Phosphoreszenz - Was dir in dunklen Zeiten Halt gibt - Julia Baird - E-Book

Phosphoreszenz - Was dir in dunklen Zeiten Halt gibt E-Book

Julia Baird

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Beschreibung

Wie können wir Hoffnung schöpfen und Kraft finden, wenn wir mit Krankheit, Kummer, Schmerz oder Tod konfrontiert sind? Diese Frage beschäftigt auch Julia Baird, als sie schwer an Krebs erkrankt. Im Phänomen der Phosphoreszenz findet sie schließlich die geeignete Metapher für das, was uns in dunklen Stunden Licht bringt: So, wie es die Phosphoreszenz Glühwürmchen, Quallen und sogar ganzen Ozeanen ermöglicht, aus sich selbst heraus zu leuchten, können auch wir Menschen unsere eigene Phosphoreszenz erschaffen.  Baird schreibt über die Dinge, die ihren Weg erhellten und ihr zu Resilienz verhalfen: die Kraft der Natur, Freundschaft, ihr Glaube, die Akzeptanz des eigenen Scheiterns, die Abkehr von Perfektionsgedanken, die beruhigende Kraft des Alltäglichen. Sie verwebt ihre eigene mit Geschichten darüber, wie andere Menschen in schwierigen Zeiten Zuversicht finden, und ermutigt die Leserinnen und Leser dazu, ihr inneres Glück, ihr inneres Leuchten (wieder) zu entdecken.

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Seitenzahl: 366

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Julia Baird

Phosphoreszenz

Was dir in dunklen Zeiten Halt gibt

 

 

Aus dem australischen Englisch von Sabine Längsfeld

 

Über dieses Buch

Wie können wir Hoffnung schöpfen und Kraft finden, wenn wir mit Krankheit, Kummer, Schmerz oder Tod konfrontiert sind? Diese Frage beschäftigt auch Julia Baird, als sie schwer an Krebs erkrankt. Im Phänomen der Phosphoreszenz findet sie schließlich die geeignete Metapher für das, was uns in dunklen Stunden Licht bringt: So, wie es die Phosphoreszenz Glühwürmchen, Quallen und sogar ganzen Ozeanen ermöglicht, aus sich selbst heraus zu leuchten, können auch wir Menschen unsere eigene Phosphoreszenz erschaffen. 

Baird schreibt über die Dinge, die ihren Weg erhellten und ihr zu Resilienz verhalfen: die Kraft der Natur, Freundschaft, ihr Glaube, die Akzeptanz des eigenen Scheiterns, die Abkehr von Perfektionsgedanken, die beruhigende Kraft des Alltäglichen. Sie verwebt ihre eigene mit Geschichten darüber, wie andere Menschen in schwierigen Zeiten Zuversicht finden, und ermutigt die Leserinnen und Leser dazu, ihr inneres Glück, ihr inneres Leuchten (wieder) zu entdecken.

Vita

Julia Baird ist eine australische Journalistin und Autorin. Die studierte Historikerin wurde 2005 in Sydney promoviert und war dann Fellow am renommierten Shorenstein Center in Harvard. Sie ist Kolumnistin der International New York Times und moderiert die Nachrichtensendung «The Drum» im australischen Sender ABC TV. Julia Bairds Artikel erscheinen u. a. in The New York Times, The Guardian, The Washington Post, The Sydney Morning Herald, Newsweek und Harper’s Bazaar.

 

Sabine Längsfeld übersetzt bereits in zweiter Generation Literatur verschiedenster Genres aus dem Englischen in ihre Muttersprache. Zu den von ihr übertragenen AutorInnen zählen Anna McPartlin, Sara Gruen, Glennon Doyle, Malala Yousafzai, Roddy Doyle und Simon Beckett.

Für meine leuchtenden Kinder

Poppy und Sam

 

für meine Mutter Judy,

das strahlende Licht unserer Familie

 

und für Jock,

das sprichwörtliche Licht in der Dunkelheit

Phosphoreszenz. Ein Wort, vor dem wir uns’ren Hut ziehen sollten … Diese Phosphoreszenz zu finden, dieses innere Licht – darin steckt das Genie hinter der Dichtkunst.

 

– EMILY DICKINSON

AuftaktEin inneres Licht

Es gibt weniges, das uns so in Erstaunen versetzt, wie in freier Natur diesem überirdischen Leuchten zu begegnen: Glühwürmchen. Geisterpilze. Leuchtkäfer. Leuchtfische. Laternenhaie. Vampirtintenfische. Neonblaue Wellen. Die Böden und Dächer unserer Wälder, die Tiefen und Küsten unserer Ozeane wimmeln von lumineszenten Wesen, von Kreaturen, die aus sich heraus leuchten. Sie verzaubern uns seit Jahrhunderten wie Apostel der Wunder, strahlende Boten, die uns das Staunen lehren.

Forschungen haben ergeben, dass auch wir im Dunkeln leuchten, ganz schwach, sogar tagsüber. Offensichtlich ist das Leuchten allen Lebewesen gemeinsam. In einer 2009 veröffentlichten Studie wurden fünf junge Japaner mit nacktem Oberkörper in komplett abgeschottete Räume gesetzt: an drei aufeinanderfolgenden Tagen, alle drei Stunden für jeweils zwanzig Minuten. Mithilfe eines hochsensiblen bildgebenden Verfahrens konnte nachgewiesen werden, dass alle Probanden leuchteten, am stärksten im Gesicht, und dass die Intensität im Tagesverlauf anstieg und abfiel.

Der Studienumfang war zugegebenermaßen klein, und das Experiment ist auch nicht wiederholt worden – die Autoren der Studie, Masaki Kobayashi, Daisuke Kikuchi und Hitoshi Okamura, schlossen jedoch daraus, dass wir alle «direkt und rhythmisch» Licht abgeben: «Der menschliche Körper schimmert geradezu. Die Intensität des vom Körper ausgestrahlten Lichts ist allerdings eintausend Mal geringer als die Reizempfindlichkeit des bloßen Auges.»

Vielleicht sind wir doch aus Sternenstaub gemacht.

*

Vor einigen Jahren durchlitt ich eine Phase abgrundtiefen Liebeskummers. Ich verlor über Monate den Appetit und hatte heftige Schlafstörungen. Ich war abgemagert, am Boden zerstört, ohne jedes Selbstbewusstsein. Unter Tränen rief ich meinen Therapeuten an und sagte: «Ich weiß nicht, wie ich das überleben soll.» Er erzählte mir, er habe einst als junger Mann dasselbe zu seinem Mentor gesagt. Dieser Mann, ein Argentinier, sei ihm ins Wort gefallen und habe entgegnet: «Jetzt bekommt alles, was dir in deinem Leben gegeben wurde, seine Bedeutung; besinne dich auf deine Ressourcen. Deine Eltern, deine Freunde, deine Arbeit, deine Bücher, alles, was dich jemals beeinflusst hat, alles, das du jemals gelernt hast – nun ist der Moment gekommen, darauf zurückzugreifen.» Und er hatte recht. Welchen Zweck hat das, was wir gelernt haben, wenn wir uns dessen im Moment der tiefsten Krise nicht bedienen? Alle Erfahrungen, die wir gemacht haben, die Liebe und Zuneigung anderer Menschen, befinden sich in einer Art innerem Honigtopf, von dem wir in solchen Momenten zehren können.

