Platons Lieb-ido - Günter von Hummel - E-Book

Platons Lieb-ido E-Book

Günter von Hummel

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Beschreibung

Das unfertige Manuskript von 1964 wurde dem jugendlichen und noch etwas postpubertär schreibenden Autor samt Koffer in Italien aus dem Auto gestohlen. Die noch verbliebenen Seiten verbindet er mit geänderten Auffassungen fünfzig Jahre später zu einem abgeschlossenen Text. Der Linguistik-Student Greg trifft die australische Touristin Christine am Theater von Epidauros. Greg will ihr den göttlichen manischen Eros Platons, Platons Lieb-ido, näher bringen. Ihre Gespräche führen sie von dieser Thematik zu persönlichen Geschehnissen und zu Diskussionen über Liebe, Sex und Unsterblichkeit. Doch sie bleiben nicht zusammen. Im gleichen Abstand wie die beiden Romanfassungen treffen sie sich jedoch 2014 wieder, und so geht die Geschichte weiter und führt doch noch zu einer Verwicklung von Platons Philosophie und Lieb-ido, die man eben - im Gegensatz zu Freuds Libido - mit langem ie schreiben muss. Eine wissenschaftlich fundierte Methode der Meditation begründet dies.

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Inhaltsverzeichnis

TEIL I.

1. Griechenlandroman Anno 1964

2. Die Platane, das Gras und die Zikaden

TEIL II.

3. Griechenlandroman 2014

4. Erstes Zwischenereignis

TEI III.

5. Wiedererinnerung 50 Jahre später

6. Kurze, zweite Unterbrechung

7. koinosia)

8. Nachwort und Anhang

1. Griechenlandroman Anno 1964

Als ich etwas über zwanzig Jahre alt war schrieb ich einen Griechenlandroman. Der Inhalt war ohne wirklichen Tiefgang und literarische Würze. Heute würde ich sagen, es handelte sich um eine lapidare Spinnerei, um das Debut eines literarischen Frühchens ohne großen zwischenmenschlichen Wert, obwohl es speziell darum gehen sollte. Aber schließlich hatte ich keine Ahnung, wie man ein Buch schreibt, und schon gar nicht, wie man darin an einer ernsthaften Erwachsenenthematik gerecht würde. Ich schrieb einfach drauflos. Ich wollte eine intellektuell und psychologisch angehauchte Beziehungsgeschichte aus Griechenland schildern und meine Gedanken dazu darstellen, aber die, die vielleicht skurril, irrwitzig oder abartig waren, habe ich nicht erwähnt; ein gravierender Fehler für einen modernen Roman.

Letztendlich versucht doch heutzutage jeder Autor irgendetwas von verdrängten Vorstellungen und Wünschen mit in seinen Text hineinzubringen, um diesen mit menschlich Hintergründigem zu würzen. Am besten schreibt man Beziehungsdramen, die sich über Generationen hinweg abspielen. Doch ich hatte nur das Hier und Jetzt, das Augenblickliche der menschlichen, und vor allem der jugendlich libidinösen Partnerschaftsverhältnisse im Sinn. Nach meinem Abitur war ich für drei Wochen nach Griechenland gefahren und mit reichlich Ideen fürs Schreiben zurückgekommen. Mein Roman sollte neben den erwähnten Kontakten und Beziehungen zum anderen Geschlecht und außer allgemeinen Beschreibungen des Landes und der Menschen auch philosophische Anspielungen – insbesondere zu Platon – enthalten, er sollte so etwas Essayistisches vermitteln, nicht nur banale Handlungen, sondern auch eine Art geistvoller Träumerei.

Mein Hauptprotagonist war ein deutscher Linguistikstudent namens Greg, der nach einem Besuch Griechenlands dort hängen geblieben war, bis ihm schließlich das Geld ausging. Also musste er sich irgendwo verdingen. Schon diesbezüglich stellte ich ihn als hilflos und unerfahren dar. Er war dauernd auf der Suche nach jemanden, der ihm die existentiellen Sorgen erleichtern sollte, vorwiegend eine Frau. Dies war ihm jedoch gar nicht bewusst, zumindest reflektierte er es nicht besonders. In der Hauptsache gab er sich in meinem Exzerpt den melancholisch angehauchten Stimmungen der südgriechischen, mediterranen Savanne und der Romantik in der Nähe des Piräus hin, wo es neben dem Hafen einen unbesonderen Strand und ein paar Häuser namens Phaleron gab. Kinder spielten dort, ein paar Fischer hatten ihre Boote am Kai zusammengelegt und weiter hinten gab es ein Cafenion.

Schon der Klang des Wortes Phaleron war für Greg eine Art von romantischem Gesang, von Cantilene, von sentimentalnostalgischem Sound. Der Name Εφημεριδα – Ephimerida, die Zeitung – der außer Gregs Lieblingslektüre auch noch das Ephemere, das Flüchtige, Leichtlebige auszudrücken scheint, war wie Musik für ihn. Greg war ein Träumer, ein Hippie. Wie Peter Fonda im Film Easy Rider, für den wir damals alle schwärmten, liebte er den Schlendrian, die Muße und das Flair cooler Gelassenheit. Er liebte das Summen der Busreifen auf dem heißen Asphalt, wenn dieser zurück in die Altstadt Athens, in die Plaka, fuhr, und genauso das der Bienen in der trockenen Macchia auf dem Pentelikon. Er liebte, das Raunen und die Geräusche der mittelmeerischen Städte, das savoir vivre, das laissez faire, das nihilistisch Snobistische.

