Praxishandbuch Geschäftsmodell-Innovationen - Christian Müller-Roterberg - E-Book

Praxishandbuch Geschäftsmodell-Innovationen E-Book

Christian Müller-Roterberg

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Beschreibung

Neue Geschäftsmodelle sollen Antworten auf nie gestellte Fragen zu Problemen geben, auf deren Lösungen alle warten. Dieses Buch ist für Gründer und Manager, die sich mit Innovationen von Geschäftsmodellen direkt oder auch indirekt auseinandersetzen dürfen. Sie finden unzählige Tipps, Empfehlungen, Checklisten und Methoden in diesem Buch, wie Sie neue Geschäftsmodelle identifizieren, analysieren, entwickeln, verändern und steuern können.

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

Geschäftsmodell- Innovationen intiieren

2.1 Strategisch-planerische Vorgehensweise

2.2 Explorative Vorgehensweise

2.3 Initiierung von Innovationsprojekten

Geschäftssituation analysieren

3.1 Umfeldanalyse

3.2 Unternehmensanalyse

3.3 Ganzheitliche Analysemethoden

Geschäftsideen generieren

4.1 Erkennen unternehmerischer Gelegenheiten

4.2 Kreative Methoden

4.3 Kundenorientierte Methoden

4.4 Business Model Canvas

4.5 Lean-Canvas-Ansatz

4.6 Entwicklung von nachhaltigen Geschäftsmodellen

4.7 Musterbasierte Entwicklung von Geschäftsmodellen

4.8 Blue-Ocean-Strategie

Geschäftsmodelle testen

5.1 Prinzipien der Lean-Startup-Methode

5.2 Nutzen von Testverfahren

5.3 Vorgehensweise

5.4 Testmethoden

5.5 Einwände gegen die Lean-Startup-Methode

5.6 Umsetzungstippps

Geschäftsplan erstellen

6.1 Geschäftsplanung

6.2 Ziele und Anforderungen bei einem Businessplan

6.3 Bestandteile des Businessplans

6.4 Bewertung von Businessplänen

6.5 Finanzierung von Innovationen

Geschäftsmodell auswählen

7.1 Bewertungstechniken für die Grobauswahl

7.2 Mehrdimensionale Verfahren

7.3 Kapitalwertverfahren

Geschäftsmodell implementieren und steuern

8.1 Geschäftsmodell strukturell verankern

8.2 Implementierung eines neuen Geschäftsmodells

8.3 Steuerung des Geschäftsmodells

Zehn Erfolgsfaktoren für Geschäftsmodell- Innovationen

Glossar

Literaturverzeichnis

Vorwort

Für wen ist dieses Buch?

Dieses Buch ist für Gründer und Manager, die sich mit Innovationen direkt oder auch indirekt auseinandersetzen dürfen. Wenn ich im gesamten Buch sprachlich immer die männliche Form verwende, dann ist dies, liebe Leserinnen und Leser, ausschließlich und notgedrungen der besseren Lesbarkeit geschuldet. Denn: Innovationen leben von der Diversität in allen möglichen Formen und Facetten!

Welchen Nutzen können Sie aus diesem Buch ziehen?

Sie finden unzählige Tipps, Empfehlungen, Checklisten und Methoden in diesem Buch, wie Sie neue Geschäftsmodelle identifizieren, analysieren, entwickeln, verändern und steuern können. Wenn Sie nur ein paar dieser Tipps umsetzen können, hat sich Ihre zeitliche und finanzielle Investition in dieses Buch gelohnt. Und Sie werden mehr als nur ein paar Tipps gebrauchen können, garantiert! Mit dem Symbol werden weitere Literaturtipps im Anschluss an einige Kapitel gegeben. Empfehlungen zu interessanten Internet-Seiten finden Sie mit dem folgenden Symbol gekennzeichnet:

Dieses Buch wirbt dafür, dass Sie Geschäftsmodell- Innovationen als einen Prozess verstehen, der permanent durchlaufen wird. Innovationsanstrengungen sind wie eine Endlos-Schleife. Daher verfolgen Sie dem „Infinite Loop of Innovation“:

The infinite Loop of Innovation

Innovationen sind im Sinne dieses „Infinite Loop of Innovation“ nie perfekt, sondern gedeihen durch das permanente Feedback von Kunden. Dieses Buch ist ebenso wenig perfekt, sondern lebt, liebe Leser, von Ihrem Feedback. In diesem Sinne freue ich mich auf Ihre Rückmeldungen, damit dieses Buch kontinuierlich besser werden kann: [email protected]

Danksagung: Mein besonderer Dank geht an Frau Anna-Maria Stock, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Ruhr West, die einen ersten Entwurf mit viel Engagement und Fachexpertise redigiert hat.

Für Gertrud und Bernhard

Für Kerstin, Leonard und Maximilian

Danke für den Weg voller Glück,

den Ihr mit mir geht und gehen werdet.

Danke für die liebvollen Hände,

die mir immer so hilfreich sind.

Danke für Eure Liebe und Unterstützung.

1

Einleitung

1Einleitung

„Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.“— Henry Ford

In den vergangenen Jahren hat sich in Forschung und Praxis zunehmend die Bedeutung von Geschäftsmodell-Innovationen herausgestellt (vgl. u. a. Amit/Zott (2012), Chesbrough 2006, Gassmann et al. (2017), Johnson/Christensen (2008), Massa/Tucci (2014), Schallmo (2013 und 2015a/b). Bevor in den anschließenden Kapiteln mit Tipps & Tools ausführlich die Entwicklung von erfolgreichen Geschäftsmodell-Innovationen erläutert wird, soll im Folgenden kurz darauf eingegangen werden, was man unter Geschäftsmodell-Innovationen versteht, welche Relevanz sie tatsächlich für die unternehmerische Praxis haben und wie in der Gesamtschau ein Innovationsprozess aussehen kann. Letzteres wird schrittweise in den weiteren Kapiteln beschrieben.

Unter einem Geschäftsmodell (Business Model) soll die modellhafte Beschreibung der Art und Weise verstanden werden, wie ein Unternehmen für bestimmte Kunden einen Wert schafft, diesen erstellt und liefert sowie davon nachhaltig wachsende Erlöse erwirtschaftet (vgl. Osterwalder/Pigneur (2010), S. 14). Das Geschäftsmodell ist damit die Umsetzung und Konkretisierung einer Strategie und stellt das Bindeglied von Strategie zu den einzelnen Geschäftsprozessen dar (vgl. Osterwalder/Pigneur (2010), S. 2; Bieger/Reinhold (2011), S. 25).

In Ergänzung sind auch die Begriffe Geschäftsidee, Geschäftsmodell-Innovationen sowie Geschäftsplan wie folgt im Sinne einer praxisorientierten Definition zu verstehen:

Die Geschäftsidee betrifft nur einen Teil des Geschäftsmodells (wie z. B. eine Idee für eine Produkt- oder Dienstleistungsinnovation) und kann zugleich Anstoß für eine Geschäftsmodell-Innovation darstellen (s. u.).

Eine Geschäftsmodell-Innovation soll in Abgrenzung zu Produkt-, Dienstleistung-, Verfahren- und sozialen Innovationen (s. u. grauer Kasten) gleichzeitig immer auch eine Änderungen von mehreren Elementen eines Geschäftsmodells umfassen (vgl. Gassmann et al. (2017), S. 7, Labbé/Mazet (2005), S. 897f sowie Lindgardt et al. (2009), S. 2), und dabei stets einen gewissen Neuigkeitsgrad enthalten – entweder in seinen einzelnen Elementen oder als Ganzes gesehen (vgl. Bjôrkdahl/Holmén (2013)).

Der Geschäftsplan (Businessplan/ Business Case) schließlich ist das schriftlich dokumentierte Konzept eines Geschäftsmodells und gibt zusätzlich Auskunft über Schritte der Umsetzung und Finanzierung.

Was versteht man unter Geschäftsmodell-Innovationen?

Innovationen lassen sich nach ihrem Gegenstandsbereich differenzieren. Hier gibt es die folgenden Arten von Innovationen:

Produkt-Innovationen sind Innovationen eines physisch greifbaren Produktes.Dienstleistung-Innovationen sind immaterieller Art und stellen Veränderungen in der Dienstleistungsbranche dar.Verfahren-/Prozess-Innovationen sind geplante Veränderungen im Prozess der Faktorenkombination (Herstellung/Leistungserstellung). Sie dienen der Erhöhung der Arbeitsproduktivität (Effizienz) und wirken unmittelbar auf der Angebotsseite.Soziale/organisatorische Innovationen umfassen Veränderungen in der Arbeitsorganisation und in sozialen Bereichen. Diese Art von Innovationen findet man auch unter der Begrifflichkeit „administrative Innovation“. Beispiele für diese Art von Innovationen sind neue Vergütungs- oder Beteiligungssysteme, Erweiterung von Aufgabenbereichen, Prämiensysteme, soziale Leistungen und/oder Weiterbildungsaktivitäten.Geschäftsmodell-Innovationen sind bewusste Veränderungen bestehender oder Schaffung neuer Geschäftsmodelle. Dabei geht es um die Erlangung eines Wettbewerbsvorteils durch die Differenzierung gegenüber Konkurrenten. Ein Geschäftsmodell beschreibt, wie das Unternehmen Nutzen- und Wertsteigerungen beim Kunden erzeugen kann und wo die Erfolgspotenziale einer Geschäftsidee in Umsatz-, Kosten- und Ertragshinsicht sind. Geschäftsmodell-Innovationen sind tiefgreifende, strategische Innovationen, da sie die grundlegende Struktur eines Geschäftes verändern.

