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Philosophieren mit Filmen im Unterricht E-Book

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Beschreibung

Der Einsatz von Filmen im Unterricht ist angesichts der großen Popularität des Mediums so aktuell wie noch nie. Ob als Motivator oder Wissensvermittler – durch die cineastische Auseinandersetzung mit fachspezifischen Fragen können komplexe oder abstrakte Theorien intensiver vermittelt werden. Im Fokus des Bandes steht der gezielte Einsatz von Filmen bzw. Kurzfilmen zu relevanten Fragestellungen im Philosophie- und Ethikunterricht. Zahlreiche Beispiele erläutern, wie diese problem-, schüler- und kompetenzorientiert eingesetzt werden können. Eine Einleitung der Herausgeber, eine ausführliche Filmografie sowie eine Auswahlbibliographie bieten Anregungen für eine weiterführende Arbeit mit Filmen im Unterricht.

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Seitenzahl: 579

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Die Reihe Methoden im Philosophie- und Ethikunterricht ist auf zwölf Themenbände angelegt, die sukzessive erscheinen werden:

1Philosophieren mit Filmen im Unterricht

2Philosophieren mit Gedankenexperimenten

3Philosophieren mit Dilemmata

4Philosophieren mit Comics und Graphic Novels

5Textarbeit im Philosophie- und Ethikunterricht

6Philosophieren mit Spielen

7Literatur und Jugendliteratur im Philosophie- und Ethikunterricht

8Das Sokratische Gespräch im Philosophie- und Ethikunterricht

9Theatrales Philosophieren, Musik und Videoclips im Philosophie- und Ethikunterricht

10Philosophieren mit Bildern und Fotografien

11Philosophieren mit digitalen Medien

12Hörbücher, Hörspiele und Hördokumentationen im Philosophie- und Ethikunterricht

Ausführliche Informationen unter:www.philosophie-didaktik.de

PHILOSOPHIEREN

MIT FILMEN

IM UNTERRICHT

METHODEN IMPHILOSOPHIE- UNDETHIKUNTERRICHT

Band 1

Herausgegeben vonMartina und Jörg Peters

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über ‹http://portal.dnb.de›.

ISBN 978-3-7873-4556-4 · ISBN eBook 978-3-7873-4557-1 · eISBN 978-3-7873-4558-8

2., überarbeitete Auflage 2024

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2019. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Umschlaggestaltung: Andrea Pieper, Hamburg. Konvertierung: Bookwire GmbH

INHALT

Einführung: Mit Filmen zum Nachdenken über philosophische bzw. ethische Fragen gelangen

Martina Peters und Jörg Peters

1Wie Filme im Philosophie- und Ethikunterricht eingesetzt werden können

Spielfilme im Philosophie- und Ethikunterricht

Jörg Peters und Bernd Rolf

Philosophieren mit Filmen

Volker Steenblock

Filmspezifische Darstellungsmöglichkeiten der Differenz zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit – Die Methodik des Philosophierens mit Filmen, angewandt auf MATRIX, DIE TRUMAN SHOW und INCEPTION

Leif Marin Jost

Ästhetische Bildung!? – Über Möglichkeiten und Grenzen eines kompetenzorientierten Einsatzes von Spielfilmen im Philosophieunterricht der Oberstufe

Claudia Gockel

2Möglichkeiten für den Einsatz von Filmen in der Sekundarstufe I

Schubladen im Kopf – Vorurteile und ihre Auswirkungen – Eine Unterrichtseinheit für die Orientierungsstufe zum Film SHREK

Mandy Haupt und Denise Heine

THE SIMPSONS: DER BLÖDE UNO-CLUB – Von den Simpsons lernen, was zu einer Gemeinschaft gehört

Bernd Rolf

FREEDOM WRITERS – Sokratisch ausgerichtete Kulturarbeit mit Film und Schrift

Klaus Draken

Sensibles Gleichgewicht – BALANCE

Linus Hauser und Anita Rösch

Freundschaft bis zum Tod – DAS MEER IN MIR

Anita Rösch

DIE STADT DER BLINDEN – Eine Parabel über den Verlust der Sehkraft

Stefan Maeger

Philosophieren am Beispiel des Animationsfilms WENN DAS LEBEN GEHT

Regina Uhtes

STAR TREK: THE NEXT GENERATION – Was ist der Tod?

Bernd Rolf

3Möglichkeiten für den Einsatz von Filmen in der Sekundarstufe II

Ethik im Film – THE PHILOSOPHERS

Anita Rösch

IN TIME – Lebenszeit als Zahlungsmittel

Klaus Draken

»Hier stimmt doch was nicht« – Mediale Irritation in Tom Tykwers EPILOG

Eric Willems

Das Ende des Einen, der Neuanfang des Anderen – Ethische Aspekte der Transplantationsmedizin anhand einer Folge der US-amerikanischen Arztserie DR. HOUSE

Katrin Seele und Peter Seele

L. A. CRASH – Jenseits von Schwarz und Weiß

Martina Peters

DIE TRUMAN SHOW – Filmkonzept und Interpretation

Inge Künle und Marlen Wronka

Als der MUX MÄUSCHENSTILL wurde – Moral im Film

Susanne Dannecker

THE DARK KNIGHT – Der Joker hat sich verrechnet

Jörg Peters

»For what? For nothin’. For a tin star.« – Mit John Locke ins Kino gegangen, erneut HIGH NOON gesehen

Bodo Kensmann

Willkommen in der MATRIX – Was ist die wirkliche Welt?

Georg Schöffel

Die Welt bricht regelrecht in Stücke! – Mit dem Film INCEPTION im Unterricht philosophieren

Klaus Peter Schmidt, Anne de Beukelaar, Valeska Krueger und Manuela Nowald

Mehr Leben, Vater! – BLADE RUNNER

Volker Steenblock

EXISTENZ – Ein metaphysisches Spiegelkabinett

Stefan Maeger

Filmographie

Auswahlbibliographie

EINFÜHRUNG

Mit Filmen zum Nachdenken über philosophische bzw. ethische Fragen gelangen

Martina Peters und Jörg Peters

Die philosophiedidaktische Ausgangslage in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts

Dass es heute gang und gäbe ist, im Philosophie- und Ethikunterricht der Sekundarstufen I und II Filme zielorientiert als Unterrichtsmaterial einzusetzen, ist ein Phänomen, das erst seit Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts existiert. Zwar wurden bereits in den 1960er Jahren Filme in nahezu allen Unterrichtsfächern von Klasse 1 bis Jahrgangsstufe 13 und an allen Schulformen gezeigt, aber nur selten waren sie konkretes Arbeitsmaterial. Meistens diente eine Filmvorführung als Illustration bzw. Veranschaulichung dessen, was bereits erarbeitet worden war, oder als Belohnung für gute Mitarbeit im Unterricht. Manchmal musste sie aber auch als Lückenfüller – z. B. vor den Weihnachtsferien bzw. gegen Ende des Schuljahres – oder zur Unterhaltung von Schülerinnen und Schülern herhalten.

Wie ist es also dazu gekommen, dass Filme heute eine andere Akzeptanz im Unterricht genießen und mittlerweile im Philosophie- bzw. Ethikunterricht eine besondere Rolle spielen?

Ein zentraler Grund dürfte darin liegen, dass mit dem Aufkommen der ethischphilosophischen Fächergruppe1 für die Sekundarstufe I neue Methoden entwickelt werden mussten. Deduktive Verfahren, die bis Ende der 80er Jahre im Unterricht des Sekundarstufen II-Faches Philosophie vorherrschten, konnten nicht auf den Unterricht mit jüngeren Schülerinnen und Schülern übertragen werden. Zur Vermittlung philosophischer bzw. ethischer Fragen und Probleme bedurfte es also neuer, dem Alter entsprechenden Unterrichtsverfahren. So entstanden im Laufe der Zeit viele Methoden, die heute zum regulären Repertoire von Philosophie- bzw. Ethik-Lehrerinnen und -lehrern gehören; dazu zählt auch der Einsatz von und der Umgang mit Filmen. Ende der 1970er bzw. zu Beginn der 1980er Jahre erschienen in der Zeitschrift für Philosophie (ZDP) bereits Beträge von Peter Dusek2, Helga Offermanns3und Konrad Liesmann4 erste didaktische Ansätze zum Einsatz von Filmen im Philosophie- bzw. Ethikunterricht. Offermanns und Liesmann betonen dabei, wie kompliziert es zu diesem Zeitpunkt ist, einen Film im Unterricht vorzuführen. Man muss sich nämlich vor Augen führen, dass es damals kaum Video-Kassetten, noch keine DVDs oder Blu-rays und schon gar keine Streaming-Dienste gab. Bei ihren Beiträgen handelt es sich also offenbar um die ersten Versuche, Filme im Philosophiebzw. Ethikunterricht einzusetzen. Bis Ende der 1970er Jahre hatte der Film nämlich sowohl in der Philosophie als auch in der philosophischen Ästhetik entweder keine Berücksichtigung gefunden oder ist auf ablehnende Haltung gestoßen.5 Folglich kann es auch nicht die Intention von Dusek, Offermanns und Liesmann gewesen sein, in ihren Ausführungen eine Filmdidaktik für den Philosophie- bzw. Ethikunterricht zu entwerfen. Mit dem Paradigmenwechsel gegen Ende der 1990er Jahre, mit der Interpretation des Films als ein Medium, mit dem philosophische Positionen und Fragestellungen greifbarer dargestellt werden können, sollten dann einerseits Bodo Kensmann aus ästhetischem und andererseits Jörg Peters, Martina Peters und Bernd Rolf aus philosophie-didaktischem Blickwinkel den Filmeinsatz im Philosophieunterricht in Deutschland populär machen.

Wenn man von der Anzahl der zu den philosophiedidaktischen Methoden publizierten Artikeln und Büchern ausgeht, zählt heute der Einsatz von Filmen im Philosophie- und Ethikunterricht ohne Frage zu den beliebtesten Methoden.6 Auch wenn keine Popcorn-Atmosphäre in Klassenzimmern verbreitet wird, trifft der Film bei Schülerinnen und Schülern wohl genau den Nerv, der sie motiviert, sich auf philosophische Fragen einzulassen und über sie nachzudenken, um dann in der diskursiven Auseinandersetzung mit ihnen mögliche Antworten zu finden.

