Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen - Hans-Gerd Pieper - E-Book

Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen E-Book

Hans-Gerd Pieper

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Beschreibung

Das Lehrbuch wendet sich in erster Linie an Studierende der Rechtswissenschaften in Nordrhein-Westfalen, ist aber auch geeignet für Rechtsreferendare oder Studierende an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung. Es stellt, überwiegend fallbezogen, die examensrelevanten Inhalte des Polizei-und Ordnungsrechts in Nordrhein-Westfalen dar und berücksichtigt bevorzugt die Rechtsprechung von nordrhein-westfälischen Gerichten sowie die Beiträge von Professoren. Zahlreiche Aufbauschemata dienen der schnellen Information und Wiederholung.

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Polizei- und Ordnungsrecht Nordrhein-Westfalen

Eine fallbezogene Darstellung

von

Hans-Gerd PieperRechtsanwalt, Lehrbeauftragter an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen

Deutscher Gemeindeverlag

1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© Deutscher Gemeindeverlag GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-555-01918-5

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-555-01919-2

epub: ISBN 978-3-555-01920-8

mobi: ISBN 978-3-555-01921-5

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Das Lehrbuch wendet sich in erster Linie an Studierende der Rechtswissenschaften in Nordrhein-Westfalen, ist aber auch geeignet für Rechtsreferendare oder Studierende an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung. Es stellt, überwiegend fallbezogen, die examensrelevanten Inhalte des Polizei-und Ordnungsrechts in Nordrhein-Westfalen dar und berücksichtigt bevorzugt die Rechtsprechung von nordrhein-westfälischen Gerichten sowie die Beiträge von Professoren. Zahlreiche Aufbauschemata dienen der schnellen Information und Wiederholung.

Hans-Gerd Pieper ist Rechtsanwalt und seit 13 Jahren Lehrbeauftragter an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen, Abteilung Münster. Er hat einen Lehrauftrag für die Fächer Polizei- und Ordnungsrecht. Zudem war er 20 Jahre lang als Repetitor bei Alpmann und Schmidt tätig. Der Autor verfügt für den Bereich des Öffentlichen Rechts über eine längjährige Autoren- und Herausgebertätigkeit. Er ist Autor zahlreicher Lehrbücher und Aufsätze zum Staatsrecht und besonderen Verwaltungsrecht.

Vorwort

Das Lehrbuch wendet sich in erster Linie an Studierende der Rechtswissenschaften in NRW, ist aber auch geeignet für Rechtsreferendare oder Studierende an der FHöV. Es stellt, überwiegend fallbezogen, die examensrelevanten Inhalte des Polizei-und Ordnungsrechts in NRW dar und berücksichtigt bevorzugt die Rechtsprechung von Gerichten aus NRW sowie die Beiträge von Professoren aus NRW. Zahlreiche Aufbauschemata dienen der schnellen Information und Wiederholung.

Kritik und Anregungen sind ausdrücklich erwünscht unter [email protected]

Rechtsanwalt Hans-Gerd Pieper ist 20 Jahre lang als Repetitor, u. a. im Bereich Polizei-und Ordnungsrecht NRW tätig gewesen.

Seit 13 Jahren ist er Lehrbeauftragter an der FHöV NRW, u. a. im Fach Polizei-und Ordnungsrecht. Er ist Autor zahlreicher Lehrbücher und Aufsätze zum Staatsrecht und besonderen Verwaltungsrecht.

Münster, November 2016Hans-Gerd Pieper

Literaturverzeichnis

Brinktrine, Ralf/Kastner, Berthold, Fallsammlung zum Verwaltungsrecht, 2. Aufl., Berlin 2005

Brüning, Christoph/Suerbaum, Joachim, Examensfälle zum öffentlichen Recht, München 2005

Dietlein, Johannes/Dünchheim, Thomas, Examinatiorium, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Köln 2007

Dietlein, Johannes, Polizei- und Ordnungsrecht (§ 3), In: Dietlein/Burgi/Hellermann, Öffentliches Recht in NRW, 6. Aufl., München 2016 (zit.: D/D)

Dietlein, Johannes/Klausurenbuch, In: Dietlein/Burgi/Hellermann, Klausurenbuch Öffentliches Recht in NRW, 2. Aufl., München 2014

Drews, Bill/Wacke, Gerhard/Vogel, Klaus/Martens, Wolfgang, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., Köln 1986 (zit.: D/W/V/M)

Förster, Susanne M./Sander, Gerald G., Fälle zum Besonderen Verwaltungsrecht, 3. Aufl., München 2006 (zit.: F/S)

Gornig, Gilbert/Jahn, Ralf, Sicherheits- und Polizeirecht, 4. Aufl., München 2014 (zit.: G/J)

Geis, Max-Emanuel, Fälle zum Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl., München 2015

Götz, Volkmar, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 15. Aufl., München 2013

Gusy, Christoph, Polizeirecht, 9. Aufl., Tübingen 2014

Heyen, Erk Volkmar/Collin, Peter, 40 Klausuren aus dem Verwaltungsrecht, 10. Aufl., Köln 2011 (zit.: H/C)

Ipsen, Jörn,, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl., München 2015

Knemeyer, Franz-Ludwig/Schmidt, Torsten Ingo, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl., München 2016 (zit.: K/S)

Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf Rüdiger, VwGO, 22. Aufl., München 2016

Kugelmann, Dieter, Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl., Berlin 2011

Lisken, Hans/Denninger, Erhard, (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., München 2012 (zit.: L/D-Bearbeiter)

Möller, Manfred/Warg, Gunter , Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl., Stuttgart 2012 (zit.: M/W)

Mann, Thomas, In: Erbguth/Mann/Schubert, Besonderes Verwaltungsrecht, 12. Aufl., Heidelberg 2015

Muckel, Stefan, Klausurenkurs zum Besonderen Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Neuwied 2016

Ossenbühl, Fritz/Cornils, Matthias, StaatshaftungsR, 6. Aufl., München 2013

Pieper, Hans-Gerd, Polizeirecht, Sicherheits- und Ordnungsrecht, Münster 2009

Pieroth, Bodo/Schlink, Bernhard/Kniesel, Michael, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl., München 2016 (zit.: P/S/K)

Sachs, Michael, In: Preis/Prütting/Sachs/Weigend, Die Examensklausur, 4. Aufl., München 2010

Sander, Gerald, Fälle zum Besonderen Verwaltungsrecht, 4. Aufl., München 2014 (vormals Förster/Sander)

Schenke, Wolf Rüdiger, Polizei- und Ordnungsrecht, 9. Aufl., Heidelberg 2016

Schoch, Friedrich, Polizei- und Ordnungsrecht, In: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Bes. VerwR, 15. Aufl., Berlin 2013

Schönenbroicher, Klaus/Heusch, Andreas, OBG NRW, Siegburg 2014 (zit.: S/H)

Tegtmeyer, Henning/Vahle, Jürgen, Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, 11. Aufl., Stuttgart 2014 (zit.: (T/V)

Thiel, Markus, Polizei- und Ordnungsrecht 3. Aufl., Baden-Baden 2016

Verlag Deutsche Polizeiliteratur GmbH, Polizei-Fach-Handbuch in 5 Bänden, Loseblatt-Sammlung, Stand: Dezember 2016 (zit.: VDP-PolFaHa)

Wolfgang, Hans-Michael/Hendricks, Michael/Merz, Matthias, Polizei- und Ordnungsrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl., München 2011 (zit.: W/H/M)

Winkler, Markus, Klausurtraining Besonderes Ordnungsrecht, Baden-Baden 2012

1. Abschnitt:Einleitung, Grundbegriffe

A.Gegenstand des Polizei- und Ordnungsrechts1

1Gegenstand des Polizei- und Ordnungsrechts ist primär die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung sowie die Beseitigung von Störungen („Gefahrenabwehr i. e. S.“).