Nebenbei liebte er es ein bisschen Platon zu lesen. Er hatte im humanistischen Gymnasium Altgriechisch gelernt und glaubte damit vor sich und anderen reüssieren zu können. Manchmal versuchte er sich vorzustellen, wie Platon am Strand entlang wandelte und sich ohne viel gedanklichen Aufwand an die Sprüche seines Lehrers Sokrates erinnerte. Denn damals hatte man noch besondere mnestische Fähigkeiten, eine Art von ikonischem Gedächtnis, in dem alles anschaulich und ständig griffbereit gespeichert war. Aufschreiben oder gar mitstenographieren konnte Platon nämlich die Dialoge des Sokrates nicht. Den Menschen musste alles so inniglich und einprägsam erschienen sein, – das war auch speziell Gregs Auffassung – dass sie meist mühelos Heraklit oder andere Vorsokratiker rezitieren und darüber philosophieren konnten. Platon schien jedes Wort von Sokrates ikonographisch gespeichert zu haben.

Sehr tiefsinnig waren Gregs Recherchen zu Platon und dem frühen Griechenland aber nicht. Dennoch wollte er mit guten Gedanken darüber glänzen. Dies in einem Roman zu verarbeiten beinhaltete phantasmatische und vielleicht auch ein wenig warmherzige Klischees, die etliche Autoren der sechziger und siebziger Jahre sicher schon besser aufgegriffen hatten, als ich es in meinem Griechenlandepos Greg tun lies. Trotzdem war ich selbst und nicht nur mein Hauptdarsteller Greg angetan von diesem Land und seinen angestammten Lauten und Ideen, und ich meinte, dass dies schon genügte, um etliche Seiten schreiben zu können.

Bekanntlich gab es bereits zu Goethes Zeiten durch den Gelehrten J. Winckelmann eine Griechenlandeuphorie, die durch so Leute wie den Hobby-Archäologen H. Schliemann noch ins Uferlose gesteigert wurde. Panhellenistische Ideen förderten seit zweihundert Jahren eine Art Wiederauferstehung der antiken Gestalt und Bedeutung Griechenlands. Seit dieser Zeit pilgerten immer größere Menschenmassen auf die Akropolis, schauten zum Herodes Attikus-Theater hinunter und schwärmen heute noch zusätzlich von der Musik Theodorakis´ und den kleinen Tavernen am Strand irgendeiner dieser vielen romantischen Inseln. Doch dies alles war noch weit vom heutigen Konsumtourismus entfernt, und so machte ich Greg zu einem ebenso schwärmerisch Ergriffenen der althellenischen Kultur, den schon eine dorische Säule oder der Pergamonfries zu langen entzückten Betrachtungen anregte. Gar nicht zu reden von Knossos auf Kreta, wo Greg gleich drei Tage verbrachte, um jeden Stein besichtigt zu haben und an seine Besonderheit glauben zu können.

Auch J. Joyce verhehlt in seinem Ulysses nicht, dass er ein Freund der Hellenen ist und schreibt daher: „Mein Gott, . . ist die See nicht genau was Algy sie nennt: eine graue liebe Mutter? . . epi oinopa ponton.1 Ach, Dedalus, die Griechen! Ich muss dir Unterricht geben. Du musst sie im Original lesen . .“2 Auch Joyce war also sehr vom Klang der griechischen Sprache fasziniert. Es ging ihm hauptsächlich ums Poetisch-Phonologische, wie man von ‚Finnegans Wake‘, seinem letzten Werk, her weiß. Man müsse ‚Finnegans Wake‘ nicht verstehen, sagte er, sondern nur laut lesen. Dies empfiehlt sich auch beim Monolog Molly Blooms am Ende des Ulysses. Und speziell im Altgriechischen schwingt dieser vom Sanskrit bis zum Altdeutschen reichende tiefsonore, epische Klang mit, der zum Träumen anregt, einen aber auch wegen seiner Bedeutsamkeitsschwere ergriffen sein lässt.

Greg hatte seine Liebe zu Griechenland entdeckt, schon lange bevor er einmal wirklich dort war. Er hatte Bilder der mediterranen, kargen und manchmal karstigen Landschaft gesehen wie er sie von einem Sardinienurlaub her kannte, wo der Geruch trockener Piniennadeln und abgeblühter Thymiankräuter ähnlich betörend wirkt, und war von daher sofort begeistert. Er stellte sich auch vor, dass es schön sein müsste als Hirte auf dem Parnass oder dem Psiloritis in Kreta Schafe zu hüten und ein von Sonne und Wind, von Sturm und Höhenluft raues, gebräuntes und verwittertes Gesicht zu haben. Hinter dieser Vorstellung versteckte sich freilich der Gedanke, dass ein solchermaßen gegerbtes und zerfurchtes Gesicht das Zeichen eines erfahren, allen Unbilden und Schrecken trotzenden Mannes sein müsste. Jede narbige Falte würde als Ausdruck selbst erfahrener Weisheit gelten. Nicht Platon, sondern eher Odysseus wäre eigentlich ein derartiger Held gewesen. Doch zum Zeitpunkt dieser Romangeschichte hatte sich das Ideal, das Gütezeichen eines solchen Vorbildes noch vorwiegend den Philosophen zugewandt. Odysseus erschien als simpler Frauenversteher nicht so geeignet.