Begrifflichkeit

Es ist nicht einfach zu bestimmen, wie man den Umgang mit Filmen im Philosophie- und Ethikunterricht bezeichnen soll. Derzeit werden folgende Termini verwendet: 1. Philosophie und Film; 2. Philosophie des Films; 3. Philosophie durch Film; 4. Philosophie im Film oder 5. Philosophieren mit Filmen. Weil einige dieser Begriffe durch synonyme Verwendung keine Präzision aufweisen und ihnen somit keine klare Bedeutung innewohnt, soll im Folgenden deutlich gemacht werden, was die einzelnen Termini zum Ausdruck bringen sollen, und welche Rolle sie in der Philosophiedidaktik einnehmen.

Philosophie durch Film

Mary M. Litch führt an der University of Alabama in Birmingham regelmäßig Seminare durch, die sie Philosophy through Film nennt. Mit ihrem bekanntesten Buch, das sie ursprünglich als Grundlage für diese Seminare verfasst hat und das ebenfalls den Titel Philosophy through Film trägt, prägte sie im Jahre 2002 den gleichnamigen, aus der Filmdidaktik der Philosophie nicht mehr wegzudenkenden Begriff. Was aber versteht sie genau unter Philosophie durch Film?

Litch setzt in ihren Seminaren ganz bewusst Filme vor die eigentliche Lektüre philosophischer Texte. Sie ist der Überzeugung, dass ihre Studentinnen und Studenten durch die Beschäftigung mit einer in einem Film aufgeworfenen philosophischen Frage einen leichteren Zugang zu einem schwierig zu erfassenden philosophischen Problem erhalten, als wenn dies direkt durch philosophische Texte, die oft komplexe Diktionen aufweisen, geschehen würde.

Man kann daher sagen, dass die amerikanische Philosophin das Medium bewusst zur Vorentlastung der Lektüre philosophischer Texte nutzt. Der Film seinerseits dient sozusagen als Schlüssel zu komplizierten philosophischen Gedanken und öffnet somit die Tür zu philosophischen Theorien. Damit bleibt ein Film nicht bloße Illustration einer philosophischen Lehre, sondern ist vielmehr ein Teil der Erschließung eines philosophischen Theorems. Diesen Umstand stellt Litch deutlich heraus, wenn sie betont: »The films are not mere ›addons‹ to an otherwise straightforward introductory philosophy text«7. Die Studentinnen und Studenten erwerben somit durch die Analyse eines Films bzw. einer Filmsequenz ein philosophisches Vorverständnis, mit dem sie sich nun konkret einer philosophischen Frage, einer philosophischen Position oder einer philosophischen Theorie widmen können. Damit steht der Film nicht isoliert dar, sondern ist in die Diskussion des zu behandelnden philosophischen Problems integriert8.

Litch hat nur solche Filme in ihren Kanon aufgenommen, in denen philosophische Grundfragen filmisch umgesetzt werden. Zu diesen Grundfragen zählen etwa die Fragen nach Gut und Böse, nach dem Sinn des Lebens, nach der Existenz Gottes oder nach den Grenzen unserer Erkenntnis, um nur einige Beispiele zu nennen9.

Nach Litch besteht die Aufgabe von Philosophinnen und Philosophen darin, diese Grundfragen zu stellen und Untersuchungen dazu durchzuführen, um Argumente und Begründungen für eine Antwort auf die gestellte Frage zu erhalten. Dabei muss nicht unbedingt eine formale Argumentation vorliegen, denn auch narrative Texte oder Filme können der Amerikanerin zufolge argumentativ sein und Positionen beinhalten, um einige der bedeutendsten Fragen der Philosophie zu diskutieren.

Litch instrumentalisiert somit den Film, um Studierenden einen einfacheren Zugang zu komplexen philosophischen Theorien zu verschaffen. Aufgrund der Instrumentalisierung des Films muss es für sie auch ohne Belang sein, ob ein Drehbuchautor oder Regisseur mit seinem Werk überhaupt eine philosophische Intention im Auge hatte. Wichtig scheint ihr allein, dass ein Film eine philosophische Intention aufweist, durch die die Studentinnen und Studenten Zugang zu den zu behandelnden Theorien finden: »[M]y main criterion for using films in the book is that they […] present and defend an answer to one of philosophy’s classical questions. Whether the writer or director responsible for a film had the intention of doing philosophy is beside the point.«10

Philosophie des Films und Philosophie und Film

Mit der Funktionalisierung von Filmen steht Litch in einer Reihe mit dem von Jörg Peters, Martina Peters und Bernd Rolf intendierten Einsatz von Filmen im Philosophie- und Ethikunterricht sowie dem von Volker Steenblock vertretenen Ansatz des Philosophierens mit Filmen.

Der in Bochum lehrende Filmphilosoph Dimitri Liebsch kritisiert diese Instrumentalisierung des Films als Aneignung des Films durch die Philosophie(didaktik). Die Aneignung des Films beginnt nach Liebsch mit dem bereits angedeuteten Paradigmenwechsel im philosophischen Umgang mit dem Medium Film als solchem. Am Ende des 20. Jahrhunderts wird der Film aus philosophischer Sicht positiv umgedeutet und mehr und mehr zweckorientiert vereinnahmt, bevor er dann zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Unterricht als Mittel eingesetzt wird, um philosophische Positionen zu verdeutlichen oder in die Grundlagen bzw. Grundfragen der Philosophie einzuführen. Damit wird man nach Liebsch aber dem Film als Kunstwerk nicht mehr gerecht, weil weder die in ihm enthaltenen ästhetischen Mittel berücksichtigt werden noch eine Reflexion über den Film als Film stattfindet. Neben Liebsch fordern innerhalb der Didaktik der Philosophie auch Bodo Kensmann, Eric Willems und Leif Marvin Jost, dass der Film nicht nur als Textersatz fungieren dürfe, sondern auch die ästhetischen Komponenten Berücksichtigung zu finden hätten, um sowohl dem Film als auch der philosophischen Fragestellung – die häufig miteinander verzahnt sind – gerecht zu werden. Die unterrichtliche Auseinandersetzung mit einem Film im Fach Philosophie habe sich dementsprechend neben dem Filminhalt an den Aspekten Filmtechnik und Filmphilosophie/Filmtheorie zu orientieren. Die Autoren plädieren folglich gleichzeitig für eine Philosophie des Films sowie für eine Zusammenführung von Philosophie und Film.

Philosophie im Film

Der Begriff Philosophie im Film impliziert, dass eine philosophische Idee das Thema eines Films bildet oder philosophische Theorien zumindest im Vordergrund von Filmen stehen. Dies ist aber meist nicht der Fall, weil eine philosophische Lehre in der Regel weder vom Regisseur noch vom Drehbuchautor bewusst intendiert ist. Es gibt nur wenige Filme, in denen dezidiert aus philosophischen Werken zitiert wird oder die konkret auf philosophischen Ideen basieren. Einige Beispiele mögen verdeutlichen, was gemeint ist: Der bekannteste Film, in dem sogar unterschiedliche philosophische Systeme nebeneinander dargestellt werden, dürfte Matrix (USA 1999) sein. Larry und Andy Wachowski11, die das Drehbuch geschrieben und auch Regie geführt haben, entlehnen wichtige Aspekte der Gestaltung ihrer Geschichte aus dem Bereich der Erkenntnistheorie und dort wiederum aus dem Rationalismus. Dabei thematisieren sie in ihrem Film sowohl Platons Höhlengleichnis12 als auch die Frage von René Descartes, mit welcher Sicherheit wir sagen können, dass wir in der Wirklichkeit leben, oder ob uns nicht das, was sich uns als Realität darstellt, nur vorgegaukelt wird13.

Ein zweites Beispiel ist der in Deutschland nicht allzu bekannte Spielfilm Sokrates (I 1971) von Roberto Rossellini. Die Grundlage für diesen biographischen Film stellen Platons Bücher Euthyphron, Apologie, Kritias und Phaidon dar. In diesen Schriften wird der Tod des Sokrates, beginnend mit der Beschuldigung der Kläger, Sokrates verführe die Jugend und leugne die Götter, über den gegen den Philosophen geführten Prozess bis zu dessen Hinrichtung durch den Schierlingsbecher geschildert. Gleichzeitig werden in diesen Werken philosophische Themen wie Frömmigkeit (Euthyphron), richtiges Handeln (Kritias) oder die Unsterblichkeit der Seele (Phaidon) angesprochen, die sich – wenn natürlich auch nur auszugsweise – in Rossellinis Filmadaption wiederfinden.

Ein drittes Beispiel, das belegt, wie Philosophie im Film präsentiert werden kann, lässt sich an Muxmäuschenstill (D 2003) zeigen. Der Protagonist des Films, Mux, ist ein Moralist und Dogmatiker, der von sich selbst glaubt, nach Immanuel Kants Kategorischem Imperativ zu handeln. Der Film zeigt eindringlich, wie Mux sich immer weiter von dem Ideal des Aufklärers entfernt und den kategorischen Imperativ so umdeutet, dass er schließlich davon überzeugt ist, die Gesetzgebung habe sich seinen Vorstellungen anzupassen. Aufgrund seiner pervertierten Auslegung des Sittengesetzes begeht er selbst Straftaten, um Gesetzesbrecher zur Rechenschaft ziehen zu können. Der Werdegang von Mux zeigt eindringlich, dass ein Dogmatismus zu Willkür und Selbstherrlichkeit führen kann und absolut gesetzte moralische Ideen in einem totalitären Überwachungsstaat enden können14.

Ein viertes Beispiel führt Dimitri Liebsch an, wenn er auf Alfred E. Greens Film Babyface (USA 1933) verweist. In diesem Film bedient sich die Protagonistin mit dem vielsagenden Namen Lily Powers ihres Körpers und ihrer Sexualität, um die soziale Leiter emporzuklettern. Allerdings schläft sie sich erst nach der Lektüre von Nietzsches Spätphilosophie nach oben: »Dabei wird die Szene ihrer philosophischen Initiation mit einer drastischen Aufblende eröffnet, die den abgestoßenen und rissigen Rückeneinband einer Ausgabe von Will to Power (Der Wille zur Macht) zeigt«15.

