Postpartale Depression - Larissa Wolkenstein - E-Book

Postpartale Depression E-Book

Larissa Wolkenstein

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Beschreibung

Eine von zehn Frauen leidet nach der Geburt ihres Kindes unter einer postpartalen Depression. Obwohl dies nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für deren Kinder und ihr gesamtes familiäres System schwerwiegende Folgen nach sich zieht, bleibt diese Störung in unserem Gesundheitssystem oftmals unerkannt. Betroffene erhalten folglich nicht die dringend gebotene Behandlung. Ziel des Buches ist es, Leserinnen und Leser mit dem Störungsbild der postpartalen Depression vertraut zu machen und diese zu befähigen, eine vorliegende Postpartale Depression zu erkennen und sie von anderen psychischen Störungen abzugrenzen. Der Band beschreibt Instrumente, mit deren Hilfe postpartale Depressionen zuverlässig diagnostiziert werden können. Zudem wird ein multifaktorielles Entstehungsmodell dargestellt, das neben psychosozialen und physiologischen Vulnerabilitätsfaktoren auch potenziell auslösende Stressoren berücksichtigt. Praxisorientiert werden evidenzbasierte psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten geschildert. Besonders wird dabei die kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung der postpartalen Depression in den Blick genommen. Neben der Darstellung spezifischer Interventionsmethoden und Hinweisen zu deren Indikation wird deren konkrete Umsetzung anhand von Fallbeispielen verdeutlicht. Das Buch geht auf häufig auftretende Probleme in der Behandlung der postpartalen Depression ebenso ein wie auf hilfreiche Lösungsmöglichkeiten. Weiterhin enthält der Band Materialien, die bei der Arbeit mit Patientinnen, die unter einer postpartalen Depression leiden, genutzt werden können – z.B. im Rahmen von Erstgesprächen, Paargesprächen, Therapiegesprächen oder zur Beobachtung der Mutter-Kind-Interaktion.

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Larissa Wolkenstein

Postpartale Depression

Fortschritte der Psychotherapie

Band 89

Postpartale Depression

Dr. Larissa Wolkenstein

Die Reihe wird herausgegeben von:

Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Tania Lincoln, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief, Prof. Dr. Brunna Tuschen-Caffier

Die Reihe wurde begründet von:

Dietmar Schulte, Klaus Grawe, Kurt Hahlweg, Dieter Vaitl

Dr. Larissa Wolkenstein, geb. 1980. 2000-2005 Studium der Psychologie in Konstanz und Tübingen. 2009 Promotion. 2008-2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. 2010 Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie). 2010-2015 Akademische Rätin auf Zeit am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Seit 2015 Akademische Oberrätin am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der LMU München.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autor:innen bzw. den Herausgeber:innen große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autor:innen bzw. Herausgeber:innen und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Tel. +49 551 999 50 0

Fax +49 551 999 50 111

[email protected]

www.hogrefe.de

Satz: Mediengestaltung Meike Cichos, Göttingen

Format: EPUB

1. Auflage 2023

© 2023 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3079-9; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3079-0)

ISBN 978-3-8017-3079-6

https://doi.org/10.1026/03079-000

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Anmerkung:

