Planetenroman 11: Tod über Derogwanien - Achim Mehnert - E-Book

Planetenroman 11: Tod über Derogwanien E-Book

Achim Mehnert

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Beschreibung

Rückkehr zur Heimat des Mächtigen - der Mann mit der Maske im Bann des Bösen Im ersten Jahrhundert der Neuen Galaktischen Zeitrechnung: Alaska Saedelaere, der Mann mit der Maske, sucht nach neuen Herausforderungen, nach einem neuen Sinn in seinem Leben. Nach all den Geschehnissen von kosmischer Tragweite fühlt er sich geradezu erschöpft. Trotz allem winkt doch wieder ein kosmischer Auftrag - die geheimnisvolle Reise führt ihn ein weiteres Mal nach Derogwanien, der Rückzugswelt eines uralten Wesens. Dort entwickelt sich die Zivilisation der Puppen, eine Schöpfung des Mächtigen Ganerc, in eine unheilvolle Richtung. Die Puppen geraten in den Bann einer bösartigen Macht. Saedelaere will eingreifen und helfen, doch die Puppen nehmen ihn gefangen. In einer uralten Fabrik und in einer Trugwelt muss der Terraner um sein Überleben ringen. Verbissen sucht er eine Zukunft für ein seltsames Volk - und gleichzeitig braucht er die Chance, zur Erde zurückkehren zu können ...

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Planetenroman

Band 11

Tod über Derogwanien

Rückkehr zur Heimat des Mächtigen – der Mann mit der Maske im Bann des Bösen

Achim Mehnert

Im ersten Jahrhundert der Neuen Galaktischen Zeitrechnung: Alaska Saedelaere, der Mann mit der Maske, sucht nach neuen Herausforderungen, nach einem neuen Sinn in seinem Leben. Nach all den Geschehnissen von kosmischer Tragweite fühlt er sich geradezu erschöpft.

Trotz allem winkt doch wieder ein kosmischer Auftrag – die geheimnisvolle Reise führt ihn ein weiteres Mal nach Derogwanien, der Rückzugswelt eines uralten Wesens. Dort entwickelt sich die Zivilisation der Puppen, eine Schöpfung des Mächtigen Ganerc, in eine unheilvolle Richtung. Die Puppen geraten in den Bann einer bösartigen Macht.

Alaska Saedelaere ist das, was viele einen »kosmischen Menschen« nennen. Kaum ein Mensch, die anderen Unsterblichen eingeschlossen, hat so viel von den Geheimnissen des Kosmos gespürt wie er – und kaum ein Mensch, wiederum unter Einbeziehung der Zellaktivatorträger, ist dafür von der Öffentlichkeit so wenig beachtet worden.

Die Rolle, die der sogenannte Maskenträger in der Entwicklung der Menschheit gespielt hat, wird wohl nie ganz zu entschlüsseln sein. Immer wieder zog er sich für Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, aus der Öffentlichkeit zurück und begab sich an ferne Orte des Kosmos. Fast nie ließ er verlauten, wo er gewesen war und was er erlebt hatte.

Manchmal nur dringen, und dann mit deutlicher zeitlicher Verzögerung, Berichte über seine Aktivitäten fernab des galaktischen Rampenlichts an die Öffentlichkeit. Mehrere davon sind, in unterschiedlichem Ausmaße, in diese Ausarbeitung eingeflossen. Hingewiesen werden soll hier auf eine Episode aus dem ersten Jahrhundert der Neuen Galaktischen Zeitrechnung – eine Zeit, die letztlich die Grundlage all jener Geschehnisse bildete, die im dreizehnten Jahrhundert kulminierten.

Die ersten Jahre nach der Gründung der Kosmischen Hanse, die mit der Änderung der Zeitrechnung einhergingen, waren eine Zeit des Umbruchs, der Neuorientierung. Die Menschheit hatte zum ersten Mal einen tiefen Einblick in die wahren Strukturen des Kosmos erhalten, war auf die Kosmischen Burgen gestoßen und die Mächtigen, die im Auftrag der Kosmokraten mit ihren Sporenschiffen einst Leben im Universum hatten streuen sollen. Diese Erweiterung des Weltbildes war für viele nicht einfach zu verarbeiten.

Hinzu kam, dass die Ereignisse auch zu schmerzhaften Verlusten unter den Zellaktivatorträgern geführt hatten. Hervorzuheben ist hier insbesondere, dass Perry Rhodan seinen besten Freund, Atlan, als verloren ansehen musste. Dieser hatte sich auf Wunsch der Kosmokraten hinter die Materiequellen begeben, um dort Aufgaben nachzugehen, die fernab des menschlichen Vorstellungsvermögens lagen.

