Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) - Holger Hembach - E-Book

Praxisleitfaden Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) E-Book

Holger Hembach

0,0
64,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erlegt Unternehmen umfangreiche Pflichten zum Schutz der Menschenrechte und bestimmter Umweltstandards in ihrem eigenen Geschäftsbereich und in ihrer Lieferkette auf. Dazu gehören beispielsweise die regelmäßige Durchführung menschenrechtlicher Risikoanalysen, die Verabschiedung einer Menschenrechtsstrategie und die Schaffung von Beschwerdemechanismen für Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Für Verstöße gegen diese Pflichten sieht das Gesetz erhebliche Bußgelder vor; darüber hinaus droht der Ausschluss von Vergabeverfahren. Menschenrechte werden damit zum Compliance-Thema. Das Gesetz gilt zunächst ab 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern; ab dem 1.1.2024 ist es auch auf Unternehmen mit 1.000 Mitarbeitern anwendbar. Darüber hinaus wird es über die Erstreckung der Pflichten auf die Lieferkette auch Folgen für zahlreiche kleinere Unternehmen haben. Das Buch bietet eine erste Orientierung zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Es erläutert grundlegende Konzepte und gibt Handreichungen zur Umsetzung. Zudem enthält die Untersuchung die Aufgaben sowie Rechte und Befugnisse des Monitors, Prüfungsmaßstäbe, sowie die Grenzen des Monitors, die sich u.a. aus den Gebieten des Datenschutzes, des Arbeitsrechts oder der Unternehmensrechte auf Geheimnisschutz ergeben. Im Anschluss an die Prüfung der Rechtsnatur des Monitors stellt der Autor die praktische Ausgestaltung des Monitorships einschließlich einzelner Prüfungsphasen dar. Zuletzt werden noch Vor- und Nachteile des Monitorships, Kritikpunkte und Bewertungen abgeschlossener Monitorships beleuchtet, bevor die Arbeit mit einer abschließenden Bewertung der bestehenden Rechtslage bzw. einem Ausblick endet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 389

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Praxisleitfaden Lieferkettensorgfalts-pflichtengesetz

von

Holger Hembach

 

 

 

Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8005-1802-9

© 2022 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main www.ruw.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Druck: Druckerei Hachenburg – PMS GmbH, 57627 Hachenburg

Printed in Germany

Vorwort

Die Debatte im Vorfeld der Verabschiedung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes war von ideologischen Gegensätzen und heftigen Debatten geprägt. Nun ist das Gesetz verabschiedet und Unternehmen sehen sich mit der Frage konfrontiert, wie sie es umsetzen sollten. Das Buch versucht hier eine erste Annäherung. Es ist unter doppelt schwierigen Bedingungen entstanden. Einerseits ist Literatur zum Gesetz naturgemäß noch rar. Andererseits waren Bibliotheken aufgrund der Corona-Pandemie lange Zeit nicht oder nur sehr eingeschränkt zugänglich. Beides hat dazu beigetragen, dass ich auch in großem Umfang auf frei im Internet zugängliche Quellen wie Ratgeber von Nichtregierungsorganisationen, internationalen Organisationen oder Wirtschaftsvereinigungen zurückgegriffen habe.

Ich danke dem Verlag für die engelsgleiche Geduld beim Warten auf das Manuskript und würde mich über Rückmeldungen und Anregungen zum Buch unter der e-mail: [email protected] freuen.

Bergisch Gladbach im Februar 2022

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abkürzungsverzeichnis

A) Einführung

B) Der Weg zum LkSG

I) Einführung

II) Anfänge des Schutzes der Menschenrechte auf nationaler Ebene

III) Der internationale Schutz der Menschenrechte

1) Anfänge

2) Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg

3) Durchsetzung

4) Menschenrechte der ersten, zweiten und dritten Generation

IV) Die Debatte über Wirtschaft und Menschenrechte

V) Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte

VI) Der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte

VII) Internationale Gesetzgebung zu menschenrechtlichen Pflichten von Unternehmen

1) Herangehensweisen

2) California Transparency in Supply Chains Act

3) Der UK Modern Slavery Act

4) Der Australische Modern Slavery Act

5) Modern Slavery Act 2018 (NSW) – New South Wales, Australien

6) Das Loi de Devoir de Vigilance

VIII) Ausblick

1) Entwicklungen in anderen Ländern

a) Niederlande

b) Kanada

c) Norwegen

2) Transnationale Entwicklungen

a) Regelung auf EU-Ebene

aa) Einführung

bb) Entschließung des EU-Parlaments

cc) Weitere Entwicklung

dd) Richtlinienvorschlag der EU-Kommission

b) Bindender Vertrag der UN

C) Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

I) Anwendungsbereich

1) Unternehmen

2) Sitz

3) Zahl der Mitarbeiter

II) Geschützte Interessen und Gegenstand der Sorgfaltspflicht

1) Überblick

2) Menschenrechtliche Risiken

a) Überblick

aa) Kinderarbeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2)

bb) Zwangsarbeit (§ 2 Abs. 2 Nr. 3)

cc) Sklaverei und ähnliche Praktiken (§ 2 Abs. 2 Nr. 4)

dd) Pflichten des Arbeitsschutzes (§ 2 Abs. 2 Nr. 5)

ee) Koalitionsfreiheit (§ 2 Abs. 2 Nr. 6)

ff) Diskriminierungsverbot (§ 2 Abs. 2 Nr. 7)

gg) Vorenthaltung eines angemessenen Lohns (§ 2 Abs. 2 Nr. 8)

hh) Herbeiführung einer schädlichen Bodenveränderung (§ 2 Abs. 2 Nr. 9)

ii) Widerrechtliche Zwangsräumung und widerrechtlicher Entzug von Land (§ 2 Abs. 2 Nr. 10)

jj) Beauftragung von Sicherheitskräften (§ 2 Abs. 2 Nr. 11)

kk) Besonders schwerwiegender Eingriff in geschützte Rechtsgüter (§ 2 Abs. 2 Nr. 12)

3) Umweltbezogene Risiken

III) Die Pflichten des LkSG

1) Überblick und Kernbegriffe

a) Sorgfaltspflichten

b) Geschäftsbereich

c) Lieferkette

aa) Reichweite der Lieferkette

bb) Unmittelbarer und mittelbarer Zulieferer

d) Substantiierte Kenntnis

2) Die Pflichten und ihre Umsetzung

a) Allgemeines

b) Vorgeschlagener Ablaufplan zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten

c) Risikomanagement (§ 4)

aa) Festlegung der Zuständigkeit und Menschenrechtsbeauftragter

d) Die Risikoanalyse (§ 5)

aa) Allgemeines

bb) Risiko

cc) Die Durchführung der Risikoanalyse

e) Präventionsmaßnahmen (§ 6)

aa) Allgemeines

bb) Grundsatzerklärung über Menschenrechtsstrategie

cc) Maßnahmen im eigenen Geschäftsbereich

dd) Maßnahmen bei unmittelbaren Zulieferern

f) Abhilfemaßnahmen (§ 7)

aa) Maßnahmen

bb) Abbruch der Geschäftsbeziehungen

g) Beschwerdemechanismen (§§ 8, 9)

aa) Allgemeines

bb) Anforderungen

cc) Whistleblower-Richtlinie

h) Berichtspflichten

aa) Allgemeines

bb) Dokumentationspflicht

cc) Berichtspflicht

IV) Durchsetzung

1) Das BAFA

a) Allgemeines

b) Handreichungen

c) Kontrolle

aa) Risikobasierter Ansatz

bb) Kontrollanlässe

cc) Kontroll- und Ermittlungsbefugnisse

2) Bußgeldvorschriften

a) Überblick

b) Verfassungsrechtliche Bedenken

c) Täter und Teilnehmer

d) Geldbuße für Unternehmen

e) Sanktionsrahmen

f) Bemessung des Bußgeldes

3) Vergaberechtliche Folgen

4) Haftung

a) Allgemeines

b) Gerichtsstand

c) Anwendbares Recht

d) Prozessstandschaft

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a.A.

anderer Ansicht

Abs.

