Praxis des Bobath-Konzepts - Michaela Friedhoff - E-Book

Praxis des Bobath-Konzepts E-Book

Michaela Friedhoff

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Beschreibung

Mit Feingefühl Impulse setzen Aktivierende Pflege von Patienten - Lernen: fundiertes Fachwissen mithilfe von konkreten Handlungsanweisungen und echten Fallbeispielen aneignen - Verstehen: mit 350 Fotos und 30 Filmen die komplexen Handlungsketten nachvollziehen - Mitreden: alles rund um Pflege und Rehabilitation von Menschen mit neurologischen Störungen, zu den physiologischen und pathologischen Vorgängen sowie zur Therapie erfahren - Handeln: pflegespezifisches Know-how in die Praxis umsetzen Plus: - Ergänzung um das Thema "Stroke Unit" - besondere Aspekte des Bobath-Konzeptes in der Betreuung von Patienten während der Akutphase

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Bobath-Konzept in der Praxis

Grundlagen - Handling - Fallbeispiele

Michaela Friedhoff, Daniela Schieberle

3., überarbeitete und ergänzte Auflage

500 Abbildungen

Vorwort

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Das Bobath-Konzept ist ein international verbreitetes Konzept in der Pflege und Therapie von Menschen mit neurologischen Störungen. Die Grundlagen bilden die aktuellen neurophysiologischen Erkenntnisse sowie die umfangreichen Erfahrungswerte. Die Behandlung der Patienten richtet sich nach deren Persönlichkeit, ihrer Biografie und ihren Bedürfnissen.

Die Zusammenarbeit der Therapiebereiche (Pflege, Physiotherapie, Ergotherapie, Neuropsychologie usw.) und die Integration der Angehörigen führen für die Patienten zu einem möglichst hohen Nutzen.

Eine interdisziplinäre Vernetzung der Aktivitäten und eine gemeinsame Sprache sind die Basis, um für jeden Patienten individuelle, dem Alltag angepasste Lernmöglichkeiten zu schaffen.

Jeder Mensch bringt seinen eigenen und individuellen Erfahrungsschatz mit ein. Dies gilt nicht nur für den betroffenen Erkrankten, sondern auch für jeden Angehörigen, Pflegenden, Therapeuten und behandelnden Arzt. Gegenseitiger Respekt und Erfahrungsaustausch schaffen Vertrauen und ermöglichen ein auf den Patienten abgestimmtes Vorgehen: den Menschen annehmen, ihn wertschätzen und vor allem positiv verstärken.

Die Behandlung nach dem Bobath-Konzept unterscheidet sich je nach Art und Schwere der Erkrankung, nach der Lebensphase des Patienten und seinen Zielen. Dies umfasst die Bereiche Körperpflege, An- und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Ausscheidungen, Kommunikation, Anpassung des Umfeldes (Lagerungen im und außerhalb des Bettes, Hilfsmittel usw.), Mobilität und die soziale Integration.

Die Bedürfnisse, Wünsche und Entwicklungsmöglichkeiten des Patienten sind nicht immer eindeutig. Häufig können sie nicht oder nur unzureichend von ihm selbst verbalisiert werden. Die Aufmerksamkeit und das Sicheinlassen auf den Menschen schaffen Zugangswege.

Alle Maßnahmen werden individuell gesehen und entsprechend an den jeweiligen Patienten angepasst. Es gibt keine Schemata für z. B. Lagerungen oder Transferaktivitäten. Es kann nur Prinzipien geben, die dann auf den Einzelnen ihre Übertragung finden. Wer ein Raster beim Patienten anwenden will, wird scheitern!

Uns ist mit den Inhalten dieses Buches wichtig, nicht das Erlernen von Techniken in den Vordergrund zu stellen. Vielmehr wollen wir ein Verständnis für Lernen vermitteln, wollen darin bestärken, dass die Motivation und die Ziele des Patienten den gemeinsamen Weg wesentlich mitbestimmen. Das Buch beschäftigt sich u. a. mit den Themen Lernen und Motivation. Das gilt natürlich für Patienten genauso wie für alle anderen Menschen.

Motivierende Pflege beginnt bei freundlicher Ansprache. Jeder freut sich über ein nettes, ernst gemeintes Wort. Gelingt es, das Interesse eines Menschen zu wecken, wird dieser leichter und schneller lernend zum Ziel kommen. Die Auswahl von für den Patienten relevanten Zielen hat einen entscheidenden Einfluss auf seine Genesung und seine Rehabilitation.

Ständige Überforderung oder ein für den Einzelnen nicht bedeutsames Ziel führen hingegen zu Frustration und Demotivation auf beiden Seiten.

Das Buch ist an alle Menschen gerichtet, die Patienten nach einer zentralen Schädigung betreuen. Die Aufteilung ermöglicht, dass die praktischen Themen separat gelesen werden können. Die Erklärungen sind dort kurz gehalten. In den theoretischen Anteilen werden differenzierte Hintergründe für das praktische Tun vermittelt. Sie ermöglichen zudem ein Verständnis für Verhaltensweisen von Patienten und können Sekundärschäden wie Kontrakturen, Luxationen und Schmerzen minimieren. Folgen im emotionalen und sozialen Bereich von Angehörigen und Patienten sind über die aufgeführten Hintergrundinformationen beeinflussbar.

Wir möchten motivieren, sich mit den Inhalten des Bobath-Konzeptes zu beschäftigen. Wir möchten Mut machen, neue Wege zu gehen. Dieses Buch kann einen Bobath-Pflegekurs sicher nicht ersetzen, kann jedoch neugierig machen auf das Konzept. Es bietet nach einem Bobath-Kurs die Möglichkeit, nachzulesen und weiter zu vertiefen. Viele Handlings und Beschreibungen können in der Praxis ausprobiert werden. Eigenes Ausprobieren und variationsreiches Wiederholen gibt die notwendige Sicherheit für alle Beteiligten. Gemeinsam mit dem Patienten können Strategien zur Bewältigung des Alltags erarbeitet und seine weitere Förderung unterstützt werden.