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1  Beschreibung der Störung

1.1  Bezeichnung

1.2  Definition

1.3  Epidemiologie

1.4  Verlauf und Prognose

1.5  Differenzialdiagnostische Abgrenzung

1.6  Komorbidität

1.7  Diagnostische Verfahren und Dokumentationshilfen

2  Störungstheorien und -modelle

2.1  Psychosoziale Vulnerabilitätsfaktoren

2.2  Physiologische Vulnerabilitätsfaktoren

2.3  Stressoren

2.4  Aufrechterhaltende Faktoren

3  Diagnostik und Indikation

3.1  Erstgespräch, Fremdanamnese und Verhaltensbeobachtung

3.2  Strukturierte Diagnostik

3.3  Körperliche Untersuchung

3.4  Vertiefte Exploration der begünstigenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren

4  Behandlung

4.1  KVT zur Behandlung der PPD

4.1.1  Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung

4.1.2  Psychoedukation und Erarbeitung eines individuellen Erklärungsmodells

4.1.3  Aktivitätenaufbau

4.1.4  Kognitive Umstrukturierung

4.1.5  Verbesserung interpersoneller Kompetenzen

4.1.6  Entlastung und Verbesserung der Mutter-Kind-Interaktion

4.1.7  Therapieabschluss

4.2  Andere Methoden zur Behandlung der PPD

4.2.1  Interpersonelle Therapie

4.2.2  Antidepressive Medikation

4.3  Wirkungsweise der Methoden

4.4  Effektivität und Prognose

4.5  Varianten der Methode und Kombinationen

4.5.1  Internetbasierte Psychotherapie

4.5.2  Kombination von Psychotherapie und Pharmakotherapie

4.6  Probleme bei der Durchführung

4.6.1  Fehlende Kinderbetreuung

4.6.2  Komorbide psychische Störungen

5  Fallbeispiel

6  Weiterführende Literatur

7  Literatur

8  Kompetenzziele und Prüfungsfragen

9  Anhang

Deutschsprachige Version der Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS)

Leitfragen zur Auswertung von Wochenplänen

Protokollbogen zur Erfassung kindlicher Signale im Alltag

Karten

Kurzanleitung für die Exploration im Rahmen des Erstgesprächs

Kurzanleitung für ein Paargespräch und die Beobachtung der Mutter-Kind-Interaktion

Hinweise zu den Karten

|1|Vorwort

Die Geburt eines Kindes gehört ohne Frage zu den schönsten Ereignissen im Leben seiner Eltern. Das spiegelt sich auch in unserem gesellschaftlichen Umgang mit der Geburt eines Kindes wider: Das Umfeld freut sich mit den jungen Eltern, die Eltern bekommen Gratulationskarten und das Baby wird zu Beginn seines Lebens durch Familienangehörige und Freunde reich beschenkt. Leider können jedoch nicht alle Eltern das Ereignis der Geburt sowie die Zeit im Anschluss daran gleichermaßen genießen. Etwa jede zehnte Frau leidet unter einer postpartalen Depression. Obwohl es sich bei der postpartalen Depression damit um ein weitverbreitetes Phänomen handelt und diese schwerwiegende Folgen für die betroffenen Frauen, ihr Neugeborenes und das familiäre System als Ganzes nach sich zieht, bleiben postpartale Depressionen in unserem Gesundheitssystem vielfach unerkannt und unbehandelt. Dieser Umstand ist sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass negative Gefühle nach der Geburt eines Kindes auch heute noch stark tabuisiert sind. Die betroffenen Frauen vertrauen sich auch aus Scham und Insuffizienzgefühlen heraus kaum jemandem an.

Eine Sensibilisierung aller im Gesundheitssystem Tätigen, die Kontakt zu jungen Eltern haben (u. a. Hebammen, Gynäkolog:innen, Hausärzt:innen, Kinderärzt:innen, Psychotherapeut:innen), ist daher nicht nur wünschenswert, sondern dringend indiziert, um das Leid der Betroffenen und ihrer Familien frühzeitig zu erkennen und ihnen eine angemessene Behandlung anbieten zu können. Schnell durchführbare Screening-Instrumente, die bezüglich der postpartalen Depression eine hohe Sensitivität aufweisen, gibt es bereits. Nun ist es auch an uns Psychotherapeut:innen, deren Anwendung voranzutreiben und psychisch stark belasteten Müttern eine passende Behandlung anzubieten – sodass auch diese Frauen rückblickend die Geburt ihres Kindes und die daran anschließende Zeit als eine der schönsten Phasen ihres Lebens empfinden können.

München, Januar 2023

Larissa Wolkenstein

|2|1  Beschreibung der Störung

Fallbeispiel: Frau K.