Da ein Geschäftsmodell per Definition immer ein Unternehmen in seiner Gesamtheit oder zumindest einen ganzen Geschäftsbereich umfasst, wäre die Implementierung mehrerer komplett verschiedener Geschäftsmodelle eine komplizierte und komplexe Aufgabe. Nur ein Geschäftsmodell pro Geschäftsbereich bzw. Unternehmen ist daher zu empfehlen (vgl. Johnson (2010), S. 167).

Gleichwohl können in einzelnen Elementen und Gestaltungsoptionen, je nach Gegenstand der Innovation, sowie Kundensegment, unterschiedliche Ausprägungen sinnvoll sein. So können für das gleiche Produkt bei unterschiedlichen Zielgruppen völlig andere Arten der Kundenbeziehung bzw. der Vertriebs- und Kommunikationskanäle notwendig sein. Zudem erfordern radikale und disruptive Innovationen häufig ein neues Geschäftsmodell, d. h., letztlich sind diese (häufig aber nicht immer!) zugleich auch Geschäftsmodell-Innovationen.

Die Bedeutung von Geschäftsmodell-Innovationen für die unternehmerische Praxis ist in der Forschung weit anerkannt (vgl. Amit/Zott (2001), Chesbrough (2006)). Erste Studien geben Hinweise, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen Geschäftsmodell-Innovationen und Wachstum bzw. Erfolg eines Unternehmens gibt (vgl. Massa/Tucci (2014), Reinhold et al. (2011), Amit/Zott (2012), Stähler (2002)).

Die Boston Consulting Group postuliert in einer Studie, dass Innovationen an Geschäftsmodellen fünffach erfolgreicher seien als Produkt-/Dienstleistungsinnovationen (Lindgardt et al. (2009)). Eine Studie von IBM berichtet in ähnlicher Weise von Geschäftsmodell-Innovationen, und veranschaulicht hier ein jährliches Gewinnmargenwachstum von mehr als 5% - ebenfalls das Fünffache der Produkt-/Dienstleistung-Innovationen (IBM 2006). Johnson/Christensen (2008) identifizierten, dass 40% der Unternehmen, die in den letzten 25 Jahren in die Liste der weltweit 500 umsatzstärksten Unternehmen (Fortune Global 500-Unternehmen) aufgenommen wurden, dieses durch Innovation ihres Geschäftsmodells erreicht hätten.

Clayton Christensen von der Harvard Business School entwickelte in diesem Zusammenhang die Theorie der disruptiven Innovation, welche erklärt, dass besonders Startup-Unternehmen Geschäftsmodelle mit disruptiven Charakter in eine etablierte Branche einführen (Hintergrundinformationen zur Theorie der disruptiven Innovation siehe nachfolgender grauer Kasten).

Theorie der disruptiven Innovation

Aus den Erkenntnissen über Muster der Industrieevolution hat der US-amerikanische Wissenschaftler Christensen (1997) erkannt, dass sog. disruptive Innovationen häufig nicht von den etablierten Unternehmen selbst kommen, sondern von neuen „Spielern“ wie z. B. Startup-Unternehmen eingeführt werden. Die etablierten Unternehmen nehmen sich die neue Technologie dabei jedoch viel später an oder sogar zu spät, um selbst noch überleben zu können. Christensen spricht hier von einem Dilemma disruptiver Innovationen für etablierte Unternehmen. Denn es gibt durchaus auch rationale Gründe, die gegen einen schnellen Wechsel zu noch nicht leistungsfähiger Technologie sprechen (Christensen (1997)). Die disruptiven Innovationen erzielen häufig zunehmend Wettbewerbsvorteile durch Einfachheit, Bequemlichkeit, Benutzerfreundlichkeit, Zugänglichkeit und einem günstigen Preis für den Kunden. Christensen beschreibt diesen disruptiven technologischen Wandel in acht Phasen wie folgt (Quelle: Matzler/von den Eichen (2012), S. 55 in Anlehnung an Christensen (1997)):

Technologien entwickeln sich schneller als Marktbedürfnisse.Etablierte Unternehmen neigen zum „Overengineering“.Die Enstehung eines Marktvakuums für einfache, billige Produkte, die den Kundennutzen neu definieren, geht vonstattenDisruptive Innovationen sind einfacher, billiger und/oder komfortabler.Sie erfüllen zunächst nicht die Qualitätsanforderungen des Massenmarktes.Sie sind zunächst nur für ein kleines Marktsegment attraktiv.Ihre Weiterentwicklung führt dazu, dass sie bald die Mindestanforderungen im Massenmarkt erfüllen.Etablierte Unternehmen ignorieren sie, bis es zu spät ist.

Die Erklärung für die Probleme von etablierten Unternehmen und Marktführern bei disruptiven Innovationen sind vielfältig. Dies kann zum einen an (eher irrationalen) kulturellen/psychologischen Gründen liegen wie z. B an der Arroganz und Gewöhnung des derzeitigen unternehmerischen Erfolges sowie am Sicherheits- und kurzfristigen Denken von Managern.

Es kann aber auch ökonomische Gründe geben: Das Aufgeben von Kompetenz, welche in der Vergangenheit Marktführerschaft gesichert hat, ist sehr risikobehaftet und kann den Verlust der Investition in Form von Personen, Maschinen, Know-how etc. bedeuten. Zudem zwingt die Kostenstruktur von etablierten Unternehmen (insbesondere durch hohe Fixkosten) häufig zu einer Erschließung großer Märkte, wohingegen Märkte aus disruptiven Technologien zu Beginn oft sehr klein sind. Es ist daher nur rational, ein konsequentes Marketing und Kundennähe, orientiert am „Durchschnittskunden“ (Masse), zu betreiben. Der Schwerpunkt auf Kostensenkungen, Effizienzsteigerungen, Optimierungen bestehender Prozesse, sowie die Betonung von inkrementellen Innovationen gehen damit einher. Diese Orientierung schlägt sich nieder in einer entsprechenden „Innovationskultur“, welche letztlich wiederum die oben genannten kulturellen-psychologischen Gründe erklärt.

Aus diesen Erkenntnissen von Christensen (1997) lassen sich folgende (allgemeine) Empfehlungen ableiten:

Vermeidung von strategisch-systematischer Suche neuer Märkte und neuer Technologien (der Einsatz explorativer Vorgehensweisen s. Kapitel 2.2, sowie der Lean-Startup-Methode s. Kapitel 5.1, sind hier besonders zu empfehlen).Vermeidung von zu quantitativer und gegenwartsorientierter Bewertung neuer Technologien bzw. Innovationen.Vermeidung von zu starker Orientierung der bestehenden, gegenwärtigen „Durchschnittskunden“.Nicht nur rein produktorientiert denken, sondern in Betracht ziehen, auch das gesamte Geschäftsmodell zu innovieren (s. Kapitel 4.4).Keine klassische Kundensegmentierung z. B. nach demografischen Faktoren (Alter, Geschlecht etc.) vornehmen, sondern sich das sog. „Jobs-to-be-done“-Konzept (s. Kapitel 4.3.1) bewusst machen.Zunächst erfolgt ein Blick in die Nische (neue Märkte) und dann erst auf den Aufbau eines Massenmarktes.Neue Märkte, Technologien, Produkte und Dienstleistungen nicht mit den bestehenden Prozessen und Werten entwickeln, sondern die Prozesse und Strukturen den disruptiven Innovationen unterwerfen.

Aufgrund der wichtigen Bedeutung neuer (disruptiver) Geschäftsmodelle setzen sich zahlreiche Unternehmen das Ziel, ihre Innovationsanstrengungen bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen zu steigern (vgl. Johnson (2010), IBM Corporation (2006), Höhmann (2014)). Heutzutage ist die alleinige Fokussierung auf Produkt- und Prozess-Innovationen jedoch nicht ausreichend. Aus einer Branchenperspektive kann vermutet werden, dass entsprechend des Modells von Abemathy/Utterback (vgl. Abernathy/Utterback (1978), Utterback (1994)), die Innovationsrate im Zeitverlauf durch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle gesteigert werden muss (s. auch Müller-Roterberg (2018a)). In der nachfolgenden Abbildung ist das Branchenentwicklungs-Modell nach Abernathy/Utterback in Anlehnung an Massa/Tucci (2014) mit einer Kurve für Geschäftsmodell-Innovationen, ergänzt worden.

Abbildung 1: Branchenentwicklungs-Modell nach Abernathy/Utterback (1978) ergänzt um Geschäftsmodell- Innovationen

Produkt- Innovationen und in der Folge Prozess-Innovationen können nur temporär die Innovationsrate und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Die Innovationsrate wird hier als das Verhältnis des Umsatzes der in den letzten Jahren neu eingeführten Innovationen zum Gesamtumsatz in einem bestimmten Jahr verstanden. Im Zeitverlauf ist es aus Branchensicht zwingend erforderlich, die Anstrengungen für Innovationen beim Geschäftsmodell zu erhöhen.

