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Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu Gender-Aspekten zeigen deutliche Problemfelder und Gesundheitsnachteile bei Männern auf. Dazu gehören Tabuthemen wie psychische Störungen bei Männern, Verzögerung von Arztbesuchen und gestörtes Selbstbild in Bezug auf Gesundheit und Alter. Auf der anderen Seite steigen die Rollenanforderungen wie auch die individuellen (und auch die ästhetischen) Gesundheitsansprüche der Männer. Dieses Buch vermittelt fachübergreifende Beratung und Behandlungsstrategien für die Probleme, mit denen Männer heute in die Sprechstunde von Ärzten und Therapeuten aller Fachrichtungen kommen: „Neue Männerprobleme“ wie Burn-out, Dorian-Gray-Syndrom oder Männerkosmetik ebenso wie die klassischen Themen der Männerheilkunde wie etwa Fertilität, Erektionsstörungen oder „Wechseljahrbeschwerden“. Männergesundheit und Gesundheitsstrategien für Männer können nur mit einer multifaktoriellen Herangehensweise verstanden und abgeleitet werden. Dafür vermitteln in diesem Buch zahlreiche somatisch, psychotherapeutisch und sozialepidemiologisch tätige Spezialisten ihr Fachwissen.
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Seitenzahl: 722
Wolfgang Harth, Elmar Brähler, Hans-Christian Schuppe (Hrsg.)
Interdisziplinärer Beratungs- und Behandlungsleitfaden
mit Beiträgen von C. Bayerl, H.M. Behre, H.J. Berberich, S. Berger, E. Brähler, B. Brosig, S. Diederich, S. Eichhorn, J. Ernst, R.W. Freudenmann, L. Gansera, K. Geue, H. Götze, O. Gralla, S. Grunewald, G. Haidl, W. Harth, W. Heepe, A. Hegele, A. Hillert, S. Holze, J.W. Jacobeit, A. Jung, S. Kliesch, N. Köhler, F.-M. Köhn, J. Kupfer, M. Ludwig, F.R. Ochsendorf, U. Paasch, P.L. Plener, M. Plöderl, U. Preuß, D. Richter, H. Schöfer, D. Schultheiss, H.-C. Schuppe, K. Seikowski, C. Sellschopp, S. Singer, L. Spangenberg, Y. Stöbel-Richter, J.-U. Stolzenburg, R. Thiel, S. Thomas, R.M. Trüeb, W. Weidner, M. Wolfersdorf, M. Zitzmann
