Populismus und Kino - Johannes Pause - kostenlos E-Book

Populismus und Kino E-Book

Johannes Pause

0,0
0,00 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die 1930er-Jahre gelten als das populistische Jahrzehnt Hollywoods. Regisseure wie Frank Capra, Leo McCarey und John Ford entwerfen in ihren Werken Szenarien geglückter oder gescheiterter politischer Repräsentation, in denen sich demokratische Ideale mit politischer Theologie und amerikanischem Exzeptionalismus verbinden. Die Szenographie dieser Filme hat sich tief in das kulturelle Gedächtnis der USA eingeschrieben und prägt die politische Inszenierung von Repräsentation bis heute. Johannes Pause liest die damals entstandene Bildsprache als eine Typologie populistischer Repräsentation neu und nutzt sie als Folie, um aktuelle politische Tendenzen zu analysieren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 282

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die E-Book-Ausgabe erscheint im Rahmen der »Open Library Medienwissenschaft 2023« im Open Access. Der Titel wurde dafür von deren Fachbeirat ausgewählt und ausgezeichnet. Die Open- Access-Bereitstellung erfolgt mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (Förderkennzeichen 16TOA002) sowie der »Open Library Community Medienwissenschaft 2023«.

Die Formierung des Konsortiums wurde unterstützt durch das BMBF (Förderkennzeichen 16TOA002).

Die Open Library Community Medienwissenschaft 2023 ist ein Netzwerk wissenschaftlicher Bibliotheken zur Förderung von Open Access in den Sozial- und Geisteswissenschaften:

Vollsponsoren: Technische Universität Berlin / Universitätsbibliothek | Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin | Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz | Universitätsbibliothek Bielefeld | Universitätsbibliothek Bochum | Universitätsund Landesbibliothek Bonn | Technische Universität Braunschweig | Universitätsbibliothek Chemnitz | Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt | Sächsische Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB Dresden) | Universitätsbibliothek Duisburg- Essen | Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf | Goethe-Universität Frankfurt am Main / Universitätsbibliothek | Universitätsbibliothek Freiberg | Albert-Ludwigs-Universität Freiburg / Universitätsbibliothek | Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen | Universitätsbibliothek der FernUniversität in Hagen | Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg | Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek - Niedersächsische Landesbibliothek | Technische Informationsbibliothek (TIB) Hannover | Karlsruher Institut für Technologie (KIT) | Universitätsbibliothek Kassel | Universität zu Köln, Universitätsund Stadtbibliothek | Universitätsbibliothek Leipzig | Universitätsbibliothek Mannheim | Universitätsbibliothek Marburg | Ludwig- Maximilians-Universität München / Universitätsbibliothek | FH Münster | Bibliotheksund Informationssystem (BIS) der Carl von Ossietzky Universität | Oldenburg | Universitätsbibliothek Siegen | Universitätsbibliothek Vechta | Universitätsbibliothek der Bauhaus- Universität Weimar | Zentralbibliothek Zürich | Zürcher Hochschule der KünsteSponsoring Light: Universität der Künste Berlin, Universitätsbibliothek | Freie Universität Berlin | Hochschulbibliothek der Fachhochschule Bielefeld | Hochschule für Bildende Künste Braunschweig | Fachhochschule Dortmund, Hochschulbibliothek | Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden - Bibliothek | Hochschule Hannover - Bibliothek | Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig | Hochschule Mittweida, Hochschulbibliothek | Landesbibliothek Oldenburg | Akademie der bildenden Künste Wien, Universitätsbibliothek | Jade Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/ Elsfleth | ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, HochschulbibliothekMikrosponsoring: Ostbayerische Technische Hochschule Amberg-Weiden | Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) e.V. | Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland | Evangelische Hochschule Dresden | Hochschule für Bildende Künste Dresden | Hochschule für Musik Carl Maria Weber Dresden Bibliothek | Filmmuseum Düsseldorf | Universitätsbibliothek Eichstätt-Ingolstadt | Bibliothek der Pädagogischen Hochschule Freiburg | Berufsakademie Sachsen | Bibliothek der Hochschule für Musik und Theater Hamburg | Hochschule Hamm-Lippstadt | Bibliothek der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover | HS Fresenius gemGmbH | ZKM Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe | Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig | Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig, Bibliothek | Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF - Universitätsbibliothek | Universitätsbibliothek Regensburg | THWS Technische Hochschule Würzburg-Schweinfurt | Hochschule Zittau/ Görlitz, Hochschulbibliothek | Westsächsische Hochschule Zwickau | Palucca Hochschule für Tanz Dresden

Johannes Pause

Populismus und Kino

Politische Repräsentation im Hollywood der 1930er Jahre

Für Emilian

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 Lizenz (BY-SA). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell, sofern der neu entstandene Text unter derselben Lizenz wie das Original verbreitet wird. Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

Erschienen 2023 im transcript Verlag, Bielefeld

© Johannes Pause

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Ronald Grant Archive / Alamy Stock Photo Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlarhttps://doi.org/10.14361/9783839465400 Print-ISBN 978-3-8376-6540-6 PDF-ISBN 978-3-8394-6540-0 EPUB-ISBN 978-3-7328-6540-6 Buchreihen-ISSN: 2702-9247 Buchreihen-eISSN: 2703-0466

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

Inhalt

 

1.Das Theater des Populismus

1.1Freiheit und Autorität

1.2Heterogenität und Kohärenz

1.3Der Mythos direkter Repräsentation

1.4Die populistische Szenographie

2.Die Urszene populistischer Repräsentation

2.1Vitalismus und Idealismus: RUGGLES OF RED GAP (1935)

2.2Die Ordnung der Freiheit: MAN OF CONQUEST (1939)

2.3Die Konversion des Volkes: YOUNG MR. LINCOLN (1939)

2.4Populistischer Dezisionismus: GABRIEL OVERTHE WHITE HOUSE (1933)

2.5Repräsentation als Epiphanie: Erstes Zwischenfazit mit OUR DAILY BREAD (1934)

3.Die populistische Intervention

3.1Der Shyster als Repräsentant: THEDARK HORSE (1932) und THEPHANTOM PRESIDENT (1932)

3.2Forgotten Men: HEROESFOR SALE (1933) und THE GRAPES OF WRATH (1940)

3.3Politik des Selbstopfers: MR. SMITH GOESTO WASHINGTON(1939)

3.4Allegorische Unbestimmtheit: Zweites Zwischenfazit mit THE WIZARDOF OZ (1939)

4.Die Säkularisierung der populistischen Theologie

4.1Trump Over the White House?