Allerdings wird nach Gassmann et al. (2017) nur 10% des Innovationsbudgets tatsächlich für die Entwicklung von Geschäftsmodell- Innovationen verausgabt (vgl. Gassmann et al. (2017), s. auch Johnson (2010)). In der Unternehmenspraxis wird darüber hinaus ein Mangel an effektiven Methoden und Instrumenten für die Entwicklung solcher neuen Geschäftsmodellen (Höhmann (2014)) konstatiert.

Aufgrund der Bedeutung des Geschäftsmodells für ein Unternehmen sollte der Prozess für Geschäftsmodell-Innovationen immer systematisch, strukturiert und methodengestützt ablaufen. Somit wird u. a. sichergestellt, dass bei so einem komplexen und unternehmensweiten Prozess, Verantwortlichkeiten geklärt sind, Aufgaben nicht vergessen werden und der grundsätzliche Ablauf effektiv sowie effizient durchgeführt werden kann. Dies stellt bei Geschäftsmodell-Innovationen – wie auch bei Produkt-Innovationen – einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar (Jonda (2004)).

Im Gegensatz zu Produkt-Innovationen haben sich bei Geschäftsmodell-Innovationen in Forschung und Praxis noch keine allgemein anerkannten Prozessabläufe etabliert (Schallmo (2013/2014/2015a/b)), Weiner et al. 2010). Dennoch gibt es bereits einige Ansätze von Prozessmodellen (Bucherer 2010, Köster 2013, Schallmo 2013, Wirtz/Thomas 2014), die allerdings – im Vergleich zu den weit entwickelten Prozessmodellen bei Produkt-Innovationen – erheblich voneinander divergieren. Köster (2013) spricht hier von einer stark fragmentierten Forschungslandschaft. Diese Prozessmodelle unterscheiden sich nicht nur in ihrer Detaillierung und den verwendeten Begrifflichkeiten, sondern lassen sich auch in den einzelnen Aufgaben, unterstützenden Methodiken und der Phasen-Reihenfolge differenzieren. Vor allem in der frühen Innovationsphase, dem sog. „Fuzzy Front End“, sind insofern größere Unterschiede in den Konzepten erkennbar, als dass der Anstoß bzw. die Quelle von Geschäftsmodell-Innovationen je nach Autor unterschiedlich gesehen werden. Zudem geben nur sehr wenige Autoren dezidierte Praxis-Hinweise, welche methodischen Vorgehensweisen entlang der einzelnen Phasen zu empfehlen sind (Köster (2013), Wirtz/Thomas (2014)).

Da – wie oben erwähnt – die bestehenden Prozessmodelle zu Geschäftsmodell-Innovationen die frühe Innovationsphase vernachlässigen bzw. wenige praxisrelevante Hinweise für die methodische Vorgehensweise zur Verfügung stellen, soll zur Schließung dieser Lücke im Folgenden ein Prozessmodell vorgestellt werden. In Anlehnung an das etablierte Stage-Gate-Modell von Cooper (2011) sowie dem Prozessmodell von Wirtz (2010), S. 216 werden hierzu verschiedene Phasen spezifiziert. Diese verfügen an – an bestimmten Stellen des Prozesses – über Entscheidungspunkte. Diese sog. „Gates“ sind dazu da, das Vorhaben fortzusetzen, zu modifizieren und/oder ggf fallenzulassen.

Um die berechtigte Kritik des zu stark sequentiellen Charakters am Stage-Gate-Prozessmodell (s. Müller-Roterberg (2018a)) zu vermeiden, wird an dieser Stelle vorgeschlagen, dass der Prozess in einer Prototyping-Phase mit einem sog. Hypothesize-Design-Test-Learn-Zyklus entsprechend des Lean-Startup-Konzeptes (Ries (2012)) auszuführen ist. In ähnlicher Weise sind auch Design-Thinking-Prozesse ausgestaltet (s. hierzu Müller-Roterberg (2018c)). Das heißt, über die konkrete Ausgestaltung der Geschäftsmodell-Innovation sind Annahmen zu formulieren, die getestet werden, um daraus zu lernen. Zum Beispiel bietet es sich an, Annahmen („Hypothesen“) über die Wünsche, Bedürfnisse und Probleme der Kunden frühzeitig in Form von Experimenten zu testen, um daraus für die weitere Entwicklung zu lernen. Weiterhin lassen sich die Aufgaben in den einzelnen Prozessschritte in Form von Projekten bearbeiten, welche sich wiederum nach den Prinzipien des agilen Projektmanagements durchfuhren lassen (s. zum agilen Projektmanagement s. Müller-Roterberg (2018a)). Somit wird der Prozess iterativ und agil umgesetzt.

Nachfolgend sind die Schritte für dieses iterative und agile Prozessmodell zur Entwicklung von Geschäftsmodell-Innovationen kurz zusammengefasst. Eine ausführliche Darstellung dieses Prozessmodells mit Tipps & Tools findet sich in den nächsten Kapiteln.

Abbildung 2: Innovationsprozess für ein Geschäftsmodell Quelle: In Anlehnung an Wirtz (2010), S. 216 (ergänzt und modifiziert)

Kapitel 2 Anstoß und Initiierung

Der Anstoß für die Entwicklung einer Geschäftsmodell-Innovation kann vielfältig sein und lässt sich in interne und externe Auslöser unterteilen. Diese Auslöser können das Ergebnis einer systematischen, strategisch-planerischen Vorgehensweise sein (Kapitel 2.1), bei der durch Prognosen und deren Analyse die zu verfolgenden Ziele für neue Geschäftsmodelle abgeleitet werden und sich daraus die benötigten Mittel zur Realsierung ergeben. Das heißt, aus dem verfolgten Ziel für eine Geschäftsmodell-Innovation resultieren die erforderlichen Mittel. Weiterhin ist es auch möglich, dass der Auslöser die (begrenzt) verfügbaren Mittel selber sind, aus denen sich die Geschäftsmodell-Innovation ergibt. Dieser sog. Effectuation-Ansatz wird in Kapitel 2.2 erläutert.

Nachdem der Anstoß für die Überarbeitung bzw. Neuentwicklung des bestehenden Geschäftsmodells gegeben wurde, sollte im Sinne einer systematischen Vorgehensweise ein internes Projekt hierfür am besten vom Top-Management initiiert werden. Die hierfür erforderlichen Maßnahmen werden in Kapitel 2.3 skizziert.

Zum Abschluss der Initiierungsphase sollte im Sinne eines „Gates“ die Entscheidung über die nachfolgende Frage fallen:

Sind alle Voraussetzungen und Anforderungen an das Projekt geklärt, welches sich zum Ziel setzt, eine Geschäftsmodell-Innovation zu entwickeln?

Kapitel 3Unternehmens-/Umfeldanalyse

Im nächsten Schritt kann eine tiefergehende Analyse über die Ist-Situation und die zukünftigen Entwicklungen und Trends sowohl unternehmensintern als auch im Umfeld des Unternehmens durchgeführt werden. Hierfür sind die in Kapitel 3 erläuterten Methoden wie z. B. Trend-, PESTEL-, Branchenstruktur-, Wertketten-, Kernkompetenzen- oder SWOT-Analysen einzusetzen.

Kapitel 4Generierung von Geschäftsideen

Als Quelle neuer Geschäftsmodell-Ideen können neben den Unternehmens- und Umfeldanalysen weitere Methoden die Generierung von Geschäftsmodell-Innovationen systematisch unterstützen. Der sog. Business Model Canvas von Osterwalder/Pigneuer (2010) ist z. B. dazu geeignet, Ideen für neue Geschäftsmodelle zu entwickeln (s. Kapitel 4.4). Hierbei wird das Geschäftsmodell in die einzelnen Elemente eines Geschäftsmodells zerlegt und für jedes Element die Gestaltungsmöglichkeiten bzw. -optionen betrachtet. Damit lassen sich neue Gestaltungsoptionen entwickeln bzw. im Ganzen neu kombinieren. Es empfiehlt sich hierbei Kreativitätstechniken (Kapitel 4.2) bzw. Methoden der Kundenorientierung wie z. B. die Customer Journey (Kapitel 4.3) unterstützend miteinzubeziehen.

Eine weitere Möglichkeit zur Generierung von Geschäftsmodell-Innovationen ist der musterbasierte Ansatz (s. Kapitel 4.7), bei dem man Anregungen aus anderen Bereichen durch die Konfrontation bzw. Adaption von erfolgreichen Geschäftsmodellen bzw. Teilen zieht.

Zunehmend von Bedeutung ist es, dass die Nachhaltigkeit bei Geschäftsmodelle ihre Berücksichtigung findet. In Kapitel 4.6 wird hierzu ein Ansatz vorstellt, wie neben der ökonomische Dimension explizit ökologische und sozial/gesellschaftliche Auswirkungen systematisch in den Blick genommen werden können.

Für eine wettbewerbsorientierte Vorgehensweise kann bei der Ideengenerierung ergänzend auch die in Kapitel 4.8 vorgestellte Blue-Ocean-Strategie verwendet werden. Damit ist es möglich, die dominante Branchenlogik zu erkennen und gezielt Konventionen zu durchbrechen. Hierbei sollte man aber immer antizipieren, dass der Wettbewerber darauf reagieren wird. Geschäftsmodelle, die neue Markteintrittsbarrieren schaffen, sind hier besonders von Vorteil.

