Praktische Umsetzung der Maschinenrichtlinie - Carsten Schucht - E-Book

Praktische Umsetzung der Maschinenrichtlinie E-Book

Carsten Schucht

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Beschreibung

Sichere Maschinen, wasserdichte CE-Konformität, valide Dokumentationen, Rechtssicherheit bei allen Produkthaftungsfragen, das sind wichtige Erfolgsfaktoren für Sie als Hersteller, Importeur oder Händler von Maschinen. Das Buch erklärt anhand der EG-Maschinenrichtlinie (Richtlinie 2006/42/EG), wie sich das öffentliche Produktsicherheitsrecht im Unternehmen praktisch umsetzen lässt. Die Autoren verfügen über langjährige Erfahrung mit der EG-Maschinenrichtlinie und gehen auf eine Vielzahl von praktisch relevanten Problemen im Zusammenhang mit der Rechtsanwendung und der Umsetzung der Richtlinie 2006/42/EG im Unternehmen ein.

Sie bekommen

- konkrete Handlungsempfehlungen, wie das Produktsicherheitsrecht im Unternehmen zu implementieren ist. So wird die Rolle des CE Koordinators diskutiert und es wird gezeigt, wie er innerhalb des Unternehmens positioniert sein sollte.
- Know-how zur Abgrenzung zwischen vollständiger und unvollständiger Maschine
- Bewertungskriterien für das Vorliegen einer wesentlichen Veränderung von Maschinen
- Hinweise zur Organisation und Durchführung von speziellen Audits zur Produktsicherheit
- Anleitungen zur Durchführung von internen Mitarbeiterschulungen

Alle Fragen, die im Zusammenhang mit der Maschinenrichtlinie häufig auftauchen, werden im Buch anhand konkreter Beispiele beantwortet. Wichtige Fälle aus der Rechtsprechung geben Ihnen ein besseres Verständnis für juristische Hintergründe. Damit sind Sie für die Absicherung der Konformität Ihrer Produkte bestens gerüstet.

In der zweiten Auflage werden aktuelle gesetzlichen Anforderungen berücksichtigt, z. B. der neu aufgelegte Leitfaden der Europäischen Kommission zur Anwendung der Maschinenrichtlinie. In einem neuen Kapitel werden die im Maschinen- und Anlagenbau voranschreitende Digitalisierung sowie die Produktkombinationen mit Funkanlagen thematisiert.

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Seitenzahl: 504

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Carsten SchuchtNorbert Berger

Praktische Umsetzung der Maschinenrichtlinie

Risikobeurteilung – Verkehrsfähigkeit – Schulungen – Audits – Wesentliche Veränderung – Rechtsprechung

2., aktualisierte Auflage

Die Autoren:

Dr. Carsten Schucht ist Rechtsanwalt im Münchener Büro der internationalen Sozietät Noerr LLP. Norbert Berger ist bei der international tätigen HOSOKAWA ALPINE AG in Augsburg beschäftigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

Print-ISBN 978-3-446-45879-6E-Book-ISBN 978-3-446-45989-2

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Alle in diesem Buch enthaltenen Verfahren bzw. Daten wurden nach bestem Wissen dargestellt. Dennoch sind Fehler nicht ganz auszuschließen.

Aus diesem Grund sind die in diesem Buch enthaltenen Darstellungen und Daten mit keiner Verpflichtung oder Garantie irgendeiner Art verbunden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und werden keine daraus folgende oder sonstige Haftung übernehmen, die auf irgendeine Art aus der Benutzung dieser Darstellungen oder Daten oder Teilen davon entsteht.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

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© 2019 Carl Hanser Verlag Münchenwww.hanser-fachbuch.de

Lektorat: Dipl.-Ing. Volker HerzbergHerstellung: letex publishing services GmbH, LeipzigCoverrealisierung: Stephan Rönigk

Vorwort

Die EG-Maschinenrichtlinie ist seit ihrem Erlass im Jahr 2006 und mehr noch seit ihrem Anwendungsbeginn in den 28 EU-Mitgliedstaaten Ende des Jahres 2009 juristischer Dreh- und Angelpunkt für Herstellung und Handel von Maschinen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) bzw. der Europäischen Union (EU) sowie für den Import von Maschinen aus EWR- bzw. EU-Drittstaaten. Compliance mit dem europäischen Maschinenrecht führt vor diesem Hintergrund zum ungehinderten Vertrieb von Maschinen im europäischen Binnenmarkt, wohingegen etwaige Verstöße gegen geltendes Maschinenrecht die europäischen Marktüberwachungsbehörden auf den Plan rufen und mit nicht unerheblichen zivil- und strafrechtlichen Risiken einhergehen.

Das vorliegende Buch soll im Sinne eines Praxisleitfadens Handlungsempfehlungen für ausgewählte Fragen und Aspekte im geltenden Maschinenrecht bieten, die sich nach unserer langjährigen Erfahrung als auf Produktsicherheits- und Maschinenrecht spezialisierter Rechtsanwalt bzw. Product Compliance Manager im Umgang mit der EG-Maschinenrichtlinie als typische Fallstricke bei der Rechtsanwendung herauskristallisiert haben. Die aufgezeigten Lösungen sollen ausdrücklich einen Beitrag zur Gewährleistung maschinenrechtlicher Compliance im Betrieb leisten. Umgekehrt lag unser Ziel nicht darin, die EG-Maschinenrichtlinie von A bis Z zu behandeln und im Sinne eines Kompendiums umfassend darzustellen, sodass wir z. B. darauf verzichtet haben, die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen aus dem umfangreichen Anhang I der EG-Maschinenrichtlinie im Einzelnen darzustellen.

Bei den beiden Kapiteln zur Verkehrsfähigkeit von neuen Maschinen einerseits und Gebrauchtmaschinen andererseits haben wir in erster Linie auf die in Deutschland geltende Maschinenverordnung (9. ProdSV) abgestellt, zumal sich die EG-Maschinenrichtlinie nicht zum praktisch wichtigen Gebrauchtmaschinenhandel verhält. Etwaige Bezüge zum europäischen Maschinenrecht werden indes zum Zwecke der Erleichterung der Arbeit mit der EG-Maschinenrichtlinie stets hergestellt.

Zur besseren Veranschaulichung maschinenrechtlicher Fragestellungen dienen im Übrigen zahlreiche Praxistipps, Hinweise und Übungen, die im Text optisch besonders hervorgehoben und damit besonders leicht aufzufinden sind.

Für Anregungen und Kritik sind die Autoren dankbar ([email protected];[email protected]).

München und Augsburg, im April 2016

Dr. Carsten Schucht

Norbert Berger

Vorwort zur 2. Auflage

Die Neuauflage unseres Fachbuchs zum europäischen Maschinenrecht berücksichtigt die Entwicklungen der vergangenen zweieinhalb Jahre im Zusammenhang mit der EG-Maschinenrichtlinie. Sie trägt damit dem Umstand Rechnung, dass das Produktsicherheitsrecht im Allgemeinen und das Maschinenrecht im Besonderen weiterhin von ungebrochener Dynamik geprägt sind.

Der Zeitpunkt für die komplett überarbeitete, aktualisierte und inhaltlich erweiterte Neuauflage erscheint uns vor diesem Hintergrund denkbar günstig. Mit Blick auf aktuelle Veränderungen bestand gleich in dreierlei Hinsicht Anlass, unseren Praxisleitfaden auf den aktuellen Diskussionsstand zu bringen. Erstens wurde im Jahr 2016 auf europäischer Ebene der Evaluierungsprozess in Bezug auf die EG-Maschinenrichtlinie angestoßen, zweitens wurde Mitte 2017 der Leitfaden der Europäischen Kommission zur Anwendung der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG neu aufgelegt und drittens wurden im Maschinen- und Anlagenbau die voranschreitende Digitalisierung sowie die Produktkombinationen mit Funkanlagen breit und intensiv diskutiert.

Im Übrigen ist die Konzeption des Buchs unverändert geblieben: Auf praktisch wichtige Fragen im Maschinenrecht sollen Antworten mit Handlungsempfehlungen gegeben werden, damit insbesondere unternehmensintern Compliance im Produktsicherheits- und Maschinenrecht gewährleistet werden kann.

Für Anregungen und Kritik sind die Autoren nach wie vor dankbar (carsten. [email protected]; [email protected]).

München und Augsburg, im Oktober 2018

Dr. Carsten Schucht

Norbert Berger

Inhalt

Titelei

Impressum

Inhalt

Vorwort

Die Autoren

1 Einleitung

1.1 EG-Maschinenrichtlinie und Maschinenverordnung

1.2 Zwecke des Produktsicherheits- und Maschinenrechts

1.3 Maschinenrecht als Rechtsmaterie

1.3.1 Bedeutung von Rechtsbegriffen

1.3.2 Juristische Auslegungsmethoden

1.3.3 Enge Auslegung von Ausnahmebestimmungen

1.4 Historische Entwicklung des Maschinenrechts

1.5 New Approach und New Legislative Framework

1.5.1 „New Approach“ 1985

1.5.2 New Legislative Framework (NLF) 2008

1.6 Literatur

2 Maschinen als Gegenstand des Produktrechts

2.1 Zivilrechtliches Produkthaftungsrecht

2.1.1 Kaufrecht

2.1.2 Produkthaftungsrecht

2.1.2.1 § 823 Abs. 1 BGB (Produzentenhaftung)