Das Bobath-Konzept wandelt sich ständig, um aktuelle Kenntnisse und Erfahrungen für die Fortentwicklung aufzunehmen. Gelegentlich geäußerte Kritik bezieht sich in der Regel auf alte Annahmen und Inhalte, die das Konzept früher geprägt haben. Das heute angewandte fortschrittliche Bobath-Konzept bietet für Pflegende und Therapeuten eine bewährte Möglichkeit, Patienten adäquat und umfassend zu fördern.

Die zum Teil geringen Personalressourcen in den Einrichtungen fordern gut geschulte und effizient tätige Mitarbeiter. Therapeutisch Pflegende zeichnen sich durch eine deutlich höhere Berufszufriedenheit aus, was nicht zuletzt dem Patienten zugute kommt. Rückenschonende Arbeitsweisen helfen ihnen, den Arbeitsalltag zu erleichtern und Rückenerkrankungen vorzubeugen. Fundiertes Hintergrundwissen, angepasstes Handling und der gemeinsame Austausch im interdisziplinären Team stärken die Kompetenz der Pflegenden.

Danke

Wir bedanken uns an erster Stelle bei der Leitung der Klinik Holthausen, die uns beiden in den vergangenen Jahren die fachliche und persönliche Entwicklung ermöglicht hat. Insbesondere Herr Prof. Dr. med. W. Ischebeck hat als Ärztlicher Direktor des Hauses die Inhalte der therapeutischen Pflege unterstützt. Durch seine Haltung in der Patientenversorgung, seine Leitideen für das therapeutische Wirken in der Klinik und die hohe Wertschätzung der Pflege konnte der pflegetherapeutische Ansatz in der gesamten Klinik mit 270 Patienten übertragen werden.

Weitere Mitarbeiter des Hauses haben uns in unserem Vorhaben, dieses Buch zu schreiben, unterstützt.

Besonderen Dank gilt Damian Gralla, der uns zu für ihn „unmöglichen Zeiten“ (z. B. morgens um halb acht!) zum Filmen zur Verfügung stand. Damian hat den größten Teil der Fotos und alle Videos für die DVD erstellt. Vielen Dank dafür.

Dr. V. Völzke, leitender Neuropsychologe in der Klinik Holthausen, hat uns immer wieder mit Literatur „gefüttert“. Er hat den ersten Teil des Buches kritisch gegengelesen und wesentlich zur Strukturierung des Buches beigetragen.

Die Mitarbeiter der Station 1b haben Patienten mit ausgewählt, Gespräche mit den Patienten und Angehörigen geführt und Einverständniserklärungen für das Bildmaterial besorgt. Ohne die Einwilligung der Patienten bzw. der Angehörigen wäre es uns nicht möglich gewesen, so zahlreiches Bildmaterial zu erstellen. Die abgebildeten Patienten haben gemeinsam mit uns gearbeitet, geschwitzt und Spaß gehabt. Wir haben viel dazu gelernt. Den Patienten gilt unser besonderer Dank. Danke auch an die BIKA (Bobath-Initiative für Kranken- und Altenpflege) und insbesondere an den Vorstand der BIKA, der eine qualifizierte Ausbildung organisiert hat. Durch ihre Begleitung sind wir in unserem Werdegang zur Pflegeinstruktorin Bobath BIKA gut ausgebildet worden.

Nicht zuletzt gibt es im Privatleben Menschen, ohne deren Unterstützung wir nicht durchgehalten hätten. Stefan Schieberle und Hubert Zimmermann, unsere Ehepartner, haben nicht nur gemeinsame Freizeit entbehrt. Sie haben den Text aufmerksam gelesen und bei schwierigen Formulierungen geholfen.

Aus Gründen der Vereinfachung haben wir für die Anrede „Patient“ die männliche Form und für die Anrede der „Pflege“ die weibliche Form gewählt.

Wir wünschen viel Freude beim Lesen des Buches und sind für Anregungen durch den Leser dankbar.

Hattingen, im Winter 2006/2007

Michaela Friedhoff

Daniela Schieberle

Internetadressen

www.bika.de (Bobath Initiative für Kranken- und Altenpflege, BIKA)

www.Bobath-Konzept-Deutschland.de

www.TAktiP.de

Vorwort zur 3., umfassend überarbeiteten Auflage

Liebe Leserin, lieber Leser,

die erste Auflage der „Praxis des Bobath-Konzept“ haben wir 2007 veröffentlicht. Für die neue Auflage haben wir unsere Erfahrungen, die wir als Autorinnen auch in neuen Arbeitsfeldern zusammengetragen haben, einbringen können. So ist ein Kapitel zu der Akutphase zum Bestandteil der neuen Auflage geworden. Alle Kapitel sind grundlegend überarbeitet und mit aktuellen wissenschaftlichen und handlungsbasierten Erkenntnissen hinterlegt worden. Die wichtigen Anregungen der Menschen, die in den letzten Jahren das Buch gelesen oder unsere Bobath-Kurse besucht haben, sind in die Inhalte eingeflossen. Für diesen wirklich hilfreichen fachlichen Austausch möchten wir uns bei den vielen Personen bedanken. Ein Konzept lebt genau von diesem Weg.

In der Einleitung wird das Strukturmodell (nach Grafmüller-Hell, Eckhardt, Viebrock) vorgestellt. Es bietet eine Antwort auf die Frage, ob das Bobath-Konzept ein Konzept oder eine Methode ist. Verdeutlichen möchten wir damit, dass das Konzept einen übergeordneten Rahmen darstellt, der Ansprüche, Leitgedanken und Grenzen festlegt. Nicht die Technik ist das Entscheidende, sondern die Haltung, das Denken und Handeln der Pflegenden. Kommen alle Faktoren zusammen führt dies zu einer sinnvoll unterstützten und praxisrelevanten Handlungsleitung.

Das Menschenbild, das in diesem Modell auf der Konzeptebene dargestellt wird, ist bio-psycho-sozial, individuell und ethisch geprägt. Die Basis bildet die Annahme des Patienten als gleichwertige, selbstbestimme Person, der wir im wertschätzenden Dialog begegnen. Somit ist in allen Kapiteln die Interaktion mit dem Patienten deutlicher hervorgehoben. Bei den dargestellten Techniken in der sprachlichen und bildlichen Beschreibung ist es unser Anliegen, den sensomotorischen Dialog mit dem Patienten in den Vordergrund zu stellen.