Es gab in dieser Geschichte, die ich also vor mehr als fünfzig Jahren schrieb, auch noch ganz banale Vorgänge. So Gregs lästigen Job als Hilfsarbeiter bei der Landvermessung, und dann war da auch noch Christine, eine Touristin aus Australioen, mit der Greg die Verschworenheiten und umständlichen Zugänge, die Falschphantasien und Stolperungen der Liebe teilte oder teilen musste. Hier wäre vielleicht doch wieder Odysseus gefragt gewesen, der von Kirke über Kalypso bis zu Nausikaa und letztendlich wieder bei Penelope in allen Weisheiten, Schachzügen und Kuriositäten der Liebesleidenschaft reüssierte. Aber Greg und Christine, meine beiden Protagonisten, wirkten gekünstelt, etwas fahl, ohne emotionale Ausbrüche wie sie heute in Film und Literatur üblich sind. Sie waren nicht unlebendig, steckten aber hinter selbstgemachten Fassaden und scheinintellektuellen Masken. Und so war die Aussage meines Erstromans einfach nicht tief und erschöpfend genug. Alles spielte sich in der ‚Subkultur der Zwanzigjährigen’ ab, mit vielen ‚ermüdenden Passagen’, unausgegoren, so wie es auch der amerikanische Erfolgsautor T. Pynchon von seinen eigenen frühen Erzählungen behauptete.3

Pynchon bemängelt generell an den Romanen seiner Frühzeit und auch an denen anderer Autoren die ‚Überbewertung der Jugend’ und die ‚Oberflächlichkeit gegenüber dem Tod’. Klar, welcher Zwanzigjährige will schon ständig etwas vom Tod hören. Doch um die direkte Konfrontation mit ihm geht es ja gar nicht. Interessant ist vielmehr, wenn das Symbol, die Mächtigkeit und kalte Gelassenheit des Todes im Hintergrund eines Romans mitschwingt, wenn sozusagen jede Bewegung, jede Geste und schon gar jedes Wort von seinem tödlichen Gegengriff mitgekennzeichnet ist. Dann kommt ein Echtheitswert ins Spiel, der die Romanfiguren die Marionetten sein lässt, die sie irgendwie immer auch sind, sie aber gleichzeitig um ihre Lebendigkeit und ihr Glück kämpfen lässt. Kurz, das Leben wird durch den Tod dramatisiert und auf die Spitze getrieben – so Pynchons Stellungnahme. Solche literarischen Wichtigkeiten, die auch Pynchon erst spät erkannte, fehlten jedenfalls auch in meinem Buch.

Ebenso hatte ich vieles von den Erzählungen Cesare Paveses abgeschaut, der als junger Mann durch die Arkaden Turins oder die auswärts führenden Alleen schlenderte und mit einem Mädchen gewundene und problemschwere Gespräche führte. Eine Verschwendung das alles, eine Verschwendung von Zeit und Ideen. Man spürt in Paveses Schilderungen die umständlichen Gedankengänge, den philosophischen Anspruch oder vielleicht auch schon das literarische Oeuvre im Hintergrund und fragt sich, warum er das Mädchen nicht einfach in den Arm genommen und ihr etwas Nettes gesagt hat. So simple Annäherungen müssen ihm wohl zu plump, zu wenig kreativ erschienen sein und so verwickelte er sich und seine Partnerin bei den Spaziergängen an Turins Po-Fluss entlang in komplizierte Unterhaltungen. Pavese liebte das Piemonteser Hügelland, in dem er seinen knabenhaften Körper, aber auch – wie eine Biographin von ihm behauptete – die Konturen seiner Mutter sich wiederspiegeln sah. Er liebte diese Art von menschenbezogener, künstlerisch und landschaftlich erfasster Körper- Geometrie. Einen einsamen Weg durch die büsche-, sträucher- und baumbesetzte Natur zu gehen war wie ein Liebesakt, in dem etwas Autoerotisches mitschwang.