Die wenigen Beispiele machen deutlich, dass die Umsetzung philosophischer Ideen in Spielfilmen nur selten Berücksichtigung finden, sieht man einmal von der Verfilmung der Lebenswege einiger Philosophen wie Sokrates, Blaise Pascal oder René Descartes ab, die übrigens alle Auftragsarbeiten für das italienische Fernsehen waren und von Roberto Rossellini umgesetzt wurden16.

Die häufigste Form der filmischen Umsetzung philosophischer Ideen findet man tatsächlich als Fernsehspiel, wenn man beispielsweise an Kümmert euch nicht um Sokrates (ZDF, Erstausstrahlung: 13. April 1979) oder Der Prozess des Sokrates (ARD/WDR 1986) denkt, oder aber als Produktionen für das Schulfernsehen. Aus didaktischer Sicht sticht hier für den Bereich der Sekundarstufe II die zehnteilige Serie Kant für Anfänger. Sophies Ausflug in die Philosophie (ARD/BR alpha) hervor, die man in Die Kritik der reinen Vernunft17 und Kant, Sophie und der kategorische Imperativ18 unterteilen muss. Für den Bereich der Sekundarstufe I ist insbesondere die dreizehnteilige Serie Nächster Halt …19 zu nennen, in der Sabrina und Torsten mit einem Bus reisen und sich an den einzelnen Haltestellen jeweils einem philosophischen Begriff widmen. Gemeinsam suchen sie nach Antworten auf ihre Fragen zu den Themen: »Das Fremde«, »Angst«, »Liebe«, »Das Böse«, »Schönheit« oder »Tod«. Dabei treffen sie auf Menschen oder geraten in Situationen, die ihnen bei ihrer konkreten Frage weiterhelfen. Mit dem erwachsenen Moderator Gert Scobel reden sie hinterher darüber, was sie erlebt, gefühlt und wie sie sich dadurch weiterentwickelt haben. Unterstützung bekommt das Trio von bekannten Philosophen, die sich zu Wort melden und durch ihre Zitate den philosophischen Hintergrund der Wissensreise bilden. Ergänzt werden ihre Stopps jeweils durch eine Dokumentation über ein Kind, das von der Fragestellung der Sendung konkret betroffen ist.

Wenn Philosophielehrerinnen und -lehrer in (Spiel-)Filmen philosophische Fragen oder Probleme ausmachen, dann liegt es daran, dass sie mit ihrem philosophischen Blick Sequenzen, Szenen, Gespräche, Beispiele etc. aufspüren, an denen eine philosophische Idee oder Position exemplifiziert oder eine philosophische Frage bzw. ein philosophisches Problem aufgeworfen werden kann. Der zu beschreitende Weg ist in der Regel also ein umgekehrter: Es werden nicht bewusst philosophische Ideen in einer im Film zu erzählenden Geschichte umgesetzt, die dann von Philosophielehrerinnen oder -lehrern für den Unterricht genutzt werden, sondern Philosophielehrerinnen und -lehrer entdecken in filmisch umgesetzten Erzählungen und Romanen Ideen, Gedankenexperimente, Dilemmata etc., die sich eignen, um philosophische Gedankengänge oder sogar ganze Theorien nicht nur nachzuvollziehen, sondern gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern zu erarbeiten oder – sofern die Lehren bereits im Philosophie-Unterricht besprochen wurden – zu rekapitulieren.

Philosophieren mit Filmen

Wenn Philosophie im Film tatsächlich bedeutet, dass in einem Film explizit und bewusst philosophische Theorien aufgegriffen und filmisch umgesetzt werden, dann ist der Titel des Buches Philosophie im Film von Jörg und Martina Peters und Bernd Rolf irreführend. In diesem Lehrwerk geht es nämlich nicht darum zu zeigen, in welchen Spielfilmen philosophische Themen minutiös entwickelt werden, oder zu prüfen, inwieweit die in ausgewählten Filmen dargestellten philosophischen Theorien plausibel oder haltbar sind. Vielmehr ist es – so stellen die drei Autoren von vornherein klar – die Aufgabe der Philosophie, sich Spielfilme anzueignen und diese so zu instrumentalisieren, dass durch die diesem Medium innewohnende präsentative Ausdrucksform Schülerinnen und Schülern schwierige Theorien oder abstrakte Ideen nahegebracht werden können. Auf diese Weise werden – im kantischen Sinne – Anschauungen mit Begriffen unterlegt, so dass sie nicht blind sind, und (philosophische) Gedanken mit Inhalt gefüllt, die dementsprechend auch nicht leer bleiben20. Kurz gesagt heißt das, dass »präsentativ-begriffliche Prägungen das Ausgangsmaterial für spätere diskursiv-begriffliche Prägungen«21 darstellen. Peters, Peters und Rolf bringen hier zum Ausdruck, dass das Anschauen von Filmen Hilfe leisten kann, um zu einem diskursiv-abstrakten Denken zu gelangen. Dies ist genau das, was Kant als »natürliche[n] Fortschritt der menschlichen Erkenntnis« und »als Weg der Unterweisung« bezeichnet hat, nämlich dass man »durch Erfahrung zu anschauenden Urteilen und durch diese zu Begriffen gelangt, dass darauf diese Begriffe in Verhältnis mit ihren Gründen und Folgen durch Vernunft und endlich in einem wohlgeordneten Ganzen vermittelst der Wissenschaft erkannt werden«22.

Zu Recht stellt Liebsch fest, dass – wie Peters, Peters und Rolf hervorheben – der Film im Bereich der philosophischen Lehre instrumentalisiert wird23, d. h., es geht ihnen wie auch der amerikanischen Didaktikerin Litch nicht um den Film als Kunstwerk. Für sie ist der Film Mittel zum Zweck, um insbesondere Studentinnen und Studenten bzw. Schülerinnen und Schülern, aber auch allen anderen Menschen den Zugang zur Philosophie zu erleichtern. Dass Filme nicht jede philosophische Frage bzw. jedes philosophische Problem darstellen können, bedarf hier keiner besonderen Erwähnung. Aber sie eignen sich, um grundlegende Aspekte der Philosophie zu vermitteln.

Damit steht bei den Autoren natürlich nicht der Film als Film, nicht der Film als ästhetisches Kunstwerk im Zentrum des didaktischen Interesses, sondern philosophische Gedanken, Thesen oder Positionen. Aus diesem Grund ist, um Peters, Peters und Rolf noch einmal anzuführen, der Film im Unterricht als Textersatz, als Gedankenexperiment, als Dilemma etc. aufzufassen. Liebsch nennt diese Form des Umgangs mit Filmen nicht nur »Aneignung«, sondern auch »Illustration«. Der Begriff Illustration erscheint insofern befremdlich, als aus didaktischer Sicht damit nicht gemeint sein kann, dass ein Film nur angeschaut wird, um sich bildhaft das vor Augen zu führen, was theoretisch erarbeitet worden ist. Illustration bedeutet hier, sich einen Film oder eine Filmsequenz so anzueignen, dass daran eine philosophische Frage bzw. ein philosophisches Problem oder eine philosophische Position erarbeitet werden kann. Insofern können didaktische Reduktionen dem Film als Film – im Gegensatz zu der Auffassung von Liebsch24 – auch nicht zuwiderlaufen. Dies wäre nur möglich, wenn die Didaktiker den Anspruch erheben würden, das Gesamtkunstwerk Film zu betrachten.

Das Gesagte macht deutlich, dass der Titel des Buches eigentlich Philosophieren mit Filmen lauten müsste, denn das Anliegen von Peters, Peters und Rolf besteht darin, dass sich Schülerinnen und Schüler anhand eines Spielfilms bzw. einer Filmsequenz zunächst über die dem jeweiligen Kontext zugrundeliegende zentrale philosophische Frage klar werden sollen. Ausgehend von Alltagssituationen, Gedankenexperimenten oder Dilemmata, die in den Filmen präsentiert werden, sind die Jugendlichen vom ersten Moment an, ohne es zu ahnen, mit einer philosophischen Situation konfrontiert, die sie beschreiben, analysieren, beurteilen und auch reflektieren müssen. Sie philosophieren, ohne zu wissen, dass sie es bereits tun. Der zweite, der wissenschaftspropädeutische Schritt wird erst im Anschluss an die Besprechung des Films vollzogen, wenn die dem Film innewohnende Fragestellung am Film bearbeitet worden ist: Jetzt muss das Erarbeitete auf eine philosophische Theorie übertragen oder auf der Basis einer philosophischen Lehre (theoretisch) angewandt werden.

Genau diesen Ansatz greift der Bochumer Philosophiedidaktiker Volker Steenblock in seinem Buch Philosophieren mit Filmen25 auf und verfährt ähnlich wie Peters, Peters und Rolf. Schon der Titel seines Buches verdeutlicht, dass der Fachdidaktiker primär Wert darauf legt, sich den Inhalt ausgewählter Szenen bzw. Sequenzen eines Filmes unter einer bestimmten philosophischen Fragestellung anzuschauen. Auch er nutzt und instrumentalisiert den Film, um an und mit ihm philosophische Theorien durch Schülerinnen und Schüler erarbeiten zu lassen. Die durch die Auseinandersetzung mit dem Film gewonnenen Lehren werden dann anhand von philosophischen Positionen erhärtet.

Der von Peters, Peters und Rolf sowie von Steenblock vorgeschlagene unterrichtliche Umgang mit Filmen zeigt, dass der Film sowohl zur Problematisierung als auch zur Veranschaulichung von philosophischen Fragestellungen dienen kann und sich als Medium, als (Ver-)Mittler zwischen dem Problem auf der einen und den Schülerinnen und Schülern auf der anderen Seite geradezu anbietet. Allerdings trifft dieser Ansatz nur dann zu, wenn man Philosophieunterricht als ein Nachdenken über Fragen versteht, das jeden Menschen betrifft und worüber sich jeder Mensch erst einmal selbst bewusst werden muss.