Absatz

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AG

Aktiengesellschaft

Art.

Artikel

ARP

Arbeitsschutz in Recht und Praxis

Aufl.

Auflage

Az.

Aktenzeichen

BAFA

Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle

BAG

Bundesarbeitsgericht

BB

Betriebsberater

BDI

Bundesverband der Deutschen Industrie

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

BImSchG

Bundesimmissionsschutzgesetz

BKR

Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht

BT-Drucksache

Bundestags-Drucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

CB

Compliance Berater

CIA

Central Intelligence Agency

CCZ

Corporate Compliance Zeitschrift

CEACR

Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations

CEDAW

Committee on the Elimination of Discrimination against Women

DAV

Deutscher Anwaltverein

DSG-VO

Datenschutzgrundverordnung

ECCHR

European Center for Constitutional and Human Rights

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EU

Europäische Union

EuG

Europäisches Gericht

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuZPR/EuIPR

Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht

FARC

kongolesische Armee

g.

gegen

GG

Grundgesetz

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

HGB

Handelsgesetzbuch

HRIA

Human Rights Impact Assessment

Hrsg.

Herausgeber

KgaA

Kommanditgesellschaft auf Aktien

i.V.m.

in Verbindung mit

ICJ

International Court of Justice

ICTY

International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia

ILO

International Labour Organisation

IOM

Internationale Organisation für Migranten

IPBPR

Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte

IPWSKR

Internationaler Pakt über wirtschaftliche soziale und kulturelle Rechte

LAG

Landesarbeitsgericht

LG

Landgericht

LkSG

Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

LKV

Zeitschrift für Landes- und Kommunalverwaltung

m.E.

meines Erachtens

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NZBau

Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht

NZG

Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

NZWiSt

Neue Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht

OECD

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

OHCHR

Office of the High Commissioner for Human Rights

OLG

Oberlandesgericht

OSCE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

OWiG

Ordnungswidrigkeitensgesetz

RAW

Recht der Automobilwirtschaft

Rn.

Randnummer

S.

Seite

SARL

Sociétes Anonymes à Responsabilité Limitée

SAS

Sociétes par Actions Simplifiées

SCA

Sociétes en Commandite par Actions

SE

Europäische Gesellschaften

THB

Trafficking in Human Beings

u.a.

und Andere

u.ä.

und ähnlich(es)

UmwRG

Umweltrechtsbehelfegesetz

UN/VN

United Nations/Vereinte Nationen

UNHCHR

United Nations High-Commissioner for Human Rights

UNICEF

United Nations International Children’s Emergency Fund

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

WRegG

Wettbewerbsregistergesetz (Gesetz zur Einführung eines Wettbewerbsregisters und zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen)

ZfBR

Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZUR

Zeitschrift für Umweltrecht

A) Einführung

Milton Friedmann schrieb Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts in seinem Buch „Kapitalismus und Freiheit“: „Es gibt eine, und nur eine, soziale Verantwortung eines Unternehmens – seine Ressourcen zu nutzen und Aktivitäten vorzunehmen, die dazu dienen, seine Profite zu steigern, solange es die Regeln beachtet, das bedeutet, sich an einem offenen und freien Wettbewerb ohne Täuschung oder Betrug beteiligt“.1

Unternehmen vertreten diese Auffassung, zumindest offen, kaum noch. Sie bekennen sich zum großen Teil zu ihrer Verantwortung für die Gesellschaft und die Umwelt. Dabei sehen sie sich Druck von verschiedenen Seiten ausgesetzt. Konsumenten und Mitarbeiter erwarten, dass Unternehmen hohen Standards in Bereichen wie Menschenrechte, Umweltschutz, Diversität und Inklusion gerecht werden. Davon machen sie in vielen Fällen Konsumentscheidungen oder Entscheidungen darüber, wo sie tätig werden möchten, abhängig.

Darüber hinaus spielen derartige Faktoren häufig auch bei Entscheidungen über Investitionen eine Rolle. 2006 entwickelte eine Gruppe institutioneller Investoren mit Unterstützung der UN die „Principles for Responsible Investment“; zahlreiche Investoren, darunter der weltweit größte Vermögensverwalter Blackrock, haben sich dieser Initiative angeschlossen. Die Prinzipien besagen im Wesentlichen, dass Investoren verstärkt sogenannte ESG-Kriterien bei Investitionen berücksichtigen werden und von Unternehmen Informationen hierzu verlangen.

Das Kürzel ESG steht für Environment, Social, Governance. Der Begriff geht zurück auf einen Bericht den die Finanz-Initiative des UN Umweltprogramms (UNEP Finance Initiative) 2004 veröffentlichte. Dieser trug den Titel „The Materiality of Social, Environmental and Corporate Governance Issues to Equity Pricing“ und befasste sich mit den möglichen finanziellen Folgen des Klimawandels, Beschäftigungsrisiken und Risken der öffentlichen Gesundheit, politischen Rechten und der Unternehmensführung,

Im Anschluss daran wurde im Auftrag der UNEP Finance Initiative 2005 ein Bericht mit dem Titel „A legal framework for the integration of environmental, social and governance issues into institutional investment“ veröffentlicht, der den Begriff in der heute üblichen Form etablierte. Er definierte ESG-Themen als solche, die eines oder mehrer der folgenden Charakteristika aufweisen:

• Sie sind im Fokus der öffentlichen Anliegen

• Sie sind qualitativ und nicht ohne weiteres finanziell mess- oder bewertbar

• Sie spiegeln äußere Faktoren wider, die von Marktmechanismen nicht gut erfasst werden (wie beispielsweise Umweltverschmutzung)

• Sie sind häufig der Gegenstand eines strenger werdenden regulatorischen Rahmens

• Sie tauchen in der Lieferkette eines Unternehmens auf

ESG-Kriterien sollen danach in zweifacher Hinsicht eine Rolle bei Entscheidungen über Investitionen spielen. Einerseits können sie Einfluss auf die künftige Wertentwicklung und damit das Risiko einer Anlage haben; andererseits sind sie bei der Einschätzung der Folgen eines Investments für die gesamte Gesellschaft zu berücksichtigen.

Inzwischen wird der Begriff ESG häufig auch allgemeiner im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit und der sozialen Verantwortung von Unternehmen gebraucht.

Schließlich haben auch Staaten ein Interesse daran, dass Unternehmen sich ihrer Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt bewusst sind. Die Transformationsprozesse, die in vielen Bereichen als notwendig oder wünschenswert angesehen werden – beispielsweise, um den Klimawandel zu bekämpfen – sind häufig ohne Mitwirkung der Wirtschaft kaum zu bewältigen.2

Unternehmen haben auf diese Erwartungen in der Vergangenheit vor allem im Rahmen ihrer „Corporate Social Responsibility“ geantwortet. Allerdings sind solche Maßnahmen und ihre Ergebnisse für Verbraucher nur schwer überprüfbar. Aus Sicht des Unternehmens kann es daher genug sein, wenn Konsumenten glauben, das Unternehmen sei besonders nachhaltig.3 Das hat zum sogenannten „green-washing“ geführt, also den Versuch, das eigene Unternehmen oder bestimmte Produkte als ökologisch oder sozial besonders verantwortungsvoll darzustellen, ohne diesem Standard tatsächlich gerecht zu werden.