Er war also in toto selbst diese geschwungene, mütterliche Landschaft, und so ähnlich habe ich mir damals auch Greg vorgestellt, wenn er von Phaleron hinaus zum nächsten und übernächsten Fischerdorf wanderte. Greg glaubte an den Eros Platons in einer besonders universalen Form, die himmlische und auch sehr irdische Liebe – oder sagen wir einmal sogar hohe und niedrige Liebe – umfassend verband. Kartenspieler, Straßenhelden und die Felsen des Parnass repräsentierten für ihn das Männliche und die kühlen, gutgeformten Mädchen sowie die feinsandigen Strände der Ägäis das Weibliche, schrieb er einmal in seinem Wochenreisebuch. Das war nicht gerade eine tiefe Weltsicht. Immer wieder wollte ich Greg zeigen, wie er den Atem des Meeres beobachtete, das sich mit der schroffen Küste verband und wie Wasser, Salz und Erde in Pavese’scher Körper- Topologie miteinander verschmolzen. Pavese hat sich später umgebracht, obwohl er mit dem Literaturpreis ‚Premio Strega‘ schon im Zenith des Ruhms stand. Eine letzte Liebesgeschichte zu der Schauspielerin Constance Dowling scheiterte und hat wohl das ausgelöst, was sein letztes wunderschönes Gedicht vermittelte: ‚der Tod wird kommen und deine Augen haben‘. Sehr melodramatisch, auch etwas projektiv-provozierend, misogyn, fast pervers, aber dennoch schön.

Auch J. Kerouac, der coolste aller dieser Kultfiguren, nach denen ich ebenfalls Greg gestalten wollte, endete früh nach kurzem, großartigem Erfolg mit seinem wild-rastlose Touren beschreibenden Buch ‚On the Road‘. Immer war er als Romanheld gut drauf, in einem Schrottkarren mit einem Freund durch die Gegend streifend, rauchend, paraphrasierend. Man wollte ihn zum Beatnik-Star machen, während er selbst in Alkohol und Drogen versank. Trotzdem wird er auch heute noch als Mythos des ewig kiffenden Hipsters gefeiert, der nichts anderes tat als durch die endlose Landschaft zu streunen, kein Ziel, sondern nur den Wind in den Haaren, den grenzenlosen Gleichmut im Kopf und im Herzen. Es ging, wie es in der Besprechung eines seiner Bücher heißt, „um ein Lebensgefühl des ständigen Unterwegsseins, der hyperaktiven Suche nach dem ultimativen Kick, der Grenzüberschreitung und Grenzerfahrung. Man stolpert von einer Kneipe in die nächste, . . geht ständig ins Kino, um sich dort experimentelle, französische Filme anzusehen, jobbt als Barmann oder Seefahrer, probiert Drogen und experimentiert mit sexuellen Erfahrungen, . . und diskutiert . . über die perfekte Künstler-Gesellschaft.“4 Wie und wann ist man Künstler.

Dazu musste ich mir keine Gedanken mehr zu machen, denn auf einer ganz simplen Italienfahrt wurde mir mein Manuskript dieser Griechenlandgeschichte samt Koffer aus dem Auto gestohlen. Auf Ruhm und Mythos brauchte ich nicht mehr zu hoffen. Ein paar Blätter, die ich zu Hause hatte, sind mir geblieben. Doch deswegen versuche ich gerade jetzt – fünfzig Jahre später – wenigstens ein paar bildhafte Erinnerungen an Greg, Christine und deren schablonenhafte Beziehung wachzurufen, denn die beiden sind trotz ihrer Schwierigkeiten glücklicherweise nicht frühzeitig gestorben. Sie sind in mir wieder aufgelebt so wie Hamlet, der Prinz von Dänemark, ständig in allen Theatern der Welt wieder auflebt und so vielleicht lebendiger ist, als mancher heutige Zeitgenosse. Im ersten Teil des Buches will ich den noch erhaltenen Originalton von 1964 unchronologisch zitieren, denn die Blätter sind nicht nur die Anfangsseiten. Sodann will ich diese Schilderungen im zweiten Teil jetzt (2014) aus der Erinnerung heraus, aber chronolgisch geordnet ergänzen.

Im dritten Teil will ich erneut von ihnen schreiben und den fehlenden Schluss des Romans im Jetztton zu Ende bringen. Freilich wird dies neu dazu Geschriebene (Teil zwei) und das ganz Neue zu Ende Geschriebene (Teil drei), ein etwas anderes Manuskript werden, in dem die Beziehung meiner beiden Protagonisten ein bisschen besser erklärt wird. Damals galt es noch als schön, dass man nicht wissen musste, warum, was und wie geschieht. Zumindest musste man das nicht ständig sagen. Aber in der heutigen durchpsychologisierten Welt ist das nötig. Die erste Seite meines Frühromans begann also so (dargestellt in einer anderen Schrift):

Greg hatte zu Hause Streit. Ein Konflikt wegen eines erheblichen Wasserschadens im Haus. Seine Eltern wollten ihm deshalb die Urlaubsreise im Sommer verbieten. Er sollte studieren und nichts sonst. Doch gerade das beflügelte seinen Abschied. Abhauen, nichts wie weg! Solches hatte er schon vorher öfter gedacht. Einen über Zwanzigjährigen noch erziehen wollen! Jetzt war Schluss. Zuerst wollte er nach Esalen, Big Sur in Kalifornien. Encountergruppen machen, wo man zeigen musste wie man wirklich ist, was für Größenphantasien man hat, wie man am Klo sitzt und welchen Blödsinn man träumt. Solche Preisgaben machten einen richtig high, aber nach zwei Tagen war in Gregs Gedanken alles wieder verflogen. Griechenland war die bessere Wahl. Er kramte sein Geld zusammen und fuhr los.

