Postmoderne Astronavigation - Helmut Hoffrichter - E-Book

Postmoderne Astronavigation E-Book

Helmut Hoffrichter

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Beschreibung

Postmoderne Astronavigation ist eine neue Methode, mit einem Sextanten zu navigieren, die sich in ihrer Handhabung von der Satellitennavigation nur deshalb unterscheidet, weil natürliche Himmelskörper ihre Bildpunktentfernung nicht mit Funksignalen übertragen können. So muss diese manuell gemessen werden. Das Gissen des eigenen Standortes, die Beschickung von Sextantenablesungen, das Ausrechnen komplizierter Formeln, das Suchen in Tafelwerken und das Anfertigen von Zeichnungen sind damit obsolet. Niemand braucht für eine Anwendung dieser neuen Methode Kenntnisse in Mathematik oder Astronomie. Obwohl direkte Verfahren zur Standortbestimmung schon sehr lange bekannt sind, konnten sie sich nicht etablieren, weil es keine Computer gab. Aus diesem Grund muss die im Jahre 1875 von dem französischen Seeoffizier Marcq Saint Hilaire geschaffene grafische Näherungsmethode als Notlösung gesehen werden, die ihrer Zeit geschuldet war. Sie wurde erst von der Satellitennavigation abgelöst. Der Autor beginnt einleitend mit einer Reise durch die Geschichte der astronomischen Navigation. Darauf folgt die Beschreibung einer praktischen Anwendung der Postmodernen Astronavigation auf einem Tablet. Nach Behandlung der Höhenmessung mit dem Sextanten folgen mathematische Betrachtungen der alten Verfahren zur analytischen Standortbestimmung. Diese werden in einer gemeinverständlichen und erklärenden Form vorgetragen. Der Leser muss deshalb kein Mathematiker sein, um den Stoff aufnehmen zu können. Da allen Beschreibungen das Navigationsgestirn Sonne zugrunde liegt, wird auch gezeigt, wie Greenwichwinkel und Deklination der Sonne berechnet werden, was ein nautisches Jahrbuch ersetzt wird. Ein Highlight ist ein Ausschnitt aus dem Original einer historisch bemerkenswerten Arbeit von Carl Friedrich Gauß aus dem Jahre 1809, worin er die analytische Lösung des Zweihöhenproblems darlegt. Inhalte dieser Publikation wurden in der nautischen Literatur seitdem nie wieder hervorgeholt.

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Seitenzahl: 210

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Impressum

Texte: © 2023 Copyright by Helmut Hoffrichter

Grafiken:© 2023 Copyright by Helmut Hoffrichter

ISBN: 978-3-757541-36-1

Verantwortlich für den Inhalt:

Helmut Hoffrichter

Schall-und-Schwencke-Weg 20

19055 Schwerin

[email protected]

Zum Thema

Die Industrielle Revolution führte im 19. Jahrhundert zu einem vorher nicht gekannten Aufstieg von Seemacht und Seehandel. Was jedoch fehlte, waren adäquate Navigationsverfahren und dieser Zustand erwies sich bald als untragbar. Zwar war längst bekannt, wie ein Standort auf hoher See berechnet werden kann, doch die Mittel zur Umsetzung fehlten. Eine Ersatzlösung fand man schließlich in einem grafischen Verfahren, das sich in der Folge als weltweiter Standard etablierte und heute als moderne Astronavigation bekannt ist. Nach seiner Ablösung durch die Satellitennavigation bekam es die Bedeutung als Notfall-Back-up.

Das ergibt Sinn, denn ein verantwortlicher Seemann wird auch in der Navigation nicht auf ein Back-up verzichten wollen. Die See ist kein sicherer Ort und ein Ausfall der vollelektronischen Navigation würde sein Schiff ins 19. Jahrhundert zurückschicken.

Wie aber sollte eine Notfallnavigation beschaffen sein? So ehrenwert die hohe Steuermannskunst der letzten Seefahrergeneration vor dem Satellitenzeitalter auch ist, sie taugt nicht dazu, als Notfall-Back-up an nachfolgende Generationen weitergegeben zu werden.

Vor allem muss eine Notfallnavigation ad hoc für jeden verwendbar sein und zwar ohne, dass dazu Vorkenntnisse nötig wären. Das geht nur mit der Sonne als Navigationsgestirn, weil diese nicht mit anderen Gestirnen verwechselt werden kann.