I Männerrollen: Männer sind anders
1 Mannsein als Risikofaktor
Lena Spangenberg und Elmar Brähler
2 Exkurs: Zwischen Konkurrenz, Karriere und Kollaps
Andreas Hillert
3 Umgang mit Gesundheit und Krankheit
Jörg Kupfer
4 Die „neuen alten Männer“: Gute Aussichten!
Svenja Eichhorn und Elmar Brähler
5 Warum werden (junge) Männer delinquent?
Ulrich Preuß
II Männerprobleme: kranke Männer
1 Unerfüllter Kinderwunsch: Fertilitätsstörungen des Mannes
Hans-Christian Schuppe, Gerhard Haidl, Falk R. Ochsendorf, Uwe Paasch und Frank-Michael Köhn
2 Umwelteinflüsse auf die männliche Fertilität
Hans-Christian Schuppe und Andreas Jung
3 Stress und Fertilität
Wolfgang Harth
4 Fertilitätsprävention
Sabine Kliesch
5 Hormonelle Kontrazeption beim Mann
Michael Zitzmann
6 Erektile Dysfunktion (ED): Diagnostik und Therapie
Dirk Schultheiss
7 Prostataprobleme
Martin Ludwig und Axel Hegele
8 Das lokalisierte Prostatakarzinom
Sigrun Holze, Norbert Köhler, Lutz Gansera, Jens-Uwe Stolzenburg, Elmar Brähler und Oliver Gralla
9 Harninkontinenz
Norbert Köhler, Sigrun Holze, Lutz Gansera, Elmar Brähler und Ralf Thiel
10 Hodentumoren
Sabine Kliesch
11 Hypogonadismus
Frank-Michael Köhn
12 Krankheiten der männlichen Brust
Hans-Christian Schuppe und Jens W. Jacobeit
13 Altershypogonadismus
Hermann M. Behre
14 Multifaktorielle „Männerkrankheiten“
Sven Diederich
15 Sexuell übertragbare Infektionen
Falk R. Ochsendorf und Helmut Schöfer
16 Dermatosen des männlichen Genitales
Frank-Michael Köhn
17 Androgenetischer Haarausfall
Ralph M. Trüeb
18 Missbrauch anabol-androgener Steroide
Hans-Christian Schuppe
19 Lifestyle-Medikamente in der Medizin
Wolfgang Harth
III Männerpsyche: Männer ticken anders
1 Sexualität in Pubertät und Jugendalter
Burkhard Brosig
2 Familiengründung und unerfüllter Kinderwunsch bei Männern
Yve Stöbel-Richter und Elmar Brähler
3 Psychosomatische Aspekte sexueller Funktionsstörungen
Wolfgang Harth
4 Sexualität im Alter
Diana Richter, Kristina Geue, Lutz Gansera und Elmar Brähler
5 Männliche Homosexualität
Martin Plöderl
6 Tabuthema – Männerdepression
Manfred Wolfersdorf
7 Suizid
Paul L. Plener und Roland W. Freudenmann
8 Somatoforme Störungen
Wolfgang Harth
9 Traumatisierung: sexueller Missbrauch
Wolfgang Harth
10 Die Männer des 2. Weltkriegs: Das Trauma des „starken Geschlechts“
Svenja Eichhorn und Elmar Brähler
11 Psychosoziale Faktoren des Alterns
Kurt Seikowski
12 Männer als Partner einer krebskranken Frau
Heide Götze und Jochen Ernst
13 Männer als Palliativpatienten
Heide Götze, Norbert Köhler, Lutz Gansera, Stephanie Berger und Susanne Singer
IV Männersprechstunde
1 Andrologie in der Praxis als interdisziplinäre Herausforderung
Wolfgang Harth
2 Andrologie in der Praxis
Hermann J. Berberich
3 Weiterbildung Andrologie
Frank-Michael Köhn
4 Andrologie in der Klinik
Gerhard Haidl, Hans-Christian Schuppe, Wolfgang Weidner und Uwe Paasch
5 Psychologische Diagnostik und Therapie in der andrologischen Liaisonsprechstunde
Kurt Seikowski
6 Psychoandrologische Sprechstunde
Wolfgang Harth
V Komplementäre Männermedizin
1 Exkurs: Burnout – prophylaktische und therapeutische Grundlagen (nicht nur für Männer) oder: Jeder hat gute Gründe sich zu überlasten, sonst würde er es nicht tun!
Andreas Hillert
2 Entspannungsberatung und Entspannungstherapien
Kurt Seikowski
3 Bewegung und Ernährungsprogramme
Claudia Sellschopp und Willi Heepe
4 Nahrungsergänzungsmittel
Stephanie Thomas, Sonja Grunewald und Uwe Paasch
5 Männerkosmetik
Christiane Bayerl
Der Männermedizin wurde in den letzten Jahren vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt. Dies fiel zusammen mit der Einführung der interdisziplinären Zusatzweiterbildung „Andrologie“.
Androloge kann werden, wer die Facharztbezeichnung Urologie, Innere Medizin mit Schwerpunkt Endokrinologie oder Dermatologie führt, eine 18-monatige Ausbildung durchläuft und anschließend eine Prüfung vor dem Gremium der Landesärztekammer ablegt. Diese neue Qualitätsdimension hat der Männermedizin deutlichen Vorschub geleistet.
Traditionell beschäftigt sich die Andrologie vorwiegend mit Fragen der Fertilität, Erektionsstörungen, Hypogonadismus, „Wechseljahrbeschwerden“ sowie Verhütungsmaßnahmen.
