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Beschreibung

»Phosphor ist das Nadelöhr des Lebens.« Isaac Asimov Als Phosphor 1669 entdeckt wurde, war die Aufregung groß: Auf der Suche nach dem »Stein der Weisen« destillierte der Alchemist Hennig Brand Urin und erhielt eine Substanz, die im Dunkeln leuchtete und die Menschen in Staunen versetzte. Mittlerweile sind die meisten Geheimnisse des Phosphors entschlüsselt, doch seine Faszination hat das Element bis heute nicht eingebüßt: Phosphor spendet Leben, kann aber auch den Tod bringen. Als Bestandteil von Pestiziden oder Brandbomben wirkt er tödlich, als essenzieller Nährstoff versorgt er alle Lebewesen mit Energie. Noch! Denn abbaubares Phosphat ist selten geworden, und Recyclingverfahren sind zwar erforscht, werden aber noch zu wenig genutzt, sodass Phosphor zunehmend verloren geht. Das Buch erzählt die Geschichte eines ambivalenten Elements, von dessen Tragweite nur wenige wissen.

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Stefan Emeis, Kerstin Schlögl-Flierl (Hrsg.)
Phosphor
Fluch und Segen eines Elements
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Phosphor – Fluch und Segen eines Elementsin der Reihe ›Stoffgeschichten‹
© 2021 oekom verlag Münchenoekom – Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbHWaltherstraße 29, 80337 München
Lektorat: Maike HofmaUmschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, MünchenUmschlagabbildung: © Andruschka/Panthermedia/imagoKorrektorat: Silvia StammenSatz: Ines Swoboda
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-813-3
Wir danken der Universität Augsburg
für die Förderung dieser Publikation.
Für Armin Reller, den inspirierenden Mitbegründer dieser Buchreihe
Stoffgeschichten – Band 14
Eine Buchreihe des Wissenschaftszentrums Umwelt der Universität Augsburg in Kooperation mit dem oekom e. V.
Herausgegeben von Dr.Jens Soentgen mit Prof.Dr.Armin Reller
Stoffe aller Art werden rund um den Globus aus dem Boden, aus Lebewesen oder aus der Luft gewonnen, in Raffinerien und Fabriken gereinigt, zerlegt, wieder verbunden, durch Pipelines gepumpt, auf Containerschiffen verschickt, transformiert und verbraucht. Aber parallel zu all dem machen sie sich, oft unerkannt, selbst auf den Weg: Öl aus havarierten Ölplattformen breitet sich auf dem Meer aus; Stickstoffdünger und Pestizide diffundieren ins Grundwasser; Smog entsteht und legt sich wie eine Glocke über Städte; Kohlendioxid aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe reichert sich in der Atmosphäre an; Mikroplastik verteilt sich im Meer. Stoffe überschreiten Grenzen: Grenzen von Körpern, Grenzen von Ökosystemen, Grenzen von Staaten, aber auch Grenzwerte der Behörden – und sorgen so für Konflikte. Wie nie zuvor wird in unserer Gesellschaft heute über Substanzen und ihre Nebenwirkungen diskutiert.
Deshalb stellen die Bände der Reihe Stoffgeschichten einzelne Stoffe in den Mittelpunkt. Sie sind die oft widerspenstigen Helden, die eigensinnigen Protagonisten unserer Bücher. Stoffgeschichten erzählen von den Landschaften, von den gesellschaftlichen Szenen, die jene Stoffe, mit denen wir täglich umgehen, durchquert haben. Sie berichten von den globalen Wegen, die viele Stoffe hinter sich haben, und blicken von dort aus in die Zukunft.
»Phosphor« ist der 14. Band in dieser Reihe. Der Stoff war eine Entdeckung des Hamburger Alchemisten Hennig Brand, im Barock sorgte die nachtleuchtende Substanz vor allem für abendliche Unterhaltung der höfischen Gesellschaft. Phosphor erwies sich in der späteren Forschung zwar nicht wie erhofft als Stein der Weisen, wohl aber als essenzielles Element: Alles, was wächst, braucht Phosphor. Deshalb wurde er seit dem 19. Jahrhundert auch zu einem unentbehrlichen Bestandteil aller mineralischen Dünger; seither steigt der Phosphorverbrauch, doch die Weltreserven sind endlich. Dieser Band erzählt erstmals die Geschichte des Phosphors, er bietet eine interdisziplinäre Übersicht und präsentiert zugleich neue Forschungsergebnisse.