Der vorliegende Bericht ist somit auch über seinen Wert einer »verschollenen Saedelaere-Episode« von Interesse, da er dem Chronisten einen seltenen Einblick in die Gefühlslage Perry Rhodans während dieser schwierigen Zeit liefert.

Prolog

Einmal im Jahr, wenn das Land von Schnee bedeckt ist, kommen alle Puppen zum erloschenen Zeitbrunnen herauf. Sie bilden einen großen Kreis und ergreifen sich gegenseitig an den Händen. Einem heimlichen Beobachter würde es vorkommen, als starrten diese Puppen in die dunkle Senke. Oft erscheint es dann, als würde es im Zentrum des Brunnens schwach zu leuchten beginnen.

Die Puppen rücken dann enger zusammen und erheben ihre Stimmen wie ein einziges Wesen.

»Kemoauc!«, rufen sie dann. »Kemoauc!« Der Wind treibt den Ruf den Hang hinab und über die Dächer der Stadt, ohne dass es eine Antwort gibt. Jahr für Jahr erklingt dieser Ruf, und jedes Mal erscheint er ein bisschen leiser und trauriger.

Nach einer Weile lösen sich die Gruppen wieder auf und steigen den Hang hinab, um in die Stadt zurückzukehren.

Derogwanien ist ein einsamer Planet, irgendwo abseits in den Spiralarmen einer kleinen Galaxis. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Welt einst von einem Raumfahrer entdeckt und besucht wird, ist so gering, dass sie eigentlich keine Erwähnung verdient hätte.

Ab und zu verlässt eine der Puppen die Stadt und begibt sich zum Fluss. Als folge sie einem inneren Zwang, steigt sie ins Wasser und treibt davon, bis sie untergeht und ertrinkt. Langsam stirbt auf diese Weise die Bevölkerung der Stadt, denn es gibt hier keine nachfolgenden Generationen.

Kapitel 1

Ein paar Straßen weiter stand ein ganzer Häuserblock in Flammen. Das Feuer breitete sich weiter aus. Die automatischen Löscheinrichtungen funktionierten nicht mehr. Niemand war da, der den Brand in einem früheren Stadium hätte von Hand löschen können. Bei der Intensität, die er mittlerweile erreicht hatte, wäre das ohnehin unmöglich gewesen.

Alaska Saedelaere verzog in einer Mischung aus Wut und Zufriedenheit das Gesicht. Selbst wenn ein Beobachter da gewesen wäre, hätte er sein Mienenspiel nicht verfolgen können. Es war ebenso wie das lebensbedrohende Cappinfragment auf Saedelaeres Gesicht unter einer Spezialmaske verborgen.

Der Maskenträger stand auf dem Dach eines Hochhauses und spähte nach unten. Mit lautem Getöse preschte auf der von Granattrichtern übersäten Straße ein altmodischer Panzer vorbei, wahrscheinlich auf der Suche nach einem Gegner, den er beschießen konnte. Aus dem Häuserblock gegenüber drangen Stimmen herüber. Aber sosehr er sich auch anstrengte, sie zu verstehen, blieben sie doch nichts weiter als unverständliche Schreie.

Plötzlich fauchten Schüsse übers Dach. Eine Maschinengewehrgarbe hämmerte rechts von Alaska in die Wand und ließ die Verkleidung aufspritzen.

Saedelaere reagierte instinktiv. Er ließ sich fallen und rollte sich ab, kroch ein Stück weiter und warf sich hinter einen Mauervorsprung. Die nächste Garbe fauchte dort entlang, wo er vor drei Sekunden noch gestanden hatte. Sie hätte seinen Oberkörper zerfetzt.

Runter vom Dach!, machte er sich klar. Er kroch zu einem Loch und ließ sich mit den Beinen zuerst hinab. Nur dank der Tatsache, dass er über eine ausgesprochen hagere Gestalt verfügte, passte er ganz hindurch. Er ließ sich fallen und kam drei Meter tiefer auf.

Von oben hörte er Motorengeräusche. Sie hatten ihn ausgemacht und schickten einen Shift, der über dem zerbombten Gebäude kreiste. Alaska rannte zu einer der Nottreppen und hoffte, dass sie bis unten passierbar war. Sämtliche Antigravschächte und Lifts waren längst ausgefallen. Die Treppe sah gut aus. Er nahm immer mehrere Stufen auf einmal, wobei er darauf achten musste, nicht über umherliegende Trümmer zu stürzen.