Schon immer kreisten Gregs Gedanken um das Reisen. Reisen, sich fortbewegen, bloß nicht an der gleichen Stelle bleiben, mal fahren, mal gehen, mal ein Boot nehmen oder einen der alten Überlandbusse besteigen, die scheppernd und quietschend über die holperigen Straßen fuhren. Auch einen einsamen Autofahrer anhalten, ob er einen nicht bis zum nächsten Ort mitnehmen könne und ein paar griechische Worte hören. Unterwegs sein vom Horizont bis zum nächsten Horizont, eine Bergkuppe erklimmen um den weiten Blick in die Ebenen zu haben. Weit, bloß meilenweit bis das Auge nichts mehr sehen kann. Denn die Seele wird durch grenzenlose Weite erschafft, die man durchstreift.

Greg war der typische Nachkriegsjugendliche, wo niemand etwas besaß, wo alle neu und quasi bei Nichts anfangen mussten, die Kinder keine Spielsachen hatten, aber dafür unter sich alle gleich waren. Sie mussten sich selbst aus ein paar Haselnussstangen Schwerter schnitzen, mit denen man kämpfen konnte und konnten dafür auch in den Ruinen und den im Krieg verkommenen Häusern herumstreunen und nach abenteuerlichen Verstecken suchen. Abends gab es immer nur Haferbrei, aber jedes Jahr kam etwas Neues hinzu. Klapprige Holzski zum Beispiel, um einen Hang herunterzufahren. Oder Papier und Buntstifte. Schließlich besseres Essen und am Ende der Kindheit – so um vierzehn herum – sogar ein Fahrrad.

Greg war ängstlich und traute sich nicht in die höheren Regionen eines Baumes hinauf zu klettern wie die anderen es taten. Dafür malte er und schrieb schon früh auf der uralten Schreibmaschine des Großvaters eine Kurzgeschichte. Dass nur durch Tastenanschlag Buchstabe für Buchstabe ein Text entstand, eine wie von Geisterhand getippte Buchseite, war unglaublich, war wunderbar. Die Dinge waren nicht mehr in der Phantasie, man konnte einen Buick über eine Straßenkreuzung fahren lassen, und das war wirklich auf dem Papier zu sehen, Buick, ja Buick stand da, der tolle Amischlitten. Man bremste und stieg aus. Greg war glücklich.

So elaboriert wie Pynchon mit seiner Tod-Hintergrund-These als wichtigen Kontrapunkt war ich in diesem, meinem gestohlenen Roman von 1964 nicht, und auch nicht so reif wie Dürrenmatt, der ebenfalls forderte, dass beispielsweise in einem Drama ein Punkt da sein muss, an dem die Geschichte die katastrophischst mögliche Wendung bekommt. Nur so ist garantiert, dass alle Aspekte des Lebens eingeschlossen sind, ohne dass jeder einzelne ausführlich geschildert werden muss. Im Hintergrund schwingt immer das Memento Mori mit, das selbst den lieblichsten Szenen seine Wahrheit verleiht. Doch vorerst noch einmal zu den noch erhaltenen Seiten aus dem früheren Manuskript, nunmehr in der Zeit, als Greg schon in Griechenland war.

Allein reisen? Nach Griechenland gab es keine Autobahn, man musste per Anhalter weiterkommen und dann auch ein Stück mit dem Zug fahren. In Skopje, Mazedonien, umsteigen und sich abends eine Bleibe suchen. Irgendwo unterkriechen, in einer Hütte, einem Verschlag, einen Heuschober, einem Fischerboot. Ein Hotel kam nicht in Frage, und bei fremden Leuten wollte Greg nicht unterkommen, wobei er die Fremde liebte. Aber ohne einigermaßen passable Sprachkenntnisse, ohne Verbindlichkeit, war es ihm einfach zu umständlich, eine wenigstens warm-verbildliche, freundlich-vertraute und unkomplizierte Kommunikation anzufangen. Lieber war es ihm noch ein paar Vokabeln zu lernen und dabei einige Karelia-Zigarillos zu rauchen. Später, als er einen Job als Hilfsarbeiter bei der Landvermessung annehmen musste und Christine kennen lernte, war es allerdings mit dem Vagabundenleben schnell zu Ende.

In Nordgriechenland freundete er sich einmal mit einem der Busfahrer an. Er bewunderte ihn hinsichtlich seiner Schlichtheit, Stärke und Gradlinigkeit, seiner Erfahrenheit und Kameradschaftlichkeit, und weil er nichts gelernt hatte außer dem einfachen Leben und all den Straßen und Leuten vom Land. Ein Hemingway-Typ wie der Amerikaner in ‚Wem die Stunde schlägt‘. Freud würde gesagt haben, da steckt ein bisschen Homophilie mit dahinter, eine latente Männlichkeitsfreundschaft. So jemand war für Greg Vater, Freund und Mann, und das brauchte er, insbesondere in der Fremde, wo es manchmal darum ging, Gespräche in der Taverne und in Geschäften sprachlich ausreichend gut und inhaltlich nicht allzu ungeschickt zu führen. Auch wenn man nur weg wollte, musste man doch ständig auch irgendwo ankommen.