Inhalt

Vorwort
TEIL I   Die Entdeckungsgeschichte des Phosphors
KERSTIN SCHLÖGL-FLIERL1   Die Doppelgesichtigkeit des Phosphors aus theologischer Sicht
JENS SOENTGEN2   Brands Feuer – Die Bedeutung alchemistischer Ideen und Methoden für die Phosphorentdeckung
PETER ROTH3   Gottfried Wilhelm Leibniz über die Entdeckung des Phosphors
STEFAN EMEIS4   Licht und Leben, Feuer und Tod – Die Dialektik des Phosphors
ROBERT BAUERNFEIND5   Joseph Wrights Alchemist – Die Entdeckung des Phosphors im Gemälde
TEIL II   Phosphor und seine Verwendungsmöglichkeiten
RICHARD WEIHRICH/CHRISTIAN STRAKOS6   Phosphor – Buntes Element in leuchtenden und farbigen Kleidern
BÄRBEL ROTT7   Einige Aspekte zur Rolle von Phosphor in der Geschichte der Menschheit
PETER LEINWEBER/CHRISTEL BAUM/ANIKA ZACHER8   Phosphor im System Boden – Pflanze – Gewässer**
MARIA CHRISTINA MÜLLER-HORNUF9   Phosphorverbindungen als hochwirksame Insektizide und gefährliche Nervengifte
RONJA WAGNER-WENZ/ANKE WEIDENKAFF10   Phosphor in der Lithium-Ionen-Batterie und seine Rückgewinnung
TEIL III   Nachhaltiger Umgang mit Phosphor
OLIVER GANTNER11   Phosphatgewinnung und -weiterverarbeitung
THOMAS HENSCHEL12   Problemstoff im Gewässer, Wertstoff im Abwasser
JENS TRÄNCKNER13   Phosphorrückgewinnung und -recycling aus Abwasser
STEFANIE HÖRNLEIN/JÖRG LONDONG14   Phosphor – Eine essenzielle Ressource im Urin
JESSICA STUBENRAUCH15   Mögliche Wege der Phosphor-Governance
Über die Autor*innen
Vorwort
Jede Medaille hat zwei Seiten, sagt der Volksmund. So gibt es auch mindestens zwei Motivationen und Herangehensweisen, Neugier für den ambivalenten Stoff Phosphor zu wecken und etwas über ihn zu erzählen. Da ist zum einen die Suche nach etwas Wertvollem, bei der Menschen unbeabsichtigt auf den Phosphor gestoßen sind. Der Alchemist Hennig Brand beispielsweise entdeckte einen leuchtenden Stoff, als er 1669 auf der Suche nach dem Stein der Weisen Urin eindampfte. Und 2017 hob eine Frau am Elbstrand etwas auf, das sie für Bernstein hielt und das sich in ihrer Hosentasche plötzlich entflammte. Beide machten unfreiwillig Bekanntschaft mit einer Substanz, die wir heute Phosphor nennen.
Da ist zum anderen die Suche nach Naturverständnis. Phosphor ist ein Stoff und gleichzeitig ein chemisches Element. Dabei haben die Eigenschaften von Phosphor wiederum zwei sehr unterschiedliche Auswirkungen. Auf der einen Seite ist Leben ohne Phosphor nicht möglich, da er beispielsweise für den Aufbau der Knochen benötigt wird. Er ist in der Verbindung ATP enthalten, die in allen Lebewesen die Energie für die Abläufe in den Zellen bereitstellt und somit für das Leben unabdingbar ist, und auch Pflanzen benötigen ihn als Nährstoff zum Wachsen. Auf der anderen Seite kann Phosphor Bestandteil von giftigen und brennbaren Substanzen und damit lebensfeindlich sein, beispielsweise wird er unter anderem in Kampfstoffen verwendet. Vor allem aber ist Phosphor in Düngemitteln enthalten, die zum einen Nährstoffe für Pflanzen zur Verfügung stellen, aber auch durch Ausschwemmungen in Gewässer zur Eutrophierung beitragen. Schon der Name Phosphor selbst beinhaltet diese Ambivalenz. Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet »Lichtträger«. Hätte man das Lateinische zur Namensgebung herangezogen, hieße diese Substanz heute Lucifer und würde an den Teufel erinnern.
Ohne Phosphor geht es nicht. Umso verstörender ist es, dass sich seine Vorräte in den abbaubaren geologischen Lagerstätten in einigen Jahrzehnten zu erschöpfen drohen. Mit den derzeitigen Abbauraten zeichnet sich ein Ende des Kreislaufs ab, der unsere heutige Nahrungsmittelversorgung garantiert.
Zusammengefasst kann gesagt werden: Licht und Leben, Feuer und Tod, an allem ist Phosphor maßgeblich beteiligt! Über den Phosphor können also interessante Stoffgeschichten erzählt werden! Die folgenden Kapitel befassen sich mit jeweils unterschiedlichen Aspekten des Phosphors. In den ersten fünf Beiträgen geht es um die Entdeckungsgeschichte und Begriffsbildung des Stoffes. Fünf weitere Texte demonstrieren einzelne Verwendungsformen des Phosphors in unserer Welt und daraus folgende Konsequenzen. Danach folgen vier Beiträge zum globalen Kreislauf des Phosphors und zu der Frage, inwiefern Phosphor recycelt werden kann. Der letzte Beitrag befasst sich mit dem Thema Governance, also der gesellschaftlichen Steuerung des Phosphorverbrauchs.
