Poppers - Das Handbuch zur schwulen Sex-Droge - Christian Scheuss - E-Book

Poppers - Das Handbuch zur schwulen Sex-Droge E-Book

Christian Scheuss

5,0

Beschreibung

Um Poppers ranken sich viele Geheimnisse und Gerüchte. Kaum einer weiß, woraus es eigentlich besteht, warum es so wirkt, wie es wirkt, und wie gefährlich es tatsächlich ist. Bekannt in der schwulen Welt, dringt es aber auch zunehmend in Hetero Kreise ein. Die wenigsten kennen die Gesetzeslage: Darf man Poppers in Deutschland, Österreich und der Schweiz erwerben und besitzen, ohne sich strafbar zu machen? Und kann man vom 'Raumduft'-Schnüffeln eigentlich süchtig werden? Das Handbuch beantwortet all diese Fragen, klärt über die verschiedenen Poppers-Sorten auf, warnt vor Gefahren und Wechselwirkungen mit anderen Rauschmitteln, gibt Tipps für den verantwortungsvollen Gebrauch, erklärt, ob und wie man es selbst herstellen kann, und nennt die günstigsten Bezugsquellen. In dem Buch kommen Ärzte, Apotheker und Sexualwissenschaftler ebenso zu Wort wie schwule Promis, die offen und tabulos über ihre Poppers-Erfahrungen berichten. Mit Beiträgen und Statements von den Comiczeichnern Ralf König und Stefan Zeh, Cazzo-Star Tim Vincent, Mr. Gay Germany 2004 Suat Bahceci, Pornoproduzent Alexander Roessner, Georg Roth alias Sister George und dem Fotografen Henning von Berg.'

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Seitenzahl: 155

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Christian Scheuß & Micha Schulze (Herausgeber):

 

Poppers

Das Handbuch zur schwulen Sexdroge

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages.

 

Copyright: Himmelstürmer Verlag.Originalausgabe, Frühjahr 2006

 

Umschlaggestaltung:Olaf Welling, Grafik-Designer, AGD, www.olafwelling.de

 

E-Book-Konvertierung:Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

Titelfoto:Christian Scheuß

 

Redaktion & Layout:Queer Communications GmbH Palmstr. 2650672 KölnTel. (0221) 492 29 16Fax (0221) 492 29 22 Mail: [email protected]

www.queer.de

 

Verlag:Himmelstürmer Verlag Kirchenweg 12-1420099 Hamburg

mail: [email protected]

 

ISBN 978-3-86361-594-9

PRÄAMBEL

Dieses Buch ist keine Anleitung zum Drogenkonsum

Dieses Buch ist keine Anleitung oder Motivierung zum Drogenkonsum! Poppers ist kein harmloses Aphrodisiakum und unterliegt aus guten Gründen dem Arzneimittel- sowie Apothekengesetz. Der Konsum ist legal, dennoch ist ein verantwortungsvoller und bewusster Umgang mit Poppers von Nöten

.

Das Foto zeigt ein Motiv des bekannten schwulen Fotografen Henning von Berg. Warum Poppers-Flaschen in seinen Arbeiten immer wieder eine Rolle spielen, erklärt er im Interview hier

VORWORT

Der erste SniffVon Micha Schulze

Wow! Die kleinen braunen oder blauen Fläschchen haben es tatsächlich in sich. Selbst bei Leuten, die noch nie daran geschnüffelt haben, kann Poppers den einen oder anderen „Rush“, „Bang“, „Buzz“ oder „Kix“ auslösen. Das war die überraschende Erkenntnis bei der Arbeit an diesem Buch.

 

Bereits vor Erscheinen und ohne auch nur ein einziges Kapitel gelesen zu haben, erwog gerüchteweise ausgerechnet ein schwuler Mediastore-Mogul einen Verkaufsboykott. Sonst stets auskunftsfreudige Szenepromis waren beim Thema Riechwasser „leider zu beschäftigt“ für ein kurzes Statement. Und einige Freunde fragten entsetzt, wie wir denn ausgerechnet auf diese Buchidee gekommen seien und ob wir wenigstens genügend Aspirin und einen guten Anwalt hätten…

 

Abwehr, Misstrauen, Angst selbst bei der Poppers-Industrie, die uns bei den Recherchen nur sehr zögerlich unterstützte. So bat uns der britische Hersteller von „Jungle Juice“ sogar mit Nachdruck darum, dass sein Produkt in diesem Buch auf keinem Fall erwähnt wird – es handele sich schließlich nicht um Poppers, sondern um „Raumaroma“…

 

Das strenge Riechwasser polarisiert wie kein anderes Rauschmittel – man schnüffelt es, oder man hasst es. Oder beides. So waren nicht nur unsere journalistischen, sondern geradezu detektivische Fähigkeiten gefragt, um dem Rätsel „Poppers“ auf den Grund zu gehen.