„Wenn du Geld schwarz wechseln willst, ich weiß wo es einen besseren Kurs gibt,“ sagte der Busfahrer.

„Und wo kriegt man Papastratos Zigaretten her, die Nr. 1, die Assos,“ fragte Greg und kam sich toll vor, so fachmännisch von Mann zu Mann reden zu können.

„Komm, wir fahren nach Αλεποχωρι (Alepochori), dort kenne ich jemanden, der welche hat. Du kannst mitten in den Weinbergen sitzen und rauchen,“ sagte der Busfahrer. Sie fuhren hin und pafften. Sie tranken Retsina und blickten aufs dunkelblaue Meer hinaus. Die alten Gemäuer rochen nach den vergangenen Jahrhunderten und inspirierten zu einem rauen, kernigen Halunkendenken auch ohne Worte. Doch Greg musste weiter. Auch Alleinsein war schön. Und mediterrane Gerüche, knorrige Bäume, gegerbte Gesichter und Freiheit taten das Ihre dazu. Nur manchmal kam das flaue Gefühl auf: wie weitermachen, wenn man nie mehr zurück will? So wie Hölderlin es sagte: ‚Wohin denn ich‘?

Wie schon gesagt, sollte es damals mehr ein Essay sein, in dem die Personen zwar persönlich agieren konnten, kulturelle, geistige und wissenschaftliche Aspekte aber mitbedacht waren. Und so will ich in die Neufassung psychologische Theorien ein wenig in den Text hineinbringen. In der alten Version belaberte Greg Christine ständig mit platonischen Ideen, von denen er selbst gar nicht so viel wusste. Dieser stilistische Trick ermöglichte aber, den Geist der Antike in eine moderne Beziehung mit einfließen zu lassen. Die Augen meiner Figuren spiegelten zwar nicht – wie in Paveses Gedicht - den Tod wieder, aber auch kein reiches, komplexes und wichtiges Leben. Zeitweise verwickelten Greg und Christine sich in erotomane Gespräche. Auch dies geriet ihnen häufig nicht zu einem wirklichen und echten Dialog. Ich ließ Greg irgendwann von der Frau des leitenden Landvermessers Greg Avancen machen. Typ ältere Frau tastet sich an intellektuell erscheinenden jungen Mann heran. Schreckliche Kolportage das alles. Ich dachte, dass das die Sache spannend macht. In Wirklichkeit war es ein Nebengeschehen ohne jede Bedeutung und ohne erzählerische Folgen.

Neben Platon waren für Greg auch die sogenannten Vorsokratiker sein Lieblingsthema. „Das Großartige an Heraklit sind seine Wortspiele,“ schrieb er in sein ‚Wochenreisebuch‘ wie er es nannte, „nämlich wie das vom Bogen, βιός, (bios), was gleichklingt wie βίος (bios, Leben mit etwas anderer Betonung), dessen Tun aber gleichzeitig der Tod ist. Bios / bios, Leben und tödlicher Bogenschuss. Oder καιρός, Ort und Zeit. Bei Heraklit war das Feuer das Erste, was entstanden war, es konnte sich aber in alle anderen Elemente verwandeln, so auch in Wasser. Der Körper konnte Seele werden und die Seele Körper. Die Griechen brauchten keine Bürovokabeln, keine Sachtexte, keine Gebote.“

Für Greg waren diese Weisheiten manchmal am Gestein abzulesen. Neben Schieferton, Obsidian und Porphyr war es vor allem die rote eisenhaltige Erde und die Mischungen und mineralischen Zeichnungen, Einschlüsse und Trennungen, die Greg faszinierten. Darin brüteten und lebten alle heraklitischen Elemente zusammen, sowie alle vorsokratischen Thesen. Auch Smektit, das diesen lehmartigen Geruch hat, brachte Greg zum Träumen. Auf der Straße von Paleochori in die Berge nahe von Athen wanderte er gerne stundenlang, sog die würzige Luft ein und sinnierte über den Spruch in Goethes ‚Faust’ nach, „wie man wüsste, was die Welt im Innersten zusammenhält.“ Er versuchte stets wenigstens ein bisschen vom Boden abzuheben, und wenn es auch nur ein paar irdische Sprünge über die genannten Steine waren. Hier war für ihn Heraklit das ideale Vorbild, bis Platon und die Frauen das Spannungsfeld bios / bios für ihn wurden und es deutlicher darstellten.

Greg war wohl auch ein bisschen übersensitiv. Eine schlecht kalkweiß getünchte Hauswand erschien ihm wie aus Marmor, nur weil sie malerisch und scheinbar antik war und im Gleißen der Sonne hell aussah und strahlte. Bücher, vor allem solche in Antiquariaten oder Second-Hand-Läden verströmten für ihn den Geruch des absoluten Wissens und er hatte davon gesammelt, was er konnte: Joyce, Rimbaud, Hesse, Poe, Sartre, Camus, Marcuse und hundert andere, die er oft nur an- oder quergelesen hatte, um sich ein Weltbild daraus zu bauen. Letztlich kehrte er immer wieder zu Platon, Heraklit und Homer zurück, vollgepackt mit dessen Meisterbegriffen aus dem Altgriechischen, die sich für eine philosophische Spekulation so gut eignen.

