Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im Sonnenwinkel ist eine Familienroman-Serie. Schauplätze sind der am Sternsee gelegene Sonnenwinkel und die Felsenburg, eine beachtliche Ruine von geschichtlicher Bedeutung. Mit Michaela Dornberg übernimmt eine sehr erfolgreiche Serienautorin, die Fortsetzung der beliebten Familienserie "Im Sonnenwinkel". Michaela Dornberg ist mit ganzem Herzen in die bezaubernde Welt des Sonnenwinkels eingedrungen. Sie kennt den idyllischen Flecken Erlenried und die sympathische Familie Auerbach mit dem Nesthäkchen Bambi. »Fabian, ich glaube, unser Vater hat eine andere.« Dr. Fabian Rückert hatte noch immer die Worte seiner Schwester Stella im Ohr. Es dauerte eine Weile, ehe er deren Tragweite begriff, dann allerdings lehnte er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und begann herzhaft zu lachen, weil der Gedanke für ihn unvorstellbar war. »Stella, wie kommst du denn auf eine solch absurde Idee? Unser Vater eine andere? Dazu ist er doch viel zu bequem, außerdem würde er nichts tun, was seine gesellschaftliche Stellung beeinträchtigen könnte.« »Aber er hat sich nicht gut angehört, er hat sich sogar über meinen Anruf gefreut. Das hat er gesagt. Er braucht Hilfe, Fabian, Papa braucht uns, weil er Mama etwas absolut nicht beibringen kann, sie will nicht mit ihm reden.« Fabian war noch immer belustigt. »Er wird ihr sagen wollen, dass sie mit dem Geld nicht mehr so verschwenderisch umgehen soll, das sie mit vollen Händen aus dem Fenster wirft. Denk bloß mal an die Gartenmöbel, die ein Vermögen gekostet haben und die ihr nun bekommen könnt. Ich könnte darauf wetten, dass die Möbel nicht die nötige Bewunderung bekamen, deswegen müssen sie weg. Es ist eh alles krank, was sich dort abspielt. Ich muss nur an diese Villa denken, die sie sich da hingesetzt haben. Einen Palast, und das für zwei Personen.« »Ja, Fabian, du hast ja recht. Da läuft einiges aus dem Ruder. Aber ich glaube, es geht nicht um Geld.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Autor: Michaela Dornberg
»Fabian, ich glaube, unser Vater hat eine andere.«
Dr. Fabian Rückert hatte noch immer die Worte seiner Schwester Stella im Ohr. Es dauerte eine Weile, ehe er deren Tragweite begriff, dann allerdings lehnte er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und begann herzhaft zu lachen, weil der Gedanke für ihn unvorstellbar war.
»Stella, wie kommst du denn auf eine solch absurde Idee? Unser Vater eine andere? Dazu ist er doch viel zu bequem, außerdem würde er nichts tun, was seine gesellschaftliche Stellung beeinträchtigen könnte.«
»Aber er hat sich nicht gut angehört, er hat sich sogar über meinen Anruf gefreut. Das hat er gesagt. Er braucht Hilfe, Fabian, Papa braucht uns, weil er Mama etwas absolut nicht beibringen kann, sie will nicht mit ihm reden.«
Fabian war noch immer belustigt.
»Er wird ihr sagen wollen, dass sie mit dem Geld nicht mehr so verschwenderisch umgehen soll, das sie mit vollen Händen aus dem Fenster wirft. Denk bloß mal an die Gartenmöbel, die ein Vermögen gekostet haben und die ihr nun bekommen könnt. Ich könnte darauf wetten, dass die Möbel nicht die nötige Bewunderung bekamen, deswegen müssen sie weg. Es ist eh alles krank, was sich dort abspielt. Ich muss nur an diese Villa denken, die sie sich da hingesetzt haben. Einen Palast, und das für zwei Personen.«
»Ja, Fabian, du hast ja recht. Da läuft einiges aus dem Ruder. Aber ich glaube, es geht nicht um Geld. Papa will uns kurzfristig, noch vor Sonnabend, wenn wir die Möbel abholen wollen, sprechen. Und das soll an einem neutralem Ort geschehen. Da kann man doch dran fühlen, dass es um eine ernsthafte Sache geht.«
Das war so typisch seine Schwester mit ihrem Helfersyndrom.