 

Um den geil machenden „Tonkopfreiniger“ ranken sich etliche Geheimnisse und Gerüchte. Kaum einer weiß, woraus er eigentlich besteht, kaum einer kennt die tatsächliche Gesetzeslage. Mit einigen Mythen und Märchen rund um die schwule Schnüffeldroge wollen wir in diesem Buch aufräumen. Uns geht es dabei nicht um Werbung für Poppers, sondern um Information und Aufklärung: Worin unterscheiden sich die verschiedenen Sorten? Welche Nebenwirkungen können auftreten, wann ist das Schnüffeln lebensgefährlich? Kann ich Poppers mit meinem alten Chemiebaukasten selbst herstellen? Wie wirkt es genau? In welchem Land ist der Besitz, der Gebrauch erlaubt? Kann man von Poppers abhängig werden? Das sind nur einige der vielen Fragen, auf die das weltweit allererste Poppers-Buch Antworten gibt.

 

Dabei ist Poppers mit Abstand die schwule Volksdroge Nummer eins. Fragt man mal nicht öffentlich, sondern anonym, erfährt man, dass es in der gay community jeder Dritte zumindest gelegentlich nimmt. Genau 33 Prozent der Teilnehmer der seriösen „Bochow-Studie“ im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gaben an, in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal geschnüffelt zu haben. Zum Vergleich: Einen Joint geraucht hat jeder vierte, Ecstasy und Kokain haben „nur“ jeweils sechs Prozent konsumiert.

 

Doch anders als bei den Kiffern hat sich aus der besonderen schwulen Vorliebe für den „Lederreiniger“ keine eigene Poppers-Kultur entwickelt. Während Haschisch- und Marihuana-Fans sich in etlichen Foren über die richtige Tütendrehtechnik austauschen, in speziellen Hanf-Shops einkaufen und zwischen Dutzenden Ratgebern, Kochbüchern und Kiffer-Romanen wählen können, sieht man in der Szene nur äußerst selten Leute stolz mit einem „Rush!“-T-Shirt herumlaufen (die bietet der Hersteller jedoch tatsächlich zum Kauf an). Noch nie haben der Lesben- und Schwulenverband oder unser Polithomo Volker Beck öffentlich Arzneimittel- und Apothekengesetz angeprangert sowie einen legalen Amylnitrit-Verkauf gefordert – geschweige denn zu einer „Poppers – legalize it!“-Demo aufgerufen. Selbst in Ralf Königs berühmten Comic „Poppers! Rimming! Tittentrim!“ kommt das beliebte Riechwasser in keiner einzigen Szene vor.

 

Das hat natürlich mehrere Gründe. Zum einen historische: Noch in den achtziger Jahren wurde Poppers für das Auslösen von Aids bzw. das Kaposi-Sarkom verantwortlich gemacht (was inzwischen von Wissenschaftlern klar widerlegt worden ist). Der wichtigste Grund jedoch: Rush & Co. machen nicht stoned, sondern geil. Von Sex ist Poppers nicht zu trennen (auch wenn es einige auf dem Dancefloor schnüffeln). Der Konsum wird meist nicht öffentlich zelebriert, sondern im heimischen Schlafzimmer, in der geschlossenen Saunakabine oder im dunklen Darkroom. Poppers ist ein sehr intimes Rauschmittel – dabei wäre übrigens ein schwules Gruppen-Schnüffeln vor der nächsten Polizeistation völlig legal…

 

Diese explosive Kombination aus Sex und Droge rührt an zu viele Tabus, um einen vorurteilsfreien und sachlichen Umgang mit Poppers in der Öffentlichkeit zu ermöglichen. Selbst innerhalb der gay community wird die heimliche schwule Begeisterung für den Schnüffelstoff weitgehend ignoriert, kaum eine Diskussion geführt. Ein gefährliches Schweigen: So müsste in der Szene weitaus mehr als bisher vor dem gemeinsamen Konsum von Poppers und Viagra gewarnt werden: Beide Mittel senken den Blutdruck, was selbst bei gesunden Menschen zu einem lebensgefährlichen Herzinfarkt führen kann.