Dem Thema Haltungskontrolle, haben wir eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass die fehlende Haltungskontrolle des Patienten in allen Phasen der Behandlung eine wesentliche Rolle für die Aktivität des Patienten spielt. Sie zu fördern ist von Beginn an möglich und ist für uns eines der wesentlichen Ziele im Alltag der therapeutisch aktivierend Pflegenden.

Es ist ein neues Kapitel zum Thema Herausforderungen im Akutbereich entstanden, in dem die Integration des Bobath-Konzepts anhand zahlreicher Möglichkeiten schon während der Akutphase aufgezeigt wird. Im Alfried Krupp Krankenhaus in Essen Rüttenscheid auf der Station 4b und der Intensivstation sind viele der neuen Bilder entstanden. Wir danken den KollegInnen der Stationen für die tatkräftige Unterstützung. Dadurch konnten wir die Lücke schließen, die mit der Behandlung des Patienten vor der Rehabilitation beginnt.

Besonders möchten wir folgenden Personen danken: Claudia Eckard, Marianne Brune, Heidi Lessig, Nicole Hunsdörfer und Gabi Jacobs, die durch ihre ehrliche Rückmeldung und den fachlichen Austausch unsere Entwicklung mit begleitet haben.

Danke an den Thieme Verlag, Frau Grützner und Frau Köhler, die uns bei dieser Aufgabe geduldig zur Seite gestanden haben.

Geleitwort

Bedingt durch wahrlich revolutionäre Verbesserungen in Diagnostik und Therapie hat es während der vergangenen Jahrzehnte in den neurowissenschaftlichen Fächern enorme Fortschritte gegeben. Zeitgleich wurden in den Grundlagen der Neurowissenschaften Erkenntnisse gewonnen, die sich über die ärztlich-medizinische Therapie hinaus als wichtig und hilfreich erwiesen haben, hier insbesondere die Pflege.

Die sektorale Abgrenzung jedoch zwischen der akuten (stationär und ambulant), der rehabilitativen und der pflegerischen Behandlung hat z. B. in den Akutkliniken zu einer pflegerischen Minder- bzw. Fehlversorgung (kurze Verweildauer, Personalabbau) geführt. Diese alltäglich zu beobachtenden Tatsachen stehen im Kontrast zu der klaren Erkenntnis, dass Pflege als Therapie stetig an Bedeutung gewinnt, besonders in den Rehabilitationskliniken sowie den ambulanten und therapeutischen Bereichen.

In ihrem Buch „Praxis des Bobath-Konzepts“ stellen die Autorinnen Michaela Friedhoff und Daniela Schieberle ihr Konzept von Pflege als Therapie einem Fachpublikum vor. Als Leiterin des Pflegedienstes der Klinik Holthausen hat Frau Friedhoff die Tätigkeit aller Pflegenden als einen der wesentlichen Bausteine des therapeutischen Programms verstanden. So hat sie seit Eröffnung der Klinik vor 14 Jahren mit bewundernswerter Geduld um den jeweiligen besten therapeutischen Ansatz in der Pflege gerungen und ihre stetig wachsende Erfahrung mit großer Konstanz an die Mitarbeiter weitergegeben.

Der Grundgedanke des Ehepaares Bobath ist es gewesen, der medizinisch-ärztlichen Therapie nichtärztliche hinzuzufügen. Dieses Konzept ist in den verschiedenen therapeutischen Berufsgruppen während der letzten Jahrzehnte stetig weiter entwickelt worden.

Dank ihrer umfangreichen Erfahrung in der Akutmedizin und den klinisch-neurowissenschaftlichen Fächern, insbesondere der Neurochirurgie und neurochirurgischen Rehabilitation, ist es Frau Friedhoff und Frau Schieberle mit dem von ihnen entwickelten Pflegeprogramm gelungen, physische Sekundärschäden zu verhindern und den Umgang der Pflegenden mit hirnorganisch sowie neuropsychiatrisch veränderten Patienten zu differenzieren und zu sensibilisieren, was sich besonders für diese spezielle Patientengruppe von entscheidender therapeutischer Bedeutung erwiesen hat.

Die Inhalte des vorliegenden Buches spiegeln die umfassenden Erfahrungen der Autorinnen und sind Ausdruck von beharrlicher Integration neurowissenschaftlichen und medizinischen Wissens sowie der heutzutage so wichtigen Lehre von Pflege als Therapie.

Ich wünsche diesem Buch Erfolg, Erfolg nicht nur in der Pflege, sondern auch in den anderen therapeutischen Fächern. Vielleicht vermag der vorliegende Band sogar zur Überwindung eines sektoralen Denkens beizutragen, welches so gar nicht der Lebenswirklichkeit unserer Patienten entspricht.

Hattingen, Winter 2006

Ärztlicher Direktor

Prof. Dr. med. W. Ischebeck

Institut für klinische Neurochirurgie

Universität Witten/Herdecke u. Ruhr-Universität Bochum

Geleitwort zur 3. Auflage

Die Aussage, Pflege sei ein wesentlicher Beitrag einer professionellen Begleitung und Behandlung von hilfs- und pflegebedürftigen Personen und deren Angehörigen, ist zum politischen Gemeinplatz geworden. Konkrete Versorgungssituationen hingegen haben sich in den letzten Jahren in eine ganz andere Richtung entwickelt. Diese Tendenzen führen zu einer Diskrepanz zwischen öffentlichen Bekundungen und der Versorgungsrealität. Nach wie vor gilt es immer wieder zu verdeutlichen, welchen Beitrag die Profession Pflege bei der Begleitung, Behandlung und Therapie leisten kann.