Dann brach über ihm die Hölle los. Es gab eine gewaltige Detonation. Im nächsten Moment wurde eine Außenmauer des oberen Stockwerkes von einer Druckwelle nach innen gedrückt, raste durch die gesamte Etage und wurde schließlich auf der anderen Seite des Gebäudes nach draußen geschleudert. Hinter dem Maskenträger flog Schutt die Treppen hinunter. Putz und Staub holten ihn ein und vernebelten die Wirklichkeit um ihn herum. Sekundenlang sah er die Hand vor Augen nicht, setzte aber seinen Abstieg unbeirrt fort. Dann traf ihn der Schutt im Rücken und riss ihn mit nach vorne.

Alaska versuchte sich dagegenzustemmen, doch die Wucht trieb ihn einfach mit sich. Ein wahnsinniger Schmerz entstand in seinem Rücken, und unterbewusst sah er das Bild seiner brechenden Wirbelsäule. Er riss die Arme nach oben und schlug hart auf den Ellenbogen auf. Er stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus und rappelte sich wieder hoch.

Es ist nur die Einbildung gewesen, sagte er sich. Tatsächlich war alles in Ordnung. Einige Minuten später war er unten. Ohne anzuhalten, stürmte er auf die Straße. Das Panzerfahrzeug war nicht mehr da, auch nicht der Shift. Niemand war auf der Straße.

Er wandte sich nach links und lief die pockennarbige Straße entlang. Hier und da spürte er Schmerzen, doch ihm war klar, dass sie nicht real waren. Dann erreichte er einen kleinen Platz. Er war leer, doch die Zerstörung war hier so vollständig wie an jeder anderen Stelle, die er passiert hatte. Keuchend hielt er inne und versuchte, hinter den leer gähnenden Fensteröffnungen Bewegungen auszumachen. Nichts!

In welche Richtung sollte er sich bewegen? Hinter ihm lagen Bauwerke, die ebenso zerfallen waren wie die, die er vor sich sah. Dass er bisher niemanden getroffen hatte, war keine Garantie, dass das so bliebe. Im Gegenteil – es durfte nicht so bleiben. Dazu war er nicht hergekommen. Er suchte die Konfrontation.

Er setzte sich wieder in Bewegung und überquerte mit weit ausholenden Schritten den Platz. Weiter vorne brannte etwas. Aus einem der Häuser drang dichter schwarzer Rauch und erhob sich wie eine undurchdringliche Wand über der Straße. Auch in seine Richtung trieb der schwache Wind vereinzelte Rauchfetzen. Bereits hier stank es fürchterlich.

Irgendwo dort vorne warteten sie auf ihn. Alaska war sicher, dass ihn sein in vielen Jahrhunderten erworbener Instinkt nicht trog. Er beschleunigte seine Schritte, bis er schließlich in die schwarze Wand eintauchte. Sein Wunsch, endlich auf sie zu treffen, wurde immer größer. Seine Begierde, sich mit ihnen zu messen, wuchs ins Unerträgliche.

In diesem Moment hatte er eine vage Ahnung von dem inneren Zwang, der einen Haluter überkam, wenn eine Drangwäsche fällig war. Nur dass er kein Haluter war. Er war ein Mensch, und er hätte sich nicht so von seinen Emotionen leiten lassen dürfen. Nicht er, nicht mit all seiner Erfahrung und all seinem Wissen, das er sich in seinem langen Leben erworben hatte. Und doch war es so. Er hatte sich das hier selbst ausgesucht, hatte nichts sehnlicher herbeigewünscht, als sich in einem Kampf, der aussichtslos schien, aufzureiben und sich im Rausch des Selbstvergessens zu verlieren.

Er konnte nur verlieren, das war ihm klar. Er trug nicht mal eine Waffe bei sich, mit der er sich würde verteidigen können. Doch auch das hatte er so geplant. Mit einem Strahler wäre alles zu einfach gewesen.

Dann war er mitten in der schwarzen Wand, und das Licht der Sonne schien verloschen. Quälend fraß sich der Rauch in seine Lungen und wollte kleine Stücke aus ihr herausreißen. Er hustete unterdrückt auf und versuchte, in der Schwärze etwas auszumachen.