 

Warum eigentlich ist Poppers gerade bei Schwulen so beliebt? Warum können sich einige Sex ohne Riechwasser gar nicht mehr vorstellen? Auch das wollten wir wissen. Zum ersten Mal berichten Poppers-Fans in diesem Buch ungeschminkt von ihren Erfahrungen: „Der Poppers-Gebrauch ist ein Ritual. Man teilt, man reicht es dem Anderen oder man empfängt es“, erzählt Peter aus Berlin in unserem Interview. „Ich finde es sehr schön, sich dabei in die Augen zu sehen und zu beobachten, wie der andere sich verändert. Man wird vom braven Bürger zu etwas anderem.“

 

Verharmlosen solche Sätze ein zu recht apothekenpflichtiges Medikament? Einfache Antworten zu Poppers gibt es nicht, manche sind sogar widersprüchlich. Wir haben für dieses Lesebuch Ärzte, Pharmazeuten und Drogenbeauftragte ebenso befragt wie schwule Promis, Sex-Profis und so genannte Alltagsexperten. Wir dokumentieren die knapp 150-jährige Geschichte des berauschenden Amylnitrits, zeigen, was man damit so alles anstellen kann, benennen seine Reize ebenso wie die Gefahren.

 

Mit diesem Buch möchten wir das umstrittene Riechwasser aus seinem Versteck im dunklen Eisfach holen und die öffentliche Diskussion eröffnen. Ob man das Poppers dann tief einatmet oder doch besser in den nächsten Ausguss schüttet, entscheidet jeder Leser selbst.

ANSICHTEN

Ralf KönigDie Männer gehen, das Poppers bleibt

Der Name scheint Programm: „Poppers! Rimming! Tittentrimm!“ heißt einer der berühmten Comicbände von Ralf König. Wir sprachen mit dem Meister der schwulen Knollennasen über poppersgerechte Riechkolben, peinliche Poppers-Unfälle und Düfte, die so richtig geil machen.

 

Berühmt wurdest Du unter anderem durch die Knollennasen Deiner Comic-Protagonisten. Sind große Riechkolben ideal für Poppers-Konsum?

Nicht wirklich. Die Riechkolben wirken zwar erst poppersgerecht, weil sie so groß sind, aber bei genauem Hinsehen haben sie keine Nasenlöcher!

 

Warum kommt es in den Comics selten vor?

Wahrscheinlich, weil ich selbst nicht so ein Schnüffler bin. Ich hatte mal meine Phase, als ich „Jungle Juice“ entdeckte. Das war das erste Poppers, von dem ich keine Kopfschmerzen bekam. Danach hatte ich sogar die Flasche unter der Nase, wenn ich mir allein einen Porno reingezogen habe. Aber die Begeisterung ging dann vorüber. Zum Glück.

 

Was war das noch mal für ein Zeug, das im „Bewegten Mann“ zum Einsatz kam?

Ähm, weiß ich nicht mehr. Irgendein Spray zum Stimulieren von Zuchtbullen. Soll es aber echt geben. Ich glaube, Walter Moers erzählte mir damals davon.

 

Warum heißt ein Comic von Dir „Poppers! Rimming! Tittentrimm!“, im Buch selbst ist aber keine einzige Story über Poppers drin?

Ich fand, der Titel hat einen guten Rhythmus, so wie „Liebe, Stärke, Mitgefühl“. Und über die drei Begriffe muss man keine Comics lesen, das muss man machen! Aber die Heteroleser fragten mich damals beim Signieren beim Comicfest in München, was das denn im Einzelnen heißt. Ich kam mir vor wie Erika Berger. Poppers hat sich bei Heteros interessanterweise nie so durchgesetzt.

 

Wie wichtig ist die Nase überhaupt beim Sex?

Och, ich stecke die gern überall rein.

 

Welcher Duft macht geiler als der von Poppers?

Tja, da bin ich eine Sau. Der Mann an sich muss nicht nach Seife duften, ganz und gar nicht, im Gegenteil, Sex darf gern ziemlich müffeln.

