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Mobilitätsideen, die Lust auf morgen machen Bestseller-AutorinKatja Diehl und Science-Fiction-Erzähler Mario Sixtus fragen, wie die Menschen in Zukunft autofrei und klimafreundlich unterwegs sein werden und entwerfen konkrete Zukunftsvisionen. In ihrem hoffnungsfrohen Buch bieten sie konkrete und detaillierte Antworten und somit Doping für unsere Vorstellungskraft. Die Rollen sind dabei klar verteilt: Mario Sixtus, als Autor und Science-Fiction-Filmemacher häufig im Übermorgen zu Hause, schreibt Kurzgeschichten einer optimistischen Zukunft. Katja Diehl macht als Mobilitätsexpertin den Realitätscheck: Was könnte von dieser Vision in naher Zukunft tatsächlich umgesetzt werden? Überraschende und inspirierende Geschichten, die Lust auf die Verkehrswende machen. »Eine utopische Intervention von ansteckender Klarheit, die das scheinbar Unveränderbare mit einem Lächeln in Bewegung versetzt.« Samira El Ouassil »Hätte, hätte, Fahrradkette? Von wegen! Katja Diehl & Mario Sixtus schauen auf menschenfreundliche Mobilität und entwerfen gemeinsam ein großes ›Wofür‹ statt über das ›Wogegen‹ zu streiten. – Lesen und Machen!« Maren Urner
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Seitenzahl: 240
Veröffentlichungsjahr: 2025
Katja Diehl | Mario Sixtus
Wie wir in Zukunft unterwegs sein werden
Wie werden die Menschen in Deutschland in Zukunft autofrei und klimafreundlich unterwegs sein? Dieses Buch bietet konkrete und detaillierte Antworten und ist somit Doping für unsere Vorstellungskraft. Die Rollen sind dabei klar verteilt: Mario Sixtus, als Autor und Science-Fiction-Filmemacher häufig im Übermorgen zu Hause, schreibt Kurzgeschichten einer optimistischen Zukunft. Katja Diehl macht als Mobilitätsexpertin den Realitätscheck: Was könnte von dieser Vision in naher Zukunft tatsächlich umgesetzt werden?
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Katja Diehl, geboren 1973, hostet den Podcast »SheDrivesMobility«. Für ihre SPIEGEL-Bestseller »Autokorrektur« und »Raus aus der Autokratie« erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Katja Diehl lebt in Hamburg.
Mario Sixtus, geboren 1965, ist Filmemacher, Drehbuchautor und Journalist. Seine Sci-Fi-Filme »Operation Naked« und »Hyperland« waren nominiert für den Grimme-Preis; für »ZDF« und »Arte« dreht er Dokumentarfilme. Mario Sixtus lebt in Berlin.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2025 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
ISBN 978-3-10-492141-9
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01 Motivation
Fiction
Facts
02 Ruhender Verkehr
Fiction
Facts
03 Der Schwarm
Fiction
Facts
04 Das Urteil
Fiction
Facts
05 Provinz-Power
Fiction
Facts
06 Die Stadt
Fiction
Facts
07 Weit draußen
Fiction
Facts
08 Immer unterwegs
Fiction
Facts
09 Dagegen
Fiction
Facts
10 Zukunft
Fiction
Facts
Es wird keinen Startschuss geben und auch keine weiteren Starter*innen; Mirja wird einfach loslaufen, alleine, wie immer. Die App, die sie, wie bei jedem Lauf, in ihrer Sportbrille installiert hat, wird sowieso alle ihre Schritte registrieren; nur 30 Kilometer heute, von Königs Wusterhausen zur Museumsinsel in Berlin Mitte. Ganz langsam wird sie traben, denn Füße, Knie und Rücken teilen ihr schon länger mit, dass es bald wirklich genug ist.
Dies ist kein offizielles Rennen eines Sportverbandes, es gibt auch keine Sponsoren und keine Medienverträge. Professionelles Movebest-Laufen ist Guerilla-Running, aber dennoch wird Mirja Wong heute einen Rekord holen, daran gibt es keinen Zweifel, ihren fünften sogar. Aber dann wird Schluss sein mit der Rennerei, zumindest mit der täglichen. 12410 Kilometer ist sie in den letzten 364 Tagen gelaufen, jeden Tag, inklusive Sonn- und Feiertagen, zwischen 20 und 50 Kilometern, bei 37 Grad im Sommer genauso wie bei Unter-Null-Temperaturen im Winter.
Rund zwei Dutzend Menschen sind heute ihretwegen hier, klopfen ihr auf den Schultern herum, umarmen sie und sagen ihr Sätze voller Adjektive: großartig, einmalig, wahnsinnig, stolz. Alle strahlen, grinsen, lachen; und Mirja spürt, all das ist echt, dies hier sind wirklich Freund*innen. Fans hat sie auch, die werden heute alle online sein und ihr über die App zuschauen, ein paar hundert Movebest-Profis vielleicht – viel mehr davon gibt es sowieso nicht in Deutschland –, Menschen, die von den Punkten leben, welche die staatliche App fürs Laufen vergibt, so wie Mirja auch, denn diese Punkte sind bares Geld.
›Freaks‹, nennen einige Mirja Wong und die anderen Movebest-Profis oder ›Schmarotzer‹, ›Punkte-Parasiten‹. Aber diese Missgünstlinge werden immer weniger.
Ein Blick in die App verrät Mirja: von wegen Hunderte … fast 6000 Menschen schauen ihr zu! Ja klar, heute ist Jubiläum. Vor genau zehn Jahren wurde die App veröffentlicht, vermutlich hat man ihren Account in vielen Jahrestag-Artikeln verlinkt.
Sie läuft los, ohne Ankündigung, einfach so. Ihre Freund*innen applaudieren und rufen Fröhliches, dann fahren sie mit ihren Fahrrädern schon mal vor, Richtung Berlin, um Mirja am Ziel in Empfang zu nehmen, denn sie will auch dieses Mal unbedingt alleine laufen, wie immer.
Und schon ist Mirja raus aus Königs Wusterhausen, läuft nun zwischen Brandenburgischen Feldern, Waldzipfeln und Brachland auf die Berliner Stadtgrenze zu. Die Bundesstraße ist praktisch leer, ab und zu überholt sie ein Fahrrad oder ein elektrischer Bus.
Die KI in ihrer Brille sagt, sie sei gerade in einem Podcast erwähnt worden: ein Interview mit Cora Thani, der ehemaligen Bundesverkehrsministerin, anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Movebest-App-Launches. Mirja startet die Sendung, es ist ja noch genug Zeit bis zur Museumsinsel.
»Die Movebest-App hat den größten Teil der Deutschen nicht nur von ihrer einst jahrzehntelang geförderten Autobesessenheit geheilt«, schwärmt der Podcast-Host, »außerdem hat sie die Zahl der privat genutzten PKW massiv gesenkt und kräftig dazu beigetragen, dass Carsharing und elektrische Rufbusse aus der Nische in die Normalität gemoovt sind.«
»Das stimmt«, sagt Cora Thani mit nur schlecht kaschiertem Stolz.
»Und als wäre das nicht genug«, begeistert der Host sich weiter, »hat sie auch noch einen großen Teil der Bürger*innen in Radfahrer*innen und Läufer*innen verwandelt! Und mit was? Mit einer cleveren Programmierung – und mit viel Geld!«
»Das Geld kam erst etwas später«, korrigiert Thani, »als wir heute vor zehn Jahren starteten, gab es nur Punkte, die man sammeln konnte, die aber keinen eigenen Wert besaßen.«
Thani erzählt, wie Movebest am Anfang nur ein kleines Experiment des Ministeriums war, das unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Medien und der meisten Bürger*innen lief: eine Handy-App, die per KI feststellt, ob ihr*e jeweilige Nutzer*in gerade mit dem Auto fährt, mit der Bahn, mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs ist und die dann, je nach Klimafreundlichkeit dieser Reise Punkte pro Kilometer verteilt: viele fürs Radfahren und Wandern, wenige für Fahrten in E-Autos und sogar negative Punkte, also Abzüge, für die Nutzung von Verbrenner-Autos.
»Es war ein Versuchsaufbau«, sagt Thani, »wir wollten ausprobieren, ob ein wenig Gamification bei den Bürger*innen Bewusstsein schaffen kann, und vielleicht sogar etwas an ihren Mobilitätsgewohnheiten verändern.«
»Kurzfassung: Das klappte nicht«, wirft der Host ein, um die Dramatik zu erhöhen, und die Ex-Ministerin bestätigt, die App war ein Flop, die Punkte waren den meisten Menschen schlicht egal.
Mirjas rechtes Knie meldet sich mit dumpfem Schmerz und verdeutlicht damit seine angesammelte Unlust am Langstreckenlauf. Mirja kennt dieses Ritual: Sie wird jetzt noch etwas Tempo rausnehmen aus ihrem sowieso sehr langsamen Lauf, damit sich das Knie gehört fühlt, und dann – befriedigt darüber, eine Reaktion erhalten zu haben – wird das Gelenk seine Schmerzimpulse einstellen. Beim Sport verhalten manche Körperteile sich wie kleine Kinder.
Die Ministerin und der Host sind inzwischen beim nächsten Wendepunkt der Movebest-Geschichte angekommen: 2029 kippte das Bundesverfassungsgericht auf Antrag mehrerer Verbände das damalige Klimaschutzgesetz als deutlich unzureichend, und es verlangte unter anderem die sofortige Wiedereinführung der Sektorenziele, was in der Hauptsache bedeutete: Nachdem die Bundesregierung ein paar Jahre lang verschleiern konnte, was in Deutschland eigentlich in welchem Ausmaß das Klima vergiftete und wo genau man am besten etwas ändern müsste, war das nun plötzlich wieder für jede*n sichtbar: Von allen Sektoren hatte sich in den letzten Jahren beim Verkehr am wenigsten gebessert in Sachen CO2-Ausstoß.
Praktisch zur gleichen Zeit warnte die EU Deutschland mit klaren Worten: 2030 müsse die Bundesrepublik für mehrere Milliarden Euro CO2-Zertifikate nachkaufen, als Strafzahlungen quasi, da sie deutlich hinter den Klimazielen lag – speziell im Verkehr.
Weiterzumachen wie bisher, war nun also keine Option mehr, denn das wäre schlicht zu teuer geworden.
»Die Energiewirtschaft und die Industrie waren auf dem richtigen Weg, aber alle meine Vorgänger im Verkehrsministerium hatten so gehandelt, als wären die 1950er Jahre nie zu Ende gegangen: immer mehr Autobahnen, Subventionen für Diesel und für Flugbenzin, viel Steuergeld als Geschenk für riesige Dienstwagen und dazu eine kaputtgesparte Bahn, in der man Angst hatte, die Züge blieben auf offener Strecke liegen – wenn sie denn überhaupt fuhren. Eine halbherzige Unterstützung von E-Autos, die viel zu oft an sogenannte Hybride ging, also an teure und große Benziner mit kleinen elektrischen Zusatzmotoren. Alles zusammen bedeutete, wir konnten nun nicht mehr im Klein-Klein agieren, sondern wir mussten jetzt am ganz großen Rad drehen!«
»Und das große Rad war die kleine App?«
»Richtig!« Cora Thani genießt die kurze Wirkungspause. Dann erklärt sie, es ginge ja nicht nur um Strukturen, sondern auch um Gewohnheiten, um Verhaltensmuster und um Motivationen.
»Wir sagten den Leuten: Ihr könnt machen, was ihr wollt, aber das eine wird für euch nun krass teuer, für das andere bekommt ihr hingegen Geld, ihr entscheidet selbst!«
»Woher kam denn das viele Geld?«
»Es gab ja längst eine CO2-Steuer, die sollte ursprünglich ja mal als Klimageld an alle Bürger ausgeschüttet werden, als Pauschalsumme, was bereits einen großen Lenkungseffekt gehabt hätte, aber das geschah nie. Jetzt allerdings, mit der Drohkulisse aus riesigen Strafzahlungen an die EU, konnte ich diese Summe aus dem Haushalt herauslösen.«
»Und Sie knüpften die Auszahlungen an die App.«
»Wir machten klar: Das Klimageld wird nicht pauschal ausgezahlt, sondern als Bonuszahlung für klimaschonendes Mobilitätsverhalten. Die einen werden viel Geld bekommen, andere werden viel Geld zahlen müssen. Und wir hatten ja bereits ein Werkzeug gelauncht, das so etwas messen konnte: Die Movebest-App. Wir mussten praktisch nur die Punkte an Geld koppeln. Und das taten wir.«
Genüsslich schildert Thani ihren cleversten Schachzug: Niemand musste dieses Geld versteuern, denn offiziell handelte es sich bei den via App verteilten Klima-Boni um Steuerrückzahlungen.
»Und dann brach die Hölle los«, teasert der Host unheilschwanger.
»Ja«, bestätigt die Ex-Ministerin, »dann brach die Hölle los.«
Mirja läuft inzwischen in Blickweite am Berliner Flughafen vorbei. Nicht viel los dort. Der BER ist das möglicherweise traurigste Flughafenprojekt der Welt: Erst dauerte der Bau 14 Jahre, statt der geplanten sechs, kostete sieben statt der projektierten zwei Milliarden Euro, und dann endete bald darauf mit dem Stopp der Airline-Subventionen das Zeitalter des fliegenden Massentourismus. Schwarze Zahlen schrieb dieser Airport nie.
Während Mirja langsam an den leeren Landebahnen vorbeitrabt, schildert Cora Thani, wie Medien und Opposition auf ihre Pläne reagierten: Sie explodierten vor Wut und wollten die Ministerin teeren und federn. Libertäre Publizisten empörten sich über die »Stasi-App«, die alle Bürger*innen auf Schritt und Tritt bespitzeln sollte; Lobbyverbände sahen den Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft kommen, wenn Autofahren massiv teurer würde, Kolumnist*innen, Kommentator*innen und Kabarettist*innen schimpften über Bevormundung, über Entmündigung, über das Ende der Freiheit, Ideologie, Planwirtschaft, Verbotskultur, Öko-Sozialismus, grüne Diktatur, Wokistan: das ganze Programm – und dann fingen auch noch diese Läufer an zu laufen!
Mirja muss kurz stehen bleiben, um zu lachen, amüsiert und überwältigt von den Erinnerungen an die Zeit damals.
Cora Thani erzählt weiter: »Die App war nie als Mittel zum Lebensunterhalt gedacht, und wir hatten bei der Planung nur mal kurz überschlagen, dass man wohl mindestens 10000 Kilometer im Jahr laufen muss, um überhaupt einigermaßen von den Punkten leben zu können. Dass das tatsächlich jemand machen könnte, hatten wir überhaupt nicht auf dem Zettel!«
Der Podcast-Host hat einen kleinen Radio-Reportage-Schnipsel von 2029 aufgetan: Ein O-Ton-Zusammenschnitt der ersten Movebest-Dauerläufer*innen, unter anderem mit – Mirja Wong: »Was nicht verboten ist, ist erlaubt, oder?«, fragt die Mirja-vor-zehn-Jahren keck, und fügt hinzu: »Ich laufe gerne, ich laufe sowieso jeden Tag, jetzt laufe ich eben jeden Tag noch ein wenig mehr und lasse mich dafür vom Staat bezahlen. Finde ich super!«
Cora Thani sagt: »Rückblickend bin ich diesen Leuten zu Dank verpflichtet, denn eine Handvoll Lauffreudige hat damals einen großen Teil der hässlichen Debatte auf sich gezogen: Wie es denn sein könne, dass der Staat Menschen fürs Laufen bezahle, auch noch steuerfrei, warum nicht auch gleich fürs Rumliegen, fürs Essen oder fürs Netflix-Schauen, fragte die Bild-Zeitung suggestiv; und Social Media war bis zum Rand voll mit Verachtungs- und Hass-Posts gegen die paar Leute, die nun besonders viel durch die Straßen liefen, hauptsächlich gepostet von männlichen Nutzern, die auf ihren Profilfotos mit Sonnenbrillen neben ihren Autos posierten.«
»Und warum sind Sie den Läufer*innen rückblickend dankbar?«
»Wir schoben ja wirklich eine große gesellschaftliche Umwälzung an. Die Anti-Leute waren aber anfangs so neidfixiert auf die Läufer*innen und auf das – wirklich überschaubare – Geld, das sie aus unserem Topf bekamen, und diese Stimmung wurde immer wieder angefeuert durch die Boulevardpresse. Also konnten wir währenddessen in Ruhe dafür sorgen, dass die Menschen in Deutschland immer weniger Auto fahren und immer mehr mit der Bahn, dass sie mehr mit dem Rad unterwegs sind und dass sie viel häufiger zu Fuß gehen. Denn als es plötzlich um nennenswerte Geldsummen ging, zeigte sich: Viele Menschen, die ihre Verhaltensmuster zuvor selbst als quasi-unveränderbar eingeschätzt hatten, Leute, die stundenlang erklären konnten, warum es für sie zur Fahrt mit dem eigenen Auto keine Alternative gäbe, sah man eine Woche später auf dem Rad oder im E-Bus, weil ihre Nachbar*innen ihnen das so vorlebten – und ihnen ihre Kontoauszüge zeigten.«
Gleichzeitig entkräftete das Ministerium die Vorwürfe der Kritiker*innen: So speichert die App zwar jeweils die genaue Zahl der zurückgelegten Kilometer und die dafür genutzten Mobilitätsmethoden jeder Nutzer*in pro Monat, aber Routen und GPS-Daten werden nicht aufgezeichnet. Niemand musste also befürchten, der Staat verfolge permanent, wo man unterwegs war. Und selbst wenn der Staat das mal gewollt hätte oder eines Tages wollen würde: Es ging nicht. Denn wo keine Daten sind, kann man keine missbrauchen.
Thani hat sich jetzt in Schwung geredet: »Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch längst gezeigt, dass es ein Mythos war, Deutschland sei komplett abhängig von der Automobilindustrie! BMW, VW und Mercedes Benz hatten viel zu lange auf Spritmotoren gesetzt und mussten nun dabei zusehen, wie chinesische Unternehmen mit billigen E-Autos den deutschen Markt quasi vollständig kaperten – und siehe da: Nein, Deutschland versank nicht plötzlich in Arbeitslosigkeit und Elend, so wenig wie zuvor beim Ende des Kohlebergbaus oder beim Aus der Stahlproduktion. Das waren alles Horrormärchen!«
Noch acht Kilometer bis zur Museumsinsel; längst läuft Mirja schon durch Berlin, jetzt gerade durch Neukölln, als plötzlich ein lautes Hupen hinter ihr einsetzt: Ein riesiger SUV bedrängt sie von hinten, ein Diesel offenbar; wie durch ein Dimensionstor aus der Vergangenheit auf die Straße gebeamt, am Lenkrad ein mindestens 60-Jähriger mit Spiegelbrille und Basecap – die Petrolhead-Uniform – und er hupt wie irre. Mirja kennt das Prozedere: Dies ist ein Spritkopf, der sich allen Entwicklungen der letzten Jahre widersetzt hat, der wahrscheinlich sein Haus verkauft hat oder seine Altersversorgung beliehen, um sich eine derart fossilfressende Monstermaschine leisten zu können; für jeden Kilometer wird er Euro-Unsummen via Movebest-Points zahlen müssen. Da Mirja heute öffentlich läuft, wird dieser Aggro-Clown sie über die App identifiziert und entdeckt haben. Nun denn. Mirja wechselt kurz auf den Gehweg und reckt den Mittelfinger in die Höhe: So will es das Ritual. Fuck you Petrolhead! Irgendwann dreht der hupende Troll schließlich ab, in seinem stinkenden und tonnenschweren Anachronismus. So geschieht es inzwischen fast immer: Es sind feige Panzerfahrer, eigentlich nur noch alte Männer, die sich für dieses alberne Hassspiel hergeben, denn der Konflikt »Spritköpfe gegen Läufer*innen« ist längst entschieden.
Noch ein Kilometer, Mirjas Knie meldet sich wieder, aber egal. Ab der nächsten Woche wird sie auf Vortragsreisen gehen. Sie ist gebucht von Konferenzen und Workshops, die nicht nur wissen wollen, wie man sich jährlich für mehr als 10000 Kilometer Langlauf motiviert, sondern die auch die Geschichte hören wollen, wie man subversiv eine staatliche Maßnahme kapert, deren Geldquelle zum eigenen Lebensunterhalt anbohrt – und dann trotzdem hinterher vom zuständigen Ministerium für das, was man getan hat, gelobt wird. Vielleicht wird sie diese Geschichte ja auch noch als Buch herausbringen, oder als Netflix-Serie.
Noch einmal abbiegen. Da sind sie! Da stehen Mirjas Freund*innen, jubeln, winken und freuen sich. Angekommen!
Naaa? Sind Sie schon im Genuss- und zugleich Abwehrimpuls angekommen? Einerseits dieses Zukunftsbild dankbar aufnehmend, andererseits die Probleme im Kopf sammelnd, um dann zum Fazit zu kommen: leider unmöglich!? So funktioniert das menschliche Hirn nämlich meistens, um sich davor zu drücken, mit Ungewohntem umzugehen. Wer zudem noch tendenziell Angst vor Veränderungen hat, ist selten in der Lage, gute Entscheidungen zu treffen.
Aber ist diese Idee wirklich nicht umsetzbar? Oder haben wir sogar viele der Steuerelemente, die in der eben erlebten Zukunft für ein besseres Leben sorgen, schon heute in der Hand, und es ist uns nur noch nicht klar?
In unserer Utopie werden Menschen belohnt für das richtige, weil klimagerechte Verhalten. So simpel diese Idee klingt, so schwer fällt es uns aktuell noch, sie zu realisieren. Tatsächlich gibt es ja bereits eine Art Belohnungssystem für weniger klimaschädliches Verhalten: Die sogenannte Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) verpflichtet fossile Unternehmen, ihren CO2-Ausstoß jährlich zu mindern. Das Bundesumweltministerium bezeichnet diese in Sachen Verkehr sogar als das zentrale Instrument zur Förderung erneuerbarer Energien im Verkehr. Erreichen Unternehmen mit hohem fossilem Fußabdruck diese Quoten nicht, müssen sie sich – einem Ablasshandel gleich – freikaufen, mittels sogenannter Emissionszertifikate. Und die werden dann unter anderem an Elektroautobesitzer*innen ausgegeben, weil diese lokal CO2-frei fahren. Hier gibt es seit 2021 für Elektroautofahrer*innen die Möglichkeit, das eingesparte CO2 über Vermittler an z.B. Mineralölfirmen zu verkaufen. Die Prämie bringt diesen Autofahrer*innen mehrere Hundert Euro im Jahr. So ist Tesla von Beginn an mit vollelektrisch betriebenen Pkw unterwegs und macht einen großen Teil seiner Gewinne mit dem Verkauf dieser Zertifikate an weiterhin fossil betriebene deutsche Autokonzerne. 2024 findet sich auf der Tesla-Webseite folgender Hinweis: »Die Regierung weist Elektrofahrzeugbesitzern jährlich einen festen Betrag an CO2-Gutschriften zu. Um die Gutschriften einzulösen, müssen Besitzer von Elektrofahrzeugen ihre Gutschriften auf ein Unternehmen übertragen. Für 2024 bieten wir die Option an, diese Gutschriften gegen 3000 Supercharger-Kilometer über zwölf Monate einzutauschen. Dieser Bonus kann sich von Jahr zu Jahr ändern. Das Programm gilt für alle in Deutschland registrierten Einwohner – eine deutsche Staatsbürgerschaft ist nicht erforderlich.«[1]
Fußgänger*innen und Radfahrer*innen, die naturgemäß noch weit weniger Emissionen verursachen als E-Pkw, gehen heute noch ebenso leer aus wie die Nutzenden von Nah- und Fernverkehren.
Warum ist das so? Na ja, das ist wohl eher eine rhetorische Frage. Natürlich belohnt eine Autofahrer*innen-Nation Menschen mit Pkw, wo sie nur kann, und nimmt andere Formen der persönlichen Mobilität gar nicht ernst. Und genau das müssen wir ändern, zeitnah, denn das Fenster der Möglichkeiten, aktiv zu transformieren, schließt sich. Und nichts ist unangenehmer als unfreiwillig transformiert zu werden.
In unserer Geschichte hat sich eine App durchgesetzt, die Anreize in den Momenten setzt, in denen die Nutzer*innen mobil sind. Was unterscheidet diese Echtzeitsimulation von heutigen Systemen, die ähnliche Mechanismen zu nutzen versuchen?
Viele aktuelle Maßnahmen, die klima- und damit zukunftsfreundliche Mobilität ankurbeln sollen, muten aktuell eher noch wie temporäre Abstinenzgemeinschaften jener an, die im Dry January mal keinen Alkohol trinken, ansonsten aber fröhlich weitersaufen. (So zum Beispiel »Stadtradeln«, wo Betriebe, Vereine und Einzelpersonen in einer bestimmten Zeit möglichst viele Fahrradkilometer sammeln und im freundlichen Wettbewerb für eine bestimmte Zeit gegeneinander antreten. Oder Selbsthilfegruppen jener, die bereits dem eigenen Auto abgeschworen haben, beruflich »mit dem Rad zur Arbeit – mdRzA« pendeln und zur Auffindbarkeit ihrer Wege ebenjenen Hashtag nutzen.) Das Erste sind sehr begrenzte Schicksalsgemeinschaften, aus denen viele wieder aussteigen, das Zweite sind bereits Überzeugte, die daher nicht erneut adressiert werden müssen.
Es liegt uns fern, diese Maßnahmen kleinzureden. Die Lage im Verkehrssektor ist in Sachen Zielerreichung allerdings derart prekär, dass uns solcherlei Feelgood-Aktionen nicht weiterhelfen, sondern es aller irgendwie möglichen Anstrengungen bedarf, überhaupt mal auf den Zielkurs der Dekarbonisation (in Worten Null CO2 verursachen) zu kommen. Im Mai 2024 warnte der Think Tank Agora Verkehrswende ungewohnt scharf in einer Studie davor, dass jedwedes Nichthandeln in diesem Problemsektor bis 2030 Mehrkosten von 500 Milliarden Euro und bis 2045 Mehremissionen von rund 590 Millionen Tonnen CO2 im Verkehr verursachen wird.
500 Milliarden Euro Kosten dafür, dass wir weiterhin so viele Fossilien verbrennen, um unterwegs zu sein. Das ist eine Strafe, und als solche ist sie auch gemeint.
Warum 2030? Weil sich Deutschland 2024 von den sogenannten Sektorzielen verabschiedete. Diese waren Basis des Klimaschutzgesetzes von August 2021. Die deutsche Klimapolitik ist zudem eng mit den Klimaschutzprozessen der Europäischen Union sowie der UNO verknüpft. Das Ziel in diesem bundesdeutschen Gesetz: Die Emissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent und bis 2040 um mindestens 88 Prozent zu senken, gegenüber dem als Vergleichswert gewählten Jahr 1990. Zudem galten in den Sektoren von Verkehr über Industrie und Landwirtschaft bis hin zu Gebäuden bis 2030 zulässige Jahresemissionsmengen. Das alles wurde nun ab 2024 nicht mehr gekennzeichnet, entließ damit den Bundesverkehrsminister aus seiner direkt nachweisbaren Verantwortung, die vereinbarten CO2-Minderungsziele datumsgerecht zu erreichen. Zuvor hatte Volker Wissing diese mehrfach in Folge deutlich verfehlt. Das hätte ihn eigentlich dazu verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen, das schnell Abhilfe schafft. Stattdessen wurde lieber eine Tarnkappen-Vereinbarung getroffen: Wenn ein Sektor die vorgeschriebenen Klimaziele verfehlt, kann er das nun durch den Erfolg in anderen Bereichen ausgleichen, da nur noch die Gesamtbilanz zählt. Politik im Blindflug. Das ist ein wenig so, als würde eine Läuferin einer 4-mal-400-Meter-Staffel ihren Kolleginnen sagen: Ich laufe nur 200 Meter, ihr seid ja zu dritt und könnt die fehlende Strecke untereinander aufteilen, dann haben wir zusammen auch 1600 Meter und darum geht es ja!
Quatsch, oder? Daher ist der Wegfall der Sektorenziele auch von Wissenschaftler*innen deutlich gerügt worden.
Kleiner Exkurs: Der Verkehrssektor darf im Jahr 2030 noch 85 Millionen Tonnen CO2 verantworten. Aus der Perspektive 2024 bedeutet das: Um das Klimaziel für 2030 noch zu erreichen, müssten die Emissionen 14-mal (!) so schnell sinken wie bisher. Und das Umweltbundesamt attestierte: Wäre 2024 ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen und 80 km/h außerhalb von Ortschaften eingeführt worden, wäre bis 2030 eine Einsparung von 47 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten möglich gewesen, die gleiche Ersparnis die drei Millionen Elektrofahrzeuge bringen. Neben positiven Effekten für Emissionen, Gesundheit und Ressourcenverbrauch sind sogar 55 Prozent der ADAC-Mitglieder dafür. Der Verkehrsminister aber war dagegen.
Hätte, hätte – nicht umsonst heißt es: Fahrradkette, steckt in diesem Verkehrsmittel doch auch jede Menge Potenzial zum positiven Impact. Doch dazu später.
Es ist eigentlich immer so, dass pure Vernunft allein nicht siegt. Das haben wir jetzt seit Jahrzehnten versucht. Zunächst hatte die Öllobby selbst herausgefunden, wie giftig ihr Geschäft ist, um diese Erkenntnis dann zu verschleiern und mit dem CO2-Fußabdruck zu individualisieren oder, wie noch 2023 geschehen, mit Hilfe von Spenden durch Kraftstofflobbys Zugriff auf Parteien zu nehmen.
Wenn also Vernunft nicht hilft, warum sollten wir dann nicht auf den Spaßfaktor setzen, der auch sonst in unserer Gesellschaft eine so große Rolle spielt? Durch den Spieltrieb der sogenannten Early Adopter, also experimentierfreudigen Menschen, die offen für Neues sind und keine Hemmungen haben, dafür auch Gewohntes über Bord zu werfen, kann im besten Fall eine Welle der Veränderung losgetreten werden, die alle ansteckt – wenn dafür die richtigen Instrumente und Kommunikationsmittel zum Einsatz kommen. Kurz: wenn das Neue Spaß macht – oder Geld bringt!
Gamification kommt schon jetzt in vielen Bereichen der Gesellschaft zum Einsatz, etwa um Lernen zu fördern, Verhaltensroutinen zu durchbrechen und Anreize zu bieten, das Richtige zu tun, in unserem Fall also: den eigenen Mobilitätslifestyle zu dekarbonisieren.
Ja, Sie haben völlig recht: Bitte nicht die Verantwortung auf die individuelle Ebene verlagern! Das ist auch gar nicht das Ziel, die Verantwortung trägt vorschriftsgemäß die Politik, indem sie hier die richtigen Rahmenbedingungen schafft, die aber nun endlich jene belohnen, die klimafreundliche Mobilität praktizieren – oder auf überflüssige Wege verzichten. Weil ihnen bewusst ist, dass es klima- und auch auf vielen weiteren Ebenen ungerecht ist, fünf Tage auf die Malediven zu fliegen, nur weil es möglich ist. Von diesen sich ihrer eigenen Verantwortung bewussten Menschen gibt es schon jetzt sehr viele, sie haben jedoch keine geeinte Lobby – und sie sind teilweise auch selbst nicht imstande, sich als Gemeinschaft zu fühlen, weil sie sich – wie von Autoindustrie und Verkehrspolitik vielleicht auch gewünscht – über die verschiedenen Lager von Fußgänger*innen über Radfahrende zu Behinderten und Jugendlichen hinweg nicht auf das Einende besinnen: die Ablehnung des belastenden Lebens in einer autozentrierten Welt.
Die, die jetzt schon das Richtige tun, machen das meist entweder aus intrinsischer Überzeugung – oder aus Mangel an Geld, weil Autos für sie unerschwinglich sind. Denn auch das gehört zur Wahrheit: 2023 kostete der durchschnittliche Neuwagen 44000 Euro, was sich auch auf den darauf aufbauenden Gebrauchtwagenmarkt auswirkt. Menschen in Armut kaufen natürlich keine neuwertigen Autos, aber selbst ein stark gebrauchter Wagen ist aufgrund von Reparaturen und den laufenden Kosten ein finanzielles Risiko, zu dem eine Gesellschaft niemanden zwingen sollte, es faktisch aber mangels Alternativen tut.
Mobilitätsforscher Andreas Knie sagt: »In den großen Städten gilt die Regel: Je geringer das Haushaltsnetto, umso weniger Autos gibt es.«[2] Unter 1500 Euro Haushaltseinkommen habe in Berlin praktisch niemand mehr ein Auto. Das bestätigte 2019 eine Studie der Marktforschungsagentur infas für das Bundesverkehrsministerium: Arme Menschen haben nicht nur seltener einen Pkw, sie sind insgesamt weniger mobil. Wenn sie doch ein Auto besitzen, nutzen sie es seltener. Laut einer Berechnung der Mobilitätsberatung Experi gibt es in den wohlhabendsten Kiezen doppelt so viele Autos pro Kopf wie in den ärmsten.
Wie wäre es nun, wenn wir genau diese Menschen belohnen? Wie wäre es, wenn Menschen, die bisher hauptsächlich aus Armut das Richtige tun, für dieses Verhalten in Zukunft Geld erhielten und dadurch sogar weniger arm wären? Und wie wäre es, wenn wir die Menschen, die in ihrem Leben aus Überzeugung per Rad, zu Fuß oder per ÖPNV unterwegs sind, belohnen? So richtig mit Geld?
Aber auch das Verhalten der Menschen, die zuvor noch für jeden kurzen Weg ins Auto stiegen, ließe sich mit so einem Instrument verändern. Gamification-Untersuchungen zeigen: Der Wettbewerb mit anderen aus der eigenen Peergroup oder auch völlig Fremden ist für viele ein großer Anreiz mitzumachen. Und im Gegensatz zum Starren auf den sogenannten persönlichen CO2-Fußabdruck – der bekanntlich von der Öllobby eingeführt wurde, um uns alle mit uns selbst zu beschäftigen und nicht Wirtschaft und Politik in die Verantwortung zu nehmen –, macht dieses Spiel kein schlechtes Gewissen gegenüber einer scheinbar unlösbaren Aufgabe, sondern Lust auf Aktion. Während der Fußabdruck von außen oktroyiert wird, spräche so eine App etwas intrinsisch Motiviertes an, das im Belohnungssystem die Dopamin-, Serotonin- und Endorphin-Ausschüttungen in Fahrt bringt, was auf Dauer zu einer spaßgetriebenen Veränderung des Verhaltens führt.
Es gibt solche Apps schon; etwa für die Einkaufsberatung gesunder Lebensmittel oder um Plastikmüll zu vermeiden, weniger Zucker zu sich zu nehmen oder täglich 10000 Schritte zu gehen. Gamification sorgte schon früher für positive Verhaltensänderungen, so kenne ich z.B. Menschen, die noch eine Runde ungeplant spazieren gehen, um sich am Tagesende das beruhigende Brummen der Smartwatch abzuholen (»du hast dein heutiges Trainingsziel erreicht«) oder auch auf dem Rad die Alster abends mehrfach umrunden, weil in der Rad-App angezeigt wird, dass Kumpel Fred sieben Kilometer vorne liegt, weil er am Wochenende auf Radreise war. Warum also sollten solche freundlichen und fröhlichen Tools nicht auch in Sachen Mobilität dazu beitragen, eine bessere Gesellschaft zu schaffen? »Wenn du heute noch einen Spaziergang von 25 Minuten machst, könntest du am Wochenende mit dem Wagen vom Carsharing an der Nordsee einen sonnigen Tag verbringen!«
Aber wie könnte man mit so etwas wie der »Bestmover«-App anfangen? Nicht Wirtschaftsunternehmen, nicht Soziale Netze und auch nicht E-Auto- oder ÖPNV-Anbieter müssten solch eine App launchen, sondern die Bundesregierung, und zwar von Anfang an als Open-Source-Projekt, also völlig transparent in der Funktionsweise, um das Misstrauen der Nutzer*innen zu minimieren.
Eine ambitionierte Nachfolgeregierung der klimatechnischen Blindflug-Auslöser der Ampelkoalition müsste den Verkehrssektor nicht nur endlich wie z.B. in Österreich in ein Klimasuperministerium einsortieren, das dann wiederum radikal auf Einhaltung der zuvor geradezu ignorant behandelten Ziele vom Pariser Klimavertrag und dem eigenen Klimaschutzgesetz achtet.
Woher aber das Geld nehmen für die Ideen, die in der Utopie geschildert worden sind? Geld ist da! Und so bekommen wir es frei: Abschaffung von Diesel- und Dienstwagenprivileg, Pendlerpauschale, Einpreisung der Folgekosten von Autoverkehr in das Autosystem anstatt in die gesellschaftliche Kasse. Kurz: Was für die Gesellschaft teuer ist, soll endlich für die Verursacher teuer werden und nicht mehr von allen Steuerzahler*innen subventioniert werden.
Ja, aus gewissen Kreisen der Bevölkerung wird es einen Aufschrei geben, doch darüber hinaus könnte mit Hilfe einer transparenten, humorvollen und bürger*innennahen Kommunikationskampagne die genannten Subventionen endlich als das entlarvt werden, was sie sind: Zuschüsse für Besserverdiener*innen!
Soziale Härten könnten zudem durch die Zahlung eines pauschalen Klimageldes ausgeglichen werden. Denn eines ist klar: Weiteres Zögern würde zu millionenschweren Klimaschulden des Verkehrssektors und somit Steuerlast für alle führen.
Wir reden hier nicht über Kleingeld: Durch solch ein Ende der Autosubventionen würden dreistellige Milliardenbeträge pro Jahr frei! Echtes Vermögen, das für den Ausbau von Nah- und Fernverkehr, großartige, unterbrechungsfreie Radwege, sichere Aufenthaltsorte an Bahnhöfen und Haltestellen und vielen weiteren Großartigkeiten sorgen kann.
Einmal umgeschichtet, würde es zu einem regelrechten Boom kommen, der die menschenzentrierte Mobilität zu einem Gemeinschaftsprojekt aller, inklusive den zuvor Ausgeschlossenen und Benachteiligten macht. Einzige Voraussetzung: politischer Wille.