4.2Populismus in der Mediendemokratie: MEET JOHN DOE  (1941)

4.3Die Paranoia des Neopopulismus: THE MATRIX (1999)

4.4Die politische Anagnorisis

Filmverzeichnis

Literaturverzeichnis

Danksagung

1.Das Theater des Populismus

 

Ein amerikanischer Präsident, der angeblich von Gott auserwählt wurde, um als »paranoid spokesman«1 der weißen Bevölkerung das dem Untergang geweihte amerikanische Projekt zu retten, der das Kriegsrecht auszurufen droht, um zu verhindern, dass demokratische Prozesse ihn auf seinem Weg ausbremsen, und der sich schließlich gar an den Kopf eines Marsches der Wütenden und Frustrierten auf Washington stellt, um, wenn nötig, einen Bürgerkrieg zu beginnen: All das mag der internationalen Öffentlichkeit Anfang des Jahres 2021 als Ungeheuerlichkeit erschienen sein. Und doch war es nur die Wiederholung, das Reenactment einer Phantasie, die das Kino Hollywoods längst geträumt hatte, als Donald Trump sie – nur fast erfolgreich – in die Tat umzusetzen versuchte. So weist der 1933 von dem legendären Medienmogul William Randolph Hearst produzierte und von Geoffrey La Cava realisierte Film GABRIEL OVERTHE WHITE HOUSE all die genannten Plot-Elemente auf. Auf dem Höhepunkt der Great Depression entstanden, schafft hier ein Präsident im Namen Gottes die Demokratie ab, um eben dieselbe Demokratie zu retten. Einer für Autokraten bis heute charakteristischen Strategie folgend,2 versichert er sich zu diesem Zweck der Unterstützung eines gewaltigen Arbeitslosenheeres, das dem swamp Washingtons und seinen kapitalistischen Verbündeten den Kampf angesagt hat. Bei diesem Arbeitslosenheer handelt es sich um eine Art Krisenemanation jenes in der politischen Geschichte Amerikas oft beschworenen ›wahren‹ Volkes, das sich durch die repräsentativen Organe des republikanischen Systems nicht länger abgebildet findet und das sich daher – ebenso wie das aufgewiegelte Gefolge Trumps – durch seinen Aufmarsch vor den Regierungsgebäuden als eigentlicher Souverän der USA in Erinnerung zu bringen versucht.

Historische Vorbilder für dieses Arbeitslosenheer gab es 1933 bereits mehrere. So hatten im Jahr 1894 etwa 6.000 Anhänger:innen des populistischen Politikers Jacob Coxey vor dem Kapitol für staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen demonstriert. ›Coxey’s Army‹ folgte 1932 – ein Jahr vor der Veröffentlichung von GABRIEL OVERTHE WHITE HOUSE – ›Cox’s Army‹, ein Protestzug von 20.000 Arbeitslosen, der sich unter der Leitung des katholischen Priesters James Cox gegen die (vermeintliche3) Laissez-faire-Politik Herbert Hoovers richtete, die für die anhaltende Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht wurde. Diese Wirtschaftskrise gilt bis heute als schwerste in der Geschichte der Vereinigten Staaten: Ein Viertel der Bevölkerung war auf Arbeitssuche, Wanderarbeiter:innen zogen quer über den Kontinent, und überall entstanden sogenannte Hoovervilles, große Elendsviertel, die nach dem glücklosen Präsidenten der ersten Krisenjahre benannt worden waren – nicht zuletzt Luis Trenker setzte diese inoffiziellen Siedlungen in seinem patriotischen Auswanderer-Drama DERVERLORENE SOHN (D/USA 1934) eindrucksvoll in Szene. Cox’s Army wurde noch im selben Jahr an Größe durch die ›Bonus Army‹ übertroffen, die aus 43.000 Menschen bestand und die zum direkten Vorbild des Aufmarsches der Unzufriedenen in GABRIEL OVERTHE WHITE HOUSE wurde. Es handelte sich um arbeitslose Soldaten und ihre Familien, die besonders von der Krise betroffen waren und daher die Auszahlung versprochener Bonuszahlungen forderten. Zu diesem Zweck versammelten auch sie sich vor dem Kapitol, wo sie über einen Monat lang campierten. Die erhoffte präsidentielle Unterstützung erhielt allerdings keine dieser Protest-›Armeen‹; Hoover weigerte sich vielmehr, sich überhaupt mit der Bonus Army auseinanderzusetzen, und ließ sie vom Militär brutal aus der Hauptstadt entfernen.4 Dass sich ein Präsident im Namen ›des Volkes‹ gegen die eigene Regierung, ja gar gegen die Verfassung der USA wenden und an die Spitze einer solchen Protestbewegung stellen könnte, blieb bis 2020 eine Phantasie des Kinos.