Er spürte das Leben in seinem Gesicht und tastete mit fahrigen Fingern darüber, streichelte wie zärtlich seine Plastikmaske. Das Cappinfragment darunter machte sich zaghaft bemerkbar. Aus den Mund- und den Augenschlitzen drangen keine Blitze hervor, wie es in bedrohlichen Situationen oft der Fall war.

Dir droht keine wirkliche Gefahr, schien das Cappinfragment sagen zu wollen. Es hatte recht, und das Wissen um diese Tatsache beruhigte Alaska Saedelaere nicht etwa, sondern verärgerte ihn.

Er fluchte, weil es ihm nicht gelang, diesen Gedanken zu verdrängen. Die Situation ist wirklich, redete er sich ein, und wenn ich nicht höllisch aufpasse, werde ich sterben. Dabei wusste er, dass er nicht sterben konnte.

Im nächsten Moment durchstieß er die Rauchwand auf der anderen Seite und torkelte ins Freie. Der Qualm und die aus den zerborstenen Fenstern heraussengende Hitze des Feuers machten ihm stärker zu schaffen, als er sich vorgestellt hatte. Von einem plötzlichen Hustenanfall ergriffen, ging Alaska in die Knie. Der Rauch kratzte in seinem Hals und raubte ihm den Atem. Er warf den Kopf in den Nacken und schnappte nach Luft.

Was für einen lächerlichen Anblick musste seine hagere Gestalt bieten, wie er da auf den Knien lag und in den Himmel schaute. Ihm war, als sei er ein demütiger, bußbereiter Sünder, der auf Erlösung hoffte. Und das tat er tatsächlich. Seit Monaten war es bereits so, seit langer Zeit. Doch die Erlösung, die er erhoffte und von der er noch nicht einmal erahnte, wie sie aussehen sollte, kam nicht. So gab er sich in den dunklen Kammern der Einsamkeit, in denen er gefangen war, den Auseinandersetzungen hin. Mal dieser und mal einer anderen.

Er rappelte sich gerade auf, als ihn ein harter Schlag vor die Brust traf und zurückwarf. Alaska ließ sich seitlich fallen, rollte sich geschickt ab und war im nächsten Moment wieder auf den Beinen. Schon kam der nächste Schlag, doch geistesgegenwärtig tauchte er darunter hinweg, machte eine Hechtrolle vorwärts und befand sich im Rücken des Angreifers. Aus den Augenwinkeln überzeugte er sich, dass dieser allein war; er sprang dem anderen in den Rücken und warf ihn mit einem Dagor-Griff zu Boden.

Behände rappelte sich der Angreifer wieder auf. Alaska machte einen Ausfallschritt nach rechts und riss das linke Bein hoch. Die Fußspitze krachte unter das Kinn des Gegners, zeigte aber nicht die geringste Wirkung. Der hagere Mann spürte einen stechenden Schmerz im Fuß. Gegen diesen Gegner kam er nicht an. Es war ihm unmöglich, ihn oder einen der anderen zu besiegen. Immer wieder konnte er nur Teilerfolge erringen, die im Überstehen von Zweikämpfen wie diesem bestanden. Dabei durfte er sich aber nicht zu lange aufhalten, denn der Reaktionsschnelligkeit und der Kraft seiner Gegner hatte er nicht das Geringste entgegenzusetzen.

Er drehte sich auf seinen dünnen Beinen herum und rannte los. Die Straße war mit Trümmerstücken, die von den zerfallenen Häusern heruntergestürzt waren, übersät. Er sprang über einige hinweg und wich anderen aus. Sein Gegner war hinter ihm.

Ich mache mir etwas vor, drängte sich das Wissen erneut in Alaskas Bewusstsein. Er sollte einfach stehen bleiben und sich wieder der Realität stellen.

Doch das war nicht so einfach. Zu Hause fiel ihm die Decke auf den Kopf. Er fühlte sich überflüssig und nutzlos. Die alten Ängste und Zweifel, die er längst hinter sich geglaubt hatte, waren wieder da und quälten ihn. Und er glaubte ihnen. Etwas musste wahr sein an dem, was sie ihn weismachen wollten. Er war ein Ausgestoßener, anders als andere Menschen. Wieder tastete er nach der Maske. Sie machte ihn zu einem Aussätzigen. Ihretwegen hatten sich die Menschen von ihm entfernt, ebenso wie er sich von ihnen entfernt hatte.

Er war ein Mensch, doch die Menschheit und er hatten sich entzweit.