Männermedizin ist jedoch mehr: So zeigen neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu Gender Aspekten deutliche Problemfelder und Gesundheitsnachteile bei Männern auf. Dazu gehören Tabuthemen wie psychische Krankheit bei Männern, geringe Wahrnehmung von Vorsorgeuntersuchungen oder Verzögerung von Arztbesuchen und gestörtes Selbstbild aufgrund der Erziehung auch im Umgang mit Gesundheit. Weiterhin sind die ästhetischen und individuellen Gesundheitsansprüche der Männer gestiegen. Daraus resultiert eine multifaktorielle Herangehensweise, um Männergesundheit besser zu verstehen und daraus Gesundheitsstrategien abzuleiten.
Ebenso ergibt sich die Forderung nach breiterer fachübergreifender Aus- und Weiterbildung, um Männerproblemen besser gerecht werden zu können.
Mit dem vorliegenden Buch geben die Autoren erstmals einen praktischen Überblick über die Männermedizin unter biopsychosozialen Aspekten. Dabei werden relevante männermedizinische Probleme aufgezeigt, mit denen Ärzte verschiedener Fachdisziplinen täglich konfrontiert werden.
Die Herausgeber haben für dieses Buch somatisch, psychotherapeutisch und sozialepidemiologisch tätige Spezialisten im Bereich der Männermedizin zusammengebracht, um die Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und praktische Schlussfolgerungen für den Alltag darzustellen – auch um Möglichkeiten der Weiterentwicklung von gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen von Männern zu fördern.
Die Herausgeber wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen und Einfühlen in die komplexe Thematik der Männergesundheit.
Berlin, Leipzig, Gießen, 2011
Wolfgang Harth
Elmar Brähler
Hans-Christian Schuppe
Lena Spangenberg und Elmar Brähler
Ist das Mannsein ein Risikofaktor für ein kürzeres Leben und für verschiedene Erkrankungen? Dieser Frage soll anhand epidemiologischer Daten in diesem Kapitel nachgegangen werden. Dazu werden verschiedene Aspekte wie Lebenserwartung und somatische und psychische Morbidität näher beleuchtet und diskutiert. Die Zielstellung ist dabei weniger, eine umfassende und erschöpfende Darstellung der Thematik zu liefern, sondern es soll mittels ausgesuchter Befunde und möglicher Erklärungsansätze ein Einblick gewonnen werden.
In den letzten Jahren wurde der Gesundheit der Männer zunehmend mehr Beachtung geschenkt. Dies ist vor dem Hintergrund, dass männlich zu sein heutzutage in entwickelten Ländern den größten allein stehenden demografischen Risikofaktor für frühzeitige Sterblichkeit darstellt, durchaus gerechtfertigt (Kruger u. Nesse 2004). So steigt beispielsweise in Deutschland die Lebenserwartung seit Mitte des 19. Jahrhunderts an. Betrachtet man die vergangenen 50 Jahre (s. Tab. 1) wird jedoch deutlich, dass Frauen durchweg eine höhere Lebenserwartung hatten (Bundesministerium für Gesundheit 1997, 1999, 2001; Statistisches Bundesamt 2009).
Tab. 1 Lebenswartung für Männer und Frauen bei Geburt (in Jahren)
1949/1951
1970/1972
1988/1990
2006/2008
West
Männer
64,6
67,4
72,6
77,4
Frauen
68,5
73,8
79,0
82,5
Ost
Männer
65,1
69,0
70,0
76,1
Frauen
69,1
73,7
76,2
82,2
Anhand epidemiologischer Daten zu Mortalität und Morbidität im Geschlechtervergleich soll diskutiert werden, ob das Mannsein per se einen Risikofaktor darstellt oder ob noch mehr Faktoren in Betracht gezogen werden sollten, um diese Unterschiede in der Lebenserwartung zu erklären.
Die Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland (Ost/West) zwischen 1970 und 1990 demonstriert, wie sich gesellschaftliche Bedingungen auf die Lebenswartung auswirken können (s. Tab. 1). Seit der Wiedervereinigung schließt sich die Schere zwischen den alten und neuen Bundesländern allmählich wieder. Zwar haben Männer in den neuen Bundesländern nach wie vor eine geringere Lebenserwartung, allerdings finden sich mittlerweile vorwiegend ein Nord-Süd-Effekt sowie einige spezifische regionale Unterschiede. Die höhere Lebenserwartung in den „Speckgürteln“ in Süddeutschland lässt vermuten, dass die ökonomische Situation eine mögliche Erklärung liefert. Zwischen dem Armutsrisiko und der mittleren Lebenserwartung wurde auch ein Zusammenhang gefunden (Robert-Koch-Institut 2006; Leibniz-Institut für Länderkunde 2008).
Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Frage nach den Ursachen für die steigende Lebenserwartung. Unter anderem kann die Bildungsexpansion in Deutschland damit in Zusammenhang gebracht werden (Unger et al. 2009). Der Effekt der Höherqualifizierung kann sowohl direkt (Berufe mit weniger gesundheitlichen Belastungen) als auch indirekt sein (gesündere Lebensweise, kontinuierlichere Erwerbsverläufe).
Zwar scheinen Männer bisher im Vergleich zu Frauen eher kurz zu leben, dafür allerdings beschwerdefreier (Robert-Koch-Institut 2006). So leben beide Geschlechter im Durchschnitt bis zum Alter von etwa 63 Jahren beschwerdefrei. Zieht man in Betracht, dass Frauen im Mittel 5 Jahre länger leben, kann geschlussfolgert werden, dass diese Zeit mit Behinderungen und Beeinträchtigungen verbunden ist. Untermauert wird dies, wenn der Anteil der Pflegebedürftigen verglichen wird. Bei den ≥ 75-Jährigen ist der Anteil der weiblichen Pflegebedürftigen höher. Diese Differenz nimmt mit dem Alter zu und erreicht bei den über 90-Jährigen das Maximum: 62,7% der Frauen und 37,5% der Männer sind in dieser Altersgruppe pflegebedürftig (Robert-Koch-Institut 2004).
Bereits im frühen Alter haben Jungen eine erhöhte Sterblichkeit (Bründel u. Hurrelmann 1999):
Spontanabort häufiger bei männlichen Fötenmehr Totgeburten (115:100)mehr Todesfälle im ersten Lebensjahr (498:403,8 je 100.000 Lebendgeborene)In der Todesursachenstatistik für unter 65-Jährige weisen Männer in den Krankheitshauptgruppen im Vergleich zu Frauen höhere Mortalitätsziffern auf (Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2009). Vergleichsgrundlage ist dabei das geschlechtsspezifische Mortalitätsverhältnis (Sterbefälle je 100.000 Männer/Sterbefälle je 100.000 Frauen). Es beträgt bei Endokrinopathien 1,97 und bei Krankheiten des Atmungssystems 1,67. Unter den Erkrankungsgruppen, auf die mehr als dreiviertel der Todesfälle der unter 65-Jährigen zurückzuführen sind, gibt es auch deutliche Geschlechtsunterschiede (Neubildungen 1,29; Erkrankungen des Kreislaufssystems 2,71; Verletzungen und Vergiftungen 3,26; Erkrankungen des Verdauungssystems 2,19).
Des Weiteren ist die Zahl der Verkehrstoten bei Männern, trotz einer insgesamt sinkenden Zahl, nach wie vor zwei bis dreimal höher als bei Frauen (18,6 vs. 5,5 je 100.000 Einwohner). Dies gilt im Besonderen für 15- bis 25-Jährige (Bundesministerium für Gesundheit 2008). Hinsichtlich der Suizidraten ist festzuhalten, dass sich eine deutlich geringere Zahl an Frauen das Leben nimmt; mehr als 75% der Suizide werden von Männern verübt. Dabei finden sich besonders hohe Suizidraten in der der Gruppe der über 75-jährigen Männer (Möller-Leimkühler 2008; Leibniz-Institut für Länderkunde 2007).
Beurteilt man anhand ausgewählter körperlicher Krankheitsbilder, die aufgrund ihrer Häufigkeit, ihrer ökonomischen Folgen oder assoziierten Mortalität von Relevanz sind, den Gesundheitszustand von Männern und Frauen, wird schnell deutlich, dass im Bereich der somatischen Morbidität ebenfalls Geschlechtsunterschiede vorhanden sind. In Abbildung 1 ist die Prävalenz dieser bedeutsamen Erkrankungen dargestellt. Die für Deutschland repräsentativen Daten entstammen dem Bundesgesundheitssurvey 1998 (Robert-Koch-Institut 2006; Thamm 1999; Thefeld 2000; Thefeld 1999; Wiesner et al. 1999a; Wiesner et al. 1999b).