Zur Vorbereitung auf das Buchprojekt hat das Wissenschaftszentrum Umwelt (WZU) der Universität Augsburg, das seit vielen Jahren die Reihe »Stoffgeschichten« unterstützt, im März 2020 einen zweitägigen Workshop veranstaltet, der möglichst viele Facetten des Phosphors beleuchten sollte. Um die verschiedenen Aspekte auch nur annähernd abzudecken, übernahmen eine Theologin und ein Naturwissenschaftler gemeinsam die Aufgabe der Organisation des Workshops. Diese fachliche Diversität und Interdisziplinarität ist übrigens von Anfang an eines der prägenden Merkmale des seit gut 20 Jahren bestehenden WZU.
Unser Dank gilt der Universität Augsburg, die seit Jahren das WZU trägt, und dem Netzwerkfonds des WZU, der die Durchführung des Workshops und die Herausgabe dieses Bandes der Stoffgeschichten finanziell unterstützt hat. Dank gebührt ebenso dem oekom verlag, der auch diesen Band der Stoffgeschichten in bewährter Manier verlegt hat. Aber alles wäre nichts, wenn nicht die Autor*innen zunächst ihre Vorträge für den Workshop sorgfältig ausgearbeitet und dann in den folgenden Monaten ohne große Verzögerung ihr Thema für diesen Band schriftlich festgehalten hätten. So hat jede beteiligte Disziplin ihre je eigene Stoffgeschichte erzählt.
Möge die Mühe, die in dieser Stoffgeschichte steckt, einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass man sich der problematischen Rolle des Phosphors in den Händen der Menschen etwas bewusster wird und sich der Umgang mit diesem Stoff nachhaltiger gestaltet. Letztlich sollte nämlich der Segen des Phosphors über den Fluch dominieren.
Kerstin Schlögl-Flierl, Moraltheologin
Stefan Emeis, Meteorologe
TEIL I
Die Entdeckungsgeschichtedes Phosphors
Kapitel 1
Die Doppelgesichtigkeit des Phosphors aus theologischer Sicht
Kerstin Schlögl-Flierl
Phosphor ist ein sehr ambivalentes Element. Auf der einen Seite ist es lebensspendend, auf der anderen Seite bringt es Tod und Zerstörung. Genau diese Doppelgesichtigkeit des Phosphors hat mein Interesse als katholische Theologin erregt, als das Thema im Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg von meinem Kollegen Stefan Emeis vorgestellt wurde. Schon in der Wahl des Titelbildes für das Workshop-Plakat zeigte sich diese interdisziplinäre Zugangsweise, denn es wurde kein Bild eines Alchemisten gewählt, sondern ein Kupferstich des französischen Illustrators und Malers Gustave Paul Doré (1832–1883), der damit 1866 John Milton’s Paradise Lost illustriert hatte (Abbildung 1).
Auf diesem Bild erkennt man ein herabstürzendes Wesen und am oberen Bildrand die Gestirne, die im dunklen Hintergrund glänzen. Links unten erahnt man die Erde, über der die Wolkendecke reißt. Ein Lichtstrahl geht von oben nach unten auf die Erde, in dessen Dunstkreis beziehungsweise Strahlen sich das Wesen nach unten bewegt.
Folgende Blankverse des epischen Gedichtes Paradise Lost hat Doré mit dieser Darstellung verbildlicht:
»Als ihn sein Stolz vom Himmel ausgestoßen / Mit seinem ganzen Heer rebellischer Engel, / Mit deren Hilfe er sich selbst getrachtet / Hoch über Seinesgleichen zu erheben, / Ja, mit dem Allerhöchsten sich zu messen, / Wär’ er dawider. Mit ehrgeizigem Ziel / Heillos begann er Krieg im Himmel, Kampf / Gen Gottes einzigen Thron und Monarchie: / Ein eitler Schlag. Denn der Allherrscher schleudert / Als Feuerbrand ihn häuptlings aus dem Himmel, / Gestürzt, gesengt, hinunter grausig tief / Ins bodenlose Nichtsein; dort zu wohnen / In Ketten von Demant und Feuerqualen, / Der Allmacht in die Schranken durfte fordern.« (Milton, 1968/2008, S. 45–58)
Nach dem Fall von Adam und Eva kommt Satan, aufgewiegelt durch die höllische Schlange, als Hauptakteur des Epos Paradise Lost in den Fokus. Seine Strafe – den Sturz – hat der Kupferstecher hier dargestellt.
Was hat dies nun mit dem Stoff Phosphor zu tun? Dazu hilft ein Blick auf die Begriffsgeschichte des Stoffes, vor allem der theologischen.
Abbildung 1   Illustration für Paradise Lost von Gustave Paul Doré. Quelle: Gunnar.offel/Wikimedia