Er suchte die Straße vor sich ab. Jeden Moment musste er damit rechnen, dass ein weiterer Angreifer aus einem der Hauseingänge sprang und sich ihm entgegenstellte. Dann wäre er zwischen zwei Fronten eingeschlossen. Alles sah hier gleich aus. Er hatte den Eindruck, an bestimmten Häusern bereits mehrmals vorbeigekommen zu sein, aber natürlich war das ein Trugschluss. Die Schutthalden, die rußgeschwärzten und von Granaten und Strahlern zerfurchten Fassaden waren allgegenwärtig.

Alaska sprang über einen Granattrichter hinweg und suchte nach etwas Bekanntem. Dann sah er die Markierung über einem Mauerdurchbruch zu seiner Linken. Er hielt inne, griff nach der Kante und stieß sich vom Boden ab. Er zog sich an der Mauer hoch, wälzte sich durch das Loch, hinter dem ihn gähnende Leere erwartete, und ließ sich auf der anderen Seite fallen. Glücklicherweise hatte niemand die Matratzen gefunden, die er an der Wand unter dem Loch für einen Fall wie diesen ausgelegt hatte. Sonst hätte es ein paar schmerzhafte Prellungen gegeben.

Jeden Moment musste sein Verfolger da sein. Alaska rollte von den Matratzen herunter, kroch ein Stück weiter und verschanzte sich hinter dem Durchgang zu einem anderen Raum. Schwer atmend, behielt er das Loch in der Häuserwand im Auge. Er musste nicht lange warten: Nach wenigen Sekunden erschien ein Kopf in dem Loch, dem ein schwerer Körper folgte. Sein Verfolger sprang nicht direkt herein, sondern hielt einen kurzen Moment inne, um die Lage zu sondieren. Vermutlich rechnete er mit einem Hinterhalt.

Das Zögern war sein Verderben, denn er hatte recht. Alaska Saedelaere zog einen Impulsgeber aus der Tasche und aktivierte ihn. Eine gewaltige Stichflamme, die ins Freie stach, begleitete die Detonation der Mikrobombe. Die meisten Trümmerstücke flogen nach draußen, genau wie Alaska es berechnet hatte. Lediglich einige kleinere Gesteinsbrocken schwirrten durch den Raum, konnten ihn in seiner Deckung aber nicht gefährden.

Als der Nachhall der Explosion verklungen war, rappelte sich der Mann mit der Maske auf und versuchte in dem herumfliegenden Staub und Dreck etwas zu erkennen. Von einem Durchbruch in der Fassade konnte keine Rede mehr sein, der untere Teil der Fassade existierte nicht mehr. Er war nach außen weggesprengt worden – und mit ihm der Gegner.

Alaska nickte zufrieden und drehte sich um. Die Explosion würde weitere seiner Gegner anlocken. Es war besser, sich aus dem Staub zu machen.

Er schüttelte den Kopf. Da war es wieder, dieses Triumphgefühl. Für Sekunden fühlte er sich von seinen Qualen erlöst. Dann kam ihm die Irrationalität dessen, was er getan hatte, zu Bewusstsein. Alles, was stattgefunden hatte, war einzig geschehen, weil er es gewollt hatte. Wie immer hatte er vermeint, seinen Seelenqualen in der Scheinwelt entkommen zu können, und wie immer hatte ihm die Negierung seiner tatsächlichen Welt diese Gnade für eine kurze Zeit gewährt. Nun war es wieder vorbei.

Er machte sich zum Narren. Die Probleme, die ihn beschäftigten, hatten ihn auch schon früher heimgesucht. Doch stets hatte er ihnen mit der Ruhe und Einsicht aus sich selbst heraus begegnen können. Er hatte sie als das hingenommen, was sie waren: als nicht wegzuleugnende Tatsachen. Nun jedoch belog er sich nur noch selbst. Und durch diesen Selbstbetrug entfernte er sich immer weiter von den anderen Menschen. Er war ein Narr!

»Nein!«, schrie er verzweifelt. »Ich bin ein Mensch. Ein Terraner. Ich bin Alaska Saedelaere.«

Das Programm brach in sich zusammen.

Die Wirklichkeit schwappte dahinter hervor.

Kapitel 2

Warum war er überhaupt hergekommen? Um der alten Zeiten willen? Nein, dachte er. Auch wenn er es in letzter Zeit stärker denn je vorzog, allein zu bleiben, so hatte er an diesem Abend doch hier sein wollen. Perry Rhodan war das, was man einen echten Freund nannte, ein Weggefährte aus Zeiten, in denen sich Alaska weniger nutzlos vorgekommen war. Nun aber, da er hier war, drängte alles in ihm danach, wieder zu gehen.