Unter diesen Voraussetzungen kann Philosophieunterricht dann nur sekundär als ein Nachdenken von, als ein Wiedergeben von bereits Gedachtem oder Gelerntem, begriffen werden. Dementsprechend können rein akademische Fragen, die aus der Sphäre der Film-Philosophie stammen, im Philosophie-Unterricht an der Schule – wenn überhaupt – nur begrenzt berücksichtigt werden, denkt man beispielsweise an das Verhältnis des Films zur Philosophie bzw. umgekehrt an das Verhältnis der Philosophie zum Film. Dass diese Fragen im schulischen Kontext in der Regel nicht aufgegriffen werden können, mögen die folgenden drei Aspekte verdeutlichen: 1. Das schulische Bildungssystem ist generell darauf angelegt, dass Schülerinnen und Schüler ein möglichst breites Spektrum relevanter Positionen kennenlernen, während die universitäre Bildung (eigentlich) auf ein möglichst genaues, ein in die Tiefe gehendes Wissen zielt. 2. In Bezug auf Unterricht müssen auch die jeweiligen Kernlehrpläne, Bildungspläne oder Richtlinien für die Fächer Philosophie bzw. Ethik der einzelnen Bundesländer Berücksichtigung finden – und dort ist die Auseinandersetzung mit Spezialfragen nicht aber nur in besonderen Kursen vorgesehen. 3. Schließlich sei noch darauf verwiesen, dass auch die zeitliche Komponente eine Rolle spielt. Der Oberstufenunterricht im Fach Philosophie bzw. im Fach Ethik ist in der Mehrheit der Bundesländer vorrangig so angelegt, dass zunächst einmal die Vorgaben für das Zentralabitur berücksichtigt werden müssen26. Da die Lehrpläne kaum Spielräume lassen, um sich mit weiteren Aspekten der Philosophie als den vorgeschriebenen auseinanderzusetzen, gibt es – so bedauerlich dies auch ist – nur wenige Möglichkeiten, Spezialprobleme im Unterricht zu behandeln.

Der Aufbau des Buches

Zum Schluss sei noch ein Blick auf den Aufbau des vorliegenden Buches geworfen: Das Kompendium umfasst sowohl einen Theorie- als auch einen Praxisteil. Der Theorieteil stellt – ohne eine Gewichtung vorzunehmen – alle derzeit im deutschsprachigen Raum diskutierten philosophiedidaktischen Positionen zum Einsatz von Filmen im Philosophie- und Ethikunterricht nebeneinander.

Der Praxisteil präsentiert für alle Jahrgangsstufen der Sekundarstufen I und II mindestens einen Film bzw. eine Filmsequenz, der oder die sich für den Unterricht in der jeweiligen Altersgruppe eignet. Jeder Film(ausschnitt) wird nicht nur inhaltlich zusammengefasst und analysiert, sondern auch durch weiterführendes Unterrichtsmaterial zu den thematisierten philosophischen Fragen ergänzt.

Eine umfassende Auflistung von Filmen, die sich besonders für den Einsatz im Philosophie- und Ethikunterricht eignen, sowie eine auf didaktische Aspekte beschränkte Auswahlbibliographie bieten Orientierung und Anregungen für eine weiterführende Arbeit mit Filmen im Unterricht.

1Gemeint sind hier alle ethisch-philosophisch ausgerichteten Fächer der Sekundarstufe I, die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich bezeichnet werden und entweder »Philosophie«, »Praktische Philosophie«, »Ethik«, »L-E-R« oder »Werte und Normen« heißen.

2Vgl. Dusek, Peter: »Politische Bildung in Österreich – am Beispiel der Fernsehserie ›Holocaust‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie 1, 1979, Heft 4: Philosophie und Politische Bildung, S. 194–198.

3Vgl. Offermanns, Helga: »Freiheit und Verantwortung. Der Film ›Die Treppe‹ im Ethikunterricht der gymnasialen Oberstufe«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 3, 1981, Heft 1: Medien im Philosophieunterricht, S. 32–36.

4Vgl. Liessmann, Konrad: »›2001‹ – Stundensequenz zum Verhältnis von Utopie, Science-Fiction und Philosophie«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 6, 1984, Heft 2: 1984, S. 88–91.

5Vgl. Liebsch, Dimitri: »Was heißt ›Philosophie des Films‹?«, in: Mitteilungen 2012, Philosophieunterricht in Nordrhein-Westfalen Nr. 48, hrsg. von Draken, Klaus für den Landesverband NRW im Fachverband Philosophie e. V., S. 74–88, S. 74; noch einmal abgedruckt in: Mitteilungen 2013, Philosophieunterricht in Nordrhein-Westfalen Nr. 49, hrsg. von Draken, Klaus für den Landesverband NRW im Fachverband Philosophie e.V., S. 176–190, S. 177. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die zuletzt genannte Quelle. So findet sich auf der einen Seite beispielsweise noch in dem von Francis Edward Sparshott publizierten und wirklich kenntnisreichen Buch The Theory of Arts aus dem Jahre 1982 kein einziger Hinweis auf die Kunstgattung Film, obwohl sonst alle anderen Künste von der Antike bis zur Gegenwart aufgeführt und behandelt werden. Auf der anderen Seite bekennen Horkheimer und Adorno, dass der Film als zentrales Produkt der Kulturindustrie die Vorstellungskraft und Spontaneität der Zuschauer lähme und jede denkende Aktivität verbiete (Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W.: »Dialektik der Aufklärung«, in: Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften, 20 Bde., Bd. 3, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1981, S. 147–149).

6Vgl. Jost, Leif Marvin: Filmspezifische Darstellungsmöglichkeiten der Differenz zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit. Die Methodik des Philosophierens mit Filmen, angewandt auf Matrix, Die Truman Show und Inception, in diesem Band, S. 51–68.

7Litch, Mary M.: Philosophy through Film, a. a. O., S. vii.

8Ebd.

9Ebd., S. 2.

10Ebd.

11Kurz nach der Veröffentlichung von Matrix Reloaded (2003) begann Laurence (»Larry«) Wachowski damit Aufsehen zu erregen, dass er Frauenkleidung trug. 2010 hat er sich schließlich als transsexuell geoutet und heißt seitdem Lana Wachowski. Auch Andy Wachowski outet sich 2016 als transgender und nennt sich heute Lilly Wachowski.

12Vgl. Griswold, Charles L. jun.: »Happiness and Cypher's Choice: Is Ignorance Bliss?«, in: Irwin, William (ed.): The Matrix and Philosophy. Welcome to the Desert of the Real, Popular Culture and Philosophy, Vol. 3, OPEN COURT, Chicago/La Salle, Illinois 2002, S. 126–137, S. 127–130.

13Vgl. Erion, Gerald J.; Smith, Barry: »Scepticism, Moratlity, and The Matrix«, in: ebd., S. 16–27, S. 19–20; Knight, Deborah; McKnight, George: «Real Genre an Virtual Philosophy«, in: ebd., S. 188–201, S. 189 und S. 199; Weberman, David: «The Matrix Simulation and the Postmodern Age«, in: ebd., S. 225–239, S. 227–229.

14Vgl. Winkler, Thomas: Filmheft Muxmäuschenstill, Marcus Mittermeier, Deutschland 2003, hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2004, S. 9.

15Liebsch, Dimitri: »Was heißt ›Philosophie des Films‹?«, a. a. O., S. 176.

16Rossellinis Filme Blaise Pascal (I 1972) und Descartes (I 1974), sind weitgehend unbekannt und bestechen durch lange Sequenzen, die für Zuschauer mit heutiger Sehgewohnheit kaum auszuhalten sind, weil die schauspielerische Leistung äußerst statisch ist. Auf der anderen Seite muss gesagt werden, dass die Darstellung der wissenschaftlichen und philosophischen Aspekte sehr detailliert und angemessen erfolgt.

17Die Erstausstrahlungen der Folgen 1 bis 5 konnten am 12. 02. 2004 (Folge 1: Metaphysik), 19. 02. 2004 (Folge 2: Kopernikanische Wende), 26. 02. 2004 (Folge 3: Verstand und Sinne), 04. 03. 2004 (Folge 4: Grenzüberschreitung) und 11. 03. 2004 (Folge 5: Zielpunkt Vernunft) auf BR alpha gesehen werden.

18Die Erstausstrahlungen der Folgen 6 bis10 konnten am 03. 01. 2006 (Folge 1: Ethik und Pflicht), 10. 01. 2006 (Folge 2: Legalität und Moralität), 17. 01. 2006 (Folge 3: Hypothetisch und kategorisch), 24. 01. 2006 (Folge 4: Maximen auf dem Prüfstand) und 31. 01. 2006 (Folge 5: Freiheit und Sittlichkeit) auf BR alpha gesehen werden.

19Bei den einzelnen Sendungen handelt es sich um folgende Themen, zu denen in Klammern die jeweiligen Erstausstrahlungstermine genannt werden: Staffel 1: 1. Angst (02. 11. 2008), 2. Jenseits (08. 11. 2014), 3. Liebe (15. 11. 2008), 4. Das Böse (22. 11. 2008), 5. Das Fremde (29. 11. 2008) und 6. Schönheit (06. 12. 2008); Staffel 2: 7. Gerechtigkeit (01. 11. 2009), 8. Ich (08. 11. 2009), 9. Glück (15. 11. 2009), 10. Schuld (22. 11. 2009), 11. Gott (29. 11. 2009), 12. Streit (06. 12. 2009) und Wahrheit (13. 12. 2009).

20Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, PhB 505, nach der ersten und zweiten Original-Ausgabe hrsg. von Timmermann, Jens, mit einer Bibliographie von Heiner Klemme, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1998, S. 130 (B 75).

21Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd: Philosophie im Film, a. a. O., S. 6.

22Kant, Immanuel: »Von der Ankündigung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre 1765–1766«, in: Kant, Immanuel: Kants Werke, hrsg. von Weischedel, Wilhelm, 10 Bde., Bd.2, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1983, S. 907.