Der etwas irreale Charakter dieser Phantasie wird auch dadurch deutlich, dass GABRIEL OVERTHE WHITE HOUSE die antidemokratischen Maßnahmen seines fiktiven Präsidenten nicht nur mittels einer populistischen Identifikation des Staatsmanns mit ›dem Volk‹ rechtfertigt, sondern ihn zugleich als Werkzeug göttlicher Intervention darstellt. Der Engel Gabriel, so der Plot des Films, fährt höchstpersönlich in den sterbenden Körper des amerikanischen Präsidenten ein und verleiht dem einstmals mittelmäßigen Staatsmann nicht nur die Kraft, kompromisslos gegen die Korrumpierung der USA durch ihre eigenen Eliten vorzugehen, sondern auch die innere Überzeugung, mit seinen Taten stets auf der richtigen Seite zu stehen. Nur kraft dieser göttlichen Versicherung lässt sich seine totalitäre Intervention als Einsatz für die Demokratie rechtfertigen. Auf dem Höhepunkt der Handlung ist gar eine neu formierte, militärische Polizeieinheit zu sehen, die an die ›Schutzstaffeln‹ totalitärer europäischer Regime erinnert und alle vermeintlichen Feinde Amerikas nach kurzem Prozess hinrichtet – im Schatten der Freiheitsstatue und im Namen des amerikanischen Volkes. Der Film, der aufgrund solcher Szenen heute oftmals als faschistischer Sündenfall Hollywoods rezipiert wird, in seiner Zeit aber ein fulminanter Erfolg war,5 kündet mithin von einer eigenwilligen Verbindung religiöser, republikanischer und autoritärer Elemente, die das amerikanische Demokratieverständnis dieser Zeit gleichermaßen prägten.

Sind die Parallelen zwischen dem alten Hollywood-Streifen und den Ereignissen um die US-Präsidentschaftswahl 2020/21 zufällig, oder lassen sich aus einer Analyse von Kino und Kultur der 1930er Jahre die Umrisse eines politischen Imaginären gewinnen, das bis heute die US-amerikanische Demokratie prägt? Im Folgenden wird die populistische Idee, die das Kino während der Great Depression entfaltete, vor dem Hintergrund dieser Fragestellung analysiert. Der Populismus der 1930er Jahre, so wird dabei gezeigt, ist ein ambivalentes, sowohl zwischen Demokratie und Autoritarismus als auch zwischen Tradition und Moderne angesiedeltes Phänomen, das die Erlösungshoffnungen, die sich mit der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika einst verbunden hatten, in einer durch Medialisierung und wirtschaftliche wie politische Krisen charakterisierten Umbruchszeit zu aktualisieren versucht. Auch wenn der gegenwärtige Populismus fraglos eine Vielzahl weiterer Vorbilder hat und auf eine ganze Reihe anderer historischer Zäsuren bezogen werden kann,6 ist es die – nicht ohne Grund im Kino greifbar werdende – ›populistische Theologie‹ dieses Jahrzehnts, welche die heutige Konjunktur des autoritären Populismus entscheidend informiert.

1.1Freiheit und Autorität

In Journalismus und politischer Geschichtsschreibung hat sich die Great Depression als historischer Bezugspunkt für aktuelle ökonomische und politische Herausforderungen spätestens seit der Finanzkrise 2008 fest etabliert. Wie Barry Eichengreen in einer umfassenden Studie nachvollzogen hat, dienten die 1930er Jahre bereits im Zuge des Zusammenbruchs von Lehman Brothers als ökonomisches wie politisches Interpretationsraster.7 Auch kulturelle Parallelen lassen sich in vielfacher Hinsicht herstellen: So sind die Krisenzeiten der 1930er und 2010er Jahre jeweils durch neue emanzipatorische, vor allem antirassistische Bewegungen, durch die Wahrnehmung globaler Bedrohungen (Faschismus und Klimawandel), aber auch durch neue Leitmedien (Radio und Social Media)8 und infolgedessen durch einen strukturellen Wandel politischer Öffentlichkeit gekennzeichnet.9 Ein Blick auf die politische Kultur zeigt zudem eine Radikalisierung der Konfliktlinien, die mit einer weiteren, möglicherweise ausschlaggebenden Parallele verbunden sind: Die 1930er Jahre erscheinen in der Rückschau als Experimentierfeld populistischer Strategien, die nicht nur von aggressiven Volkstribunen wie Huey Long, dem gefürchteten Gouverneur von Louisiana,10 sondern auch von dem amtierenden Präsidenten Franklin D. Roosevelt selbst sowie von verschiedenen Werken der populären Kultur erprobt wurden. Insbesondere das Hollywood-Kino bezeichnete sich in dieser Zeit zuweilen selbst ganz ausdrücklich als populistisch. Und wie damals, so liegt auch heute die Annahme nahe, dass es die Wirtschaftskrise war, die der politischen wie kulturellen Konjunktur des Populismus den Boden bereitete.11

Die US-spezifische Ausprägung des Populismus ist immer wieder als eine durch die Gegensätze nicht nur von Volk und Elite, sondern auch von Land und Stadt gekennzeichnete Fundamentalopposition zur Zentralregierung in Washington charakterisiert worden und reicht in dieser Form bis in die Zeit der Staatsgründung zurück. Die offizielle Geburtsstunde des US-amerikanischen Populismus war jedoch das späte 19. Jahrhundert, in dem der sogenannte »prairie populism«,12 eine agrarisch geprägte Bewegung, zur Gründung der People’s Party führte, die auch Populist Party genannt wurde. Sie zeichnete das Bild einer Nation von hart arbeitenden, unabhängigen und selbständigen Amerikaner:innen, die von einer nutzlosen, ausbeuterischen Westküsten-Elite bedroht werden.13 Auch wenn die Populist Party eine wichtige Referenz populistischer Bewegungen ebenso wie der Forschung zum Populismus bleibt, sind es gleichwohl die 1930er Jahre, die in der Rückschau als der eigentliche Bezugspunkt des aktuellen Populismus betrachtet werden müssen.14 Denn wie Jeffrey Richards bereits 1973 in einer Studie zum populistischen Hollywood-Kino dargelegt hat, wird der traditionelle, an Jeffersons Ideal eines Bundes freier Siedler:innen orientierte Agrarpopulismus, der ein autarkes Individuum als Gegensatz des Staates konzipierte, in dieser Zeit infolge mehrerer Wandlungsprozesse durch eine neue, gewissermaßen ›moderne‹ Form des Populismus ersetzt.