Allgemeine und theologische Begriffsgeschichte

Phosphor kommt von dem griechischen Wort Phosphoros (ϕωσϕόρος), auch Phosphorus, und heißt übersetzt »Lichtbringer« oder »Lichtträger«. Als Lichtbringer wird auch die römische Gottheit Lucifer (lux ist das Licht) bezeichnet. In der Antike ist Lucifer zunächst der Name für den Morgenstern Venus (Felber 2005). In der griechischen Mythologie heißt der Morgenstern dagegen Eosphoros oder Heosphoros, die griechische Göttin Hekate wird unter anderem als Lichtbringerin benannt. Das Morgengestirn erkannte man schon im Altertum als Planeten, der nach der Liebesgöttin Aphrodite (im Römischen die Venus) benannt wurde.
Der Lichtbringer im christlichen Kontext war zunächst der positiv besetzte Lucifer, erst später wurde daraus der Teufel beziehungsweise Satan. Weder findet sich in der Bibel etwas zur Entstehung oder Geburt des Teufels noch zur Erschaffung der Engel. Diese Leerstelle haben antike Jüd*innen und Christ*innen mit parabiblischen Erzählungen gefüllt (Brüning/Vorholt 2018).1 Auch der Sturz des Lucifers beziehungsweise Satan als gestürzter Engel war in der damaligen Zeit ein bekannter Topos. Als Lichtträger genügte Lucifer die Gottähnlichkeit nicht, er strebte die Gottgleichheit an. Da er seine Eigenliebe über die Liebe zu Gott stellte, wurde er verbannt. So kam es zum Sturz aus dem Himmel in die Hölle, wo Lucifer zum Herrn der Finsternis wurde. Dieser Mythos findet sich vor allem in außerkanonischen jüdischen Schriften, wie zum Beispiel dem Henochbuch (Henochbuch 6, 1–7, 10, 4–6; Leimgruber 2010). Blickt man auf verwandte Texte in der Bibel, so fällt außerdem eine Stelle im Prophetenbuch Jesaja auf, in welcher der Sohn der Morgenröte, Helal, wegen Hochmuts in den Abgrund stürzt (Jesaja 14, 12–15). Hier gibt es also eine Analogie zum Lucifer-Mythos, die man auch in weiteren Texten beobachten kann.2 Sie geben uns einen Hinweis darauf, wie der Lucifer-Mythos entstand und wie er den Begriff Phosphor und dessen Entdeckungsgeschichte geprägt hat.