Wie aus weiter Ferne betrachtete er Rhodans andere Besucher, die in kleinen Gruppen zusammenstanden und sich unterhielten. Es war niemand da, den auch er selbst nicht lange kannte. Gucky war in die bisweilen kindliche Verspieltheit früherer Jahre zurückgefallen und ließ den Zeter und Mordio schreienden Reginald Bull zur großen Belustigung von Ras Tschubai und Fellmer Lloyd über einem gewaltigen Topf mit Fruchtbowle schweben. Ohne Vorwarnung entließ er ihn dann für einen Moment aus seinen telekinetischen Kräften, was den guten Bully dazu brachte, wild mit den Armen zu rudern. Erst im letzten Moment fing der Ilt Bull mittels Telekinese wieder auf und setzte ihn sanft auf dem Boden ab.

Tschubai winkte dem Transmittergeschädigten zu, und Alaska winkte kurz zurück. Rasch wandte er sich ab. Er wollte vermeiden, dass sie zu ihm herüberkamen oder dass Gucky auf ihn aufmerksam wurde und ihn in seine Späße einbezog.

Ich trinke zu viel davon in letzter Zeit, dachte Alaska missmutig und betrachtete sinnend das Glas mit dem bläulich schimmernden Synthalk.

Dabei war es durchaus nicht so, dass er sich in eine Abhängigkeit davon begab.

Im Gegenteil, der Zellaktivator verhinderte, dass Alkohol bei seinem Träger überhaupt eine Wirkung erzielte. Noch bevor sie einsetzen konnte, wurde sie von dem lebensverlängernden Gerät neutralisiert. Das Einzige, was wirklich betroffen wurde, waren Alaskas Geschmacksnerven. Es war eine andere Flucht.

Saedelaere brauchte ein oberflächliches Symbol, an dem er sich festhalten konnte. Wie an dem Glas. Aber ebenso gut hätten es eine Tafel Schokolade oder ein bluesscher Zuckerplasmapudding sein können. Letztlich blieb es sich gleich.

Was war mit ihm geschehen? Er zuckte die Achseln. Die Kosmische Hanse war aufgebaut und die GAVÖK stabilisiert. Auf Terra und den anderen Planeten, ja in der gesamten Milchstraße war der Friede eingekehrt, nach dem sie sich alle so sehr gesehnt hatten. Es gab keine Aufgabe für ihn. Wahrscheinlich fühlte er sich deswegen überflüssig.

Verdrossen seufzte er. Wenn es nur das gewesen wäre. Doch all die freie Zeit, die ihm verblieb, brachte Schlimmeres mit sich. Er erging sich in sinnlosen Grübeleien, die seine Einsamkeit betrafen. Selbst hier, auf Perrys Geburtstagsfeier, fühlte er eine seltsame Distanz zu den alten Freunden. Er fühlte sich ihnen nicht mehr zugehörig. Alles in ihm drängte danach, sein Glas wegzustellen und den Raum zu verlassen.

»Du scheinst nicht bei uns zu sein, Alaska.« Die Worte rissen ihn aus seinen Gedanken.

Alaska Saedelaere schaute auf und brachte ein Lächeln zustande. Wie recht du hast, Perry, dachte er. Eigenartig, dass Rhodan der Einzige zu sein schien, dem Alaskas Gemütszustand nicht entging. Seine knappen Worte drückten aus, dass er genau wusste, was in dem Maskenträger vor sich ging. Wahrscheinlich kannten sie sich viel zu lange, um dem anderen etwas vormachen zu können. Und den anderen war es vermutlich peinlich, ihn auf seine Sorgen anzusprechen. Er hatte schon immer als ausgesprochen introvertiert gegolten.

»Was ist mit dir?«, fragte Rhodan und ließ sich neben ihm nieder. »Du warst immer sehr verschlossen. Aber in letzter Zeit habe ich beobachtet, wie du dich von uns fernhältst. Ich gestehe, dass ich befürchtet hatte, dich heute Abend nicht zu sehen.«

»Tut mir leid, wenn dieser Eindruck entstanden ist.« Alaska stellte sein Glas ab und rang mit den Händen. »Ich möchte dir deinen Geburtstag nicht verderben. Du hattest nicht viel Grund zu feiern in der jüngsten Vergangenheit.«