Im Sonderordnungsrecht (dazu näher unten) geht es in Teilbereichen auch um die Gefahrenvorsorge (vgl. z. B. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) oder um das sog. Risikomanagement (vgl. z. B. das GentechnikG;2 § 13 HaSiG NRW).3

Das Polizeirecht befasst sich neben der Gefahrenabwehr i. e. S. (§ 1 Abs. 1 S. 1 PolG NRW) auch noch mit der Verhütung und vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten (Gefahrenabwehr i. w. S.); vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 PolG.

B.Trennungssystem

2In NRW werden, wie in den meisten anderen Bundesländern, die Aufgaben der Gefahrenabwehr zum einen wahrgenommen von den Ordnungsbehörden (§ 1 Abs. 1 OBG NRW), zum anderen aber auch von Polizeibehörden (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW); sog. Trennungssystem.4

Beim sog. Misch- oder Einheitssystem (z. B. in Baden-Württemberg) sind alle Aufgaben der Gefahrenabwehr bei einer Behörde konzentriert.5

C.Formeller, institutioneller und materieller Polizeibegriff6

3–  Polizei im materiellen Sinne ist die mit Zwangsgewalt verbundene Staatstätigkeit, die im Falle der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dazu dient, von der Allgemeinheit oder von dem Einzelnen Gefahren abzuwehren und bereits eingetretene Störungen zu beseitigen.7

–  Polizei im institutionellen Sinne sind diejenigen Stellen der öffentlichen Verwaltung, die dem Organisationsbereich der Polizei zugehören.8

–  Der formelle Polizeibegriff bezeichnet diejenigen Aufgaben, die von der Polizei im institutionellen Sinne wahrgenommen werden, unabhängig davon, ob es sich um Gefahrenabwehr oder um sonstige Verwaltungstätigkeit (z. B. Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder Strafverfolgung) handelt.9

D.Allgemeines und Sonderordnungsrecht, Subsidiarität

4Das Sonderordnungsrecht befasst sich nur mit Teilbereichen der Gefahrenabwehr,10 während das allgemeine Ordnungsrecht, das OBG, allgemein und als Auffangtatbestand alle Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erfasst.11

Beispiele für Sonderordnungsrecht des Bundes sind etwa das BImSchG,12 das GaststättenG,13 die Gewerbeordnung,14 die StVO,15 das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB).16

Beispiele für Sonderordnungsrecht des Landes NRW sind etwa das LandesbodenschutzG,17 das LandeswasserG (= LWG18) oder die BauO NRW.19

Sofern das Sonderordnungsrecht keine Regelung betreffend formeller oder materieller Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des ordnungsbehördlichen Handelns trifft, ist im Wege der Auslegung im Einzelfall zu ermitteln, ob das OBG ergänzend herangezogen werden darf (vgl. etwa § 14 Abs. 2 S. 2 OBG NRW z. B. i. V. m. § 138 S. 3 LWG NRW oder § 35 Abs. 4 LandesabfallG NRW20) oder ob dies verboten ist wegen abschließender Regelung im Sonderordnungsrecht; sog. Subsidiarität des allgemeinen zum besonderen Ordnungsrecht;21 vgl. dazu i. E. unten.

Das Sonderordnungsrecht erlangt insbes. dann Bedeutung, wenn es für den konkreten Fall ein Ge- oder Verbot enthält, aber keine Ermächtigungsgrundlage. In diesem Falle darf grds. eine Ermächtigungsgrundlage des allgemeinen POR herangezogen werden (z. B. §§ 14 Abs. 1 OBG NRW, 8 Abs. 1 PolG NRW).22

Zur sog. Polizeifestigkeit von Presse und Versammlungen vgl. noch im Einzelnen unten Rdnr. 223 ff.

Dieses Skript befasst sich (neben dem Polizeirecht) nur mit dem allgemeinen Ordnungsrecht.

E.Allgemeine und Sonderordnungsbehörden

I.Allgemeine Ordnungsbehörden

5Die allgemeinen Ordnungsbehörden sind abschließend geregelt in § 3 OBG NRW (örtliche Ordnungsbehörde, Kreisordnungsbehörde, Landesordnungsbehörde). Sie sind immer zuständig zur Ausführung des OBG (allgemeines Ordnungsrecht), im Einzelfall auch zur Durchführung von Sonderordnungsrecht.23

Beispiele: § 1 S. 1 LMBVG:24 Kreisordnungsbehörde; § 48 Abs. 2 OBG: Zuständigkeit der örtlichen und Kreisordnungsbehörden für einzelne straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen; § 2 Abs. 1 GewRV25 i. V. m. Anlage: örtliche Ordnungsbehörde, Kreisordnungsbehörde

II.Sonderordnungsbehörden

6Sonderordnungsbehörden sind nur zuständig zur Durchführung von Sonderordnungsrecht (materielle Komponente; vgl. auch § 12 Abs. 1 OBG NRW) und haben immer eine andere Bezeichnung als die allgemeinen Ordnungsbehörden i. S. v. § 3 OBG NRW (formelle Komponente). Zu unterscheiden sind dabei selbstständige und unselbstständige Sonderordnungsbehörden.

7Unselbstständige Sonderordnungsbehörden sind Teil der Kommunal- oder Kreisverwaltung (Bürgermeister der Gemeinde G, Landrat des Kreises K als Behördenorganisation) bzw. der unmittelbaren Landesverwaltung (z. B. Bezirksregierung).

Beispiele: Untere Bauaufsichtsbehörde („Bauamt“): § 60 Abs. 1 Nr. 3 BauO; untere Wasserbehörde: § 136, 3. Fall LWG; untere Denkmalbehörde: § 20 Abs. 1 Nr. 3 DenkmalschutzG;26 untere Abfallwirtschaftsbehörde: § 34 Abs. 1, 3. Fall LandesabfallG; untere Bodenschutzbehörde: §§ 15 Abs. 1, 13 Abs. 1, 3. Fall LandesbodenschutzG; Straßenverkehrsbehörde: § 1 StVO – Zuständigkeitsverordnung;27 Hafensicherheitsbehörde als Teil der Bezirksregierung Düsseldorf: § 4 HaSiG NRW28

8Selbstständige Sonderordnungsbehörden sind organisatorisch verselbstständigt (außerhalb der Gemeinde- und Kreisverwaltung) und gehören regelmäßig zur staatlichen (d. h. Landes-) Behördenorganisation.

Beispiele: Staatliches Umweltamt: § 138 S. 1 LWG; Bergbehörde: § 13 Abs. 2 LandesbodenschutzG; Landesbetrieb Wald und Holz: § 55 Abs. 1 LFoG.29

9Die Definition der Sonderordnungsbehörde wird str. diskutiert. Neben der oben dargestellten Zweiteilung werden teilweise alle Behörden mit anderer Bezeichnung als die allgemeinen Ordnungsbehörden ohne Unterschied als Sonderordnungsbehörden bezeichnet,30 teilweise nur die selbstständigen Sonderordnungsbehörden.31

10Eine Sonderstellung im Bereich der Gefahrenabwehr nehmen ein die Feuerwehr (FSHG NRW32), die kommunalen Rettungsdienste (RettungsG NRW33) und die Gesundheitsbehörden (ÖGDE34).

Nicht behandelt werden in diesem Skript die Polizei- und Ordnungsbehörden des Bundes.35

F.Rechtsquellen

11Für das Handeln der allgemeinen Ordnungsbehörden sind im Wesentlichen maßgeblich:

–  Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden – Ordnungsbehördengesetz (OBG NRW) – vom 13.5.1980 (GV S. 528), letzte Änderung am 2.10.2014 (GV S. 622),

–  Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land NRW (VwVG NRW) vom 19.2.2003 (GV S. 156), letzte Änderung am 8.7.2016 (GV S. 557),36

–  Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land NRW (VwVfG NRW) vom 12.11.1999 (GV S. 602), letzte Änderung am 20.5.2014 (GV S. 294).