Ich bin aufgrund meiner Krebserkrankung mehrmals dem Tode nahe gewesen, und heute frage ich mich, wie es passieren konnte, dass ich mich damals von Liebeskummer in eine solche abgrundtiefe Verzweiflung hinabzerren ließ. Ich habe in den letzten Jahren drei große Operationen durchgestanden. Für die dritte und größte benötigte das OP-Team über fünfzehn Stunden. Jedes Mal wurde der Prozess von einer emotionalen Intensität begleitet, die ich zuvor nicht gekannt hatte: Klarheit, Angst, Nervosität, Ruhe, Einsamkeit, äußerstes Grauen, Liebe und Spiritualität. Im Strudel einer Krebserkrankung gehen alle anderen Geräusche unter, man hört nur noch den eigenen Herzschlag, den eigenen Atem, die Zaghaftigkeit der eigenen Schritte. Selbst wenn man in einer derartigen Krise von der größten Familien- und Freundesschar und der strahlendsten Liebe umgeben ist – die dunkelsten Täler der Krankheit muss man allein durchschreiten.

Ich sehnte mich nach dem Ende dieser unerträglichen Schmerzen, gegen die Medikamente machtlos waren, verlor mich in opioidinduzierten Albträumen, verbrachte Monate in Krankenhäusern und lag in einem Krankenhauskittel hilflos flach auf dem Rücken, während großflächige offene Wunden mit giftigen Chemikalien traktiert und durchgespült wurden. Nach dieser Vergiftung zwang ich meinen Körper in seine Funktionsfähigkeit zurück, und ich quälte mich, meinen Tropf im Schlepptau, Schritt für Schritt humpelnd über Krankenhauskorridore, bemüht, dabei nicht auch noch den letzten Rest Würde zu verlieren.

Natürlich ist mir klar, dass ich nicht die Einzige mit einem solchen Trauma bin. Menschen, die wie ich mit einer lebensbedrohlichen Krankheit konfrontiert waren, verstehen einander blind, und wir können uns oft besser in andere Leidende einfühlen – in die Millionen von Menschen mit gebrochenen Herzen, geschundenen Körpern, umnachteten Gehirnen. Denn wir kennen solche Zeiten, in denen sich das Leben wie eine Schlange um unseren Hals wickelt und uns die Luft abschnürt; uns im Schlaf wie ein Ungeheuer unserer Freude, unseres Sinns und unserer Hoffnung beraubt. Wir wissen, wie es ist, sich in einer engen, schwarzen, scheinbar luftleeren Höhle ohne erkennbaren Ausgang zu befinden.

Was mich in den vergangenen Jahre begleitet, fasziniert und mir geholfen hat, ist die Tatsache, dass wir Menschen in der Lage sind, in unserem Inneren unser eigenes, lebendiges Licht zu finden, es zu nähren und vor uns herzutragen – ein Licht, mit dem wir die Dunkelheit bannen können. Dabei geht es nicht darum, hell zu brennen, sondern vielmehr um die menschliche Fähigkeit, einer bescheidenen Phosphoreszenz den Boden zu bereiten, darum, auch bei Temperaturen unterhalb der Glut zu leuchten. Es geht um die Fähigkeit, Licht für Zeiten der Not aufzusparen, sanft zu leuchten, ohne zu verglühen. Am Leben zu bleiben, aufrecht zu bleiben, selbst wenn wir von Zweifeln geplagt sind.

*

Die amerikanische Autorin und Meeresbiologin Rachel Carson entdeckte das Phänomen von lebendigem Licht, als sie nachts am Ufer des Atlantiks entlanglief und den Strahl ihrer Taschenlampe ins dunkle Wasser hielt. Im August 1956 schrieb sie an ihre Freundin Dorothy Freeman:

Über den Tag herrschten hoher Seegang, kräftige Brandung und tosender Lärm, und so war es gegen Mitternacht besonders aufregend, dort zu sein – all meine Felsen schaumgekrönt […] Um die Wildheit in Gänze zu erleben, knipsten wir die Taschenlampen aus – woraufhin es erst recht aufregend wurde. Die Brandung leuchtete, schien gespickt mit Diamanten und Smaragden, schleuderte sie zu Dutzenden auf den nassen Sand! Meine liebste Dorothy – wir waren am selben Ort, und doch war alles ungleich intensiver; die Begleitmusik aus Lärm und Bewegung viel wilder, und es gab so viel mehr Phosphoreszenz. Die einzelnen Funken waren riesig – wir sahen sie leuchtend im Sand liegen, andere waren gefangen in den strandauf, strandab laufenden Brandungswellen, immer aufs Neue vor- und wieder zurückgeschwemmt. Auch gelang es mir des Öfteren, einen davon eingebettet in Kies und Muschelsand in der hohlen Hand zu fangen, jedes Mal der festen Überzeugung, ihn mit bloßem Auge sehen zu können – doch dies Glück blieb mir verwehrt.

Was Carson in jener Nacht außerdem in Erstaunen versetzte, war der Leuchtkäfer, den sie über dem Wasser schweben sah «wie einen kleinen Scheinwerfer», und ihr wurde klar, dass dieser Käfer offenbar annahm, das Funkeln im Wasser stamme von Artgenossen. Sie rettete ihn vor dem Ertrinken und setzte ihn in einen Eimer, damit er seine Flügel trocknen konnte. Die Frau, deren späteres Werk Stummer Frühling den Startschuss für die moderne Umweltbewegung geben sollte, schrieb: «Es war eine jener Erfahrungen, die ein seltsames, nur schwer zu beschreibendes Gefühl auslösen, wo Fakten von so vielen Untertönen unterfüttert sind […] Stell dir nur vor, man würde dies in die Sprache der Wissenschaft bringen!»

Allerdings.

Die Sprache, mit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese überweltlichen Phänomene beschrieben haben, hat sich im Laufe der Jahrhunderte in dem Maße gewandelt, wie das wissenschaftliche Verständnis für sie wuchs. Seit den Siebzigerjahren des 18. Jahrhunderts ist das von natürlichen Substanzen oder Organismen abgestrahlte Licht als «Phosphoreszenz» bekannt: Normalerweise haben diese Organismen über einen langen Zeitraum Energie, wie zum Beispiel das Sonnenlicht, gespeichert und geben sie dann wieder ab.

Im frühen 20. Jahrhundert wurde der Begriff «Biolumineszenz» geprägt, insbesondere, um das biochemische Licht zu beschreiben, das Lebewesen wie Phytoplankton erzeugen, wenn sie durch Wellen aufgewühlt werden (tagsüber sehen wir es übrigens dann oft als rote Algenteppiche). Manche Wissenschaftler – wie Carson – verwendeten diese Begriffe noch synonym.

Ehe die Wissenschaft das Phänomen der Phosphoreszenz in seinen verschiedenen Ausprägungen zu erklären vermochte, war es im Reich der Mythen und Legenden zu Hause. Aristoteles rätselte über feuchtes Holz, das im Dunkeln leuchtete. Die Japaner sahen in Leuchtkäfern die Seelen der Toten, genauer gesagt, die Seelen von im Kampf gefallenen Samurai. Seeleute, deren Schiffe durch lumineszente Teppiche glitten, glaubten, die Wellen stünden in Flammen; sie sprachen von «brennenden Ozeanen», «milchweißen Meeren» oder «glühenden Kohlen» auf dem Wasser; Aristoteles verwies auf die «Ausdünstungen von Feuer aus der See». 1637 sah der französische Philosoph René Descartes Meerwasser «Funken sprühen ähnlich jenen, die von Feuersteinen erzeugt werden». 1688 verkündete der französische Jesuitenmissionar Père Tachard, die Funken rührten daher, dass die Sonne das Meer tagsüber mit «einer Unzahl feuriger und leuchtender Geister» schwängere und sich diese Geister nach Anbruch der Dunkelheit vereinten, «um in einem Akt der Gewalt zu vergehen». Beobachter verliehen den blau leuchtenden Kielwellen, die sie im Indischen Ozean bezeugten, den poetischen Namen «Wheels of Poseidon» – Die Räder Poseidons.