In einer ersten qualitativen Bewertung können im Anschluss die besten Ideen z. B. über Checklisten oder unter Anwendung eines Scoring-Modells ausgewählt werden (mehr zum Thema Bewertung von Geschäftsmodellen in Kapitel 7). Als geeignete Bewertungskritierien können hierfür z. B. die Erwünschtheit aus Kundensicht (Desirabilty), die Machbarkeit (Feasibility), die Wirtschaftlichkeit (Viability), die Nachhaltigkeit (Sustainability), die Skalierbarkeit (Scalability) und die Anpassungsfähigkeit (Adaptability) an die dynamisch verändernde Umwelt dienen.

Am Entscheidungspunkt Gate 2 ist somit folgende Frage zu beantworten:

Ist das neue Geschäftsmodell aus Sicht des Kundens wünschenswert, machbar, wirtschaftlich, nachhaltig, skalierbar und anpassungsfähig?

Kapitel 5Protoytyping

Im Rahmen der Entwicklung eines Geschäftsmodells sollte jede Änderung eines Elementes oder die Wahl einer neuen Gestaltungsoption getestet werden. Dabei ist zu empfehlen, im Sinne des Lean-Startup-Ansatzes (s. Kapitel 5.1), eine Annahme (Hypothese) über die gewünschte Wirkung dieser Änderung bzw. Gestaltungsoption zu formulieren, ein geeignetes Testdesign auszuwählen, einen Test mit der relevanten Zielgruppe durchzuführen und aus diesen Ergebnissen zu lernen, um im Anschluss ggf. noch umsteuern zu können. Da die zu testenden Hypothesen möglichst in einer visualisierten, und im weitesten Sinne greifbaren funktionsfähigen Art und Weise vorliegen sollten, spricht man hier auch von Prototyping (mehr dazu, was alles unter der Begrifflichkeit eines Prototypen verstanden werden kann, s. Kapitel 5.1).

Ausführliche Empfehlungen zur Durchführung des Lean-Startup-Ansatzes, der entgegen seines Namens sehr wohl auch bzw. gerade für bestehende Unternehmen geeignet ist, finden sich in Kapitel 5. Diese iterative Durchführung von Tests mit der gezielten Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells auf Basis eines frühzeitigen Kundenfeedbacks ist hier ein sehr zielführendes Konzept.

Am Entscheidungspunkt Gate 3 ist somit folgende Frage zu beantworten:

Welche Gestaltungsoptionen des Geschäftsmodells können verwendet werden, und welche müssen geändert oder sogar verworfen werden?

Kapitel 6Geschäftsplan erstellen

Sofern die Annahmen zum Geschäftsmodell durch das Kundenfeedback ihre Bestätigung bekommen haben, kann auf dieser Basis ein Geschäftsplan entwickelt werden. Wenn es sich um das Geschäftsmodell des kompletten Unternehmens handelt, spricht man von einem Businessplan, auf Projektebene von einem Business Case. Eine detaillierte Anleitung zur Entwicklung eines Businessplans/Business Cases findet sich ausführlich in Kapitel 6. Der Geschäftsplan sollte auch einen ersten Entwurf des Umsetzungsplans umfassen. Damit lassen sich die Umsetzungsgeschwindigkeiten/-risiken und Aufwände abschätzen.

Abschließend sollte das Geschäftsmodell nochmals auf Konsistenz der einzelnen Elemente überprüft und ggf. optimiert werden. Die Positionierung im Sinne eines Alleinstellungsmerkmals (Unique Selling Proposition; USP) gegenüber anderen sollte zudem klar erkennbar sein.

Kapitel 7Auswahl und Entscheidung

Die Auswahl eines Geschäftsmodells und die Entscheidung über dessen Umsetzung ist eine weitreichende strategische Entscheidung, die in der Verantwortung des Top-Managements liegt. Es empfiehlt sich, schon im Rahmen der oben genannten Initiierung zu klären, wer als Entscheidungsträger fungieren wird, welche Entscheidungskriterien mit welchen Bewertungsmethoden angewendet werden und welche Informationen mit welchem Detaillierungsgrad hierfür vorliegen müssen. Nur wenn dies vorab definiert ist und allen Beteiligten kommuniziert wurde (insbesondere dem Projektteam zur Erarbeitung eines Geschäftsmodells), kann effektiv und effizient der Auswahl- und Entscheidungsprozess durchgeführt werden.

Neben den oben bereits genannten qualitativen Kriterien Desirabilty, Feasibility, Viability, Sustainability/Scalability und Adaptability zur checklistenartigen Bewertung und insbesondere zur Analyse der Wirtschaftlichkeit und des Risikos, können auch weitere Methoden eingesetzt werden. In Kapitel 7 ist hier eine Vielzahl von geeigneten Bewertungsverfahren aufgeführt. Das Scoring-Verfahren (Kapitel 7.2.3) zum Vergleich verschiedener Geschäftsmodell-Alternativen und vor allem Net-Present-Value-Berechnungen des Kapitalwertverfahrens (Kapitel 7.3) zum Erlösmodell sind wertvolle Entscheidungshilfen in diesem Zusammenhang.

Neben der Entscheidung über ein Geschäftsmodell sollte auch über den Umsetzungsplan formal entschieden werden. Dieser Plan umfasst die im nächsten Abschnitt genannten Aspekte.

Am Entscheidungspunkt Gate 4 ist somit folgende Frage zu beantworten:

Welches Geschäftsmodell wird wie und wann umgesetzt?

Kapitel 8Implementierung und Steuerung

Der Umsetzungsplan sollte folgende Aspekte umfassen (vgl. Wirtz (2010), S. 260f):

Realisierungspläne mit Fristen/Termine und insbesondere den Meilensteinen

Budgetierung der Implementierung (Schulungskosten, Aufbau einer neuen Infrastruktur etc.)

Auswahl geeigneter (fachlich als auch sozial/kommunnikativ) Teammitglieder für die Einführung

Maßnahmen zur Umsetzung festlegen einschließlich der begleitenden Kommunikationsmaßnahmen sowie

Festlegung der Verantwortlichkeiten und Aufgaben bei der Implementierung.

Weiterhin sollten die oben in der Phase 2 erläuterte Unternehmens- und Umfeldanalyse als ein permanent durchzuführender Prozessschritt verstanden werden. Auf dieser Basis ist es notwendig, mit einem kontinuierlichen Monitoring über einen längeren Abschnitt, die Trends und Entwicklungen im Umfeld des Unternehmens zu beobachten. Die zugrunde liegenden Annahmen des Geschäftsmodells sind wiederum im Sinne eines Prämissen-Controllings regelmäßig zu hinterfragen. Der oben erwähnte Lean-Startup-Ansatz (Kapitel 5.1) ist hierfür auch während der Umsetzung einzusetzen, um durch frühzeitiges Feedback einen Änderungsbedarf zu erkennen.

Wie Erfolg, Hindernisse und Risiken bei der Umsetzung des Geschäftsmodells frühzeitig identifiziert werden können, ist ebenso vorab zu klären. Die Methoden aus dem Innovationscontrolling (s. Kapitel 8.3) z. B. durch das Erheben und Analysieren von geeigneten Kennzahlen können hier hilfreich sein.

Am Entscheidungspunkt Gate 5 ist somit folgende Frage zu beantworten:

Muss das Geschäftsmodell angepasst werden?

Schließlich ist das Geschäftsmodell regelmäßig auf Basis der Informationen des Monitorings und Controllings an das dynamisch verändernde Umfeld anzupassen.

Die oben aufgeführten Schritte vom Anstoß bis zur Adaption des Geschäftsmodells wurden zwar zur besseren Übersichtlichkeit sequenziell erläutert, gleichwohl umfasst dieser Prozess in jeder Phase auch Rückkoppelungen, wie es in der Abbildung 2 angedeutet ist. Je nach Unternehmenssituation (großes, bestehendes Unternehmen vs. kleines, neu gegründetes Unternehmen) werden nicht alle Schritte in dieser Ausführlichkeit beschritten. Dennoch skizziert dieser Prozess eine Ausführlichkeit, die der Bedeutung des richtigen Geschäftsmodells für ein Unternehmen angemessen ist. In den nachfolgenden Kapiteln werden diese einzelnen Schritte ausführlich erläutert.

Gassmann, Oliver / Frankenberger, Karolin/ Csik, Michaela (2017): Geschäftsmodelle entwickeln – 55 innovative Konzepte mit dem St. Gallener Business Model Navigator, 2. Auflage, München: Carl Hanser Verlag.

Müller-Roterberg, Christian (2018a): Management-Handbuch Innovation, Books on Demand, Norderstedt.

Osterwalder, Alexander / Pigneur, Yves (2010): Business Model Generation: A Handbook for Visionaries, Game Changers, and Challengers, New York: John Wiley & Sons.

Schallmo, Daniel (2013): Geschäftsmodelle erfolgreich entwickeln und implementieren, Wiesbaden: Springer.

Wirtz, Bernd W. (2010): Business Model Management: Design - Instrumente - Erfolgsfaktoren von Geschäftsmodellen, Heidelberg: Gabler Verlag.