Jenseits aller möglichen Notfallszenarien hat die astronomische Navigation auch ihre eigene Faszination. Die Fähigkeit, mit einem Sextanten navigieren zu können, wie die alten Seefahrer, ist ein romantisches Hobby, das ein besonderes Gefühl der Unabhängigkeit vermittelt.

Dieses Buch definiert Astronavigation aus einer anderen Sicht. Nach einer zusammenfassenden Retrospektive in die Geschichte der Astronavigation wird eine App vorgestellt, mit der jeder, ohne Kenntnisse in Mathematik oder Astronomie, ähnlich wie auf Kartenplottern mit der Sonne navigieren kann. Es folgt eine Beschreibung der dazu benutzten Grundlagen. Im Kern sind dies alles Themen, die in der nautischen Literatur bisher nicht, oder anders oder nur am Rande behandelt worden sind.

Schwerin, im April 2023

Helmut Hoffrichter

Inhaltsverzeichnis

Zum Thema

1 Kleiner Exkurs in die Geschichte der Astronavigation

1.1 Das Problem der zwei Höhen

1.2 Cornelis Douwes

1.3 Chevalier de Borda

1.4 Die Chronometerlänge

1.5 Carl Friedrich Gauß

1.6 Die Industrielle Revolution

1.7 Thomas Sumner

1.8 Marcq Saint Hilaire

1.8.3 Die Tafelmethode

1.9 Künstliche Himmelskörper

1.10 Astronavigation heute

2 Die App Sun Navigation

2.1 Sun Navigation Basic

2.1.1 Settings

2.1.2 Observations

2.1.3 Bis dahin

2.2 Sun Navigation Pro

2.2.1 Zweitsystem für beliebige Eingaben

2.2.2 Nutzung der Mittagsbreite

2.2.3 Download hoch auflösender Karten

2.2.4 Dead Reckoning Modul

2.2.5 Sun Almanach

2.2.6 Beobachtung über mehrere Tage

2.2.7 Beobachtung der Sonne am Oberrand

2.2.8 Anzeige der DR Position

2.2.9 Großkreisrechnung: Distanz und Kurs zu einem Ziel

2.3 Übrigens

3 Kleine Sextantenkunde

3.1 Aufbau eines Sextanten

3.2 Funktionsweise

3.3 Messvorgang

3.4 Wann kann gemessen werden?

3.5 Indexfehler

3.6 Beschickung

3.6.1 Refraktion

3.6.2 Kimmtiefe

3.7 Hinweise zum Kauf eines Sextanten

4 Analytische Positionsbestimmung

4.1 Ein bisschen Mathe

4.1.1 Der Kosinus Seitensatz

4.2 Bildpunkt und Höhenkreis

4.3 Standort direkt aus zwei Höhenkreisen

4.3.1 Berechnung der Breite

4.3.2 Berechnung der Länge

4.3.3 Realisierung als Computerprogramm

4.4 Versegelung

4.4.1 Versegelung nach Douwes

4.5 Standort aus der Mittagsbreite

4.5.1 Höhenkreis zuerst

4.5.2 Mittagsbreite zuerst

4.6 Die Methode von Carl Friedrich Gauß

5 Koppelnavigation

5.1 Zwei Geschwindigkeiten

5.2 Addition der Schläge

5.3 Das Koppelboard

6 Großkreisrechnung

7 Die Zeitgleichung

7.1 Elliptizität der Erdbahn

7.2 Schiefe der Ekliptik

7.3 Berechnungsmodell

7.3.1 Bestimmung der Zeit als Variable

7.3.2 Berechnung der Zeitgleichung

7.4 Die Ephemeriden der Sonne

7.4.1 Greenwichwinkel Grt

7.4.2 Deklination

7.4.3 Das Nautische Jahrbuch

7.4.4 Ephemeriden der Sonne mit Excel berechnet

8 Anhang

8.1 Gesamtbeschickung für den Kimmabstand des Sonnenunterrandes

8.4 Die Gauß’sche Lösung des Zweihöhenproblems

Nachwort

1 Kleiner Exkurs in die Geschichte der Astronavigation

Zur Bestimmung des Breitenkreises, auf dem sich ein Schiff gerade befindet, entwickelte der Mensch zahlreiche Werkzeuge, mit denen er diejenigen Himmelskörper beobachten konnte, die ihm Aufschluss darüber gaben. Die wichtigsten waren der Jakobsstab, Quadrant, Oktant und schließlich der Sextant. Seit langem schon war bekannt, dass die Höhe des Nordsterns auf der Nordhalbkugel mit der Standortbreite ziemlich gut übereinstimmt und seit dem Mittelalter existieren einigermaßen brauchbare Deklinationstabellen, die es ermöglichen, die Standortbreite auch aus der Kulmination der Sonne am Mittag zu bestimmen.

Daraus entwickelte sich schon früh eine besondere Navigationsmethode, das sogenannte Breiteln.

Auch Columbus hat diese Methode benutzt, um zurück nach Europa zu kommen. Er segelte zunächst von der Karibik kommend immer nur nach Nordosten, bis er die gewünschte Breite von Kap St. Vincent in Portugal erreichte, und änderte dann seinen Kurs direkt nach Osten. Auf seiner Weiterreise versuchte er, auf möglichst gleicher Nordsternhöhe zu bleiben, auch wenn ihn manchmal Stürme abtrieben. Im Verlauf seiner Reise traf er auf die Azoren und erreichte schließlich sogar ziemlich genau Lissabon, was am Ende mehr ein Zufall war.

Eine Bestimmung des Längengrades galt dagegen lange Zeit als unmöglich, obwohl bereits Wege dafür angedacht waren. Im 16. Jahrhundert vertraten Galilei und andere die Auffassung, dass der Längengrad mit einer exakt laufenden Uhr bestimmt werden könne. Doch der Versuch einer Längengrad-Bestimmung mit einer Pendeluhr an Bord dauerte nur bis zum ersten Sturm, der das Pendel völlig außer Takt brachte und nach dem die Uhr dann nicht mehr gestellt werden konnte.

Später ermittelte man die Zeit durch Messungen von Monddistanzen zu Fixsternen, die wiederum eine Bestimmung der Zeit in Greenwich ermöglichte. Spätestens damit erlangte die Mathematik einen wichtigen Stellenwert in der Praxis der Navigation.

1.1 Das Problem der zwei Höhen

Der Portugiese Pedro Nunes (1502–1578) beschrieb ein Prinzip, wonach die geografische Breite aus zwei unterschiedlichen Höhen der Sonne bestimmt werden konnte. Von dem dänischen Astronomen Tycho Brahe (1546–1601) ist bekannt, dass er die unbekannte Position eines Sterns aus der bekannten Position zweier anderer Sterne ableiten konnte. Diese Aufgabe unterscheidet sich genau genommen nicht von der Bestimmung der unbekannten Position eines Schiffes. Das Gradnetz der Erde ist eine Projektion des Gradnetzes an der Himmelskugel. Somit ist die Position des Zenits Z eines Schiffes auf dem Gradnetz der Himmelskugel identisch mit der Position des Schiffes auf dem Gradnetz der Erde.

Auf diese Weise ließe sich die Tätigkeit der Astronomen auf eine Positionsbestimmung auf dem Meer übertragen. Die Aufgabe bestände nur darin, den unbekannten Zenit einer Schiffsposition aus der Position zweier bekannter Himmelskörper oder der Position der Sonne zu zwei verschiedenen Zeiten abzuleiten. Diese Aufgabe ist als Problem der zwei Höhen oder einfach als Zweihöhenproblem bekannt geworden.

Ein einfacher Rechenweg ließ sich für diese Aufgabe allerdings nicht finden. Die Mathematik befand sich noch im Wachsen. Zwar gab es schon genügend Arbeitsergebnisse zur sphärischen Trigonometrie, doch diese waren noch völlig ungeordnet und damit nicht reif für eine allgemeine Verwendung. Einen Anschub zur Lösung des Zweihöhenproblems leistete ein Preisausschreiben, das die Pariser Akademie der Wissenschaften am 17. Mai 1727 veröffentlicht hatte. Ein Preis sollte demjenigen zuerkannt werden, der eine praktikable Lösung für das Zweihöhenproblem anbieten konnte. Unter den zahlreichen Teilnehmern, die einen Preis zu gewinnen hofften, fand sich auch Daniel Bernoulli, der heute vor allem als Begründer der Strömungslehre bekannt ist. Er wollte die geografische Breite aus drei aufeinanderfolgend gemessenen Höhen und den korrespondierenden Zwischenzeiten an ein- und demselben Himmelskörper bestimmen, ohne dessen Koordinaten zu kennen.

Die Suche nach einfachen Lösungen zog sich recht erfolglos bis fast in die Mitte des 19. Jahrhunderts hin. Unzählige Publikationen mit mehr oder weniger praktischem Nutzen wurden bekannt. Vielfach wurde versucht, die sphärische Trigonometrie zu umgehen, indem stattdessen in der Trigonometrie der Ebene oder sogar in der allgemeinen Arithmetik nach Ausweichlösungen gesucht wurde.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hat Leonhard Euler (1707–1783) die Sätze der sphärischen Trigonometrie systematisiert und darüber hinaus leicht verständliche Anleitungen gegeben, wie diese anzuwenden sind. Weil zu dieser Zeit die Berechnung nur mithilfe von Logarithmen möglich war, hat Euler die Formeln sogar in zwei Varianten publiziert. In einer ersten Variante wurden sie in ihrer anschaulichsten und heute bekannten Form dargestellt. Die zweite Variante war eine sogenannte abgeleitete Gleichung, die nur noch aus Produkten und Quotienten bestand, und damit im Hinblick auf eine rechnerische Anwendung mit Logarithmen optimiert war. Mit dieser Arbeit hatte Euler die Grundlage für ein mathematisch strenges Verfahren zur Berechnung der Breite eines Standortes aus den gemessenen Höhen zweier Himmelskörper geschaffen.

Nachfolgend soll der mathematische Hintergrund der Lösung des Zweihöhenproblems dargelegt werden. Wir benutzen dazu die Skizze im Bild 1.3. Darin finden wir die Zenitalpunkte bzw. Bildpunkte der Sonne, die mit X und X’ bezeichnet sind. Das sind die geografischen Punkte auf der Erde, an denen die Sonne gerade im Zenit steht – und zwar zu dem Zeitpunkt, in dem ihre jeweilige Höhe über dem Horizont von einem Standort Z aus mit einem Sextanten gemessen wird. Die geografischen Positionen dieser Bildpunkte in den Messzeiten müssen natürlich bekannt sein. Dafür gab es damals schon Tabellen, aus denen die Deklinationen δ für jede Stunde eines Jahres entnommen werden konnte. Die Beobachtungszeiten sollten ein paar Stunden Sonnenlaufzeit auseinanderliegen und zudem war es günstig, die erste Beobachtung am Vormittag und die zweite am Nachmittag zu machen. Einen vierten Bezugspunkt in diesem Modell stellt der Pol P dar, der in unserem Fall der Nordpol ist.

Ein Verfahren, aus dieser Konstellation die Seite b und daraus die Breite ϕ exakt zu berechnen, war also bekannt. Doch der Rechenaufwand dafür war viel zu hoch. Eine Breitenberechnung hätte an Bord eines Schiffes viel Zeit beansprucht, in der das Schiff große Strecken zurücklegt. So hatte das Verfahren bei den Seefahrern keinen Erfolg. Die Weiterentwicklung der Mathematik brachte enttäuschenderweise zunächst keine Lösung für die Praxis.

1.2 Cornelis Douwes

Die astronomische Aufgabe, die Breite eines Ortes zu finden, galt damals als eine der wichtigsten Aufgaben in der Geografie und Navigation. War von einem Schiffsort die Breite bekannt, so konnten aus gemessenen Distanzen zwischen Mond und bekannten Fixsternen die Zeit und damit die geografische Länge sowie daraus der Standort bestimmt werden. Die Monddistanzen-Methode war allerdings auch nicht ganz trivial und erforderte neben einigen Berechnungen zudem noch Unterlagen in Form von astronomischen Tabellen. Die exakte Breite war bis dato deshalb nur aus der Beobachtung des Nordsterns oder als Mittagsbreite zu bestimmen.

Der Holländer Cornelis Douwes (1712–1773) war Direktor der Seefahrtsschule in Amsterdam. Seine Vision war es, das Zweihöhenproblem für die Seefahrer nutzbar zu machen. Zu diesem Zweck entwickelte er eine Methode, wie aus zwei außer dem Mittagskreis beobachteten Sonnenhöhen die Breite eines Ortes gefunden werden kann. Sein Ansatz bestand darin, die mühsame logarithmische Berechnung der Polardreiecke abzukürzen, indem er eine spezielle eigene Logarithmentafel schuf. Bei Benutzung dieser Douw’schen Tafel musste weniger gerechnet und weniger in Tabellen gesucht werden. Insgesamt waren neun Tabellenzugriffe für eine Breitenberechnung erforderlich. Dies verringerte den Rechenaufwand gegenüber der strengen Rechenmethode mit mehr als 20 notwendigen Tabellenzugriffen, wobei nach jedem Tabellenzugriff auch immer eine Interpolation nötig war, auf etwa ein Drittel. Seine Methode war nicht ganz exakt und enthielt Vereinfachungen. Eine davon war die Notwendigkeit, einen Standort vorher schätzen zu müssen.

Douwes erhielt für seine Tafelmethode von der britischen Längengradkommission einen ansehnlichen Preis. Danach hat sich sein Verfahren sowohl unter den holländischen als auch englischen Seeleuten etablieren können und war bis ins 19. Jahrhundert hinein eine verbreitete Navigationsmethode.

1.3 Chevalier de Borda

Eine außerordentlich interessante Idee zur Breitenbestimmung hatte der Franzose Jean-Borda auf seiner Reise 1771/72, die ihn mit dem Forschungsschiff Flora an der westafrikanischen Küste entlangführte. Genaue Ergebnisse konnte man damit allerdings nur über sogenannte rigorose Berechnungen erhalten.

Das Verfahren ist besonders dann geeignet, wenn die Mittagsbreite wegen einer Bedeckung des Himmels nicht bestimmt werden kann. Neben den Höhenmessungen musste auch die Zwischenzeit t, die Zeit zwischen den Beobachtungen, festgehalten werden, die jedoch mit einer einfachen Schiffsuhr gemessen werden konnte.

Vor dem Beginn einer Berechnung musste die eigene Breite ϕ noch geschätzt werden. Aus dieser geschätzten Breite, den Komplementen s und s’ aus den jeweils beobachteten Höhen und den Deklinationen δ und δ’ während der Beobachtungszeiten wurden dann die Stundenwinkel τ1 und τ2 der beiden Polardreiecke XPZ und X’PZ berechnet.

Diese wurden addiert und ihre Summe durch die Winkelgeschwindigkeit der Sonne von 15°/h dividiert. Das Ergebnis davon war die berechnete! Laufzeit der Sonne zwischen den Beobachtungen. Diese würde mit der gemessenen Zwischenzeit t übereinstimmen, wenn die Breite richtig geschätzt worden wäre.

Auf dem Bild ist leicht nachvollziehbar, dass sich der Abstand zwischen den Bildpunkten der Sonnen X und X’ spreizt, wenn bei gleichbleibenden Längen von s und s’ eine kleinere Breite zur Anwendung kommt bzw. geschätzt wird. Als Folge würde dann eine Laufzeit der Sonne berechnet werden, die größer ist als die gemessene wahre Zwischenzeit t.

Nun könnte das Ganze mit einer jeweils anderen Breite wiederholt werden, bis es passt. Der Astronom Jerome Lalande hatte dann allerdings die Idee, die wahrscheinlich richtige Breite aus zwei Breitenschätzungen über einen Dreisatz zu finden. Das Verfahren erwies sich als bemerkenswert genau, wenn es gelang, die Breiten vorher einigermaßen exakt zu schätzen. War dies nicht der Fall, dann ergaben sich größere Abweichungen, die zur Wiederholung der ganzen Rechnungen drängten. Die Länge bekam man aus der Zeit, die damals allerdings nur über Monddistanzen zu bekannten Fixsternen ermittelt werden konnte. Auch dieses Verfahren erforderte mitunter einen riesigen Rechenaufwand und so kam es bei den Seefahrern ebenfalls nicht an.

Das Verfahren interessierte mich und so entwarf ich ein Programm dafür, das sogar ohne Breitenschätzung auskam.

Auf der Nordhalbkugel werden zunächst alle ganzgradigen Breiten von der maximal möglichen Breite von smin + δ abwärts zählend geprüft, bis ein gültiger Bereich zwischen zwei Breitengraden gefunden ist. Das ist dann der Fall, wenn von zwei aufeinanderfolgenden Breiten die eine Breite aus den Stundenwinkeln eine Zeit liefert, die kleiner als die gemessene Zwischenzeit t ist, und aus dem folgenden Breitengrad Stundenwinkel folgen, die eine Sonnenlaufzeit größer als die gemessene Zwischenzeit t ergeben. Danach schaltet das Programm von Grad auf Bogenminuten um und durchsucht den Bereich zwischen den gefundenen Breiten in Meilenschritten, bis wieder zwei Breiten – dieses Mal in Minutengenauigkeit – gefunden werden, zwischen denen der Standort liegen muss.

Das Programm habe ich auf See getestet und festgestellt, dass damit tatsächlich die Standortbreite rechengenau auf eine Seemeile gefunden werden kann. Die dabei ablaufenden Berechnungen sind zwar simpel aber umfangreich, was meinem Smartphone jedoch nichts ausmachte. Das Ergebnis stand augenblicklich nach der letzten Höheneingabe im Display. Überraschend neu war für mich die Erfahrung, dass Standorte auf See auch gänzlich ohne Standlinien präzise gefunden werden können.

1.4 Die Chronometerlänge

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts waren schon einige Verfahren zur Bestimmung der Breite bekannt. Am genauesten war die Bestimmung der Mittagsbreite. Die dazu nötige Prozedur wurde auf allen Seeschiffen auch täglich durchgeführt. Die aktuelle Breite musste anschließend durch Koppeln gefunden werden. Darunter wird das Hinzufügen der Breitenkomponente verstanden, die seit der letzten Standort-Feststellung mittels Log und Kompass errechnet werden konnte.

Ohne die Möglichkeit einer Längenbestimmung war es üblich, dass die Schiffe wochenlang an einer bekannten Küste entlang Breiten absegelten, bis die gewünschte Breite erreicht war. Erst dann konnten sie den Breitenkreis entlang eine Überfahrt zu einem bekannten Hafen auf der anderen Seite eines Ozeans wagen. Während der Überfahrt musste ständig die Breite festgestellt und der Kurs gegebenenfalls korrigiert werden.

Die Suche nach einer Methode, den Längengrad feststellen zu können, hat insgesamt 400 Jahre gedauert. Für einen Weg zu seiner Bestimmung setzte der spanische König im Jahre 1600 ein Preisgeld aus, doch er blieb damit erfolglos. Mehr als hundert Jahre später, im Jahre 1714, folgte das englische Parlament diesem Beispiel und setzte bis zu 20 000 Pfund Preisgeld für eine praktikable Lösung des Längenproblems aus. Anlass war der Untergang von vier Schiffen, die sieben Jahre zuvor auf den Klippen der Skilly-Inseln zerbrachen, wobei etwa 1500 Seeleute den Tod fanden.

Erst zehn Jahre später beschäftigte sich John Harrison mit dieser Aufgabe. Er war eigentlich Tischler, hatte aber bereits eine Uhr mit Holzzahnrädern gebaut. Ihn ließ die Vision nicht mehr los, eine exakt gehende Schiffsuhr zu bauen. Damals gab es schon Verfahren, wie die Zeit aus der Bedeckung der Jupitermonde oder aus dem Abstand des Erdmondes von bekannten Fixsternen hergeleitet werden konnte, doch ersteres war viel zu selten und konnte deshalb nur in Observatorien an Land für Zeitkorrekturen benutzt werden. Monddistanzmessungen waren hingegen an Bord schon gängiger geworden, aber doch recht aufwendig.

Mit einem ersten Uhrenexemplar von Harrison, das später den Namen H1 bekam, gelang eine Testfahrt, bei der die Genauigkeit der Methode bestätigt werden konnte. Das Preisgeld wurde jedoch nicht gezahlt, weil die Testreise nicht ganz den Anforderungen entsprach. Es konnte auch alles nur Zufall gewesen sein, meinten einige Kritiker. Außerdem gab es Widerstände und Bedenkenträger. So wurde die Zuverlässigkeit eines technischen Instrumentes grundlegend angezweifelt.

Ein ständiger Widersacher war insbesondere der Hofastronom des englischen Königshauses, Nevil Maskelyne. Er setzte auf die Monddistanzmethode, weil diese unabhängig von technischen Instrumenten ist. Außerdem sah er in der Entwicklung der Längenuhr eine Konkurrenz zu seinen eigenen Ideen, mit denen er die Monddistanzmethode vervollkommnen wollte.

Erst als James Cook 1775 von seiner zweiten Weltreise zurückkehrte und die gute Qualität eines heute mit K1 bezeichneten Modells eines Harrison Chronometers bestätigte, galt auch in Astronomen-Kreisen das Längenproblem als gelöst. Harrison wurde ein Preisgeld von 10 000 £ zugesprochen. Die K1 war ein exakter Nachbau der H4. Eine Weiterentwicklung, heute mit H5 bezeichnet, wurde von König Georg III persönlich getestet. Der Test verlief erfolgreich und Harrison erhielt weitere 8 750 £. 

Nach dem Erfolg der H5, die damals etwa 500 £ kostete, bauten Uhrmacher die Modelle nach und die Preise sanken. Die ersten in Serie produzierten Marine Chronometer waren ab etwa 1790 verfügbar. Die Tatsache, dass die Beagle auf ihrer Forschungsreise mit dem berühmten Charles Darwin gleich 22 Stück an Bord hatte, zeigt, welche Bedeutung sie plötzlich bekamen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnte der Bedarf an Chronometern einigermaßen gedeckt werden – in England bereits früher.

Die Bestimmung der Chronometerlänge ist ein einfacher Vorgang, den wir uns nun an dem im Bild 1.6 aufgezeigten Modell klarmachen wollen. Nachdem die Breite ϕ z. B. als Mittagsbreite oder Koppelbreite festgestellt worden ist, wird die Höhe der Sonne über der Kimm mit einem Sextanten gemessen. Nach Berichtigung des abgelesenen Höhenwinkels erhält man die beobachtete Höhe h. Das Komplement dieser Höhe, die Ergänzung zu 90° ist der Zenitabstand s, der im Bild als die grüne Dreieckseite zwischen Z und X eingezeichnet ist. Ganz entscheidend bei Höhenmessungen ist die Feststellung der sekundengenauen Zeit, in der das Gestirn im Teleskop des Sextanten auf die Kimm gesetzt wurde.

Als nächstes muss die Deklination δ aus einem nautischen Almanach herausgesucht werden. Dazu braucht man ebenfalls die Beobachtungszeit, jedoch nur minutengenau, weil sich die Deklination nur sehr langsam ändert.

Damit sind alle Seiten des nautischen Dreiecks oder Poldreiecks im Bild 1.6 bekannt. Wir haben also:

Wenn von einem sphärischen Dreieck die Längen aller Seiten bekannt sind, dann kann jeder der drei möglichen Winkel berechnet werden. In unserem Fall wird der Polwinkel τ berechnet.

Die Länge λ besteht, wie im Bild zu sehen ist, aus der Summe von τ und einem zweiten mit GHA bezeichneten Winkel. GHA ist die Abkürzung für Greenwich Hour Angle. Im deutschen Sprachgebrauch ist dafür die Bezeichnung Grt üblich. Dieser bis 360° gehende Stundenwinkel ist die Differenz zwischen dem durch die Sternwarte von Greenwich laufenden Nullmeridian und dem Meridian, auf dem der Bildpunkt der Sonne in einer anzugebenden Zeit, üblicherweise der Beobachtungszeit steht. Diese Zeit muss sekundengenau angegeben werden, denn die Winkelgeschwindigkeit der Sonne ist mit 15°/h sehr hoch. Am Äquator kann sie bis 463 m/s betragen.

Dass der Nullmeridian durch die Sternwarte von Greenwich gehen soll, wurde 1884 auf der internationalen Meridiankonferenz in Chicago beschlossen. Zuvor gab es mehrere Vorschläge, u. a. auch von Frankreich, den Nullmeridian durch Paris laufen zu lassen. Weil zu jener Zeit die größere Menge an bereits vorhandener nautischer Literatur und auch astronomischen Tafeln den Nullmeridian durch Greenwich berücksichtigten, fiel die Entscheidung auf diesen Ort.

Doch nun wieder zu Sache. Aus der konstanten Winkelgeschwindigkeit der Sonne von 15°/h könnte jetzt der GHA berechnet werden, wenn die Zeit bekannt wäre, in der die Sonne den Nullmeridian passiert. Doch hier gibt es ein Problem.