Sie hatten mit ihren Eltern wirklich nicht das große Los gezogen und sie während ihrer Kindheit kaum gesehen. Sie waren mehr oder weniger von Kinderfrauen aufgezogen worden. Und ganz besonders Stella hatte gelitten, besonders unter ihrem Vater, dessen Erwartungshaltung sie nicht erfüllen konnte. Dennoch marschierte Stella jede Woche zu den Eltern, meist sogar mit selbst gebackenem Kuchen. Gedankt hatten sie es ihr bislang nie, ganz im Gegenteil, sogar an dem Kuchen hatten sie etwas herumzumäkeln.
Fabian war froh, sich beizeiten abgenabelt zu haben und seinen eigenen Weg gegangen zu sein. Wäre es nach den Wünschen seiner Eltern gegangen, säße er als Notar mit im Büro seines Vaters. Zum Glück hatte er sich durchgesetzt und war in seinem Job als Lehrer zufrieden, mehr als das, er erfüllte ihn. Und als der Leiter eines gefragten Gymnasiums hatte er alles erreicht, was in seinem Beruf möglich war.
Fabian würde das Gespräch am liebsten beenden, doch er wusste, wie hartnäckig seine Schwester sein konnte, deswegen sagte er beinahe resigniert: »Gut, nehmen wir mal an, deine Vermutung stimmt, Papa hat tatsächlich eine Geliebte. Was sollen wir da tun? Es Mama schonend beibringen? Wäre das nicht seine Aufgabe?«
»Sie will ja nicht mit ihm reden.«
Fabian winkte ab.
»Stella, ich bitte dich, Papa ist als Notar mit allen Wassern gewaschen, er arbeitet für Weltkonzerne. Und dann soll er nicht in der Lage sein, ein familiäres Problem zu lösen?«
»Manchmal kann das aber tatsächlich ein Problem sein. Ich kann eher mit dir oder Ricky sprechen, wenn es da etwas zu regeln gibt, statt mit meinem Mann. Und Jörg und ich sind wahrhaftig ein Dreamteam.«
Es hatte keinen Sinn. Was immer er auch sagte: Stella würde ein Gegenargument finden, und sie würden bis ins Unermessliche diskutieren, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. So war sie als kleines Mädchen schon gewesen.
»Also gut«, gab er sich geschlagen. »Ich bin dabei, mache einen Termin. Ich habe gleich eine Besprechung mit den Eltern eines sehr schwierigen Schülers, und in das Gespräch möchte ich nicht unvorbereitet hineingehen. Willst du einen Kaffee? Den brauche ich jetzt auch.«
Stella schüttelte den Kopf. So gern sie jetzt auch einen Kaffee hätte, wollte sie ihren Bruder doch nicht länger aufhalten, musste sie auch nicht, denn sie hatte ihr Ziel erreicht und würde gleich ihren Vater anrufen.
»Aber bei Samstag bleibt es, da kommt ihr mit den Kindern vorbei, um die neuen Gartenmöbel einzuweihen, oder?«
»Hab sie erst mal im Garten stehen, Stella. Wir können uns kurzschließen, es spräche allerdings auch nichts gegen ein Treffen ohne den neuen Tisch und die neuen Stühle. Ihr esst auf eurer Terrasse derzeit auch nicht vom Fußboden. Und die Kinder freuen sich immer, wenn sie zu euch kommen dürfen.«
Ja, das stimmte, und das beruhte absolut auf Gegenseitigkeit. Sie verstanden sich blendend, die Auerbachs und die Rückerts samt Familienanhang. Und es war wirklich schon sehr verrückt, dass Fabian eine Auerbach-Tochter geheiratet hatte und sie einen Auerbach-Sohn.