2.1.2.2 Produkthaftungsgesetz (Produkthaftung)

2.2 Strafrechtliche Produktverantwortung

2.3 Unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe im Produktrecht

2.4 Literatur

3 Aufbau der EG-Maschinenrichtlinie

3.1 Systematisierung

3.2 Anwendungsbereichsbezogene Bestimmungen

3.3 Produktbezogene Bestimmungen

3.4 Bestimmungen zum Konformitätsbewertungsverfahren

3.5 Marktüberwachungsrechtliche Bestimmungen

3.6 Begriffsbestimmungen

3.7 Konkurrenzbestimmungen

3.8 Erwägungsgründe

3.9 Literatur

4 Anwendungsbereich des Maschinenrechts

4.1 Sachlicher Anwendungsbereich

4.1.1 Positiver Anwendungsbereich

4.1.1.1 Maschinen

4.1.1.2 Unvollständige Maschinen

4.1.2 Negativer Anwendungsbereich

4.2 Handlungsspezifischer Anwendungsbereich

4.2.1 Inverkehrbringen

4.2.2 Inbetriebnahme

4.2.3 Ausstellen

4.3 Persönlicher Anwendungsbereich

4.4 Örtlicher Anwendungsbereich

4.4.1 EG-Maschinenrichtlinie

4.4.2 Maschinenverordnung (9. ProdSV)

4.5 Literatur

5 Verkehrsfähigkeit von neuen Maschinen

5.1 Produktsicherheitsrechtliche Anforderungen

5.1.1 Grundlegende Unterscheidung von europäisch-harmonisierten und nicht-harmonisierten Produkten

5.1.2 Maschinen

5.1.3 Unvollständige Maschinen

5.1.4 Konformitätsvermutung

5.2 Marktüberwachungsrecht

5.2.1 Wirksame Marktüberwachung

5.2.2 Marktüberwachungsbehörden

5.2.3 Marktüberwachungsmaßnahmen

5.3 Literatur

6 Handel mit Gebrauchtmaschinen

6.1 Abgrenzung zu Import- und Änderungsszenarien

6.1.1 EWR- bzw. EU-Import von Gebrauchtmaschinen

6.1.2 Wesentliche Veränderung von Gebrauchtmaschinen

6.2 Problemaufriss

6.3 Gebrauchte und neue Maschinen

6.4 Produktsicherheitsrechtliche Anforderungen an die Abgabe ­gebrauchter Maschinen

6.4.1 Rechtslage unter der Geltung des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes (2004 – 2011)

6.4.2 Rechtslage unter der Geltung des Produktsicherheitsgesetzes (seit 2011)

6.4.2.1 LASI-Lösung

6.4.2.2 Betriebssicherheitsrechtliche Lösung

6.4.2.3 Vertragsrechtliche Lösung

6.4.2.4 GPSG-Lösung

6.4.2.5 Fazit

6.5 Literatur

7 Der Anhang I zur MRL

7.1 Die vier Grundsätze

7.1.1 Erster Grundsatz

7.1.2 Zweiter Grundsatz

7.1.3 Dritter Grundsatz

7.1.4 Vierter Grundsatz

7.2 Integration der Sicherheit

7.3 Risikobeurteilung

7.3.1 Rechtliche Anforderungen

7.3.2 Die Form der Risikobeurteilung

7.3.3 Teamzusammensetzung

7.3.4 Vorbereitungen

7.3.5 Risikobewertungsmatrix

7.3.6 Risiken beurteilen und bewerten

7.3.7 Steuerung

7.3.8 FMEA und HAZOP im Hinblick auf die Risikobeurteilung

7.3.9 Probleme aus der Praxis

7.4 Literatur

8 Konformitätsbewertungsverfahren für Maschinen

8.1 Anhang VIII: „Bewertung der Konformität mit interner Fertigungskontrolle bei der Herstellung von Maschinen“

8.2 Anhang IX: „EG-Baumusterprüfung“

8.3 Anhang X: „Umfassende Qualitätssicherung“

8.4 Harmonisierte Normen

8.5 Normen finden, aktualisieren und richtig anwenden

9 Sicherheitsbauteile

10 Technische Unterlagen

10.1 Zweck

10.2 Bedeutung

10.3 Rechtliche Verankerung

10.4 Sprache

10.5 Bezugspunkt

10.6 Inhalt, Bereithaltung und Vorlage

10.6.1 Maschinen

10.6.1.1 Inhalt

10.6.1.2 Bereithaltung der technischen Unterlagen

10.6.1.3 Vorlage der technischen Unterlagen

10.6.2 Unvollständige Maschinen

10.7 Konsequenzen bei fehlender Compliance

10.7.1 Maschinen

10.7.2 Unvollständige Maschinen

11 Die Rolle des CE-Koordinators

12 Gesamtheiten von Maschinen

12.1 Verkehrsfähigkeit

12.2 Praxisprobleme

12.2.1 Hersteller von Gesamtheiten von Maschinen

12.2.2 Vertragsrechtliche Gestaltungsspielräume

12.3 Interpretationspapier zum Thema „Gesamtheit von Maschinen“ des BMAS

12.3.1 Voraussetzung einer Gesamtheit von Maschinen

12.3.2 Produktionstechnischer Zusammenhang

12.3.3 Sicherheitstechnischer Zusammenhang

12.4 Literatur

13 Fallstricke beim Branding

13.1 Branding allgemein

13.2 Full-Branding

13.3 Co-Branding

14 Informationen über gefährliche Produkte im Internet

14.1 RAPEX

14.2 ICSMS

15 Wesentliche Veränderung und sonstige Änderung von Maschinen

15.1 Wesentliche Veränderung

15.1.1 Rechtliche Verankerung

15.1.2 Rechtsfolgen

15.1.2.1 Schaffung einer neuen Maschine

15.1.2.2 Wechsel der Herstellereigenschaft

15.1.3 Bestimmung der wesentlichen Veränderung

15.1.3.1 Leitfäden der Europäischen Kommission

15.1.3.2 Interpretationspapier des BMAS

15.2 Änderung

15.3 Betriebssicherheitsrechtliche Auswirkungen

15.4 Literatur

16 Audits zur Produktsicherheit

16.1 Prozesse zur Produktsicherheit

16.2 Vertrieb

16.3 Entwicklung

16.4 Produktion

16.5 Prüfung

16.6 Logistik und Transport

16.7 Montage und Inbetriebnahme

16.8 After Sales

16.9 Einkauf

16.10 Projektmanagement

16.11 CE-Koordinator

16.12 Änderungsmanagement

17 Maschinen als Gegenstand der Rechtsprechung

17.1 Bedeutung gerichtlicher Entscheidungen

17.2 Leitentscheidungen

17.2.1 Konsequenzen bei fehlender Compliance mit der EG-Maschinenrichtlinie

17.2.1.1 LG Düsseldorf: Arbeitsunfall mit Abschälmaschine

17.2.1.2 LG Stuttgart: Arbeitsunfall mit Fenster- und Futterstoffeinklebemaschine

17.2.2 Reichweite der Instruktionen bei Fachpersonal (OLG Koblenz: Arbeitsunfall mit Knetermaschine)

17.2.3 Mitverschulden (LG Regensburg: Arbeitsunfall mit Düngerstreuer)

17.2.4 Pflichten des Einführers von Maschinen (BGH)

17.3 Literatur

18 Interne Schulungen

18.1 Nutzen und Möglichkeiten der Weiterbildung

18.2 Möglichkeiten des Wissenstransfers

18.3 Abgrenzung zwischen Maschinenrichtlinie und Arbeitsschutz

18.4 Anerkennung alter Schulungen

18.5 Mitarbeiter den Schulungen zuordnen

18.6 Beispiel für ein Gesamtsystem

18.6.1 Inhalte der Schulungsmodule

18.6.2 Modulares Gesamtsystem

18.7 Testfragen für Wissensüberprüfungen

18.8 Verschiedene Standorte schulen

18.9 Auswertungen von Schulungen

19 Maschinen sicher einkaufen

19.1 Anfrage und Angebot

19.1.1 Lasten- und Pflichtenheft

19.1.2 Lieferantenauswahl

19.2 Bestellung

19.3 Lieferung und Abnahme

20 Fragen und Antworten rund um die Maschinenrichtlinie

21 Aktuelles und Trends

21.1 Compliance und Maschinensicherheit

21.2 „CE“ für alle Teile

21.3 Digitalisierung

21.4 Maschinen mit Funkanlagen („combined equipment“)

21.5 Literatur

22 Originaltext der Maschinenrichtlinie

Artikel 1Anwendungsbereich

Artikel 2Begriffsbestimmungen

Artikel 3Spezielle Richtlinien

Artikel 4Marktaufsicht

Artikel 5Inverkehrbringen und Inbetriebnahme

Artikel 6Freier Warenverkehr

Artikel 7Konformitätsvermutung und harmonisierte Normen

Artikel 8Spezifische Maßnahmen

Artikel 9Besondere Maßnahmen für Maschinen mit besonderem Gefahrenpotenzial

Artikel 10Anfechtung einer harmonisierten Norm

Artikel 11Schutzklausel

Artikel 12Konformitätsbewertungsverfahren für Maschinen

Artikel 13Verfahren für unvollständige Maschinen

Artikel 14Benannte Stellen

Artikel 15Installation und Verwendung der Maschinen

Artikel 16CE-Kennzeichnung

Artikel 17Nicht vorschriftsmäßige Kennzeichnung

Artikel 18Geheimhaltung

Artikel 19Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten

Artikel 20Rechtsbehelfe

Artikel 21Verbreitung von Informationen

Artikel 22Ausschuss

Artikel 23Sanktionen

Artikel 24Änderung der Richtlinie 95/16/EG

Artikel 25Aufgehobene Rechtsvorschriften

Artikel 26Umsetzung

Artikel 27Ausnahmen

Artikel 28Inkrafttreten

Artikel 29Adressaten

ANHANG IGrundlegende Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für Konstruktion und Bau von Maschinen

ANHANG IIErklärungen

ANHANG IIICE-Kennzeichnung

ANHANG IVKategorien von Maschinen, für die eines der Verfahren nach Artikel 12 Absätze 3 und 4 anzuwenden ist

ANHANG VNicht erschöpfende Liste der Sicherheitsbauteile im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c

ANHANG VIMontageanleitung für eine unvollständige Maschine

ANHANG VIIA. Technische Unterlagen für MaschinenB. Spezielle technische Unterlagen für unvollständige Maschinen

ANHANG VIIIBewertung der Konformität mit interner Fertigungskontrolle bei der Herstellung von Maschinen

ANHANG IXEG-Baumusterprüfung

ANHANG XUmfassende Qualitätssicherung

ANHANG XIVon den Mitgliedstaaten zu berücksichtigende Mindestkriterien für die Benennung der Stellen

ANHANG XIIEntsprechungstabelle (1)

Die Autoren

Dr. Carsten Schucht

Rechtsanwalt

Dr. Carsten Schucht ist Rechtsanwalt im Münchener Büro der internationalen Sozietät Noerr LLP. Seine Tätigkeitsschwerpunkte bilden das Produktsicherheits- und Technikrecht, Produkthaftungsrecht, Europarecht und öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzrecht. Als Industrieanwalt vertritt er Unternehmen in marktüberwachungsbehördlichen Verfahren (insbesondere bei Beanstandungen von Produkten), unterstützt sie bei der Abwehr von geltend gemachten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen in nationalen und internationalen Streitigkeiten, führt Produktrückrufe durch und berät zu allen Fragen produktrechtlicher Compliance. Besondere Erfahrung verfügt Dr. Carsten Schucht im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus.

Dr. Carsten Schucht ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu produkt- und arbeitsschutzrechtlichen Themen und referiert regelmäßig zu diesen Themen auf Fachkonferenzen und Seminaren.

Autor der Kapitel 1, 2, 3, 4, 5, 6, 10, 12, 15, 17, 21

Dr. Carsten SchuchtRechtsanwalt

Tel +49 89 28628 [email protected]

Noerr LLPBrienner Straße 2880333 München

Dipl.-Ing. Norbert Berger

Product Compliance Manager

Norbert Berger ist bei der international tätigen HOSOKAWA ALPINE AG in Augsburg beschäftigt. Er ist seiner Funktion als Product Compliance Manager in der verantwortlichen Stabsstelle dafür zuständig, die rechtlichen Vorgaben bei der betrieblichen Arbeit umzusetzen und zu etablieren. Besondere Erfahrung verfügt Norbert Berger dank seiner seit 2002 erlangten beruflichen Praxis im Bereich der Produktsicherheit. Dabei ist vor allem die Maschinenrichtlinie sein Spezialgebiet. So ist er der Ansprechpartner für juristische Themen rund um die Maschinenrichtlinie, führt Audits zur Produktsicherheit durch und ist Dozent für interne Schulungen.

Autor der Kapitel 7, 8, 9, 11, 13, 14, 16, 18, 19, 20, 21

1Einleitung

Die Herstellung von Maschinen und unvollständigen Maschinen, deren Import in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bzw. in die Europäische Union (EU) sowie Handel finden nicht im rechtsfreien Raum statt. Ganz im Gegenteil werden die betreffenden Vorgänge in der geltenden Rechtsordnung zum Anlass für die Schaffung ganz unterschiedlicher (produkt-)rechtlicher Regelungen genommen. Bevor die praktisch wichtigen Einzelfragen im Zusammenhang mit Warenherstellung und -vertrieb von Maschinen in den Fokus des Interesses gerückt werden, soll zunächst der juristische Rahmen im Sinne einer Grundlegung skizziert werden.

Im Folgenden wird zunächst auf den Regelungsrahmen eingegangen, der die produktsicherheitsrechtliche Verkehrsfähigkeit betrifft (s. Kap. 1.1), bevor die Zwecke des Produktsicherheits- und Maschinenrechts (s. Kap. 1.2) und das Maschinenrecht als Rechtsmaterie (s. Kap. 1.3) in den Fokus des Interesses gerückt werden. Im Anschluss daran werden die historische Entwicklung des europäischen Maschinenrechts einerseits (s. Kap. 1.4) sowie „New Approach“ und „New Legislative Framework“ (NLF) als zentrale industriepolitische Konzepte auf der Ebene des europäischen Produktionssicherheitsrechts andererseits (s. Kap. 1.5) dargestellt.

1.1EG-Maschinenrichtlinie und Maschinenverordnung

Die Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 5. 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG (sog. EG-Maschinenrichtlinie) und die Neunte Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (Maschinenverordnung – 9. ProdSV) vom 12. 5. 1993 sind die beiden zentralen produktsicherheitsrechtlichen Rechtsakte für den Vertrieb von Maschinen und unvollständigen Maschinen in der Europäischen Union (EU) bzw. in der Bundesrepublik Deutschland. Während die EG-Maschinenrichtlinie europäisches Recht darstellt, handelt es sich bei der Maschinenverordnung um deutsches Recht. Was das Verhältnis der beiden Rechtsakte zueinander anbelangt, handelt es sich bei der Maschinenverordnung um den nationalen (deutschen) Umsetzungsakt in Bezug auf die EG-Maschinenrichtlinie. Der Grund für dieses Umsetzungserfordernis im nationalen Recht liegt darin, dass das europäische Maschinenrecht in Gestalt einer Richtlinie, konkret der Richtlinie 2006/42/EG, erlassen wurde. Die Maschinenverordnung wird wiederum auf das Gesetz über die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt (Produktsicherheitsgesetz – ProdSG) vom 8. 11. 2011 gestützt. Für die Anwendbarkeit der EG-Maschinenrichtlinie bzw. der Maschinenverordnung spielt es im Übrigen keine Rolle, ob es sich um Verbraucherprodukte (sog. B2C-Produkte1) oder um Nicht-Verbraucherprodukte (sog. B2B-Produkte2) handelt.

Die genannten produktsicherheitsrechtlichen Rechtsakte sind im Ergebnis die zentralen Bestimmungen für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau, der wiederum ein wichtiger technischer Teilsektor und einer der industriellen Kernbereiche der Wirtschaft in Deutschland und der EU ist.

Wer Maschinen in anderen EU-Mitgliedstaaten in Verkehr bringt bzw. in Betrieb nimmt, muss sich zwar ebenfalls mit der EG-Maschinenrichtlinie befassen; an die Stelle der deutschen Maschinenverordnung tritt indes der jeweilige nationale (z.B. französische) Umsetzungsakt.

Richtlinie und Verordnung als europäische Rechtsakte

Die Richtlinie ist zwar für alle 28 bzw. – mit Blick auf den kurz bevorstehenden „Brexit“ und dem damit in Bezug genommenen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) – 27 EU-Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt aber den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel, Art. 288 Unterabs. 3 AEUV. Aus diesem Grund musste die Bundesrepublik Deutschland – wie jeder andere EU-Mitgliedstaat – die Richtlinie 2006/42/EG innerhalb der vorgegebenen Umsetzungsfristen in nationales Recht transformieren. Im Unterschied dazu hat die europäische Verordnung gemäß Art. 288 Unterabs. 2 AEUV allgemeine Geltung, d. h. sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem EU-Mitgliedstaat. Das europäische Produktsicherheitsrecht wird derzeit noch von Richtlinien geprägt; allerdings bestehen unübersehbare Tendenzen zugunsten der Verordnung. Das europäische Bauproduktenrecht etwa wurde im Jahr 2011 als Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 305/2011; sog. EU-Bauproduktenverordnung) erlassen, wobei die EU-Bauproduktenverordnung die zuvor geltende Richtlinie 89/106/EWG (sog. Bauproduktenrichtlinie) ablöste. Darüber hinaus wurde erst kürzlich die Richtlinie 89/686/EWG (sog. PSA-Richtlinie) durch eine entsprechende PSA-Verordnung (Verordnung (EU) 2016/425)3 abgelöst.

Rechtsetzungstechnik im europäischen Maschinenrecht und derzeitiger Evaluierungsprozess

Vor diesem Hintergrund wird aufmerksam zu beobachten sein, ob nicht auch das europäische Maschinenrecht zukünftig im Wege der europäischen Verordnung erlassen werden wird. In der Tat deuten die derzeitigen Reformüberlegungen auf europäischer Ebene darauf hin, dass die EG-Maschinenrichtlinie in (freilich nicht ganz naher) Zukunft in eine neue EU-Maschinenverordnung überführt werden wird. Hintergrund ist das Programm der Europäischen Kommission namens REFIT, wonach EU-Rechtsvorschriften auf ihre Leistungsfähigkeit, Funktionsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit untersucht werden sollen. Nach dem derzeitigen Stand des Evaluierungsprozesses in Bezug auf das europäische Maschinenrecht kommt ein Vorschlag der Kommission für eine neue EU-Maschinenverordnung erst im Jahr 2020 in Betracht. Eine Veröffentlichung der EU-Verordnung könnte dann im Jahr 2022 stattfinden, sodass mit ihrem Geltungsbeginn wohl nicht vor Ende 2023 zu rechnen ist.

Produktsicherheitsrecht als öffentliches Recht

Das Produktsicherheitsrecht ist Bestandteil des öffentlichen Rechts, welches in der deutschen Rechtsordnung vom Zivil- und Strafrecht abgegrenzt wird. Gegenstand des öffentlichen Rechts ist die Regelung des Verhältnisses zwischen den Trägern hoheitlicher Gewalt, d. h. dem Staat, und den Bürgern (als Privatrechtssubjekten). Das deutsche Produktsicherheitsgesetz sowie die deutsche Maschinenverordnung stellen vor diesem Hintergrund öffentliches Recht dar, weil die marktüberwachungsrechtlichen Befugnisse (insbesondere zur Anordnung von Marktüberwachungsmaßnahmen) mit den staatlichen Marktüberwachungsbehörden ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen.

Mit Blick auf die unterschiedlichen Rechtsakte (Verfassung, Gesetz, Rechtsverordnung und Satzung), welche in der deutschen Rechtsordnung existieren, kann eine sog. Normenpyramide gebildet werden. Diese Normenpyramide bildet eine Normenhierarchie ab. Danach steht unter Zugrundelegung des Bundesrechts das Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland an der Spitze, sodass die darunter befindlichen Rechtsakte wie das Produktsicherheitsgesetz als Gesetz des Bundes ausnahmslos im Einklang mit dem Grundgesetz stehen müssen. Rechtsverordnungen wie die Maschinenverordnung wiederum stehen unterhalb des Gesetzes. Aus diesem Grund darf z. B. die Maschinenverordnung (Rechtsverordnung) nicht gegen das Produktsicherheitsgesetz (Gesetz) verstoßen.

Im Übrigen lässt sich eine solche Normenpyramide nicht nur für die Rechtsakte des Bundes bilden; auf der Ebene der 16 deutschen (Bundes-)Länder ergibt die Normenpyramide ein vergleichbares Bild. Das Landesrecht muss seinerseits freilich auch mit dem Bundesrecht (etwa dem Grundgesetz) im Einklang stehen. Produktsicherheitsrechtlich relevant sind auf der Ebene des Landesrechts solche Rechtsakte, mithilfe derer Zuständigkeiten für den Vollzug des Produktsicherheitsgesetzes und der darauf gestützten Rechtsverordnungen wie z. B. der Maschinenverordnung festgelegt werden. Beispielhaft sei an dieser Stelle die baden-württembergische Verordnung des Umweltministeriums über Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Produktsicherheit (Produktsicherheits-Zuständigkeitsverordnung – ProdSZuVO) vom 13. 2. 2012 genannt.

Tabelle 1.1 Normenpyramide in der deutschen Rechtsordnung

Bund

Land

Grundgesetz (Verfassung)

Landesverfassung

Gesetz

       z. B. Produktsicherheitsgesetz

Gesetz

Rechtsverordnung der Bundesregierung

       z. B. Maschinenverordnung (9. ProdSV)

Rechtsverordnung der Landesregierung

       z. B. Produktsicherheits-Zuständigkeitsverordnung – ProdSZuVO in Baden-Württemberg

Satzung

Satzung

1.2Zwecke des Produktsicherheits- und Maschinenrechts

Primärer Zweck des Produktsicherheitsrechts ist der Schutz von Sicherheit und Gesundheit von Personen bei der Verwendung von Produkten. Daneben werden freilich auch unbeteiligte Dritte (sog. innocent bystander) in den Schutzbereich produktsicherheitsrechtlicher Bestimmungen einbezogen. Bei diesem Personenkreis handelt es sich um solche Personen, die ein Produkt zwar nicht selbst verwenden, sich aber möglicherweise in der Nähe des Benutzers oder des (unbeaufsichtigten) Produkts aufhalten und deshalb den Produktrisiken ausgesetzt sein können (z. B. Fußgänger mit Blick auf Kraftfahrzeuge). Im europäischen Maschinenrecht kommt gemäß Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2006/42/EG der Schutz von Haustieren und Sachen (bzw. Gütern) sowie gegebenenfalls der Umwelt hinzu.4

Daneben dient das europäische Produktsicherheitsrecht der Verwirklichung des Binnenmarkts in Bezug auf den freien Verkehr von Waren innerhalb der Europäischen Union. Der freie Warenverkehr, der insbesondere in Art. 34 AEUV verankert ist, rechnet – neben dem freien Personenverkehr, dem freien Dienstleistungsverkehr und dem freien Kapitalverkehr – zu den vier europäischen Grundfreiheiten; denn die europäischen Verordnungen und Richtlinien auf dem Gebiet des Produktsicherheitsrechts sind Instrumente zum Abbau technischer (nicht-tarifärer) Handelshemmnisse. Gemäß Art. 26 Abs. 1 AEUV erlässt die EU „die erforderlichen Maßnahmen, um (. . .) den Binnenmarkt zu verwirklichen beziehungsweise dessen Funktionieren zu gewährleisten.“

Schließlich führen die europarechtlichen Vorgaben in Bezug auf die Implementierung einer wirksamen Marktüberwachung in den EU-Mitgliedstaaten zur Verhinderung unlauterer Geschäftspraktiken innerhalb der Europäischen Union. Maßgebliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 (sog. Marktüberwachungsverordnung) zu (s. Kap. 1.5.2). Das geltende Marktüberwachungsrecht dient daher stets auch dem Zweck, für faire Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenmarkt zu sorgen.

Dass die Schutzziele des Produktsicherheitsrechts nicht statisch sind, wird durch das Maschinenrecht besonders anschaulich vor Augen geführt: Die Umwelt rechnete beim Erlass der EG-Maschinenrichtlinie im Jahr 2006 noch nicht zu den relevanten Schutzgütern. Erst die Richtlinie 2009/127/EG mit ihren neuen Bestimmungen in Bezug auf Maschinen zur Ausbringung von Pestiziden führte insoweit zur Änderung im Maschinenrecht, weil „Konstruktion, Bau und Wartung von Maschinen zur Ausbringung von Pestiziden“ eine beträchtliche Rolle „bei der Verringerung der nachteiligen Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt“ spielen (vgl. Erwägungsgrund (2) zur Richtlinie 2009/127/EG). Aus dem neuen Art. 2 S. 2 Buchst. m) Richtlinie 2006/42/EG ergibt sich, dass der Umweltschutz nur bei den betreffenden Maschinen zur Ausbringungen von Pestiziden Geltung beansprucht (in der Praxis wird diese wichtige Beschränkung freilich gerne verkannt, und der Umweltschutz demzufolge auf alle Maschinen bezogen).

Tabelle 1.2 Zwecke des Maschinenrechts

Zwecke

Rechtsgrundlage

Schutz von Sicherheit und Gesundheit von Personen

Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2006/42/EG

Schutz von Haustieren

Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2006/42/EG

Schutz von Sachen

Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2006/42/EG

Schutz der Umwelt (nur bei Maschinen zur Ausbringung von Pestiziden)

Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 2006/42/EG

Verwirklichung des Binnenmarkts in Bezug auf den freien Warenverkehr

Artt. 26, 34 f. AEUV

Verhinderung von unlauteren Geschäftspraktiken durch wirksame Marktüberwachung

Art. 16 VO (EG) Nr. 765/2008

1.3Maschinenrecht als Rechtsmaterie

Auch wenn der Fokus der Wirtschaftsakteure im Zusammenhang mit dem Maschinenrecht in erster Linie auf die Anforderungen an die Verkehrsfähigkeit von Maschinen und unvollständigen Maschinen im Allgemeinen und auf die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen in Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG im Besonderen gerichtet ist, darf darob nicht übersehen werden, dass es sich insoweit stets um eine juristische Materie und genuine Rechtmäßigkeitserfordernisse handelt. Aus diesem Grund ist im Folgenden auf juristische Besonderheiten bzw. juristische Methoden aufmerksam zu machen, um das geltende Maschinenrecht besser zu verstehen.

1.3.1Bedeutung von Rechtsbegriffen

Aus juristischer Perspektive darf beim Umgang mit den in Rede stehenden maschinenrechtlichen Rechtsakten nicht übersehen werden, dass diese ausnahmslos sog. Rechtsbegriffe verwenden. Praktisch besonders wichtige Beispiele sind die Begriffe „Maschine“, „Hersteller“ oder „Inverkehrbringen“.

Weil es sich insoweit um Rechtsbegriffe handelt, sind z. B. Maschinen i. S. d. EG-Maschinenrichtlinie nur solche Erzeugnisse, die in Art. 2 S. 2 Buchst. a) Richtlinie 2006/42/EG ausdrücklich als Maschine definiert werden. Davon zu trennen ist insbesondere ein umgangssprachliches, betriebsinternes oder in bestimmten Fachkreisen zugrunde gelegtes Verständnis von einer „Maschine“. Für den wichtigen Herstellerbegriff in Bezug auf Maschinen gilt nichts anderes: Hersteller im Rechtssinne sind nur jene Unternehmen, die von der maßgeblichen produktsicherheitsrechtlichen Definition erfasst werden. Danach kann z. B. auch der sog. Quasi-Hersteller ohne Weiteres Hersteller einer Maschine im Rechtssinne sein. Als Quasi-Hersteller wird ein Unternehmen bezeichnet, das ein Produkt entwickeln oder herstellen lässt und dieses Produkt sodann unter seinem eigenen Namen oder seiner eigenen Marke vermarktet. Schließlich wird eine Maschine nur dann maschinenrechtlich in Verkehr gebracht, wenn die Begriffselemente der zugrunde zu legenden Definition eins-zueins eingehalten werden. Ob dies der Fall ist, ist eine genuin juristische Frage, deren Antwort in bestimmten Szenarien ohne Weiteres umstritten sein kann.

1.3.2Juristische Auslegungsmethoden

Bei den Bestimmungen der EG-Maschinenrichtlinie handelt es sich um europäische Rechtsnormen, die als solche einer juristischen Auslegung zugänglich sind. Im Hinblick auf die juristische Methodenlehre sind die vier folgenden Auslegungsmethoden zu beachten:

       grammatikalische Auslegung (Wortlautargument)

       historische Auslegung (Wille des Normgebers)

       systematische Auslegung (Einbettung der Norm in den juristischen Gesamtzusammenhang)

       teleologische Auslegung (Zweck der Norm)

Mit der grammatikalischen Auslegung wird das sog. Wortlautargument in Bezug genommen. Diese juristische Auslegungsmethode ist im EU-Recht mit Blick auf die Existenz und Gleichrangigkeit verschiedener Sprachfassungen weniger bedeutsam als im nationalen (deutschen) Recht. Vergleichsweise unbedeutend ist auch die Ermittlung des Willens des Normgebers bei der Auslegung geltenden EU-Rechts (historische Auslegung). Grund hierfür ist der spezifische Verhandlungscharakter des europäischen Rechtsetzungsprozesses. Bei der systematischen Auslegung wird der rechtliche Gesamtzusammenhang in den Blick genommen. Mit Blick auf die EG-Maschinenrichtlinie können gesetzessystematisch z. B. andere Rechtsakte auf dem Gebiet des europäischen Produktsicherheitsrechts wie z. B. die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 (s. Kap. 1.5.2) oder die – freilich nur für Verbraucherprodukte geltende – Richtlinie 2001/95/EG ergänzend zu Rate gezogen werden. Die wichtigste Auslegungsmethode in Bezug auf EU-Recht ist schließlich die teleologische Auslegung. Dabei kommt es insbesondere darauf an, das europäische Recht so auszulegen, dass es möglichst praktisch wirksam ist (sog. effet utile). Eine wichtige Rolle im Rahmen der teleologischen Auslegung spielen die Erwägungsgründe, die den EU-Verordnungen und EU-Richtlinien vorangestellt sind (s. Kap. 3.8).

1.3.3Enge Auslegung von Ausnahmebestimmungen

Europarechtlich ist schließlich zu beachten, dass Ausnahmebestimmungen grundsätzlich eng auszulegen sind. Der Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmebestimmungen kann mit Blick auf die EG-Maschinenrichtlinie insbesondere bei den Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich eine Rolle spielen (vgl. Art. 1 Abs. 2 Richtlinie 2006/42/EG).

1.4Historische Entwicklung des Maschinenrechts

Mit der Richtlinie 2006/42/EG fand die Regelung des europäischen Maschinenrechts einen vorläufigen Abschluss, die ihren Anfang bereits Ende der 1980er-Jahre nahm. Ausgangspunkt war die Richtlinie 89/392/EWG vom 14. 6. 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen. Aufgrund mehrfacher Änderungen an der Richtlinie 89/392/EWG entschied sich der europäische Gesetzgeber im Jahr 1998 aus Gründen der Übersichtlichkeit und Klarheit dazu, das geltende Maschinenrecht in der Richtlinie 98/37/EG vom 22. 6. 1998 neu zu fassen. Eine wesentliche Änderung erfuhr die Richtlinie 89/392/EWG insbesondere durch Art. 6 Richtlinie 93/68/EWG. Diese Richtlinie diente der Harmonisierung der Bestimmungen über die Anbringung und Verwendung der CE-Kennzeichnung. Im europäischen Maschinenrecht führte sie dazu, dass das frühere EG-Zeichen durch die damals neue CE-Kennzeichnung ersetzt wurde. Geltungsbeginn für diese Änderung in den Mitgliedstaaten der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) war der 1. 1. 1995.

Tabelle 1.3 Überblick über das europäische Maschinenrecht seit 1989

Maschinenrichtlinie

Innerstaatliche Umsetzung

Nationaler Geltungsbeginn

Richtlinie 89/392/EWG

Vor dem 1. 1. 1992 (Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 Richtlinie 89/392/EWG)

Ab dem 31. 12. 1992 (Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 Richtlinie 89/392/EWG)

Richtlinie 98/37/EG

Keine Änderung in Bezug auf die schon zuvor geregelten Umsetzungs- und Anwendungsfristen (Art. 14 Abs. 1 Richtlinie 98/37/EG)

Keine Änderung in Bezug auf die schon zuvor geregelten Umsetzungs- und Anwendungsfristen (Art. 14 Abs. 1 Richtlinie 98/37/EG)

Richtlinie 2006/42/EG

Vor dem 29. 6. 2008 (Art. 26 Abs. 1 Unterabs. 1 Richtlinie 2006/42/EG)

Ab dem 29. 12. 2009 (Art 26 Abs. 1 Unterabs. 2 Richtlinie 2006/42/EG)

1.5New Approach und New Legislative Framework

Die EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG rechnet zu den sog. New-Approach-Rechtsakten bzw. -Richtlinien, die auch als CE-Rechtsakte bzw. -Richtlinien bezeichnet werden; denn die sachlich von den New-Approach-Rechtsakten erfassten Produkte müssen typischerweise vor dem Inverkehrbringen vom Hersteller oder seinem Bevollmächtigten mit der CE-Kennzeichnung versehen werden. Dass Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen, zeigen u. a. die EG-Maschinenrichtlinie im Allgemeinen und die unvollständigen Maschinen im Besonderen (s. Kap. 5.1.3).

Aufgrund der spezifischen Bedeutung des „New Approach“ im europäischen (und deutschen) Produktsicherheitsrecht sollen die Grundzüge dieses Konzepts im Folgenden dargestellt werden, wobei auch die Reform des „New Approach“ im Jahr 2008 in die Überlegungen einzubeziehen ist. Selbst wer vertiefte Kenntnisse von den einzelnen maschinenrechtlichen Anforderungen insbesondere aus Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG hat, kann dieses Wissen nur dann zutreffend einordnen und z. B. gegen Marktüberwachungsbehörden, aber auch Lieferanten oder Kunden in Stellung bringen, wenn das Grundverständnis für den industriepolitischen Überbau namens „New Approach“ vorhanden ist.

1.5.1„New Approach“ 1985

Als „New Approach“ („Neue Konzeption“) wird jenes industriepolitische Konzept auf dem Gebiet des Produktsicherheitsrechts bezeichnet, welches im Jahr 1985 das zuvor geltende Konzept der Detailharmonisierung ablöste. Die Detailharmonisierung bestand darin, die technischen Anforderungen an bestimmte Produktkategorien ausführlich („detailliert“) vorzugeben. Aufgrund der beschwerlichen Rechtsetzungsprozesse beschwor dieses Konzept nicht weniger als einen Stillstand technischer Innovationen im Non-Food-Sektor herauf.

Der „New Approach“, der diesen Stillstand überwinden sollte, ist Gegenstand der Entschließung des Rates vom 7. 5. 1985 und beruht auf den folgenden vier Grundprinzipien:

       Festlegung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen (wesentlichen Anforderungen)

       Normungsorganisationen arbeiten technische Spezifikationen (harmonisierte Normen) aus

       Anwendung der technischen Spezifikationen bleibt freiwillig

       Herstellung nach harmonisierten Normen führt zur Konformitätsvermutung bzw. Vermutungswirkung

Ergänzend wies der Rat darauf hin, dass der „New Approach“ nur dann funktioniere, wenn erstens die harmonisierten Normen Qualitätsgarantien in Bezug die Konkretisierung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen böten und zweitens die staatlichen Behörden für die Sicherheit und gegebenenfalls weitere grundlegende Anforderungen verantwortlich blieben.

„New Approach“ in der EG-Maschinenrichtlinie

Dass die EG-Maschinenrichtlinie auf dem „New Approach“ beruht, kann mit Blick auf den umfangreichen Katalog rechtlich verbindlicher Anforderungen an Konstruktion und Bau von Maschinen in Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG durchaus infrage gestellt werden. Dessen ungeachtet zeigt die genauere Analyse der EG-Maschinenrichtlinie, dass sie ohne Weiteres die vier Grundprinzipien des „New Approach“ aufweist.

Was die Festlegung der grundlegenden Sicherheitsanforderungen anbelangt, sind diese in Anhang I der Richtlinie 2006/42/EG zwar in der Tat detailliert geregelt; im Unterschied zum Konzept der Detailharmonisierung wird maschinenrechtlich aber nicht im Detail vorgegeben, wie bestimmte Gefährdungen abgewehrt werden sollen. Ganz im Gegenteil beschränkt sich das europäische Maschinenrecht auf die Festlegung von Schutzzielen. Mit Blick auf Brandgefährdungen muss die Maschine gemäß Nr. 1.5.6 des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG „so konstruiert und gebaut sein, dass jedes Brand- und Überhitzungsrisiko vermieden wird, das von der Maschine selbst oder von Gasen, Flüssigkeiten, Stäuben, Dämpfen und anderen von der Maschine freigesetzten oder verwendeten Stoffen ausgeht.“ Dazu, wie Brandgefährdungen in concreto vermieden werden sollen, verhält sich die EG-Maschinenrichtlinie indes nicht.

Im Übrigen beinhaltet Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2006/42/EG die Konformitätsvermutung bzw. Vermutungswirkung, welche auf der Existenz harmonisierter Normen aufsetzt (s. Kap. 5.1.4).

1.5.2„New Legislative Framework“ (NLF) 2008

Im Jahr 2008 wurde der „New Approach“ einer umfangreichen Reform unterzogen, die sich allerdings nicht auf seine Grundprinzipien auswirkte. Vehikel für die Reform war das Maßnahmen- und Regelungspaket namens „New Legislative Framework“ (NLF). Gegenstand des NLF waren die drei folgenden europäischen Rechtsakte:

       Verordnung (EG) Nr. 764/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. 7. 2008 zur Festlegung von Verfahren im Zusammenhang mit der Anwendung bestimmter nationaler technischer Vorschriften für Produkte, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden sind, und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 2052/95/EG

       Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. 7. 2008 über die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 339/93 des Rates

       Beschluss (EG) Nr. 768/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. 7. 2008 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten und zur Aufhebung des Beschlusses 93/465/EWG des Rates

Verordnung (EG) Nr. 764/2008

Was die Verordnung (EG) Nr. 764/2008 anbelangt, führt diese in der Praxis ein Schattendasein. Gemäß Art. 2 VO (EG) Nr. 764/2008 gilt sie „für an Wirtschaftsteilnehmer gerichtete Verwaltungsentscheidungen über Produkte (. . .), die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in den Verkehr gebracht wurden“. Voraussetzung ist darüber hinaus, dass die zugrunde liegende (vertriebsbeschränkende bzw. -untersagende) Entscheidung „auf der Grundlage einer technischen Vorschrift“ getroffen wurde. Relevant sind insoweit indes nur solche technische Vorschriften, „die nicht Gegenstand gemeinschaftsweiter Harmonisierung“ sind. Der Begriff der technischen Vorschrift umfasst dabei Gesetze, Verordnungen oder sonstige Verwaltungsvorschriften eines EU-Mitgliedstaats. Vor diesem Hintergrund zielt diese Verordnung darauf ab, unzulässige Hindernisse der EU-Mitgliedstaaten für den freien Warenverkehr im europäisch nicht-harmonisierten Bereich zu eliminieren. Weil Maschinen Gegenstand des europäischen Produktsicherheitsrechts und somit EU-weit harmonisiert sind, spielt die Verordnung (EG) Nr. 764/2008 für den Maschinen- und Anlagenbau keine Rolle.

Verordnung (EG) Nr. 765/2008

Im Vergleich zur Verordnung (EG) Nr. 764/2008 ist die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 nicht nur für den Maschinen- und Anlagenbau praktisch weitaus wichtiger. Diese europäische Verordnung wird auch als Marktüberwachungsverordnung bezeichnet, weil sie in den Artt. 15 ff. einen „Rechtsrahmen für eine gemeinschaftliche Marktüberwachung und die Kontrolle von in den Gemeinschaftsmarkt eingeführten Produkten“ enthält.

Besondere Beachtung verdienen die folgenden Aspekte aus der Marktüberwachungsverordnung:

       einheitliche Begriffsbestimmungen (Art. 2)

       Beachtlichkeit der nach vernünftigem Ermessen vorhersehbaren Verwendung bei allen europäisch-harmonisierten Produkten (Art. 16 Abs. 2)

       Ausweitung des Schnellinformationssystems RAPEX auf Nicht-Verbraucherprodukte (Artt. 20, 22)

       spezifische Vorgaben für die Kontrolle von in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bzw. die Europäische Union (EU) eingeführten Produkten (Artt. 27 ff.)

Geltungsbeginn der Marktüberwachungsverordnung

Die Marktüberwachungsverordnung gilt seit dem 1. 1. 2010 unmittelbar in allen 28 EU-Mitgliedstaaten (Art. 44 Unterabs. 2 VO (EG) Nr. 765/2008). Sie ist u. a. neben der EG-Maschinenrichtlinie anwendbar und darf daher im Maschinen- und Anlagenbau nicht in Vergessenheit geraten.

Beschluss Nr. 768/2008/EG

Der Beschluss Nr. 768/2008/EG schließlich „enthält gemeinsame Grundsätze und Musterbestimmungen, die in allen sektoralen Rechtsakten angewendet werden sollen, um eine einheitliche Grundlage für die Überarbeitung dieser Rechtsvorschriften zu bieten.“5 Praktisch bedeutsam sind daher insbesondere die Musterbestimmungen in Anhang I des Beschlusses Nr. 768/2008/EG, die z. B. bereits von der neuen EMV-Richtlinie (Richtlinie 2014/30/EU), der neuen EU-Aufzugsrichtlinie (Richtlinie 2014/33/EU), der neuen ATEX-Richtlinie (Richtlinie 2014/34/EU) der neuen EU-Niederspannungsrichtlinie (Richtlinie 2014/35/EU) und der neuen EU-Druckgeräterichtlinie (Richtlinie 2014/68/EU) rezipiert wurden.

Besondere Beachtung verdienen die folgenden Aspekte aus dem Beschluss Nr. 768/2008/EG:

       Ausweitung der behördlichen Melde- oder Notifikationspflicht auf Nicht-Verbraucherprodukte

       Regelung von spezifischen Pflichten für jeden Wirtschaftsakteur

       einheitliche Regelung des Marktüberwachungsverfahrens bei Verstößen gegen formelle (nicht-sicherheitsrelevante) und materielle (sicherheitsrelevante) Anforderungen

Zukünftiges Maschinenrecht

Die EG-Maschinenrichtlinie wird in Zukunft ebenfalls an die Musterbestimmungen aus Anhang I des Beschlusses Nr. 768/2008/EG angepasst werden. Aus diesem Grund sollte die aufmerksame Verfolgung etwaiger rechtspolitischer Aktivitäten auf der europäischen Ebene auf die unternehmensinterne Agenda gesetzt werden, um nicht dereinst vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.

1.6Literatur

Kapoor, A./Klindt, T.: „New Legislative Framework“ im EU-Produktsicherheitsrecht – Neue Marktüberwachung in Europa?, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2008, 649 ff.

Kapoor, A./Klindt, T.: Die Reform des Akkreditierungswesens im Europäischen Produktsicherheitsrecht, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2009, 134 ff.

Kapoor, A./Menz, S.: Das „alignment package“ des europäischen Gesetzgebers – Neuer Schwung im Produktsicherheitsrecht, Zeitschrift für betriebliche Prävention und Unfallversicherung (BPUVZ) 2014, 390 ff.

Klindt, T./Schucht, C.: Internationales, europäisches und nationales Technikrecht, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 1, 3. Aufl. 2012, § 36

Schucht, C.: Die neue Architektur im europäischen Produktsicherheitsrecht nach New Legislative Framework und Alignment Package, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2014, 848 ff.

ders.: Aktuelle Rechtsfragen im Produktsicherheitsrecht, Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl) 2016, 351 ff.

ders.: 30 Jahre New Approach im europäischen Produktsicherheitsrecht – prägendes Steuerungsmodell oder leere Hülle?, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2017, 46 ff.

1 B2C steht für Business-to-Consumer.

2 B2B steht für Business-to-Business.

3 Ausführlich zur neuen PSA-Verordnung Schucht, EuZW 2016, 407 ff.

4 Der Schutz der Umwelt spielt indes nur bei den Maschinen zur Ausbringung von Pestiziden gemäß Nr. 2.4 des Anhangs I der Richtlinie 2006/42/EG eine Rolle.

5 Erwägungsgrund (2) zum Beschluss Nr. 768/2008/EG.

2Maschinen als Gegenstand des Produktrechts

Auch wenn das Maschinenrecht mit der Richtlinie 2006/42/EG einerseits und der Maschinenverordnung (9. ProdSV) andererseits klassisches Produktsicherheitsrecht ist, bedeutet dies nicht, dass im Übrigen keine produktrechtlichen Bezüge im Zusammenhang mit Maschinen bestehen. Das Gegenteil ist richtig: Wer Maschinen in Verkehr bringt bzw. in Betrieb nimmt, sie in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bzw. die Europäische Union (EU) einführt oder mit ihnen handelt, muss sich nicht nur mit dem Produktsicherheits- bzw. Maschinenrecht befassen. Darüber hinaus spielen das zivilrechtliche Produkthaftungsrecht und die strafrechtliche Produktverantwortung eine nicht unerhebliche Rolle beim Warenvertrieb.

Im Folgenden wird zunächst das zivilrechtliche Produkthaftungsrecht (s. Kap. 2.1) in den Fokus gerückt, bevor auf die strafrechtliche Produktverantwortung (s. Kap. 2.2) eingegangen wird. Abgerundet wird das Kapitel durch die Darstellung der unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe im Produktrecht (s. Kap. 2.3).

2.1Zivilrechtliches Produkthaftungsrecht

Produktrecht auf der Ebene des Zivilrechts, das sich im Unterschied zum öffentlichen Recht mit der Regelung der Rechtsverhältnisse der Privatpersonen zueinander befasst, ist zum einen vertragliches Kaufrecht und zum anderen außervertragliches („klassisches“) Produkthaftungsrecht (im engeren Sinne). Wenn vom Produkthaftungsrecht im weiteren Sinne gesprochen wird, wird damit auch das vertragliche Kaufrecht in die Überlegungen einbezogen.

Das außervertragliche Produkthaftungsrecht im engeren Sinne unterscheidet sich fundamental vom vertraglichen Kaufrecht; denn die produkthaftungsrechtlich geltenden Anforderungen werden – im Unterschied zum Kaufrecht – von der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung (auf der Grundlage wenig konkreter gesetzlicher Regelungen wie insbesondere § 3 Abs. 1 ProdHaftG) aufgestellt und sind damit der vertraglichen Abrede zwischen Verkäufer und Käufer entzogen. Umgekehrt können vertragliche Beschaffenheitsvereinbarungen ohne Weiteres hinter dem (strengen) produkthaftungsrechtlichem Maßstab zurückbleiben (Vertragsfreiheit).

2.1.1Kaufrecht

Kaufrecht ist vertragliches Produktrecht. Im Zentrum des Kaufrechts, welches in den §§ 433 ff. BGB geregelt ist, steht der Kaufvertrag. Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen, § 433 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Käufer wiederum ist gemäß § 433 Abs. 2 BGB verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen. Das zivilrechtliche Kaufrecht gilt für alle (Kauf-)Sachen, sodass insbesondere auch der Kauf von Maschinen erfasst wird.

Sachmangel

Produktrechtlich besonders wichtig ist die Regelung des Sachmangels in § 434 BGB. Wenn und soweit ein Sachmangel vorliegt, kann der Käufer die Rechte aus § 437 BGB geltend machen (sog. Gewährleistungsrechte). Gemäß § 434 Abs. 1 S. 1, 2 BGB ist eine Sache frei von Sachmängeln

       wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat (S. 1),

       wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (S. 2 Nr. 1) oder

       wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (S. 2 Nr. 2).

Was diese drei Kriterien anbelangt, gilt eine hierarchische Reihenfolge, sodass primär die vertragliche Vereinbarung maßgeblich ist. Erst wenn keine Beschaffenheit vereinbart ist, kommt es auf die nach dem Vertrag vorausgesetzte bzw. die gewöhnliche Verwendung an. Aus diesem Grund existieren mit der Beschaffenheit (S. 1) einerseits und der Verwendbarkeit (S. 2) andererseits zwei Anknüpfungspunkte für die Annahme kaufrechtlicher Sachmängel.

Sicherheits- und Qualitätsmängel

Der kaufrechtliche Sachmangelbegriff umfasst nicht nur Sicherheitsmängel, sondern auch Qualitätsmängel: Relevant ist jede Abweichung zwischen der Ist- und Soll-Beschaffenheit (die gekaufte Maschine weist z. B. die falsche Farblackierung auf). Der produkthaftungsrechtliche Fehlerbegriff ist demgegenüber weitaus enger, weil er nur auf die Sicherheitsrelevanz abstellt.

Ungeachtet der Vorteile privatautonomer Vereinbarungen über die Soll-Beschaffenheit der Kaufsache darf nicht übersehen werden, dass die zum Vollzug des geltenden Produktsicherheitsrechts berufenen Marktüberwachungsbehörden nicht daran gebunden sind. Aus der Perspektive des öffentlich-rechtlichen Produktsicherheitsrechts ist bei der Abgabe z. B. einer Maschine im Zuge des Kaufs einer Maschine allein Compliance mit den anwendbaren Bestimmungen des Maschinenrechts bedeutsam.

Gewährleistungsrechte des Käufers

Wenn die Mangelhaftigkeit der (Kauf-)Sache feststeht, kommen die Gewährleistungsrechte des Käufers aus § 437 BGB in Betracht, und zwar

       Nacherfüllung gemäß § 437 Nr. 1 BGB,

       Rücktritt vom Vertrag gemäß § 437 Nr. 2 BGB,

       Minderung des Kaufpreises gemäß § 437 Nr. 2 BGB,

       Schadensersatz gemäß § 437 Nr. 3 BGB und

       Ersatz vergeblicher Aufwendungen gemäß § 437 Nr. 3 BGB.

Praktisch besonders wichtig ist der Nacherfüllungsanspruch, wobei die Nacherfüllung zum einen in der Beseitigung des Mangels (sog. Nachbesserung) und zum anderen in der Lieferung einer mangelfreien Sache (sog. Nachlieferung) bestehen kann, § 439 Abs. 1 BGB. Mit Blick auf die beiden Arten der Nacherfüllung besteht ein Wahlrecht des Käufers. Die weiteren Gewährleistungsrechte des Käufers können vom Käufer erst dann geltend gemacht werden, wenn er dem Verkäufer zuvor die Gelegenheit zur Nacherfüllung gegeben hat. Vor diesem Hintergrund besteht ein Vorrang des Nacherfüllungsanspruchs.

Handelsrechtliche Rügeobliegenheit

Bei der Geltendmachung kaufrechtlicher Gewährleistungsrechte spielt die handelsrechtliche Untersuchungs- und Rügepflicht in der Praxis eine hervorgehobene Rolle. Sie ist in § 377 des Handelsgesetzbuchs (HGB) geregelt und richtet sich dezidiert an den Käufer (und nicht an den Verkäufer). Allerdings handelt es sich hierbei entgegen der amtlichen Überschrift der Norm nicht um eine echte Rechtspflicht. Vielmehr ist § 377 HGB als sog. Obliegenheit zu qualifizieren. Als Obliegenheiten werden juristisch Pflichten geringerer Intensität bezeichnet. Mit Blick auf die handelsrechtliche Rügeobliegenheit macht sich der Käufer im Falle ihrer Verletzung daher gerade nicht schadensersatzpflichtig; die Erfüllung der Obliegenheit steht indes im eigenen Interesse des mit ihr Belasteten (also hier des Käufers), weil er im Falle der fehlenden Befolgung einen Rechtsverlust oder rechtlichen Nachteil erleidet.

Die Rügeobliegenheit beansprucht Geltung, wenn Waren im Zuge von Handelsgeschäften verkauft werden, wobei sich Handelsgeschäfte in diesem Sinne dadurch auszeichnen, dass sowohl Verkäufer als auch Käufer Kaufleute sind (sog. beidseitiges Handelsgeschäft). Wenn und soweit diese Voraussetzung erfüllt ist, hat der Käufer die Ware grundsätzlich unverzüglich zu untersuchen und den Verkäufer unverzüglich über einen identifizierten Mangel zu benachrichtigen. Für den Fall der unterlassenen Benachrichtigung gilt die Ware als genehmigt, wenn nicht im Ausnahmefall ein sog. verdeckter Mangel vorliegt. Ein verdeckter Mangel ist ein Mangel, der bei der Untersuchung nicht erkennbar war. Falls sich ein verdeckter Mangel später zeigt, ist erneut eine unverzügliche Benachrichtigung des Verkäufers erforderlich. Zu beachten ist, dass die Anforderungen an die Unverzüglichkeit (der Untersuchung wie der Anzeige des Mangels) mit Blick auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte streng sind.

Was die – formfreie – Rüge anbelangt, muss der Verkäufer ihr Art und Umfang der Mängel entnehmen können, sodass er die Beanstandung insbesondere prüfen kann. Pauschale Beanstandungen (z. B. „Ware ist unbrauchbar“) genügen somit nicht. Umgekehrt ist der Käufer freilich auch nicht verpflichtet, die Ursachen des Defekts aufzudecken.

Miet- und Leasingrecht

In der Praxis sind Maschinen nicht nur Gegenstand von Kauf- , sondern auch von Miet- oder Leasingverträgen. In diesen Fällen gelten entsprechend die zivilrechtlichen Bestimmungen zum Miet- und Leasingrecht. Das Mietrecht ist in den §§ 535 ff. BGB geregelt. Der Mietvertrag ist ein Vertrag zwischen Vermieter und Mieter, der auf Gebrauchsgewährung gegen Entgelt (Miete) gerichtet ist. Was das Leasingrecht anbetrifft, ist dieses im BGB nicht ausdrücklich geregelt. Weil der Leasingvertrag eine entgeltliche Gebrauchsüberlassung zum Gegenstand hat, wird er als atypischer Mietvertrag qualifiziert. Vor diesem Hintergrund gilt auch für den Leasingvertrag grundsätzlich Mietrecht.

2.1.2Produkthaftungsrecht

Das in Deutschland geltende Produkthaftungsrecht ist zweigeteilt: Zum einen existiert das sog. Produzentenhaftungsrecht auf der Grundlage des § 823 Abs. 1 BGB. Zum anderen ist das Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz – ProdHaftG) vom 15. 12. 1989 zu beachten (Produkthaftungsrecht). Aus der Perspektive der durch gefährliche Produkte Geschädigten existieren folglich zwei auf die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gerichtete Anspruchsgrundlagen, die parallel anwendbar sind und sich gegen die tauglichen Adressaten wie insbesondere den Warenhersteller richten. Die Besonderheit der Produzenten- und Produkthaftung besteht darin, dass der Geschädigte in keiner vertraglichen Beziehung z. B. zum Hersteller eines gefährlichen und schadensverursachenden Produkts stehen muss. Vor diesem Hintergrund ist der Kreis potenzieller Anspruchsteller nicht auf die Vertragspartner der an Warenherstellung und -vertrieb beteiligten Unternehmen beschränkt.

Maschinen als Produkte

Maschinen und unvollständige Maschinen im Sinne der Richtlinie 2006/42/EG sind als bewegliche Sachen ohne Weiteres Gegenstand des Produzenten- und Produkthaftungsrechts; denn Produkt ist gemäß § 2 ProdHaftG „jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet, sowie Elektrizität“. Dieser Produktbegriff beansprucht auch im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB Geltung.

Verschuldens- und Gefährdungshaftung

Grundlegend ist die Einteilung des geltenden Produzenten- und Produkthaftungsrechts in die Kategorien der Verschuldenshaftung einerseits und der Gefährdungshaftung andererseits. Während die Produzentenhaftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB tatbestandlich vorsätzliches oder fahrlässiges und damit schuldhaftes Verhalten verlangt, verzichtet das Produkthaftungsgesetz auf diese tatbestandliche Voraussetzung.

Aus der Perspektive der Wirtschaftsakteure im Allgemeinen und der Hersteller, Einführer und Händler im Besonderen bringt die Verschuldenshaftung den Vorteil mit sich, dass ihre Haftung an schuldhaftes Verhalten gekoppelt ist. Im Falle fehlenden Vorsatzes bzw. fehlender Fahrlässigkeit kommen gegen sie gerichtete Schadensersatzansprüche Geschädigter folglich nicht in Betracht. Bezugspunkt des Verschuldens ist die Verletzung spezifischer Verkehrssicherungspflichten wie z. B. der den Hersteller treffenden Konstruktions- oder Fabrikationspflicht. Demgegenüber knüpft das Produkthaftungsgesetz allein an die Existenz eines Produktfehlers an. Ob dieser schuldhaft (vorsätzlich oder fahrlässig) verursacht wurde, spielt für die darauf gestützten Schadensersatz- und/oder Schmerzensgeldansprüche keine Rolle.

Verschulden beim Händler von Maschinen

Ein Maschinenhändler bringt in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Maschine in Verkehr. Beim späteren Betrieb der Maschinen kommt es zum (Arbeits-)Unfall mit Personenschaden, weil die Maschine nicht im Einklang mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen für Konstruktion und Bau von Maschinen steht. Der zuständige Unfallversicherungsträger macht (Regress-)Ansprüche gegen den Händler geltend (weil der Hersteller zwischenzeitlich insolvent geworden ist). Kommt insoweit die produzentenhaftungsrechtliche Anspruchsgrundlage gemäß § 823 Abs. 1 BGB in Betracht?

Weil die Produzentenhaftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB Verschulden voraussetzt, haftet der Maschinenhändler nicht, wenn er die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten weder vorsätzlich noch fahrlässig verletzt hat. Weil ein Handelsunternehmen grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die von ihm vertriebenen Waren auf ihre Sicherheitseigenschaften hin zu überprüfen, scheidet im Beispielsfall eine Haftung mangels Verschuldens aus.

Produkthaftungsrichtlinie

Das Produkthaftungsgesetz dient im Übrigen der Umsetzung der europäischen Richtlinie 85/374/EWG (sog. Produkthaftungsrichtlinie). Weil die Produkthaftungsrichtlinie als europäische Richtlinie in allen (noch) 28 EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen war, gilt das darin implementierte Konzept der Gefährdungshaftung folglich EU-weit. Der europäische Gesetzgeber hat sich im Jahr 1985 für die Gefährdungshaftung entschieden, weil „das unserem Zeitalter fortschreitender Technisierung eigene Problem einer gerechten Zuweisung der mit der modernen technischen Produktion verbundenen Risiken in sachgerechter Weise“ nur bei Zugrundelegung einer verschuldensunabhängigen Haftung gelöst werden könne.1

EU-weite Geltung der Gefährdungshaftung

Beim Vertrieb von Maschinen im europäischen Binnenmarkt ist aus der Perspektive der Wirtschaftsakteure mit Blick auf etwaige Haftungsrisiken zu beachten, dass alle 28 EU-Mitgliedstaaten ein der Produkthaftungsrichtlinie entsprechendes nationales Gesetz mit integrierter Gefährdungshaftung aufweisen.

2.1.2.1§ 823 Abs. 1 BGB (Produzentenhaftung)

Gemäß § 823 Abs. 1 BGB ist schadensersatzpflichtig, wer „vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt“. Auch wenn in dieser allgemein formulierten Norm weder von Produkten noch von Produktfehlern die Rede ist, hat die Rechtsprechung die Produzentenhaftung daraus abgeleitet. Konkret hat die Rechtsprechung spezifische Verkehrssicherungspflichten entwickelt, deren schuldhafte Verletzung Schadensersatz- und/oder Schmerzensgeldansprüche der Geschädigten nach sich ziehen kann, wenn und soweit ein geschütztes Rechtsgut (wie z. B. Leben oder Gesundheit) verletzt wird.

Unterschieden werden nach dem derzeitigen Stand der produzentenhaftungsrechtlichen Dogmatik im Wesentlichen die vier folgenden Verkehrssicherungspflichten:

       Konstruktionspflicht

       Fabrikationspflicht

       Instruktionspflicht

       Produktbeobachtungs- und ggf. Gefahrabwendungspflicht (im Sinne einer Reaktionspflicht)

Systematisierung der produzentenhaftungsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten

Während sich die Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionspflicht auf den Zeitpunkt vor dem Inverkehrbringen eines Produkts beziehen, statuiert die Produktbeobachtungs- bzw. Gefahrabwendungspflicht eine Pflicht nach dem Zeitpunkt des produktbezogenen Inverkehrbringens.

Die vier genannten Verkehrssicherungspflichten, die als Sorgfaltspflichten bezeichnet werden können, beziehen sich insbesondere auf den Hersteller; denn weder der Einführer noch der Händler hat Einfluss z. B. auf Konstruktion und Fabrikation der von ihm importierten bzw. vertriebenen Produkte. Vor diesem Hintergrund weichen die Verkehrssicherungspflichten der Einführer und Händler signifikant von den Verkehrssicherungspflichten der Hersteller ab. Im Vordergrund stehen bei den Einführern und Händlern vor allem Sorgfaltspflichten in Bezug auf Lagerung, Beratung und ggf. Instruktion (z. B. Informationen über die zu beachtenden Sicherheitsvorkehrungen bei der Vorführung eines gefährlichen technischen Geräts). Der Quasi-Hersteller wird produzentenhaftungsrechtlich im Wesentlichen dem (Vertriebs-)Händler gleichgestellt (und kann somit auch tauglicher Anspruchsgegner sein). Als Quasi-Hersteller wird ein Unternehmen bezeichnet, das ein Produkt entwickeln oder herstellen lässt und dieses Produkt sodann unter seinem eigenen Namen oder seiner eigenen Marke vermarktet.

Bedeutung der Rechtsprechung der Zivilgerichte

Mit Blick auf die produzentenhaftungsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten der Wirtschaftsakteure existiert eine Fülle an Entscheidungen der Zivilgerichte im Allgemeinen und des Bundesgerichtshofs (BGH) im Besonderen.

Um insoweit auf dem Laufenden zu bleiben und – noch wichtiger – Haftungsrisiken zu vermeiden, ist daher die Rechtsprechung der Zivilgerichte aufmerksam zu verfolgen.2

Aufgrund der kaum mehr zu überblickenden Rechtsprechung der Zivilgerichte zu den produzentenhaftungsrechtlichen Verkehrssicherungspflichten sollen im Folgenden zunächst praktisch besonders wichtige Aspekte beleuchtet werden, bevor die Konstruktionspflicht und ihr Verhältnis zur EG-Maschinenrichtlinie in den Fokus des Interesses gerückt wird:

       bei der Fabrikationspflicht kommt es auf den Fertigungsprozess an, wobei auch mit absoluter Präzision nicht zu vermeidende Ausreißer unbeachtlich sind (sie können indes im Regelungsregime des Produkthaftungsgesetzes beachtlich sein)

       bei der Instruktionspflicht ist auch der vorhersehbare Fehlgebrauch zu berücksichtigen

       bei der Produktbeobachtungspflicht wird zwischen aktiver und passiver Produktbeobachtungspflicht unterschieden, wobei den Hersteller (im Unterschied zu den übrigen Wirtschaftsakteuren) die aktive Pflicht zur Produktbeobachtung trifft, d. h. er selbst muss für die Generierung von produktbezogenen Informationen Sorge tragen (bei der passiven Produktbeobachtung genügt es hingegen, potenziell sicherheitskritische Kundenbeschwerden entgegenzunehmen und an den Hersteller weiterzuleiten; der Hersteller muss die betreffenden Kundenbeschwerden im Rahmen der passiven Produktbeobachtung hingegen auch auswerten)

       die Produktbeobachtungspflicht wandelt sich grundsätzlich dann in eine Gefahrabwendungspflicht um, wenn (z. B. als Ergebnis einer Risikobewertung) feststeht, dass das in Verkehr gebrachte Produkt gefährlich ist (im Ausnahmefall kann freilich bereits ein ernst zu nehmender Verdacht der Gefährlichkeit genügen)

       wenn die Gefahrabwendungspflicht aktiviert ist, muss die Gefahr möglichst effektiv (z. B. durch Sicherheitswarnung oder Rückruf) beseitigt werden (hierbei kommt es stets auf alle Umstände des Einzelfalls an)3

Fehlende Bedeutung von Qualitätsmängeln

Reine Qualitätsmängel spielen bei § 823 Abs. 1 BGB keine Rolle, da sie nicht zur Verletzung der geschützten Rechtsgüter wie z.B. Leben oder Körper führen können. Die falsche Farblackierung einer Maschine kann z. B. schlechterdings nicht zu einem Personen- und/oder Sachschaden führen.

Konstruktionspflicht und EG-Maschinenrichtlinie

Bereits konstruktiv müssen die in Verkehr gebrachten Waren das erforderliche Sicherheitsniveau bieten. Mit der Konstruktionspflicht wird somit der Bauplan des Produkts in Bezug genommen. Ein Konstruktionsfehler liegt dem Bundesgerichtshof (BGH) zufolge vor, „wenn das Produkt schon seiner Konzeption nach unter dem gebotenen Sicherheitsstandard bleibt (. . .). Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit hat der Hersteller bereits im Rahmen der Konzeption und Planung des Produkts diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Vermeidung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind (. . .). Erforderlich sind die Sicherungsmaßnahmen, die nach dem im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts vorhandenen neuesten Stand der Wissenschaft und Technik konstruktiv möglich sind (. . .) und als geeignet und genügend erscheinen, um Schäden zu verhindern (. . .). Dabei darf der insoweit maßgebliche Stand der Wissenschaft und Technik nicht mit Branchenüblichkeit gleichgesetzt werden; die in der jeweiligen Branche tatsächlich praktizierten Sicherheitsvorkehrungen können durchaus hinter der technischen Entwicklung und damit hinter den rechtlich gebotenen Maßnahmen zurückbleiben (. . .). Die Möglichkeit der Gefahrvermeidung ist gegeben, wenn nach gesichertem Fachwissen der einschlägigen Fachkreise praktisch einsatzfähige Lösungen zur Verfügung stehen (. . .). Hiervon kann grundsätzlich erst dann ausgegangen werden, wenn eine sicherheitstechnisch überlegene Alternativkonstruktion zum Serieneinsatz reif ist (. . .). Der Hersteller ist dagegen nicht dazu verpflichtet, solche Sicherheitskonzepte umzusetzen, die bisher nur ‚auf dem Reißbrett erarbeitet‘ oder noch in der Erprobung befindlich sind“.4

Maßgeblicher Zeitpunkt bei der Konstruktionspflicht

Zu betonen ist, dass es bei der Frage nach einen Verstoß gegen die Konstruktionspflicht auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkret schadensursächlichen Produkts ankommt. Das kann auch beim Produkthaftungsprozess im Jahr 2018 z. B. das Jahr 2007 sein, wenn und soweit in diesem Jahr das streitgegenständliche Produkt in Verkehr gebracht wurde.

Die Bestimmungen des öffentlichen Sicherheitsrechts im Allgemeinen und des Produktsicherheitsgesetzes mit den darauf gestützten Verordnungen (wie der Maschinenverordnung) im Besonderen bilden den Mindeststandard an Sicherheit, den das Produkthaftungsrecht konstruktiv verlangt.5

Keine Relevanz von Beschaffenheitsvereinbarungen

Ausdrücklich darauf hinzuweisen ist, dass der kaufrechtlichen Beschaffenheitsvereinbarung zwischen Verkäufer und Käufer (s. Kap. 2.1.1) keine Bedeutung im Rahmen der produzentenhaftungsrechtlichen Konstruktionspflicht zukommt.

Der Verstoß gegen anwendbare technische bzw. harmonisierte Normen führt hingegen richtigerweise nur zur Vermutung eines Verstoßes gegen die Konstruktionspflicht (und damit noch nicht zum Verstoß gegen die Konstruktionspflicht); denn die Anwendung technischer (harmonisierter) Normen ist und bleibt freiwillig (im Ergebnis indes streitig). Es ist daher produzentenhaftungsrechtlich keinesfalls verboten, innovative Lösungen zu wählen, die zwar noch nicht Eingang in den Bereich der technischen Normung gefunden haben, aber gleich sicher oder (deutlich) sicherer als herkömmliche Lösungen sind, die sich an anwendbaren technischen Normen und damit dem Stand der Technik orientieren.

Verstoß gegen die EG-Maschinenrichtlinie führt zur Verletzung der Konstruktionspflicht

Wer als Maschinenhersteller die (sicherheitsrelevanten) Anforderungen der EG-Maschinenrichtlinie nicht eins-zu-eins einhält, wird im Produkthaftungsprozess nicht mit seiner Auffassung durchdringen, wonach die Maschine im maßgeblichen Zeitpunkt des Inverkehrbringens gleichwohl dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik entsprach. Im Gegenteil wird der Verstoß gegen die Konstruktionspflicht in diesem Szenario vom erkennenden Zivilgericht unstreitig festgestellt werden.

2.1.2.2Produkthaftungsgesetz (Produkthaftung)

Im Unterschied zur Produzentenhaftung hat das Produkthaftungsrecht im Produkthaftungsgesetz eine ebenso spezifische wie umfangreiche gesetzliche Regelung erfahren.

Anspruchsgrundlage der Geschädigten (für Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld) ist § 1 Abs. 1 ProdHaftG. Im Falle der Sachbeschädigung ist freilich Voraussetzung, dass „eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist“, § 1 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG. Vor diesem Hintergrund hat das Produkthaftungsgesetz eine verbraucherschützende Stoßrichtung. Allfällige Schäden an technischen Arbeitsmitteln wie Maschinen(anlagen) oder elektrischen Betriebsmitteln sind folglich produkthaftungsrechtlich nicht ersatzfähig. In diesem Fall ist jedoch an die parallel anwendbare produzentenhaftungsrechtliche Anspruchsgrundlage aus § 823 Abs. 1 BGB zu denken.

Wichtig ist sodann die Definition des Fehlers in § 3 Abs. 1 ProdHaftG. Danach ist ein Produkt fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere

       seiner Darbietung (Buchst. a)),

       des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann (Buchst. b)),

       des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde (Buchst. c)),

berechtigterweise erwartet werden kann. Produkthaftungsrechtlich entscheidend ist damit die berechtigte Sicherheitserwartung, die objektiv zu bestimmen ist, sodass es gerade nicht auf die subjektiven Sicherheitserwartungen des konkret Geschädigten ankommt. Im Ergebnis herrscht Einigkeit, dass das Produkthaftungsgesetz – in Übereinstimmung mit der Produzentenhaftung, die indes von Pflichten und nicht von Fehlern spricht – ebenfalls Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehler anerkennt. Insoweit bestehen auch keine inhaltlichen Unterschiede im Vergleich zur Produzentenhaftung.6 Demgegenüber kennt das Produkthaftungsgesetz keinen Produktbeobachtungsfehler und damit folgerichtig auch keine Pflichten zur Gefahrabwendung;7 denn es befasst sich schlechterdings nicht mit dem Zeitpunkt nach dem Inverkehrbringen von Produkten.

Haftungsausschlusstatbestände

In § 1 Abs. 2 ProdHaftG sind eng auszulegende Haftungsausschlusstatbestände statuiert. Danach muss der Hersteller u. a. nicht für sog. Entwicklungsfehler haften, § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG. Ein Entwicklungsfehler ist ein Fehler, der „nach dem Stand der Wissenschaft und Technik in dem Zeitpunkt, in dem der Hersteller das Produkt in den Verkehr brachte, nicht erkannt werden konnte“ (s. Kap. 2.3). Das Vorliegen eines Haftungsausschlusstatbestands muss der Hersteller beweisen, § 1 Abs. 4 S. 2 ProdHaftG.

Was die Beweislast anbelangt, muss der Geschädigte gemäß § 1 Abs. 4 S. 1 ProdHaftG den Fehler, den Schaden und die Kausalität zwischen Fehler und Schaden beweisen.

Schließlich ist auf § 4 ProdHaftG hinzuweisen, welcher sich mit der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit befasst, indem dort die Hersteller im Sinne des Produkthaftungsgesetzes festgelegt werden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Quasi-Hersteller (s. Kap. 2.1.2.1) in § 4 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG ausdrücklich – neben dem tatsächlichen Hersteller – als tauglicher Adressat von produkthaftungsrechtlichen Ansprüchen anerkannt wird (s. Kap. 17.2.4). Der Einführer von Produkten, die aus EWR-Drittstaaten importiert werden, kommt gemäß § 4 Abs. 2 ProdHaftG ebenfalls als Anspruchsgegner in Betracht. Der Händler bzw. Lieferant ist hingegen nur unter engen Voraussetzungen Haftungsadressat, § 4 Abs. 3 ProdHaftG.

Gefährdungshaftung im Produkthaftungsrecht

Wegen der bestehenden Gefährdungshaftung haften die genannten Anspruchsgegner verschuldensunabhängig.

2.2Strafrechtliche Produktverantwortung

Wenn und soweit im Zusammenhang mit der Verwendung von Maschinen (Arbeits-)Unfälle eintreten (s. Kap. 17), kann die strafrechtliche Produktverantwortung virulent werden. In solchen Fällen spielen insbesondere die folgenden Straftatbestände eine Rolle:

       § 212 StGB („Totschlag“)

       § 222 StGB („Fahrlässige Tötung“)

       § 223 StGB („Körperverletzung“)

       § 229 StGB („Fahrlässige Körperverletzung“)

Im Falle von Sachschäden ist mit Blick auf § 303 StGB zu beachten, dass der Straftatbestand der Sachbeschädigung nur im Falle des Vorsatzes verwirklicht werden kann, sodass umgekehrt die praktisch weitaus wichtigere Sachbeschädigung aufgrund fahrlässigen Verhaltens nicht strafbar ist.

Keine Unternehmensstrafbarkeit in der deutschen Rechtsordnung

Zu beachten ist, dass in der deutschen Strafrechtsordnung (noch) keine Strafbarkeit für Unternehmen existiert. Der strafrechtliche Schuldvorwurf muss stets an eine natürliche Person anknüpfen.

Wichtig ist, dass strafrechtlich relevantes Verhalten auch im Unterlassen (und damit nicht nur im positiven Tun) liegen kann. Rechtlich verankert ist die Bedeutung des Unterlassens in § 13 StGB. Danach kommt es insbesondere darauf an, ob eine Person „rechtlich dafür einzustehen hat“, dass ein tatbestandlicher Erfolg (wie z. B. eine Körperverletzung) verhindert wird (sog. Erfordernis der Garantenstellung).

Unterlassen der Gefahrabwendung

Klassisches Beispiel für ein strafrechtlich relevantes Unterlassen im Bereich des Warenvertriebs ist der Verstoß gegen die Gefahrabwendungspflicht durch schlichtes Untätigbleiben des Warenherstellers im Falle handgreiflicher Produktgefahren, die von seinen Produkten im Feld ausgehen (s. Kap. 2.1.2.1).

Wer in Kenntnis eines sicherheitsrelevanten Produktfehlers den Vertrieb nicht stoppt und die gefährlichen Produkte weiterhin in Verkehr bringt, wird sich im Falle eines späteren (Arbeits-)Unfalls mit Personenschaden hingegen regelmäßig staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen positiven Tuns ausgesetzt sehen; denn in diesem Szenario liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit eindeutig auf dem positiven Tun, wenn das schadensursächliche Produkt erst nach Kenntniserlangung in Verkehr gebracht wurde.

Schuldhaftes Verhalten als Strafbarkeitsvoraussetzung

Die Strafbarkeit natürlicher Personen setzt stets schuldhaftes (fahrlässiges oder vorsätzliches) Verhalten voraus. Gemäß § 15 StGB ist nur vorsätzliches Handeln strafbar, „wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.“ Der strafrechtliche Vorsatzbegriff ist einer (unpräzisen) Kurzformel zufolge das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Fahrlässig handelt im strafrechtlichen Sinne, wer entweder die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und fähig ist, und deshalb die Tatbestandsverwirklichung nicht erkennt (unbewusste Fahrlässigkeit) oder wer die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, jedoch pflichtwidrig und vorwerfbar im Vertrauen darauf handelt, dass sie nicht eintreten werde (bewusste Fahrlässigkeit).8

Ein öffentlichkeitswirksames Strafverfahren im Zusammenhang mit einer Maschine fand im Jahr 2013 am LG Osnabrück statt. Dem Verfahren lag ein tödlicher Arbeitsunfall aufgrund der innerbetrieblich erfolgten Manipulation von Schutzeinrichtungen an einer Glasschleifmaschine zugrunde. Die konkrete Manipulation bestand im Ausbau einer Lichtschranke. Angeklagt waren fünf Verantwortliche zweier Glasfirmen sowie ein Mitarbeiter des Gewerbeaufsichtsamts. Das LG Osnabrück verurteilte zwei Geschäftsführer wegen fahrlässiger Tötung zu Freiheitsstrafen von sechs Monaten.9

Strafbarkeitsrisiken auch für die Betreiber von Maschinen

Das Strafverfahren vor dem LG Osnabrück führt deutlich vor Augen, dass Arbeitsunfälle infolge der Verwendung von Maschinen nicht notwendigerweise den jeweiligen Maschinenhersteller in den Fokus der Staatsanwaltschaften rücken. Strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann selbstredend auch der Betreiber der Maschine, wenn er nicht dafür sorgt, dass die Maschine (betriebssicherheitsrechtlich) sicher verwendet wird.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich jeder Mitarbeiter (z. B. eines Maschinenherstellers) Strafbarkeitsrisiken ausgesetzt sein kann, der einen Beitrag dazu leistet, dass ein gefährliches Produkt wie z. B. eine Maschine in den Verkehr gebracht wird. Die Praxis der Staatsanwaltschaften ist indes durch eine sog. top-down-Betrachtung geprägt, welche bei der Geschäftsleitung oder dem mittleren Management ansetzt. Als Kriterium für den strafrechtlichen Schuldvorwurf wird dabei häufig allein deren Organstellung herangezogen.10

2.3Unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe im Produktrecht

Mit Blick auf die rechtlichen Vorgaben an den Vertrieb von Produkten im Allgemeinen und von Maschinen im Besonderen lassen sich unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe extrahieren, deren Kenntnis für den Maschinen- und Anlagenbau elementar wichtig ist; andernfalls drohen Verstöße gegen geltendes Produktrecht mit den jeweils spezifischen Folgen, die von vertriebsbeschränkenden Maßnahmen bis hin zu Strafbarkeitsrisiken reichen.

Die Prüfungsmaßstäbe stehen in engem Zusammenhang mit den drei folgenden Technikstandards, die Bestandteil einer sog. 3-Stufen-Theorie sind, wobei die (technische) Dynamik von der 1. bis zur 3. Stufe zunimmt:

       allgemein anerkannte Regeln der Technik (1. Stufe)

       Stand der Technik (2. Stufe)

       Stand von Wissenschaft und Technik (3. Stufe)

Beim Versuch, die drei produktrechtlichen Teilbereiche (öffentlich-rechtliches Produktsicherheits- bzw. Maschinenrecht, zivilrechtliches Produkthaftungsrecht im engeren Sinne und strafrechtliche Produktverantwortung) diesen Technikstandards zuzuordnen, lässt sich – bei aller Vorsicht – das Produktsicherheits- und Maschinenrecht mit dem Stand der Technik in Verbindung bringen (vgl. Erwägungsgrund (14) zur Richtlinie 2006/42/EG; s. Kap. 3.8). Im Übrigen ist naturgemäß entscheidend, dass die statuierten Anforderungen aus der EG-Maschinenrichtlinie eins-zu-eins eingehalten werden. Demgegenüber strenger sind das Zivil- und Strafrecht; der Bundesgerichtshof (BGH) stellt im Rahmen der Konstruktionspflicht bzw. des Konstruktionsfehlers nicht nur auf den Stand von Wissenschaft und Technik ab, sondern nimmt sogar ausdrücklich den neuesten Stand von Wissenschaft und Technik in Bezug (s. Kap. 2.1.2.1). Damit hat der BGH eine (ungeschriebene) 4. Stufe innerhalb der Technikstandards aus der Taufe gehoben. Was schließlich das Strafrecht anbetrifft, ist mit jedem Produkthaftungsfall die latente Gefahr eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens verbunden. Vor diesem Hintergrund bestehen enge Bande zwischen zivilrechtlichen Haftungsstandards und der strafrechtlichen Produktverantwortung.11 In diesem Zusammenhang herrscht schließlich Einigkeit darüber, dass die strafrechtliche Pflichtenbestimmung nicht strenger sein darf als die (ohnehin strenge) zivilrechtliche Rechtsprechung zum Produkthaftungsrecht.

Tabelle 2.1 Einteilung der Rechtsordnung und maßgebliche Prüfungsmaßstäbe

Öffentliches Recht

Zivilrecht

Strafrecht

insbesondere Grundgesetz (Verfassung)

insbesondere Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

insbesondere Straftatbestände aus dem Strafgesetzbuch (StGB)

z. B. Produktsicherheitsgesetz

z. B. Kaufrecht

z. B. die §§ 212, 222, 223, 229 StGB

z. B. Maschinenverordnung (9. ProdSV)

z. B. Mietrecht

z. B. § 40 ProdSG (Nebenstrafrecht)

Stand der Technik (Einhaltung des geschriebenen Rechts)

neuester Stand von Wissenschaft und Technik (mindestens Einhaltung des geschriebenen Rechts)

neuester Stand von Wissenschaft und Technik (mindestens Einhaltung des geschriebenen Rechts)

2.4Literatur

Foerste, U./Graf von Westphalen, F.: Produkthaftungshandbuch, 3. Aufl. 2012

Hollmann, H.: Die EG-Produkthaftungsrichtlinie (I), Der Betrieb (DB) 1985, 2389 ff.

Hollmann, H.: Die EG-Produkthaftungsrichtlinie (II), Der Betrieb (DB) 1985, 2439 ff.

Klindt, T./Handorn, B.: Haftung eines Herstellers für Konstruktions- und Instruktionsfehler, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2010, 1105 ff.

Kullmann, H. J.: ProdHaftG, 6. Aufl. 2010

Molitoris, M.: Produkthaftung, in: Heussen/Hamm, Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 11. Aufl. 2016, § 27

Schucht, C.: Zur Bedeutung des Produktrechts für den Maschinen- und Anlagenbau, maschinenrichtlinie aktuell (mrl aktuell) IV/2015, 4 ff.

Seibel, M.: Abgrenzung der „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ vom „Stand der Technik“, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2013, 3000 ff.

Wagner, G.: in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 6, 7. Aufl. 2017, § 823 Rn. 777 ff.

1 Erwägungsgründe zur Richtlinie 85/374/EWG.

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