 

Kann man sich einen „ungeilen“ Typen richtig „geil“ schniefen?

Das wirkt ja eh nur eine knappe Minute, da müsste man aber viel Schnüffeln während einer Nummer. Obwohl ... manche Typen kriegen das Fläschchen beim Sex ja wirklich kaum vom Nasenloch. Ich bin manchmal ganz baff, was die so wegschnüffeln.

 

Kannst Du Dir eine Welt ohne Poppers vorstellen?

(lacht) Was für eine bizarre Frage!

 

Dein skurrilstes Poppers-Erlebnis...

Erlebnis nicht richtig, aber Begebenheit: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Poppers oft vom Besitzer vergessen wird. Ich habe Zeiten im Leben, da ist das halbe Kühlschrankfach voll mit liegen gebliebenem Poppers von irgendwelchen Dates. Die Männer gehen, das Poppers bleibt. (seufz)

Die schlimmste Poppers-Panne...

Eine Nummer in der Kabine im Kölner Badehaus: Der Typ hampelte etwas ungeschickt mit der Flasche herum und es tropfte was auf meine Eichel. Ich bin noch mit Ständer panisch aus der Kabine, die Treppen runter unter die Dusche, weil es wie die Hölle brannte! Und in die Nase ist es mir auch schon mal gekippt, so richtig beim Einschniefen bis in den Rachen, da dachte ich für ein paar Minuten, ich sollte den Krankenwagen rufen.

Wer weiß, was einem das alles wegätzt. Aber es war dann doch nicht so wild. Die Nummer ging sogar weiter. Aber seitdem gilt die Regel, wenn die Flasche aufgeschraubt wird, kurz Anhalten mit dem Rödeln, den Kopf aufrecht und kein Gehampel! Und mein Poppers-Konsum hat sich danach auch erheblich eingeschränkt. Mir ist das Zeug seitdem irgendwie nicht mehr geheuer.

 

Was ist Dein Geheimrezept gegen Kopfschmerzen?

Ich fürchte, da hilft nur eine Minute Auszeit. Sehr blöd beim Sex, aber Blasen mit Kopfschmerzen?

 

Was sagst Du jemandem, der sich aufregt: „Aber Poppers, das ist doch eine Droge!“

Ich gebe ihm Recht! Was soll es denn sonst sein? Und keine harmlose Droge, fürchte ich. Ich habe vor Poppers echt Respekt. Das Zeug fegt einem kurzzeitig wirklich das Hirn weg. So breit kann ich von zehn Joints nicht sein!

 

Wo würdest Du Poppers am ehesten aufbewahren?

Wie jetzt? Im Kühlschrank natürlich. Wobei man mir sagte, dass es vorm Benutzen eine Weile aus dem Kühlschrank raus sollte, dann verfliegt der Wirkstoff nicht so schnell.

 

Welchem Politiker würdest Du am ehesten eine Dosis Poppers empfehlen, damit er oder sie lockerer wird?

Ich bin ein Kind der Siebziger: Zum Lockerwerden verbissener Personen würde ich eher das gute, alte Gras empfehlen. Es sei denn, Politiker fisten sich gegenseitig oder so was. Das wiederum mag ich mir aber bei keinem dieser Nasen vorstellen.

Simone SchmollackMein erstes „Rush“

Seit meiner letzten Grippe, die ich zwar im Bett, aber nicht allein auskurieren musste, wollte ich ewig ans Krankenlager gefesselt sein. Wer einmal Sex im Fieberwahn erlebt hat, weiß, wovon ich rede. Fieberficks sind anders als anderer Sex, ist, wie nicht von dieser Welt sein, wie Eintauchen in die Stratosphäre.

 

Alter Hut, lachte mich mein schwuler Freund aus, als ich ihm mit meiner zugigen Küche nur einen Gefallen tun wollte. Dieses Gefühl kannst du dir längst selbst verschaffen, sogar ohne erhöhte Temperatur, meinte er. Die Wunderdroge heißt Poppers. Einmal schnüffeln, und schon geht es ab.

 

Dass nicht alles so einfach und wunderbar ist, wie meine schwulen Freunde immer sagen, wusste ich ja bereits. Aber seit sie mir Poppers aufgeschwatzt haben, bin ich wirklich misstrauisch geworden. Nicht nur, dass ich beim Poppers-Kauf im „City-Sex-Shop-Rosé“ beinahe meinen guten Ruf als Schwulenmutti verspielt hätte (Was soll‘s denn sein? Rush, Hard-Ware, Ram, Quick-Shot, Wave, Reds, Kicks oder Man-Scent?“

- „Ja, ah, weiß nicht, Poppers eben, irgendeines, am besten gleich eine große Flasche!“).