So wird im frühen 20. Jahrhundert zunächst deutlich, dass das Ideal totaler Unabhängigkeit von Staat und Regierung, wie es etwa Henry David Thoreau in seiner berühmten Weigerung zum Ausdruck brachte, an einen kriegführenden Staat Steuern zu zahlen,15 kein realistisches Lebensmodell für die Nation in der Moderne mehr darstellen kann. An die Stelle eines losen Bundes freier und vollkommen selbstbestimmter Siedler:innen tritt nun die Vorstellung einer natürlichen, durch gemeinsame Werte und Lebensformen verbundenen Gemeinschaft, die der anonymen, nur durch abstrakte Regeln organisierten Gesellschaft der großen Ostküsten-Städte durch ihren natürlichen Zusammenhalt Widerstand leisten soll.16 Ihr Ideal ist, wie Richards darlegt, das der ›guten Nachbarschaft‹, das nun im »small-town populism« seinen Ausdruck findet.17 Die Kleinstadt erscheint so auch im ›klassischen‹ Hollywood-Kino der 1930er und 1940er Jahre18 als Modell amerikanischer Normalität und pragmatischen amerikanischen Realitätssinns schlechthin: Die Menschen mögen ihren individuellen ›Spleens‹ nachgehen, doch wissen sie im Herzen stets, was richtig und vernünftig für sie und die Gemeinschaft ist. Ein typisches Beispiel für diesen Kleinstadtpopulismus findet sich in den Frontier-Komödien des 1935 verstorbenen, überaus populären Entertainers und Schauspielers Will Rogers, der etwa in John Fords JUDGE PRIEST (USA 1934) als exzentrischer Richter den korrupten und anonymen politischen Institutionen der Ostküste die Menschlichkeit kommunalen Lebens und die Vision einer »popular democracy« entgegenhält.19 Thornton Wilders OUR TOWN, 1938 geschrieben und 1940 von Sam Wood verfilmt, kann als nostalgische Würdigung dieser Form von Populismus gelten, die zugleich viele der Filme Frank Capras kennzeichnet – jenes überaus erfolgreichen Regisseurs des Classical Hollywood, dessen Name bis heute mit der Idee eines populistischen Kinos verbunden ist. Idealtypisch kommt er etwa in seiner Komödie YOU CAN’T TAKE ITWITH YOU (USA 1938) zur Darstellung, in der eine aus lauter ausgemachten Exzentriker:innen bestehende, nahezu mittellose Familie sich erfolgreich dem Versuch eines Großindustriellen widersetzt, ihr Stadtviertel aus rein ökonomischem Kalkül heraus räumen zu lassen. Longfellow Deeds, der Protagonist des Capra-Klassikers MR. DEEDS GOESTO TOWN (USA 1936), hält gar vor Gericht eine Verteidigungsrede für die kleinen Absonderlichkeiten und die merkwürdigen Angewohnheiten, durch die sich Menschen voneinander unterscheiden. Die Filme entwerfen so das Bild einer Gemeinschaft von Individualist:innen, deren Eigensinn Bedingung ihres ›natürlich‹ funktionierenden Kollektivs ist, das keiner äußeren Regulierung bedarf.

Eben dieser tendenziell anti-politische, sich als unideologisch und geerdet gebende Kleinstadt-Populismus erfährt im Zuge der Great Depression jedoch noch eine weitere, entscheidende Flexibilisierung. Der Populismus dieser Zeit erweist sich letztlich deshalb als besonders folgen- und einflussreich, weil sich die Imagination des ›eigentlichen‹ amerikanischen Volks, die er erzeugt, nun von empirisch verortbaren Bevölkerungsgruppen – den Farmer:innen oder Kleinstädter:innen – ebenso zu lösen beginnt wie von der Idee einer bestimmten – liberalen – Staatsform. Während Will Rogers eine längst im Schwinden begriffene amerikanische Vergangenheit beschwört, erweist sich GABRIEL OVERTHE WHITE HOUSE als symptomatischer Film seiner Zeit, weil er den populistischen Urmythos der korrupten politischen Maschinerie Washingtons einerseits aufrecht erhält, andererseits jedoch eben das als Lösung vorschlägt, was in früheren Jahrzehnten das ausgemachte Schreckensbild populistischer Bewegungen dargestellt hatte: eine starke Zentralregierung, unter der alle Bürger:innen des Landes – vom Arbeiter über die Angestellte bis zum Funktionär der Regierung – eine quasi-militärische Organisation erfahren. In der industrialisierten und medialisierten Moderne, die keinen ländlichen Gegenraum und keine Frontier mehr kennt – »our last frontier has long been reached«, verkündete Franklin D. Roosevelt in einer seiner Reden programmatisch20 –, ist Populismus durch eine grundsätzliche Ambiguität gekennzeichnet: Die Lösung des Problems, das stets in einer zu starken Staatlichkeit bestand, muss durch die Gemeinschaft der Individuen bewältigt werden; doch kann diese sich in keinen Mikrokosmos mehr flüchten, um sich zu erneuern. Politische Entwicklungen betreffen nicht mehr die reale Gemeinschaft der Siedler:innen, sondern die »imagined community«21 der USA, und für diese kann es durchaus sinnvoll sein, sich einer noch stärkeren, noch zentraleren Macht unterzuordnen, solange diese ihre ›wahren‹ Bedürfnisse vertritt und sie im Kampf gegen die korrupten, überkommenen Eliten unterstützt.