Die Auerbachs … Stella seufzte. Mit denen gab es niemals Probleme, sie waren so herrlich normal, so unglaublich herzlich. Dabei hatte Professor Werner Auerbach als ein international anerkannter und geschätzter Wissenschaftler eine ganze Menge vorzuweisen, worauf er stolz sein konnte.
Sie waren wirklich unterschiedlich, wie man unterschiedlicher nicht sein konnte, die Rückerts und die Auerbachs.
Heinz und Rosmarie Rückert lebten in einer Welt, die von Geld und Äußerlichkeiten bestimmt wurde.
Werner und Inge Auerbach war das alles überhaupt nicht wichtig, sie hatten ganz andere Interessen, und sie hatten eines …, einen ausgeprägten Familiensinn, der von Liebe und Verständnis geprägt war.
»Wir telefonieren, Bruderherz«, sagte Stella und umarmte ihren Bruder stürmisch. »Das müssen wir wegen Papa ohnehin tun.« Dann verließ sie das Büro mit einem letzten Winken.
Ehe Fabian sich wieder seinen Aufzeichnungen zuwandte, dachte er kurz an seinen Vater, sah ihn vor sich. Nein!
Es war unmöglich. Er konnte es einfach nicht glauben, dass dieser nicht ganz schlanke, nicht besonders gut aussehende, eher betuliche Mann eine Affäre haben sollte. Das passte nicht. Da musste es um etwas anderes gehen, und was ihm dabei einfiel, war tatsächlich Geld. Geld war es, was ihre Eltern in erster Linie miteinander verband. So traurig es auch war, sich das eingestehen zu müssen.
Wenn man seinen Vater fragte, wie es ihm ging, dann sprach der niemals über sich und seine Verfassung, sondern über die Aktienkurse, von denen seine Befindlichkeit abhing.
Und seine Mutter?
Zu der war sein Verhältnis noch gestörter, er kannte sie nicht wirklich. Sie war niemals das gewesen, was man sich unter einer Mutter vorstellte. Kinder suchten in erster Linie die Nähe ihrer Mutter, nicht die ihres Vaters. Doch da hatte es keine Nähe gegeben. Selbst wenn er weinend auf sie zugelaufen kam, weil er hingefallen war, hatte sie ihn nicht getröstet, sondern auf Distanz gehalten, weil sie besorgt war, er könne ihr Kleid beschmutzen.
Keine guten Erinnerungen, doch es waren seine Eltern, und deswegen behandelte er sie mit Respekt. Aber die Besuche bei ihnen waren Pflicht, nicht Freude, die er verspürte, wenn er seine Schwiegereltern besuchte.
Ricky Auerbach begegnet zu sein, war das größte Geschenk seines Lebens. Zwischen sie passte kein Blatt Papier, sie liebten sich, und sie liebten ihre Kinder von ganzem Herzen.
So, nun durfte er aber nicht länger diesen Gedanken nachhängen. Es war an der Zeit, sich auf das Gespräch vorzubreiten, das er gleich führen musste. Es würde nicht einfach sein, aber Fabian fürchtete sich nicht davor. Er war nicht nur ein ganz hervorragender Lehrer, sondern er besaß auch ein großes psychologisches Einfühlungsvermögen.
*
Bambi hatte heute schulfrei, weil die Lehrer einen Ausflug machten und die Schule deswegen geschlossen war.
Sie hockte bei Inge in der Küche und spielte hingebungsvoll mit Luna, dem kleinen weißen Labradorwelpen.
Inge dankte dem Himmel immer wieder, dass die kleine Luna auf Bambis Weg gekommen war. Das machte ihr den Verlust ihres geliebten Jonny ein wenig leichter. Welch ein Glück, dass ihre Eltern mit Bambi sofort ins Tierheim gefahren waren, und ein noch größeres Glück war, dass Bambi und Luna sich gefunden hatten. Ja, das hatten sie wirklich.