 

Meine Freunde hätten mir wenigstens sagen sollen, dass das Zeug so fürchterlich stinkt, dass mir beim ersten Schnüffelzug fast die Nase abgefallen wäre. Es roch irgendwie nach einer Mischung aus faulen Eiern, überlagertem Pattex und verschimmelten Autoreifen. Wer regelmäßig schnüffelt, der muss echt pervers sein.

 

Träufeln wir es doch einfach auf einen Pfefferminzteebeutel, hatte mein Liebhaber die nachtrettende Idee. Und tatsächlich: Plötzlich flogen uns die Sterne um die Ohren, wir wurden spürbar leichter, hörten förmlich unseren doppelt so schnell rasenden Herzschlag, und alles war unwirklich und tranceartig. Es war wie Kiffen, nur eben geiler. Ich hätte alles machen können in dem Moment.

 

Aber was war das? Nach nicht mal einer halben Minute war der Spaß vorbei. Wir befanden uns wieder im Irdischen, zwischen karierter Bettwäsche auf einer stinknormalen Matratze. Dass man sich mit Poppers nun so beeilen muss, empfanden wir dann doch als Strafe. Aber Genusssucht findet immer einen Ausweg und wir fanden recht schnell unseren Rhythmus: Zwei lange Zungenküsse, einmal schnuppern, Stellungswechsel, wieder riechen, langanhaltend stöhnen, erneut der Griff zur Flasche.

 

Wobei einer echt benachteiligt ist: Er muss die Flasche halten (da begriff ich auch, was diese Silberkugeln zu bedeuten haben, die viele Schwule um den Hals tragen. In diesen Kugeln ist das Teufelszeug drin, es kann bei Bedarf geschnuppert werden, und man hat trotzdem Bewegungsfreiheit). Mit Gasmaske geht es auch, wie ich später erfuhr. Aber das lehne ich als Ostfrau ab, seit wir im Schulungslager der Zivilverteidigung im Rudel mit Schutzanzug und Schnuffis über Schulhöfe robben mussten.

 

Auf den Geschmack gekommen, poppten wir, bis die Flasche leer war. Neues Zeug musste her. Man kann sich das ganz leicht selber machen, erzählte einer meiner schwulen Freunde. Poppers ist nichts weiter als Amylnitrit, das heute noch bei Gefäßerkrankungen verordnet wird und in der Apotheke zu erwerben ist. „Amylnitrit ist ein Grundstoff für ein Spezialbenzin, das ich zum Starten von Modellflugzeugen brauche“, belehrte ich die Verkäuferin, als sie mich fragend anschaute, nachdem ich einen Liter von der Flüssigkeit orderte.

 

Kaum zu Hause, schlachteten wir die Flasche und wollten heftiger denn je loslegen. Doch mit einem Mal plagten mich stechende Kopfschmerzen, mir wurde speiübel. Nichts ging mehr. Und wie ich gerade noch erkennen konnte, bevor mich eine Ohnmacht einholte, auch bei ihm nicht. Poppers senkt nämlich den Spannungszustand und zieht Blut aus allen Extremitäten des Körpers ab, auch aus dem Schwanz. Ich hatte den Eindruck, es war das schlaffste und kleinste Gerät, das ich je gesehen hatte. Und gerade heute wollten wir alle Tabus brechen.

 

Wieder bei mir, hämmerte es hart in meinem Kopf, meine Nase brannte und war nicht nur innen rot. Wir waren wohl doch ein bisschen zu gierig. Mein Liebhaber war noch immer weggetreten. Und zu allem Unglück musste er beim Sturz die Flasche umgerissen haben. Die war leer, und genau an der Stelle, wo sie lag, grinste mich ein Quadratmeter großes Loch im Teppich an. Von Stoff keine Spur mehr. Einfach weggeätzt.

 

An diesem Punkt beschloss ich: Nie wieder Poppers! Die Schleimhäute meiner Nase haben sich immer noch nicht nachgebildet, keine Versicherung der Welt zahlt einen defekten Teppich infolge eines entarteten Liebesaktes, zur nächsten Apotheke muss ich zwei Kilometer laufen, und die Kinder in meiner Straße wollen noch immer meine Modellflugzeuge sehen.