23Peters, Jörg; Peters, Martina; Rolf, Bernd: Philosophie im Film, a. a. O., S. 5.

24Liebsch, Dimitri: »Was heißt ›Philosophie des Films‹?«, a. a. O., S. 183.

25Steenblock, Volker: Philosophieren mit Filmen, Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2013.

26Eine Ausnahme bildet derzeit nur Rheinland-Pfalz. Es ist das einzige Bundesland, in dem es kein Zentralabitur gibt.

1

WIE FILME IM PHILOSOPHIE- UND ETHIKUNTERRICHT EINGESETZT WERDEN KÖNNEN

Spielfilme im Philosophie- und Ethikunterricht

Jörg Peters und Bernd Rolf

Film und Philosophie – das ist im Grunde ein altes Thema. Wenn man so will, könnte man Platons Höhle als das erste Kino bezeichnen (so geschieht es jedenfalls im Düsseldorfer Filmmuseum, das eine eigene Abteilung zu diesem Thema eingerichtet hat). Auf der Projektionsfläche der Höhlenwand sieht der Gefesselte Schattenbilder, die ihm die Illusion der Realität vermitteln. Bekanntlich hat Platon diese Illusion negativ bewertet – wie er auch die Dichtkunst wegen ihrer Fiktionalität verurteilt – und mit der Forderung verbunden, den Blick vom Schein weg zur Wahrheit der Ideen hinzuwenden. Dagegen vertreten wir hier die Auffassung, dass die Illusion des Films ein brauchbares Instrument sein kann, um philosophische Einsichten zu vermitteln.

Damit ist schon angedeutet, dass es an dieser Stelle nicht darum geht, zu klären, was Film ist, ob »bewegtes Bild«, »fotografiertes Theater«, »Musik des Lichts« o. ä., sondern welche didaktischen Potentiale er birgt. Es soll untersucht werden, inwiefern dieses Medium im Philosophie- und Ethikunterricht sinnvoll eingesetzt werden kann. Dabei wollen wir uns – wohl wissend, dass noch andere Filmformate für den Philosophieunterricht relevant sein können1 – auf den so genannten Spielfilm (Filmroman) beschränken.

Von Alfred N. Whitehead stammt die Bemerkung, Heilmittel gegen die Abstraktheit, die sich unter dem Einfluss der Wissenschaft verbreite, sei die Erfahrung. »Wenn man alles über die Sonne und alles über die Atmosphäre und alles über die Erdumdrehung weiß«, weiß man noch nichts über »den Glanz des Sonnenuntergangs«. Abstraktes Wissen kann konkretes Erleben nicht ersetzen. »Es gibt keinen Ersatz für die unmittelbare Wahrnehmung des konkreten Sicherfüllens eines Dinges […] in seiner Wirklichkeit.«2

Davon ging auch Martha Nussbaum aus, als sie empfahl, Ethik aus Romanen zu lehren.3 Theoretische Erwägungen bleiben oft folgenlos für unser konkretes Handeln, weil sie nicht mit den konkreten Erfahrungen des Lebens verbunden werden können. Dagegen können die Erfahrungen, die wir auf dem Wege der Identifikation mit den Protagonisten von Romanen machen, unsere Einstellungen und unser Handeln nachhaltig prägen. Mit ihrer Forderung greift Nussbaum die aristotelische Einsicht auf, dass Moral keine Sache der Kenntnis abstrakter Regeln sei, sondern sich in der konkreten Entfaltung menschlicher Tugenden äußert. Der Bezug auf die Erfahrung oder Lebenswelt lässt sich didaktisch auch als phänomenologische Methode rechtfertigen. Unter diesem Aspekt gewinnt auch der Spielfilm Bedeutung für den Philosophie- und Ethikunterricht.

Didaktische Potentiale des Films

So wie Martha C. Nussbaum Literatur als Mittel gegen die Abstraktheit des Ethikunterrichts empfiehlt, kann man den Film als Mittel gegen die Abstraktheit des Philosophieunterrichts empfehlen. Wir möchten, um die Wirkung des Films zu charakterisieren, im Anschluss an Jan Marie Peters den Begriff des Perzeptes einführen.4 Unter einem Perzept versteht man – analog zum Konzept (Begriff) als der Einheit des Denkens – die Einheit der Wahrnehmung. Als Konstruktion von Perzepten ermöglicht der Film konkrete Erfahrungen. Diese können die »Arbeit am Begriff«, der für die Philosophie unverzichtbar ist, nicht ersetzen, aber sinnvoll ergänzen. Insofern kann man nicht mit Filmen philosophieren; wohl aber können Filme zum Philosophieren hinführen bzw. Anschauungsmaterial für philosophische Probleme liefern.

Perzepte haben gegenüber Konzepten den Verzug, dass sie in der Lage sind, unmittelbar unsere Gefühle anzusprechen. Dass emotional gefärbte Erlebnisse besser als neutrale erinnert werden, erkannte schon vor über 300 Jahren der Verfasser der Didactica Magna, Jan Amos. Die neurophysiologische Forschung hat dies inzwischen empirisch bestätigen können. Lernen geschieht – neurophysiologisch betrachtet – unter Beteiligung des Limbischen Systems. Dort sind die emotionalen Reaktionen des Menschen verankert. Untersuchungen von Antonio R. Damasio und anderen haben gezeigt, dass Lernprozesse erst dadurch möglich sind, dass unsere Erfahrungen im limbischen System mit Emotionen in Verbindung gebracht werden.5

Im Blick auf die spezifische Leistung der Filmkunst im Unterschied zu anderen Künsten eröffnen sich weitere Vorzüge dieses Mediums. Literatur selbst hat gegenüber anderen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten den Vorzug einer uneingeschränkten Repräsentation der Realität. Während die Malerei auf das Sichtbare beschränkt ist, aber nicht dessen Bewegung und Entwicklung in der Zeit darstellen kann, und die Musik auf die Darstellung unmittelbarer Empfindung in ihrer zeitlichen Ausdehnung beschränkt bleibt, hat das Theater die Möglichkeit, Sichtbares in zeitlichen Entwicklung darzustellen, und zwar in lebendiger Sprache. Das Theater bleibt jedoch beschränkt auf die räumlich begrenzte Repräsentation, die die Bühne ermöglicht. Erzählende Literatur kennt solche Grenzen nicht, hat aber ihrerseits den Nachteil, dass sie nicht unmittelbar auf die Sinne einwirkt, nur durch Worte beschreiben kann, was der Leser in seiner Vorstellung erst als Bild selbst erzeugen muss. Demgegenüber hat der Film als »synthetische Kunst«, die alle bisher geschaffenen Künste in sich vereinigt6, die Möglichkeit einer nahezu unbegrenzten Darstellung der Wirklichkeit, und zwar durch unmittelbare Einwirkung auf Auge und Ohr, in quasi »physischer Realität«7. Stärker als alle anderen Künste vermag er die Illusion unmittelbaren sinnlichen Erlebens zu erwecken.

Eben wegen dieser Fähigkeit eignet sich der Film insbesondere als Medium des Lernens. Unterricht leidet oft daran, dass er zu sehr vom Lehrervortrag dominiert wird oder zu textlastig ist. In diesen Fehlformen wird einseitig Auge bzw. Ohr angesprochen. Schon vor über 20 Jahren hat eine Studie der American Audiovisual Society empirisch belegt, dass eine Person von dem, was sie liest, nur ca. 10 % im Gedächtnis behält, von dem, was sie hört, immerhin ca. 20 %. Das, was sie sieht, bleibt zu ca. 30 % in Erinnerung, aber das, was sie sieht und hört, zu 50 %.8 Diese Werte werden nur noch übertroffen durch das, worüber man selbst spricht und was man selber ausführt (vgl. Grafik). Filme eignen sich als Medium des Lernens vor allem dadurch, dass sie das Gehirn über zwei »Eingangskanäle« intensiv stimulieren.

Filme sprechen nicht nur unseren Gesichts- und Gehörssinn an, sondern sie lassen uns das Gesehene und Gehörte auch aus der Perspektive der Filmfiguren erleben. Das Auge der Kamera ist fähig, uns nicht nur bestimmte Dinge sehen zu lassen, sondern sie uns so sehen zu lassen, wie diese sie sehen. Wir sehen die Welt mit ihren Augen. Das fördert die Identifikation mit den Figuren des Films. Stärker noch als im Roman erleben wir das Dargestellte, als wären es unsere eigenen Erlebnisse. So lässt uns der Film Gattaca (Andrew Niccol, USA 1997) zum Beispiel mit allen Emotionen durchleben, wie es ist, als natürlich Geborener in einer Welt zu leben, in denen die meisten Menschen genetisch optimiert wurden. Die Entwicklung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft von Validen und Invaliden und die damit verbundene Diskriminierung wird nicht nur abstrakt beschrieben, sondern mit allen dazugehörigen Emotionen durchlebt. Das kann die Einstellung einer Schülerin bzw. eines Schülers zu Fragen der Eugenik nachhaltiger prägen als eine bloß theoretische Erörterung.

Probleme beim Einsatz von Filmen im Unterricht

Es versteht sich von selbst, dass der Einsatz von Filmen im Unterricht nicht unproblematisch ist. Zunächst besteht die Gefahr, die im Alltag bestehende Überflutung der Jugendlichen mit visuellen Reizen noch zu verstärken. Klar ist auch, dass die Mehrzahl der kommerziell produzierten Filme unter didaktischen Gesichtspunkten abzulehnen ist. Dennoch gibt es Spielfilme, die für den Unterricht in Philosophie, Praktischer Philosophie und Ethik von Belang sein könnten, weil sie Konflikte aufzeigen, Gedankenexperimente vorführen etc. Hier kommt es auf eine sinnvolle Auswahl an9.