Während die 1890er Jahre in den USA also als historischer Ausgangspunkt der populistischen Bewegung gelten, kann die Great Depression als eine Zeit der breiten Dissemination populistischer Ideen angesehen werden. Aus dem agrarischen, ort- und zeitgebundenen Populismus wird ein politischer Populismus,22 der in flexiblen Konstellationen zur Entfaltung kommen kann und sich dabei eher rhetorisch auf ›das Volk‹ als Legitimationsinstanz bezieht. Richtete sich der Agrarpopulismus an eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, geht es nun um das Volk als ein durch Massenmedien konstituiertes Kollektivsubjekt, aus dem tendenziell nun einzelne, als schädlich identifizierte Bevölkerungsgruppen herausdefiniert werden – in GABRIEL OVERTHE WHITE HOUSE sind dies etwa Kriminelle ausländischer Herkunft. Das populistische Kino dieser Umbruchszeit bezieht sich sowohl auf den alten Agrar- und Kleinstadtpopulismus als auch auf den neuen, politischen Populismus, schafft aber in beiden Fällen Identifikationsangebote, die über eine konkrete Bevölkerungsgruppe hinauszielen. So werden die klassischen Agrarutopien, die King Vidor in OUR DAILY BREAD (USA 1934) oder Sidney Franklin in THE GOOD EARTH (USA 1937) jeweils unter augenfälliger Bezugnahme auf die verheerende Dürre in den Great Plains Mitte der 1930er Jahre entwerfen, zu allegorischen Bildern eines authentischen Lebens, das auch dann auf amerikanische Ideale verweist, wenn die Handlung – wie bei Franklin – in China angesiedelt ist.23 In GABRIEL OVERTHE WHITE HOUSE oder den späteren Filmen Capras, etwa in MR. SMITH GOESTO WASHINGTON (USA 1939), wird hingegen gegen den alten Agrarpopulismus eine Vision der Reform amerikanischer Demokratie entwickelt, die die Regierung Washingtons nicht generell ablehnt, sondern immer von Neuem an den amerikanischen Volkswillen anzugleichen und so – zur Not gewaltsam – lebendig zu halten versucht.24

Populismus wird auf diese Weise zu einem ambivalenten Konzept, zu einer Ermächtigungserzählung, die eigentlich gegensätzliche Narrative von Unabhängigkeit und Sicherheit, Freiheit und Autorität zusammenbindet. Die eigentümliche Widersprüchlichkeit, die auch heute noch die gleichzeitig freiheitsliebenden und autoritätshörigen Anhänger:innen Donald Trumps auszeichnet, ist in den politischen Bewegungen und Imaginationen der 1930er Jahre mithin prototypisch angelegt. »How and why have freedom and illiberalism, freedom and authoritarianism, freedom and legitimized social exclusion and social violence, become fused in our time?«, fragte etwa Wendy Brown angesichts des Wahlerfolgs Donald Trumps.25 Insgesamt scheinen Widersprüche wie diese ein regelrechtes »Markenzeichen«26 des Trumpismus zu sein: Wie kann ein Milliardär die Oligarchie bekämpfen? Weshalb sind nachweisliche Lügen und »Halbwahrheiten«27 glaubhafter als jeder fundierte Journalismus? Wie kann ein stolzer Sexist christliche Werte vertreten? In der folgenden Untersuchung des amerikanischen Kinos der 1930er Jahre soll die These entwickelt werden, dass sich für die Beantwortung dieser und weiterer, auf zentrale innere Spannungen des modernen Populismus zielender Fragen ein Blick auf jene Restrukturierung des politischen Diskurses als hilfreich erweisen kann, die mit der Great Depression einherging und die insbesondere im Kino dieser Zeit zum Ausdruck kommt.

Wie Wolfang Schivelbusch überzeugend dargelegt hat, kennzeichnet der von Brown analysierte Gegensatz dabei bereits die Regentschaft Franklin D. Roosevelts, der bis heute in erster Linie als Vorkämpfer der freien Welt gegen den Faschismus gilt. Seine Politik des New Deal, so zeigt Schivelbusch, erweist sich bei genauerer Betrachtung als umfassendes staatliches Zentralisierungsprogramm, das auf verschiedenen Ebenen – etwa in seiner architektonischen Repräsentation, aber auch in seinem Führungsstil, seiner Krisen- und Kriegsrhetorik, seiner Tendenz zum Plebiszit und seiner Mobilisierung der Massen durch neue Medien – starke Überschneidungen mit dem italienischen Faschismus ebenso wie mit dem deutschen Nationalsozialismus aufweist:

Hitler und Franklin D. Roosevelt werden heute als Kontrastgestalten wahrgenommen, wie sie gegensätzlicher kaum vorstellbar sind. Der eine hochgekommener Plebejer, hysterischer Demagoge, skrupelloser Diktator, Inkarnation der Unmenschlichkeit, des Bösen, Totalitären. Der andere Patrizier-Gentleman, von angeborener persönlicher und politischer Autorität, souverän und zugleich liberal, demokratisch und humanistisch bis in die letzte Faser. Beide aber sah die zeitgenössische Wahrnehmung der dreißiger Jahre und sieht die neuere historische Forschung als die Massen bezaubernde charismatische Gestalten, ohne die der Nationalsozialismus und der New Deal nicht möglich gewesen wären.28

Der Versuch Roosevelts, eine »plebiszitäre Direktverbindung zwischen Masse und Führer unter Überspringung der durch die Krise diskreditierten alten Vermittlungsinstitutionen (Parlamente, Parteien)« aufzubauen, die eine »Verschmelzung der Masse und der charismatischen Persönlichkeit zur gemeinsamen Bewegung gegen das alte System« ermöglichen sollte,29 macht dabei nicht nur die Nähe zum NS-System deutlich. Sie identifiziert Roosevelt auch als erfolgreichen Volkstribun, in dessen Reden jener Gegensatz von ›authentischer‹ Volkspolitik und von diesem Volk ›entfremdeter‹ Regierungselite stets präsent ist, der seit jeher im Zentrum des amerikanischen Populismus steht. Jefferson Cowie hat dies an der berühmten kämpferischen Rede Roosevelts anlässlich seiner Wiederwahl 1936 exemplarisch nachvollzogen:

From the rostrum, FDR connected his location in historic Philadelphia with his urgent political message. The enemy was not the aristocracy of old but a new breed of »economic royalists« who threatened the nation’s political traditions. The government was no longer the people’s, but had succumbed to the »privileged princes of these new economic dynasties, thirsty for power« who sought »control over Government itself.« The »political equality we once had won,« he boomed, had been rendered »meaningless in the face of economic inequality.« He shamed those who argued that the NewDeal would »overthrow the institutions of America.« Quite the opposite, he emphasized: the very preservation of »American institutions requires the overthrow of this kind of power.«30

Obgleich seine Politik vielen jener Ideale widersprach, für die der Agrarpopulismus in den USA historisch stand, findet sich bei Roosevelt also die für eben diesen Populismus charakteristische Anklage der Eliten und die Ankündigung eines Umsturzes, der zugleich der Wiederbelebung des ursprünglichen und wahren Geistes der USA dienen soll. Die Vehemenz der Attacke verbindet sich zugleich mit einem diffusen Identifikationsangebot, das sich unterschiedslos an die überwiegende Mehrheit der Amerikaner:innen richtet: Angesprochen fühlen darf sich jeder, der nicht zu augenfällig einer ausbeuterischen Elite angehört. Genauso steht auch im populistischen Narrativ Donald Trumps die Revolte im Dienst der Konservierung des eigentlichen Amerikas, ohne dass endgültig entschieden würde, wer zu diesem gereinigten Staat gehören soll und wer nicht. GABRIEL OVERTHE WHITE HOUSE, im Jahr der Inauguration Roosevelts in die Kinos gekommen, bringt diese Form von gleichzeitig autoritärem und allgemeinem Populismus in einer filmischen Fiktion auf den Punkt, die, wie noch genauer zu zeigen sein wird, zugleich als dessen theoretische, wenn nicht gar theologische Begründung lesbar ist.

Seit Franklin D. Roosevelt sind in den USA Liberalismus und Autoritarismus, Individualismus und Gemeinschafts-Pathos keine Gegensätze mehr, sondern in einem eigentümlichen Gefüge miteinander verbunden. Das Kino seiner Zeit erweist sich in der Rückschau als eine jener Instanzen, die die Begründung für diese autoritäre Politik im Geiste der Freiheit lieferten, indem sie ihr eine erzählerische Gestalt verliehen, welche die Vermittlung ihrer Gegensätze glaubhaft machte. Zu diesem Zweck aktivierte es andere, oftmals religiös geprägte Mythen und Narrative, mit denen bereits in der Frühzeit der USA deren Sonderstellung in der Welt begründet worden war.31 Das mythologische Amalgam, das auf diese Weise entstand, wird heute in der Regel als Populismus identifiziert.

1.2Heterogenität und Kohärenz

Dass populistische Politik keine kohärente ideologische Ausrichtung besitzt, sondern verschiedene, in sich heterogene Ansätze und Vorstellungen bündelt, ist in der Populismus-Forschung oftmals hervorgehoben worden. Unter Verweis auf Michal Freedens Konzept der »thin ideology«32 wird Populismus dabei wahlweise als bloße rhetorische Strategie, als politischer Stil oder gar als inhaltlich parasitäre Form politischer Meinungsmache definiert. Nach Karin Priester etwa ist ›Populismus‹ kein Substanz, sondern ein Relationsbegriff: Populistische Positionen entwickeln sich in Abgrenzung zu einer vermeintlich dominanten politischen Kultur, die im Namen des ›wahren‹ Volkes als elitär und korrupt gebrandmarkt wird, ohne dass es dafür einer kohärenten Eigenposition bedürfte.33 Die Volk-Elite-Dichotomie gilt daher als wesentliches Strukturmerkmal des Populismus, das sich je nach Situation und Akteur mit ganz unterschiedlichen Inhalten füllen oder mit geeigneten ›Wirtsideologien‹ kombinieren lässt.34

Die Widersprüchlichkeit der Inhalte und Forderungen populistischer Parteien erscheint aus einer solchen Perspektive nicht weiter erklärungsbedürftig, ergibt sie sich doch nahezu notgedrungen aus dem rein taktischen Charakter des populistischen Kalküls. Unter den vielen Theoretisierungen des Populismus hat einzig der Ansatz von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe der inneren Widersprüchlichkeit populistischer Politik eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet, sie sogar zum eigentlichen Kern populistischer Bewegungen erklärt. In den meisten Definitionen des Populismus, so hält Laclau zu Beginn seines Buches On Populism fest, wird die konzeptuelle Geschlossenheit populistischer Politik abgestritten und ersetzt durch »appeals to a non-verbalized intuition, or by descriptive enumerations of a variety of ›relevant features‹ – a relevance which is undermined, in the very gesture which asserts it, by reference to a proliferation of exceptions.«35 In den anschaulichen Beispielen, die Laclau für diese These liefert, findet sich auch der Gegensatz von Autoritarismus und Freiheitsrhetorik wieder, der bereits als besonders augenfälliges Merkmal des US-amerikanischen Populismus identifiziert wurde.