Abb. 1 Geschlechtsspezifische Prävalenz ausgesuchter Erkrankungen in der deutschen Bevölkerung (18 bis 79 Jahre)
Bei dieser globalen Betrachtung über alle Altersgruppen zeigt sich, dass Männer häufiger Hypertonie haben, unter Übergewicht leiden (Body Mass Index [BMI, kg/m2] > 25) und häufiger Herzinfarkte erleiden. Frauen hingegen zeigen tendenzielle höhere Werte bei den Diagnosen Diabetes mellitus und Schlaganfall. Zieht man weitere Faktoren in Betracht, wird deutlich, dass Morbiditätsunterschiede auch stets differenziert betrachtet werden sollten. Neben einer Zunahme der Morbidität bei allen angeführten Erkrankungen mit dem Alter treten Geschlechtsunterschiede zum Teil in manchen Altersgruppen nicht oder in anderer Richtung auf. Anhand einiger Befunde sei dies exemplarisch verdeutlicht: Die insgesamt höhere Prävalenz der Diabetes-Erkrankungen bei Frauen liegt in der sehr hohen Prävalenz bei den 70- bis 79-jährigen Frauen begründet (Thefeld 1999). Schlaganfälle sind bei den 50- bis 59-Jährigen Männern deutlich häufiger als bei Frauen, während diese in allen anderen Altersgruppen höhere Werte aufweisen (Wiesner 1999b). Auch regionale und soziale Einflüsse lassen sich finden. So sind beispielsweise Diabetes und Hypertonie in Ostdeutschland häufiger (Thefeld 1999; Thamm 1999). Je höher die soziale Schichtgehörigkeit ist, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit übergewichtig zu sein oder Bluthochdruck zu haben (Thefeld 2000), umgekehrt verhält es sich mit Diabetes mellitus (Typ-II) (Robert-Koch-Institut 2006; Thefeld 1999). In Analysen zu Veränderungen des Krankheitsgeschehens zeigt sich zudem, dass Frauen in Bezug auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine zunehmende Risikobelastung haben und die Inzidenz von Herzinfarkten bei 25- bis 54-Jährigen ansteigend ist (Robert-Koch-Institut 2006; Thefeld 2000).
Morbiditätsunterschiede lassen sich auch in weiteren Krankheitsgruppen finden (Robert-Koch-Institut 2006): Chronische Rückenschmerzen, die infolge damit einhergehender Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung von großer Relevanz sind, sind ähnlich wie andere Schmerzsymptome häufiger bei Frauen (22%) als bei Männern (15%). Als mögliche Gründe werden unterschiedliche Schmerz-Risikofaktoren oder Wahrnehmungsunterschiede diskutiert. Die Inzidenz von Krebserkrankungen wiederum lag bei Männern im Jahr 2002 mit 452 im Vergleich zu 335 bei Frauen je 100.000 Einwohner höher. Während Männer vor allem an Lungenkrebs erkranken, ist bei Frauen der Brustkrebs am häufigsten. Auch hier gibt es Veränderungen: So tritt bei Frauen Lungenkrebs infolge des angestiegenen Nikotinkonsums zunehmend häufiger auf.
Im Bereich der psychischen Störungen finden sich bereits bei Kindern und Jugendlichen geschlechtsspezifische Unterschiede. Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey hat die Symptombelastung auf verschiedenen Dimensionen psychischer Gesundheit in einer bundesweiten repräsentativen Stichprobe (3 bis 17 Jahre) untersucht. 17,8% der Jungen und 11,5% der Mädchen können demnach als verhaltensauffällig oder grenzwertig verhaltensauffällig betrachtet werden. Bei dieser Zuordnung handelt es sich nicht um klinische Diagnosen (Hölling et al. 2007). Eine mögliche Erklärung für diesen Befund, dass Jungen eher dazu neigen, psychische Probleme zu externalisieren und damit eine vorhandene Problematik auch für das Umfeld leichter sichtbar ist, während Mädchen eher internalisieren (Rothenberger et al. 2008). Eine Substichprobe 7- bis 17-Jähriger (BELLA-Studie) wurde in Hinblick auf psychische Probleme näher untersucht. In Tabelle 2 finden sich alters- und geschlechtsspezifische Prävalenzen ausgewählter Störungen (Ravens-Sieberer et al. 2008). Während Mädchen höhere Prävalenzen bei Angststörungen aufweisen, liegen Jungen bei Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen und Verhaltensstörungen vorn. Die Unterschiede bei Depression sind geringfügig.
Tab. 2 Prävalenz von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Symptomen und Beeinträchtigung in ausgewählten Störungsgruppen (Zahlen aus Ravens-Sieberer et al. 2008)
Depression (in %)
Angst (in %)
ADHS (in %)
Verhaltensstörung (in %)
7–10 Jahre
Mädchen
5,6
7,5
2,2
6,7
Jungen
5,5
5,2
5,5
10,5
11–17 Jahre
Mädchen
4,6
4,2
1,5
8,4
Jungen
5,3
3,8
2,8
10,9
Bei Erwachsen zeigt sich hinsichtlich der Prävalenz psychischer Störungen ein anderes Bild. Die Ergebnisse des Zusatzmoduls Psychische Störungen im Bundesgesundheitssurvey zeigen, dass mit Ausnahme der Substanzstörungen Frauen häufiger von psychischen Störungen betroffen sind als Männer. Dies gilt insbesondere bei affektiven und Angststörungen (Jacobi et al. 2004a; Jacobi et al. 2004b). Alters- und geschlechtsspezifische Prävalenzen für wichtige Diagnosegruppen (DSM-IV) sind in Tabelle 3 aufgeführt.
Tab. 3 12-Monats-Prävalenz ausgesuchter psychischer Störungen bei Frauen und Männern (Zahlen aus Jacobi et al. 2004b)
Diagnosegruppe
18–34 Jahre (%)
35–49 Jahre (%)
50–65 Jahre (%)
Gesamt (%)
Frauen
Männer
Frauen
Männer
Frauen
Männer
Frauen
Männer
Substanzstörungen*
2,9
12,3
1,7
5,3
0,6
3,6
1,7
7,2
affektive Störungen
13,4
9,4
16,8
8,5
15,9
7,6
15,4
8,5
Angststörungen
20,0
8,0
19,4
10,0
19,9
9,7
19,8
9,2
somatoforme Störungen
14,9
5,7
15,2
7,3
14,7
8,6
15,0
7,1
Essstörungen
1,0
0,2
0,5
0,3
0,0
0,1,
0,5
0,2
irgendeine psychische Störung
38,0
27,4
36,5
25,9
36,5
22,2
37,0
25,3
*Missbrauch und Abhängigkeit (ohne Nikotin)
Allerdings wird vermutet, dass die gefundenen Geschlechtsunterschiede zumindest teilweise auch darin begründet liegen, dass frauentypische Störungen umfassender erfasst wurden. Eine andere Erklärung hinsichtlich der zumeist niedrigeren Prävalenz depressiver Erkrankungen bei Männern ist, dass es eine „männliche“ Depression gibt, die durch die gängige Psychodiagnostik nicht erfasst wird. Angenommen wird, dass die erfragten depressiven Symptome als weiblich gelten und infolgedessen von Männern dissimuliert oder abgewehrt werden (Möller-Leimkühler 2008). Neben diesem deutlichen Geschlechtsunterschied, der sich auch in einer Metaanalyse europäischer Studien zeigte (Wittchen u. Jacobi 2005), ist festzuhalten, dass die Prävalenz psychischer Störungen auch regionalen Einflüssen zu unterliegen scheint: So sind einige psychische Störungen in den alten Bundesländern häufiger (Jacobi et al. 2004a), bei den affektiven Störungen blieb der Geschlechtsunterschied jedoch trotz der regionalen Unterschieds erhalten (Wittchen et al. 1999).
Die anfänglich aufgeworfene Frage, ob das Mannsein ein Risiko für eine verkürzte Lebenserwartung und Erkrankungen bietet, lässt sich nicht global mit Ja oder Nein beantworten. Einige der hier referierten Befunde legen es nahe, andere wiederum nicht: Zwar ist die Lebenserwartung von Männern kürzer, allerdings spielen neben dem Geschlecht auch regionale und gesellschaftliche Faktoren eine Rolle. Es ist jedoch festzuhalten, dass die Mortalität von Männern bei vielen körperlichen Erkrankungen gegenüber Frauen erhöht ist, sie häufiger Opfer tödlicher Unfälle sind und höhere Suizidraten aufweisen als Frauen. Auch bei der somatischen Morbidität gibt es Geschlechtsunterschiede. Hier wird ebenfalls deutlich, dass nicht allein das Geschlecht, sondern auch Einflüsse wie soziale Schicht und Lebensstil eine Rolle spielen. Deutlich positiver hingegen fällt der Geschlechtervergleich hinsichtlich der Prävalenz psychischer Erkrankungen für die Männer aus. Obwohl im Kindes- und Jugendalter eher die Jungen zu Verhaltensauffälligkeiten neigen, sind im Erwachsenenalter Frauen deutlich häufiger von psychischen Störungen betroffen. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es vielerlei Geschlechtsunterschiede gibt und diese häufig, aber nicht immer, negativ für die Männer ausfallen. Wie kommen diese Differenzen in Lebenserwartung, Mortalität und Morbidität nun zustande? Dazu gibt es verschiedene Erklärungsansätze.
So bietet die Frage, ob biologische oder soziale Faktoren die Differenzen bestimmen, ein äußerst vielschichtiges Forschungsfeld. In der sogenannten Klosterstudie wurde mittels einer Mortalitätsanalyse von mehr als 8.000 Nonnen und Mönchen aus Bayern untersucht, ob Sterblichkeitsunterschiede eher auf Biologie oder Verhalten zurückzuführen sind (Dinkel u. Luy 1999; Luy 2002). Aufgrund der klösterlichen Lebensweise konnten für die untersuchten Personen einige mortalitätsassoziierte Faktoren ausgeschlossen werden (Schwangerschaft, Säuglings- und Kindersterblichkeit, Unterschiede bei Gesundheit gefährdender Lebensführung, ungleiche Rollen von Ehepartnern), andere wie Rauch- oder Trinkverhalten bleiben jedoch schwer abzuschätzen. Es zeigte sich, dass Mönche älter werden als Männer der Allgemeinbevölkerung, während Nonnen im Vergleich zu Frauen aus der Allgemeinbevölkerung eine ähnlich hohe Lebenserwartung aufweisen. Allerdings ist die gefundene Differenz von zwei Jahren in der Lebenserwartung zwischen Mönchen und Nonnen trotz einer sich gleichenden Zunahme im letzten Jahrhundert stets konstant geblieben.
Sozialwissenschaftliche Fächer, die den Zusammenhang von Gender und Gesundheit erforschen, postulieren hingegen, dass Geschlechterrollen und -stereotypien ein unterschiedliches Gesundheitsverhalten zur Folge haben (Alfermann 1996; Courtenay 2000). So können bei Männern auch riskante Verhaltensweisen, ein anderer Umgang mit Beschwerden und eine andere Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, die mit typischen Eigenschaften der männlichen Rolle zusammenhängen, Mortalität und Morbidität zweifelsohne (negativ) beeinflussen.
Zufrieden stellende Erklärungen für Geschlechtsunterschiede wurden innerhalb dieser Erklärungsansätze bisher nur bedingt gefunden. Die Befunde haben zumeist eher spekulativen Charakter als eine empirisch gesicherte Basis. Eine biopsychosoziale Perspektive ist daher vonnöten. In Zukunft sollte die Forschung zu Geschlechtsunterschieden bei Lebenserwartung, Mortalität und Morbidität verschiedene biologisch-medizinische (wie genetische Dispositionen, physiologische und hormonelle Merkmale) und sozial-gesellschaftliche Faktoren (wie Bewältigungsstrategien, berufliche und familiäre Rollen) einbeziehen.
Alfermann D (1996) Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten. Kohlhammer, Stuttgart
Bründel H, Hurrelmann K (1999) Konkurrenz, Karriere, Kollaps. Männerforschung und der Abschied vom Mythos Mann. Kohlhammer, Stuttgart
Bundesministerium für Gesundheit (1997) Daten des Gesundheitswesens. Ausgabe 1997. Nomos, Baden-Baden
Bundesministerium für Gesundheit (1999) Daten des Gesundheitswesens. Ausgabe 1999. Nomos, Baden-Baden
Bundesministerium für Gesundheit (2001) Daten des Gesundheitswesens. Ausgabe 2001. Nomos, Baden-Baden
Bundesministerium für Gesundheit (2008) Daten des Gesundheitswesens. Ausgabe 2008. Nomos, Baden-Baden
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Wittchen HU, Müller N, Pfister H, Winter S, Schmidtkunz B (1999) Affektive, somatoforme und Angststörungen in Deutschland – Erste Ergebnisse des bundesweiten Zusatzsurveys „Psychische Störungen“. Gesundheitswesen 61, Sonderheft 2, 216–222
Andreas Hillert
Der Auftrag, das vorliegende Kapitel zu schreiben, war eine Herausforderung, die nur wahre Männer bewältigen können: Risikoverhalten nach dem Motto: „Du hast keine Chance, nutze sie!“ Dass Männer anders ticken– als Frauen, an wen oder was sollte man sonst in diesem komparativen Kontext denken–, dass Männer also Konkurrenz-, Dominanz- und damit karriereorientierter sind, härter, konsequenter, risikobereiter, sich weniger sorgen und eher handeln… (z.B. Bischof-Köhler 2010, 2011; Schulz et al. 2002) und es mit diesen Charakteristika schwer haben, all dies pfeifen die Spatzen ebenso von den Dächern dieser Welt, wie Barden die schwachen Seiten des starken Geschlechtes besingen. Männer sind so verletzlich und kriegen schließlich einen Herzinfarkt. Bei Männern werden Entzündungsprozesse stärker durch Stress stimuliert, Fibrinogen und C-reaktives Protein steigen (Toker et al. 2005). Männer trinken mehr und greifen schneller zu aufputschenden und konzentrationsfördernden Drogen (DAK-Gesundheitsreport 2009). Zudem hat Stress bei Männern Einfluss auf die Partnerinnenwahl, mit Händen im eiskalten Wasser fühlen sie sich eher nackten Frauen (auf Fotos) zugetan, die ihnen weniger ähnlich sind.
Ein solches filigran-melancholisches Gesamtbild einige Seiten lang anhand ausgewählter Daten, von niedersten Tieren bis zum Managerverhalten, zu bestätigen, wäre in hohem Maße erwartungskonform und entsprechend, zumal für Männer, wenig reizvoll. Einige Leser könnten dann auf Meta-Ebene ihre Wunden lecken, mit ihrem mickrigen Y-Chromosom Frieden schließen und müde konstatieren, dass die Wissenschaft in den letzten Jahrhunderten nicht viel weiter gekommen ist, als es Dichter und Denker schon immer waren. Richtig unangenehm würde es nur, wenn emanzipierte Frauen diese Seiten lesen würden. Implizit beinhalten die skizzierten Aussagen ja nichts anderes, als dass Frauen „von Natur aus“ eben anders anders sind. Selbst wenn man es noch so vorsichtig umschreibt, bliebe unter dem Strich übrig, dass Frauen weniger aggressiv und auf direktem Wege durchsetzungsfähig sind, dass sie sich eher im sozialen Netz verankern (und verstricken), letztlich viel besser zur familienfürsorglichen Brutpflege und weniger für das harte Berufsleben geeignet sind. Selbst Autorinnen, deren wissenschaftliche Untersuchungen eben solche Ergebnisse hatten, zeigten sich in der Diskussion ihre Resultate eifrig bemüht, diese schnell und heftig zu relativieren und sie damit soweit vom Tisch zu fegen, dass sie in keinem Fall irgendwie ethisch, sozialpolitisch oder sonstwie (miss-)verstanden werden können sollten und dürfen (Taylor et al. 2000). Wir alle sind fundamental von Emanzipation durchdrungen– und das ist gut so! Niemand soll diskriminiert werden, was allerdings Auswirkungen auf unsere Fähigkeit zu differenzieren haben könnte.
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