Bambi rollte einen Ball durch die Küche, Luna sprang ihm hinterher.
»Ach, Mami«, sagte Bambi, als hätte sie die Gedanken ihrer Mutter erraten. »Luna ist wirklich ein Geschenk. Und ich bin ja so froh, sie zu haben. Aber mein Jonny«, ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Mein Jonny, der war etwas ganz Besonderes. Und ich glaube, ich werde niemals mehr in meinem Leben einen Hund so lieben wie ihn.«
Inge Auerbach legte das Messer beiseite, mit dem sie gerade Kartoffeln geschält hatte, beugte sich zu Bambi hinunter und strich ihr über die braunen Locken.
»Kein Tier ist mit dem anderen austauschbar, und auch keine Liebe mit einer anderen. Jonny war über so viele Jahre dein treuer Begleiter, und Luna kam gerade erst in dein Leben. Sieh mal, Bambi, Jonny hat länger gelebt, als es Collies normalerweise tun. Das hat doch auch der Tierarzt gesagt. Am Ende war er einfach nur müde und schwach. Er hat dir Luna geschickt, und ich denke, dass er vom Hundehimmel aus immer ein wachsames Auge auf dich haben wird. Und er wird ganz bestimmt nicht wollen, dass du um ihn weinst. Gönn ihm jetzt seinen Frieden.«
Bambi wischte sich über die Augen, sprang auf, dann warf sie sich so heftig in Inges Arme, dass diese leicht schwankte.
»Mami, du hast recht. Recht wie immer. Du bist die wundervollste Mutter der Welt. Ich bin ja so froh, dein Kind zu sein. Ich habe ja vieles von Papi, aber ich denke, eine ganze Menge auch von dir.«
Ein wundervolles Kompliment, über das sich jede Mutter freuen würde. Inge konnte es nicht. Sie musste jetzt alle Kraft zusammennehmen, um nicht loszuschreien.
Bambi wusste noch immer nicht, dass sie adoptiert war, dass sie überhaupt nichts von den Auerbachs haben konnte.
Sie waren so nahe dran gewesen, es ihr zu erzählen. Verflixt noch mal, warum hatte Jonny ausgerechnet in der Nacht vor dem geplantem Gespräch sterben müssen.
Bambi war vor Schmerz erstarrt gewesen. Wie hätten sie es ihr da sagen können.
Und jetzt?
Es war feige, sich einzureden, dass es noch zu frisch war, dass Bambi noch immer unter dem Verlust ihres geliebten Jonny litt.
Es war leichter, den Kopf in den Sand zu stecken, als das Gespräch zu führen, vor dem sie Angst hatten.
Werners Gedanken, dass es vielleicht ein Zeichen sein könnte dafür, nun noch zu warten bis Bambi ein wenig älter war, hatte sie zu gern aufgegriffen.
Aber mit Schuldgefühlen zu leben, das war schrecklich.
Inge musste ihrer Tochter keine Antwort geben, weil es an der Haustür klingelte, Bambi sich aus der Umarmung befreite und loslief.
»Bestimmt wird es Manuel sein, Mami, ich mache mit ihm eine Runde mit dem Fahrrad um den See. Pass gut auf meine kleine Luna auf. Zum Essen werde ich pünktlich wieder daheim sein.«
Es war Manuel, was Bambi ihr lautstark zurief, dann klappte die Haustür zu.
Inge hörte die beiden lachen.
Bambi und Manuel Münster waren Freunde, und das seit frühester Kindheit.
Inge ging ein Stich durchs Herz.
Bambi bekam ihre Unbekümmertheit allmählich zurück, die konnte sie doch durch tiefgreifende Gespräche nicht zerstören. Werner kam aus seinem Arbeitszimmer zu ihr in die Küche. »War das eben nicht der kleine Münster?«, erkundigte er sich.