12Für das Handeln der Polizeibehörden gilt im Rahmen dieser Darstellung das

–  Polizeigesetz des Landes NRW (PolG NRW) vom 25.7.2003 (GV S. 441), letzte Änderung am 6.12.2016 (GV S. 1061),

–  Gesetz über die Organisation und Zuständigkeit der Polizei im Lande NRW – Polizeiorganisationsgesetz (POG NRW) – vom 5.7.2002 (GV S. 308), letzte Änderung am 21.6.2013 (GV S. 375),

–  VwVfG NRW (s. o. Rdn. 11).

Sofern es um Kostenansprüche gegen den Bürger geht, ist für beide Behörden einschlägig:

–  die Verordnung zum Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VO-VwVG NRW) vom 8.12.2009 (GV S. 787), geändert am 30.11.2012 (GV S. 614),

–  über § 77 Abs. 4 S. 1 VwVG NRW einzelne Vorschriften des Gebührengesetzes für das Land NRW (GebG NRW) vom 23.8.1999 (GV S. 524), letzte Änderung am 2.10.2014 (GV S. 622).

13Bei Auslegungs- und Streitfragen können ergänzend herangezogen werden die Verwaltungsvorschriften (VV)37 zum OBG,38 zum VwVG,39 zum PolG,40 zum POG.41

2. Abschnitt:Die ordnungsbehördliche Verfügung

14Grundfälle zum allgemeinen POR bei Beaucamp JA 2009, 279; zu typischen Klausurproblemen vgl. Poscher/Rusteberg JuS 2011, 888 (mehrere Teile).

A.Prüfschema: Rechtmäßigkeit einer ordnungsbehördlichen Verfügung

A.Ermächtigungsgrundlage bzw. Befugnisnorm („Vorbehalt des Gesetzes“)

I.  Aus Sonderordnungsrecht; wenn (–)

II.  aus dem OBG

1.  § 24 Nr. 1–13 OBG i. V. m. PolG (sog. Standardermächtigungen); wenn (–)

2.  § 14 Abs. 1 OBG

Beachte: Auch bei den formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen ist im konkreten Fall zunächst zu untersuchen, ob nicht eine Norm des Sonderordnungsrechts einschlägig ist und damit die Anwendbarkeit des OBG verdrängt (Grundsatz der Subsidiarität des OBG zum Sonderordnungsrecht).

B.Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen („Vorrang des Gesetzes“)

I.  Zuständigkeit

1.  sachlich/instanziell: §§ 5, 3 Abs. 1, 1. Fall OBG

2.  örtlich

a)  § 4 OBG

b)  evtl. ergänzend: § 3 VwVfG NRW

Mögliche Probleme:

–  Zuständigkeit bei störendem Hoheitsträger

–  Selbsteintrittsrecht gemäß § 6 OBG

II.  Form im weiteren Sinne

1.  grds. Schriftform gemäß § 20 Abs. 1 S. 1 OBG

2.  §§ 37 Abs. 3, 39 Abs. 1 VwVfG NRW

III.  Verfahren

1.  §§ 20, 28 Abs. 1 VwVfG NRW

2.  evtl. Mitwirkung des Bürgers (z. B. Beteiligung gemäß §§ 73, 74 BauO NRW); sog. mitwirkungsbedürftiger VA

3.  evtl. Mitwirkung weiterer Behörden (z. B. Anhörung gemäß § 35 Abs. 4 GewO); sog. mehrstufiger VA

C.Materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen („Vorrang des Gesetzes“)

I.  Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage

1.  Schutzgut der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung betroffen

Mögliches Problem: Vorrang zivilgerichtlichen Rechtsschutzes (§ 1 Abs. 2 PolG analog)

2.  konkrete Gefahr (oder Störung)

–  evtl. engere Gefahrbegriffe, z. B. gegenwärtige Gefahr

–  evtl. subjektive Gefahrbegriffe, z. B. Anscheinsgefahr oder Gefahrenverdacht

II.  Ordnungspflicht bzw. Störereigenschaft des Adressaten

1.  Handlungsstörer gemäß § 17 OBG

2.  Zustandsstörer gemäß § 18 OBG

3.  Nichtstörer oder Notstandspflichtiger gemäß § 19 OBG

Mögliche Probleme:

–  adressatneutraler VA

–  Kausalitätstheorien, Zweckveranlasser

–  Rechtsnachfolge in die Ordnungspflicht

–  Anforderungen an den Verdachts- oder Anscheinsstörer

–  Haftungsreduktion wegen Art. 14 GG bei „Opferposition“

–  Legalisierungswirkung, insbes. von Altgenehmigungen

III.  Zulässige Rechtsfolge

IV.  (Entspricht die behördlich gesetzte Rechtsfolge den) allg. Rechtmäßigkeitsanforderungen?

1.  keine Ermessensfehler; §§ 16, 23 S. 2 OBG

2.  ordnungsgemäße Betätigung des Auswahlermessens bei Störermehrheit; §§ 15, 22, 21 S. 2 OBG

3.  Verhältnismäßigkeit

Mögliche Probleme:

–  Gefahr- oder Störererforschungseingriff

–  Duldung

4.  bei Anlass: Bestimmtheit; § 37 Abs. 1 VwVfG NRW

5.  bei Anlass: Möglichkeit der Handlungspflichterfüllung

B.Ermächtigungsgrundlage

15Grundfälle bei Büscher JA 2010, 719, 791.

I.Definitionen und Abgrenzung

1.Ermächtigungsgrundlagen

16Ermächtigungsgrundlagen sind nur solche Normen, die einem Träger hoheitlicher Gewalt bzw. dessen Behörde ausdrücklich die Befugnis einräumen, unter bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen Rechtsfolgen ggü. dem Bürger oder einem anderen Hoheitsträger zu setzen (Befugnisnorm).

Beispiel: § 14 Abs. 1 OBG

Nicht ausreichend sind Zuständigkeitsnormen, Aufgabenzuweisungen oder Verbote.

2.Zuständigkeitsnormen

17Zuständigkeitsnormen (wie z. B. §§ 5 Abs. 1 OBG, 11 Abs. 1 Nr. 1 POG) dienen zunächst nur dazu, bestimmten Behördeninstanzen (z. B. örtliche Ordnungsbehörde – Ordnungsamt –, Kreispolizeibehörde) bestimmte Aufgaben oder die Durchführung bestimmter Gesetze zuzuweisen; eine Eingriffsermächtigung stellen sie nach ganz h. M. nicht dar.

3.Aufgabenzuweisungen

18Gleiches gilt für Aufgabenzuweisungen (wie z. B. §§ 1 Abs. 1 OBG, 1 Abs. 1 S. 1 PolG), welche bestimmte Aufgaben (z. B. Gefahrenabwehr) staatlichen Organen (z. B. „Polizei“) oder Behörden (z. B. „Ordnungsbehörden“) zuweisen.

Umstritten ist dieser rechtliche Befund insbes. im Bereich behördlicher Warnerklärungen vor Jugendsekten oder vor schädlichen Lebensmitteln.42

4.Verbote/Gebote

19Verbote oder Gebote (wie z. B. § 32 Abs. 1 StVO) enthalten ebenfalls keine Befugnis der zuständigen Behörde, bei Nichtbeachtung eine Verfügung ggü. dem Bürger zu erlassen. Die Behörde muss vielmehr eine weitere Ermächtigungsgrundlage (z. B. § 14 Abs. 1 OBG i. V. m. § 32 Abs. 1 StVO) heranziehen, um einen drohenden oder erfolgten Verstoß gegen das Gebot/Verbot zu verhindern (sog. unselbstständige Ordnungsverfügung).