Eine mögliche Antwort darauf ist Transparenz. Je besser Verbraucher sich informieren können, wie „nachhaltig“ oder „fair gehandelt“ Produkte wirklich sind, desto geringer ist die Gefahr des Greenwashing. Es gibt inzwischen ein große Zahl and Siegeln und Zertifikaten, die bestätigen, dass Unternehmen oder Produkte bestimmten Anforderungen genügen. Gerade durch ihre Vielzahl erschweren sie aber die Information, denn kaum jemand möchte sich vor einer Kaufentscheidung zunächst ausführlich damit auseinander setzen, was ein bestimmte Zertifikat oder Siegel bestätigt und was nicht.

Auch der Gesetzgeber versucht in bestimmten Bereichen, die Transparenz zu erhöhen. Regelungen wie der UK Modern Slavery Act (dazu unten S. 28) oder die EU-Konfliktmineralienverordnung verpflichten Unternehmen zu bestimmten Informationen, um bestimmte Probleme im Zusammenhang mit der Produktion oder der Herkunft von Gütern sichtbar zu machen. Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen wird von vielen bezweifelt.4

Deshalb gibt es international vermehrt Regelungen, die Unternehmen zu konkreten Maßnahmen verpflichten, um den Schutz von Menschenrechten und Umwelt zu gewährleisten. In dieses Umfeld fügt sich das LkSG ein.

Das Gesetz gehörte zu den umstrittensten der letzten Legislaturperiode. Die Kritik entzündete sich sowohl am Konzept des LkSG als auch an seiner konkreten Umsetzung. In konzeptioneller Hinsicht bemängelten Kritiker unter anderem, dass der Staat an der politischen Aufgabe, den Schutz der Menschenrechte im Ausland zu gewährleisten, gescheitert sei, und dies nun den Unternehmen aufbürde, dass die Gewährleistung der Menschenrechte eine staatliche Aufgabe sei und dass das Gesetz in geradezu imperialistischer Weise deutsche Wertvorstellungen ins Ausland exportiere. Bezüglich der Umsetzung wurde bemängelt, das Gesetz belaste Unternehmen übermäßig und sei wegen seiner Unbestimmtheit verfassungswidrig.

Es wird sich zeigen, ob diese verfassungsrechtlichen Bedenken durchgreifen. Jedenfalls langfristig werden Unternehmen mit Pflichten der Art, wie das LkSG sie vorsieht, leben müssen.

Einige Länder haben bereits Gesetze erlassen, die Unternehmen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten auferlegen, in anderen werden sie ernsthaft erwogen. In der Endphase der Produktion dieses Buches legte die EU-Kommission einen Entwurf der „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ vor. Diese erlegt bestimmten Unternehmen Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt auf und orientiert sich u.a. an den UN Guiding Principles for Business and Human Rights (siehe dazu unten S. 21). Dieser Trend wird sich nicht zurückdrehen lassen.

1

Zitiert nach: The Social Responsibility of Business is to Increase its profits, The New York Times Magazine, September 13, 1970, 13. September 1970.

2

Nietsch, Corporate Social Responsibility Compliance, S. 3.

3

Vgl. Smith zum Slogan „ein verkaufter Kasten Bier schützt einen m

2

Regenwald“, PR and Greenwashing: Wie wahr ist die Wahrheit, CSR-News, 06.06.2018 https://csr-news.org/2018/06/06/pr-und-greenwashing-wie-wahr-ist-die-wahrheit/.

4

Grabosch, Unternehmen und Menschenrechte, S. 4.

B) Der Weg zum LkSG

I) Einführung

Das Sorgfaltspflichtengesetz regelt Pflichten von Unternehmen zum Schutze der Menschenrechte und der Umwelt. Schon die Auferlegung solcher Pflichten ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Es war und ist umstritten, ob Menschenrechte Unternehmen rechtlich binden. Klassischerweise werden Menschenrechte als Rechte gegenüber dem Staat verstanden und ihre Durchsetzung als staatliche Aufgabe. Das hängt einerseits mit der historischen Entwicklung zusammen. Die Festschreibung von fundamentalen Rechten wurde dem Staat als Begrenzung der Herrschaftsgewalt abgetrotzt. Andererseits ist es durch die Gegebenheiten des internationalen Rechts begründet. Der internationale Schutz der Menschenrechte beruht auf internationalen Verträgen; diese werden von Staaten als Subjekten des internationalen Rechts geschlossen und verpflichten daher auch Staaten.

Darüber hinaus begegnet es konzeptionellen Schwierigkeiten, Unternehmen für Verstöße gegen Menschenrechte verantwortlich zu machen. Es existieren sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Rechte zu den universal geltenden Menschenrechten gehören und wie diese zu verstehen seien.

Das vorliegende Buch, das in erster Linie ein Leitfaden für die Praxis ist, dient natürlich nicht dazu, zur Klärung dieser Fragen beizutragen. Dennoch sollen einige Anmerkungen zum Hintergrund der Menschenrechte und der Diskussion über die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen helfen, den Kontext des LkSG verständlich zu machen.

II) Anfänge des Schutzes der Menschenrechte auf nationaler Ebene

Es ist schwer, die Entstehung des Gedankens der Menschenrechte geschichtlich einzuordnen. Auch die Verortung in einer bestimmten Region begegnet Schwierigkeiten. Letztere brächte die Gefahr mit sich, ein bestimmtes Verständnis der Menschenrechte als originär oder vorzugswürdig zu betrachten.5 Ein Meilenstein für das Verständnis der Menschenrechte in westlichen Demokratien war die Abfassung der Virginia Bill of Rights vom 12.06.1776.6 In dieser war niedergelegt, dass alle Menschen ihrer Natur nach frei und unabhängig sind und, dass sie bestimmte Rechte haben, die ihnen nicht genommen werden können. Sie enthielt im Kern bereits alle heutigen Grundrechte, deren Gefährdung durch den Staat man sich vorstellen konnte.7 Am 04.07.1776 wurde dann die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung verabschiedet, in der es als selbstverständliche Wahrheit bezeichnet wurde, dass alle Menschen gleich und von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind.8 Auf die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung folgte 1791 die Bill of Rights, die zehn Zusatzartikel zur US-amerikanischen Verfassung enthält, in denen Grundrechte wie das Recht auf Meinungsfreiheit, der Schutz von unvernünftigen Durchsuchungen und Beschlagnahmen oder bestimmte Verfahrensrechte gewährleistet werden.9

Auf europäischer Ebene gilt als die erste Menschenrechtserklärung die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die am 26.08.1789 von der französischen Nationalversammlung verabschiedet wurde. Sie fokussierte sich auf Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung.10 Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte hatte Einfluss auf die Verfassungsbewegung in ganz Europa.11

Allerdings kamen diese Rechte nur einer kleinen Gruppe von Menschen zugute. Sie waren nicht anwendbar auf Frauen, Sklaven oder Angehörige der indigenen Völker.12 Der U. S. Supreme Court entschied 1857 in seinem Dred Scott-Urteil, dass Menschen afrikanischer Herkunft, seien sie frei oder versklavt, keine US-Staatsbürger seien. Bantekas und Oette bezeichnen es als „vielsagendes Paradox, dass es nicht als widersprüchlich angesehen wurde, dass diese Rechte erklärt wurden, während die Siedler in das Land indigener Amerikaner eindrangen und Sklaven hielten.“13

5

Bates, History, in: Moeckli/Shah/Sivakumaran, International Human Rights Law, S. 7.

6

Tomuschat, Human Rights, S. 13.

7

Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, S. 3.

8

Deutscher Text der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung: https://usa.usembassy.de/etexts/gov/unabhaengigkeit.pdf.

9

https://www.archives.gov/founding-docs/bill-of-rights/what-does-it-say#:~:text=The%20Bill%20of%20Rights%20is,in%20relation%20to%20their%20government.&text=It%20sets%20rules%20for%20due,the%20people%20or%20the%20States.

10

Bantekas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 8.

11

Tomuschat, Human Rights, S. 14.

12

Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 4.

13

Bantekas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 8.