Exegetische Einblicke und Rezeption

Zu Beginn des Christentums war Lucifer noch nicht negativ besetzt. Lucifer war sogar ein beliebter Taufname, beispielsweise von Lucifer von Calaris, der 371 n. Chr. verstarb. Auch Christus selbst wurde in der Bibel als Phosphorus, das griechische Äquivalent zu Lucifer, bezeichnet, beispielsweise in der Verteidigung des christlichen Glaubens im zweiten Petrusbrief, wo Christus als der aufgehende Morgenstern in den Herzen der Menschen attribuiert wird.3 Wie wenig Phosphorus ursprünglich negativ besetzt war, zeigt sich beispielsweise an einem Hymnus von Hilarius von Poitiers (315–367):
»Du Lichtesspender, leuchtend hell, / aus deines Lichtes reinem Quell / ergießt sich, wenn die Nacht vollbracht, / des Tages strahlenreiche Pracht. / Der Welt ein wahrer Morgenstern (tu verus mundi lucifer), / nicht jener Stern, der klein und fern, / verkündend uns das nahnde Licht, / mit schwachem Schein das Dunkel bricht: / Nein, heller als der Sonne Glanz, / uns selbst Licht und Tag so ganz, / gibst du die tiefste Seele kund, / durchleuchtend unsres Herzens Grund.« (Hilarius von Poitiers 1909)4
Erst nach und nach wurde der Lichtbringer beziehungsweise Lucifer mit Satan in Verbindung gebracht und es kam zu der uns heute geläufigen Polarisierung. Aber wie kam es zu dieser Verschiebung?
In Jesaja beispielsweise lesen wir von einem Sturz vom Himmel in die Unterwelt:
»Wie bist du vom Himmel gefallen, / strahlender, du Sohn der Morgenröte. Wie bist du zu Boden geschmettert, / du Bezwinger der Nationen. Du aber hattest in deinem Herzen gesagt: / Den Himmel will ich ersteigen, hoch über den Sternen Gottes / meinen Thron aufrichten. Ich will mich niedersetzen auf dem Versammlungsberg, / im äußersten Norden. Ich will über Wolkenhöhen emporsteigen, / dem Höchsten will ich mich gleichstellen. Doch in die Unterwelt wirst du hinabgestürzt, / in die tiefste Grube.« (Jesaja 14, 12–15)
Blickt man auf die Bibelübersetzungen durch die Zeit hindurch, wird der Name Helal in der Septuaginta zunächst als Heosphoros (griechisch für Morgenstern), in der Vulgata dann Lucifer (römisch für Morgenstern) genannt. Noch deutlicher wird dies durch die Relektüre der Jesaja-Stelle mit Ezechiel. Die Passage erzählt vom Herrscher von Tyros, der einen vermessenen Anspruch auf Göttlichkeit erhoben hat:
»Da habe ich dich entweiht, entfernt vom Berg der Götter, / und dich zugrunde gerichtet, du beschirmender Kerub, / weg aus der Mitte der feurigen Steine. Hochmütig war dein Herz geworden, / weil du so schön warst. / Du hast deine Weisheit vernichtet, / verblendet vom strahlenden Glanz. / Ich stieß dich auf die Erde hinab. / Den Blicken der Könige gab ich dich preis, damit sie dich alle begaffen. Du hast durch deine gewaltige Schuld, / durch Unrecht bei deinem Handelsgeschäft deine Heiligtümer entweiht. So ließ ich mitten aus dir Feuer hervorbrechen. / Das hat dich verzehrt. / Vor den Augen all derer, die dich sahen, / machte ich dich zu Asche auf der Erde.« (aus Ezechiel 28, 1–19)
Es handelt sich um eine Geschichte, die von der Würdestellung sowie vom Sturz eines gottnahen, übermenschlichen Wesens berichtet, das aber an der eigenen Pracht zu Fall kommt beziehungsweise daran zugrunde geht. Hier verändert sich das Bild von Lucifer. Die Warnung vor dem Hochmut wurde zu seinem durchgängigen Motiv, wodurch Lucifer als Gegenbild zu Christus gezeichnet wurde, der sich entäußerte, also sein Leben aufgab.5
Folglich gilt in der weiteren christlichen Rezeptionsgeschichte der Hochmut als Kardinalsünde des Teufels, sekundiert von Neid. Das sehen wir beispielsweise in den Texten von Augustinus (354–430), der die Antithese von Hochmut und Demut, von Lucifer und Christus, zu einer zentralen Achse seiner Betrachtung macht:
»Denn derjenige, der sich Gott gleich machen wollte, obgleich er es nicht war, fiel und aus einem Engel wurde ein Teufel […]. Daher preist der Apostel jenen so: Da er in der Gestalt Gottes war, hielt er es für keinen Raub, Gott gleich zu sein […].« (Augustinus 1954, 17, 16)
Wer immer also Gott gleich sein will, in diesem Fall Lucifer, wird untergehen. Dagegen entäußert Jesus sich selbst und wird erhöht. Auch der Kirchenvater Hieronymus (347–420) teilt diese Ansicht:
»Und es ist nicht verwunderlich, wenn die Dämonen, die in der Luft leben, himmlische genannt werden sollen, wenn auch die Schrift ihnen den Beinamen Vögel des Himmels gibt, die zwar nicht im Himmel, aber in der Luft fliegen. Denn auch der Teufel wird zu einem Engel des Lichts verwandelt, wenn er nachahmt ein Stern zu sein. Und der Erlöser sieht diesen gleichsam als Blitz vom Himmel fallen(d). Und moralisch wird von diesem gleichsam wie von einem großen Stern gesagt: Auf diese Weise ist Lucifer gefallen, der sich früh erhob.« (nach Hieronymus 1963, 10, 34, 60–66)
Beide Textstellen zeigen, dass die Verschiebung erst langsam im Laufe der ersten nachchristlichen Zeit einsetzt. Die Erzählung aus Jesaja wurde dabei mit einer Stelle aus dem Lukasevangelium verknüpft: »Da sagte er zu ihnen: Ich sah den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel fallen« (Lukas 10, 18). Satan galt bald als gestürzter Engel und Lucifer wurde zur Bezeichnung des Teufels – Lucifer und Satan wurden somit gleichgesetzt. Dies wirkte bis ins Mittelalter hinein.

Die Frage nach Prometheus

Eine Strukturparallele, die noch nicht eingeholt wurde, ist diejenige vom Sturz des Lucifers zu demjenigen des Prometheus. Dieser Vergleich taucht in der Beschäftigung mit Lucifer immer wieder auf, wobei Lucifer eher neidischer Gegenspieler und Lügner ist, wohingegen Prometheus als der Feuerdieb, der den Göttern das Feuer stahl, gezeichnet wird (Osterkamp 1979, S. 17).
Jacques Auguste de Thou, Katholik und Humanist, Historiker der französischen Renaissance, zieht im 18. Jahrhundert beispielsweise folgende Vergleiche: Lucifer bringt scientia, also Wissen in Form von Licht, Prometheus bringt dagegen das zerstörende Feuer. Beide sind von ihrer Anlage her Gegenspieler zu anderen, jedoch sind ihre Beweggründe unterschiedlich (Osterkamp 1979): Lucifer rebelliert aus der ihm eigenen Bosheit heraus, wohingegen Prometheus gegen die tadelnswerten Züge des Zeus aufbegehrt. Beide stellen sich gegen eine größere Kraft, dabei ist Prometheus im griechischen Mythos aber »selbst Gott, ja sogar weit älter als Zeus; Lucifer aber ist das Geschöpf Gottes« (Osterkamp 1979, S. 20).
Beide scheitern, wobei sich Lucifer im Laufe der Rezeption vom Lichtbringer zum ›Todbringer‹ wandelt. War er zu Beginn noch positiv besetzt, so ist später für Lucifer-Satan der Topos des Todes reserviert.

Phosphor als Element des Teufels?