Weitere Informationen unter:www.innovationsratgeber.de

2

Geschäftsmodell- Innovationen initiieren

2 Geschäftsmodell -Innovationen initiieren

2.1 Strategisch-planerische Vorgehensweise

2.2 Explorative Vorgehensweise

2.2.1 Prinzipien des Effectuation-Ansatzes

2.2.2 Vorgehensweise

2.3 Initiierung von Innovationsprojekten

2Geschäftsmodell- Innovationen anstoßen und initiieren

„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“ – Albert Einstein

In diesem Kapitel wird gezeigt, dass der Anstoß für die Entwicklung einer Geschäftsmodell-Innovation sehr vielfältig sein kann. Hierfür lassen sich unternehmensinterne und -externe Auslöser finden. Die Identifizierung dieser Auslöser kann das Ergebnis einer systematischen strategisch-planerischen Vorgehensweise sein (Kapitel 2.1), bei der durch Prognosen und deren Analyse die zu verfolgenden Ziele für neue Geschäftsmodelle abgeleitet werden und sich daraus die benötigten Mittel zur Realisierung ergeben. Das heißt, aus dem verfolgten Ziel für eine Geschäftsmodell-Innovation resultieren die erforderlichen Mittel. Diese strategischplanerische Vorgehensweise wird in Kapitel 2.1 skizzirt. Andererseits ist es auch möglich, dass der Auslöser die (begrenzt) verfügbaren Mittel selber sind, aus denen sich die Geschäftsmodell-Innovation ergibt. Dieser sog. Effectuation-Ansatz wird in Kapitel 2.2 erläutert.

Nachdem der Anstoß für die Überarbeitung bzw. Neuentwicklung des bestehenden Geschäftsmodells gegeben wurde, sollte im Sinne einer systematischen Vorgehensweise ein internes Projekt hierfür am besten vom Top-Management initiiert werden. Die hierfür erforderlichen Maßnahmen werden in Kapitel 2.3 skizziert.

2.1 Strategisch-planerische Vorgehensweise

Der Abgleich des bestehenden Geschäftsmodells mit der (Unternehmens-) Vision bzw. Strategie kann als interner Auslöser zur Einsicht führen, dass es einen akuten Handlungsbedarf zur Überarbeitung des Geschäftsmodells gibt. Eine GAP-Analyse (s. Kapitel 3.2.1) kann z. B. aufzeigen, dass mit dem bestehenden Geschäft(smodell) im Lauf der nächsten Jahre eine (Umsatz-) Lücke entsteht, die es zu schließen gilt. Um sich der strategischen Bedeutung von Geschäftsmodell-Innovationen bewusst zu werden, ist es hilfreich, ein sog. Do-Nothing-Szenario (Wir-tun-nichts-Option) gedanklich durchzuspielen. Das heißt:

Was würde geschehen, wenn wir als Unternehmen nichts tun?

Was würde der Wettbewerber unternehmen?

Wie würden die Kunden langfristig reagieren?

Welche Risiken entstehen dabei? Welche Chancen würden verpasst werden?

In diesem Sinne sollte man auch das bestehende Geschäftsmodell regelmäßig infrage stellen (vgl. Mezger/Bader (2014)). Das heißt, eine systematische Analyse von Geschäftsmodell-Ansätzen, die das eigene Wertangebot substituieren könnten, ist notwendig, auch wenn dies zur Kannibalisierung der eigenen „Cash-Cows“ führt. Dabei kann dies zu einer frühzeitigen Umverteilung der Ressourcen von den „Cash Cows“ zum Aufbau eines neuen Geschäftsmodells führen.

Strategisch denkende Mitarbeiter sind ebenfalls eine fruchtbare interne Quelle für Anstöße, die vielleicht zunächst scheinbar nur einen unbedeutenden Teil des Geschäftsmodells betreffen, dann aber die Notwendigkeit einer Geschäftsmodell-Innovation aufzeigen. Strategisches Denken bedeutet in diesem Zusammenhang in alle Richtungen zu sehen, wie das Diagramm von Mintzberg (2005) verdeutlicht, um eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft aufzuspannen.

Abbildung 3: Strategisches Denken aus unterschiedlichen Perspektiven Quelle: In Anlehnung an Mintzberg (2005), S. 139ff.

Folgende unterschiedliche Perspektiven sollen beim strategischen Denken eingenommen werden, um das bestehende Geschäftsmodell aus der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu betrachten (Mintzberg (2005), S. 139ff.):

Zurücksehen

Betrachten Sie die Entwicklungen in der Vergangenheit:

Welche Entwicklungsmuster und Wettbewerbsreaktionen aus der Vergangenheit sind erkennbar?Was war besonders erfolgreich/was führte zu Fehlern?Was können Sie aus der Vergangenheit für die Ausgestaltung des Geschäftsmodells lernen?

Tipps für Methoden:

GAP-Analyse (s. Kapitel 3.2.1)Benchmarking (s. Müller-Roterberg (2018a))

Von oben sehen

Nehmen Sie eine Vogelperspektive ein und betrachten Sie den Einfluss des Gesamtmarktes, der Politik und/oder der gesellschaftlichen Situation auf Ihr bestehendes Geschäftsmodell bzw. die typischen Geschäftsmodelle der Branche.

Welche Einflüsse sind derzeit vorhanden?

Tipps für Methoden:

PESTEL-Analyse (s. Kapitel 3.1.2)Stakeholder-Analyse (s. Kapitel 3.1.6)

Von unten sehen

Analysieren Sie Ihr Geschäftsmodell en detail:

Welche Stärken und Schwächen besitzt es?Welche sind die Kernkompetenzen, auf die das Geschäftsmodell basiert?Wie funktioniert die Wertkette für den Kunden einschließlich der einzelnen Prozesse/Aktivitäten?

Tipps für Methoden:

Stärken-/Schwächen-Analyse (s. Müller-Roterberg (2018a))Kernkompetenzen-Analyse (s. Kapitel 3.2.3)

Zur Seite sehen

Vergleichen Sie Ihr Geschäftsmodell mit denen von ähnlichen Unternehmen. Betrachten Sie die (technologischen und marktseitigen) Entwicklungen auf ähnlichen bzw. branchenfremden Gebieten.

Was können Sie von anderen (Unternehmen, Institutionen, Persönlichkeiten etc.) lernen, die auf ähnlichen oder auch auf völlig fremden Gebieten tätig sind?

Tipps für Methoden:

Benchmarking (s. Müller-Roterberg (2018a))Branchenstruktur-Analyse (s. Kapitel 3.1.5)Konkurrentenanalyse (s. Müller-Roterberg (2018a))

Nach vorne sehen

Analysieren Sie welche Trends es in den nächsten Jahren gibt.

Mit welchen Änderungen ist im politischen, ökonomischen, sozialen, technologischen, ökologischen und rechtlichen Umfeld zu rechnen?Wie beeinflussen diese die eigenen Geschäftsaktivitäten in Zukunft?Welche Bedürfnisse bzw. Probleme haben unsere Kunden derzeit bzw. ergeben sich in Zukunft?Gibt es Entwicklungen, die neue Bedürfnisse wecken könnten?Welche Angebote bieten derzeit und zukünftig direkte, indirekte oder potenzielle neue Wettbewerber an, und wie könnte man sich davon differenzieren?Welche für das Unternehmen relevanten technologischen Entwicklungen gibt es?Welche interessanten Anwendungen könnten sich daraus ergeben?Welche technologischen Herausforderungen müssen in Zukunft gelöst werden?

Tipps für Methoden:

Szenario-Technik (s. Kapitel 3.1.4)Road-Mapping (s. Müller-Roterberg (2018a))Trend-Impact-Analyse (s. Kapitel 3.1.3)

Weitersehen

Was wäre eine radikale Innovation beim Geschäftsmodell?Wie könnte eine (alternative) Vision für die Zukunft des eigenen Geschäftsmodells ausschauen?

Tipps für Methoden:

Kreativitätstechniken (s. Kapitel 4.2)

Zusehen

Bedenken Sie auch die Herausforderungen bei der Umsetzung einer Geschäftsmodell-Innovation.

Welche (internen/externen) Barrieren/Widerstände könnten auftreten? Welche Risiken sind mit der Umsetzung verbunden?Wie lassen sich diese frühzeitig erkennen und beheben?Wie lässt sich die erfolgreiche Umsetzung kontrollieren und steuern? Wie kann die Nachhaltigkeit der umgesetzten Geschäftsmodell-Innovation gesichert werden?

Tipps für Methoden:

Stage-Gate-Prozess (s. Müller-Roterberg (2018a))Projektmanagement (s. Müller-Roterberg (2018a))Agiles Projektmanagement (s. Müller-Roterberg (2018a))Innovationscontrolling (s. Kapitel 8.3 sowie Müller-Roterberg (2018b))

Weitere Fragen, die in dieser Phase zu klären sind, finden sich in der nachfolgenden Tabelle.

Tabelle 1: Checkliste zur Initiierung von Geschäftsmodell-Innovationen

Checkliste zur Initiierung

■ Wo sieht sich das Unternehmen in fünf bis zehn Jahren? Kann das Unternehmen mit der derzeitigen Strategie in fünf und mehr Jahren noch erfolgreich sein?