„Am schlimmsten sind für mich die andauernden Glückwünsche. Alle überschlagen sich vor Freude wegen der Geburt unserer Tochter. Das ist natürlich auch schön … Ich weiß ja, dass wir uns glücklich schätzen können. Wir haben ein gesundes Wunschkind. Trotzdem fühlt sich gerade alles falsch an. Ich müsste mich doch freuen und das Gefühl haben, dass meine Tochter alles für mich ist. Stattdessen bin ich total fertig und sehe gerade nur, was ich alles nicht mehr habe. Ich liebe meine Tochter – verstehen Sie mich nicht falsch. Aber ich habe immer gedacht, dass mit der Geburt unseres Kindes das große Glück auf uns wartet. Und jetzt finde ich alles nur anstrengend. Ich habe das Gefühl komplett zu versagen. Nicht nur als Mutter – auch als Frau. Was stimmt denn mit mir nicht? Alle freuen sich doch, wenn sie ein Kind bekommen. Nur ich kann das nicht.“

Frau K. hält ihren Blick gesenkt, als sie in einer psychotherapeutischen Sprechstunde erstmals unter Tränen über ihren aktuellen Zustand spricht. Frau K. ist 34 Jahre alt und Mutter der gerade vier Monate alten Mia. Mia ist das erste Kind von Frau K. und ihrem Partner. Frau K. berichtet, sie habe sich zur psychotherapeutischen Sprechstunde angemeldet, weil es ihr zunehmend schlecht gehe. Begonnen habe das bereits kurz nach der Geburt ihrer Tochter. Sie beschreibt eine stark ausgeprägte Niedergeschlagenheit, die sich unter anderem darin äußere, dass sie seit der Geburt ihrer Tochter sehr viel weine. Frau K. habe sich in den letzten Monaten stark zurückgezogen. Sie schäme sich dafür, keinen Zugang zu ihrer Tochter zu finden. Sie könne einfach nicht viel mit ihr anfangen. Wenn sie ihre Tochter auf dem Arm halte, fühle sie nichts. Den Umgang mit ihr empfinde sie vor allem als anstrengend. Die Nächte seien die reinste Qual. Die Tochter verlange mehrfach nächtlich die Brust, was ihren Schlaf immer wieder unterbreche. Dabei finde sie ohnehin nur sehr schwer in den Schlaf, obwohl sie derzeit sehr müde und energielos sei. Manchmal werde sie dann richtig wütend auf ihre Tochter. Kürzlich sei sie so wütend gewesen, dass sie sich vorgestellt habe, ihrer Tochter weh zu tun. Das sei auch der Grund gewesen, weswegen sie Kontakt zu einer Therapeutin gesucht habe. Frau K. fällt es sichtlich schwer, über die Gefühle gegenüber ihrer Tochter und insbesondere über die Gewaltfantasien zu sprechen. Sie habe davon nicht einmal ihrem Partner erzählt. Im Gegensatz zu ihr sei ihr Mann seit der Geburt der gemeinsamen Tochter überglücklich. Er könne die Zeit mit Mia sichtlich genießen. Das mache die Situation jedoch nicht unbedingt leichter, da sie manchmal den |3|Eindruck habe, sie selbst stehe dem Familienglück im Weg. Manchmal frage sie sich, ob die beiden ohne sie nicht besser dran wären. „Vielleicht ist es besser, keine Mutter zu haben, als eine Rabenmutter.“

Eine postpartale Depression (PPD), wie die von Frau K. beschriebene, kommt weit häufiger vor als gemeinhin angenommen. Etwa 10 bis 15 von 100 Frauen erleben nach einer Entbindung Symptome wie die im Fallbeispiel beschriebenen, womit die PPD eine der häufigsten nicht geburtshilflichen Komplikationen nach einer Entbindung ist. Das Risiko einer depressiven Episode ist in der Postpartumphase bis zu zweimal höher als in anderen Lebensphasen einer Frau. Auch das Risiko einer psychiatrischen Hospitalisierung ist für Frauen in den ersten sechs Wochen nach einer Entbindung im Vergleich zu allen anderen Lebensphasen deutlich erhöht.