Doch für einen wirklichen Durchblick der Antike fehlte ihm trotz seiner humanistischen Schulausbildung noch einiges. Was er wollte, war der Wunsch identisch zu sein mit der scheinbaren mediterranen Rauheit und Leichtigkeit, denn schließlich sah es ja so aus, als hätten die frühen Athener ständig Zeit gehabt auf der Agora herumzustehen und sich gut und geistvoll zu unterhalten und waren doch raue Kerle. Er wollte, sollte er jemals wieder zur häuslichen Zivilisation zurückkehren, erzählen können, was er für intelligente Dinge erlebt, wie oft er im Freien geschlafen und auch wieviel Neugriechisch gelernt habe, und das Ganze somit eine große Bereicherung für sein Leben gewesen wäre.

Ich ließ den damaligen Roman so ausgehen, dass Greg im Anschluss an seine Zeit in Griechenland und nach seiner Trennung von Christine für eine längere Episode nach Indien fuhr. Gregs Griechenlanderfahrungen reichten mir nicht aus, es musste noch indische ‚Spiritualität‘ dazukommen. So sollte alles recht geistvoll und welterfahren erscheinen. Ich schrieb fast hundert Seiten über Gregs Aufenthalt in Asien und ließ ihn so als von den dortigen Einflüssen erheblich geprägten Globetrotter aussehen. Seine in Wirklichkeit so wichtige Beziehung zu Christine verlor sich daher im Nebel aller möglichen fremdländischen Aktionen. Mein Roman brach zudem ohne ein klares Ende ab, die letzten Seiten waren ja noch nicht geschrieben.

Tatsächlich fuhr ich selbst ein paar Jahre später, also nach dem Verlust meines Manuskripts, mit Freunden im Auto von Deutschland nach Indien und Nepal – und nach ein paar Monaten fuhren wir alles wieder zurück. Ich wollte selbst der abenteuersuchende Hipster sein. Doch wie die vielen Hippies und Understatement-Globetrotter kam auch ich aus Asien schließlich ganz brav wieder heim. Alle wurden wir biedere Angestellte und Familienväter. Die meisten Asienfreaks waren nicht die Helden, nicht die antibürgerlichen Erneuerer, sie waren wie ich selbst noch Jugendliche, die sich mit ihren Reisen in die Ferne brüsteten, was sollte ich also anderes schreiben? Da ich die letzten Seiten gar nicht mehr geschrieben habe, kann ich heute die Geschichte so ausgehen lassen, wie sie auch für mich wirklich war: eine hilflos nostalgische Rückkehr aus dem indischen Abenteuer, was recht gut zur Psychologie sowohl meiner beiden Protagonisten, Christine und Gerg, als auch zu mir passt.

Autobiographisches gemischt mit Romanliteratur wirkt auch dramaturgisch besser. Denn nachdem wir, also ich und mein Papierheld Greg, uns alle doch recht außenseiterisch und welterfahren darstellten, waren wir in unserem innersten Kern kindlich geblieben und strebten ängstlich in die angestammte Heimat zurück. Das kann ich jetzt als Effekt besser nutzen, als uns großspurig sein zu lassen, so wie ich wohl damals den Roman gerne hätte zu Ende bringen wollen. Dennoch möchte ich aus den Erinnerungen an den alten Roman auch direkt etwas Wichtiges schöpfen. Denn die Erinnerungen an das Schreiben über Griechenland bringt mir heute noch mehr Stimmung, mehr würzigen Pinien- und Fischmarktgeruch herüber, mehr Gesichter, mehr klingende Namen, als es meine schon zu Schülerzeit gemachte und auch spätere Reisen nach Griechenland vermocht hätten.

Ich werde in diesem Kapitel noch weiter den alten Text in Form der paar gebliebenen Seiten und einiger Kommentare dazu präsentieren. Im nächsten Kapitel setze ich dies fort, füge aber hie und da eine Seite ein, die ich erst heute (2014) geschrieben habe, aber von damals so etwa in Erinnerung habe. Natürlich wird das nicht mehr der Originalstil von damals sein, und so setze ich das Ganze im dritten Kapitel ausschließlich in der Jetztzeit geschrieben fort, um eben den noch nicht erstellten Schluss zu schildern und dem Roman ein anderes Gesicht zu geben, von dem ich glaube, dass es zutreffender ist. Aber wer weiß, vielleicht kommt doch wieder die alte Großspurigkeit durch.

Ich habe als Arzt noch eine psychoanalytische Ausbildung gemacht und sehe jetzt die Möglichkeit, alles nicht nur gespiegelt im Schicksal von Ödipus, sondern – wie Greg – auch in Platons Lieb-ido als einem Ausdruck für das Weibliche, das Umfassendere, in seiner Gänze zu beschreiben. Ich schreibe den Freud’schen Begriff der Libido hier mit langem ie, denn die Griechen hatten kein Wort für Sex. Eros war Leidenschaft und Genius zugleich. Eros umfasste alles, von der Liebe bis zum dunkelsten Begehren. Zwar gibt es im Griechischen auch die Epithymia, die Begierde, das Verlangen, doch konnten sich diese Verhaltensweisen auch auf Lernbegierde und anderes beziehen.