III) Der internationale Schutz der Menschenrechte

1)Anfänge

Die genannten Dokumente verbrieften (mit der eben angesprochenen Einschränkung) Rechte für Bürger des eigenen Staates. Die Menschenrechte wurden hier also als Bürgerrechte verstanden. Die Idee eines internationalen Schutzes der Menschenrechte wurde durch die Abschaffung der Sklaverei und durch das humanitäre Völkerrecht beeinflusst. Auch der Schutz bestimmter Minderheiten spielte und der Kampf für Arbeiterrechte spielten eine Rolle.

In England gab es bereits im späten 18. Jahrhundert eine Bewegung, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzte. Angehörige dieser Bewegung unterstützten die Klage des Sklaven James Somerset, der von seinem amerikanischen Eigentümer nach England gebracht worden und dort geflohen war. Sein Eigentümer hatte ihn an Bord eines Schiffes bringen lassen und beabsichtigte, ihn dort weiter festzuhalten. Somerset brachte eine habeas corpus-Klage ein. Das Gericht entschied, dass Somerset freigelassen werden müsse.14 Dies war das Ende der Sklaverei in England.

In den folgenden Jahren wurden Sklaverei oder der Handel mit Sklaven in verschiedenen Staaten verboten. 1804 hatten alle U.S. Staaten nördlich von Maryland die Sklaverei für rechtswidrig erklärt; Großbritannien verbot die Sklaverei in seinen Kolonien im Jahr 1807. 1819 verbot Frankreich die Sklaverei. Dennoch gestalteten sich Bemühungen, einen internationalen Vertrag zur Abschaffung der Sklaverei zu erreichen, schwierig. Die europäischen Mächte verabschiedeten beim Wiener Kongress zwar eine Erklärung, die die Sklaverei als Praxis verurteilte, die im Widerspruch zur Humanität und allgemeiner Moral steht. Diese Erklärung enthielt aber keine rechtlich verbindlichen Regelungen oder Verbote.15

Im Jahr 1839 wurde in England die „Britische Foreign and Anti-Slavery Society“ gegründet. Sie ist die älteste Menschenrechtsorganisation der Welt; heute firmiert sie unter dem Namen Anti-Slavery International und setzt sich gegen „moderne Sklaverei“ ein (zu diesem Begriff siehe unten S. 77).

1841 schlossen Österreich, Großbritannien, Russland, Frankreich und Preußen einen Vertrag, durch den sie sich verpflichteten, die Abschaffung der Sklaverei voranzutreiben und in dem ein Recht geschaffen wurde, Schiffe anzuhalten und zu durchsuchen, die des Sklavenhandels verdächtigt wurden. Nach einer Konferenz über Zentralafrika im Jahr 1885 schlossen 1890 18 Staaten einen Vertrag, der Maßnahmen zur Bekämpfung der Sklaverei vorsah. Dennoch dauerte es bis 1926, bis schließlich das Sklavereiabkommen abgeschlossen wurde, das Sklaverei und Sklavenhandel für illegal erklärte und Maßnahmen vorsah, um sie zu beenden.

Die Abschaffung der Sklaverei ist ein frühes Beispiel dafür, wie aufgrund eines wachsenden internationalen Konsenses Menschenrechte Eingang in das internationale Recht fanden.

Ein weiteres Beispiel hierfür ist, wie erwähnt, das humanitäre Völkerrecht. Es handelt sich dabei um Regelungen, die bei internationalen militärischen Konflikten gelten. Sie gingen von Anweisungen aus, die der amerikanische Präsident Lincoln während des Bürgerkrieges an seine Truppen für den Umgang mit der Zivilbevölkerung, Kriegsgefangenen und anderen Gruppen erließ („Lieber Code“ nach Francis Lieber, der den Code im Auftrag des Präsidenten abfasste).16 In Europa wurden sie maßgeblich durch die Initiative des Geschäftsmannes und Philanthropen Henri Dunant gefördert. Dunant war nach der Schlacht von Solferino erschüttert von der Lage der Verwundeten und dem Elend des Schlachtfeldes gewesen. Er gründete das „Internationale Komitee des Roten Kreuzes“. Dieses trieb die Idee bestimmter Regeln voran, um militärische Konflikte möglichst humanitär durchzuführen. Solche Regeln wurden schließlich zwischen zahlreichen Ländern in Form der Haager Konventionen, die Methoden der Kriegsführung zum Gegenstand haben, sowie der Genfer Konventionen erlassen, die sich mit dem Umgang mit Gefangenen, Verwundeten und anderen Personen befassen, die nicht mehr an Kampfhandlungen beteiligt sind. Die Regeln des humanitären Völkerrechtes betreffen nur bestimmte Gruppen in der Ausnahmesituation eines bewaffneten Konfliktes. Sie sind aber ein Beispiel für internationale Vereinbarungen, die bestimmte Verhaltensregeln aus der menschlichen Würde von Personen herleiten. Sie sind daher als „Menschenrechte in internationalen Konflikten“ bezeichnet worden.17 Insofern sind sie ein Vorläufer des internationalen Schutzes der Menschenrechte.

Nach der Pariser Friedenskonferenz von 1919, die den Ersten Weltkrieg beendete, wurde der Völkerbund(„League of Nations“) gegründet. Er sollte nach der Präambel seines Gründungsvertrages den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit fördern und dadurch Krieg als die größte Bedrohung des menschlichen Lebens verhindern.18 Der Völkerbund hatte kein ausdrückliches Mandat zum Schutz der Menschenrechte.19 Da man davon ausging, dass die Behandlung bestimmter Minderheiten – vor allem in den europäischen Staaten – eine Gefahr für den Frieden mit sich bringen konnte, mussten Staaten, die dem Völkerbund beitreten wollten, bestimmte Verträge zum Schutz von Minderheiten unterzeichnen. Die Verträge sahen vor allem den Schutz des Lebens und der Freiheit, Religionsfreiheit und Freiheit von Diskriminierung, aber auch bestimmte Minderheitenrechte wie den Gebrauch der eigenen Sprache oder Erziehung entsprechend der eigenen Kultur vor.20 Der Völkerbund war für die Überwachung der Einhaltung dieser Verträge zuständig.21 Angehörige der genannten Minderheiten oder Organisationen, die ihre Interessen vertraten, konnten sich an den Völkerbund wenden, der in einem geregelten Verfahren versuchte, eine Lösung herbeizuführen.22

Darüber hinaus sah der Gründungsvertrag des Völkerbundes die Errichtung eines permanenten Internationalen Gerichtshofes vor, der (unter anderem) bei Disputen über Minderheitenrechte angerufen werden konnte.

Der Schutz von Minderheiten durch den Völkerbund unterscheidet sich vom heutigen Menschenrechtsschutz unter anderem darin, dass er nicht auf Individuen, sondern auf Gruppen ausgerichtet war. Auch war die Arbeit des Völkerbundes nicht effektiv. Dennoch stellt er einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Verankerung von Menschenrechten im internationalen Recht dar.23