■ Welche Bedeutung hat das Geschäftsmodell für die Geschäftsentwicklung?

■ Welche große bedeutende Herausforderung bzw. dringendes Problem für eine größere Anzahl von Personen (Kunden) will das Unternehmen lösen?

■ Was soll das Unternehmen bzw. die Innovationsaktivitäten in Zukunft kennzeichnen und prägen?

■ Welche Ziele sollen mit der Geschäftsmodell-Innovation erreicht werden?

■ Welche Chancen bietet ein neues Geschäftsmodell? Welchen Nutzen hätte ein komplett neues Geschäftsmodell? Welche Risiken könnten bestehen?

■ Soll das neue Geschäftsmodell auf einer Produkt-, Verfahren- oder Dienstleistung-Innovation basieren?

■ Welche Elemente oder Gestaltungsoptionen sollten aus übergeordneten strategischen Überlegungen nicht verändert werden (Restriktionen)?

■ Welche Soll-Vorgaben ergeben sich aus der Strategie (Innovationsziele)?

■ Welche Restriktionen aus Sicht der relevanten Stakeholder gibt es für die Geschäftsmodellentwicklung?

■ Welche Elemente des Geschäftsmodells benötigen insbesondere eine Überarbeitung?

■ Wo sollten die Schwerpunkte des Geschäftsmodells liegen? (Neue, besonderer Kundennutzen, Erlösmodell).

■ Besteht ein gemeinsames Verständnis im Unternehmen über die Ziele des Projektes?

Neben den Anstößen auf strategischer Ebene können die gerade initiierten oder laufenden Innovationsvorhaben, die zu neuen Produkten, Verfahren, Dienstleistungen oder zur Restrukturierung von administrativen Aspekten führen, ein neues Geschäftsmodell notwendig werden lassen. Das ist häufig bei radikalen oder disruptiven Innovationen der Fall. Das Erkennen von offensichtlichen Schwächen des Unternehmens bzw. die tiefergehende Analyse der aktuellen und zukünftigen Unternehmens- und Umwelt-Situation (s. Kapitel 3.1) können ebenso Anlässe darstellen, dass Geschäftsmodell komplett zu überarbeiten und nicht nur inkrementelle Verbesserungen vorzunehmen.

Externe Auslöser für Geschäftsmodell-Innovationen können ebenso aus unterschiedlichen Quellen stammen: Kunden, Lieferanten, Händler, Forschungsinstitute, Hochschulen, Berater/Dienstleister können mit ihren Ideen, Problemen, Bedürfnissen, Wünschen oder Aufgaben die Initiierung eines Entwicklungsprozesses für ein neues Geschäftsmodell bewirken.

In der Praxis häufig anzutreffen, ist die Initiierung eines solchen Innovationsvorhabens als Reaktion einer Veränderung in der Wettbewerbsstruktur bzw. bei dem größten Mitkonkurrenten. Ebenso können (abrupte) technologische, politisch-rechtliche, sozial-gesellschaftliche Einflüsse oder auch Natur-Ereignisse der Anlass sein.

Ein Unternehmen sollte diese Anstöße nicht nur reaktiv auf sich zukommen lassen, sondern sollte im Sinne einer strategisch-planerischen Vorgehensweise mit den Methoden der Unternehmens- und Umfeldanalyse (s. Kapitel 3) sowie den Methoden zur Kundenorientierung (s. Kapitel 4.3) permanent kritisch reflektieren und Verbesserungen bzw. substanzielle Änderungen anstreben.

2.2 Explorative Vorgehensweise

In Situationen von hoher Unsicherheit und Komplexität gibt es häufig eine geringe Informationsbasis für die strategisch-planerische Vorgehensweise. Die Prognosen für die Entwicklungen in der Zukunft und die darauf beruhenden strategischen Planungen sind in solchen Situationen bezüglich ihrer Aussagekraft eher vage. In informationsarmen, komplexen Situationen können daher explorative (erkundende/erforschende) Ansätze, wie das nachfolgend erläuterte Konzept Effectuation, sinnvoll sein. Ausgangspunkt sind die eigenen Kompetenzen und Ressourcen, die mit folgenden Fragen Anstöße zu neuen Geschäftsmodellen geben können:

Für welche Produkte und Dienstleistungen könnten die eigenen Kompetenzen, Fähigkeiten bzw. Ressourcen von Nutzen sein?

In welchen Markt- und Technologie-Bereichen sind (ähnliche) Kompetenzen wichtig?

2.2.1 Prinzipien des Effectuation-Ansatzes

Der Effectuation-Ansatz geht umgekehrt zum strategischer-planerischen Ansatz (s. Kapitel 2.1) vor, bei dem man eine bestimmte Vision bzw. Ziele erreichen will und entsprechende Maßnahmen dafür ableitet. Beim Effectuation-Ansatz ergeben sich aus den verfügbaren Mitteln die erreichbaren Ziele.

Prinzipiell ist dieser adaptive Ansatz sowohl auf persönlicher Ebene („Ich-Ebene“) im Zusammenhang mit einer Unternehmensgründung als auch bei (etablierten) Organisationen („Wir-Ebene“) möglich. Der Ansatz wurde von Sarasvathy (2001) ursprünglich entwickelt und im deutschsprachigen Raum insbesondere durch Faschingbauer (2013) verbreitet und weiterentwickelt. Auf deren Arbeiten (Sarasvathy (2008); Faschingbauer (2013)) basieren im Wesentlichen die nachfolgenden Erläuterungen zu den Prinzipien und die Vorgehensweise von Effectuation:

1Prinzip der Zukunftsgestaltung

Das Prinzip der Zukunftsgestaltung drückt aus, dass man auf die Prognosen und deren detaillierte Analysen aufgrund ihrer unsicheren Aussagekraft verzichten kann und eher daraufsetzen sollte, die Zukunft selbst zu beeinflussen. Das heißt, sich nicht – wie bei der strategisch-planerischen Vorgehensweise (Kapitel 2.1) – an die Zukunft bestmöglich anzupassen, sondern soweit die eigenen Einflussmöglichkeiten es erlauben, die Zukunft in seinem Sinne aktiv zu gestalten.

2Prinzip der Mittelorientierung

Das Prinzip der Mittelorientierung beschreibt, die Zielvorstellungen aus den verfügbaren Mitteln zu entwickeln. Die Frage lautet daher: Welche Ergebnisse (Ziele) lassen sich mit den verfügbaren Mitteln erreichen?

Um die verfügbaren Mittel zu analysieren, sind zunächst die Antworten auf die folgenden Fragen (Faschingbauer (2013)) notwendig:

Wer (Identität, Werte, Gewohnheiten, Charakter, Vorlieben, Abneigungen, Kultur) sind wir? Wer sollen wir werden?

Was wissen wir? Was können wir? Was (Ressourcen, Erfahrungen) haben wir? Was machen wir besonders gerne/gut?

Wen (Geschäftsbeziehungen, formelle/informelle/lose Kontakte und Netzwerke) kennen wir? Welche Mittel besitzen diese? Wie können wir bestehende Kundenbeziehungen nutzen?

Was können wir mit den Mitteln und Kontakten tun und erreichen?

Wenn das Ziel erreicht ist, welche neuen Mittel ergeben sich wiederum daraus?

Die Beantwortung dieser Fragen muss immer den Kontext berücksichtigen: Was passt zur Situation? In welchen aktuellen und zukünftigen Situationen sind diese Mittel von Bedeutung bzw. nutzbar?

3Prinzip des leistbaren Verlustes

Entsprechend dem Prinzip des leistbaren Verlustes stellt man sich bei jedem Handlungsschritt vorab die Frage, was man bereit ist zu verlieren. Bei der klassischen strategisch-planerischen Vorgehensweise wird demgegenüber die Frage gestellt, welchen Ertrag man mit einer Handlung erreichen kann (muss). Dies ist allerdings bei unsicheren Situationen häufig nichts anderes als pure Spekulation. Mit der Frage nach dem leistbaren Verlust wird der maximale Einsatz festgelegt und begrenzt („bis-dahin-und nicht-weiter“). Der maximale Einsatz und somit die leistbaren Verluste können sehr unterschiedliche Formen annehmen wie z. B: Zeit (auch verlorene Freizeit), Kapital, materielle Güter, immaterielle Güter/Ideen, Image/Reputation, Abgabe von Kontrolle und Entscheidungsspielräumen, Opportunitätskosten (was hätte man stattdessen mit dem Ertrag machen können), persönliche Energie, Selbstvertrauen etc.

Die Entscheidungslogik bei diesem Prinzip ist in der unten stehenden Abbildung skizziert (nach Faschingbauer (2013), S. 221). Man entscheidet sich, immer nur so viel zu investieren, wie man zu verlieren bereit ist. Folgende Fragen sind bei diesem Prinzip zu beantworten:

Was bin ich bereit zu verlieren? Ist es akzeptabel den Einsatz zu verlieren? Was wäre die schlimmste Konsequenz, die sich aus dem Verlust des Einsatzes ergeben könnte? Können wir mit den Konsequenzen des Verlustes leben?

Wenn nein, wie könnte man den Einsatz reduzieren?

Was kann ich unter den Bedingungen des leistbaren Verlustes machen?

Was sind die ersten Schritte mit leistbarem Einsatz?

