage ich. »Das ist das Büro«, sagt Plein, worauf Lucia ergänzt: »Wenn du einmal mit Philipp arbeitest, weißt du, warum er so heißt.« In dem Raum, in dem Plein regelmäßig seine Topmanager empfängt und mit seinem Kreativteam über neue Entwürfe brütet, ist es sehr kalt. »Hilft dir das beim Arbeiten?«, will ich wissen. »Nein, aber den Designern«, sagt Plein. »Andernfalls werden sie müde.«

Wir laufen eine Treppe hinab. Wie ein Immobilienmakler erklärt Plein genau, welches Material er warum verwendet hat. Es ist bewundernswert, wie lange Lucia durchhält. Doch als Plein anfängt, den Muranoleuchter über unseren Köpfen zu beschreiben, merke ich, dass sie erschöpft ist. »Ich gehe hoch«, sagt sie. Kurz darauf ist sie weg.

Um 1:15 Uhr finde ich mich mit Plein allein auf der Couch wieder. Er hebt an und erzählt von seiner Villa in Bel Air. Natürlich trägt auch die einen ausgefallenen Namen: Chateau Falconview. »Wer die Villa in Cannes sieht, denkt sich: Wow, super! Doch das Chateau ist zehnmal größer. Das ist unglaublich.«

Seit 2014 wendet Plein gewaltige Summen auf, um das Schloss herzurichten. »75 Millionen Euro hat es mich gekostet. Denk mal darüber nach.« Und das werde nicht reichen. »Das Interieur verschlingt nochmal 10 bis 15 Millionen Euro.« Wann alles abgeschlossen sei, wisse er nicht. Der Termin verschiebe sich immer weiter nach hinten, schimpft Plein, der seinen Architekten und seinem Generalunternehmer die Schuld dafür gibt. Ändern könne er daran nichts.

»Ich bin gefangen.«

Doch das Ungemach habe auch sein Gutes, schiebt er nach: »Wenn das Ding fertig ist, werde ich vielleicht depressed sein. Das Schloss war mein Riesentraum. Dann habe ich mir alles erfüllt. Ich habe Angst davor, nicht zu wissen, was danach kommt.«

Plein gähnt. »Ich glaube, das war’s für heute«, sagt er. Wir gehen hoch, ich ziehe mir die Schuhe an. Er begleitet mich barfuß bis zum Tor. »Wir wiederholen das.«

Es ist 2:55 Uhr, stelle ich draußen auf der Straße fest. Fast zwei Stunden hat er mit mir gesprochen. Mit der Hand fahre ich in meine Sakkotasche und umklammere das Diktiergerät. Es ist ganz warm. Ich bin hellwach, und die Nacht ist noch jung.

KAPITEL ZWEI: WHO THE FUCK IS PHILIPP PLEIN?

Es ist Samstag, kurz nach 22 Uhr. Ich liege auf dem Bett meines Hotelzimmers direkt unter dem Dach. Man könnte es Mansarde nennen. Oder Kabuff mit Luke. Überstürzt bin ich von Mailand nach München geflogen, weil Plein am Sonntag irgendein Preis verliehen wird. Ich weiß nicht, was das für ein Preis ist. Schlimmer noch, ich weiß nicht einmal, ob, wann und wo wir uns eigentlich treffen. Während ich durch das Fenster in der Schräge in den Nachthimmel schaue, frage ich mich, ob ich das Geld, das ich für Flug und Übernachtung ausgegeben habe, genauso gut durch diese winzige Öffnung dort oben hätte rauswerfen können. »Du bist ein Idiot«, beschimpfe ich mich.

Am Donnerstag hatte ich mit Pleins PR-Manager Alain Midzic telefoniert. »Bist du in München dabei?«, fragte er mich. »München?«, antwortete ich verdutzt. »Ja, Philipp erhält am Sonntag einen Preis. In der Münchner Olympiahalle. Von Jürgen Höller. Vor 10.000 Menschen. Das wird riesig.« Ohne nachzudenken, sagte ich: »Okay, ich bin dabei. Ich buche den Flieger.«

Seitdem hat sich niemand mehr bei mir gemeldet. Ich werde immer unsicherer, ob ich Plein überhaupt sehen, geschweige denn sprechen werde. Auf WhatsApp habe ich Plein geschrieben, dass ich in München sei. Jetzt schaue ich alle 30 Sekunden nach, ob die zwei Häkchen hinter meinen Zeilen blau sind. Die Farbe verrät, ob er meine Kurznachricht gelesen hat.

Um 22:10 Uhr werde ich von meinem nagenden Zweifel erlöst. »Super«, schreibt mir Plein und schickt eine Audionachricht hinterher: »Guten Abend, Tobias, meine Stimme ist ein bisschen beeinträchtigt, ich habe irgendwie Grippe bekommen, aber keine Sorge, ich bin morgen da, ich freue mich sehr, dich zu sehen.« Dann gibt er mir die Koordinaten durch: 15 Uhr, Mandarin Oriental. »Dort haben wir ein paar Interviews. Dann fahren wir rüber zur Olympiahalle.« Uff, ich bin erleichtert.