Platons Lieb-ido muss man daher so, mit langem ie schreiben, denn sie war nicht Epithymia und auch nicht Agape, Liebe im isoliert abgehobenen Sinn. Sie war Eros, wenn auch in dem dramatischen Sinn des ‚philosophischen erotischen Wahnsinns’, wie Platon es z. B. im ‚Phaidros’ beschreibt. Auf diesen Begriff komme ich noch ausführlich zurück. Und wenn die Libido männlich ist, so ist die Liebido weiblich oder beides zusammen. Natürlich wusste mein früherer Greg das nicht und hat sich auch nicht so ausgedrückt. Aber mein eigenes Früheres ist noch da, und Greg und Christine sind immer noch die zwei jugendlichen Hauptfiguren, und so kann ich mit ihnen noch einmal von vorne anfangen. Mit ihnen kann ich nochmals in die Jugend zurückkehren. Bevor ich jedoch Gregs Treffen mit Christine beschreibe, schildere ich noch ein paar andere Dinge.

Es sind – anfänglich - vor allem noch die Namen, die meine eigene Erinnerung beflügeln und auch Greg immer beflügelt haben. Die Hügel Athens, Hymettos, Philopappos und Lykabettos – was für klingende Vokabeln! Greg und ich – in vielen Dingen freilich ähnlich – mochten diese griechischen Worte und Bezeichnungen, auch solche wie Sophrosyne (besonnene Gelassenheit) und Alethaia (Wahrheit) und insbesondere Eudaimonia (Glückseligkeit). Wir mochten – so schrieb ich etwa und denke es auch heute noch – die Namen der Widersprüche, der Doppelworte, der Palindrome und gekreuzter Metaphern. Wir mochten die Musik der neugriechischen Sprache (genauso wie die des Altgriechischen), die Wortklangbilder, die linguistischen Laute: efcharistimenos, meta ta podia, katalawenete.

Und zu all dem kam die Geschichte mit Alexis Sorbas, dem ultimativen Film der sechziger Jahre. Für den heutigen Leser ist es nicht mehr vorstellbar, dass das Zusammentreffen eines jungen Amerikaners mit der traditionalistisch grausamen und zugleich tiefromantischen Dorfgesellschaft Griechenlands solch starke Gefühle und Identifizierungen wecken konnte. Es war vor allem die speziell für diesen Film von Mikis Theodorakis kreierte Musik und der Tanz namens Sirtaki, die die Gemüter zur Wallung brachte. Der raubeinige Sorbas bringt den Amerikaner mit der jungen Schönheit des Dorfes zusammen, die sich in anmutenden, behutsamsten Annäherungsgesten schließlich finden.

Doch die gefühlsbetonte und seelenvolle Schlussszene passte überhaupt nicht zu dem Missgeschick und dem Sterben der Protagonisten vorher. Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht des Amerikaners mit der Dorfschönheit beging nämlich der sich mit ihr verlobt geglaubte junge Grieche Suizid, ihre dann folgende Steinigung konnte noch gerade verhindert werden, ihre Ermordung durch den Vater des jungen Griechen jedoch nicht mehr. Der Film zeigt viel zu wenig von der wirklichen Rigidität der damals hart arbeitenden griechischen Landgesellschaft. Der Sirtaki verbreitete sich jedoch weltweit, als hätte es keine Tragödie gegeben. So waren wir Nostalgiker ohne Gefühle für den Ernst des Lebens.

Der Name Sirtaki leitet sich von Syrtos (συρτóς, Volkstanz), beziehungsweise von sirtos choros (συρτóς χορóς, schleppender Tanz) ab. Auf den mir entwendeten Seiten des alten Manuskripts von 1964 hatte ich Greg darüber spekulieren lassen, ob diese Ausdrücke sich nicht für ein linguistisches Wortspiel eignen würden. Damals konnte ich noch nicht wissen, dass ich in dem 2014 geschriebenen Teil III. ein wissenschaftlich begründetes, psychologisch-meditatives Verfahren finden und beschreiben würde, das sich tatsächlich der griechischen Sprache bedient und mit Linguistik und Psychoanalyse zu tun hat. Ich werde es in den letzten Kapiteln als eine von Greg in späteren Jahren entwickelte Methode darstellen und habe darüber auch in anderen Büchern berichtet. In gewisser Weise stellt dieses Verfahren den Hauptgrund für das hier vorliegende Buch dar, das ich zum ersten Mal in eine Romanform eingebettet habe, um es nicht nur sachlich-trocken, sondern belletristisch anschaulicher zu vermitteln.

Ich werde Greg sagen lassen, dass nicht συρτóς χορóς sondern ein zusammengesetztes und einer bestimmten Anordnung folgendes, formelartiges Wort, nämlich (koinosia) eine zentrale Rolle in diesem Verfahren spielt. Das Verfahren kann aus dem Text des Kapitels 7 und 8, sowie des Anhangs selbst von jedermann erlernt und erübt werden.5 Doch vorerst weiter mit den noch erhaltenen Seiten des Erstromans und meinen ergänzenden Kommentaren.