Dieses Prinzip führt häufig dazu, dass man schneller überprüft, was nicht funktioniert und somit auch schneller die verfolgten Ziele ändert. Das Setzen einer Verlustgrenze wiederum bewirkt, dass man bis zu dieser Grenze auch tatsächlich durchhält und nicht vorzeitig abbricht. Letztlich erlaubt dieses Prinzip das sanktionsfreie Scheitern, um daraus wiederum zu lernen.

4Prinzip der Zufälle und Umstände als Chance

Bei der strategisch-planerischen Vorgehensweise versteht man grundsätzlich die Änderungen im Umfeld eines Unternehmens als Störereignisse bei der Planung und versucht diese durch ein entsprechendes Risikomanagement (s. Müller-Roterberg (2018b)) zu begegnen. Beim Effectuation-Ansatz werden unerwartete Ereignisse, zufällig entstandene Situationen oder überraschende Erkenntnisse erwartet und zunächst als Chance bzw. Erkenntnisgewinn interpretiert. Es wird dezidiert die Frage gestellt, wie solche Zufälle und Umstände zu nutzen sind. Das heißt, Möglichkeiten sind zu suchen, die veränderten Umfeldsituationen zum eigenen Vorteil zu verwenden.

Hieraus ergeben sich weitere Fragen, die in diesem Zusammenhang, zu beantworten sind (in Anlehnung an Faschingbauer (2013)):

Was ist unerwartet passiert?

Welche alternative Bedeutung kann dieses Ereignis haben?

Welche Auswirkungen haben die Ereignisse auf die verfügbaren Mittel und Ziele? Sind die Mittel mehr oder weniger geworden? Können die Ziele noch realisiert werden? Ist eine Prioritätenänderung notwendig?

Welche anderen Mittel sind durch den Zufall bzw. aus dem Umstand heraus entstanden? Welche neuen Ziele können jetzt verfolgt werden?

Wie können wir damit konstruktiv umgehen?

Für welche anderen Anwendungen/Ideen kann das, was passiert ist, genutzt werden?

Lassen sich Schwächen und Risiken als Stärken und Chancen nutzen?

5Prinzip der Partnerschaften

Der Effectuation-Ansatz empfiehlt, frühzeitig mit interessierten Partnern (Freunde, Bekannte, (andere) Unternehmen, potenzielle Lieferanten, Kunden, Meinungsführer, Experten, Forschungsinstitutionen und ggf. Mitbewerber) verbindliche Vereinbarungen einzugehen. Im Gegensatz zu der strategisch-planerischen Vorgehensweise ist hier keine systematische Suche nach dem vermeintlich perfekten Kooperationspartner anzustreben. Vielmehr sollen zunächst Gespräche mit potenziellen Partnern geführt werden, welche die Bereitschaften haben, ihre Mittel in eine Kooperation einzubringen. Das konkrete Ziel der Vereinbarung wird erst im Dialog mit dem Partner herausgearbeitet. So soll schnell ein Netzwerk an Vereinbarungen mit Kooperationspartnern entstehen, die die Mittel und Möglichkeiten für weiteres Handeln erweitern können und zugleich dem (gemeinsamen) Ziel eine Richtung vorgeben. Durch Partnerschaften können die Kompetenzen aber auch die leistbaren Verluste deutlich vergrößert werden.

Folgende Fragen können zur Vorbereitung einer Partnerschaft gestellt werden (teilweise in Anlehnung an Faschingbauer (2013)):

Wer (im Unternehmen) kennt wen (in einem anderen Unternehmen)?

Wer könnte Interesse und Bereitschaft haben, das Vorhaben/ die Idee mit uns weiterzuentwickeln?

Wer will mitmachen und bringt eigene Mittel ein?

Was hat der potenzielle Partner, was wir nicht haben? Welche Mittel können beide nutzen?

Was unterscheidet die potenziellen Partner voneinander? Wie könnten Differenzen überwunden werden?

Wovon möchten sie ihren Partner im Dialog überzeugen? In welche Richtung zeigen ihre gemeinsamen Ideen?

Welchen Nutzen zieht der Partner aus dem Kontakt?

Welche Mittel könnten beide gemeinsam einsetzen?

Welche Win-win-Situation könnte man in einer Kooperation realisieren? Wohin können die gemeinsamen Aktivitäten führen?

Wie könnten die Partner gemeinsam Neues erschaffen und Ungewissheit reduzieren?

Wie können wir unserem Partner Sicherheit bieten? Wie können wir Risiko und Einsatz (leistbaren Verlust) für andere reduzieren?

Wie könnte man vorgehen, um schrittweise Vertrauen aufzubauen?

Wie könnten die Vereinbarungen gestaltet sein, um Verbindlichkeit aber auch Flexibilität zu ermöglichen und zugleich Vertrauen aufzubauen?

2.2.2 Vorgehensweise

Die oben genannten Prinzipien lassen sich in einem Prozess einbetten, der iterativ und zyklisch zu durchlaufen ist, wie in der nachfolgenden Abbildung verdeutlicht wird. Der Start beginnt mit der Mittelanalyse. Hier sind die verfügbaren Mittel (s. o.) zu betrachten und die Fragen zu beantworten, in welchen Kontexten diese (noch) nützlich sein könnten und welche Ergebnisse zu erreichen sind. Das oben genannte Prinzip der Mittelorientierung ist hier anzuwenden. Als Nächstes lassen sich durch das Handeln neue Informationen gewinnen und Fakten schaffen, welche die Zukunft gestalten. Dabei sollte man Überschaubarkeit ermöglichen (Welcher kleine Schritt führt uns weiter?). Diese überschaubaren Schritte sollten dabei viel Raum für weitere Entscheidungen lassen.

Weitere Fragen sind hier:

Womit könnte man sofort beginnen? Was wäre der erste Schritt?

Welche meiner Erfahrungen etc. kann ich hier und jetzt nutzen?

Zügig sollte dabei nach Partnern gesucht werden, mit denen gemeinsam etwas auf die Beine gestellt werden kann.

Wen können wir ansprechen und in das Projekt einbeziehen? Wem kann man sich anschließen?

Wer ist bereit, sich in das Projekt einzubringen?

Diese Partnerschaften ermöglichen neue Mittel sowie Möglichkeiten und ergeben (neue) gemeinsame Ziele. Im Sinne des oben genannten Prinzips der Zufälle und Umstände sind schließlich Umfeldänderungen als Chancen wahrzunehmen. Diese können wiederum die zur Verfügung stehenden Mittel und die verfolgten Ziele ändern.

Abbildung 4: Effectuation-Ansatz Quelle: In Anlehnung an Grichnik/Gassmann (2013), S. 14 dort zitiert nach Sarasvathy/Dew (2008)

Der Effectuation-Ansatz ist kein Ersatz für die strategisch-planerische Vorgehensweise. Vielmehr kann dieses Konzept in einer frühen Innovationsphase bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen sinnvoll sein. Sobald mehr Informationen über den Innovationskontext (Technologie-Entwicklungen, neue rechtliche Rahmenbedingungen, Wettbewerbssituation, Marktentwicklungen, Umfeldveränderungen etc.) vorhanden sind, können Methoden der strategisch-planerischen Vorgehensweise eingesetzt werden. Die beiden Ansätze ergänzen sich somit. Ebenso kann man nach dem Effectuation-Ansatz primär handeln, um schnelle Entscheidungen umzusetzen, die dann im Einzelfall kausal begründet werden. Es gilt dabei zu bedenken, dass diese adaptive Vorgehensweise nur möglich ist, wenn eine tatsächliche Entscheidungsfreiheit auch vorliegt.

2.3 Initiierung von Innovationsprojekten

Nachdem der Anstoß für die Überarbeitung bzw. Neuentwicklung des bestehenden Geschäftsmodells gegeben wurde, sollte im Sinne einer systematischen Vorgehensweise ein internes Projekt am besten vom Top-Management initiiert werden. Hiermit beginnt offiziell der eigentliche Innovationsprozess. Idealerweise sollte die Initiierung des Projektes eine Veränderungsbereitschaft im Unternehmen erzeugen.

Als Erstes sind dabei die Ziele dieses Projektes zu definieren. Eine klare Definition der Ziele ist eine notwendige Bedingung für den Erfolg eines Innovationsprojektes.

Ein Projektziel beschreibt somit immer einen (gewünschten/geplanten) Zustand am Ende des Projektes. Eine eindeutige und realistische Definition des Projektziels sollte Teil des Projektauftrags sein. Darauf zu achten ist, dass der Lösungsweg nicht vorgegeben wird. Mit Geschäftsmodell-Innovationen lassen sich die strategischen Innovationsziele eines Unternehmens umsetzen. Im Einzelnen sind z. B. aus Kunden-/Wettbewerbs- und Unternehmenssicht folgende Ziel zu nennen (in Anlehnung an Schallmo (2013), S. 33f.): Einen neuen bzw. gesteigerten Kundenwert stiften und damit Kundenbindung erhöhen bzw. neue Kundensegmente ansprechen, Wettbewerbsvorteile schaffen bzw. verbessern, sich gegenüber der Konkurrenz klarer differenzieren und die Imitierbarkeit erschweren sowie neue Erlösquelle erschließen und/oder verbesserte Kostenstruktur erzielen. Im Sinne einer klaren Zielbildung sind hier auch mögliche Vorgaben zu definieren. Dazu gehört ebenfalls eine präzise Benennung der zu beachtenden Restriktionen.