»Ja, er und Bambi wollen mit dem Fahrrad um den See fahren«, bestätigte Inge. »Manuel tut ihr gut, mit ihm kann sie endlich wieder lachen.«
Werner Auerbach setzte sich auf einen Küchenstuhl. »Hoffentlich wird ihm das Lachen nicht vergehen«, bemerkte er, was Inge veranlasste, ihn anzusehen.
»Was meinst du damit, Werner?«
»Nun, Felix Münster scheint Probleme zu haben, vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass unser Jörg sich nach etwas anderem umsieht.«
Inge hatte mit ihrem Mann eigentlich über Bambi sprechen wollen, ihm erzählen, was Bambi gesagt hatte. Doch jetzt musste sie sich erst einmal setzen.
»Werner, wie kommst du denn auf so etwas? Die Münster-Werke sind riesig, und er expandiert immer mehr.«
»Und das ist vermutlich sein Fehler«, sagte der Professor. »Er hätte die Firma nicht so schnell so groß machen sollen. Wie ich aus sicherer Quelle weiß, sind ihm große Aufträge weggebrochen.«
»Aber das wird er doch wegstecken können«, rief Inge, die einfach nicht glauben konnte, dass Felix Münster in Schwierigkeiten sein sollte.
Die Münsters, die von Riedings und Carlo Heimberg waren die prominentesten Bürger des Sonnenwinkels. Sie residierten unterhalb der Ruine Felsenburg auf dem Erlenhof und in den Nebengebäuden. Sie verkörperten für ihr Umfeld das, was man unter einer heilen Welt verstand. Und die sollte jetzt in Gefahr sein? Das war undenkbar.
Der Professor schüttelte den Kopf.
»Inge, hier geht es nicht um ein paar Euro. Ich wünsche es ihm wirklich, dass er aus der Krise herauskommt. Aber meist ist es ja leider so, dass eine Lawine, kommt sie erst einmal ins Rollen, nicht mehr aufzuhalten ist.«
Lawine … Das war das Stichwort!
Es würde ihr um Felix Münster leidtun, vor allem um seine vielen Mitarbeiter, doch sie selbst hatte jetzt wirklich ganz andere Probleme.
Bambis Worte kamen ihr in den Sinn, und die konnte sie einfach nicht für sich behalten. Sie erzählte es Werner, und der sah, nachdem er das gehört hatte, auch nicht gerade glücklich aus, sondern wie jemand, der ein schlechtes Gewissen hatte.
Er strich sich übers Kinn.
»Wir müssen in der Tat mit Bambi reden, aber ich denke, jetzt noch nicht. Jonny ist noch nicht lange tot. Sie trauert noch sehr um ihn. Wir können sie unmöglich jetzt in die nächste Krise stürzen.«
»Werner, es hört sich gut an, was du da sagst, und eigentlich würde ich es direkt unterschreiben. Aber, mal ganz ehrlich, ist es nicht nur ein Vorwand, sie noch nicht mit der Wahrheit konfrontieren zu müssen? Wir beide haben doch Angst davor, ihr zu erzählen, dass sie nicht unsere leibliche Tochter ist. Und wir sind froh um alles, was uns daran hindert, dieses Gespräch mit Bambi zu führen, vor dem wir Angst haben?«
Werner Auerbach stand auf, ging um den Tisch herum, zog seine Frau zu sich empor, dann nahm er sie ganz fest in seine Arme.