Wie die Gründung des Völkerbundes sah der Vertrag von Versailles auch die Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organisation – ILO) vor. Der Schutz der Arbeiterschaft und die „soziale Frage“ waren wichtige Themen des 19. Jahrhunderts gewesen24. Die Teilnehmer der Pariser Friedenskonferenz waren sich daher einig darüber, dass „der Völkerbund die Begründung des Weltfriedens zum Ziel hat“ und „ein solcher Friede nur auf dem Boden der sozialen Gerechtigkeit gebaut werden kann“.25 Sie konstatierten „da ferner Arbeitsbedingungen bestehen, die für eine große Anzahl von Menschen mit so viel Ungerechtigkeit, Elend und Entbehrungen verbunden sind, dass eine den Weltfrieden und die Welteintracht gefährdende Unzufriedenheit entsteht, und da eine Verbesserung dieser Bedingungen dringend erforderlich ist, zum Beispiel hinsichtlich der Regelung der Arbeitszeit, der Festsetzung einer Höchstdauer der Arbeitstage und der Arbeitswoche, der Regelung des Arbeitsmarkts, der Verhütung der Arbeitslosigkeit, der Gewährleistung von Löhnen, welche angemessene Lebensbedingungen ermöglichen, des Schutzes der Arbeiter gegen allgemeine und Berufskrankheiten sowie gegen Arbeitsunfälle, des Schutzes der Kinder, Jugendlichen und Frauen, der Alters- und Invalidenunterstützung, des Schutzes der Interessen der im Ausland beschäftigten Arbeiter, der Anerkennung des Grundsatzes der Freiheit gewerkschaftlichen Zusammenschlusses, der Gestaltung des beruflichen und technischen Unterrichts und ähnlicher Maßnahmen, da endlich die Nichtannahme einer wirklich menschlichen Arbeitsordnung durch irgendeine Regierung die Bemühungen der anderen auf die Verbesserung des Loses der Arbeiter in ihrem eigenen Lande bedachten Nationen hemmt“ und sahen die Gründung der ILO vor, die sich dieser Fragen annehmen sollte.

In der ILO arbeiteten Vertreter der Regierungen, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zusammen. Bereits in den ersten zwei Jahren ihrer Existenz verabschiedete die ILO zehn Konventionen, die sich mit Kernfragen der Arbeitsorganisation wie Mutterschutz, Kinderarbeit, Arbeitslosigkeit und Arbeitszeiten befassten. Nach dem Ende des Völkerbundes wurde die ILO in die Vereinten Nationen überführt. ILO-Konventionen und Standards spielen heute noch eine wichtige Rolle; auch das LkSG nimmt auf sie Bezug. Für die Entwicklung des Systems des internationalen Schutzes der Menschenrechte ist die ILO unter anderem deshalb von Bedeutung, weil hier früh das soziale und ökonomische Element der Menschenrechte deutlich wird, das auch für den vorliegenden Zusammenhang wichtig ist.

2)Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg

Der eigentliche Beginn des internationalen Schutzes der Menschenrechte fällt in die Periode nach dem 2. Weltkrieg. Die Erfahrungen des Nationalsozialismus hatten gezeigt, dass der Schutz der Menschenrechte auf nationaler Ebene nicht effektiv war. Die Ausbreitung des Stalinismus und Kommunismus stellten eine ständige Bedrohung für Grund- und Freiheitsrechte dar.

Bereits während des Krieges entstanden Pläne für die Nachkriegsordnung, die auch den Schutz der Menschenrechte mit einbezogen. Der amerikanische Präsident Roosevelt sprach 1941 in einer Rede an den amerikanischen Kongress von einer Welt, die auf vier Freiheiten gegründet sei, die Meinungsfreiheit, die Freiheit, Gott auf seine eigene Art zu verehren, die Freiheit von Mangel und die Freiheit von Angst. Winston Churchill sprach 1942 von einer Zeit, in der der Kampf der Welt mit der Inthronisierung der Menschenrechte enden werde.26 Im gleichen Jahr unterzeichneten 42 Staaten eine Erklärung, in der sie bestätigten, dass ein vollständiger Sieg über ihre Feinde essentiell sei, um Leben, Freiheit, Unabhängigkeit und Religionsfreiheit zu verteidigen, und um Menschenrechte und Gerechtigkeit sowohl in ihrem eigenen Land als auch in anderen Ländern zu erhalten.27

Bei der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen wurde darüber diskutiert, einen Katalog von Menschenrechten in die Charta der Vereinten Nationen aufzunehmen. Dies erwies sich jedoch wegen der zeitlichen Beschränkungen als unmöglich.28 Die Präambel der UN-Charta nimmt jedoch auf das Konzept der Menschenrechte Bezug; sie führt unter anderem aus, die gründenden Staaten seien entschlossen, ihren „Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen“. Darüber hinaus weist die Charta an verschiedenen Stellen auf die Menschenrechte hin (vgl. Art. 55 zur internationalen Zusammenarbeit zur Förderung der Menschenrechte oder Art. 68 hinsichtlich der Aufgaben des Wirtschafts- und Sozialrates), ohne jedoch konkrete rechtliche Pflichten der Staaten in diesem Bereich zu postulieren.

Es bestand jedoch die Absicht, eine internationale „Bill of Rights“ zu verabschieden. Die VN setzten zu diesem Zwecke 1946 eine „Menschenrechtskommission“ ein, die – unter dem Vorsitz von Eleanor Roosevelt – den Text eines Dokuments zum Schutz der Menschenrechte ausarbeiten sollte. Dieser sollte aus drei Teilen bestehen: Einer allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als Einführung, einem Katalog von Rechten sowie einigen Regeln zur Durchsetzung.29 Die Kommission entschied, den ersten Teil als nicht rechtsverbindliches Dokument zu veröffentlichen, das das Bekenntnis der Welt zu grundlegenden Rechten enthalten sollte.30

Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ wurde am 10.12.1948 verabschiedet. Schon bald wurde aber klar, dass es keine ausreichende politische Unterstützung für eine vollständige „Bill of Rights“ gab, unter anderem aufgrund des sich verschärfenden Ost-West-Konflikts. Die Menschenrechtskommission stellte den Entwurf der weiteren Teile erst 1954 fertig. Die USA erklärten, sie würden diese Teile nicht ratifizieren.31

Erst 1966 wurden der „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ und der „Internationale Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ für die Ratifizierung geöffnet, die auf den Arbeiten der Menschenrechtskommission beruhte. Sie traten 1976 in Kraft und bilden mit der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ die „International Bill of Rights“.32

Die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ schreibt vor allem grundlegende Freiheitsrechte und politische Rechte fest, wie beispielsweise die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Recht auf ein faires Verfahren, Schutz vor willkürlicher Verhaftung, das Folterverbot, das Verbot der Sklaverei oder das Recht auf Privat- und Familienleben. Trotz dieses Fokus auf individuellen und politischen Freiheitsrechten enthält sie jedoch soziale und ökonomische Rechte wie das Recht auf soziale Sicherheit (Art. 22) oder das Recht auf Arbeit und befriedigende Arbeitsbedingungen (Art. 23).

Obwohl sie kein rechtsverbindliches Dokument ist, gilt sie als Meilenstein des internationalen Schutzes der Menschenrechte.33 Sie hatte unter anderem erheblichen Einfluss auf die Europäische Menschenrechtskonvention.34

Wie erwähnt, wurden 1966 der „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ und der „Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ zur Unterschrift durch Staaten geöffnet. Der „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte“, der auch als „Zivilpakt“ bezeichnet wird, enthält Freiheits- und Partizipationsrechte wie das Folterverbot, das Recht auf Respekt vor dem Privat- und Familienleben, das Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit oder das Recht auf Teilnahme an freien Wahlen. Anders als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist der Zivilpakt für die Staaten, die ihn ratifiziert haben, rechtlich bindend.

Für die Überwachung der Einhaltung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ist der UN-Menschenrechtsausschuss zuständig. Dabei handelt es sich um ein Gremium 18 unabhängiger Experten, die von den Vertragsstaaten vorgeschlagen und in einer Versammlung der Vertragsstaaten gewählt werden. Sie üben ihre Funktion unabhängig aus.

Ebenfalls im Jahr 1966 wurde der „Internationale Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ zur Unterschrift geöffnet. Er wird auch kurz als „Sozialpakt“ bezeichnet und trat am 3.1.1976 in Kraft. Die Überwachung seiner Einhaltung erfolgt durch den UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“. Auch dies geschieht in Form eines Berichtssystems; daneben gibt es ein Fakultativprotokoll, durch dessen Unterzeichnung Staaten Personen das Recht zu individuellen Beschwerden einräumen.

Neben den genannten Pakten gibt es noch zahlreiche weitere internationale Verträge, die menschenrechtliche Gewährleistungen in bestimmten Bereichen oder für bestimmte Gruppen enthalten. Dazu zählen das „Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“, die „UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau“, die „UN-Kinderrechte-Konvention“ oder die „Behindertenrechte-Konvention“, um nur einige wenige zu nennen. Diese gelten jeweils nur für die Staaten, die sie unterzeichnet haben. Es gibt jeweils Mechanismen zur Überwachung der Einhaltung.

3)Durchsetzung

Es gibt verschiedene Mechanismen zur Durchsetzung internationaler Menschenrechte. Diese richten sich in erster Linie an Staaten, die durch diese Menschenrechte verpflichtet werden. Dennoch sind sie auch für das LkSG von einer gewissen Bedeutung, denn die Begründung des Regierungsentwurfs weist ausdrücklich darauf hin, dass die Normen, auf die das Gesetz in § 2 verweist, durch langjährige Spruchpraxis der Vertragsausschüsse der UN konkretisiert worden seien.35

Die Verfahren zur Durchsetzung und Kontrolle internationaler Menschenrechte können in vertragliche und außervertragliche Mechanismen eingeteilt werden.36 Außervertragliche Mechanismen betreffen Verfahren vor politischen Organen, in nicht klar geregelten Verfahren, die häufig von politischen und dipolimatischen Erwägungen geprägt sind.37 Hier von Interesse sind die vertraglichen Verfahren. Diese sind in den jeweiligen Verträgen betreffend die Menschenrechte verankert.

Es gibt zehn Vertragsausschüsse, die zur Durchsetzung der menschenrechtlichen Verträge auf Ebene der Vereinten Nationen etabliert worden sind.38 Zu ihnen gehören der UN-Menschenrechtsausschuss, der die Einhaltung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte überwacht; der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der die Einhaltung des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte überwacht; der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, der die UN-Kinderrechtskonvention und ihre 3 Zusatzprotokolle überwacht und der UN-Ausschuss gegen Folter, der die Umsetzung des UN-Übereinkommens gegen Folter überwacht.

Die Ausschüsse sind zusammengesetzt aus unabhängigen Experten, die ihre Tätigkeit nicht weisungsgebunden ausführen und nicht als Repräsentanten der Länder angesehen werden, aus denen sie stammen bzw. die sie für ihre Position nominiert haben.39

Die Ausgestaltung der Überwachung und Kontrolle durch die Vertragsausschüsse hängt von den jeweiligen Verträgen ab. Grundsätzlich sind zwingende Mechanismen und freiwillige Mechanismen zu unterscheiden. Die zwingenden Mechanismen erkennt der Staat mit der Unterzeichnung des betreffenden Vertrages an; ein Staat kann also nicht den Vertrag unterzeichnen, ohne sich gleichzeitig dem Kontrollmechanismus zu unterwerfen. Dagegen sind freiwillige Mechanismen in (Fakultativ-)-Protokollen zu den jeweiligen Verträgen enthalten. Hier bleibt es dem Staat überlassen, ob er sich diesem Mechanismus unterwerfen will.

Ein häufiger zwingender Kontrollmechanismus sind Berichtspflichten.40 Staaten müssen regelmäßig (zumeist im Abstand von vier Jahren) darüber berichten, wie sie den Verpflichtungen nachkommen, die sich aus dem jeweiligen Vertrag ergeben. Der Vertragsausschuss prüft den Bericht und gibt gegenüber dem Staat Empfehlungen ab. Dabei greift er auch auf andere Informationen zurück, beispielsweise auf Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ebenfalls Berichte über die Situation in dem entsprechenden Land erstellen („shadow reports“).

Als freiwillige Kontrollmechanismen sehen viele Verträge die Möglichkeit einer individuellen Beschwerde bei dem jeweiligen Ausschuss vor. Dabei räumen Staaten Einzelpersonen die Möglichkeit ein, eine Beschwerde wegen der (angeblichen Verletzung von Rechten, die ihnen nach dem jeweiligen Vertrag zustehen, bei dem jeweiligen Auschuss einzulegen, der dann nach einem festgelegten Verfahren eine Entscheidung trifft.

Ein weiterer Mechanismus, der zur Klarstellung des Inhalts und der Reichweite bestimmte Rechte beitragen kann, sind die „Special Procedures“ des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. Der Menschenrechtsrat hat die Möglichkeit, unabhängige Experten als Berichterstatter zu bestimmten Themen zu benennen. Das Mandat der Berichterstatter betrifft entweder die menschenrechtliche Situation in einzelnen Ländern oder ein bestimmtes Thema. Die Berichterstatter veröffentlichen dann Berichte, in denen Informationen gesammelt dargestellt werden. Beispiele sind der Sonderberichterstatter über das Recht zur Entwicklung oder der Sonderberichterstatter über das Recht auf Nahrung.

Für die Interpretation von Übereinkommen betreffend Arbeitsstandards spielen die Mechanismen der ILO zur Überwachung der Einhaltung von ILO-Abkommen eine wichtige Rolle. Die ILO entwickelt Übereinkommen und Empfehlungen. Übereinkommen sind nach Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten für diese rechtlich bindend; Empfehlungen können nicht ratifiziert werden, sondern enthalten Hinweise bezüglich der Gesetzgebung, politischer Maßnahmen und Praxis.41 Übereinkommen werden im Wesentlichen von der Konferenz, einem der Organe der ILO entwickelt, das aus Vertretern der Mitgliedsstaaten zusammengesetzt ist (Art. 2 1 a) der ILO-Verfassung).

Staaten informieren die ILO, wenn sie ein Übereinkommen ratifiziert haben (Art. 19 Abs. 5 d) der ILO-Verfassung). Die Ratifikation bringt die Verpflichtung mit sich, Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die Inhalte des Übereinkommens wirksam werden (Art. 19 Abs. 5 der ILO-Verfassung); dies umfasst insbesondere die Umsetzung in nationales Recht. Sie sind darüber hinaus verpflichtet, gegenüber der ILO jährlich zu berichten, welche Maßnahmen sie zur Umsetzung des Übereinkommens getroffen haben (Art. 22 der ILO-Verfassung). Der Berichtszeitraum ist abhängig von dem Übereinkommen, um das es geht. Bei besonders wichtigen Übereinkommen, beispielsweise betreffend Kinderarbeit, beträgt er drei Jahre. Die Prüfung dieser Berichte ist dem Sachverständigenausschuss für die Anwendung von Übereinkommen und Empfehlungen (Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations) übertragen. Dieser hat 20 Mitglieder, die in der Regel hoch anerkannte Juristen sind. Der Sachverständigenausschuss erstellt einen jährlichen Berichte, der auf der Webseite der ILO veröffentlicht wird. Diese Bericht enthält Stellungnahmen zu Themen, die aus Sicht des Ausschusses von allgemeinem Interesse sind. Vor allem aber besteht er aus Anmerkungen zur Praxis der Umsetzung von Übereinkommen in bestimmten Staaten.

Darüber hinaus gibt es Ausschüsse, die sich mit individuellen Beschwerden befassen. Einer davon ist der Ausschuss für die Vereinigungsfreiheit (Governing Body Committee on Freedom of Association). Verbände, die Arbeitgeber oder Arbeitnehmer vertreten, können dort Beschwerden bezüglich Verletzungen der Vereinigungsfreiheit einlegen. Der Ausschuss prüft dann den Fall und informiert den „Governing Body“ der ILO über seine Auffassung. Der Governing Body ist eines der Organe der ILO. Er ist aus Vertretern von Regierungen der Mitgliedsstaaten sowie Arbeitnehmer und Arbeitgebervertretern zusammengesetzt (Art. 2 i.V.m. Art. 7 der ILO-Verfassung).