II.Erforderlichkeit einer Ermächtigungsgrundlage; Vorbehalt des Gesetzes

20Ordnungsrechtliche Verfügungen bedeuten regelmäßig einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG oder in besondere Freiheitsrechte, wie z. B. Art. 12 und 14 GG. Damit handelt es sich um grundrechtsrelevante Maßnahmen, die stets den sog. Vorbehalt des Gesetzes auslösen, dogmatisch begründet aus dem jeweils betroffenen Grundrecht und dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG.43

Sofern für eine belastende Ordnungsverfügung eine Ermächtigungsgrundlage fehlt oder unwirksam ist wegen Verfassungswidrigkeit,44 ist der entsprechende VA schon deshalb materiell rechtswidrig wegen Verletzung des konkret betroffenen Grundrechts und wegen Verstoßes gegen Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip).

Unwirksamkeit kann insbes. dann vorliegen, wenn die vorhandene Ermächtigungsgrundlage nicht hinreichend bestimmt ist in Ansehung der Beeinträchtigung beim -Adressaten und des Rangs des jeweiligen Grundrechts. Dies ist insbes. problematisch bei Heranziehung der Generalklausel (§§ 14 Abs. 1 OBG, 8 Abs. 1 PolG) für Eingriffe in die Berufsfreiheit,45 in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG46 oder in sonstige besondere Freiheitsgrundrechte.47

III.Normenhierarchie; Subsidiarität

1.„Sonderordnungsrecht vor allgemeinem Ordnungsrecht“; § 14 Abs. 2 OBG48

21Wegen des Grundsatzes der Subsidiarität des OBG zum Sonderordnungsrecht ist zunächst im konkreten Fall zu prüfen, ob nicht das Sonderordnungsrecht des Bundes (z. B. § 35 Abs. 1 GewO) oder das Sonderordnungsrecht des Landes NRW (z. B. § 15 LImSchG) die erforderliche Ermächtigungsgrundlage gibt.

2.„Standardermächtigung vor Generalklausel“49

22Sofern das nicht der Fall ist, darf nicht direkt § 14 Abs. 1 OBG als ordnungsrechtliche Generalklausel herangezogen werden, sondern es muss zunächst untersucht werden, ob im konkreten Fall nicht sog. Standardermächtigungen nach dem PolG i. V. m. § 24 OBG einschlägig sind (Subsidiarität der ordnungsrechtlichen Generalklausel zu Standardermächtigungen).50

IV.Anwendbarkeit der Generalklausel bei atypischen, aber grundrechtsintensiven Eingriffsmaßnahmen?

23Unklar und umstritten sind die Voraussetzungen, unter denen auch intensive Grundrechtseingriffe auf die Generalklausel gestützt werden können.

Beispiele: Glasverbot im Straßenkarneval,51 Meldeauflage an potenzielle Straftäter,52 Standortbestimmung eines Handys zur Verhinderung eines Selbstmordes,53 landesrechtlich nicht geregelte körperliche Untersuchung zur Gefahrenabwehr54

24–  Nach einer Auffassung (Meinung 1) sind Eingriffsmaßnahmen mit besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen, insbes. in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, gestützt auf die ordnungs- oder polizeirechtlichen Generalklauseln unzulässig.55

Kritik: Es entstehen Abgrenzungsschwierigkeiten hinsichtlich der Frage, wann Grundrechtseingriffe besonders schwerwiegend oder weniger schwerwiegend sind.

25–  Nach a. A. (Meinung 2) kommt es für die Anwendbarkeit der Generalklausel nicht darauf an, wie intensiv die Grundrechtsbeeinträchtigung im konkreten Fall ist, sondern darauf, ob es sich um eine atypische Gefahrensituation handelt. Der Gesetzgeber habe mit den Standardermächtigungen für typische Situationen typisierte (standardisierte) Befugnisse geschaffen und daneben die Generalklausel als Eingriffsgrundlage für alle atypischen Situationen beibehalten.56 Der Rückgriff auf die Generalklausel sei allenfalls nur für eine Übergangszeit gerechtfertigt, wenn die Situation von einer atypischen zu einer typischen geworden ist und sich für die Maßnahme Standards entwickelt haben und sich wohlmöglich in einzelnen Ländern auch schon Regelungen finden.57

Kritik: Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Frage, wann atypische Situationen zu typischen Situationen werden58 sowie hinsichtlich der Länge der Übergangszeit, die dem Landesgesetzgeber zuzustehen ist.59

26–  Nach einer weiteren Auffassung, die insbes. von der Rspr. vertreten wird (Meinung 3), sind die Kriterien der Meinung 1 und 2 für die Anwendbarkeit der Generalklausel bei intensiven Grundrechtseingriffen nicht heranzuziehen.60 Vielmehr sei nur zu prüfen, ob im konkreten Fall eine Standardermächtigung oder eine Befugnisnorm des besonderen Polizei- und Ordnungsrechts anwendbar ist, wobei weniger auf die Identität des Handlungsgebots abzustellen sei, sondern vielmehr auf die Zielrichtung der jeweiligen Standardermächtigung bzw. speziellen Befugnisnorm.61

Beispiel: Meldeauflage bedeutet, dass der Adressat sich regelmäßig innerhalb eines bestimmten Zeitraums auf einer Polizeiwache zu melden hat. Diese Rechtsfolge ist weitgehend identisch mit der der Vorladung (z. B. gemäß § 10 PolG).

Der Adressat einer Meldeauflage soll jedoch weder sachdienliche Hinweise zur Gefahrenabwehr machen noch erkennungsdienstliche Maßnahmen an sich durchführen lassen, sodass aus diesem Grunde die Standardermächtigung der Vorladung für Meldeauflagen nicht anwendbar ist.

Als äußerste Grenze für die Anwendung der Generalermächtigung werden Maßnahmen angesehen, die eine Freiheitsentziehung des Betroffenen darstellen.62

27–  Stellungnahme: Der Meinung 3 sollte aus Gründen der besseren Handhabbarkeit und wegen Vermeidung der Abgrenzungsschwierigkeiten der anderen beiden Meinungen gefolgt werden.

Klausurhinweis: Auch in einer Examensklausur sollte ohne Entfaltung des Meinungsstreits der Meinung 3 gefolgt werden; anders bei einer Hausarbeit.

C.Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen

I.Zuständigkeit;63 störende Hoheitsträger

1.Definition und Abgrenzung

28Zuständigkeitsnormen regeln, welche konkrete Behörde im Einzelfall ein bestimmtes Gesetz (z. B. das OBG) durchführen oder einen bestimmten Aufgabenbereich (z. B. Abwehr von Gefahren für das Grundwasser) wahrnehmen darf. Zu unterscheiden sind sachliche, instanzielle und örtliche Zuständigkeit.

29a) Sachliche Zuständigkeit. Die sachliche Zuständigkeit bezieht sich auf den Inhalt der wahrzunehmenden Inhalte und Befugnisse.

Beispiele: Gemäß §§ 1 Abs. 1 und 5 Abs. 1 OBG sind die Ordnungsbehörden für die Abwehr von Gefahren zuständig; gemäß § 138 S. 1 und 2 LWG obliegen den Wasserbehörden die Aufgaben nach dem WasserhaushaltsG und nach dem LandeswasserG.

30b) Instantielle Zuständigkeit. Da Aufgaben der Gefahrenabwehr von unterschiedlichen Behördeninstanzen wahrgenommen werden können, muss des Weiteren festgelegt werden, welche der verschiedenen Behördeninstanzen im konkreten Einzelfall zur Durchführung eines Gesetzes oder eines Aufgabenbereiches zuständig ist; instanzielle Zuständigkeit.