Innerhalb des Bobath-Konzepts wird seit langem diese Bedeutung einer speziellen professionellen Pflege insb. für die neurologische und geriatrische Früh-Rehabilitation hervorgehoben. Aus der eigenen Berufs-Biografie weiß ich, wie prägend es für die Ausbildung eines beruflichen Selbstbildes sein kann, wenn Pflege als Teil des therapeutischen Teams einen gleichberechtigten Platz einnimmt. Damit einher geht ein Möglichkeits- und Entwicklungsraum, den es als Person während der Betreuung und Pflege. aber auch im interdisziplinären Team einzunehmen gilt. Die Neuauflage des vorliegenden Buches zeigt auf unterschiedlichen Ebenen, wie komplex die professionelle Begleitung und Pflege von Menschen mit neurologischen Störungen ist. Im Bobath-Konzept werden Erkenntnisse und Vorstellungen des motorischen Lernens, der Biomechanik, neurophysiologischer Lern- und Regenerationsfähigkeiten verbunden. Professionell Pflegende können durch das Bobath-Konzept befähigt werden, Bewegungssituationen mit den betroffenen Menschen dem klinischen Bild entsprechend zu gestalten. Neben dem fachlich-kognitiven Wissen benötigen Pflegekräfte Ideen, Techniken und Erfahrung, die es ihnen erlauben, Bewegungsprozesse gemeinsam mit Betroffenen zu gestalten. Wer mit dem Bobath-Konzept arbeitet, kommt Menschen körperlich sehr nah und nutzt den eigenen Körper und vor allem die Hände, um das Gegenüber während der Bewegungsprozesse zu spüren und Impulse zu setzen.

Dieses Buch zeigt, wieviel Wissen, Können und Erfahrung nötig sind, um dieses dann in komplexe pflegerische Alltagssituationen wie z.B. eine Waschung integrieren zu können. Beide Autorinnen beweisen seit vielen Jahren in der Praxis und in ihren Kursen, wie sie sich eine professionelle Betreuung neurologisch erkrankter Menschen unter Bezugnahme auf das Bobath-Konzept vorstellen. Sie verdeutlichen damit die Chancen für eine weitere Professionalisierung eines Pflegebereichs, legen aber auch die damit verbundenen Ansprüche und Herausforderungen dar. Dieses Praxisbuch richtet sich damit an Lernende und Lehrende, die sich mit dem Bobath-Konzept auseinander setzen wollen. Für Praktiker bietet es an vielen Stellen Möglichkeiten, eigenes berufliches Handeln zu reflektieren und durch eigene Erfahrungen zu verfestigen.

Es gilt aber auch: Das Bobath-Konzept wird sich in den nächsten Jahren weiterhin erklären müssen. Auf der wissenschaftlichen Ebene sind noch viele Fragen offen. Die Diskussion gilt es fortzuführen, damit sich eine professionelle Pflegepraxis im neurologischen Bereich weiter entwickeln kann und man nicht zusehends Spielball anderer Entscheidungsträger wird. Wissenschaft impliziert das In-Frage-Stellen von Gegebenheiten und Annahmen, bietet jedoch auch die Chance, sich auf anderen Ebenen Gehör zu verschaffen. Ich wünsche diesem Buch Erfolg und danke den Autorinnen für ihr Engagement und ihren Einsatz in und für die Pflegepraxis. Ich selbst erachte dieses Buch als das Standardwerk für Lernende und Lehrende in der Pflege, die sich mit dem Bobath-Konzept auseinandersetzen wollen.