Für mich sind diese Phänomene heute die perfekte Metapher für das Aufleuchten von Leben inmitten von Dunkelheit, für das Aufflammen von Freude in schweren Zeiten. In den vergangenen Jahrhunderten jedoch wurden sie als reinste Magie angesehen. Charles Darwin war 1845 bei der Überquerung des Río de la Plata genannten Mündungsgebiets im Südatlantik voller Ehrfurcht:

Als wir ein wenig südlich des Plata in einer sehr dunklen Nacht segelten, bot uns das Meer ein wundersames und äußerst schönes Schauspiel. […] Das Fahrzeug trieb am Bug zwei Wogen flüssigen Phosphors vor sich her, und im Kielwasser folgte ihm ein flüssiger Schweif. So weit das Auge reichte, leuchtete die Krone einer jeden Welle hell, und der Himmel überm Horizont war von dem reflektierten Schein dieser lebhaften Flammen nicht ganz so stockdunkel wie überm Himmelsgewölbe.

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs versuchte niemand ernsthaft, diese mysteriösen Phänomene zu verstehen. Obwohl die winzigen natürlichen Lichter im Meer während des Krieges sogar die Kampfhandlungen beeinflussten, indem sie U-Boote sichtbar machten: Im November 1918 entdeckten britische Marineoffiziere vor der Küste Spaniens unter sich einen großen, leuchtenden, von «Meeresfeuer» umrissenen Schatten und griffen an. Es war das letzte deutsche U-Boot, das in diesem Krieg versenkt werden sollte.

Im Zweiten Weltkrieg ersannen die Japaner eine Möglichkeit, Karten mit der Hilfe von Lichtquellen zu beleuchten, die so schwach waren, dass sie den Feind nicht anlockten. Das japanische Militär erntete in den Gewässern rund um die japanischen Inseln tonnenweise kleine Muschelkrebse, Umihotaru oder auch Meeresglühwürmchen genannt, und belieferte damit die eigenen Kampfeinheiten. Die Soldaten brauchten, um sich Licht zu machen, nichts weiter zu tun, als das getrocknete Plankton mit Flüssigkeit zu versetzen und zwischen den Händen zu zerreiben. Der Wissenschaftler Osamu Shimomura schrieb dazu: «Es handelt sich um eine schlichte, völlig unkomplizierte Lichtquelle. Alles, was es dazu braucht, ist Wasser. Sehr bequem, es wird keine Stromquelle benötigt.» Mehr als fünfzig Jahre später präsentierte Shimomura – der 2008 für seine Forschung an fluoreszierendem Quallenprotein den Nobelpreis gewann – einem Kollegen in einem abgedunkelten Raum ebendiesen Effekt, als er seine zuvor fest verschlossene Faust öffnete und in seiner Hand ein kühles blaues Leuchten zum Vorschein kam.

Zu diesem Zeitpunkt hatten Forscherinnen und Forscher sowohl in Amerika als auch in Russland damit begonnen, sich ernsthaft mit lumineszenten Lebewesen zu beschäftigen. In den Sechzigerjahren veröffentlichte das US-amerikanische Naval Oceanographic Office eine bahnbrechende Studie, die auf Logbüchern und privaten Tagebucheinträgen aus mehreren Jahrhunderten basierte, in denen Marineoffiziere sich bemüht hatten, ihre unglaublichen Sichtungen in Worte zu fassen. Ihren Aufzeichnungen ist die atemlose Ehrfurcht anzumerken, das Ringen um Worte, mit denen sich das Erlebte adäquat beschreiben ließe. Die Lichter wurden als «brodelnder türkisblauer Schaum» beschrieben, als «leuchtende Schlange», als «glühende Fackel», als «beleuchtetes Ziffernblatt einer Armbanduhr», als «brennendes Magnesium». Ein Augenzeuge berichtete, er sei in der Lage gewesen, mitten in der Nacht wegen des strahlend weißen Meers – «wie geschmolzenes Eisen» – an Deck zu lesen.

Geschichten über diese Sichtungen reisen bereits so lange um den Erdball wie die Schiffe selbst: «Funkelnde Teppiche» im Golf von Maine im Sommer; «grünes Feuer», das heftig genug war, um in der Chesapeake Bay durch die Luken eines Schiffs in den Schiffsbauch zu dringen und «von einer Kabinendecke reflektiert zu werden»; «rote Algenteppiche» vor den Küsten Floridas und Texas’, die nachts zu leuchten begannen; glühendes Wasser vor den Kanarischen Inseln; ein Meer wie «ein sternenübersäter Himmel» im westlichen Mittelmeer; «Lichtblitze» zwischen Eisschollen vor der Westküste Norwegens; «funkelnde Smaragdflecken» vor den Orkneyinseln; Leuchtbälle in der Themse; grün leuchtende Ruderschläge in der Irischen See. Was in der False Bay vor Kapstadt in Südafrika bei Tag von Augenzeugen als «fettige Schaumschicht» beschrieben wurde, verwandelte sich nachts in einen See aus «flüssigem Gold». Als eines Nachts nahe Sanriku auf der japanischen Insel Honshu im Vorfeld eines Tsunamis das Wasser zurückwich, «erschien auf dem freiliegenden Meeresgrund ein so starkes, bläulich weißes Leuchten, dass Objekte an Land so deutlich zu sehen waren wie bei Tageslicht».

In den vergangenen Jahrzehnten wurden unzählige Versuche unternommen, Biolumineszenz zu messen und nutzbar zu machen. Doch obwohl die amerikanische Marine bis heute zu dem Thema forscht und angeblich mit der Entwicklung eines Unterwasserroboters beschäftigt ist, der zur Unterstützung militärischer Zwecke in der Lage sein soll, Biolumineszenz nachzuverfolgen und zu überwachen, hat die Arbeit bis heute nicht zur erhofften Nutzbarmachung dieses Lichts auf breiter Basis geführt. Offenbar weigert sich die Natur, sich dem menschlichen Willen zu beugen.

Zu Zeiten der Römer hat der Philosoph Plinius der Ältere behauptet, es sei möglich, einen Spazierstock in eine Fackel zu verwandeln, indem man das Ende in Quallenpaste tunke, doch sein Vorschlag scheint sich nicht durchgesetzt zu haben. Die Idee indigener Indonesier, mithilfe biolumineszenter Pilze den Wald zu beleuchten, fand offenbar ebenfalls keine Nachahmer. Auch die Versuche von Minenarbeitern, die Stollen mit Flaschen voller Leuchtkäfer oder den getrockneten Häuten phosphoreszierender Fische zu beleuchten, blieben erfolglos.

Dennoch versuchen Forscher weiterhin herauszufinden, wie sich lichtproduzierende Lebewesen, seien es nun Glühwürmchen, Pilze oder Bakterien, nutzbar machen ließen, ob zur Straßenbeleuchtung, zur Beleuchtung von Häusern oder zur Dekoration. Man erhofft sich, dass Bakterien wie eine gentechnisch veränderte Form des im menschlichen Darm vorkommenden Kolibakteriums künftig in der Lage sein werden, genug Licht zu erzeugen, um in einer «Bioglühbirne» den Strom zu ersetzen. Manche Wissenschaftler verfolgen noch ehrgeizigere Ziele. In der Biomedizin ist lebendiges Licht von enormer Bedeutung: Wissenschaftler setzen einzelne Gene von Quallen, Korallen und Leuchtkäfern zur Markierung von Krebs- und Nervenzellen ein, um Arzneimittel zu erproben und biochemische Reaktionen zu überwachen.

Dennoch liegt eine gewisse Befriedigung in der Erkenntnis, dass sich die Wunder der Natur nicht vollständig plündern und instrumentalisieren – und damit auch nicht zerstören – lassen. Bis heute gelten die Sichtungen von Phosphoreszenz als selten, magisch und oft unvorhersehbar. Folgerichtig widmen manche Menschen große Teile ihres Lebens dem Versuch, dieses lebendige Licht aufzuspüren, mit eigenen Augen zu sehen und zu dokumentieren. Seit einigen Jahren gehöre auch ich dazu.

*

Ab und zu begegnet man Menschen, die tatsächlich zu leuchten scheinen: jemandem, der Güte ausstrahlt, eine offenbar mühelose Freude in sich trägt oder so hungrig nach Erfahrungen wirkt, so neugierig auf und so fasziniert ist von der Welt außerhalb der eigenen Vorstellungskraft, dass er vor Lebendigkeit und Leuchtkraft nur so sprüht. Diese Menschen wirken wohltuend auf uns und besitzen zugleich magische Anziehungskraft.

Der Punkrocker Henry Rollins gehört für mich dazu. Er erzählte mir stolz, dass er zwar ab und zu müde sei, aber sich nie ausgelaugt fühle. Ein Gespräch mit ihm ist dementsprechend, als würde man eine Gabel in die Steckdose stecken – wenn man sich wieder von ihm trennt, ist man wie elektrifiziert von seinem Verlangen, mehr zu tun, mehr zu wissen und mehr zu sein; Meere zu überqueren, Schwächen zu überwinden und für die Rechte jener zu kämpfen, die nicht für sich selbst kämpfen können oder nicht dazu gezwungen werden sollten.

Müde, aber nie ausgelaugt – es ist nicht leicht, ein solches Leuchten aufrechtzuerhalten. Und oft wirkt es, als würde das Leben selbst die Flamme löschen. Wo also ist der Blasebalg zu finden, mit dem wir unser inneres Feuer mit Sauerstoff versorgen und die Flammen entfachen können? Was können wir tun, um unser inneres Licht zu nähren, um es so sorgfältig zu beschützen wie die Fackelläufer das olympische Feuer?

Seit einiger Zeit haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem noch recht jungen Gebiet der Glücksforschung damit begonnen, unsere Zellen anzuzapfen, den Blutfluss zu Hirn und Herz unter die Lupe zu nehmen und die Variablen im alltäglichen Auf und Ab unserer Stimmungen zu messen, um herauszufinden, wo Zufriedenheit, Wohlbefinden und Freude zu finden seien. Inzwischen haben wir uns auf ein paar allgemeingültige Kernwahrheiten verständigt: Altruismus macht glücklich, genau wie Digital Detox, mit Menschen zu reden, Beziehungen zu knüpfen, einen Sinn im Leben zu haben, sich Ziele zu setzen und sich auf die Sorgen und Nöte anderer einzulassen. Auch gesunde Ernährung und die ein oder andere Runde Joggen, Schwimmen und Work-out generell unterstützen dabei, sich glücklich zu fühlen.

Das ist alles gut und schön, solange man fit und gesund und in seiner Kraft ist, solange die Beziehungen harmonisch sind und man sich in Hinblick auf Zukunft und Familie sicher und geborgen fühlt. Aber im Grunde ist die Fragestellung die falsche – anstatt zu fragen, wie wir glücklich werden können, sollten wir uns fragen, wie wir überleben, lebendig bleiben oder sogar aufblühen können, wenn unsere Welt sich verdunkelt, wenn wir beispielsweise von Krankheit oder Liebeskummer überwältigt werden, von Verlust oder Schmerz. Ist es möglich, um mit dem Benediktinermönch David Steindl-Rast zu sprechen, «die Art von Glück zu erleben, die nicht vom Erleben abhängt»? Wie können wir sicherstellen, dass wir jenes Licht, das wir an sonnigen, glücklichen Tagen in uns aufgenommen haben, nutzbar machen können, wenn ein Schatten auf unsere Tage fällt, wenn sie ihrer Bedeutung beraubt werden, wenn widrige Umstände uns niederringen?

*

In meinen besonders dunklen Tagen, als meine Welt durch meine Krebserkrankung zusammenbrach und ich meine eigenen Reserven erst finden musste, bekam meine Suche nach dem, was uns phosphoreszent werden lässt, neue Dringlichkeit – und beschenkte mich mit unfassbarer Schönheit. In meiner Erforschung dessen, was Emily Dickinson das «innere Licht» nannte, begab ich mich auf die Suche nach Inspiration, nach Informationen über Phosphoreszenz und Biolumineszenz, und lernte dabei, bewusst nach Ehrfurcht Ausschau zu halten und sie in der Natur zu finden, in meinem Gegenüber, in Freundschaften, in der Stille. Ich besann mich auf einige einfache, aber kraftvolle Lektionen: In den Kreisläufen der Natur eine Form tagtäglicher Wiedergeburt zu sehen. Achtsam zu sein. Die wohltuende Kraft des Alltäglichen zu genießen.

Aber auch viele andere Dinge halfen mir: Freundlichkeit, Demut, der Verzicht auf Eitelkeit, Mut, die Wertschätzung geliebter Menschen, die Akzeptanz von Glauben und Zweifel, der Abschied von Perfektionismus, das eigene, authentische Streben und Chaos anzuerkennen und bewusst zu leben.

Zu meiner Freude bin ich auf eine wachsende Anzahl wissenschaftlicher Erkenntnisse gestoßen, die dieser Art, Phosphoreszenz zu leben, eine substanzielle, auf Beweisen beruhende Basis verschafft. Natürlich weiß ich, dass es keine hundertprozentig wirksamen Wundermittel gibt, und manchen Leserinnen und Lesern mögen einige der Empfehlungen selbstverständlich erscheinen. Doch wenn man dem Tod ins Auge geblickt hat und ins Leben zurückkehrt, haftet solchen Erkenntnissen plötzlich eine neue Klarheit, eine neue Dringlichkeit an: Es gilt, keinen einzigen Atemzug zu verschwenden.

*

Dieses Buch erzählt von meiner Suche nach dem inneren Licht, nach dem, was Menschen zum Leuchten bringt. Die dabei gesammelten Erkenntnisse sind weder endgültig, noch erheben sie Anspruch auf Vollständigkeit, aber für mich sind sie Quellen der Kraft, und ich wünschte, sie hätten sich mir bereits in jüngeren Jahren offenbart.

Das Leben ist stürmisch, das Leben ist wertvoll, und auch die Einsicht, dass diese beiden Attribute untrennbar zusammengehören, ist ein Teil des Geheimnisses der wahrhaft Phosphoreszierenden. Das – und die Suche nach dem ehrfürchtigen Staunen.

Teil IEhrfurcht, Staunen und Stille

In Gesellschaft des Geheimnisvollen: Über Waldtherapie

«Das Schönste, was wir erleben können», schrieb Albert Einstein, «ist das Geheimnisvolle; es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. Wer es nicht kennt und sich nicht mehr wundern, nicht mehr staunen kann, der ist sozusagen tot und sein Auge erloschen.» Ehrfürchtiges Staunen macht uns klein, macht uns demütig, macht uns bewusst, dass wir Teil eines Universums sind, das unfassbar größer ist als wir. Wahres Staunen, sagen uns die Soziologen, macht uns freundlicher und wacher für die Bedürfnisse der Gemeinschaft, in der wir leben.

Ehrfurcht ist eng mit dem Staunen verwandt, und oft erleben wir eine Mischung beider Gefühle. Ehrfurcht lässt uns mit offenem Mund verstummen und innehalten. Auch das Staunen lässt uns innehalten, und es regt uns an, Fragen über die Welt zu stellen, während wir dastehen und etwas bestaunen, das wir so noch nie gesehen haben – ob spektakulär oder banal.

Der im achtzehnten Jahrhundert lebende schottische Moralphilosoph Adam Smith – der Mann, der als «Vater des Kapitalismus» bekannt wurde, nachdem er sein wegweisendes Hauptwerk Wohlstand der Nationen verfasst hatte – hat dies perfekt zum Ausdruck gebracht. Für ihn geschieht Staunen immer dann, «wenn uns etwas recht Neues und Einzigartiges begegnet … [und] sich im großen Fundus der Erinnerung kein Bild finden lässt, welches dieser seltsamen Erscheinung gleicht … Sie steht allein und ganz für sich in unserer Vorstellungskraft.» Smith war der Auffassung, dass dieses Wunder regelrecht körperlich erfahrbar ist, gewissermaßen am eigenen Leib: «Wir glotzen, rollen gar ab und an mit den Augen, uns stockt der Atem, und das Herz schwillt uns in der Brust.»

Für große Denker, Philosophinnen und Exzentriker waren das Geheimnisvolle, das Unfassbare, schon immer eine Quelle der Inspiration. In meinem Streben, phosphoreszent zu werden – wobei ich mich auf dem Weg viele Male in dunklen Löchern und im Morast verlor –, waren es die Gefühle von Ehrfurcht und Staunen, auf die ich immer wieder zurückkam; das, und die stillen, heilenden Eigenschaften der Natur. Über diese Phänomene schreibe ich in diesem Buch, über den Wald, das Meer und die Geschöpfe, die darin zu Hause sind.

Viele von uns haben ihren eigenen stillen Rückzugs- und Zufluchtsort – einen nahen Strand, eine Parkbank, einen prächtigen Baum. Meine Zuflucht ist normalerweise das Meer, ein Ort, der wild und ungezähmt ist und zugleich weit und schön. Neulich, als ich bei Sonnenaufgang schwimmen war, kam mir in den Sinn, wie Oscar Wilde in seinem Gedicht Das Hurenhaus die Dämmerung beschreibt, ein «verängstigt Kind», das «an den stillen Häuserreih’n kroch silberfahl …». Diese Sichtweise kam mir plötzlich so kleinmütig und britisch vor (Wilde war zwar Ire, lebte aber viele Jahre in London). Bei uns in Australien ist die Dämmerung eine ungezähmte Brandstifterin, die den Horizont mit Benzin überschüttet, ein Streichholz dranhält und dann die lodernden Flammen genießt.

Sonnenauf- und -untergang geben unserem Tag einen Rahmen aus Staunen. Wir nehmen sie viel zu oft als selbstverständlich hin, obwohl uns sowohl die moderne Wissenschaft als auch die alten Philosophen sagen, dass das Gefühl ehrfürchtigen Staunens nicht nur zu würdigen sei, sondern vielmehr zu suchen – auch und vor allem in der Natur.

Inzwischen existiert eine stattliche Anzahl naturwissenschaftlicher Studien, die belegen, dass allein der Anblick von Grün – Pflanzen, Blätter, Bäume, der Blick aus dem Fenster – uns glücklicher und gesünder machen kann. Diese Belege und Erfahrungen haben der immer beliebter werdenden, aus Japan stammenden Gepflogenheit des Waldbadens den Boden bereitet. Teilnehmende des Shinrin Yoku werden langsam zwischen Bäumen hindurchgeführt, um sie zu berühren, auf ihre Geräusche zu lauschen und sich auf diese Weise wieder mit der Natur verbinden zu können.

Wie Freizeit- und Sporttaucher wahrscheinlich wissen, sind ähnliche Erfahrungen auch beim Durchstreifen von Unterwasserwäldern möglich; man bewegt sich langsamer, fokussiert den Blick, und dabei eröffnen sich neue Welten.

Überall auf der Welt sind die Bewohner urbaner Siedlungsräume zunehmend auf der Suche nach Möglichkeiten, den Stadtlärm, den Verkehr und die Presslufthämmer ausblenden, um wieder dem Gesang der Vögel und dem Rascheln der Blätter lauschen zu können. Sie verspüren das Bedürfnis, ihre innere Rastlosigkeit zu beruhigen und sich daran zu erinnern, wer sie tatsächlich sind. Oft sind sie auf der Suche nach Stille, einem zunehmend kostbaren und rarer werdenden Gut. Echte Stille hat jedoch nichts mit dem Abschalten aller Geräusche zu tun, sondern vielmehr etwas mit dem Abschalten aller künstlichen, menschengemachten Geräusche.

Bei einem Besuch von Arnhemland im Northern Territory, einem Siedlungsgebiet der Aboriginals, lernte ich, dass die Verbindung zum Land fundamentaler Bestandteil der Identität der indigenen Völker ist. Die Sehnsucht nach Stille, in welcher wir der Welt, in der wir leben, lauschen und ihr Respekt zollen können, ist uralt. Während ein Großteil der modernen Selbsterforschung unter #wellness läuft und vorzugsweise parallel zum Erleben in Echtzeit online zur Schau gestellt wird, wurde mir in der Weite des geheiligten Landes, umgeben von Lagerfeuern und Eukalyptusbäumen, bewusst, dass man die Natur oft am besten hört, indem man den Mund hält, die Augen öffnet und einfach nur lauscht.

Lektionen eines Kraken

Wer sich, als Wissenschaftler oder Laie, mit der Schönheit oder den Geheimnissen der Erde befasst, ist nie allein oder das Leben leid. […] Seine Gedanken können Wege finden, die zu innerer Zufriedenheit führen und zu einer neuen Begeisterung für das Leben. Wer die Schönheiten der Erde betrachtet, findet Kraftreserven, die reichen, solange das Leben währt.

– RACHEL CARSON, MAGIE DES STAUNENS

Als ich zum ersten Mal eine Sepia im Meer schwimmen sah, war ich von diesem urweltlichen, fremdartigen Anblick völlig fasziniert. Sepien oder echte Tintenfische sind erstaunliche Wesen: Sie haben elefantenartige Köpfe und zehn Arme, die sie weit von sich spreizen und dann wieder zusammenziehen wie einen dicken Stamm, außerdem dünne, sich kräuselnde Flossen, die aussehen wie ein Seidenschal. Sie gleiten über den Meeresboden und passen sich dabei farblich dem Untergrund an – goldfarben, wenn sie sich über Sand befinden, über braun bis hin zu rot, wenn unter ihnen Tangfelder wogen. Auch die Oberfläche ihrer Haut passen sie, mal glatt, mal stachelig, so perfekt dem Hintergrund an, dass man sie oft erst bemerkt, wenn sie sich bewegen.

Nicht nur was ihr Aussehen betrifft, sind Sepien wie aus einer anderen Welt. An ihnen ist vieles staunenswert: Ihre Pupillen sind zum Beispiel wie ein «W» geformt. Man vermutet, dass die Augen der Echten Tintenfische bereits vor dem Schlüpfen vollständig entwickelt sind und die Jungen so schon im Ei damit beginnen, ihre Umgebung kennenzulernen. Sepienblut ist eigentlich farblos, doch bei Berührung mit Luft färbt es sich blaugrün. Sepien besitzen drei Herzen und ein donutförmiges Gehirn, das im Verhältnis zu ihrer Körpergröße größer ist als bei jeder anderen wirbellosen Art. Der Knochen der Sepia – ein weißes, ovales Gebilde, das man oft als Strandgut oder in Vogelkäfigen findet – ist in Wirklichkeit ein dicker Kalkkörper, der den Sepien beim Schwimmen hilft und sie von anderen Kopffüßlern wie Kraken oder Kalamaren unterscheidet. Auf jedes Weibchen kommen vier bis fünf männliche Sepien – aus meiner Sicht ein hervorragendes Verhältnis –, doch ihre Lebenserwartung beträgt im Durchschnitt nur ein bis zwei Jahre.

Für mich sind Sepien Symbole der Erhabenheit. Nach der ersten Begegnung fühlte ich mich noch Stunden wie elektrisiert. Und noch immer haben sie diese Wirkung auf mich. Ich verbringe meine Winter damit, sie zu bewundern, und bin jedes Jahr aufs Neue traurig, wenn die Frühjahrsfluten ihre leichten, weißen Kalkknochen ans Ufer spülen.

Wenn ich tauchen gehe, um Seite an Seite mit den Tintenfischen zu schwimmen, verlangsamt sich meine Welt auf den Rhythmus ihrer sich kräuselnden Haut. Die Tiere ergreifen nur selten die Flucht, und manche verhalten sich regelrecht zutraulich. Die Begegnungen mit den Sepien in der Bucht am Fuße des Hügels, wo ich lebe, haben mir unerwartete Einblicke in das Gefühl ehrfürchtigen Staunens ermöglicht. Hätte ich geahnt, dass es Teil meiner Morgenroutine werden könnte, Tintenfische beim Dahingleiten über Riffe zu beobachten, ich hätte mich schon vor Jahrzehnten dem Schwimmen im Meer verschrieben.

Einer meiner Nachbarn, Peter Godfrey-Smith, Professor für Philosophie und Geschichte, vergleicht die bis zu einem Meter langen Riesentintenfische mit «einem auf ein Luftkissenboot befestigten Kraken» – mit Armen, die an «große und geschickte Lippen» erinnern. Er ruft uns in Erinnerung, dass der «Geist im Meer entstand. Im Wasser haben die frühen Stadien der Evolution stattgefunden: die Entstehung des Lebens, die Geburt der Tiere, die Entwicklung des Nervensystems und des Gehirns und das Aufkommen komplexer Körper, für die sich ein Gehirn auszahlt. […] Als die Tiere an Land gingen, nahmen sie das Meer mit. Alle grundlegenden Lebensaktivitäten finden in mit Wasser gefüllten und von Membranen umhüllten Zellen statt, in kleinen Behältern, deren Inhalte Überbleibsel des Meeres sind.»

Mit anderen Worten: Wir tragen das Meer in uns.

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Wer sich meinem Schwimmclub anschließt, könnte zunächst meinen, es ginge einfach nur darum, sich fit für den Tag zu machen. Wir treffen uns kurz nach Sonnenaufgang am Manly Beach in Sydney, schwimmen zur Landzunge hinaus und dann im Bogen über eine geschützte Meeresbucht bis zum nächsten Strand.

Unser Erkennungszeichen sind knallpinke Badekappen. Unser Name, «The Bold And The Beautiful» (Die Mutigen und die Schönen), mag ein wenig albern klingen, aber er erinnert daran, dass die Gruppe vor vielen Jahren von ein paar Frauen mittleren Alters gegründet wurde, die Angst davor hatten, die Strecke allein zu schwimmen, und sich zusammen dann überwinden konnten.

Bei diesem Morgenbad im Meer geht es also nicht ums Können, es geht um den Mut, es zu wagen.

Meistens stecken wir irgendwann unterwegs die Köpfe zusammen, deuten mit ausgestreckten Armen nach unten ins Wasser und machen uns gegenseitig auf unsere Entdeckungen aufmerksam: blaue Riesenlippfische, Sepien in verschiedensten Tarnkleidern (ab und zu auch brütend oder einander umschlingend), Teppichhaie, die bei uns in Australien als Wobbegongs bekannt sind, Stierkopfhaie, Adlerrochen und sogar kleine Meeresschildkröten und winzige Seepferdchen. Erst letzte Woche kreuzte auf der Strecke um die Landzunge eine Delfinschule meine Bahn.

Zu Winteranfang bevölkern Dutzende junger Schwarzhaie die Bucht – nur ein paar Meter unter uns schwimmen sie herum. Während ihrer Reise durch wärmere Gebiete haben sie eine Größe erreicht, die uns Menschen durchaus nervös macht – es gibt einen Grund, weshalb eine Gruppe Haie im Englischen auch «shiver – Schauder» genannt wird. (Während meiner Arbeit an diesem Kapitel wurde einer unserer Schwimmer von einem Hai angegriffen. Er sagt, sie seien im dunklen Wasser zusammengestoßen, weil er keine Stirnlampe getragen habe. Da es sich um einen normalerweise wenig aggressiven Sandtigerhai handelte, schwimmen wir auch weiterhin in der Bucht, ohne Angst zu haben.)

Einmal kam sogar ein Wal in die Bucht und spielte eine Stunde lang mit Schwimmern aus unserer Gruppe – leider war ich selbst an diesem Tag nicht dabei, sondern musste mich mit einem Zeitungsbericht im Daily Telegraph begnügen. Meine sehr weltlich orientierten Freunde, die das Glück hatten, mit von der Partie zu sein, sagten hinterher, die Begegnung sei wie ein Gebet gewesen, eine spirituelle Erfahrung. Ihre Gesichter wurden ganz andächtig, als sie davon erzählten. Ich wäre wirklich gerne dabei gewesen …

Unser Touren sind oft alles andere als einfach. Wir haben regelmäßig mit dichten Algenteppichen zu kämpfen, mit starken Strömungen und mit Respekt einflößenden Brandungswellen, die einen unter Wasser ziehen, herumwirbeln oder gegen den sandigen Meeresboden schleudern. Ab und zu ist der Wellengang so hoch und der Sog so stark, dass ich mich nur in Begleitung zurück zum Strand zu schwimmen traue. Leute, die neu zu uns stoßen, geraten häufig in brenzlige Situationen. Manchmal kommen wir mit roten Quallenstriemen im Gesicht, an den Armen oder den Beinen aus dem Wasser. Niemals werde ich die Riesenschwärme Jimbles vergessen – kleine, eckige Würfelquallen mit langen, rosaroten Tentakeln –, die in einem Jahr monatelang zu Tausenden die Bucht bevölkerten. Trotz unserer Schutzanzüge, und obwohl wir Hände, Füße und Gesichter dick mit Papayabalsam einschmierten, tragen viele aus unserer Gruppe noch heute Narben, einige mussten sogar ins Krankenhaus. Doch gerade die sich täglich ändernden Bedingungen machen das Schwimmen so aufregend.

Es geschieht etwas mit einem, wenn man in eine Welt abtaucht, in der die Uhr nicht tickt und die Inbox nicht ständig plingt. Während man am Rande des unendlichen Ozeans durchs Wasser krault, machen die Gedanken sich selbstständig, und der Verstand öffnet dem Staunen den Raum – der Erfahrung, in Kontakt mit etwas Ehrfurchtgebietendem zu sein, etwas Unfassbarem, etwas, das größer ist als man selbst. Studien haben gezeigt, dass das Erleben von Staunen uns geduldiger und weniger reizbar macht, bescheidener, neugieriger und kreativer – dies geschieht übrigens bereits dann, wenn wir uns nur einen Naturfilm ansehen. Staunen vermag darüber hinaus unser Konzept von Zeit zu dehnen: Die Forscherinnen Melanie Rudd, Kathleen Vohs und Jennifer Lynn Aaker stellten fest, dass «das Erleben von Staunen Menschen in den gegenwärtigen Moment versetzen kann. Die Fähigkeit, im gegenwärtigen Moment zu verweilen, wiederum liegt der Eigenschaft des Staunens zugrunde, sie kann die Wahrnehmung von Zeit verändern und Entscheidungen beeinflussen. Wer in der Lage ist zu staunen, kann das Leben als befriedigender empfinden.»

Der Sozialpsychologe Paul Piff und seine Kollegen sind bei ihren Forschungen zu dem Schluss gekommen, dass Menschen, die in der Lage sind zu staunen, oft großzügiger, hilfsbereiter, altruistischer und entspannter sind und sich ethischer verhalten. Eines ihrer Experimente zeigte, dass Menschen, die eine Weile in die Kronen hochgewachsener Eukalyptusbäume schauten, hinterher eher bereit waren, jemandem zu helfen, der beim Stolpern eine Handvoll Stifte hatte fallen lassen, als die Probanden der Kontrollgruppe. Anders gesagt: Infolge einer Erfahrung, die uns Bescheidenheit oder Demut lehrt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir auf einander achtgeben, füreinander sorgen und uns generell verbundener fühlen.

Unter dem Begriff «Training» lediglich den Aufbau von Muskeln oder den Abbau von Nervosität zu verstehen, wäre also zu kurz gegriffen. Wann immer möglich, sollten wir uns aus den Fitnessstudios und Sporthallen hinauszwingen und in die Natur begeben, in dem Wissen – oder sogar in der Hoffnung –, dass wir dort womöglich auf das Gefühl von Ehrfurcht stoßen.

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Die Mitglieder unseres Schwimmclubs sind sich auch ohne Forschungsergebnisse der Freuden und Vorzüge des gemeinsamen Schwimmens bewusst. Einige meiner Bold and Beautiful-Freunde haben inzwischen ihre Antidepressiva abgesetzt. Sie nennen den Ozean ihr «Vitamin Sea». Eine Mitschwimmerin, die die Geschöpfe unserer belebten Bucht auf herrlich belichteten Fotografien festhält, bezeichnet das Schwimmen als ihre «Glückspille». Für andere ist das Schwimmen schlicht Überlebensstrategie: Mitschwimmer und Mitschwimmerinnen, die eine Krankheit durchmachen, eine Trennung hinter sich haben oder die mit traumatischen Umständen in ihrer Familie konfrontiert sind, haben mir erzählt, dass sie auf dem Weg um die Landzunge oft halb blind vor Tränen hemmungslos in ihre Schwimmbrillen weinen, um sich dann unter der heißen Dusche und bei einer Tasse Kaffee wieder zu beruhigen, nachdem sie unterwegs genug Kraft gesammelt haben, um einen weiteren Tag zu überstehen. Wie Wallace J. Nichols es ausdrückt, Autor von Blue Mind – Wie Wasser uns glücklicher macht: «Wasser meditiert uns.»

Eine im August 2018 im British Medical Journal veröffentlichte Studie stellte die Theorie auf, dass Schwimmen in kaltem, offenem Gewässer möglicherweise bei Depressionen helfen könnte – wieder ein Beispiel dafür, dass die Wissenschaft langsam zu belegen beginnt, was wir bereits intuitiv wissen. Weshalb sollte ich, eine ausgesprochene Nachteule, freiwillig vor Sonnenaufgang aufstehen und mich in schwarze Fluten stürzen, wenn es nicht süchtig machen und mir unglaublich guttun würde? Die Studie basiert auf den Erfahrungen einer vierundzwanzigjährigen Frau, die feststellte, dass einmal pro Woche in kaltem Wasser zu schwimmen ihr erlaubte, ihre Medikamente abzusetzen. Die Autoren der Studie waren sich nicht sicher, weshalb das so war. Ein Ansatz war die entzündungshemmende oder schmerzlindernde Wirkung von Salzwasser. Doch die in meinen Ohren glaubhaftere Erklärung findet sich in der vom Co-Autor der Studie Michael Tipton formulierten Theorie: «Wer sich an kaltes Wasser gewöhnen kann, sorgt dafür, dass auch die Reaktionen auf andere Stressoren wie zum Beispiel Aggression im Straßenverkehr, Prüfungssituationen oder Jobverlust nicht so stark ausfallen.»

Das ehrfürchtige Staunen, welches uns das tägliche Schwimmen in der Gruppe ermöglicht, führt zu einem Gefühl der Verbindung, genau wie die Verbundenheit in der Gruppe an sich. Wir sind eine starke Gemeinschaft, ein kunterbunter Haufen mit der Liebe zum Schwimmen als kleinstem gemeinsamen Nenner. Auch die Unterhaltungen in unserer außerordentlich vielfältigen Truppe – unter uns sind Richterinnen, Schreiner, Models, Priester, Ärztinnen, Sozialarbeiter, Pflegekräfte und Lehrerinnen, angefangen bei Fünfjährigen, die auf ihren Boards neben uns her paddeln, bis hin zu achtzigjährigen Veteranen und Veteraninnen – sind ein nicht wegzudenkender Bestandteil unseres mit Begeisterung tagtäglich wiederholten Rituals. Wir unterhalten uns über die Schönheit des Sonnenaufgangs, die Anwesenheit giftiger Quallen, die Lebewesen, die wir auf dem Meeresgrund oder zwischen Seegras entdecken, darüber, ob wir einen Anzug brauchen; übers Wetter, die Wassertemperatur, die Sicht, den Wellengang – und wir meckern darüber, wie lange es dauert, in unserem Stammcafé unsere Getränke zu bekommen. Am nächsten Tag sind wieder dieselben Themen dran.

In einer Zeit zunehmender Entfremdung, oft rein digital gelebter Beziehungen und der immer heftigeren politischen Polarisierung ist es wunderbar, sich in einer so vielfältigen Gruppe von Individuen aufzuhalten – Menschen, mit denen man oft wirklich nur eine einzige Sache gemeinsam hat – und sich mit ihnen über Brandungsrückströme zu unterhalten oder einfach Quatsch zu reden. Jeden Morgen gehe ich in dem Wissen die Stufen am Südende des Strands hinunter, dass ich in Dutzende strahlende Gesichter blicken werde, noch ehe ich den großen Zeh ins Wasser gesetzt habe, und dass alle wissen, wie glücklich sie sich schätzen können, diese Erfahrungen machen und miteinander teilen zu dürfen.

Wir sind ein sehr sozialer Haufen. Wir veranstalten immer wieder Kuchenverkaufs- oder Spendensammelaktionen für den örtlichen Surfclub oder diverse Wohltätigkeitsorganisationen. Als ich aus dem Krankenhaus kam, stellten mir Mitglieder meiner Schwimmgruppe Essen vor die Haustür, gingen mit meinem Hund spazieren, fütterten die Katze, kümmerten sich um meinen Garten und taten so viele weitere Dinge für mich, ungebeten.

Die Bedeutung von täglichem Kontakt mit anderen Menschen – auf die altmodische Weise, von Angesicht zu Angesicht – ist von der Wissenschaft bestens dokumentiert, beispielsweise durch den amerikanischen Soziologen Robert Putnam, der schon in seinem im Jahr 2000 erschienenen Buch Bowling Alone: The Collapse and Revival of American Community den Niedergang amerikanischer Gemeinschaftsverbände wie Kirchen, Gewerkschaften und Vereinen beklagte. In den letzten Jahren sind die Zahlen derjenigen, die von sich sagen, sie hätten keine oder nur wenige Vertraute oder enge Freunde, explodiert, mit besorgniserregenden Konsequenzen für das individuelle Wohlbefinden: Gestiegene Isolation und Einsamkeit werden mit einem erhöhten Risiko in Zusammenhang gebracht, chronische Krankheiten zu entwickeln, außerdem mit einem höheren Risiko für Demenz, Alkoholmissbrauch, Schlafstörungen, Fettleibigkeit, Diabetes, Bluthochdruck, Hörprobleme und Depression.

Dagegen kann Gemeinschaftssinn unsere Resilienz stärken, er verbessert nicht nur unsere gegenwärtige Gefühlslage, sondern gilt auch als Vorsorgeschutz für unsere künftige geistige Gesundheit. Eine der weltweit größten Langzeitstudien zum Erwachsenenleben, die Harvard Study of Adult Development, begleitete einzelne Probanden über einen Zeitraum von achtzig Jahren – seit 1938 – und stellte fest, dass soziale Bindungen und Beziehungen der mit Abstand größte Indikator für Glück und Gesundheit sind. (Die Überschrift eines jüngst erschienenen Beitrags in der Harvard Gazette zu dem Thema lautete Good genes are nice, but joy is better – gute Gene sind schön, aber Freude ist besser.) Der Leiter dieser Studie, Robert Waldinger, Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School und Zen-Priester, sagt, er investiere inzwischen bewusst mehr Zeit in seine engsten Beziehungen als früher.

Eine andere, 2017 im Australian & New Zealand Journal of Psychiatry veröffentlichte Studie kommt zu dem Schluss, dass die Ressourcen, die durch soziale Kontakte entstehen, als «Heilmittel» bei psychischen Krankheiten wirken könnten.

Wieso tragen wir also nicht einfach alle mehr zur Förderung des Gemeinschaftssinns bei? Das ist nicht leicht, wenn man von Natur aus schüchtern ist oder depressiv, an einer Krankheit leidet oder in einer Krise steckt – auch mein Instinkt rät mir oft, mich zu verschließen und in die Einsamkeit zurückzuziehen. Doch ist dieser Impuls nicht immer automatisch der gesündeste. Um Traumata zu ertragen, zu überleben, oder auch nur, um irgendwie den Kopf über Wasser zu halten, wenn das Leben droht, uns nach unten zu ziehen, brauchen wir die Gewissheit, dass wir nicht allein sind.

Dabei zählen nicht nur die Beziehungen zu Freunden und Familie: Auch die Verbindung zu Menschen, die in derselben Straße leben, im gleichen Bürogebäude arbeiten oder denselben Zug benutzen, ist von Bedeutung. Eine 2014 veröffentlichte Studie von Forschern und Forscherinnen der University of British Columbia fand heraus, dass selbst Interaktionen mit «schwachen sozialen Bindungen» wie entfernten Bekannten – zum Beispiel Mitglieder desselben Sportvereins – wichtig sind für unser Wohlbefinden. So gaben Studierende, die an einem beliebigen Tag mit mehr Kommilitonen und Kommilitoninnen als üblich interagierten, hinterher an, sich glücklicher zu fühlen.

Ich für mich kann definitiv sagen, dass die Tage, die ich mit zwanglosen Gesprächen und einer großen Schwimmrunde im Meer beginne, fast immer besser sind als die Tage, die ich auf andere Weise starte. Die Erinnerung daran bleibt mir im Gedächtnis und auf der Haut (und, zum Leidwesen der Maskenbildnerinnen, die mich für meinen allabendlichen Fernsehauftritt als Moderatorin zurechtmachen müssen, auch als Schwimmbrillenabdruck rund um meine Augen). Andere Schwimmer und Schwimmerinnen stimmen mir zu: Wenn sie vor der Arbeit keine Gelegenheit haben, ins Meer zu springen, sind sie zappeliger, unausgeglichener und unkonzentrierter als an den Tagen, an denen sie morgens schwimmen gehen.

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Als ich in meinen Zwanzigern war, gab es eine lange Phase, in der ich Kunstlicht dem Sonnenlicht vorzog. Ich war kein Grufti; ich war nur hochgradig nachtaktiv. Ich dauertanzte unter Laserblitzen und funkelnden Discokugeln in Clubs und stroboskopbeleuchteten Lagerhäusern. Und draußen, am äußersten Rand der breiten, australischen Küste, jagte ich nachts in Wasser gefangenem Sonnenlicht hinterher. Am Wochenende warfen meine Freunde und ich unsere Zelte in die Kofferräume unserer Autos und fuhren stundenlang von Sydney aus rauf nach Norden, bis wir, in stockfinsterer Nacht, einen Ort namens Seal Rocks erreichten. In weißen Großbuchstaben waren auf die kurvige Straße, die hinunter zum Strand führte, die Worte Die letzte Grenze gepinselt.

Der Strand war unberührt, ungezähmt und sprühte vor Leben. Wir parkten die Autos und rannten ins nachtschwarze Meer, tauchten und planschten im Mondlicht und bestaunten die silbrig glitzernden, phosphoreszierenden Bänder, die unsere Bewegungen im Wasser hinterließen. Für uns sah es aus, als zögen wir breite Paillettenbahnen hinter uns her – Galaxien aus Biolumineszenz.

In Wirklichkeit handelte es sich um die chemische Reaktion von Phytoplankton auf Reibung: Aus Sonnenlicht wird Energie gewonnen, die bei Berührung lichterzeugende chemische Reaktionen antreibt – für uns aber war es reinste Magie. Diese lebendigen Lichter wurden für mich zum Symbol für Freude und Selbstvergessenheit, und ich begab mich auf die Suche nach weiteren Möglichkeiten, sie zu erleben – und nach Begleitern und Begleiterinnen, die sie ebenso liebten wie ich.

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Die Beziehung von uns Australiern zum Meer hat fast heilige Züge. Da ist zum einem die Anziehungskraft, die das Meer auf uns ausübt: Wir versenken den Blick in seine unendliche Weite und lassen uns an seinen Ufern nieder, wann immer wir können. Zum anderen ist da das reinigende Ritual des Hineinspringens, und als Drittes das Gefühl, ganz und gar darin einzutauchen und die Geheimnisse seiner Unterwasserwelten zu erforschen. Ein vierter Aspekt mag vielleicht noch der – vor allem von den Surfern – erlernte Respekt vor den tosenden Wogen, Fluten und perfekten Wellen sein.

Schwimmbäder können es niemals mit dem Zauber des weiten Meers aufnehmen; die schwarzen Bahnlinien auf dem Boden eines Schwimmbeckens mögen vielleicht eine gewisse hypnotische Wirkung besitzen, aber gleichzeitig ist es stumpfsinnig, ihnen zu folgen – mal abgesehen davon, dass das Wasser voller Chemikalien ist.