–  So besteht im Bereich der allgemeinen Ordnungsbehörden eine vierstufige Behördenhierarchie: Die untersten drei Ebenen ergeben sich aus § 3 OBG (örtliche Ordnungsbehörde, Kreisordnungsbehörde, Landesordnungsbehörde), während die oberste „Ordnungsbehörde“ nach § 7 OBG das jeweils zuständige Ministerium ist.

Beispiele: Im Bereich der Gewerbeüberwachung das Landesministerium für Wirtschaft; im Bereich des Umweltrechts das Landesumweltministerium; im Bereich des OBG das Ministerium für Inneres und Kommunales (MIK).

–  Bei Sonderordnungsbehörden ist die Behördenhierarchie im Sonderordnungsgesetz selbst geregelt und regelmäßig dreistufig (z. B. oberste, obere und untere Wasserbehörde gemäß § 136 LWG).

–  Regelmäßig ist die unterste Behördeninstanz instanziell zuständig, meist kraft ausdrücklicher Regelung (vgl. z. B. § 5 Abs. 1 OBG). Sofern eine ausdrückliche Regelung fehlt, wie z. B. im LandeswasserG, ergibt sich die grds. instanzielle Zuständigkeit der untersten Instanz kraft Verwaltungsgewohnheitsrechts.

Also ist zur Bekämpfung wasserrechtlicher Gefahren grds. die untere Wasserbehörde instanziell zuständig.

–  Regelmäßig wird im Gesetz die instanzielle Zuständigkeit nicht gesondert geregelt, sondern zusammen mit der sachlichen Zuständigkeit.

Beispiel: § 5 Abs. 1 S. 1 OBG: „Für die Aufgaben der Gefahrenabwehr sind die örtlichen Ordnungsbehörden zuständig.“

31c) Örtliche Zuständigkeit. Da es in NRW zahlreiche örtliche Ordnungsbehörden oder untere Wasserbehörden gibt, muss schließlich noch geklärt werden, welche konkrete Behörde im jeweiligen Fall örtlich zuständig ist.

Regelmäßig ergibt sich die örtliche Zuständigkeit von allgemeinen und Sonderordnungsbehörden aus § 4 OBG. Danach ist örtlich zuständig die Ordnungsbehörde, in deren Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden.

In Einzelfällen kann ergänzend § 3 VwVfG NRW herangezogen werden, z. B. bei baurechtlichen VAen § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG NRW, der im Rahmen von § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG NRW Bedeutung erlangt.

32d) Funktionelle Zuständigkeit. Vereinzelt wird noch unterschieden die funktionelle Zuständigkeit, welche die Unterscheidung zwischen eigenständiger Aufgabenwahrnehmung (Wahrnehmungskompetenz) und deren Beaufsichtigung durch Fach- und Rechtsaufsichtsbehörden betrifft und relevant wird beim sog. Selbsteintritt von Aufsichtsbehörden, z. B. gemäß § 10 OBG oder gemäß § 123 Abs. 2 GO NRW.64

2.Ermittlung der relevanten Zuständigkeitsnorm

33–  Sofern ausschließlichallgemeines Ordnungsrecht (OBG) relevant ist, ergeben sich die Zuständigkeitsnormen notwendigerweise nur aus diesem Gesetz.

–  Sofern es um die Durchführung von sonderordnungsrechtlichen Vorschriften geht, ist zunächst das Sonderordnungsgesetz zu untersuchen und allenfalls bei Fehlen von Zuständigkeitsnormen (z. B. zur örtlichen Zuständigkeit) auf das OBG zurückzugreifen; dies gilt auch dann, wenn ein VA im sonderordnungsrechtlichen Bereich auf Ermächtigungsgrundlagen des OBG gestützt wird.

Beispiel: Verfügung zur Abwehr von Gefahren für das Grundwasser gestützt auf § 14 Abs. 1 OBG i. V. m. § 138 S. 3 LWG. Zuständige Behörde ist in diesem Fall nicht die örtliche Ordnungsbehörde (§ 5 Abs. 1 OBG), sondern die untere Wasserbehörde (§ 136 LWG); vgl. dazu auch unten Fall 1.

3.Ermittlung der konkret zuständigen Behörde

34Regelmäßig ist die Zuständigkeit als Ordnungsbehörde Körperschaften zugeordnet, sodass zumindest in Examensklausuren und Hausarbeiten unter Hinzuziehung der GO NRW bzw. der KrO NRW zu ermitteln ist, welches Verwaltungsorgan bzw. welche Behörde konkret sachlich instanziell zuständig ist.

Wichtige Ausnahmen: Landesordnungsbehörde ist gemäß § 3 Abs. 2 OBG die Bezirksregierung; sachlich zuständig zur Durchführung der StVO ist grds. die Straßenverkehrsbehörde gemäß § 44 Abs. 1 StVO.

35a) Kreis. Die Zuständigkeit zur Durchführung eines Gesetzes oder Aufgabenbereiches ist den Kreisen zugewiesen:

Beispiel: Kreisordnungsbehörden gemäß § 3 Abs. 1, 2. Fall OBG

Gemäß § 42e KrO NRW handelt für die Kreise regelmäßig der Landrat. Sofern also die Gefahr im Landkreis K zu bekämpfen ist, wäre der Landrat des Kreises K im konkreten Fall sachlich und örtlich zuständig.

36b) Kreisfreie Stadt. Die Zuständigkeit ist den kreisfreien Städten zugewiesen:

Beispiele: § 136 LWG; Kreisordnungsbehörden gemäß § 3 Abs. 1, 2. Fall OBG

Gemäß § 63 Abs. 1 GO NRW handeln für die Gemeinden grds. die Bürgermeister (i. w. S. als Behördenorganisation bzw. Behörde); gemäß § 40 Abs. 2 S. 2 GO NRW dürfen die Bürgermeister in kreisfreien Städten den Titel „Oberbürgermeister“ führen. Sofern also im konkreten Fall eine Gefahr im Bereich der kreisfreien Stadt S zu bekämpfen ist, wäre der Oberbürgermeister von S sachlich und örtlich zuständig zum Erlass einer Ordnungsverfügung.

37c) Gemeinden. Die Zuständigkeit zur Durchführung eines Gesetzes oder Aufgabenbereiches ist den Gemeinden zugewiesen:

Beispiel: Örtliche Ordnungsbehörden gemäß § 3 Abs. 1, 1. Fall OBG

Für die Gemeinde handelt gemäß § 63 Abs. 1 GO NRW regelmäßig der Bürgermeister (i. w. S. als Behördenorganisation bzw. als Behörde); sofern der Fall in einer kreisfreien Stadt spielt, handelt wegen § 40 Abs. 2 S. 2 GO NRW der Oberbürgermeister (als Verwaltungsorganisation bzw. Behörde und nicht als Einzelperson). Sofern also im konkreten Fall eine Gefahr im Bereich der kreisangehörigen Gemeinde G zu bekämpfen war, wäre sachlich und örtlich zuständig zum Erlass einer Ordnungsverfügung der Bürgermeister von G.

4.Außerordentliche Zuständigkeit

38Sofern die eigentlich sachlich oder örtlich zuständige Behörde nicht mehr rechtzeitig und effektiv eine Gefahr bekämpfen kann (Gefahr im Verzug), kann auch jede andere Ordnungsbehörde in ihrem Bezirk die Befugnisse einer anderen Ordnungsbehörde ausüben; vgl. § 6 Abs. 1 OBG.

5.Zuständigkeit bei störendem Hoheitsträger; formelle und materielle Ordnungspflicht65

39Fallbearbeitung bei G/J Fall 2.