 

Simone Schmollack lebt als Journalistin und Autorin in Berlin.

Suat BahceciDroge oder Sexspielzeug?

Bis vor sechs Monaten hat mich dieses Zeug nie gereizt – bis zu dem besagten Tag. Alleine der Gedanke daran bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. Ich hatte meinen damaligen Freund eine Woche lang nicht gesehen. Unsere erste Begegnung war dann am Frankfurter Flughafen in der Lounge. Die Mailand-Tickets hielt ich in der Hand, doch wir hatten noch reichlich Zeit. „Weißt du Suat, ich habe noch nie die First-Class-Toiletten hier in diesem Bereich gesehen – begleitest du mich?“ sagte mein Freund. Er nahm komischer Weise seine Tasche mit und wir gingen in die Toilette. Jede Kabine war so groß, dass man auch zu viert rein gepasst hätte.

 

Bevor ich mich umsehen konnte, befand ich mich in einer dieser Kabinen, natürlich zusammen mit meinem Freund. Wir fingen an, uns gegenseitig wild zu küssen. Schon nach wenigen Minuten standen wir beide nackt voreinander, so gierig waren wir geworden. Er nahm die Poppers-Flasche aus der Tasche, roch daran, reichte es mir rüber und ohne zu überlegen zog ich ebenfalls zweimal vom Fläschchen. Ich spürte regelrecht, wie sich das Zeug in meinem Körper verteilte. Mir wurde leicht schwindlig, ein bisschen schummrig, ich bekam Kopfschmerzen und mein Herz pochte wie wild. Ich konnte mich auf nichts anderes konzentrieren als auf mein pochendes Herz und meine Kopfschmerzen.

 

Ende der Geschichte ist, dass sich die wilde Leidenschaft ganz schnell gelegt hat, ich brauchte vor allem Luft. Heute weiß ich, dass mein Körper soviel Chemie einfach nicht verträgt – und auch nicht braucht.

 

Suat Bahceci ist Mr. Gay Germany 2004

Sister GeorgeKarl Poppers ist ja Positivist

Die Schwester erinnert sich nur ungern an ihre erste Begegnung, besser gesagt, ihre erste Wahrnehmung von Poppers. Es war in den frühen achtziger Jahren des letzten Jahrtausends: im Pimpernel, einer bekannten Kölner Lokalität für Menschen mit gleichgeschlechtlicher Partner-Orientierung, mitten auf der Tanzfläche.

 

Die Schwester, bekleidet mit einer selbst genähten zinnoberroten Hose aus Ballonseide und angetan mit einem Umhängetäschchen, an dünner schwarzer Litze hängend, mit umstickten Spiegelchen verziert, tanzte zu den wilden Discorhythmen der späten Siebziger, als plötzlich ein merkwürdiger Geruch in ihre Nase stieg. Pfui Deibel, was war denn das? Es stank wir früher im Chemieunterricht, wenn Buttersäure vergossen worden war. Warum sollten junge, selbstbewusste homosexuelle Männer mitten in einer Disco chemische Versuche anstellen? Die Schwester hielt konsterniert ein.

 

Hans Peter klärte sie auf. „Das ist Poppers.“ Und tatsächlich. Am Rande des erhöhten Podestes in der hinteren Ecke hielt sich eine angelederte Schönheit ein Fläschchen unter die Nase und schniefte die übel riechenden Düfte ein, um kurz danach in noch wildere Ekstase zu verfallen und Kate Bushs Chart-Hit mit exaltierten Baryschnikow-Posen körperlich zu unterstreichen.

 

Poppers: Das war bis dahin für die Schwester immer das Gegenteil von Punks gewesen. Also diese jungen blonden Dinger, die ihr volles Haupthaar gepflegt und an den Füßen Slippers mit Schnallen trugen.

 

Und auch, dass ihr Lieblingsphilosoph, Sir Karl Popper, jenes übel riechende Produkt auf den Markt der Möglichkeiten geworfen haben könnte (so wie Dr. Pepper ja die Dr. Peppers Cola erfunden hatte), schien der Schwester mehr als unwahrscheinlich. Obwohl Popper ja ein ausgesprochener Positivist war.