Prof. Dr. Matthias Zündel

Hochschule Bremen

Professur für Gesundheits- und Pflegemanagement

Neustadtswall 30

28199 Bremen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Danke

Internetadressen

Vorwort zur 3., umfassend überarbeiteten Auflage

Geleitwort

Geleitwort zur 3. Auflage

Teil I Grundlagen des Bobath-Konzepts

1  Einführung

1.1 Geschichte und Entwicklung des Konzepts

1.1.1 Das Bobath-Konzept in der Diskussion

1.1.2 Integration des Bobath-Konzepts ins tägliche Leben

1.2 Das Bobath-Konzept heute

2 Fundamente (Prinzipien) des Bobath-Konzepts

2.1 Aktivierung des Patienten (in Orientierung an normalen Bewegungsabläufen)

2.2 Förderung der Haltungskontrolle (zur Normalisierung des Muskeltonus)

2.3 Förderung der Körperwahrnehmung

2.4 Orientierung an normalen Bewegungsabläufen

2.4.1 Normaler Muskeltonus und Abweichungen

2.4.2 Einflussfaktoren auf den Muskeltonus

3 Neurophysiologische Grundlagen

3.1 Lernen

3.1.1 Physiologische Grundlagen

3.1.2 Lernfähigkeiten

3.1.3 Einflussfaktoren für Lernen

3.1.4 Lernen nach einer Hirnschädigung

3.1.5 Physiologie des Gehirns: Motorische und sensorische Bereiche

3.2 Sensomotorische Systeme

3.2.1 Sensorische Systeme

3.2.2 Wechselseitige Beeinflussung von Motorik und Sensorik

3.3 Motorik und motorische Systeme

3.3.1 Agonist und Antagonist

3.3.2 Tonische und phasische Muskulatur

3.3.3 Kompensation und Assoziierte Reaktionen nach einer zentralen Schädigung

Teil II Pflegetherapeutisches Handeln nach zentralen Schädigungen

4 Neuropsychologische Störungen

4.1 Einführung

4.1.1 Grundlagen der Wahrnehmung und weiteren Verarbeitung

4.1.2 Grundlagen neuropsychologischer Störungen

4.2 Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen

4.2.1 Grundlagen der Aufmerksamkeit und Konzentration

4.2.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen

4.3 Apraxie

4.3.1 Formen der Apraxie

4.3.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen

4.4 Perseveration

4.4.1 Pflegetherapeutische Maßnahmen

4.5 Agnosie

4.5.1 Formen der Agnosie

4.5.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen

4.6 Neglect

4.6.1 Formen des Neglect-Syndroms

4.6.2 Modalitäten des Neglect-Syndroms

4.6.3 Pflegetherapeutische Maßnahmen

4.7 Räumliche Störungen

4.7.1 Fehleinschätzungen relativ zum eigenen Körper

4.7.2 Fehleinschätzungen der Distanz zwischen zwei Körpern

4.7.3 Pflegetherapeutische Maßnahmen

4.8 Pusher-Symptomatik

4.8.1 Kennzeichen der Pusher-Symptomatik

4.8.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen

4.9 Aphasie

4.9.1 Formen der Aphasie

4.9.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen

4.10 Dysexekutives Syndrom

4.10.1 Pflegetherapeutische Maßnahmen

5 Auswirkungen zentraler Schädigungen auf Schulter und Hand

5.1 Anatomische Zusammenhänge des Schultergelenks

5.1.1 Knöcherne Faktoren der Stabilität

5.1.2 Muskuläre Faktoren der Stabilität

5.1.3 Stabilisierende Bänder

5.2 Entwicklung einer schmerzhaften Schulter

5.2.1 Subluxation

5.2.2 Schulterschmerzen

5.3 Pflegetherapeutische Maßnahmen

5.3.1 Handling in Rückenlage

5.3.2 Handling beim Drehen auf die Seite

5.3.3 Handling in Seitenlage

5.3.4 Handling im Sitz

5.3.5 Voraussetzungen für Armhandling

5.3.6 Armhandling beim An- und Auskleiden

5.3.7 Handling im Stand

5.3.8 Handling beim Transfer

5.3.9 Weitere prophylaktische Maßnahmen

5.4 Handsyndrom

5.4.1 Verlaufsstadien

5.4.2 Ursachen

5.4.3 Pflegetherapeutische Maßnahmen

6 Auswirkungen zentraler Schädigungen auf die Hüfte

6.1 Anatomische Zusammenhänge

6.2 Ursachen einer schmerzhaften Hüfte

6.3 Pflegetherapeutische Maßnahmen

6.3.1 In der Rückenlage

6.3.2 Beim Bewegen des Beins

6.3.3 Beim Drehen auf die Seite

6.3.4 In Seitenlage mehr betroffene Seite

6.3.5 Beim Sitzen im Stuhl/Rollstuhl

6.3.6 Beim Gehen

Teil III Bausteine des Bobath-Konzepts in der praktischen Anwendung

7 Bausteine für das Handling

7.1 Einführung

7.1.1 Basisregeln der Bausteine

7.1.2 Übersicht der Bausteine

7.2 Bewegen im Bett

7.2.1 A-Lagerung

7.2.2 Positionieren in Rückenlage

7.2.3 Aufstellen der Beine in Rückenlage

7.2.4 Becken anheben und zur Seite bewegen

7.2.5 Oberkörper zur Seite versetzen

7.2.6 Drehen auf die mehr betroffene Seite

7.2.7 Positionieren auf der mehr betroffenen Seite

7.2.8 Drehen auf den Rücken

7.2.9 Drehen und Positionieren auf die weniger betroffene Seite

7.2.10 135-Grad-Lage

7.2.11 Hochbewegen im Bett

7.3 Sitzen im Bett

7.3.1 Stabiler Sitz im Bett

7.3.2 Asymmetrischer Sitz im Bett

7.3.3 Aufsetzen auf die Bettkante

7.4 Tiefer Transfer

7.4.1 Normaler Bewegungsablauf beim Transfer

7.4.2 Transfer in den Stuhl/Rollstuhl

7.4.3 Transfer zur Toilette

7.4.4 Transfer ins Auto

7.4.5 Besonderheiten

7.5 Sitzen

7.5.1 Voraussetzungen für das Sitzen

7.6 Aufstehen und Stehen

7.6.1 Hilfestellung von vorne

7.6.2 Hilfestellung von der Seite

7.7 Einige Schritte gehen und Transfer über den Stand

7.7.1 Einige Schritte gehen

7.7.2 Transfer über den Stand

7.8 Hineinlegen ins Bett

7.8.1 Unterstützung von vorne

7.8.2 Unterstützung von der Seite

7.8.3 Unterstützung bei schwer betroffenen Patienten

7.8.4 Besonderheiten

7.9 Besondere Aspekte in der Akutphase

7.9.1 Integration des Bobath-Konzepts beim NIHSS

7.9.2 Handling unter besonderen Aspekten

7.9.3 Beziehen eines Bettes

7.9.4 Katheterisieren

7.10 Verbesserung der Haltungskontrolle durch Anlegen eines Rumpfwickels

7.10.1 Anlegen eines Rumpfwickels

7.11 Patienten auf einen Untersuchungstisch bewegen

8 Integration der Bausteine in die AEDLs

8.1 Waschen und Kleiden

8.1.1 Voraussetzungen

8.1.2 Pflegeziele

8.1.3 Allgemeine Kriterien

8.1.4 Waschen und Kleiden im Bett

8.1.5 Waschen und Kleiden vor dem Waschbecken

8.1.6 Duschen und Baden

8.1.7 Spezielle Pflege bei Sensibilitätsstörungen

8.1.8 Spezielle Mundpflege bei hirngeschädigten Patienten

8.2 Essen und Trinken

8.2.1 Störungen der Sensibilität und des Schluckreflexes

8.2.2 Pflegetherapeutische Maßnahmen

8.3 Ausscheiden

8.3.1 Harninkontinenz

8.3.2 Stuhlinkontinenz

8.4 Atmen

8.4.1 Spezielle Pflege von Patienten mit Trachealkanülen

8.5 Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen

9 Fallbeispiele

9.1 Fallbeispiel 1

9.1.1 Pflegerische Befundung und Maßnahmen zwei Tage nach der Aufnahme

9.1.2 Pflegerische Befundung und Maßnahmen nach vier Wochen

9.1.3 Pflegerische Befundung und Maßnahmen nach fünf Monaten

9.2 Fallbeispiel 2

9.2.1 Pflegerische Befundung und Maßnahmen zwei Tage nach der Aufnahme

9.2.2 Pflegerische Befundung und Maßnahmen nach sechs Monaten

9.2.3 Pflegerische Befundung und Maßnahmen nach 10 Monaten

Teil IV Anhang

10 Literaturverzeichnis

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum

Teil I Grundlagen des Bobath-Konzepts

1   Einführung

2  Fundamente (Prinzipien) des Bobath-Konzepts

3  Neurophysiologische Grundlagen

1  Einführung

Zitat

Es muss dem Patienten Freude machen, dass er wieder etwas kann.

Dieses Zitat von Berta Bobath hat seit der Entwicklung des Bobath-Konzepts bis zum heutigen Tag nicht an Bedeutung verloren! Das von Berta Bobath und ihrem Mann Karel entwickelte Bobath-Konzept betrachtet den Menschen in seiner Gesamtheit und reduziert ihn nicht auf seine Defizite. Berta Bobath war ihr Leben lang fasziniert von den Menschen und ihren Bewegungen. Als Therapeutin gelang es ihr, den Patienten während der Behandlung so überzeugend mit einzubeziehen, dass er ungeahnte Fähigkeiten entwickeln konnte.