»Was habe ich doch für eine kluge Frau. Es stimmt. Aber glaub mir, Liebes, irgendwann wird der Zeitpunkt da sein, der für dieses Gespräch genau der richtige ist. Wir lieben unsere Bambi wie man jemanden nicht mehr lieben kann. Sie ist zwar nicht unsere leibliche Tochter aber doch das Kind unseres Herzens. Wir lieben sie nicht weniger als unsere drei, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr, weil sie die Jüngste ist. Wenn wir es schaffen, ihr das richtig zu vermitteln, wird sie uns auch verzeihen, dass wir sie über so viele Jahre hinweg im Unklaren gelassen haben. Wir haben sie nicht belogen, und wir taten das alles nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Liebe … Nun ja, vermutlich ist auch ein wenig Feigheit dabei. Das gebe ich ja zu.«
Inge lehnte sich an ihren Mann. Sie fühlte sich wohl und geborgen. Sie liebte ihn noch immer von ganzem Herzen, ihren Werner. Den Schmetterlingen im Bauch war eine große Innigkeit, Vertrautheit gewichen. Werner war ihr Fels, auf den sie sich in allen Lebenslagen hundertprozentig verlassen konnte. Das war ein so wundervolles, ein so beruhigendes Gefühl.
»Ach, Werner, mein Liebster, ich wollte, wir hätten es bereits hinter uns. Und wenn ich …«
Sie kam nicht dazu, ihren Satz zu beenden, weil er sie in genau diesem Augenblick küsste. Er liebte sie nämlich nicht weniger als sie ihn …
*
Wenn Manuel und Bambi zusammen waren, dann hatten sie immer sehr viel Spaß miteinander und lachten viel. So war es auch bei ihrer Begrüßung gewesen, doch seit einiger Zeit starrte Manuel vor sich hin, war abwesend, denn Bambi hatte ihm bereits einige Fragen gestellt, ohne eine Antwort von ihm zu bekommen.
Was war los mit Manuel?
So kannte sie ihren Freund nicht, und das beunruhigte Bambi. Wenn man jemanden so gut kannte wie sie einander, da wusste man, wie der andere tickte.
Nachdem er wieder eine Weile so schnell vorausgefahren war, dass sie ihm kaum folgen konnte, blieb Bambi einfach mit ihrem Fahrrad stehen, lehnte es an einen Baum und setzte sich auf eine der zahlreichen Bänke, die es hier überall am Sternsee gab.
Sie hatte sich nicht geirrt.
Es dauerte zwar eine ganze Weile, doch dann kam Manuel zurückgeradelt, blieb vor der Bank stehen und erkundigte sich: »Kannst du mir sagen, was das zu bedeuten hat, Bambi? Was ist los?«
Sie schaute ihren Freund an.
»Das möchte ich gern von dir wissen, Manuel. Du bist heute so anders als sonst.«
Man sah ihm an, wie es in ihm arbeitete, dass er sich fragte, ob er darüber sprechen sollte oder nicht. Bambi war zwar seine allerbeste Freundin, doch auch Freunden erzählte man nicht alles, oder doch?
Nach einem weiteren kurzem Zögern lehnte auch er sein Fahrrad gegen einen Baum, nahm neben ihr auf der Bank Platz.
»Ich glaub, mein Papa hat Probleme in der Firma«, sagte er.
Das konnte Bambi nicht glauben.
Die Münster-Werke waren das größte Unternehmen weit und breit.
Viele Leute aus dem Sonnenwinkel arbeiteten dort.
»Wie kommst du denn darauf?«, erkundigte sie sich deswegen auch ein wenig ungläubig. »Das kann überhaupt nicht sein. Dein Papa hat doch gerade erst noch eine weitere Firma hinzugekauft. Ich hab das mitbekommen, als meine Eltern sich darüber mit meinen Großeltern unterhielten. Und man kauft doch nichts, wenn man nicht das Geld dafür hat.«
Ach, Bambi!
Bambi war ein sehr kluges Mädchen, aber manchmal konnte sie wirklich sehr naiv sein.
»Bambi, wenn man eine Firma kauft, dann ist das nicht wie ein Einkauf im Supermarkt, für den man das Geld in seiner Tasche hat. Firmenkäufe werden durch Bankkredite finanziert.«
Das fand Bambi auch nicht bedenklich.
»Wenn dein Papa nicht wüsste, dass er das bezahlen kann, würde er keine Schulden machen, Manuel.«
Die Münsters waren wer. Bambi mochte Felix Münster, und Sandra, Manuels Stiefmutter, liebte sie.