Beispiele: Lärmimmissionen durch kommunale Einrichtungen;66 Lärmimmissionen durch Einrichtungen der Bundeswehr (z. B. Panzerdepot, Militärflugplatz); Grundwassergefahr durch einen verunglückten Bundeswehr-Tanklastwagen;67 Ölverschmutzung oder Sonderabfälle bei Bundeswasserstraßen68

40a) Formelle Ordnungspflicht. Die sachliche Zuständigkeit der Ordnungsbehörde zum Erlass einer Ordnungsverfügung gegenüber einem störenden Hoheitsträger ist zunächst deswegen problematisch, weil für die Beachtung des jeweils einschlägigen Ordnungsrechts die jeweils tätig werdende Hoheitsverwaltung selbst zuständig und (wegen des Vorrangs des Gesetzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG) selbst verantwortlich ist.69 Des Weiteren kann die Befolgungspflicht einer ordnungsbehördlichen Verfügung im Einzelfall zu mehr oder weniger großen Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtung führen wie z. B. bei einem Nachtflugverbot bzgl. eines Militärflugplatzes.70

41Insbes. aus dem letzteren Grunde wird deshalb von der h. M. die sachliche Zuständigkeit zum Erlass einer Ordnungsverfügung dann abgelehnt, wenn die Befolgung der jeweiligen Ordnungsverfügung durch den Hoheitsträger die Erfüllung seiner öffentlich-rechtlichen Aufgaben ernstlich beeinträchtigt.71

42Nach teilweise vertretener Auffassung wird auch in solchen Fällen die sachliche Zuständigkeit der Ordnungsbehörde bejaht, wo eine Beeinträchtigung der hoheitlichen Aufgabenwahrnehmung droht,72 teilweise wird auch dann die sachliche Zuständigkeit abgelehnt, wenn die Befolgung der Ordnungsverfügung nicht zu einer Beeinträchtigung der effektiven Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben führen kann.73

43Sofern die sachliche Zuständigkeit fehlt, bleibt immer noch ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde74 oder eine Klage der jeweils betroffenen Bürger gegen den störenden Hoheitsträger.75

44Gleiche Grundsätze (und Streitfragen) gelten auch, wenn ein Hoheitsträger verwaltungsprivatrechtlich handelt, also unmittelbar öffentliche Zwecke in privatrechtlichen Handlungs- oder Organisationsformen (z. B. Gefahr durch Stadtwerke GmbH) wahrnimmt.76

45Unstreitig besteht die sachliche Zuständigkeit zum Erlass einer Ordnungsverfügung zunächst in den Fällen, wo der Hoheitsträger in vergleichbarer Weise wie der Bürger handelt. Das ist insbes. der Fall bei der allgemeinen Teilnahme am Straßenverkehr, bei der fiskalischen Verwaltung (z. B. Gefahr durch ein Mietshaus der Gemeinde) und bei der erwerbswirtschaftlichen Betätigung.77

46Des Weiteren ist auch dann unproblematisch von der Zuständigkeit auszugehen, wenn aufgrund Sonderordnungsrechts auch Hoheitsträger einer Genehmigungs- bzw. Überwachungspflicht unterliegen.

Beispiel: §§ 4 ff. USchadG78

47Bei öffentlich-rechtlichem Handeln von Religionsgemeinschaften ist wie folgt zu unterscheiden:

Sofern die Religionsgemeinschaft als Beliehene handelt (z. B. Friedhofsverwaltung) gelten die gleichen Grundsätze (und Streitfragen) wie oben unter a), Rdnr. 40 ff.

Sofern es um sonstiges öffentlich-rechtliches Handeln geht (z. B. sakrales Läuten), ist die Ordnungsbehörde jedenfalls dann sachlich unzuständig, wenn die Befolgung einer Ordnungsverfügung zu einer Beeinträchtigung des Handelns der Religionsgesellschaft führt.79

48Die sachliche Zuständigkeit der Ordnungsbehörde zum Erlass einer ordnungsbehördlichen Verfügung wird auch, bezogen auf den störenden Hoheitsträger, als formelle Ordnungspflicht bezeichnet.

49b) Materielle Ordnungspflicht. Von der formellen Ordnungspflicht zu unterscheiden ist die materielle Ordnungspflicht, die sich insbes. auf die Frage bezieht, inwieweit der jeweilige Hoheitsträger zur Beachtung der jeweils einschlägigen ordnungsrechtlichen Normen verpflichtet ist.80

Nach einer Auffassung besteht eine vollumfängliche Bindung, insbes. muss der Bund auch die jeweils einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften beachten.81

Nach wohl h. M. besteht nur eine eingeschränkte Bindungswirkung, soweit dies für die Funktionsfähigkeit im Einzelfall erforderlich ist (sog. Lehre von der elastischen Gesetzesbindung).82

Relevanz: Die materielle Ordnungspflicht erlangt insbes. Bedeutung beim Störerauswahlermessen (dazu unten Rdnr. 178 ff.) und beim Kostenerstattungsanspruch wegen Gefahrbeseitigung durch die Gemeinde oder den Kreis (dazu unten Rdnr. 580 ff.).

6.Zusammenfassend zu den oben dargestellten Zuständigkeitsproblemen

50Fall 1:Bundeswehröl im Grundwasser

Während eines Manövers verunglückt ein Tank-Lkw der Bundeswehr. Das auslaufende Benzin sickert in die neben der Straße liegende Wiese und gefährdet das Grundwasser. Der Oberbürgermeister der kreisfreien Stadt S fragt, ob er an die Bundeswehr eine Ordnungsverfügung erlassen kann mit dem Inhalt, den kontaminierten Boden bis zu einer Höhe von 50 cm abzutragen?

Abwandlung: Wie ist zu entscheiden,

A. wenn der Unfall im Bereich der kreisangehörigen Gemeinde G passiert ist und dessen Bürgermeister die Ordnungsverfügung erlassen will?

B. wenn der Unfall außerhalb des Manövers bei normaler Teilnahme am Straßenverkehr entstanden ist?

51Teil 1: Lösung Ausgangsfall: Rechtmäßigkeit einer Ordnungsverfügung an die Bundeswehr durch den Oberbürgermeister der kreisfreien Stadt S83

A.Ermächtigungsgrundlage

I.  Ermächtigungsgrundlagen aus dem Sonderordnungsrecht, insbes. aus dem WHG bzw. LWG sind nicht ersichtlich.

II.  Da auch Standardermächtigungen gemäß § 24 OBG i. V. m. PolG nicht einschlägig sind, ist Ermächtigungsgrundlage § 14 Abs. 1 OBG; vgl. auch § 138 S. 3 LWG (dazu näher sogleich).

B.Formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen

I.  Zuständigkeit des Oberbürgermeisters von S

1.  Sachlich zuständig zur Bekämpfung von Gefahren für das Grundwasser sind die unteren Wasserbehörden, also der Landrat für den Kreis oder der Oberbürgermeister für eine kreisfreie Stadt; § 136, 3. Fall; § 1 Abs. 1 LWG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 WHG.84

Örtlich zuständig gemäß §§ 4 Abs. 1, 12 Abs. 2 OBG ist die Ordnungsbehörde, in deren Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden, also hier der Oberbürgermeister der kreisfreien Stadt S.

2.  Fraglich und umstritten ist jedoch die sachliche Zuständigkeit zum Erlass einer Ordnungsverfügung in den Fällen, in denen es wie hier um Gefahren oder Störungen der öffentlichen Sicherheit aufgrund öffentlich-rechtlichen Handelns von Hoheitsträgern geht.

a)  Nach teilweise vertretener Auffassung wird die sachliche Zuständigkeit der Ordnungsbehörde in diesen Fällen entweder generell abgelehnt oder generell bejaht (vgl. oben FN 41).

b)  Nach wohl h. A. fehlt die sachliche Zuständigkeit nur dann, wenn die Befolgung der Ordnungsverfügung zu einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des jeweiligen Hoheitsträgers führt. Da nicht davon auszugehen ist, dass die Befolgung der hier geplanten Ordnungsverfügung durch die Bundeswehr die Durchführung des Manövers ernsthaft gefährden würde, ist nach dieser Auffassung die sachliche Zuständigkeit gegeben.

c)  Stellungnahme: Der h. M. ist zum Schutze der Funktionsfähigkeit des jeweiligen Hoheitsträgers, die ebenfalls Schutzgut der öffentlichen Sicherheit i. S. d. Ordnungsrechtes ist, zu folgen.

Damit wäre der Oberbürgermeister von S hier zuständig, eine Ordnungsverfügung an die Bundeswehr zu erlassen.

II.  Vor Erlass der Ordnungsverfügung muss grds. eine Anhörung erfolgen gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW.

III.  Die Ordnungsverfügung muss schriftlich ergehen wegen §§ 20 Abs. 1 S. 1, 12 Abs. 2 OBG; des Weiteren sind die besonderen Anforderungen an schriftliche Verwaltungsakte gemäß §§ 37 Abs. 3, 39 Abs. 1 VwVfG NRW zu beachten.

C.Materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen

I.  Die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage müssen erfüllt sein.

1.  Als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist hier betroffen die Unversehrtheit des Grundwassers als kollektives Schutzgut.

2.  In Bezug auf dieses Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist bereits eine Störung eingetreten, weil die Gefahr sich bereits realisiert hat und von der eingetretenen Sachlage eine in die Zukunft wirkende Gefährdung ausgeht.

II.  Die Bundeswehr ist Verhaltensstörerin gemäß § 17 Abs. 1 OBG, weil sie als juristische Person durch ein Verhalten ihrer Organe die Störung der öffentlichen Sicherheit herbeigeführt hat.85

III.  Schließlich kann die geplante Ordnungsverfügung auch unter Beachtung der allgemeinen Rechtmäßigkeitsanforderungen ergehen, sie ist insbes. verhältnismäßig.

Ergebnis zum Ausgangsfall: Der Oberbürgermeister von S könnte rechtmäßig die geplante Ordnungsverfügung erlassen.

52Teil 2: Lösung Abwandlung, Frage A: Rechtmäßigkeit einer Ordnungsverfügung durch den Bürgermeister von G?

I.  Grds. sind sachlich zuständig für die Bekämpfung der Gefahren für das Grundwasser nur die Behörden auf Kreisebene, also der Oberbürgermeister oder der Landrat (s. o. Ausgangsfall); § 136, 3. Fall LWG.

Danach wäre der Bürgermeister von G sachlich unzuständig.

II.  Eine außerordentliche Zuständigkeit des Bürgermeisters von G kann sich gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 OBG allenfalls ergeben bei Gefahr im Verzug.

Gefahr im Verzug ist eine Sachlage, bei der ein Schaden eintreten würde, wenn nicht anstelle der zuständigen Behörde eine andere Behörde tätig wird.

Nach teilweise vertretener Auffassung wird die Gefahr im Verzug gleichgesetzt mit der gegenwärtigen Gefahr, also einer Gefahrenlage, welche zu einem so nahen Zeitpunkt in einen Schaden umschlagen kann, dass der Schadenseintritt nicht ohne Hilfe Dritter abgewehrt werden kann.86

Sofern man der engeren Definition der Gefahr im Verzug folgt, ist eine außerordentliche Zuständigkeit des Bürgermeisters von G nur dann gegeben, wenn ein weiteres Zuwarten die Gefahr bzw. die Störung des Grundwassers vergrößern würde.

Sofern man der weiten Auslegung des Begriffes Gefahr im Verzug folgt, ist unproblematisch eine Zuständigkeit gegeben, weil bereits eine Störung des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit eingetreten ist.

53Teil 3: Lösung Abwandlung, Frage B: Fraglich ist, ob auch in diesem Falle die sachliche Zuständigkeit der Ordnungsbehörde problematisch ist wegen Beteiligung der Bundeswehr als „störendem Hoheitsträger“.

In diesem Falle ist jedoch die Gefahr bzw. Störung der öffentlichen Sicherheit durch ein Verhalten ausgelöst worden, das dem des Bürgers vergleichbar ist. In diesem Falle ist wohl unstreitig von einer sachlichen Zuständigkeit der Ordnungsbehörde auszugehen.

II.Verfahrens- und Formanforderungen

1.Verfahren

54Eine Ordnungsverfügung ist regelmäßig ein belastender VA, sodass grds. der Adressat als Beteiligter i. S. v. § 13 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG NRW zu den entscheidungserheblichen Tatsachen anzuhören ist, § 28 Abs. 1 VwVfG NRW.87

Gem. § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW kann jedoch von der Anhörung abgesehen werden bei Gefahr im Verzug (vgl. dazu oben Rdnr. 50 und unten Rdnr. 90); gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW gilt das Gleiche auch dann, wenn die Behörde eine Allgemeinverfügung erlassen will.

Besondere Anforderungen gelten bei Standardermächtigungen gemäß § 24 OBG i. V. m. PolG; vgl. dazu im Einzelnen unten Rdnr. 231 ff.

2.Form (im weiteren Sinne)88

55§ 20 Abs. 1 S. 1 OBG müssen grds. alle belastenden Ordnungsverfügungen schriftlich ergehen.

Dem Schriftformerfordernis genügt eine Ordnungsverfügung z. B. dann nicht, wenn ein Gutachten als ihr Bestandteil erklärt wird, dessen Inhalt sich nur durch Einsichtnahme der Internetseite der Behörde erschließt.89

Eine Ausnahme besteht gemäß § 20 Abs. 1 S. 2, 1. Halbs. OBG nur bei Gefahr im Verzug (vgl. dazu oben Rdnr. 52 und unten Rdnr. 97); ggf. besteht hier die Pflicht zur schriftlichen Bestätigung des zunächst erlassenen mündlichen VA, § 20 Abs. 1 S. 2, 2. Halbs. OBG.

56Sofern ein schriftlicher oder schriftlich bestätigter VA vorliegt, sind, sofern der Sachverhalt dazu Angaben macht, § 37 Abs. 3 und § 39 Abs. 1 VwVfG NRW zu prüfen; allerdings ist eine Begründung gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW u. a. dann entbehrlich, wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird (vgl. § 41 Abs. 3 und 4 VwVfG NRW).

Beachte: Keine formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist die Pflicht zur Rechtsmittelbelehrung gemäß § 20 Abs. 2 S. 2 OBG; ein Verstoß gegen diese Vorschrift hat vielmehr eine Fristverlängerung gemäß § 58 Abs. 2 (i. V. m. § 70 Abs. 2) VwGO zur Folge!90

3.Anwendbarkeit des VwVfG auch für Realakte?

57Unklar und umstritten ist, ob die Verfahrensvorschriften des VwVfG analog auch auf Realakte anzuwenden sind.91

D.Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung92

I.Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit93

58Fallbearbeitung bei Muckel Fall 1; G/J Fall 9; Dietlein/K Fall 7; Sademach JuS 2012, 1004.

Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind die objektive Rechtsordnung, alle Individualrechtsgüter, die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen und sonstige kollektive Schutzgüter.94

1.Individualrechtsgüter

59Zu den Individualrechtsgütern oder subjektiven Rechten des Einzelnen zählen insbes. Leben, Gesundheit, Freiheit der Fortbewegung, Eigentum, vermögenswerte Rechte, allgemeines Persönlichkeitsrecht.95

Beispiele:

–  Schutz der Bewegungsfreiheit und der Nutzungsmöglichkeit des Pkw durch Weg-fahrgebot gegen zuparkendes Fahrzeug96

–  Schutz der freien Verfügbarkeit des Wohnungseigentums durch Exmittierungsverfügung an eingewiesene Bewohner

–  Schutz der Gesundheit einer obdachlosen Familie durch Einweisung in eine leer stehende Wohnung97

–  Schutz der Gesundheit durch Maßnahmen gegen Fuchsbandwurm98

–  Schutz vor Verletzungsgefahr durch Alkohol-Glasverbot99 oder Verbot von „Nato Draht“100

–  Schutz von Leben und Gesundheit durch Betretungsverbot an Eigentümer eines Grundstücks, auf dem die Gefahr eines Tagebruchs besteht101

–  Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Verbot der „Gehsteigberatung“102

–  Schutz des Rechts am eigenen Bild durch Fotografierverbot von Polizeibeamten103

2.Kollektive Schutzgüter

60Kollektive Schutzgüter sind Rechtsgüter, deren Schutz mit Rücksicht auf die Allgemeinheit, insbes. auf das Leben in der staatlich organisierten Gemeinschaft, geboten ist.104

Beispiele:

–  Grundwassergefahr durch Tankstelle105

–  Schutz der öffentlichen Wasserversorgung106

–  Schutz von Natur und Landschaft107

–  Schutz der Volksgesundheit in Bezug auf Drogenkonsumenten und unbeteiligte Dritte durch befristetes Aufenthaltsverbot an Angehörigen der offenen Drogenszene108

–  Bedrohung der Volksgesundheit durch BSE-Rinder109 oder hormonbehandelte Kälber110

–  Bedrohung von Umwelt und Volksgesundheit durch Grubengase oder Dioxin und Brandgefahr111

3.Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen112

61Einrichtungen in diesem Sinne sind die Volksvertretungen und die Regierungen, die staatlichen Behörden, einschließlich der Polizei- und Ordnungsbehörden selbst, Selbstverwaltungskörperschaften (z. B. Gemeinden, Universitäten) und öffentliche Anstalten (z. B. Schulen, Obdachlosenunterkunft).

Beachte: Sofern der jeweilige Hoheitsträger Störungen seiner Funktionsfähigkeit durch eigene Ordnungsgewalt oder aufgrund eigenen Hausrechts abwehren kann, ist die Zuständigkeit der Ordnungsbehörden nur gegeben, wenn der Hoheitsträger entsprechende Störungen nicht oder nicht rechtzeitig abwehren kann.113

Beispiele:

–  Obdachlosenunterkunft114

–  Großer Zapfenstreich der Bundeswehr115

–  Besprechung von Schein-Hausarbeiten durch Repetitor116

–  Warnung vor polizeiliche Radarfalle

–  Sicherheit eines durchgeführten Polizeieinsatzes117

–  Bedrohung der Funktionsfähigkeit des SEK durch Enttarnung118

4.Objektive Rechtsordnung

62Zur objektiven Rechtsordnung gehören alle Rechtsnormen, aus denen sich ausdrücklich oder konkludent Verhaltenspflichten ergeben.119 Bei drohendem Verstoß gegen Strafrechtsnormen ist nicht die individuelle Strafwürdigkeit des Täters maßgeblich (z. B. Schuldfähigkeit, Verschulden), sondern nur, ob das durch die Norm geschützte Rechtsgut objektiv gefährdet ist.120

Gleiches gilt bei drohender Begehung von Ordnungswidrigkeiten.

63a) Pflichten für den Bürger. Im Vordergrund stehen Vorschriften, aus denen sich ausdrücklich oder konkludent Verhaltenspflichten für den Bürger ergeben.

Beispiele:

–  § 118 OWiG121

–  §§ 119, 120 OWiG122

–  § 8 Abs. 1 S. 1 BestG NRW123

–  FeiertagsG NRW124

–  Art. 33 Abs. 5 GG, Streikverbot für Beamte125

–  UWG126

–  Verordnung über Stoffe mit pharmakologischer Wirkung127

–  Promotionsordnung einer Universität, Verstoß durch Promotionshilfe128

–  § 4 LÖG NRW129

–  §§ 29 f. BtMG,130 Aufenthaltsverbot gegen Mitglied der offenen Drogenszene131

–  § 14 Abs. 1 GewO, Verpflichtung zur Gewerbeanzeige für Sekte132

–  §§ 12, 41 StVO, Wegfahrgebot gegen verkehrswidrig abgestelltes Kraftfahrzeug133

–  § 130 StGB,134 § 86a StGB135

–  § 166 StGB136

–  § 123 StGB137

–  §§ 223, 240, 303 StGB138

–  § 284 StGB; § 9 GlüStV139

–  Verbot in ärztlicher Berufsordnung140

64b) Pflichten für Ordnungs- und Polizeibehörden. In Einzelfällen können sich Verhaltenspflichten auch für Ordnungs- und Polizeibehörden selbst ergeben.

65aa) § 19 Abs. 2 OBG. In Betracht kommt zunächst § 19 Abs. 2 OBG, aus dem sich z. B. die Pflicht zur Exmittierung einer eingewiesenen Familie zugunsten des Eigentümers ergeben kann nach Ablauf der Einweisungsfrist oder bei anderweitiger Unterbringungsmöglichkeit oder wenn die Einweisung von Anfang an rechtswidrig war.141

66bb) Schutzpflicht. Des Weiteren kommen die Grundrechte in Betracht, sofern sie im konkreten Fall eine objektive Schutzpflicht der staatlichen Organe (vgl. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG) begründen. Dies ist unter folgenden Voraussetzungen der Fall:

–  Gefahr für besondere Freiheitsrechte (nicht Art. 2 Abs. 1 GG);

–  durch Dritte (z. B. Störung einer Versammlung durch Gegendemonstranten) oder den Grundrechtsträger selbst (z. B. drohender Selbstmord, menschenunwürdige Darstellung des menschlichen Körpers);

–  Handeln der Ordnungs- oder Polizeibehörden ist nach Interessenabwägung unerlässlich für den Grundrechtsschutz.

Beispiele:

–  Art. 1 Abs. 1 GG, simulierte Tötungsspiele142

–  Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 S. 1 GG, drohende Obdachlosigkeit143

–  Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Verbot von aktiver Sterbehilfe144

–  Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, drohender Selbstmord145

–  Fotografieren einer Person in der Öffentlichkeit146

Beachte: Teilweise wird die Schutzpflicht des Staates für Grundrechte (oder die dadurch vermittelte objektive Wertordnung) erst auf Rechtsfolgenseite herangezogen, um eine Ermessensreduzierung auf Null zu begründen,147 teilweise wird sie herangezogen, um eine Gefahr/Störung der öffentlichen Ordnung zu bejahen.148

5.Abgrenzung öffentliche und private Sicherheit

67erlassener VA allein deswegen materiell rechtswidrig ist. Gleiches gilt, wenn ausschließlich zum Schutz von Individualrechten eingeschritten werden soll, insbesondere dann, wenn die bedrohten Rechte auch zivilgerichtlichen Schutz genießen.

68a) Öffentliches Interesse bei Selbstgefährdung.149. Bei Selbstgefährdung des Adressaten, die Dritte nicht mitgefährdet und im Zustand freier Willensentschließung erfolgt, liegt grds. keine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit vor.150 Dies ergibt sich nach h. M. aus der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG, nach teilweise vertretener Auffassung bei Gesundheits- und Lebensgefahr aus der negativen freiheitsrechtlichen Komponente von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, wonach auch das Recht nicht zu leben oder nicht gesund zu bleiben, geschützt sei.151

Ein öffentliches