„Schau zuerst den Patienten an, was er in seinem Alltag kann, erst dann registriere seine Defizite und beginne die Behandlung damit, herauszufinden, warum der Bewegungsablauf gestört ist.“ Dieser Grundgedanke stellt für alle an der Förderung des Patienten beteiligten Menschen eine hohe Herausforderung dar. Eine veränderte Umgebung, eine andere Ausgangsposition, der geistige, seelische und körperliche Zustand sind nur einige wenige Faktoren, warum die Behandlung und pflegerische Unterstützung sich an die wechselnden und individuellen Bedürfnisse täglich anpassen muss. Das Ziel wird dabei nicht aus den Augen verloren. Hieraus erklärt sich, warum Berta und Karel Bobath ihr therapeutisches Vorgehen als Konzept und nicht als feststehende Methode verstanden haben.

1.1 Geschichte und Entwicklung des Konzepts

Berta Bobath, geb. Busse, wurde am 5.Dezember 1907 in Berlin geboren. Ihr Elternhaus war jüdischer Abstammung, worin ihre spätere Emigration nach London begründet ist. Schon früh entdeckte sie ihr Interesse an Musik, Tanz und Gymnastik. Ihre Eltern bezahlten ihre ersten Gymnastikstunden und erlaubten den späteren Besuch der Anna-Herrmann-Schule in Berlin. Diese Schule lehnte den damals üblichen Drill und die im Sportunterricht praktizierten mechanischen Bewegungsübungen ab. Durch das Wahrnehmen eines Zusammenhangs zwischen Körper, Seele und Geist wurde der Individualismus betont. Der Ausdruckstanz fand seinen Einzug. Atmung und Bewegung wurden in Verbindung gebracht und der Zusammenhang zwischen Atmung und Stimme wurde erforscht.

Berta Busse fühlte sich besonders zu Mary Wigman (Begründerin des Ausdrucktanzes) hingezogen, ein Tanz mit und in die Schwerkraft. Die Zusammenarbeit mit Elsa Gindler (Lehrerin an der Anna-Hermann-Schule) hatte auch einen großen Einfluss auf Berta Busse. Sie „unterrichtete keine festen Übungen, sondern forderte ihre Schülerinnen auf, die Beziehung zwischen Haltung, Bewegung, Geist und Seele herauszufinden. Sie erkannte die Bedeutung von Fühlen und Empfinden.“ (aus Biewald, 2004).

Diese Gesichtspunkte finden sich bis heute im Bobath-Konzept wieder. Auch Berta Busse unterrichtete ab 1926 an der Anna-Hermann-Schule, bis sie diese aufgrund ihrer jüdischen Abstammung 1933 verlassen musste. Die Emigration nach London folgte 1938.

Karel Bobath wurde 1905 in Berlin geboren. Er war auch jüdischen Glaubens mit ungarisch-tschechischer Abstammung. Er lernte Berta Busse im Alter von 16 Jahren im Sportverein kennen. Sie besuchte ihn oft in seinem sehr musikalischen Elternhaus. Karel studierte Medizin und war 1933 gezwungen, in die Tschechoslowakei zu fliehen. In Deutschland war ihm die Approbation und Promotion aberkannt worden, sodass er diese Prüfungen erneut ablegen musste. 1939 floh er nach England, wo er Berta Busse wieder traf. Sie heirateten 1941 in London.

Berta Bobath behandelte Patienten mit pflegerischer Gymnastik in verschiedenen Krankenhäusern. Ihre Behandlungen schlossen das bewusste Gefühl für Bewegung (das Spüren und die Kontrolle), die Persönlichkeit des Menschen und eine ganzheitliche Sichtweise mit ein. Sie behandelte Kinder und Erwachsene. 1950 bestand sie ihren Abschluss zur Physiotherapeutin. Sie beschäftigte sich mit den Fragestellungen: Wie geht Bewegung leicht? Wie kann ich andere Menschen in ihrer individuellen Bewegung begleiten?

Berta Bobath hat empirisch (also rein auf Erfahrung beruhend) festgestellt, dass sich „Spastik“ beeinflussen lässt. Sie hat sich nicht mit dem bestehenden Zustand bei einem Patienten nach einer Schussverletzung des Kopfes mit nachfolgender Hemiparese zufrieden gegeben. Sie hat dafür gesorgt, dass die betroffene Seite mit einbezogen wurde und nicht unmittelbar nach dem Ereignis kompensatorisch geübt und behandelt wurde. Dieses publizierte Berta Bobath zu einer Zeit, wo die Erkenntnisse über Neuroplastizität noch nicht vorlagen und eine Erklärung ermöglicht hätten. Ihre empirischen Aussagen wurden erst Jahre später durch neue Erkenntnisse untermauert.

Neurowissenschaftlich ging man Anfang der 30er Jahre davon aus, dass das zentrale Nervensystem hierarchisch aufgebaut ist. Der Kortex des Großhirns steuert alle untergeordneten Zentren wie das Zwischenhirn, das Mittelhirn, das Stammhirn und das Kleinhirn. Gibt es also eine Störung im Kortex, so erhalten die „unteren“ Zentren keine Befehle mehr und können aus diesem Grund nicht mehr ihren Aufgaben nachkommen. Aus diesen Vorstellungen heraus haben sich Gedanken und therapeutische Ansätze entwickelt. Spastik wurde als Reflex gesehen und entsprechend waren reflexhemmende Lagerungen und Behandlungen Interventionen, die dem zu entgegnen versuchten. Aus dieser Zeit heraus haben sich die Lagerungen in „reflexhemmenden“ Positionen entwickelt, die nicht nur während der Therapiezeit, sondern auch in Ruhezeiten ihre Anwendung fanden.

Diese Form der Behandlung war von Berta Bobath nie gelehrt und schon gar nicht gewollt. Der Wissenstand zu diesem Zeitpunkt bezog sich auf Reflexhemmung, aber niemals auf eine starre Methode, Menschen in eine Position zu bringen und sie dort zu halten. Sie hat immer Wert darauf gelegt, den Menschen in seiner Gesamtheit zu sehen und ihn in die Therapie mit einzubeziehen.