Nicht nur die Begriffsgeschichte und die theologischen Deutungen und Rezeptionen verbinden Phosphor und den Teufel, auch die militärische Nutzung des Stoffes für Brandbomben beziehungsweise insgesamt die Gefährlichkeit des weißen Phosphors, der sich schnell entzündet (Emsley 2001; siehe Kapitel 2 und 4), führten dazu, dass Phosphor auch als Element des Teufels bezeichnet wurde. Er ist aber ebenso ein Element des Lebens, unentbehrlich für das Pflanzenwachstum, unentbehrlich auch für Menschen und Tiere. Doch Phosphor wird rar. Vor allem bessere Recyclingmethoden (siehe Kapitel 13 und 14) und eine Regulierung des Phosphors vonseiten der Politik (siehe Kapitel 15) können verhindern, dass dieser wichtige Stoff zur Neige geht, der nunmehr in seiner Ambivalenz zwischen Leben und Tod zu betrachten ist.
Anmerkungen
1 Traditionsgeschichtliche Quellen des Teufelsglaubens gehen weit zurück bis in die Mythen der Babylonier, Ägypter und Griechen.
2 Samuel Vollenweider macht noch auf eine andere Linie aufmerksam: »Miltons Zeilen zeigen jedoch, dass im Fall der Luzifer-Geschichte ein biblischer Text, das Spottlied auf den König von Babel in Jes 14, eine formative Rolle gespielt hat« (Vollenweider, 2011/12, S. 204).
3 »Dadurch ist das Wort der Propheten für uns noch sicherer geworden und ihr tut gut daran, es zu beachten, wie ein Licht, das an einem finsteren Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in eurem Herzen« (2 Petr 1,19).
4 Deutsche Übersetzung nach Vollenweider (2011/12), S. 226.
5 So stellt ein gängiges weiteres Motiv die Kontrastierung des Satans von Jesaja 14 mit dem Christus von Phil 2,5–11 dar: »5 Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: 6 Er war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, 7 sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen; […]«
Literatur
Augustinus (1954): In Iohannis Evangelium Tractatus CXXIV (CCSL 36), Turnhout: Brepols.
Brüning, Christian/Vorholt, Robert (2018): Die Frage des Bösen, Würzburg: Echter Verlag.
Emsley, John (2001): Phosphor. Ein Element auf Leben und Tod, übersetzt von Anna Schleitzer, Weinheim u. a.: Wiley-VCH Verlag.
Felber, Anneliese (2005): Teufel. Namen und Begriffe, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. völlig neu bearbeitete Auflage, 8, Tübingen: Mohr Siebeck, wbg academic, S. 179–181.
Hieronymus (1963): Commentariorum in Esaiam Libri I–XI (CCSL 73), Turnhout: Brepols.
Hilarius von Poitiers (1909): Hymnus matutinus. Lucis largitor splendide, in: Dreves, Guido M./Blume, Clemens (Hrsg.): Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Eine Blütenlese aus den Analecta Hymnica mit literarhistorischen Erläuterungen, Leipzig: Reisland Verlag, S. 398.
Leimgruber, Ute (2010): Der Teufel. Die Macht des Bösen, Kevelaer: Butzon & Bercker.
Milton, John (1968/2008): Das verlorene Paradies, deutsche Übersetzung von Hans Heinrich Meier, Stuttgart: Reclam Philipp Jun.
Osterkamp, Ernst (1979): Lucifer. Stationen eines Motivs, Komparatistische Studien. Band 9, Berlin/New York: De Gruyter.
Vollenweider, Samuel (2011/12): Luzifer. Herrlichkeit und Sturz des Lichtengels. Eine Gegengeschichte zu Demut und Erhöhung von Jesus Christus, in: Janowski, Bernd (Hrsg.): Das Böse, Jahrbuch für Biblische Theologie 26, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie, S. 203–226.
Kapitel 2
Brands Feuer – Die Bedeutung alchemistischer Ideen und Methoden für die Phosphorentdeckung
Jens Soentgen
Dinge, die nachts leuchten, sind nicht so selten, wie man meint. Glühwürmchen (Lamprohizasplendidula) tauchen in Auwäldern und in den Gärten meist im Juni auf. Doch auch faulendes Fleisch und Kadaver leuchten bei Nacht und ebenso faulendes Holz im Wald. Hier ist es das Myzel eines Pilzes namens Hallimasch (Armillaria ostoyae), das das Leuchten verursacht. Der Hallimasch lebt auf totem Nadelholz. Seine Fruchtkörper, die von Pilzsammlern geschätzt werden, tauchen im Sommer an Baumstümpfen auf, oft in dichten Büscheln. Der sichtbare Pilz leuchtet nicht, wohl aber das Holz, auf dem und von dem er lebt, wenn auch dieses Leuchten nur bei völliger Dunkelheit sichtbar ist. Selbst das Meer leuchtet von Zeit zu Zeit, es gibt biolumineszierende Mikroorganismen (z. B. Noctiluca scintillans) und auch Quallen (z. B. Pelagia noctilucans), die unter anderem im Mittelmeer oder in der Nordsee, vor allem aber in den tropischen Regionen der Ozeane verbreitet sind. Dort beobachtete sie Alexander von Humboldt (1769–1859), der in seinen Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse schreibt:
»In dem Ocean erscheinen gallertartige Seegewürme, bald lebendig, bald abgestorben, als leuchtende Sterne. Ihr Phosphorlicht wandelt die grünliche Fläche des unermeßlichen Oceans in ein Feuermeer um. Unauslöschlich wird mir der Eindruck jener stillen Tropen-Nächte der Südsee bleiben, wenn aus der duftigen Himmelsbläue das hohe Sternbild des Schiffes und das gesenkt untergehende Kreuz ihr mildes planetarisches Licht ausgossen, und wenn zugleich in der schäumenden Meeresfluth die Delphine ihre leuchtenden Furchen zogen.«
Die Atmosphäre des Wunderbaren, Außergewöhnlichen, die nachtleuchtende Dinge heraufbeschwören, kommt in diesen Zeilen schön zum Ausdruck.
Doch nicht erst der romantisch gesinnte Humboldt interessierte sich für das »Phosphorlicht«; es ist anzunehmen, dass überall auf der Welt Menschen fasziniert waren, wenn sie Dinge oder Lebewesen sahen, die bei Dunkelheit zu leuchten vermochten. Bisweilen wurden solche Lebewesen nicht nur betrachtet, sondern ganz praktisch genutzt. So verwendeten Indigene, wie wir aus den Berichten etwa des Mönchs und Diplomaten Peter Martyr von Anghiera (1457–1526) wissen, der zugleich Zeitgenosse und Freund von Christoph Kolumbus war, auf der Insel Hispaniola (heute geteilt in die Staaten Haiti und Dominikanische Republik) die dort vorkommenden großen Leuchtkäfer, die sogenannten Cucujos (Pyrophorus noctilucus), als Lampe in der Nacht. Zum Sammeln der Insekten wandten die Indigenen eine List an, indem sie die Leuchtkäfer durch ein anderes leuchtendes Objekt – einen glühenden Holzscheit, der nachts in der Luft geschwenkt wurde, – anlockten. Die Indigenen trugen die lebenden Käfer in ihre Hütten, wo sie den Raum erhellten, wie Martyr im neunten Buch der Siebten Dekade seines Werkes De Orbe Novo (Von der Neuen Welt) schreibt: »Beim Leuchten eines umherfliegenden Cucujos können die Eingeborenen spinnen, weben, nähen und tanzen«. Auch die Spanier, so versichert er, bedienten sich des Cucujos als Nachtlampe, in dessen Licht sie zwar nicht webten und spannen, aber lasen und schrieben. Wie später der Phosphor, wurden auch die Leuchtkäfer gern zur Unterhaltung und sogar für Späße verwandt:
»Sie [die Indigenen] reiben sich mit einem Teil der Haut eines toten Cucujos ihr Gesicht ein. In dunkler Nacht gehen sie dann ihren Nachbarn, deren Weg sie kennen, mit einem Antlitz entgegen das leuchtet. […] Die Gesichter jener indianischen Spaßmacher glühen wie Lichter, wenn sie mit dem Leuchtstoff des Cucujos eingerieben sind. Nach einiger Zeit lässt die Lichtquelle jedoch nach und erlischt dann ganz […].«
Auch mit dem Phosphor wurden, wie wir noch sehen werden, anfangs gern solche Späße gemacht, bis man entdeckte, dass diese Substanz aus der Alchemistenküche keineswegs so harmlos und ungiftig ist wie die biolumineszierende Substanz, die den Cucujo zum Leuchten bringt.

Die Leuchtmittel der Alchemisten

In Europa waren es die Alchemisten, die versuchten, solche Lichterscheinungen, solche »Phosphore« (phos-phor ist der Licht-Träger; von phos: Licht und pherein: tragen), in die Hand zu bekommen. Phosphor war dabei damals noch kein Eigenname für ein ganz bestimmtes chemisches Element, sondern eine Gattungsbezeichnung für alle Stoffe, die nachts leuchten. Man kannte mehrere solcher Stoffe und glaubte, dass sie bei der Transmutation von unedlen Metallen in Gold hervorragende Dienste leisten müssten. Das ist insofern naheliegend, weil solche Stoffe den inneren Glanz, den auch das Gold aufweist, schon mitbringen. Sie saugen das Licht der Sonne auf und speichern es, und die Sonne war nach alchemistischer Meinung mit dem Gold nahe verwandt.
Doch die natürlichen Phosphore erwiesen sich als unbeständig, schon nach wenigen Tagen verloren sie ihr Licht. Robert Fludd (1574–1634) etwa, der englische Alchemist, schimpfte einmal, dass er einst in finsterer Nacht in einem Sumpf ein Irrlicht verfolgte und es endlich einholte. Er griff zu – und hielt nur eine schleimige Substanz in Händen. Andere Alchemisten wanderten über verlassene Friedhöfe, erblickten ebenfalls irrlichterndes Leuchten, näherten sich, griffen beherzt zu und hielten weiter nichts als einen Knochen in der Hand.
Trotzdem war die Suche nach Substanzen, die bei Nacht leuchten, keineswegs nur eine unsinnige kindliche Beschäftigung. Es wurden mehrere wichtige Entdeckungen dabei gemacht, nicht nur die des Elements Phosphor, mit der wir uns hier beschäftigen, sondern auch die Grundlage der Fotografie, die Johann Heinrich Schulze 1719 publizierte, der bei der Suche nach nachtleuchtenden Stoffen auf ein lichtempfindliches Silbersalz stieß, das er als Gegenteil der Phosphore, der Lichtträger, erkannte und Scotophorus, Schattenträger, nannte.
Wie viele andere vor und nach ihm, und wie auch Brand, mit dem wir uns gleich beschäftigen, folgte Schulze den Spuren jener Alchemisten, denen es tatsächlich gelungen war, Steine zu präparieren, die, wenn man sie ins pralle Sonnenlicht hielt und dann schnell in einen Keller trug, eine Weile im Dunkeln nachleuchteten. Solche Substanzen nannte man damals Leuchtsteine oder auch Lichtmagnete, weil sie Sonnenlicht aufnahmen und später im Dunkeln wieder abgaben. Da mehrere solcher Präparate, solcher Phosphore, bekannt waren, bestimmte man sie näher, indem man die Namen der Entdecker hinzufügte oder auch die Namen der Städte, in denen sie hergestellt wurden.
Die damals vielleicht berühmteste dieser Substanzen war der sogenannte Balduinische Phosphor. Ein gewisser Adolf Balduin (1632–1682), der Sohn eines berühmten evangelischen Theologen, der übrigens auch Mitglied der Akademie Leopoldina war, hatte ihn in Großenhain in Sachsen erzeugt. Balduin befasste sich damit, den Alkahest herzustellen; so wurde damals eine sagenhafte Flüssigkeit genannt, die in der Lage sein sollte, alles aufzulösen. Unter dem Namen Alkahest verbargen sich unterschiedliche Substanzen. Oft handelte es sich um Salpetersäure, die sehr viele Stoffe (wenn auch keineswegs alle, sonst hätte man sie nicht aufbewahren können) zersetzt, darunter auch Holz. Die Salpetersäure stellte Balduin her, indem er in einer Retorte, einem Destilliergefäß, Mauersalpeter glühte. In der Vorlage fing er die rauchende, rote Salpetersäure auf und stellte begeistert fest, dass der Rückstand in seiner Retorte bei Nacht leuchtete.
Abbildung 1   Retorte mit Ofen (links) und Vorlage (rechts) im Labor des Chemikers Antoine de Lavoisier 1775, nachgestellt im Deutschen Museum, München. Die meisten Retorten der Alchemisten bestanden aus Keramik. Erhitzt wurde von unten, das Destillat wurde in der etwas tiefer stehenden, oft mit Wasser gekühlten Vorlage aufgefangen. Quelle: Jorge Royan/Wikimedia
In einer Schrift über den Phosphorus Hermeticus feierte Balduin seine Entdeckung als »Lichtmagnet«, denn er war überzeugt, dass sein »Stein« das Licht ähnlich anzog wie der Magnet das Eisen. Es handle sich, so schrieb Balduin, bei seiner Materie in der Tat um eben jenes göttliche Feuer, das Prometheus, wie die Sage erzählt, vom Himmel stahl. Seine Entdeckung erkläre sehr viele bisher rätselhafte Phänomene, insbesondere wisse man nun endlich, weshalb der Mond bei Nacht so intensiv leuchte. Er sauge tagsüber das Sonnenlicht auf und strahle es in der Dunkelheit ab! Offenbar bestehe er aus dem nämlichen Material, das dank Balduin nunmehr erstmals auch auf Erden hergestellt wurde.
Balduins Freunde und die Fachwelt waren begeistert. Ein Arzt namens Johann Engelhart glaubte die Alchemie kurz vor ihrem Ziel und dichtete ergriffen:
»Hier glänzt ein neuer Stern: Wir fahren hell und schnell
Und sehens schon von fern: Dort hängt das güldne Fell!«
Balduin meinte, sein Stoff zöge die Weltseele an, denn diese erkannte er im Licht. Und weil auch das Gold eine glänzende Substanz ist, glaubte er, dass der von ihm entdeckte nachtleuchtende Phosphor bei der Herstellung von Gold, dieser funkelnden Lichtsubstanz, eine entscheidende Rolle spielen würde. Um seine Entdeckungen anzupreisen, veröffentlichte er 1675 ein Buch mit dem Titel Aurum superius et inferius, aurae superioris et inferioris – Höheres und niederes Gold aus hoher und niederer Luft. Wie sein nachtleuchtender Stoff dabei hergestellt werden konnte, hielt er vorsichtshalber geheim. Er begann jedoch sogleich, ihn als Medizin zu verkaufen, und berichtet in seinem Werk über zahlreiche wundersame Heilungen.

Der Balduinische Phosphor bringt Kunckel auf die Spur

Durch Balduins Buch wurde Johann Kunckel (1630–1703) auf den Stoff aufmerksam. Kunckel war einer der umtriebigsten Alchemisten des 17. Jahrhunderts. Wie andere Zunftgenossen hatte er keine höhere Schulbildung genossen. Er lernte bei seinem Vater die Glasmacherkunst, machte eine Apothekerlehre und begann seine eindrucksvolle Karriere, die er als oberster schwedischer Bergbeamter abschloss, zunächst in der Provinz bei Herzog Franz Karl von Sachsen-Lauenburg in Neuhaus an der Elbe. Sein fürstlicher Herr interessierte sich sehr für den Spiritus Mundi, den Weltgeist. Dieser wurde als Seele der Welt gedacht, man stellte sich ihn aber auch körperlich fassbar vor und erhoffte sich von ihm außerordentliche Wirkungen. Der Herzog gab Kunckel die Order, den Spiritus Mundi aus Regenwasser zu gewinnen, welches bei Gewittern gesammelt wurde. Auch aus Tau wollten viele den Weltgeist herstellen, weil dieser in sternklaren Nächten fällt. Daher wurde angenommen, dass er vom Firmament gewissermaßen imprägniert sei. Kunckel tat, wie ihm geheißen, und dampfte riesige Mengen Regenwasser in zwei großen »Herrenkolben« ein, wobei er einen salzigen Rückstand erhielt. Über das Resultat schrieb er später kritisch: »Aus dieser Asche sollte nun die Diana hervorkommen, welche den König der Ehren gebären sollte mit einem Purpurmantel.« Doch sein Vorhaben funktionierte nicht, da die gewonnene »Diana« laut Kunckel es nicht schaffte, »einen Bauern, geschweige einen König zur Welt [zu] bringen«. Kunckel zog weiter, zuerst zum sächsischen Kurfürsten nach Dresden, von dort nach Berlin zum Großen Kurfürsten, wo er eine Methode entwickelte, gewöhnlichem Glas durch die Beimischung von Gold eine purpurne Färbung zu geben.
Kunckels Bericht ist, wie auch seine übrigen Schriften, nicht ohne Selbstironie, gleichwohl weist gerade das Destillieren des Weltgeistes aus Regenwasser oder auch Tau auf ein grundlegendes Denkmuster der Alchemisten hin, das auch für die Phosphorentdeckung wichtig werden wird. Einem heutigen Chemiker erscheint es absurd, dass man erwarten könnte, aus der Destillation von Regenwasser oder gar Tau irgendetwas anderes erhalten zu wollen als wiederum – Wasser. Tau ist ja nach modernem Verständnis im Grunde bereits destilliertes Wasser. Dennoch wäre es voreilig, daraus zu schließen, dass die Alchemisten allesamt Phantasten waren; vielmehr gibt es überhaupt keinen Grund, davon auszugehen, dass es unter den Alchemisten früherer Epochen mehr Phantasten gab als unter den modernen akademischen Naturwissenschaftler*innen. Die weitaus meisten Alchemisten waren vielmehr an greifbaren Ergebnissen interessiert, selbst wenn sie sich in ihren Werken einer schwer verständlichen Sprache bedienten, was aber auch moderne Wissenschaftler gern tun. Pauschale Urteile über die Forscher früherer Zeiten führen nicht weiter; sinnvoller ist es, die Erfahrungen, von denen sie ausgingen, genau zu untersuchen, um auf dieser Grundlage ihre Hypothesen und ihre Verallgemeinerungen zu betrachten und besser zu verstehen. Die Grundoperation der Alchemisten war die Destillation, meist von Pflanzenbestandteilen. Destilliert man zum Beispiel Rosenblütenblätter mit Wasserdampf, erhält man in der Vorlage aus sehr großen Mengen von Rosenblättern einige winzige Tröpfchen intensiv duftenden Rosenöls, das auf Wasser schwimmt. Dieses Öl kann man im Gegensatz zu den Rosen lange aufbewahren, es ist sehr fein und flüchtig, an der Luft verschwindet es. Die Rosen, die im Sieb der Destillationsapparatur zurückbleiben, sind hingegen zerkocht. Sie sind farblos, schlaff, duften nicht mehr, sondern riechen vielmehr unangenehm. Alles Leben ist aus ihnen gewichen, so wie umgekehrt ihr Leben und ihre Essenz, das Konzentrat ihres Seins, nunmehr in dem winzigen Tröpfchen Öl, das auf dem Destillat schwimmt, konzentriert ist. Das Rosenöl ist dabei keine Ausnahme – viele Pflanzen kann man ganz ähnlich destillieren, etwa Minze oder Lavendel. Es scheint also möglich, die Lebendigkeit selbst zu destillieren. Sogar aus bestimmten Flüssigkeiten kann man durch Destillation ihr wirksames Prinzip herauslocken: Man destilliert Wein und erhält Branntwein in der Vorlage, während im Kessel fad schmeckender Traubensaft zurückbleibt. Und selbst bei manchen Mineralien beobachtet man ganz ähnliche Effekte! Es war deshalb nicht absurd, wenn man versuchte, auch aus dem Tau seine Essenz herauszudestillieren. Dass der Tau selbst bereits ein Destillat war, dass sich mithin aus ihm nichts mehr herausdestillieren ließ, konnten die Alchemisten nicht wissen, die moderne Theorie des Taus entstand erst Ende des 18. Jahrhunderts. Die Alchemisten meinten, dass der Tau, der in sternklaren Nächten fällt, alle Pflanzen erfrischt und zudem im Morgenlicht glitzert wie ein Edelstein, geradezu aufgeladen sein müsse mit Lebendigkeit; und diese Lebendigkeit sollte sich ähnlich gewinnen lassen wie das Rosenöl aus den Rosen. Darin verdichte sich die Seele und die Lebendigkeit der Welt, so dachten die Alchemisten. Dass sich diese Weltseele nicht ganz ohne Weiteres destillieren lässt, war für sie naheliegend, schon Rosenöl ist sehr schwer zu gewinnen, und hier ging es um eine viel kostbarere Substanz. Man musste also gegebenenfalls sehr große Mengen destillieren … deshalb wurden, wie Kunckel schreibt, riesige Kolben dazu verwendet, leider ohne Erfolg.
1676 besuchte Kunckel Adolf Balduin, um von ihm etwas über dessen Phosphor zu erfahren, glaubte er doch, dass Balduin dem Spiritus Mundi, der Weltseele, um einiges nähergekommen sei. Er erschlich sich von ihm Andeutungen über das Herstellungsverfahren und beauftragte seinen Laboratoriumsgehilfen Tutzky, den Balduinischen Phosphor zu erzeugen, was auch gelang. Schon wenige Wochen später unternahm Kunckel eine Reise nach Hamburg. In seinem Gepäck waren ein paar Scherben jener bei Nacht schwachleuchtenden Substanz, die in seinem Labor hergestellt worden war. Als er seinen Leuchtstein stolz in Hamburg vorzeigte und darüber dozierte, hörte er vom »kalten Feuer« eines Feuerkünstlers namens Hennig Brand. Dieses Feuer leuchte, flüsterte ihm ein dunkel gekleideter Herr zu, noch weit besser als Kunckels Scherben. Es sei das arkane Feuer selbst, der Stein der Weisen. Folgerichtig nahm der geschäftstüchtige Alchemist sogleich Kontakt mit Brand auf, um sich auch dessen Phosphorrezeptur anzueignen.
Tatsächlich rückte Brand sein Rezept heraus und nach ein paar erfolglosen Versuchen gelang es Kunckel, auch diesen Phosphor herzustellen. In seinen Briefen an Brand redete er diesen zunächst als »vertrauter Herzensfreund« an. Bald wusste er jedoch genug, um mit selbst hergestelltem Phosphor seinen neuen Gönner, den Großen Kurfürsten, zu bezaubern. Auf Brand war er nun nicht mehr angewiesen und als der ihm mit Bitten um finanzielle Unterstützung lästig wurde, beschloss Kunckel, ihn aus der Phosphorgeschichte herauszudrängen und sich selbst zum Entdecker oder mindestens Neuentdecker der Wundersubstanz aufzuschwingen.
Wer aber war Brand?

Hennig Brand suchte den Stein der Weisen und fand den Phosphor

Hennig Brand (1630–1692) lebte in Hamburg, in der Nähe der Michaelskirche. Er war Soldat, heiratete dann eine wohlhabende Witwe und wandte sich der Alchemie zu. Vermutlich hatte sich Brand von dem Werk eines Alchemisten namens Giovanni Battista Birelli mit dem Titel Alchimia Nova, das ist die güldene Kunst, das 1603 erschien, stark inspirieren lassen. In Birellis Buch wird der Leser gleich zu Anfang aufgeklärt, wo das Prinzip zu suchen sei, aus dem der Stein der Weisen hergestellt werden könne. Jene Materie, welche unedle Metalle in Gold verwandele, könne, so erklärt der Autor klipp und klar, keineswegs aus dem Pflanzenreich oder aus dem Mineralreich stammen.
Sie komme auch nicht aus den Tieren, wie es diejenigen glauben würden, die Krötenaugen destillierten oder Salamander schmorten. Vielmehr komme sie aus dem Menschen selbst:
»Denn er ist ein vegetabilisch / rationalisch und mineralisch Thier unnd aller Elementen Theilhafftig / unnd hat Mineras und viel Poros und Schweißlöchlein in sich.«
Aber wie ist dies zu verstehen? Soll man nun Menschen destillieren anstelle von Kröten? Meister Birelli gibt den entscheidenden Wink:
»Wenn man den Harn ansihet / so bekompt derselbige nicht allein für sich selbst und von Natur die Härte und Natur eines Steines / sondern kann auch durch die Kunst dazu gebracht werden.«