Das nächste Problem ergibt sich daraus, dass der Film ein ephemeres Medium darstellt. In Texten, die gedruckt vorliegen, kann man vor- und zurückblättern, Sätze mehrfach lesen, Bedeutsames anstreichen usw. Filme erlauben dergleichen nicht; die durch bloßes Anschauen und Zuhören vermittelten Eindrücke lassen sich ungleich schwerer festhalten und analysieren. Dieser Flüchtigkeit des Mediums kann man allerdings im Zeitalter von DVD- und Blu-Ray-Playern und Streaming Diensten dadurch begegnen, dass man den Film stoppt, vor- und zurückspult, Sequenzen gezielt ansteuert, sich bestimmte Szenen mehrfach anschaut, bis man ihnen die gewünschten Informationen entnommen hat. Wegen des ephemeren Charakters des Films empfiehlt es sich auch – wie wir im Folgenden exemplarisch zeigen werden –, bei jeder Filmanalyse Arbeitsblätter an Schülerinnen und Schüler auszuteilen, auf denen sie ihre Eindrücke fixieren können. So kann man gewährleisten, dass die Beschäftigung mit dem Film über das bloß konsumierende Rezipieren hinausgeht und ›nachhaltig‹ wirkt.

Weitere Probleme beziehen sich auf folgende zwei Fragekomplexe: zum einen auf die Frage, ob man einen Film in voller Länge zeigen muss oder ob man ihn auch in Ausschnitten zeigen darf, und zum anderen auf die Frage, »wann« ein Film gezeigt werden soll: Am Anfang einer Unterrichtsreihe? Zwischendurch? Oder zum Abschluss einer Sequenz bzw. Reihe? Da sich die aufgeworfenen Fragen nicht eindeutig beantworten lassen, wollen wir uns mit ihnen detaillierter auseinandersetzen.

Der Film in voller Länge oder Filmausschnitt?

Was den Einsatz von Filmen im Unterricht stark einschränkt, ist primär der Zeitfaktor. Unterrichtszeit ist zu wertvoll, um sie mit belanglosen Filmszenen zu vergeuden. Eine Doppelstunde reicht oft nicht für einen Film; in Einzelstunden muss der Film »gestückelt« werden. Am Ende ist die Erinnerung an Einzelheiten verblasst. Der Erkenntnisgewinn steht dann in keiner angemessenen Relation zu den 90 oder 120 Minuten, die man mit dem Anschauen verbracht hat. Von daher erscheint der Einsatz von Filmausschnitten, die so kurz sind, dass man sie noch in derselben Unterrichtsstunde auswerten kann, besonders sinnvoll.

Andererseits gibt es zahlreiche Filme mit philosophischem Inhalt, die man nur verstehen kann, wenn man sie vollständig kennt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Dies kann an der Komplexität des Films liegen, so etwa in Matrix (Lana Wachowski (als Larry Wachowski); Lilly Wachowski (als Andy Wachowski), USA/AUS 1999), an der Erzählstruktur wie in Lola rennt (Tom Tykwer, D 1998), an den sich immer wieder neu stellenden (ethischen und technischen) Problemen wie in Der 200 Jahre Mann (Chris Columbus, USA 1999), an der Entwicklung und Lösung eines Problems wie in … Jahr 2022 … die überleben wollen (Richard Fleischer, USA 1973) etc.

Will man dennoch den Film im Unterricht zeigen, so bedarf es etwa Absprachen mit den Schülerinnen und Schülern, auch die Pausen vor und nach dem Unterricht mit einzubeziehen, den Unterricht bereits vor der ersten Stunde beginnen zu lassen oder auch die letzte Stunde zu überziehen, sodass der zu zeigende Film nicht gestückelt zu werden braucht.

Will man einen Film nicht in voller Länge im Unterricht zeigen, so bieten sich zwei Möglichkeiten an: Man kann den Film mit den Schülerinnen und Schülern außerhalb der Unterrichtszeit ansehen (beispielsweise bei einem Klassen- bzw. Kurstreffen am Nachmittag oder Abend) und im Unterricht den relevanten Filmausschnitt noch einmal vorführen. Die andere Möglichkeit besteht darin, den Kontext des vorgeführten Filmausschnittes in Form einer Inhaltsangabe vorzustellen. Nicht selten gibt es Schülerinnen und Schüler, die den Film schon gesehen haben und darüber berichten können; ist dies nicht der Fall, kann man auf Inhaltsangaben in Filmlexika zurückgreifen.10 Außerdem gibt es im Internet einige gute und zuverlässige Online-Datenbanken, die man als Informationsquelle nutzen kann.11

Ein Nachteil, Filme in voller Länge zu zeigen, besteht darin, dass zur Besprechung immer die nächste Unterrichtsstunde abzuwarten ist, sodass – wenn nicht noch einmal die wichtigsten Szenen gezeigt werden (können oder sollen) – die gewonnen Eindrücke verblassen. Daher ist es ratsam, die Schülerinnen und Schüler anzuhalten, sich Notizen zu machen, während der Film gezeigt wird, oder ihnen – wie oben schon ausgeführt wurde – Arbeitsblätter an die Hand zu geben. Auf diese Weise ist ihnen in der auf den Film folgenden Unterrichtsstunde schnell präsent, welches Problem bzw. welche Probleme im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollen.

Oftmals lohnt es sich jedoch nicht, einen Film in voller Länge zu präsentieren, weil die philosophisch interessanten Szenen nur einen Bruchteil der Gesamtdauer in Anspruch nehmen wie z. B. in Der Patriot (Roland Emmerich, USA 2000) oder I wie Ikarus (Henri Verneuil, F 1979), um nur zwei Beispiele zu nennen. In solchen Fällen ist es ratsam, nur die für die Fragestellung wesentlichen Stellen bereits zu Hause herauszusuchen und sie den Schülerinnen und Schülern im Unterricht zu zeigen12. Auch hier empfiehlt es sich, Beobachtungs- und Arbeitsaufträge auszugeben, damit sich die gewonnen Eindrücke nicht verflüchtigen.

Die im Praktischen Philosophie-, Ethik- oder Philosophie-Unterricht vorgeführte Filmsequenz sollte man aber nicht in erster Linie dazu benutzen, den Zusammenhang von Bild (Kameraführung, Einstellungen, Perspektiven, Montage/Schnitt etc.), Ton, Darstellung, Sprache und Text sowie Dramaturgie darzustellen und zu analysieren. Vielmehr sollte der gewählte Filmausschnitt vor allem problemorientiert analysiert werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen das Problem und den Kontext, in dem es steht, entsteht oder entstanden ist, möglichst genau erfassen und die im Film entwickelte Problemlösung reflektieren. Man wählt ja eine Sequenz aus, weil sie deutlicher und vielleicht auch spannender als ein Text in das zu diskutierende Problem einzuführen vermag (Film als Einstieg), das Problem genauer und schneller als ein Text auf den Punkt bringen kann (Film innerhalb einer Unterrichtsreihe) oder sich als probates Mittel für eine Abschlussdiskussion erweist (Film am Ende einer Unterrichtsreihe), in der das im Unterricht Erarbeitete noch einmal aufgegriffen wird. Auf diese Möglichkeiten soll im Folgenden genauer eingegangen werden.

Ein Film bzw. ein Filmausschnitt am Anfang einer Unterrichtsreihe

Wenden wir uns nun der Frage zu, ob es sinnvoll ist, Filme als Einstieg in eine Unterrichtsreihe zu wählen: Tatsächlich gibt es eine große Anzahl an Filmen, die sich für den Einstieg eignen. Man denke beispielsweise an den Film Blow Up (Michelangelo Antonioni, GB 1966), in dem erkenntnistheoretische Probleme aufgeworfen werden, so z. B. die Fragen nach dem »Wie« und »Was« wir erkennen können, oder ob nicht vieles von dem, was wir (vermeintlich) zu sehen glauben, nichts anderes als eine Täuschung ist. Man denke auch an Herr der Fliegen (Harry Hook, USA 1990), ein Film, der sich zu Beginn einer Reihe über politische Philosophie anbietet (etwa in Bezug auf die Naturzustandslehre von Hobbes), weil in diesem Film bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Frage verfolgt wird, was passieren könnte, wenn eine Jungengruppe nach einem Flugzeugunglück auf einer einsamen Insel landete.

Filme, mit denen man eine Unterrichtsreihe eröffnen will, sollten möglichst keinen beschreibenden oder zusammenfassenden Charakter haben, wie z. B. die ca. 14 Minuten dauernde Eröffnungssequenz von 2001: Odyssee im Weltraum (Stanley Kubrick, GB 1968). Kubrick stellt hier die Evolutionstheorie Darwins sehr eindrucksvoll dar. Doch leider hat seine adäquate Umsetzung der Darwin’schen Theorie den (erheblichen) Nachteil, dass sie keine »Lücken« birgt, die von Schülerinnen und Schülern gefüllt werden könnten. Sie können daher nach der Vorführung des Films allenfalls noch einmal den Inhalt zusammenfassen, ohne dass ein Problem erkennbar wäre, das für eine gedankliche Auseinandersetzung fruchtbar sein könnte. Aus diesem Grund eignen sich Filme mit beschreibenden oder zusammenfassenden Inhalten nicht für den Einstieg in eine Unterrichtsreihe und nur eingeschränkt für den Philosophieunterricht überhaupt.

Will man für den Einstieg in eine Unterrichtsreihe einen Film einsetzen, so sollte dieser gleichsam als Gedankenexperiment, Dilemma oder als philosophischer Textersatz fungieren, um 1. ein Problem aufzugreifen, das 2. von den Schülerinnen und Schülern benannt und beschrieben werden kann, wodurch 3. Fragen entstehen, die sich – wenn überhaupt – nicht »einfach« beantworten lassen, und auf diese Weise 4. zum eigentlichen Thema der Unterrichtsreihe hinführen, sodass 5. im Anschluss an die Besprechung des Films bzw. Filmausschnitts tiefer in das Thema eingedrungen werden kann.

Als Einstieg in eine Unterrichtsreihe über Künstliche Intelligenz leisten z. B. die Anfangssequenzen aus A. I. – Künstliche Intelligenz (Steven Spielberg, USA 2000) gute Dienste. In ihnen werden einige philosophische Fragen gestellt, die sowohl unter anthropologischen, moralischen als auch erkenntnistheoretischen Aspekten einer genaueren Betrachtung bedürfen. Wie man beispielsweise methodisch vorgehen kann, sollen verschiedene Beispiele im Materialteil veranschaulichen.