Die Neurowissenschaft hat sich in den folgenden Jahren schnell weiterentwickelt und so kamen mit neuen Erkenntnissen über die Zusammenhänge des Gehirns auch neue therapeutische Ansätze dazu. Das Gehirn als kommunizierendes System (Systemmodell) zu verstehen, eröffnete vollkommen neue Herangehensweisen und ermöglichte mehr Behandlungsansätze. Dennoch blieben und bleibt das Grundkonzept des Bobath-Konzepts bestehen. Muskeltonus, insbesondere Haltungstonus lässt sich beeinflussen und über die Kenntnisse der normalen Bewegung lassen sich Handlungsabläufe durch eine Förderung der Körperwahrnehmung wieder erlernen.

Berta Bobath eröffnete gemeinsam mit ihrem Mann 1951 ein Zentrum für Kinder mit zentralen Bewegungsstörungen. Dort behandelten sie Kinder mit zum Teil sehr schweren Behinderungen. Sie schaffte es, die hohen Tonusverhältnisse zu verändern, sodass diese Kinder von ihren Eltern leichter gepflegt werden konnten oder sie z. B. durch einen verbesserten Sitz aktiver am Leben teilnehmen konnten. Berta Bobath bildete zusätzlich Physiotherapeuten in ihrem Konzept aus. Ihr erster Ausbildungsgang startete mit sechs Therapeuten.

Während der Fortbildungen und Vorträge, die Karel und Berta Bobath in den folgenden Jahren beinahe weltweit hielten, wurde an Berta Bobath immer wieder die gleiche Frage gerichtet: „Woran erkennen Sie, ob das, was Sie tun, das Richtige ist?“ Darauf antwortete sie: „Ob das, was Sie tun, das Richtige für den Patienten ist, zeigt die Reaktion des Patienten auf das, was Sie tun.“

Schon zu diesem Zeitpunkt stand die Reaktion des Patienten, die Antwort des Individuums mit all seinen biografischen Daten im Vordergrund. Fast spielerisch hat Berta Bobath Menschen in Bewegung gebracht.

1.1.1 Das Bobath-Konzept in der Diskussion

Die Förderung der mehr betroffenen Seite stand so sehr im Vordergrund, dass einige Schüler von Berta Bobath daraus leider Dogmen erschufen. Es gab Verbote, der Patient durfte sich nicht mit der besseren Seite helfen oder wurde in seinem Bewegungsdrang gebremst, weil er noch kompensatorische Komponenten aufwies.

Diese Fehlinterpretationen hängen dem Konzept noch heute negativ an. Von Kritikern werden alte Beispiele herangezogen, statt sich auf die vielen professionellen Menschen und aktuelle Literatur und Studien zu konzentrieren. Es gibt zahlreiche Pflegende und Therapeuten, die in Beziehung mit dem Patienten treten und das Bobath-Konzept anwenden. Sie haben über Jahre Erfahrungen gesammelt und schwer betroffenen neurologischen Patienten zu einer Teilhabe am Leben verholfen. Die kompensatorischen Aspekte werden beobachtet und sie werden zugelassen, wenn es dem Patienten zunächst zu einer Aktivität verhilft. Anschließend wird gemeinsam mit dem Patienten erarbeitet, welche muskulären und propriozeptiven Anteile evtl. noch nicht ausreichend sind und durch gezielte Förderung die Kompensation verringern können. Das alles geschieht immer bezogen auf den betroffenen Menschen. Dabei spielen Alter, vorherige Lebens- und Bewegungserfahrungen, soziales Umfeld und die Ziele des Patienten eine wesentliche Rolle.

1.1.2 Integration des Bobath-Konzepts ins tägliche Leben

Schon 1990 wies Berta Bobath darauf hin, dass jede gemeinsame Tätigkeit mit dem Patienten in Beziehung zu alltäglichen Situationen gebracht werden sollte. Nur so hat er die Möglichkeit, in der Behandlung erarbeitete Inhalte in seine tägliche Routine zu integrieren.

Berta Bobath hat schon früh Pflegende und Angehörige in ihre Arbeit mit einbezogen und angeleitet. In der Regel beschränkt sich das Therapieangebot für den Patienten auf einen Bruchteil des Tages. Therapeutisch geschulte Pflegende und Angehörige haben die bedeutsame Aufgabe, die erarbeiteten Ressourcen des Patienten in seinen Alltag zu integrieren und zu festigen. Dies geschieht in allen Aktivitäten des täglichen Lebens. Die Gestaltung der Körperpflege, einzelne Bewegungsübergänge, die Positionierung auf einem Stuhl oder im Bett, die Nahrungsaufnahme, Kommunikation usw. werden zielorientiert gemeinsam mit dem Patienten durchgeführt. Dadurch finden zahlreiche Wiederholungen statt und das Gelernte kann sich verfestigen. Dem Patienten wird dadurch ein größeres Lernangebot gemacht und er kann schnellere Fortschritte erleben. Seine Motivation wird gesteigert. Die Grundlagen des Bobath-Konzepts bleiben unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung bestehen. Die Pflegende ermöglicht dieses durch adäquates Handling und lernt, sich im richtigen Moment unterstützend einzubringen bzw. zum richtigen Zeitpunkt die Hilfestellung abzubauen. In diesem Dialog sind beide Partner gleichberechtigt und gehen aufeinander ein.

1.2 Das Bobath-Konzept heute

Die Notfallversorgung hat sich in den letzten Jahren sehr entwickelt. So können heute zahlreiche Menschen, die schwerst akut erkranken, gerettet werden, da bessere und schnellere diagnostische und therapeutische Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Mit diesen Entwicklungen gehen allerdings auch Veränderungen, die die Symptomatik des Patienten betreffen, einher. Diese Tatsache sowie die zahlreichen Erkenntnisse in der Neurophysiologie haben zusammen mit den Erfahrungen zur Weiterentwicklung des Konzepts beigetragen.

Hat Berta Bobath zu ihrer Zeit überwiegend Patienten mit hohem Muskeltonus behandelt, überwiegen heute, insbesondere in der frühen Behandlungsphase , schlaffe muskuläre Verhältnisse. Ebenso bedarf es der Betreuung und Behandlung schwerst betroffener Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung über Jahre in vollständiger Abhängigkeit von anderen Menschen bleiben. Die Prinzipien des Bobath-Konzepts verändern sich dadurch nicht, jedoch verlagern sich Behandlungsschwerpunkte.

Das Strukturmodell (Grafmüller-Hell, Eckhard, Viebrock) bietet eine Antwort auf die Frage, ob das Bobath-Konzept eine Methode oder ein Konzept ist und was handlungsleitend im pflegerischen bzw. therapeutischen Alltag ist.

Abb. 1.1 Strukturmodell als theoretisches Rahmenmodell für die Vorgehensweise im Bobath-Konzept.

(nach Grafmüller-Hell et al. Das Bobath-Konzept und Evidenz Basierte Medizin, Vereinigung der Bobath-Therapeuten Deutschlands e.V., 2011)

In diesem Strukturmodell wird insbesondere dargestellt, dass das Konzept einen übergeordneten Rahmen darstellt, der Ansprüche, Leitgedanken und Grenzen festlegt. Die in der täglichen Praxis auftretenden Handlungsfelder werden in diesem Rahmen anhand wissenschaftlicher Fragestellungen differenziert, eingegrenzt und begründet.

Wenn die Grundlagen des Konzeptes klar dargestellt sind, lassen sich Prinzipien generieren. Wenn Prinzipien als Leitsätze vorhanden sind kann abgleitet werden, nach welchen Methoden gehandelt wird, die sich auch in einzelnen spezifischen Techniken ausdrücken können. Die einzelnen Komponenten Konzept, Prinzip, Methode, Technik bilden eine Einheit in einem komplexen, dynamischen System (Welling, Alfons). Nicht die Technik ist das entscheidende, sondern die Frage nach dem „Warum“? Was ist in der spezifischen Situation handlungsleitend für den Pflegenden oder Therapeuten, was beeinflusst seine Denk- und Entscheidungsprozesse? (vergl. G. Eckhardt in PT Zeitschrift, 1.2013)

Den zentralen Ausgangspunkt bildet das Konzept mit klaren, eindeutigen Begriffen. Das theoretische Wissen (dargestellt im Kapitel 2: Fundamente des Bobath-Konzepts), das Erfahrungswissen (fließt in alle Kapitel ein), das eigene Menschenbild sowie die Prinzipien (Kapitel 2–6), Methoden und Techniken (Kapitel 7 und 8) stehen in Wechselwirkung zueinander und lenken das Handeln der Pflegenden.

Im Dialog mit dem Patienten steht für die Pflege heute im Vordergrund:

Die Aktivierung zur größtmöglichen Selbständigkeit für Alltagshandlungen durch die:

Förderung der Haltungskontrolle (Kernstabilität) des Patienten und damit die

Anbahnung von kontrolliertem Tonusaufbau für selektive Bewegungen und

der Schutz der Gelenke.

Die einzelnen Bausteine für das Handling bilden gemeinsam mit dem theoretischen Hintergrund die Basis. Die Integration der Bausteine ist individuell, die Prinzipien, die Fundamente des Bobath-Konzepts, haben jedoch immer Bestand.

Die Förderung der Eigenaktivität des Patienten steht unter Berücksichtigung folgender Fähigkeiten:

emotionale Fähigkeiten

kognitive Fähigkeiten

posturale Fähigkeiten (Aktivierung von Muskulatur für Haltungskontrolle im Schwerkraftfeld zur Bewältigung einer ▶ Aufgabe

biomechanische Fähigkeiten (Ausrichtung der Muskeln, Faszien und Gelenke)

perzeptive Fähigkeiten (Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung▶ Link

Die Anwendung des Bobath-Konzepts eignet sich für alle Patienten mit Bewegungseinschränkungen insb. mit neurologischen Erkrankungen.

Abschließend und zusammenfassend möchten wir Berta Bobath zu Worte kommen lassen:

Zitat

„Jeder Therapeut arbeitet anders mit seinen Erfahrungen und mit seiner Persönlichkeit. Das ist gut und kreativ. Aber wir alle bauen unsere Behandlung auf demselben Konzept auf, und dieses Konzept ist so weit reichend und offen, dass es uns ermöglicht, weiter zu lernen und der kontinuierlichen Entwicklung wissenschaftlicher Forschung – auch bei Veränderung der klinischen Bilder – folgen zu können.“ (Berta Bobath 1984)

2 Fundamente (Prinzipien) des Bobath-Konzepts

Berta Bobath hielt es schon sehr früh für notwendig, auch Pflegende entsprechend ihrer gemachten Erfahrungen zu schulen, da sie wesentlich am Genesungsprozess beteiligt sind und viel Zeit mit den Patienten verbringen. Bei Beachtung der Prinzipien des Bobath-Konzepts haben die Pflegenden in ihrem Alltag eine Vielzahl an Möglichkeiten, den Patienten zu fördern und Sekundärschäden zu verhindern.

Das Bobath-Konzept basiert auf der lebenslangen Fähigkeit des Nervensystems sich zu verändern und anzupassen (s. ▶ Plastizität). Alle Einflüsse aus der Umwelt, geplant oder ungeplant, haben Auswirkungen auf unser zentrales Nervensystem und führen damit zu Veränderungen. Plastizität bedeutet die Möglichkeit zu lernen. Lernen setzt Aufmerksamkeit und Motivation voraus.

Merke

Die Aufgabe der Pflege ist es, den kranken Menschen in seinen Alltagsaktivitäten zu fördern, um seine Selbstständigkeit zu verbessern. Dabei sind die Bedürfnisse des Patienten und seine individuellen Ziele unbedingt zu berücksichtigen. Basierend auf theoretischen Hintergründen und praktischen Möglichkeiten des Bobath-Konzepts hat die Pflegende die Aufgabe, in Interaktion mit dem Patienten eine ressourcenorientierte, fördernde Pflege durchzuführen, die dem kranken Menschen eine möglichst weitgehende Rückführung in den Alltag ermöglicht, ihn aus seiner Resignation und seinem Rückzug befreien können und ihm neuen Lebensmut bieten.

Fundamente des Bobath-Konzepts Im Mittelpunkt des Bobath-Konzepts steht die Unterstützung des Patienten bei den Aktivitäten des täglichen Lebens.

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