Dieses Vorgehen kann somit durchaus die Eingrenzung des Suchfeldes oder Festlegung der Elemente des Geschäftsmodells (s. Kapitel 4.4) darstellen, welche nicht oder nur in einem gewissen Rahmen verändert werden dürfen. Obwohl diese Vorgaben die Kreativität stark beschneiden können, wird damit die Strategie-Konformität (s. u.) und Umsetzbarkeit sichergestellt. Gleichwohl sollten solche Vorgaben gut begründet und vorab kritisch hinterfragt worden sein. Gerade im Durchbrechen von Konventionen kann viel Kreativitätspotenzial stecken.

Sobald die Ziele grob definiert sind, sollte ein interdisziplinäres Projektteam zusammengesetzt werden. Da Geschäftsmodell-Innovationen alle Funktionen betreffen, sind die hier leitenden Personen aus der Forschung, Entwicklung, Produktion, Marketing, Vertrieb, Controlling und anderen Service-Einheiten (z. B. Rechts-/Patentabteilung, Qualitätsmanagement etc.) einzubinden. Das Kernteam sollte nicht mehr als fünf bis neun Personen umfassen. Weiterhin gilt es das Zeit- und Kostenbudget des Projektes sowie die Berichts- und Kommunikationswege abzuklären.

In der Implementierungsphase geht es schließlich um die konkrete Umsetzung der Strategien auf Projekt-Ebene. Hierbei sind u. a. auch die Ressourcenallokation und die Verantwortlichkeiten zu klären, um die finanziellen und personellen Mittel gemäß der Strategie einzusetzen (Strategiekonformität). Alternativ können die Projekte zur Planung, Entwicklung und Umsetzung von Geschäftsmodell-Innovationen auch nach den Prinzipien des agilen Projektmanagements erfolgen. Detaillierte Empfehlungen für das Management solcher Projekte – ob klassich oder nach den agilen Prinzipien – finden sich bei Müller-Roterberg (2018a).

3

Geschäftssituation analysieren

3 Geschäftssituation analysieren

3.1 Umfeldanalyse

3.1.1 Trend-Analyse

3.1.2 PESTEL-Analyse

3.1.3 Trend-Impact-

Analysen

3.1.4 Szenario-Technik

3.1.5 Branchenstruktur-Analyse

3.1.6 Stakeholder-Analyse

3.2 Unternehmensanalyse

3.2.1 GAP-Analyse

3.2.2 Wertketten-Analyse und Prozessanalysen

3.2.3 Kernkompetenzen

3.3 Ganzheitliche Analysemethoden

3.3.1 Portfolio-Analyse

3.3.2 SWOT-Analyse

3Geschäftssituation analysieren

„Every act of création is first of all an act of destruction.“ – Pablo Picasso

Nach dem Anstoß zur Entwicklung einer Geschäftsmodell-Innovation und dem Aufsetzen eines entsprechenden Projektes sollte im nächsten Schritt eine tiefergehende Analyse über die Ist-Situation und die zukünftigen Entwicklungen und Trends sowohl unternehmensintern als auch im Umfeld des Unternehmens durchgeführt werden. Im Rahmen der strategischen Analyse und Prognosen sind Informationen über die Stärken und Schwächen des Unternehmens (Unternehmensanalyse) sowie den Chancen und Risiken aus dem Umfeld aufzubereiten (Umfeldanalyse). In diesem Zusammenhang sind in der nachfolgenden Tabelle einige der zu beantwortenden Fragen zusammengefasst.

Tabelle 2: Checkliste zur Unternehmens-/Umfeldanalyse bei Geschäftsmodell- Innovationen

Checkliste zur Unternehmens-/Umfeldanalyse

Was wird passieren, wenn wir nichts an unserem Geschäftsmodell verändern?

Was hat das bisherige Geschäftsmodell erfolgreich gemacht? Welcher Kundennutzen wird erzeugt? Werden damit Gewinne gemacht?

Welche Hinweise gibt es dafür, die Validität des Geschäftsmodells zu überprüfen?

Wer sind die relevanten Stakeholder des bisherigen Geschäftsmodells?

Welche Trends beeinflussen unser derzeitiges Geschäftsmodell wann und wie am meisten?

Welche Technologien beeinflussen unser Geschäftsmodell wann und wie am meisten?

Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen werden/können sich ändern?

Welche Alternativen existieren heute und in Zukunft?

Wer und wo sind die wesentlichen Wettbewerber? Welche Entwicklungen beim Geschäftsmodell gibt es bei der Konkurrenz? Haben Wettbewerber ihr Geschäftsmodell (oder Teile davon) überarbeitet? In welchen Teilen ist das Geschäftsmodell der Wettbewerber anders? Wie erfolgreich ist es? Warum wurde es geändert?

Welche Markteintrittsbarrieren existieren? Welche Markteintrittsbarrieren können wir erschaffen?

In den beiden nächsten Abschnitten werden diese Fragen aufgegriffen und Empfehlungen zur Durchführung einer Umfeld- (Kapitel 3.1) und Unternehmensanalyse (Kapitel 3.2) gegeben. Hierfür können die in der unten stehenden Tabelle aufgeführten Methoden eingesetzt werden.

Tabelle 3: Methoden zur Unternehmens-/Umfeldanalyse

Umfeldanalyse

Unternehmensanalyse

Trend-Analyse

Kapitel 3.1.1

Stärken-Schwächen-Analyse Benchmarking

s. Müller-Roterberg (2018)

PESTEL-Analyse

Kapitel 3.1.2

Wertketten-Analyse und Prozessanalysen

Kapitel 3.2.2

Trend-Impact-Analyse

Kapitel 3.1.3

GAP-Analyse

Kapitel 3.2.1

Technologie- und Industrie- Entwicklungsmodell-Analysen

s. Müller- Roterberg (2018a)

Analyse der Dienstleistungsqualität

s. Müller-Roterberg (2018)

Delphi-Methode

s. Müller- Roterberg (2018a)

Kernkompetenzen

Kapitel 3.2.3

Szenario-Technik

Kapitel 3.1.4

Ganzheitliche Methoden

Road Mapping

s. Müller- Roterberg (2018)

Portfolio-Analyse

Kapitel 3.3.1

Stakeholder-Analyse

Kapitel 3.1.6

SWOT-Analyse

Kapitel

3.3.2

Branchenstruktur-Analyse

Kapitel 3.1.5

Konkurrenten-Analyse

s. Müller-Roterberg (2018)

Anforderungsanalysen

s. Müller-Roterberg (2018)

3.1 Umfeldanalyse

Mit der Analyse des Umfeldes sind zwei grundsätzliche Fragen verbunden:

Wie sehr können Sie Situationen/Ereignisse des Umfeldes voraussehen?

Wie viel wissen Sie über die Situation bzw. Ereignisse im Umfeld des Unternehmens?

Die Herausforderungen, die sich aus den Antworten dieser Fragen ergeben, lassen sich mit dem Akronym VUCA zusammenfassen, das für Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity steht. Wie nachfolgend erläutert, lassen sich als Reaktion auf diese VUCA-Herausforderungen des Umfeldes entsprechende VUCA-Handlungsempfehlungen für das Unternehmen ableiten, die für Vision, Understanding, Clarity/Concentration und Agility/Adaptation stehen sollen. Die nachfolgende Abbildung zeigt, dass die VUCA-Herausforderungen in vielseitigen Wechselwirkungen zueinanderstehen und verschiedene Handlungsempfehlungen erfordern.

Abbildung 5: VUCA-Herausforderungen vs. VUCA-Handlungsempfehlungen

Volatility

:

Dies beschreibt die Unbeständigkeit/Sprunghaftigkeit bzw. die Geschwindigkeit und den Umfang, mit denen sich die Umfeldbedingungen verändern. Plötzliche und unerwartet wechselhafte Änderungen von unklarer Dauer erfordern agile und adaptive Antworten (Agility/Adaptation). Zudem ist eine verlässliche Vision erforderlich (s. Kapitel 2.1), die einen immer wieder bei diesen Schwankungen an den Kern des eigenen Tuns erinnert (warum machen wir das in dieser sprunghaften Welt überhaupt?).

Uncertainty

:

Unsichere Situationen, in der die kausalen Zusammenhänge unklarer werden, führen dazu, dass die Vorhersagbarkeit von Ereignissen abnimmt. Um das Verständnis in dieser unsicheren Welt zu erhöhen, müssen Informationen über die Umfeldbedingungen gesammelt, analysiert und bewertet werden (Understanding). Eine Vision kann darüber hinaus und in dieser unsicheren Welt Orientierung geben.

Complexity

:

Es gibt zahlreiche Faktoren des Umfeldes, die einen direkten oder indirekten Einfluss auf das Unternehmen ausüben können (s. nachfolgende Abschnitte). Diese Faktoren stehen in vielfältigen Wechselwirkungen zueinander und verändern sich dynamisch. Es ist daher wichtig, zunächst diese Komplexität zu verstehen (Understanding) bzw. Klarheit (Clarity) darüber bekommen und sich dann auf einige wenige Faktoren zu konzentrieren (Concentration).

Ambiguity

: