Physik der Schwermut - Georgi Gospodinov - E-Book

Physik der Schwermut E-Book

Georgi Gospodinov

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Beschreibung

Der Erzähler von Georgi Gospodinovs zweitem Roman leidet an übergroßer Empathie: er kann und muss sich in alles und jeden einfühlen und erlebt dann, was diese anderen erleben – ob das nun sein Großvater am Beginn des 20. Jahrhunderts war, der kleine in ein Labyrinth weggesperrte Minotauros oder eine Schnecke, die gerade verschluckt wird. Aber auch, dass die Zeit unwiederbringlich vergeht, macht ihm zu schaffen; und er geht mit Zeitkapseln dagegen vor: Behälter, in die alles hineinkommt, was für die Gegenwart wichtig ist. Aber was ist wichtig? Zu diesem Zweck wiederum müssen Listen angelegt werden, eine im alten Ostblock bei Kindern und Jugendlichen ohnehin beliebte Praxis … Aus zahlreichen kurzen poetischen Kapiteln komponiert Gospodinov einen melancholischen Roman, der – wie oft bei Melancholikern – amüsiert und überrascht, und unterstreicht damit nachhaltig seinen weltliterarischen Rang. Seine Vergegenwärtigung altgriechischer Mythen ist ebenso denkwürdig wie seine Erinnerung an 40 Jahre bulgarischen Kommunismus. Und dass das Festhalten des gegenwärtigen Augenblicks eine vergebliche Aufgabe ist: es hindert ihn nicht daran, sich dieser Aufgabe von Seite zu Seite immer wieder neu zu stellen.

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Seitenzahl: 385

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Georgi Gospodinov

 

 

Physik der Schwermut

Roman

 

 

Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann

 

 

 

 

Literaturverlag Droschl

Epigraphik

O mytho é o nada que é tudo.*

Pessoa, Mensagem

* Der Mythos ist das Nichts, das alles ist.

 

Es gibt nur Kindheit und Tod. Und nichts dazwischen …

Gaustín, Ausgewählte Autobiographien

Und die Welt ist nicht mehr magisch. Man hat dich zurückgelassen.

Borges, 1964

… werde kommen zu den Gefilden und weiten Palästen meines Gedächtnisses, wo sich befinden die Schätze unzähliger Vorstellungen …

Augustinus, Bekenntnisse, Buch X

Nur das Kurzlebige und Vergängliche verdient es, aufgeschrieben zu werden.

Gaustín, Die Verlassenen

Ich möchte fliegen, schwimmen, bellen, blöken, brüllen, hätte gern Flügel, einen Rückenschild, eine Rinde, möchte Rauch schnauben, einen Rüssel tragen, meinen Körper winden, mich teilen und in alles eingehen, mich in Gerüchen verströmen, mich entfalten wie die Pflanzen, fließen wie Wasser … in jedes Atom eindringen, mich in den Grund der Materie senken – die Materie sein!

Flaubert, Die Versuchung des heiligen Antonius

 

… mixing

memory and desire …

Eliot, The Waste Land

Die reinen Genres interessieren mich nicht besonders. Der Roman ist kein Arier.

Gaustín, Roman und Nichts

Wenn es der Leser vorzieht, kann dieses Buch auch als ein Werk der Phantasie angesehen werden.

Hemingway, Paris – ein Fest fürs Leben

Prolog

Geboren bin ich Ende August 1913 als menschliches Wesen männlichen Geschlechts. Das genaue Datum kenne ich nicht. Sie haben einige Tage abgewartet, ob ich am Leben bleiben würde, erst dann haben sie mich registriert. So machte man das mit allen. Die Arbeit des Sommers ging zu Ende, man musste dies und jenes vom Feld holen, die Kuh kalbte, die Sorgen um sie. Der Erste Weltkrieg brach aus. Ich überstand ihn zusammen mit den übrigen Kinderkrankheiten, Windpocken, Röteln usw.

 

Ich bin zwei Stunden vor Sonnenaufgang als Fruchtfliege geboren. Ich werde heute Abend nach Sonnenuntergang sterben.

 

Ich bin am 1. Januar 1968 geboren als menschliches Wesen männlichen Geschlechts. Ich kann mich detailliert an das ganze Jahr 1968 erinnern, von Anfang bis Ende. Ich kann mich an nichts aus dem Jahr erinnern, das wir jetzt schreiben. Ich weiß noch nicht einmal, welches Jahr wir schreiben.

 

Ich war schon immer geboren. Ich kann mich noch an den Beginn der Eiszeit und das Ende des Kalten Krieges erinnern. Der Anblick sterbender Dinosaurier (in beiden Epochen) gehört zu den unerträglichsten Dingen, die ich je gesehen habe.

 

Ich bin noch nicht geboren. Ich stehe bevor. Ich bin minus sieben Monate alt. Ich weiß nicht, wie man diese negative Zeit im Mutterleib zählt. Ich bin ein kleiner, bin eine kleine … (sie kennen mein Geschlecht noch nicht), ich bin so klein wie eine Olive, wiege eineinhalb Gramm. Mein Schwanz zieht sich allmählich zurück. Das Tier in mir geht fort, winkt mir mit seinem schwindenden Schwanz zu. Ich bin wohl zum Menschen bestimmt. Hier ist es dunkel und gemütlich, ich bin an etwas gebunden, das sich bewegt.

 

Ich bin am 6. September 1944 geboren als menschliches Wesen männlichen Geschlechts. Kriegszeiten. Eine Woche später fuhr mein Vater an die Front. Meiner Mutter stockte die Milch. Eine kinderlose Tante wollte mich aufnehmen und großziehen, mich adoptieren, aber sie gaben mich nicht her. Ich habe ganze Nächte lang vor Hunger geschrien. Sie gaben mit Brot zu lutschen, eingetaucht in Wein, als Schnuller.

 

Ich erinnere mich, geboren zu sein als Hagebuttenstrauch, Rebhuhn, Ginkgo biloba, Schnecke, als Wolke im Juni (die Erinnerung ist kurz), als lila Herbstkrokus am Halensee, als zu früh knospender Kirschbaum, erstarrt unter spätem Aprilschnee, als Schnee, der einen verführten Kirschbaum hat erstarren lassen …

 

Ich sind.

I. Das Brot der Trauer

DER ZAUBERER

Und dann schnappte sich ein Zauberer die Schirmmütze von meinem Kopf, bohrte seinen Finger hinein und machte so ein großes Loch. Ich brach in Tränen aus, wie sollte ich mich mit kaputter Mütze zu Hause blicken lassen? Er lachte, blies einmal dagegen, und zum Erstaunen aller war sie wieder heil. Ein großer Zauberer.

Das war doch nur eine Illusion, Opa, höre ich mich sagen.

Damals war es Zauberei, sagt mein Großvater, später wurde es zur Illusion.

Aber ich bin schon dort, 12 Jahre alt, wir schreiben wohl das Jahr 1925. Da ist der Fünfer, den ich fest in der Hand halte, schweißnass, ich spüre seinen Rand. Zum ersten Mal bin ich allein auf dem Jahrmarkt und habe Geld.

Hierher, meine Herrschaften … Kommen Sie und sehen Sie den Python, vom Kopf bis zum Schwanz drei Meter lang, vom Schwanz bis zum Kopf noch einmal so viel …

Oh Mann, was kann denn das für eine Schlange sein, sechs Meter lang … He, warte mal, wo willst du hin, ohne zu zahlen, das macht einen Fünfer … Aber ich habe nur die fünf, die werde ich doch nicht für eine Schlange ausgeben …

Gegenüber verkaufen sie Pomaden, Heilerde und Farbe für die Haare.

Faaaarbe für den Baaaart, macht die Boooorsten ganz zaaart …

Und wer ist dieser Mann, um den die alten Frauen herumstehen und schniefen?

… und als Nikolčo aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause kommt, hört er, dass seine Braut einen anderen genommen hat, Nikolčo passt sie am Ziehbrunnen ab, er reißt ihr den Kopf von den Schultern, der Schädel fliegt durch die Luft und spricht ein letztes Mal, Nikolčo, was hast du nur getan … So, und jetzt weint, ihr alten Frauen … Und die alten Frauen weinen, zum Steinerweichen … Kauft das Liederbuch, um zu erfahren, welch grausiger Irrtum sich zugetragen hat, die Braut ward ohne Schuld aus dem Leben gerissen … Der Verkäufer von Liederbüchern. Oh Mann, was das wohl für ein Irrtum war …

Leute über Leute, sie rempeln mich an, ich halte das Geld fest in der Hand, dass es dir nur keiner klaut, sagte mein Vater, als er es mir gab.

Stopp. Agop. Sirup. Angeschrieben mit großen, siruprosa Buchstaben. Ich schlucke. Soll ich einen trinken …

Ran an die Lutscheeeer … verlockt mich der Teufel, verkleidet als armenische Großmutter. Bist du bei Verstand, dann komm zu mir gerannt … Und jetzt? Sirup oder Lutscher? Ich stehe in der Mitte, schlucke und kann mich überhaupt nicht entscheiden. Mein Großvater in mir kann sich nicht entscheiden. Daher also kommt diese Unentschlossenheit, die mir später zu schaffen machen wird. Ich sehe mich dort sitzen, schlank, großgewachsen, das Knie aufgeschürft, auf dem Kopf die Mütze, der es bevorsteht, vom Zauberer durchbohrt zu werden, mit offenem Mund und verlockt von der Welt, die sich mir rundherum bietet. Ich entferne mich noch ein bisschen, sehe mich aus der Vogelperspektive, um mich herum herrscht reges Treiben, ich stehe da, und mein Großvater steht da, beide im selben Körper.

Hoppla, eine Hand klaut mir die Mütze vom Kopf. Ich bin bis zu dem Tischchen des Zauberers gekommen. Ganz ruhig, ich werde nicht weinen, ich weiß genau, was passieren wird. Da ist der Finger des Zauberers auf der anderen Seite des Mützenstoffs, herrje, was für ein Loch. Die Menge um mich herum lacht sich halbtot. Jemand schlägt mir mit der flachen Hand auf den Nacken, mir steigen sogar Tränen in die Augen. Ich warte, doch der Zauberer, als hätte er die Fortsetzung der Geschichte vergessen, legt meine durchbohrte Mütze beiseite, nähert seine Hand meinem Mund, dreht sie herum und, oh Schreck, mein Mund ist verschlossen. Ich kann ihn nicht aufmachen. Ich bin stumm, die um mich herum machen sich gleich vor Lachen in die Hosen. Ich versuche, etwas zu rufen, aber aus meinem Hals ist nur ein Muhen zu hören. Mmmm. Mmmmm.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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