Ein Film bzw. ein Filmausschnitt in der Mitte einer Unterrichtsreihe

Ein zweckmäßiger Grund, einen Film bzw. Filmausschnitt zum Untersuchungsgegenstand innerhalb einer Unterrichtsreihe zu machen, liegt darin begründet, dass durch ihn (manchmal) ein Problem besser als durch einen Text auf den Punkt gebracht werden kann, weil er (meist) kürzer, anschaulicher und eventuell auch emotionaler ist. Ein gutes Beispiel ist in diesem Zusammenhang der Film The Breakfast Club – Der Frühstücksclub (John Hughes, USA 1984). Diesen Film sollte man in einer Unterrichtsreihe über Identität erst dann einsetzen, nachdem schon einige Facetten der Frage »Wer bin ich (eigentlich)?« beleuchtet worden sind.

Eine solche Unterrichtsreihe kann man etwa mit einem Auszug aus dem Hörspiel Sofies Welt nach dem philosophischen Roman von Jostein Gaarder beginnen, in dem Sophie sich der Frage stellt, wer sie denn eigentlich sei13. Die Realitätsnähe dieser Fragestellung können die Schülerinnen und Schüler selber durch die Anfertigung eines Steckbriefs über sich selbst nachvollziehen. Genau an dieser Stelle setzt der Film The Breakfast Club – Der Frühstücksclub ein: Aufgrund unterschiedlicher Vergehen müssen fünf Schülerinnen und Schüler an einem Samstagmorgen in der Schule nachsitzen. Dort erfahren und lernen sie viel über sich selbst – ohne der eigentlichen Aufforderung, ein Aufsatz zu dem Thema: »Wer bin ich?«, nachzukommen. Mit Hilfe von Arbeitsblättern sollen unsere Schülerinnen und Schüler genau diese Frage an Hand der Biografien der Nachsitzenden in einer konkreten Lebenssituation erarbeiten. Dass der Film dabei eine Veränderung bzw. einen Reifeprozess der Schülerinnen und Schüler darstellt, führt zu der weiteren Frage, ob man trotz Veränderungen immer der- bzw. dieselbe ist und bleibt. Dieser Frage kann man etwa durch das Gedankenexperiment »Das Schiff des Theseus« nachgehen14. Um noch eine weitere Möglichkeit aufzuzeigen, wie eine solche Unterrichtsreihe fortgeführt werden könnte, sei schließlich noch auf Wittgensteins Überlegungen hingewiesen, in denen er das Problem untersucht, welche Konsequenzen es hätte, wenn alle menschlichen Körper gleich aussähen15.

Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von Filmen innerhalb einer Unterrichtsreihe ist das Milgram-Experiment, das in I wie Ikarus (Henri Verneuil, F 1979) Eingang gefunden hat. Die filmische Umsetzung des Experiments kann z. B. in eine Unterrichtsreihe über totalitäre politische Systeme eingebettet werden; für eine achte Jahrgangsstufe eignet sich der Roman Die Welle von Morton Rhue. Der Autor greift in dieser Erzählung auf autobiographische Ereignisse aus seiner Zeit als Geschichtslehrer zurück, als er seinen Schülern zeigen wollte, wie Faschismus entsteht, dass in jedem von uns ein potenzieller Täter oder zumindest Mitläufer steckt und dass es jederzeit wieder zu einem Faschismus kommen kann. Um seinen Schülern deutlich zu machen, wieso der Faschismus sich wie eine »Welle« hat ausbreiten können, führt er ein Experiment durch, das ihm immer mehr aus den Fugen gerät.

Wird den Schülerinnen und Schülern durch die Lektüre klar, dass gerade totalitäre Systeme den Menschen verführen können, so greift Henri Verneuil diesen Gedanken in I wie Ikarus mit dem Milgram-Experiment auf. Der amerikanische Psychologe Stanley Milgram untersuchte die Bereitschaft von Menschen, Unschuldige zu quälen, nur weil dies von einer Obrigkeit angeordnet wurde. Seine Resultate zeigen, dass Menschen sehr weit gehen – manchmal nehmen sie sogar den Tod eines Unschuldigen in Kauf –, wenn sie ihr Handeln hinter Befehlen Höherrangiger verstecken können16. Die filmische Umsetzung bietet sich bereits für die Sekundarstufe I an, weil sie das Milgram-Experiment konkret darstellt und nicht so hohe Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler stellt wie der wissenschaftliche Text. Deren Aufgabe bei der Auswertung des Filmausschnitts einerseits besteht darin, den Versuch so genau wie möglich zu beschreiben und andererseits zu erkennen, welche Mechanismen dazu führen, dass »man« sich der Obrigkeit beugt.

Im Anschluss daran eröffnet sich die Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler mit der Sichtweise einer Philosophin zu diesem Thema zu konfrontieren: Es bietet sich an, einen Text von Hannah Arendt zu lesen, die sich ja bekanntermaßen in vielen ihrer Schriften mit dem totalitären Staat auseinandergesetzt und ihn aufs Schärfste kritisiert hat17.

Ein Film bzw. ein Filmausschnitt am Ende einer Unterrichtsreihe

Setzt man am Ende einer Unterrichtsreihe einen Film bzw. einen Filmausschnitt ein, so können damit zwei verschiedene Ziele verfolgt werden:

1. Vertiefung des Gelernten: Der Einsatz eines Films oder Filmausschnitts kann dazu beitragen, dass Erarbeitete zu vertiefen. Dies kann auf zwei verschiedene Weisen erfolgen: nämlich als Illustration oder als Anwendung auf das im Unterricht Gesagte:

Illustrativ sind z. B. die ersten 14 Minuten aus 2001: Odyssee im Weltraum (Stanley Kubrick, GB 1968). Zeigt man diese Sequenz über die Evolution vom Affen zum Menschen nach der Besprechung der Darwin’schen Theorie, so muss man sich als Lehrende bzw. Lehrender darüber bewusst sein, dass die Schülerinnen und Schüler mit diesem Ausschnitt nicht problemorientiert arbeiten können, weil Kubrick nichts anderes macht, als Darwins Lehre filmisch zu referieren. Der Filmausschnitt beinhaltet – wie schon an anderer Stelle hervorgehoben – keine (neue) Lücke, die von den Schülerinnen und Schülern geschlossen werden müsste. Aber das Zeigen der Sequenz gibt den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit, 1. Kubricks Auffassung mit der Darwin’schen Theorie zu vergleichen, 2. zu untersuchen, wie der amerikanische Regisseur die Lehre des Briten umgesetzt hat und 3. durch die Anwendung das Gelernte zu vertiefen. Sofern man den Resultaten der American Audiovisual Society Glauben schenken darf, behalten nämlich jene Schülerinnen und Schüler Gelerntes besser, bei denen alle Ein- bzw. Ausgangskanäle (»lesen«, »sprechen« und zusätzlich noch »sehen und hören«) stimuliert werden, als solche, die ausschließlich auf die Auseinandersetzung mit Texten beschränkt sind.

Die konkrete Anwendung von Gelerntem kann aber noch prägnanter an dem Film 2 Mio. $ Trinkgeld (Andrew Bergman, USA 1993) deutlich gemacht werden. Auch wenn der Film insgesamt eher als ›schwach‹ zu bezeichnen ist, bieten die ersten 19 Minuten doch vielfältige Möglichkeiten, sich im Anschluss an die Besprechung unterschiedlicher ethischer Konzepte auf die eine oder andere Weise noch einmal mit verschiedenen Ethik-Positionen auseinanderzusetzen: In der Anfangssequenz wird ein Problem dargestellt, dass aus den unterschiedlichen ethischen Einstellungen der Hauptcharaktere resultiert: Während Muriel die egoistisch-hedonistische Einstellung vertritt und Yvonne bemitleidenswert ist, repräsentiert Charlie sowohl eine tugendhafte Position als auch vermeintlich die Pflichtethik Kants. Dieser Filmausschnitt sollte daher erst eingesetzt werden, wenn die Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, die im Film vorkommenden ethischen Positionen zu bestimmen (M3). Auf diese Weise wird einerseits das im Unterricht Erarbeitete durch den Film noch einmal kompakt dargestellt und durch die Anwendung auf eine konkrete Situation vertieft, und andererseits kann jede Schülerin bzw. jeder Schüler noch einmal überprüfen, ob er die unterschiedlichen ethischen Positionen als solche verstanden hat.

2. Der Blick nach vorn: Man kann ein neues, im Unterricht nicht behandeltes (eventuell futuristisches) Problem aufwerfen, das deutlich macht, welche Möglichkeiten – seien sie positiver oder negativer Natur – sich durch Forschung eröffnen, sollten die theoretischen Überlegungen der Techniker, Naturwissenschaftler und Mediziner eines Tages Wirklichkeit werden. Um solche Fragen zu behandeln, bieten sich oft Filme aus dem Science-Fiction-Genre an. Man denke dabei z. B. an Contact (Robert Zemecki, USA 1997), in dem es um das Aufspüren von Lebenszeichen aus dem und Leben im Weltall geht; oder an Gattaca (Ethan Hawkes, USA 1997), der das Problem aufgreift, welche Schwierigkeiten für jemanden bestehen, der auf »natürliche Weise« geboren wurde, aber in einer Gesellschaft von überwiegend perfekten Menschen leben muss, die durch Gen-Kombination bei Zeugung im Labor hergestellt wurden.