Das klinische Bild einer PPD unterscheidet sich nicht grundsätzlich von depressiven Episoden, die unabhängig von Schwangerschaft und Wochenbett auftreten. Allerdings zeigen sich bei Frauen mit PPD in aller Regel auch Symptome, die inhaltlich durch die Auseinandersetzung mit dem Säugling und dem Thema Mutterschaft gekennzeichnet sind (vgl. Tabelle 1).

Beispielsweise berichten viele Betroffene von ambivalenten Gefühlen gegenüber ihrem Kind. Häufig erleben sie sich nur eingeschränkt oder auch gar nicht in der Lage, eine emotionale Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. In der Folge entwickeln viele Frauen Zweifel bezüglich ihrer mütterlichen Qualitäten, was mit massiven Insuffizienz- und Schuldgefühlen einhergeht. Nicht selten kommt es im Rahmen einer PPD auch zu ungewollten, sich aufdrängenden Gedanken, dem Kind etwas anzutun, was die ohnehin schon bestehenden Schuldgefühle noch intensiviert.

Die PPD, für die synonym auch die Begriffe „Wochenbettdepression“ oder „postnatale Depression“ verwendet werden, hat weitreichende negative Konsequenzen – nicht nur für die betroffene Mutter, sondern auch für das Kind, für den Partner bzw. die Partnerin der Mutter und das familiäre System als Ganzes. Insbesondere wenn eine mütterliche Depression über mehrere Monate innerhalb des ersten Lebensjahres eines Kindes besteht, beeinflusst dies die behaviorale, kognitive, sozio-emotionale sowie gesundheitliche Entwicklung des Kindes deutlich. Dabei scheinen die Dauer und Schwere der depressiven Episode entscheidender zu sein als der Zeitpunkt ihres Auftretens.

Erklärbar werden diese umfassenden Folgen einer PPD dadurch, dass diese zunächst das mütterliche Verhalten und damit die Mutter-Kind-Interaktion beeinträchtigt. Betroffene Mütter zeigen sich oft passiv und weniger responsiv gegenüber den Bedürfnissen ihres Kindes, was im schlimmstem Fall Vernachlässigung nach sich ziehen kann. Sie vokalisieren weniger, nutzen weniger Ammensprache, schauen ihr Kind seltener an und zeigen weniger mimisches Ausdrucksverhalten als nicht depressive Mütter. Das Ausmaß positi|4|ver Affekte ist verringert, wohingegen das Ausmaß negativer Affekte erhöht ist. Auch ein Mangel an Empathie gegenüber dem Kind sowie eine reduzierte emotionale Verfügbarkeit sind charakteristisch für eine PPD. Das zeigt sich in einer geringeren Toleranz sowie in widersprüchlichem bis hin zu feindseligem Verhalten gegenüber dem Kind. Mütter mit PPD zeigen außerdem Beeinträchtigungen darin, kindliche Signale (Gesichtsausdruck, Weinen) wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und angemessen auf die Bedürfnisse des Säuglings zu reagieren. Diese wirkt sich negativ auf die Mutter-Kind-Bindung aus.

Tabelle 1:  Häufige Symptome einer postpartalen Depression

Allgemeine depressive Symptome

Niedergeschlagene/traurige Stimmung,

häufiges Weinen,

deutlich gereizte Stimmung,

Interessensverlust,

Verlust von Freude an Aktivitäten, die gewöhnlich Freude bereiten,

ausgeprägte Energielosigkeit, Müdigkeit, Erschöpfung,

Schlafstörungen (Insomnie/Hypersomnie),

Veränderungen im Appetit,

beeinträchtigte Konzentrationsleistung,

Gefühle von Wertlosigkeit,

psychosomatische Beschwerden, z. B. Schwindel, Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen, Muskelverspannung,

Schuldgefühle,

Gefühl der inneren Leere,

ausgeprägte Angstsymptome bis hin zu Panikattacken,

Suizidgedanken/-handlungen.