4)Menschenrechte der ersten, zweiten und dritten Generation

In der Debatte um Menschenrechte wird häufig zwischen Menschenrechten erster, zweiter und dritter Generation unterschieden. Als Menschenrechte der ersten Generation gelten dabei Freiheitsrechte oder Abwehrrechte gegen den Staat; Menschenrechte der zweiten Generation sind in dieser Terminologie ökonomische und soziale Rechte, die Gewährleistungspflichten oder positive Pflichten des Staates beinhalten. Rechte der dritten Generation sind komplexe zusammengesetzte Rechte wie das Recht auf eine saubere Umwelt oder das Recht auf Frieden.42

Diese Terminologie ist insofern irreführend, als sie eine zeitliche Abfolge suggeriert, die es in dieser Form nicht gibt. Vor allem die Debatte über die Rechte der ersten und zweiten Generation erfolgte parallel und der „Zivilpakt“ und der „Sozialpakt“ der UN wurden im gleichen Jahr verabschiedet. Dennoch ist die Unterscheidung griffig und trägt dazu bei, grundsätzliche Unterschiede zwischen verschiedenen Kategorien von Rechten deutlich zu machen.

Die bürgerlichen Freiheitsrechte der ersten Generation sind unmittelbar umsetzbar und können rechtlich durchgesetzt werden. Staaten erfüllen ihre Pflicht, indem sie rechtswidrige Eingriffe in die Rechte unterlassen. Dagegen sind wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nicht ohne weiteres einklagbar; denn ihre Umsetzung hängt in vielen Fällen davon ab, ob Ressourcen vorhanden sind und bzw. wie diese verteilt werden.43 Staaten trifft daher eine Pflicht zur fortschreitenden Verwirklichung („progressive realisation“) dieser Rechte (vgl. Art. 2 Abs. 1 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte- jeder Staat verpflichtet sich, Maßnahmen zu treffen (..), um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen“).

14

Bingham, The Rule of Law, S. 56.

15

Lesaffer, Vienna and the Abolition of Slave Trade, Oxford Public International Law https://opil.ouplaw.com/page/498#:~:text=But%20on%208%20February%201815,in%20%27all%20civilised%20nations%27.

16

Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 12.

17

Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 10.

18

Tomuschat, Human Rights, S. 17.

19

Bantekas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 13.

20

Bantekas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 13.

21

Bates, History, in: Moeckli/Shah/Sivakumaran, International Human Rights Law, S. 30.

22

Tomuschat, Human Rights, 21.

23

Shaw, International Law, S. 23; Crawford, Brownlie’s Principles of International Law, S. 635.

24

Kaelble, Massenarmut, soziale Ausgrenzung, Ungleichheit: Die soziale Frage, in: Welt- und Kulturgeschichte, S. 487.

25

Teil XIII – Arbeit – Abschnitt 1 – Organisation der Arbeit.

26

Bates, The Evolution of the European Convention on Human Rights, S. 33.

27

Bates, The Evolution of the European Convention on Human Rights, S. 34.

28

Tomuschat, Human Rights, S. 23.

29

Schabas, The European Convention on Human Rights, S. 1.

30

Banteakas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 16.

31

Bates, The Evolution of the European Convention on Human Rights, S. 39.

32

Chinkin, in: International Human Rights Law, S. 106.

33

Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 15.

34

Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, S. 6; Schabbas, The European Convention on Human Rights, S. 1.

35

BT-Drucksache 19/286649, S. 34.

36

Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 232.

37

Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 232.

38

Schabas, Nowak’s CCPR Commentary, S. 838.

39

Schabas, Nowak’s CCPR Commentary, S. 838.

40

Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, S. 369.

41

ILO, Handbook of procedures, S. 3.

42

Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 36.

43

Bantekas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 400.

IV) Die Debatte über Wirtschaft und Menschenrechte

Nach herrschender Auffassung sind Unternehmen keine direkten Träger menschenrechtlicher Pflichten. Menschenrechte wurden historisch gegen die Ausübung staatlicher Gewalt erkämpft; daraus resultiert ein Fokus auf eine Verpflichtung des Staates aus den Menschenrechten.44 Im internationalen öffentlichen Recht (Völkerrecht) gelten Unternehmen nicht als Rechtssubjekte. Sie sind daher weder aus internationalen Verträgen direkt verpflichtet, noch gilt für sie das völkerrechtliche zwingende Recht45, zu dem Teilbereiche der internationalen Menschenrechte wie das Folterverbot, das Verbot von Diskriminierung aufgrund der Rasse oder das Verbot der Sklaverei zählen.46 Menschenrechtliche Verträge sind traditionell von Staaten als Katalog staatlicher Pflichten verfasst und das entsprechende Kontrollsystem auf die hergebrachten Regeln staatlicher Verantwortung abgestimmt.47

Allerdings sind viele transnationale Unternehmen einflussreiche „global players“. Der Jahresumsatz einiger dieser Unternehmen geht oft über das Bruttoinlandsprodukt der meisten Staaten hinaus und ihre Wirtschaftskraft versetzt sie in die Lage, innerstaatliche politische Entscheidungen zu beeinflussen.48 Große Unternehmen beeinflussen in erheblichem Umfang internationale Regeln über den Handel, Investitionen oder Telekommunikation.49 Hieraus wird teilweise hergeleitet, dass mit dem großen Einfluss auch die entsprechende Verantwortung korrespondieren müsse.50 Es komme nicht in erster Linie darauf an, wer aus den Menschenrechten verpflichtet sei, sondern darauf, dass die Menschenrechte für alle Menschen jederzeit gewährleistet werden müssten.51 Darüber hinaus sei es widersprüchlich, dass Unternehmen beispielsweise nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zwar Träger von Menschenrechten – und damit Opfer von Menschenrechtsverletzungen – sein könnten,52 aber umgekehrt nicht aus den Menschenrechten verpflichtet sein sollten.53 Auch gebe es Fälle, in denen nicht-staatliche Akteure aus Normen des internationalen Rechts verpflichtet seien. Dies gelte beispielsweise bei Piraterie oder, wie der Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien im Fall Karadzic entschieden habe, bei bestimmten Verstößen gegen die Genfer Konventionen.54

Trotz dieser Argumente geht die herrschende Meinung weiterhin davon aus, dass Unternehmen nicht direkt aus den international anerkannten Menschenrechten verpflichtet werden. Die Frage der direkten Verpflichtung ist aber zu unterscheiden von indirekten Pflichten. Dabei geht es um Pflichten, die Staaten Unternehmen oder anderen nichtstaatlichen Akteuren auferlegen, um ihren eigenen Verpflichtungen nach internationalem Recht gerecht zu werden. Es ist anerkannt, dass dies möglich ist.55 Einige Autoren vertreten sogar die Auffassung, dass Staaten aufgrund ihrer Bindung an menschenrechtliche Verträge verpflichtet sein können, entsprechende Gesetze zu erlassen.56

Die Diskussion über derartige gesetzliche Vorschriften zur Regulierung menschenrechtlicher Pflichten von Unternehmen im weiteren Sinne reicht bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück.57

In einigen westlichen Demokratien gab es Befürchtungen, der Einfluss transnationaler Unternehmen auf die Wirtschaft könne überhandnehmen.58 Die International Confederation of Free Trade Unions bemühte sich, die ILO zu bewegen, den sozialen Folgen der Aktivitäten transnationaler Unternehmen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.59 Der Versuch der US-amerikanischen International Telephone and Telegraph Company (ITT), mithilfe der CIA die Wahl Salvador Allendes zu verhindern bzw. einen Staatstreich in Chile zu initiieren60 rief öffentliche Empörung hervor und war ein Schlaglicht auf die politische Dimension transnationaler Unternehmen.

Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (UN Economic and Social Council) verabschiedete 1972 eine Resolution, in der er den Generalsekretär der Vereinten Nationen aufforderte, eine Gruppe anerkannter Personen („eminent persons“) zu ernennen, um die Rolle multinationaler Konzerne im internationalen Recht und ihren Einfluss auf den Entwicklungsprozess von den Ländern zu analysieren.61 Die Gruppe veröffentlichte einen Bericht, in dem sie die Schaffung einer Kommission empfahl, die sich mit den Aktivitäten transnationaler Unternehmen befassen sollte. Aufgrund dieser Empfehlung wurden das „Center on Transnational Corporations“ (UNCTC) und die „Commission on Transnational Corporations“ gegründet. Dieses hatte unter anderem die Aufgabe, ein Regelwerk für das Verhalten transnationaler Unternehmen zu entwickeln.62 Das UNCTC verfasste in den Jahren 198363, 1988 und 1993 drei Entwürfe für einen „Code of Conduct“; alle sahen vor, dass die Pflichten, die sich aus dem internationalen Recht der Menschenrechte ergeben, auf Unternehmen anwendbar sein sollten.64 Diese Entwürfe stießen auf großen Widerstand aus Wirtschaftskreisen.65 Gleichzeitig bewirkte die Hinwendung zum Glauben an die freien Kräfte des Marktes, insbesondere in den USA unter Reagan, dass die politische Unterstützung für das Projekt bindender menschenrechtlicher Pflichten für Unternehmen schwand. Auch einige der sich entwickelnden Länder legten ihr Augenmerk in der Schuldenkrise der 80er Jahre eher darauf, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen als Unternehmen zusätzliche Pflichten aufzubürden.66 1992 wurde das UNTCT abgeschafft.

Trotz des schlussendlichen Scheiterns des verbindlichen Code of Conduct hatten die Entwürfe, die das UNTCT verfasste, und die Analysen der Konsequenzen des Verhaltens transnationaler Unternehmen großen Einfluss auf die Diskussion über Ausgestaltung menschenrechtlicher Pflichten (oder Verhaltensrichtlinien) von Unternehmen.

Auch andere Richtlinien und Empfehlungen wurden in den 70er Jahren aufgrund eines gestiegenen Bewusstseins für die sozialen Folgen wirtschaftlichen Handelns verabschiedet. Die International Chamber of Commerce veröffentlichte 1972 erstmals die ICC Guidelines for international Investment; die OECD publizierte 1976 ihre „Guidelines on Multi-national Enterprises“ und die ILO verabschiedete 1977.die „Declaration of Principles Concerning Multi-national Enterprises and Social Policy“.

Trotz des Scheiterns des verbindlichen „Code of Conduct“ bekamen Bestrebungen, die sozialen Folgen wirtschaftlichen Handelns – vor allem großer Unternehmen – zu regulieren, in den 90er Jahren erneut Aufwind. Ein Schlüsselereignis war dabei die Hinrichtung des nigerianischen Journalisten Ken Saro Wiwa und acht weiterer Personen aus seinem Umfeld und die Rolle, die Royal Dutch Shell nach Meinung vieler Beobachter dabei spielte. Saro Wiwa stammte aus dem Volk der Ogoni, das im Nigerdelta ansässig ist. Shell und andere internationale Unternehmen fördern seit den 50er Jahren Öl im Nigerdelta; dies hat dort zu erheblichen Umweltschäden geführt und beeinträchtigt die Lebensgrundlagen der Anwohner. Saro Wiwa war der Kopf einer Bewegung, die sich dafür einsetzte, die Unternehmen für die Schäden verantwortlich zu machen und die Bewohner des Nigerdeltas an den Einnahmen aus der Ölförderung zu beteiligen, des „Movement for the Survival of the Ogoni People (MOSOP)“. Die nigerianischen Behörden versuchten, MOSOP zu unterdrücken. Es kam zu gewaltsamen Konflikten; Saro Wiwa wurde verhaftet, in einem Schauprozess zum Tode verurteilt und trotz internationaler Proteste hingerichtet. Zahlreiche Kritiker, darunter große internationale Menschenrechtsorganisationen warfen Royal Dutch Shell vor, für die Eskalation und die Hinrichtung der MOSOP-Angehörigen mitverantwortlich zu sein. Royal Dutch Shell habe die nigerianischen Behörden angehalten, gegen die Proteste vorzugehen und sie dabei logistisch unterstützt.67 Die Witwe Saro Wiwas, Esther Kiobel, initiierte Klageverfahren gegen Royal Dutch Shell in den USA und später auch in den Niederlanden, die zum Teil noch andauern.

Durch diesen und andere Fälle erhielt die Frage der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen erneut öffentliche Aufmerksamkeit. Große internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International begannen, sich verstärkt des Themas anzunehmen.

Auf Ebene der UN entstand eine neue Initiative, Standards für das Verhalten internationaler Unternehmen zu entwickeln. Der „Unterausschuss für die Verhinderung von Diskriminierung und den Schutz von Minderheiten“ der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte setzte eine Arbeitsgruppe ein. Diese sollte (unter anderem) Empfehlungen und Vorschläge unterbreiten, um sicherzustellen, dass die Tätigkeit internationaler Unternehmen im Einklang mit den wirtschaftlichen und sozialen Zielen der Länder stünden, in denen sie tätig seien; darüber hinaus hatte sie den Auftrag, den Umfang staatlicher Pflichten zu analysieren, die Aktivitäten derartiger Unternehmen zu regulieren.68 Auf dieser Grundlage entstand die „Working Group on the Working Methods and Activities of Transnational Corporations“. Die Arbeitsgruppe entwickelte – in einem breiten Konsultationsprozess mit verschiedenen Interessengruppen – unter Führung des Rechtsprofessors David Weisbrodt die „Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights“. Sie enthielten Regeln und Grundsätze für das Verhalten von Unternehmen in zahlreichen Bereichen, beispielsweise sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten, bürgerliche Rechte und internationales Strafrecht.69 Das Dokument sah verbindliche Pflichten für Unternehmen und einen Mechanismus zur Durchsetzung vor.70 Der Unterausschuss nahm den Entwurf an und leitete ihn an die (damalige) UN-Menschenrechtskommission weiter. Diese dankte dem Unterausschuss für seine Arbeit, teilte aber mit, die Kommission habe den Entwurf nicht erbeten und dieser habe keine rechtliche Bedeutung.71

Die UN-Menschenrechtskommission beschloss, eine breite Konsultation durchzuführen und einen Bericht über die bereits existierenden Normen und Standards bezüglich der menschenrechtlichen Pflichten von Unternehmen zu verfassen. Verschiedene Staaten und Wirtschaftsorganisationen äußerten Kritik, die sich vor allem an der Einführung verbindlicher Regeln entzündete. Diese seien dazu angetan, die freiwilligen Bemühungen von Unternehmen im Bereich CSR zu unterminieren und sie dazu anzuhalten, lediglich minimale Standards zu gewährleisten72; Unternehmen seien bereits über den legalistischen Ansatz im Bereich ihrer sozialen Verantwortung hinweg.73 Auch könnten verbindliche Pflichten für Unternehmen die staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte verwässern.74

Dennoch verschwand das Thema nicht von der Agenda. UN Generalsekretär Kofi Annan initiierte eine Initiative, in deren Rahmen sich Unternehmen zu bestimmten Standards im Bereich der Menschenrechte, Arbeitsschutz und Korruptionsbekämpfung bekennen sollten. Der UN Global Compact wurde im Juni 2000 verabschiedet. Unternehmen, die ihm beitreten, müssen sich zu zehn programmatischen Grundprinzipien bekennen und sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten umsetzen.75

Darüber hinaus empfahl die UN-Menschenrechtskommission die Ernennung eines Sonderbeauftragten