Einteilung von Filmen nach Schwerpunkten

Die Filme, die zur Verwendung im Philosophie- und Ethikunterricht in Frage kommen, könnte man nach ihrem Bezug zur Philosophie in folgende Kategorien einteilen:

¬Filme, die die Biografie eines Philosophen zum Gegenstand haben: z. B. Sokrates (Roberto Rossellini, I/F/ESP 1970) oder Hannah Arendt (Margarethe von Trotta, D 2012)

¬Verfilmungen von philosophisch inspirierter Literatur: z. B. Der Fremde (Sergio Gobbi und Luchino Visconti, I 1967 von) nach Albert Camus Roman, Der Name der Rose (Jean Jacques Annaud, D/I/F 1985–86 von) nach Umberto Ecos Roman

¬Filme, die sich einem philosophischen Thema widmen: z. B. Die letzte Nacht des Boris Gruschenko (Woody Allen, USA 1975), Der Sinn des Lebens (Terry Gilliam und Terry Jones, GB 1982)

¬Filme mit nichtphilosophischem Sujet, die in einzelnen Szenen philosophische Fragen evozieren: z. B. Die zwölf Geschworenen (Sidney Lumet, USA 1957)

Nach ihren Inhalten könnte man die philosophisch relevanten Filme analog zu den Disziplinen der Philosophie kategorisieren:

¬Filme mit anthropologischen Fragestellungen/Aspekten: z. B. Der Wolfsjunge (Francois Truffaut, F 1969)

¬Filme mit ethischen Fragestellungen/Aspekten: z. B. Jakob der Lügner (Peter Kassovitz, USA 1999); Gandhi (Richard Attenborough, UK/I/IND 1981)

¬Filme mit politisch-philosophischen Fragestellungen/Aspekten: z. B. 1984 (Michael Radford, GB 1984); Metropolis (Fritz Lang, D 1927)

¬Filme mit erkenntnistheoretischen Fragestellungen/Aspekten: z. B. Matrix (Lana Wachowski (als Larry Wachowski); Lilly Wachowski (als Andy Wachowski), USA/AUS 1999); Nell (Michael Apted, USA 1994)

Schließlich kann man Filme auch nach der Art und Weise einteilen, wie sie ihr philosophisch relevantes Thema darstellen:

¬Veranschaulichung einer philosophischen Position oder Entwicklung: z. B. die Anfangssequenz von 2001: Odyssee im Weltraum (Stanley Kubrick, GB 1968) stellt die Evolution des Menschen anschaulich dar

¬Darstellung eines Konfliktes zwischen philosophisch relevanten Positionen: z. B. zwischen Umweltschützern und Unternehmern in Erin Brockovich (Steven Sonderbergh, USA 2000)

¬Darstellung eines moralischen Dilemmas: z. B. zwischen Forschungsinteressen und Schutz des menschlichen Lebens in Apollo 13 (Ron Howard, USA 1994)

¬Darstellung eines Gedankenexperimentes, z. B. Gattaca (Ethan Hawkes, USA 1997): Was wären die Folgen, wenn in einer Gesellschaft Eugenik praktiziert würde?

I wie Ikarus18

Inhalt der Filmsequenz: In einer 20-minütigen Szene des Thrillers I wie Ikarus wird das von dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram entwickelte und durchgeführte Experiment zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität exakt nachgezeichnet. Anfang der 1960er Jahre ermittelte Stanley Milgram an der Yale University die Reaktionen von Versuchspersonen, die durch eine wissenschaftliche Autorität aufgefordert wurden, anderen Menschen Schmerzen zuzufügen. Das Experiment liefert einen Erklärungsansatz zum Funktionieren autoritärer politischer Systeme. Es lässt sich z. B. auf den nationalsozialistischen Holocaust beziehen – insbesondere auf den Fall Adolf Eichmann – und mit Kants Aufklärungsschrift kontrastieren.

 M 1Das Milgram-Experiment

Zwei Personen, von denen eine in das Experiment eingeweiht ist, kommen in ein Psychologielabor der Universität von Yale, um an einem Experiment über Erinnerungsvermögen und Lernfähigkeit teilzunehmen. Durch ein manipuliertes Losverfahren wird die eingeweihte Person zum Schüler ernannt und die Versuchsperson zum Lehrer. Der Schüler nimmt in einem Nebenzimmer auf dem elektrischen Stuhl Platz und wird dort festgebunden, um angeblich starke Bewegungen während des Schocks zu vermeiden. Der Versuchsleiter erklärt nun beiden, dass mit dem Versuch die Auswirkung von Strafe auf die Lernfähigkeit getestet werden soll. Dazu soll der Schüler Wortpaare lernen und wird für jeden Fehler mit Stromschlägen bestraft, wobei nach jeder falschen Antwort die Voltzahl um 15 V erhöht wird. Nachdem der Lehrer einen Probeschock von 45 V bekommen hat, setzt er sich in dem anderen Raum vor den Schockgenerator, an dem sich dreißig Schalter befinden mit einer Skala von 15 V bis 450 V. Zusätzlich befindet sich an der Skala noch eine Einteilung von »leichtem Schock« bis »Gefahr: Bedrohlicher Schock«. Der Lehrer soll jetzt nacheinander jede Frage vorlesen und bei falschen Antworten einen Stromschock verabreichen, der jedes Mal um 15 V stärker wird. Während des gesamten Experiments wird dem Schüler natürlich kein richtiger Stromschlag gegeben, wovon der Lehrer aber nichts weiß. Das wirkliche Ziel ist es nämlich, herauszufinden, wie weit die Versuchsperson in einer konkreten, messbaren Situation geht, in der ihr befohlen wird, einem protestierenden Opfer zunehmende Qualen zuzufügen und wann sie sich weigert, weiterhin dem Versuchsleiter zu gehorchen. Das Ergebnis: Drei Viertel der Probanden konnten dazu gebracht werden, in bedingungslosem Gehorsam einen ihnen völlig unbekannten, unschuldigen Menschen zu quälen und zu foltern, sogar zu töten. Der durchschnittlich gegebene Maximalschock war 27 in einer Skala von 30, das bedeutet: »Gefahr: Bedrohlicher Schock«.

Rekonstruieren Sie das Experiment (Ziel – Versuchsanordnung – Ergebnis).19

Diskutieren Sie, inwiefern Unterordnung unter Autoritäten zu Gewaltbereitschaft führt.

 M 2Das Eichmann-Protokoll20

Adolf Eichmann war in einer entscheidenden Schlüsselrolle verantwortlich für den Völkermord an den Juden. Er hat die Transporte in die Vernichtungslager organisiert, die Fahrpläne ausarbeiten lassen und für die ausreichende Nutzung der Gaskammern gesorgt. Als ihm – nach der Verhaftung durch den israelischen Geheimdienst – 1961 in Jerusalem der Prozess gemacht wurde, sagte er im Verhör durch Hauptmann Less u. a. Folgendes aus:

LESS:Sie sagen, Sie hatten nichts mit der Tötung zu tun?

EICHMANN:Jawohl.

LESS:Aber die Menschen zur Tötung wurden abgeliefert.

EICHMANN:Ja nun, das ist richtig insofern, Herr Hauptmann, als ich den Befehl bekommen habe, zu evakuieren. Nicht jeder jedoch, den ich evakuierte, wurde getötet. Es entzog sich völlig meiner Kenntnis, wer getötet wurde und wer nicht. […] Der Beihilfe bin ich selbstverständlich schuldig. Das ist völlig klar; das habe schon einmal gesagt. Insofern kann ich mich auch nicht der Verantwortung entziehen, Herr Hauptmann, […] nach juristischer Auffassung bin ich der Beihilfe schuldig. […] Als Dezernent von IV B 4 bin ich ja nun wirklich nicht für alles zuständig gewesen, sondern eben nur für mein relativ eng umrissenes Aufgabengebiet. Und dieses eng umrissene Aufgabengebiet ist ja jederzeit feststellbar, denn das war ja eine Zentralinstanz gewesen. Ich konnte ja nicht machen, was ich wollte.

Erörtern Sie, ob das Milgram-Experiment eine Erklärung für Eichmanns Handlungsweise bietet.

 M 3Stanley Milgram: Warum Gehorsam?21

Verhalten wurde – wie jedes andere charakteristische Merkmal des Menschen – in der Abfolge von Generationen durch die Überlebensbedingungen entwickelt. Verhaltensweisen, die nicht die Chance des Überlebens förderten, wurden schrittweise aus dem Organismus herausgezüchtet, weil sie zum Aussterben der Gruppen geführt hätten, die solche Verhaltensweisen zeigten. Ein Stamm, in dem einige Angehörige Krieger waren, während andere sich um die Kinder kümmerten und wieder andere auf die Jagd gingen, besaß enorme Vorteile gegenüber einem Stamm, bei dem es keine Arbeitsteilung gab. Ein Überblick über die Menschheitskulturen zeigt uns klar, dass ausschließlich gelenkte und konzentrierte Aktionen die Pyramiden errichten, die Gesellschaft des antiken Griechenland bilden und aus einer mitleiderregenden Kreatur, die um ihr Überleben ringt, den technischen Beherrscher des Planeten machen konnten.

Die Vorteile sozialer Organisation wirken nicht nur nach außen, sondern genauso nach innen, denn sie stabilisieren und harmonisieren die Beziehungen der Gruppenangehörigen zueinander. Durch die deutliche Statusbestimmung jedes Angehörigen wird die Reibung auf ein Minimum reduziert. Wenn ein Wolfsrudel seine Beute erlegt hat, ist der Leitwolf der erste, der fressen darf; ihm folgt der nächste im Rang und so fort bis zum letzten in der Rangordnung. Dass jeder Wolf seinen Platz innerhalb der Hierarchie akzeptiert, stabilisiert das Rudel. Das gleiche trifft auf menschliche Gruppen zu: innere Harmonie ist gesichert, wenn alle Mitglieder den ihnen zugeschriebenen Status akzeptieren, Anfechtung der Hierarchie hingegen ruft oft Gewalttätigkeit hervor. Also fördert eine stabile gesellschaftliche Organisation gleichzeitig die Fähigkeit der Gruppe, mit der Umwelt fertigzuwerden, und verringert durch Regulierung der Beziehungen innerhalb der Gruppe die interne Gewalttätigkeit.

Ein Potential an Gehorsamsbereitschaft ist Voraussetzung für eine derartige gesellschaftliche Organisation, und weil Organisation für das Überleben jeder Art von solch großem Wert ist, wurde diese Eigenschaft im Verlauf der langdauernden Evolutionsprozesse im Organismus entwickelt.

Untersuchen Sie, wie Milgram die Gehorsamsbereitschaft des Menschen erklärt.

 M 4Immanuel Kant: Was ist Aufklärung?22

In seinem berühmten Aufsatz Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? führt Kant Folgendes aus: