Pilgern mit Herz und Seele - Irene Skerbs - E-Book

Pilgern mit Herz und Seele E-Book

Irene Skerbs

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Beschreibung

Gertrud nimmt auf dem 262 Kilometer langen Jakobsweg von Salas nach Santiago ihre Leser mit in die Vergangenheit. Mit fast 70 Jahren bezwingt sie in einer vierköpfigen Gruppe einen Mammutweg und verarbeitet dabei schwere familiäre Schicksale. Es wird eine Reise in die Tiefe der Seele.

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Pilgern mit Herz und Seele

Irene Skerbs

Alle Rechte, insbesondere auf digitale Vervielfältigung, vorbehalten.Keine Übernahme des Buchblocks in digitale Verzeichnisse, keine analoge Kopieohne Zustimmung des Verlages.Das Buchcover darf zur Darstellung des Buches unter Hinweis auf den Verlag jederzeit frei verwendet werden.Eine anderweitige Vervielfältigung des Coverbildes ist nur mit Zustimmung des Verlages möglich.

Die Fotos Buchblock sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nur mit Zustimmung der Autorin verwendet werden.

www.net-verlag.deErste Auflage 2020© Text: Irene Skerbs© net-Verlag, 09125 Chemnitz© Coverbild: 123RFCovergestaltung, Lektoratund Layout: net-VerlagFotos: Irene Skerbsprinted in the EUISBN 978-3-95720-276-5eISBN 978-3-95720-277-2

Die Zeit vergeht, das gesprochene Wort aber bleibt.

Leo Tolstoi

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der Weg ist das Ziel

Der erste Wandertag von Salas nach Tinea

Tineo über Campiello o Borres nach Pola de Allande

Von Pola de Allande nach Berducedo

Von Berducedo nach Grandas de Salime

Von Grandas de Salime nach A Fonsagrada

Von A Fonsagrada nach Cadávo

Von Cadavo über Costroverde nach Lugo

Von Lugo nach Palas de Rei

Von Palas de Rei über Melide nach Arzúa

Von Arzua nach Santiago de Compostela

Über die Autorin

Vorwort

»Versteckt in den Bergen Asturiens und Galiciens, verborgen wie ein Geheimnis, das man nur wenigen Freunden preisgibt, führt der Camino Primitivo, der älteste aller Pilgerwege, von Oviedo Richtung Santiago. Er wird nie mit dem Ruhm und den Pilgerzahlen des Camino Francis und den meisten anderen Nebenwegen konkurrieren können, denn er ist für die Pilger vorbehalten, die bereit sind, die Mühen des wohl härtesten Jakobsweges auf sich zu nehmen.

[… ]

Auch wenn der Camino Primitivo sicher ein körperlich sehr fordernder Weg ist, ermöglichen eine gute Kennzeichnung und ein inzwischen lückenlos ausgebautes Netz an Herbergen nicht nur einer sportlichen Elite, diesen Weg zu erleben. ›Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg‹ - und wer sich mit diesem Weg messen will, der kann erleben, was es heißt, Berge zu bezwingen.

Der Primitivo endet aber nicht dort, wo die faszinierende Berglandschaft Asturiens und Galiciens ihr Ende nimmt, es geht weiter über die grünen Hügel Galiciens bis nach Santiago und für manchen noch weiter zurück in die Einsamkeit des Weges von Santiago bis an den Atlantik zum Kap Finisterre.«

Raimund Joos

(Quelle: »Spanien: Jakobsweg Camino Primitivo« von Raimund Joos, Conrad Stein Verlag)

Der Weg ist das Ziel

Eigentlich sollte man in meinem Alter ruhiger werden. Mit achtundsechzig Jahren hat man sein halbes Leben, »großzügig betrachtet«, hinter sich, und, wenn es gut läuft, noch ein paar gute Jahre vor sich. Sollte ich diese Jahre vertrödeln?

Nein, nicht ich. Ich suchte schon immer eine Herausforderung, hatte schon immer den Drang, alles auszuprobieren. Ich wollte bloß nichts versäumen.

Diese Unruhe, die mich treibt. Mach was, was dich fordert, geh’ den Jakobsweg!

Lässt sich diese Unruhe auf meine Kindheit zurückführen? Aber so schlimm war sie doch gar nicht.

Ich bin 1950 in einem kleinen Ort in Polen geboren, vier Jahre später meine Schwester Silvia und sieben Jahre später meine Schwester Mia.

Viele Jahre später kam dann noch mein Bruder David zur Welt. Meinen Namen habe ich von meiner Oma mütterlicherseits. Nichts gegen meine Oma, aber ich konnte den Namen Gertrud nicht leiden, und so nannte ich mich heimlich Ann-Kathrin. Am liebsten wäre ich aber wie Pippi Langstrumpf im Buch von Astrid Lindgren gewesen. Pippi war so stark und hatte vor nichts und niemandem Angst. Es ist nur eine Geschichte, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich es damals schon so gesehen habe.

Ich war sechs Jahre alt und hatte Angst. Meine Freunde spielten oft mit meiner Angst. So sagten sie oft, dass es gleich ein starkes Gewitter gäbe oder Morgen die Welt untergehe. Daraufhin rannte ich heulend nach Hause, um mich in einer kleinen Ecke zu verstecken. Sie hatten ihren Spaß, und ich brauchte lange, um ihnen auf die Schliche zu kommen.

Ich weiß nicht genau, woher meine Angst kam. Vielleicht lag es daran, weil wir so arm waren. Da will man nicht das Bisschen, das man hat, auch noch verlieren.

Ansonsten waren die ersten Jahre meiner Kindheit schön. Ich wurde von meinen Tanten und Onkel mütterlicherseits behütet und verwöhnt, bekam immer zu hören, was für ein hübsches Kind ich sei. Schneeweiße Locken und braune Augen – eins der sieben Weltschönheiten, sagten alle. Da glaubte ich es noch.

Meine Oma mütterlicherseits war eine freundliche, bescheidene Frau, aber meinen Opa liebte ich. Er war Tischler und baute für uns die schönsten Tische und Schränke. Außerdem war er leidenschaftlicher Angler, und ich kannte durch ihn fast jede Fischart.

Eines Tages war mein Opa vom Angeln auf dem Heimweg, da zog ein Gewitter auf, und der Blitz schlug direkt in seine Angelrute. Er war auf der Stelle tot.

Ich träumte jahrelang davon, aber irgendwann ließ die Häufigkeit der Träume nach, und ich fand meinen Frieden wieder.

Im Alter von sieben Jahren wanderte ich mit meinen Eltern und meinen beiden Geschwistern von Polen nach Deutschland aus. Ich verstand damals nicht warum. Da, wo wir damals lebten, war es doch schön. Da war mein Zuhause, da wohnten meine Freundinnen. Meine Mutter erklärte es mir dann so: »Die Familie deines Vaters lebt in Deutschland, und daher will dein Vater unbedingt auch nach Deutschland. Er hat Heimweh nach seiner Familie.«

»Aber er hat doch uns, wir sind seine Familie. Was ist mit deiner Familie, Mutter, die wir hier zurücklassen? Vielleicht sehen wir sie nie wieder! Was soll ich in einem Land, dessen Sprache ich nicht spreche?«, entrüstete ich mich.

So fuhren wir nach Deutschland und zogen von Stadt zu Stadt, immer in ein anderes Lager. Die Zimmer der Lager waren stets durch Decken geteilt, jede Familie erhielt ein Zimmer, egal, aus wie vielen Personen sie bestand. Richtige Wände gab es keine. So bekamen wir alles von unseren Nachbarn mit, was wir nicht unbedingt wissen wollten.

»Aber wir bleiben ja nicht lange«, sagte meine Mutter immer. »Die Familie deines Vaters wird uns bald zu sich holen.«

Was nicht geschah, denn eigentlich wollte uns die Familie meines Vaters gar nicht.

Mein Vater wurde lungenkrank und musste ins Krankenhaus, danach zur Kur. Leider konnten wir ihn zum einen wegen der Ansteckungsgefahr und zum anderen, weil meine Mutter das Geld für die Fahrkarten nicht aufbringen konnte, nicht besuchen.

Rückblickend war es tatsächlich so gewesen, dass meine Mutter immer alles organisiert und erledigt hatte; mein Vater war ja nie da gewesen.

Wir zogen von Ort zu Ort und mein Vater von Klinik zu Klinik.

Heute frage ich mich oft, wie meine Mutter das alles alleine mit uns Kindern geschafft hat.

Bei meiner Einschulung in Deutschland in die erste Klasse sprach ich bis auf »Danke« und »Bitte«, kein Wort Deutsch. Trotzdem schaffte ich die Versetzung in die zweite Klasse. Ich hatte zwar keine Eins oder Zwei auf dem Zeugnis, aber die Hauptsache war, dass ich es geschafft hatte. Sicherlich war es der Verdienst meiner Mutter, sie sprach, wenn es möglich war, nur noch Deutsch mit uns Kindern, und so war uns die Sprache schon bald nicht mehr fremd.

Das Polnische verblasste dadurch allerdings, was im Nachhinein betrachtet schade ist.

Ich hatte viele Freundinnen in meiner Klasse, obwohl mein Deutsch noch erweiterungsfähig war. Vielleicht wollten die Mädchen mir daher helfen, aber vielleicht lag es auch daran, dass ich so ungemein ehrlich war. Bei mir gab es keine Lügen, kein Schummeln oder sonstigen Betrug!

Das legte ich erst in der dritten Klasse etwas ab. Ich lernte, dass ich mit etwas Schummeln oder dadurch, dass ich die Sache anders umschrieb, weiterkam, als wenn ich immer bei der Wahrheit blieb.

Fern der Heimat!

Wenn dein unruhig’ Herz dich treibt, von Land zu Land zu ziehen, Dann lass mich dich begleiten wie ein unsichtbares Band, und kommt der Tag, wo du dich verloren fühlst, greife nach dem Band, es führt dich in die Heimat zurück.

»Sind das die ersten Anzeichen, mein Leben in Abschnitten zu sehen? Bin ich anders, als ich mich selber sehe?«, frage ich mich. Die guten und die schlechten Tage. Warum fange ich mit den schlechten Tagen an? Wo sind meine guten Tage? Worum geht es im Leben?

Viele Fragen, keine Antwort.

Ein französisches Sprichwort sagt, jede Entscheidung werde im Zweifel getroffen, und das ist auch gut so. Dessen muss man sich aber bewusst sein. Sollte ich nicht mit dem Sinn des Lebens anfangen oder dem Glauben an Gott? Aber ich glaube, das mache ich gerade; ich beginne, über den Sinn meines Lebens nachzudenken. Es wird Zeit für mich, den Jakobsweg zu gehen.

Es ist eine organisierte Reise des Reiseveranstalters Rad- und Wandertouren. Was ich weiß, ist, dass wir zu viert den Jakobsweg bestreiten werden. Drei weibliche und ein männlicher Teilnehmer. Wir werden uns das erste Mal am Düsseldorfer Flughafen begegnen. Ich hoffe, das Zwischenmenschliche passt, und wir harmonieren als Gruppe.

Vorbereitet hat sich jeder für sich alleine. Hoffentlich. Es wäre dumm, unvorbereitet loszupilgern, da wir an manchen Tagen bis zu 35 Kilometer zurücklegen müssen.

Ich höre meine Freundinnen schon sagen: »Meine Güte, den Jakobsweg, den geht doch mittlerweile jeder!«

Mag sein, aber mein Weg wird anders sein, das spüre ich. Eine Herausforderung. Von Salas nach Santiago, 282 Kilometer.

Zugegeben, wir nehmen in Spanien einen Koffertransfer in Anspruch, das heißt, mein Koffer wird jeden Tag in den Ort und das Hotel gebracht, wo wir übernachten werden. Daher kommt in meinen Rucksack immer nur das rein, was ich für den Tag über benötige. Das lässt sich der Veranstalter gut bezahlen.

Wochen vorher stellte ich mir immer wieder die Frage: »Fliege ich, oder fliege ich nicht? Soll ich doch lieber mit der Bahn oder mit dem Reisebus nach Spanien fahren?« Wer unter Flugangst leidet, versteht mich und kennt diese immer wiederkehrenden Fragen. Aber bis nach Spanien – will ich da zwei Tage mit Bus oder Bahn unterwegs sein? Diese Zeit fehlt mir dann für den Jakobsweg. Daher bleibt nur das Flugzeug.

Schon sträuben sich meine Nackenhaare. Alleine das Wort Fliegen erzeugt bei mir Schweißausbrüche.

»Stell dich nicht so an!«, sagt mein Rudi. »Alle Leute fliegen, sogar bis zum Mond. Da wirst du doch wohl diese drei Stunden überstehen.«

»Ja, sicherlich«, sage ich, »aber wie?« Ich könnte bei der Lufthansa buchen und darauf hoffen, dass zum Zeitpunkt meines Fluges rechtzeitig gestreikt wird und er ausfällt. Ich könnte einmal in der Woche zum Flughafen fahren, und die Starts und Landungen der Flieger beobachten, um mich so langsam darauf vorzubereiten. Zeit genug hätte ich ja.

Oder ich könnte mir gar im Internet die Wartungen der einzelnen Fluggesellschaften ansehen, Start, Landung, Absturzquote.