Auf das Kind bezogene Symptome

Ambivalente Gefühle gegenüber dem Kind,

negative Gefühle gegenüber dem Kind,

Gefühl, mit dem Kind nichts anfangen zu können,

Versagens-/Insuffizienzgefühle in Bezug auf die Mutterschaft,

Zwangsgedanken (z. B. aggressiver Art oder Angst, das Baby nicht angemessen versorgen zu können),

Stillprobleme,

häufiges Erwachen vor dem Kind,

beeinträchtigte Mutter-Kind-Bindung,

beeinträchtigte Mutter-Kind-Interaktion.

Selbst über die Postpartalzeit hinaus finden sich negative Effekte der PPD auf das maternale Verhalten. So nehmen depressive Mütter Vorsorgeuntersuchungen seltener wahr, lassen ihre Kinder seltener vollständig impfen und vernachlässigen im Vergleich zu anderen Müttern eher Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz des Kindes (z. B. empfohlene Schlafposition des Kindes, kindgerecht gesicherte Steckdosen).

|5|Neugeborene reagieren ihrerseits auf das beschriebene mütterliche Verhalten mit besonderen Formen der Selbstregulation. Beispielsweise vermeiden sie Blickkontakt, wenden häufiger den Kopf ab, zeigen Inaktivität und Rückzugsverhalten. Insgesamt ist die Fähigkeit zur Selbstregulation beeinträchtigt, was sich auch in erhöhter Irritierbarkeit und vermehrtem Weinen zeigt. Im Vergleich zu anderen Kindern sind Säuglinge depressiver Mütter in Hinblick auf Ansprache weniger responsiv und bringen sich weniger in interaktive Spiele ein.

Merke

Die beeinträchtigte fremdregulatorische Unterstützung durch die Mutter wirkt sich negativ auf selbstregulatorische Fähigkeiten des Kindes aus.

Mittel- und langfristig zeigen diese Kinder Entwicklungsverzögerungen wie etwa ein schlechteres Sprachvermögen und einen niedrigeren Intelligenzquotienten (IQ) als andere Kinder. Bereits in der frühen Kindheit bis hin zur Adoleszenz finden sich bei ihnen Verhaltensprobleme und eine erhöhte Rate an internalisierender und externalisierender Psychopathologie. Auf körperlicher Ebene wirkt sich eine maternale Depression beispielsweise negativ auf das kardiovaskuläre Funktionieren aus und geht mit beeinträchtigtem Wachstum und erhöhter Infektanfälligkeit einher.

Auf neurobiologischer und neuroendokriner Ebene findet sich bei diesen Kindern eine stärker ausgeprägte Stressreaktion. Diese kommt in einer gesteigerten autonomen Aktivität einerseits und einer verstärkten Reaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse andererseits zum Ausdruck. Möglicherweise mediiert diese gesteigerte Reaktion der Stressachse den Zusammenhang zwischen maternaler Depression während der ersten Lebensmonate und der erhöhten Emotionalität und dem erhöhten externalisierenden Verhalten der Kinder.

Merke

Eine gesteigerte kindliche Stressachsen-Reaktivität mediiert den Zusammenhang zwischen der maternalen PPD und der beeinträchtigten Emotionsregulationsfähigkeit des Kindes.

Fazit

Eine PPD zieht schwerwiegende Konsequenzen nach sich, angesichts derer eine frühzeitige Diagnosestellung und Behandlung sehr wünschenswert erscheint. Leider wird die PPD im Gesundheitswesen jedoch häufig nicht erkannt. Umso wichtiger ist ein proaktives Nachfragen auf Seiten derjenigen, die mit Frauen in der Postpartalzeit arbeiten.

|6|1.1  Bezeichnung

Depressive Episoden treten nicht ausschließlich in den Wochen oder Monaten nach der Geburt eines Kindes – also postpartal – auf, sondern mindestens genauso häufig bereits während der Schwangerschaft. In diesen Fällen spricht man von antepartaler Depression.

Fasst man ante- und postpartal auftretende depressive Episoden zusammen, so spricht man von peripartalen Depressionen.