Solche Widersprüche und Inkonsistenzen, so Laclau weiter, sind jedoch nicht zufälliger Natur, sie entstammen einem grundsätzlichen Problem, das jede Beschreibung von Gesellschaft betrifft und das sich im Falle des Populismus nur in besonderer Weise zeigt: Politische Aushandlungsprozesse spielen sich niemals innerhalb eines bereits vordefinierten Raums von Gesellschaft ab; vielmehr sind alle Beschreibungen dieser Gesellschaft als kontingente Perspektivierungen zu verstehen, die selbst an der diskursiven Herstellung dessen beteiligt sind, was sie beobachten.36 Dies gilt insbesondere für die unterschiedlichen Gruppierungen, die in einer Gesellschaft eine Rolle spielen. So gehören die Bürger:innen eines Staates nach Laclau etwa keinen ›objektiv‹ zu definierenden Klassen an, vielmehr finden sie sich infolge unterschiedlicher Selbstbeschreibungen zu politischen Gruppierungen zusammen, innerhalb derer die Kategorie ›Klasse‹ nur eine unter vielen möglichen Konstitutionsmerkmalen darstellt. Politische Identitäten werden letztlich allein über Abgrenzungen fabriziert und sind aus diesem Grund als diskursive Konstruktionen anzusehen:

Soziale und kulturelle Identitäten lassen sich nicht aus einer ihnen zugrunde liegenden Instanz ableiten, sondern werden durch diskursive Artikulationsprozesse hergestellt. Jede Identität wird in Abgrenzung zu anderen Identitäten erzeugt und trägt von sich aus keine Bedeutung. Der negative Bezug auf das, was eine Identität nicht ist, führt zur Homogenisierung der inneren Differenzen einer Identität.37

Da das Repräsentierte nach Laclau also erst im Prozess der Repräsentation überhaupt entsteht, variiert jede Gesellschaft in dem Maße, in dem sich ihre verfügbaren Beschreibungen voneinander unterscheiden. Auch ›das Volk‹, das diese Gesellschaft bewohnt, existiert in seiner kollektivsingularen Gestalt nur infolge seiner Repräsentation; es ist Epiphänomen oder, wie die Medientheoretikerin Ute Holl es einmal ausdrückte, »Effekt einer Nachträglichkeit der Signifikation«.38 Der Raum des Sozialen wird auf diese Weise entessenzialisiert und »im Sinne eines letztlich unauflöslichen Sprachspiels«39 als Feld konkurrierender und sich stetig ablösender Konstruktionsprozesse gefasst, welche in ihrer Gesamtheit als die irreduzible »Unbestimmtheiten der Demokratie«40 in Erscheinung treten. Unbestimmtheit und Widersprüchlichkeit des Populismus spiegeln aus Laclaus Perspektive daher eigentlich nur die tatsächliche Verfasstheit moderner Gesellschaften wider: »[P]opulism is the royal road to understanding something about the ontological constituion of the political as such.«41

In dem dynamischen Feld der Aushandlungen, in dem Gesellschaft sich entwickelt, können Laclau zufolge bestimmte Beschreibungen einen hegemonialen Status erreichen, was letztlich bedeutet: jene universale Gültigkeit beanspruchen, die in der Welt des Politischen eigentlich niemals gegeben ist, obwohl sie tatsächlich auf partikularen Interessen und Perspektiven beruhen. Hegemoniale Beschreibungen von Gesellschaft sind jedoch selten in sich homogen. Vielmehr beruhen sie auf dem, was Laclau eine Äquivalenzkette nennt: der Verschaltung unterschiedlicher partikularer Impulse zu einer allgemein akzeptierten Beschreibung von Gesellschaft. Die Stabilisierung einer solchen Äquivalenzkette erfolgt in der Regel über die Repräsentation der egalitär nebeneinanderstehenden Positionen durch einen einzigen Signifikanten, der jedoch selbst inhaltlich entleert werden muss, um diese Funktion zu übernehmen. Es handelt sich dabei einerseits »um einen ganz gewöhnlichen partikularen Signifikanten aus der Reihe aller Signifikanten einer Äquivalenzkette, andererseits signifiziert dieser Signifikant« jedoch »die Einheit dieser Kette als solche, mit anderen Worten: das Prinzip der Kohärenz einer diskursiven Formation.«42 Der Begriff ›Volk‹ als zentraler populistischer Signifikant, welcher der Herstellung eben einer solchen Äquivalenzkette dient, muss demzufolge in seiner Bedeutung möglichst nebulös bleiben, um für die verschiedenen Menschen und Interessen, die durch ihn bezeichnet werden, als gemeinsamer Bezugspunkt fungieren zu können. Als solcher suggeriert er dann den Zusammenhang der verschiedenen Einzelanliegen, die in seinem Namen erhoben werden.

Für Laclau ist eine solche strategische Stiftung von Gemeinschaft kein Betrug am Volk, da dieses eben nicht immer schon als existent vorausgesetzt werden kann. Vielmehr wird es infolge seiner Benennung performativ und damit auch ›tatsächlich‹ überhaupt erst hergestellt. Die politische Philosophie Mouffes und Laclaus lässt sich vor diesem Hintergrund regelrecht als Anleitung verstehen, wie Äquivalenzketten gebildet und in den Dienst eines »linken Populismus« gestellt werden können, der die Entwicklung einer neuen, hegemonialen Beschreibung von Gesellschaft vorbereiten soll.43 Für die Analyse existierender wie historischer populistischer Bewegungen ist der Ansatz insofern nützlich, als dass er Heterogenität und Kohärenz – und damit die rätselhafte Widersprüchlichkeit, die viele populistische Bewegungen tatsächlich kennzeichnet – zu entscheidenden Polen des politischen Spannungsfeldes erklärt. Die populistische Repräsentation, die das Volk als Einheit stiftet, löscht dessen reale Differenz nämlich nicht aus.44 Aus diesem Grund wird es nach Laclau auch immer etwas an diesem strategisch hergestellten Volk geben, das seiner Repräsentation entgeht, das sich dem politischen Kalkül entzieht und das entsprechend als widersprüchlich aus der Inszenierung herausfällt.45 Populismus wird so als jene politische Strategie erkennbar, die auf die Herstellung einer zwar artifiziellen, aber doch politisch wirkungsvollen Kohärenz innerhalb einer bestehenden und anhaltenden Divergenz zielt.

Die strategische Entleerung des Begriffs des ›Volkes‹ zum Zweck der Herstellung eines imaginären Kollektivsubjekts lässt sich in der politischen Kultur der USA während der Great Depression beispielhaft beobachten. Roosevelts populistische Rhetorik nahm ihren Ausgangspunkt nicht mehr bei lokalen Interessen, sondern verband sich mit einer landesweiten Medienpolitik und zielte mithin auf eine Mobilisierung unterschiedlichster Akteure.46 Dies setzte eine weitreichende Kontrolle über die Informationskanäle voraus: Roosevelt konnte nicht nur die Berichterstattung über sich weitgehend steuern, er erwies sich auch selbst als Meister des neuen Mediums Radio, das die auf Präsenz ausgerichtete politische Kultur der USA nachhaltig transformierte. Hatten frühere Präsidenten, namentlich Lincoln, häufig Bürger:innen in ihrem Büro empfangen, war eine persönliche Begegnung mit dem Präsidenten in der Ära Roosevelt für die meisten Menschen schlicht undenkbar geworden. Durch seine Radioansprachen, vor allem die berühmten Fireside Chats, gelang es Roosevelt jedoch, per Medium eine neue Intimität mit seinen Zuhörer:innen aufzubauen und so eine imaginäre Volkseinheit zu konstituieren, die das Gemeinschaftsgefühl der alten politischen Versammlungen auf die ganze Nation ausweitete.47 Die Menschen reagierten enthusiastisch auf seine Ansprachen, die den Eindruck erzeugten, der Präsident sage spontan und ungekünstelt seine Meinung, obgleich die Reden tatsächlich sorgfältig vorbereitet wurden.48 Amerikaner:innen unterschiedlichster Herkunft und politischer Gesinnung sahen sich durch sie repräsentiert, gelang es Roosevelt doch, die komplexen Themen seiner Ansprachen – etwa die Währungskrise oder sein Programm gegen Arbeitslosigkeit – in einer rhetorischen Form vorzutragen, die es nahezu allen Bürger:innen ermöglichte, sich mit dem größeren Projekt eines einheitlichen, in eine gemeinsame Zukunft schreitenden Amerikas zu identifizieren.49 Auch das Kino Hollywoods, das den New Deal umfassend unterstützte, stellte Roosevelt stets in ein gutes Licht, und der populistische Film kann als Teil jener Medienstrategie betrachtet werden, die die Modernität von Roosevelts Präsidentschaft ausmachte. Der einflussreiche Komödienstar Will Rogers, der auch regelmäßig im Radio auftrat und dort lange Zeit offen mit populistischen Politikern wie Huey Long sympathisiert hatte, sprach sich 1933 etwa mit einem Nachdruck für den New Deal und Roosevelts Politik aus, der ihm den Spitznamen »Number One New Dealer« einbrachte.50

Auch wenn ihm die Unterstützung Hollywoods bisher versagt bleibt, kennzeichnet sich der Populismus Donald Trumps heute durch eine diffuse, aber pathetische mediale Adressierung des ganzen amerikanischen Volkes im Sinne populistischer Frontbildung, die ihre Wurzeln augenscheinlich im frühen Medienpopulismus der 1930er Jahre hat. Auch Trump setzt dabei auf neue Massenmedien, die es seinen Anhänger:innen ermöglichen, sich als Teil eines größeren Ganzen zu begreifen. Stärker noch als damals fallen dabei jedoch die Inkonsistenzen zwischen rhetorisch beschworenem Volk und tatsächlicher Anhängerschaft Trumps, zwischen Anspruch auf Freiheit und Selbstbestimmung und autoritärem Charakter der MAGA-Bewegung ins Auge. Diese Inkonsistenzen haben Trumps Kritiker:innen sogar dazu verleitet, von einem »Metapopulismus« zu sprechen, in dem die Bündelung der widersprüchlichen Positionen nurmehr eine rein allegorische Operation darstelle.51 Trumps Slogan »Make America Great Again«, der sein immer wieder bemühtes »Narrativ des Verlusts«52 auf den Punkt bringt, erscheint tatsächlich nahezu als Inbegriff jenes leeren Signifikanten, den Laclau zum Schlussstein im Gewölbe der populistischen Äquivalenzkette erklärte. Der Amerikanist Simon Schleusener hat die fehlende Referenz dieses Slogans wie folgt auf den Punkt gebracht:

To be sure, the whole idea of America’s past greatness becomes increasingly flimsy the moreone reflects on it. Even Trump’s diehard fansare often evasive when pressed to say when, exactly, Americawas great. During slavery? The Jim Crow era? Under McCarthyism? At the time of the Indian Removal Act? Or doesthe MAGA slogan instead refer to the more recent past, to the years preceding the Obama presidency – years, that is, which were marked by 9/11, the wars in Afghanistanand Iraq, and the financial crisis? What becomes obvious here is that the reference to America’s past greatness is typically less grounded in historical particularities than in an exceptionalist mythology that continues to inform American political discourse. Trump’s base embodies this tendency in the most obvious and seemingly pure manner: Make America Great Again denotes an imaginary orientation toward a non-existent past, and thus an essentially reactive […] desire […].53

Die restaurative »Retrotopie«54 des Trumpismus erweist sich als ein so imaginärer wie inkonsistenter Topos und somit als Paradebeispiel populistischer Rhetorik. Eine ähnliche, durch die »Romantik des heroischen Widerstandskampfs« und weitere Formen der »Pathetik« verschleierte inhaltliche Inkonsistenz wurde auch anderen als rechtspopulistisch markierten Bewegungen der Gegenwart, etwa den deutschen »Querdenkern« attestiert.55 Wie ist es möglich, so die immer neu wiederholte Frage, dass diesen Bewegungen ihre offensichtliche Inkonsistenz nicht schadet, ja nicht einmal aufzufallen scheint? Am Beispiel Trumps zeigt sich dabei besonders, dass die Verbindung heterogener Elemente im populistischen Kalkül weder durch die Kraft des besseren Arguments noch durch die Aushandlung von Kompromissen geschieht, sondern allein im Rahmen einer affektiv wie mythologisch aufgeladenen Inszenierung von Repräsentation