Pünktlich auf die Minute schlage ich am Sonntagnachmittag im Luxushotel auf. In der Lobby harren bereits zwei Fernsehteams aus. Es sind die Crews von RTL und dem ORF, dem österreichischen Staatsfernsehen, wie ich später erfahren werde. Auf einer Couch erspähe ich Alain Midzic. Nur einer fehlt. »Wo ist Plein?«, frage ich Midzic und schüttle ihm die Hand. »Der ist im Anflug aus Cannes.« Mit anderen Worten: Plein ist um 15 Uhr nicht im Hotel, sondern noch in der Luft.

Um mir die Zeit zu vertreiben, schlage ich nach, wer dieser Jürgen Höller ist, der Plein den Preis übergibt. Dunkel erinnere ich mich an den Namen. Da war etwas. Nur was genau, das will mir partout nicht einfallen. Ich zücke mein Handy, gehe auf Wikipedia und tippe den Namen ein. Es poppt ein Bild eines Mannes in schwarzem Polohemd auf, der sich ein Mikrofon mit Bügel vor den Mund geschnallt, die muskulösen Arme ausgebreitet und die Hände geöffnet hat. Er hat etwas von einem dieser amerikanischen Fernsehprediger, finde ich.

»Jürgen Höller ist ein deutscher Motivationstrainer, Autor und Unternehmer«, lese ich auf der Seite der Internet-Enzyklopädie. Mit dem Finger wische ich im Takt über den Bildschirm und überfliege Höllers Vita. Es ist ein bewegtes Leben. Höller war ganz oben, rutschte ab und zog sich aus eigener Kraft zurück in die Höhe. Das letzte Wikipedia-Kapitel trägt die Überschrift »Rückkehr als Coach, Redner und Unternehmer«. Ich lese etwas von einem »neuen Seminarprogramm« namens »Lifing – Die Kunst zu leben« und erfahre, dass Höller 2018 mit Arnold Schwarzenegger aufgetreten sei. Und zwar in der Münchner Olympiahalle »vor 10.000 Besuchern«.

Ich lege das Handy weg und denke darüber nach, was ich von Pleins Auftritt bei Höller halten soll. Eines ist mir sofort klar: Alle anderen Luxusmarken würden tunlichst die Finger von einem Stehaufmännchen wie Höller lassen Eine Armada an elitären Kommunikationsberatern, Marketingprofis und Anwälten hätten Höller mitsamt seinem Preis gnadenlos abgeschmettert. Wahrscheinlich hätten sie ihn gar nicht erst beachtet.

Die Modeindustrie wird gelobt, divers, inklusiv und tolerant zu sein. Nur, so tolerant ist sie dann doch wieder nicht. Sie mag alle und alles, nur halt keine Risiken und Kontroversen.

Plein ist da anders gepolt. Er liebt Risiken und Kontroversen. Und er kennt keine Scheu, sich mit Menschen zu zeigen, die eine Patina haben, die nicht von allen gemocht werden, die umstritten sind, die kräftig ausgeteilt und mächtig eingesteckt haben. Die auf dem Gipfel standen, tief gefallen sind und sich dann wieder aufrappeln. Wie Lindsay Lohan, die er 2011 zu seiner Show einlud. Erst hatte Lohan gigantischen Erfolg als Kinderstar, dann hagelte es mit dem Älterwerden böse Kritiken. Sie suchte Halt in Drogen und zog sich für den Playboy aus. Als sie zu Plein nach Mailand flog, schleppte sie einen Koffer voller schmutziger Wäsche mit, die sie auf seine Kosten erst mal in die Reinigung bringen ließ. Zur Show erschien sie mit 40-minütiger Verspätung, merklich angetrunken.

Wie Mickey Rourke, der mit Kim Basinger für den Film 9 ½ Wochen vor der Kamera stand und als Ausnahmetalent gefeiert wurde. Dann fing er mit dem Boxen an und zerstörte erst sein Gesicht und dann seinen Ruf. Mit The Wrestler kehrte Rourke, von dem die Studios nichts mehr wissen wollten, triumphal zurück. Plein verpasste ihm ein schwarzes Seidenhemd, einen Krokomantel und einen Panamahut und schickte ihn 2019 in New York über den Laufsteg.

Wie Tommy Lee, der wie Rourke ein bisschen von gestern ist. Er ist der Drummer der Rockband Mötley Crüe und vielen vor allem deshalb im Gedächtnis geblieben, weil er mit Baywatch-Star Pamela Anderson verheiratet war. Die Ehe war ruppig und sorgte für zahlreiche Schlagzeilen, mitunter weil ein Sexvideo des Paares in Umlauf geriet. Nachdem Plein die Miniserie Pam & Tommy