»Unsinn!«, entgegnete Rhodan barsch. »Wenn mir daran gelegen wäre, ein rauschendes Fest zu feiern, hätte ich nicht nur meine engsten Freunde eingeladen. Tatsache ist, dass wir durch all das, was geschehen ist, kaum einmal Zeit hatten, uns persönlich zu sehen. Wir alle«, er deutete in die Runde, »haben uns mehr zu sagen, als gemeinsam Politik zu machen und den großen Geheimnissen des Kosmos nachzujagen. Ich hatte gelegentlich den Eindruck, das sei ein wenig auf der Strecke geblieben.«

Er zögerte einen Moment, und sein wachsamer Blick lastete auf den Augenschlitzen von Alaskas Maske. »Besonders bei dir.«

»Du irrst dich«, beeilte sich der Transmittergeschädigte zu entgegnen. »Mit mir ist alles in Ordnung. Ich bin nur ein wenig müde.«

Warum sagst du ihm nicht die Wahrheit?, fragte er sich. Wenn niemand ihn verstünde, Rhodan würde es tun. Aber würde er Saedelaere auch helfen, seine Pläne zu verwirklichen? Wahrscheinlich nicht. Er würde versuchen, ihm seine Fluchtgedanken von der Erde auszureden. Und wie hätte Alaska argumentieren sollen? Er konnte ja nicht mal sich selbst gegenüber erklären, woher diese Idee gekommen war, sich in ein Raumschiff zu setzen und aufs Geratewohl in die Galaxis hinauszufliegen. Wahrscheinlich war er zu lange dort draußen gewesen, um auf Dauer noch sesshaft bleiben zu können.

Also sagte Alaska nichts, sondern dachte nur: Ich werde dich hintergehen müssen, Perry.

Denn welche andere Möglichkeit hatte er schon, wollte er sich Rhodan nicht offenbaren. Er brauchte ein Raumschiff, also würde er eins stehlen müssen. Er fragte sich, wie weit es mit ihm gekommen war, dass ihn nicht einmal dieser Gedanke schreckte.

»Ich hörte, du vertreibst dir die Freizeit in virtuellen Realitäten«, sagte Rhodan lauernd. »Entdecke ich da ein neues Hobby an dir?«

»Schon gut«, wehrte der Mann mit der Maske ab. »Sag, was du wirklich meinst. Du denkst, ich fliehe aus der Realität, so wie ich vor euch fliehe. Wenn du Freizeit sagst, klingst es, als meintest du mein ganzes Leben. Und weißt du was? Du hast recht. Das tue ich wirklich. Es ist meine Sache, was ich mit meinem Leben anfange. Oder kannst du mir einen sinnvolleren Vorschlag machen? Kann es einer der anderen? Bestimmt nicht. Ihr habt doch gar keine Ahnung, was mit mir los ist.«

Rhodan sah seinen Freund betreten an. »Schade, wenn du so denkst. Erzähl uns von deinen Problemen, und jeder wird dir helfen, so gut er kann.« Der unsterbliche Terraner sah sich um, doch niemand war auf sie aufmerksam geworden. »Aber ich glaube, ich weiß auch so, was dich bedrückt. Du willst uns verlassen, so, wie du es immer wieder getan hast. Also gut, das ist dein Recht.«

Er hielt abrupt inne und schaute den Maskenträger an. Alaska hatte den Eindruck, dass Perry noch etwas hatte sagen wollen, da erkannte er den bitteren Zug im Gesicht seines Gegenübers.

»Das ist nicht alles«, stellte er fest. »Du warst noch nicht am Ende.«

»Nein«, sagte Rhodan leise. »Du bist nicht der Einzige, der Sorgen hat, mit denen er klarkommen muss. Mir geht es nicht anders. Wann habe ich das letzte Mal meinen Geburtstag gefeiert? Ich weiß es nicht. Und warum tue ich es in diesem Jahr? Ich will es dir sagen. Es ist reiner Selbstzweck. Ich dachte, wenn ich euch alle um mich hätte, würde ich endlich einmal vergessen, was schon lange in mir bohrt.«

Alaska sah ihn fragend an, sagte aber nichts.

»Mir geht es wie dir«, sagte Rhodan nach einer Weile. Der Anflug eines Lächelns erschien in seinen Zügen. Er lächelte süffisant, aber Saedelaere erkannte, dass er sich zu diesem Lächeln quälte. »Ich bin von einer inneren Unruhe ergriffen, weil ich nicht weiß, was mit Atlan geschehen ist. Niemals hätte ich zulassen dürfen, dass er hinter die Materiequelle geht. Wer weiß, ob wir ihn jemals wiedersehen werden.« Langsam schüttelte er den Kopf. »Nein, ich hätte es nicht zulassen dürfen. Es wäre meine Aufgabe gewesen, diesen Gang anzutreten.«

Mit trockenem Hals griff Alaska nach seinem Glas. Er räusperte sich und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Der Synthalk brannte in seiner Kehle. Er fühlte sich unangenehm berührt. Vielleicht sollte ich meine Probleme nicht zum Maß aller Dinge machen, dachte er. Obwohl Rhodan und der Arkonide Freunde seit Jahrtausenden waren, hatte er nicht geahnt, dass Atlans Verschwinden Perry so naheging.

Ein Bild nahm in seinen Gedanken Gestalt an. Er konnte es nicht erklären, aber er war sich seiner Sache völlig sicher.

»Er wird zurückkommen«, behauptete er. »Es wird lange dauern, aber du wirst Atlan wiedersehen.«

Und ich, dachte er. Was ist mit mir? Welche Erlösung wird mir geboten werden?

Er erhob sich mechanisch aus seinem Sessel und ließ Perry Rhodan einfach sitzen.

Er schaute auf eine in völliger Stille daliegende, beinahe malerisch wirkende Stadt. Verwinkelte Häuser und grazile Türme wurden von schmalen Gassen durchzogen. Es gab keine Bewegung und kein Geräusch. Niemand schien dort zu leben. Auf einigen Giebeln waren Wetterhähne zu sehen, doch auch sie bewegten sich nicht. Jede Bewegung war eingefroren, als sei alle Energie des Universums der kleinen Stadt entzogen.

Dann erkannte er menschenähnliche Formen, doch gleich korrigierte er sich. Zwar verfügten die Gestalten über einen Rumpf, wie es die Terraner taten, über Arme und Beine und einen Kopf, doch es waren keine Menschen. Sie waren kleiner und wiesen eine klobige, beinahe unförmige Gestalt auf. Sie lagen auf Straßen und Plätzen, in den Häusern und unten im Hafen. Keine der Gestalten bewegte sich. Sofern sie irgendwann einmal Leben besessen hatten, so war es aus ihnen gewichen.

Die Puppen! Mit einem Mal ging Alaska Saedelaere die Bedeutung der Erscheinung auf, die er hatte. Er schaute auf die namenlose Stadt der Puppen, die in einer weit entfernten Galaxis auf einer unbedeutenden Welt namens Derogwanien lag. Einst hatte dort Ganerc gelebt, ein Mitglied des Bundes der sieben Zeitlosen, mächtige Wesen, die dazu beigetragen hatten, die Geschicke des Universums zu bestimmen.

Viele Jahre zuvor hatten die kosmischen Pfade Alaska Saedelaere nach Derogwanien verschlagen und ihn den Mächtigen Ganerc und das Puppenvolk kennenlernen lassen. Lange Zeit hatte der Terraner auf dem abgelegenen Planeten unter ihnen zugebracht, und in Ganerc einen Freund, ja einen Bruder gefunden, den er nie wieder vergessen hatte.

Er schaute aus der Vogelperspektive auf die Stadt hinab. Sie schien sich bis auf eine Tatsache nicht verändert zu haben. Sie musste verlassen worden sein, denn außer den leblosen konnte er keine weiteren Puppen ausmachen. Die schreckliche Ahnung einer Katastrophe kam ihm, welche die gesamte Population dahingerafft hatte. Und wenn es Überlebende gab, was war mit ihnen geschehen? Anscheinend lebten sie nicht mehr dort.

Leben? Das war ein Problem, mit dem er schon damals, als er auf Derogwanien gewesen war, hatte kämpfen müssen. Irgendwie war es ihm nie gelungen zu akzeptieren, dass die Puppen nicht wirklich lebten.

Ganerc, eine in ihrer Einsamkeit Alaska Saedelaere verwandte Seele, hatte die gnomenhaften Gestalten in einer speziell dafür gebauten Fabrik geschaffen, um seine Einsamkeit zu überwinden. Doch sie hatten mechanisch reagiert und waren tief in ihrem Innersten böse gewesen. So hatte Ganerc zunächst einen Teil seines Über-Ichs und später auch noch den Rest in sie hineintransferiert. Nur dadurch waren sie beseelt worden. Sie waren künstliche Geschöpfe, die niemals eigenes Leben besessen hatten. Ganerc hatte es ihnen eingehaucht und damit gleichzeitig seine eigene Existenz aufgegeben.