Ein Chronometer geht absolut gleichmäßig. Wenn es 365-mal im Jahr seine 24 Stunden abdreht, dann geschieht es allerdings nur an vier Tagen, dass die Sonne genau um 12:00:00 GMT (Greenwich Mean Time - Zone), auf dem Nullmeridian kulminiert. An allen anderen Tagen kulminiert sie bereits vor 12:00 Uhr oder danach. Die Sonnenzeit und die Chronometerzeit laufen nämlich nicht synchron. Dies ahnte man bereits im Mittelalter und es hat sich später auch herausgestellt, dass die ersten genauen Pendeluhren nicht im Gleichgang mit den Sonnenuhren waren, die überall an den Kirch- oder Rathauswänden angebracht waren. Sie gingen scheinbar einmal vor und dann wieder nach.

Wenn mit der Sonne navigiert werden soll, dann muss auch die Sonnenzeit verfügbar sein. Um aus der Chronometerzeit die Sonnenzeit zu erhalten, brauchte man eine Korrektur- oder Ausgleichszeit. Der Name dafür lautet Zeitgleichung. Dies ist also keine Gleichung im mathematischen Sinne, sondern ein Wert aus einer Tabelle, der für ein bestimmtes Datum den Zeitausgleich schafft. Es sind tatsächlich bis zu 16 Minuten, die ein Chronometer innerhalb eines Jahres gegenüber der Sonnenzeit vor- oder nachgehen kann.

Nachdem Johannes Keppler die Bahn der Erde um die Sonne genau berechnet hatte, konnte auch die Zeitgleichung ermittelt werden. Diese Arbeit hat der erste Hofastronom des englischen Königshauses, John Flamsteed (1646–1719), durchgeführt.

Demnach ist die von gleichmäßig gehenden sogenannten Räderuhren angegebene Zeit nur eine mittlere Zeit. Die wahre Sonnenzeit, die ein Navigieren mit der Sonne erst ermöglicht, ist die Summe von Chronometerzeit, die der GMT oder der Universalzeit UTC entspricht und der Zeitgleichung.

An Bord der Schiffe muss deshalb neben einem genau gehenden Chronometer auch stets eine Jahrestabelle mit der Zeitgleichung vorhanden sein.

Um jetzt auf die Bestimmung des GHA zu kommen, stelle man sich vor, dass auf einem Schiff im Atlantik die Sonne um 14:00:00 GMT beobachtet wurde. Gemäß der Zeitgleichung soll die Sonne den Nullmeridian bereits schon um 11:58 GMT passiert haben und ist deshalb um 12:00 GMT schon 2° westlich von Greenwich. Damit ist dann klar, dass auch das Schiff um 14:00 GMT nicht auf 30° W, sondern auf 32° westlicher Länge steht.

So muss zur Bestimmung des Längengrades zunächst die Differenz zwischen Beobachtungszeit und 12:00:00 GMT berechnet werden. Dann wird die Zeitgleichung dazu addiert und die erhaltene Summe mit der Winkelgeschwindigkeit der Sonne von 15°/h multipliziert. Ab Mitte des 19. Jhd. wird der GHA in Nautischen Jahrbüchern tabelliert, wodurch sich die Arbeit mit den Zeitgleichungstabellen erübrigt hat.

Bild 1.6 zeigt den Fall, dass die Sonne im Osten beobachtet wird, also am Schiffsvormittag. Dadurch errechnet sich die Standortlänge als Summe von GHA und τ. Sobald die Sonne den eigenen Standortmeridian überholt hat, X also westlich von Z steht, muss die Standortlänge als Differenz von GHA und τ berechnet werden.

1.5 Carl Friedrich Gauß

Gauß war der wohl größte Mathematiker aller Zeiten. Im Zusammenhang mit einer seiner Lieblingsbeschäftigungen der Landesvermessung und Kartografie hat er sich auch mit der Bestimmung von Breiten- und Längengraden beschäftigt. Darüber hat er eine bemerkenswerte Arbeit verfasst, die nach ihrer Publikation im Jahre 1812 nie wieder in der nautischen Literatur Erwähnung gefunden hat. Bemerkenswert ist, dass der populäre Mathematiker und Buchautor Heinrich Dörrie (1873–1955) in seinem Fachbuch über die Trigonometrie unter der Überschrift „Gauß und das Zweihöhenproblem“ ein Verfahren als Gauß-Methode vorstellte, das gar nicht von Gauß stammt. Mehrere Autoren haben diesen Irrtum dann weiterverbreitet und die wahre Gauß-Methode umgedeutet. Worin besteht die Gauß-Methode also wirklich? Der wesentlichste Teil seiner Originalveröffentlichung ist deshalb im Anhang dieses Buches wiedergegeben.