Praxiswissen China - Karl Pilny - E-Book

Praxiswissen China E-Book

Karl Pilny

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Beschreibung

Wichtige Vorschriften, Regularien und Gepflogenheiten kennen und sicher damit umgehen

An China führt kein Weg vorbei! Doch nach wie vor gestalten sich die Geschäfte und die Zusammenarbeit mit Chinesen schwierig und so manches Unternehmen ist gescheitert oder hat Federn lassen müssen. Zu fremd sind uns das Geschäftsgebaren, die Kommunikation, der Text zwischen den Zeilen.
Was genau muss bei Geschäften und bei der Zusammenarbeit mit Chinesen beachtet werden? Was ist dabei zwingend zu vermeiden? Wie werden Verhandlungen geführt? Was sind die Besonderheiten der Vertragsgestaltung oder auch des Steuerrechts? Welche Regularien sollte man unbedingt kennen und welche Gesetze sind besonders wichtig? Aber auch was bedeutet ein „Ja“ oder welche Rolle spielen Visitenkarten oder Gastgeschenke? Dieser praktische Ratgeber liefert Antworten für diese und viele weiteren Fragen! Unverzichtbar für alle, die sich sicher und erfolgreich im Reich der Mitte bewegen wollen.

- Von einem der führenden Experten rund um das Geschäft und die Zusammenarbeit mit Chinesen
- Fundiert und praxisorientiert
- Mit praktischen Tipps und direkt einsetzbaren Arbeitshilfen

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Seitenzahl: 467

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Karl Pilny

Praxiswissen China

Verhandlungsstrategie – Normen – VertragsgestaltungMit Mustervorlagen und Arbeitshilfen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de/> abrufbar.

Print-ISBN   978-3-446-46479-7E-Book-ISBN   978-3-446-46511-4ePub-ISBN   978-3-446-46480-3

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

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Die Rechte aller Grafiken und Bilder liegen bei den Autoren.

© 2021 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, Münchenwww.hanser-fachbuch.deLektorat: Lisa Hoffmann-BäumlHerstellung: le-tex publishing servives GmbH, LeipzigCoverrealisation: Titelmotiv: Johanna Nierich & Max Kostopoulos,unter Verwendung von Grafiken von © gettyimages.de/erhui1979

Vorwort

Es ist beinahe ein Allgemeinplatz geworden, aber man kommt heutzutage an China und Chinesen nicht mehr vorbei. Selbst wenn man nicht vor Ort geschäftlich aktiv ist wie etwa durch Tochtergesellschaften in der Volksrepublik China, durch Handelsgeschäfte in Hongkong oder durch den Erwerb chinesischer Aktien, so wird es kaum eine Art von Unternehmen, Verbänden und Banken geben, die nicht irgendwann früher oder später mit China und/oder Chinesen in Kontakt kommt.

Dies betrifft Arbeitnehmer aller Branchen und Ebenen ebenso wie Unternehmer, Start-up-Gründer, Künstler, Journalisten und Politiker. Die Möglichkeiten eines direkten persönlichen Kontakts mit den Chinesen sind vielfältig. Arbeitsverhältnisse, Joint-Venture-Situationen, Verhandlungen, Arbeitsplatz-Aufbau und -Abbau, gute Mitarbeiter finden und binden spielen dabei eine genauso große Rolle wie F&E-Einheiten aufbauen und führen, Innovationen gemeinsam entwickeln und vermarkten, Unternehmensstrategien kennen und verstehen.

Chinesische Unternehmen sind weiterhin eifrig dabei, im deutschen Sprachraum, dem sogenannten DACH-Raum, also in der Schweiz, Österreich und Deutschland, mittelständische Unternehmen zu übernehmen oder sich an großen börsennotierten DAX-Unternehmen zu beteiligen wie etwa Daimler.

Makro- wie Mikro-Ebene oszillieren dabei zwischen Wettbewerb und Kooperation und man ist sich nicht sicher, ob die neuen chinesischen ‚Partner‘ Konkurrenten oder wirkliche Partner sind.

Auf Drittmärkten in der ganzen Welt treffen deutsche Unternehmen regelmäßig auf chinesische Wettbewerber oder Mitbewerber oder sind gleich mit einem chinesischen Unternehmen zusammen im Drittmarkt aktiv. Egal ob Afrika, Lateinamerika, Südostasien oder andere asiatischen Märkte, Chinesen und damit die chinesische Kultur sind allgegenwärtig.

Für jede Branche und jede Unternehmensgröße ist es daher wichtig, ihre Mitarbeiter mit einem Toolkit, einer Art Werkzeugkasten, auszustatten, um sich in einer Vielzahl von Situationen kurzfristig zurechtfinden zu können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger soll im Folgenden bereitgestellt werden, fundiert und praxisorientiert.

Berlin, Herbst 2020

Karl Pilny

Inhalt

Titelei

Impressum

Inhalt

Vorwort

1 Einführung

2 China Inc. 2.0

2.1 Der Weg zur Weltmacht

2.2 Ein europäischer Blick in die Geschichte Chinas

2.3 Chinas neue Ära

2.3.1 Macht stabilisieren

2.3.2 Industrie stärken

2.3.3 Auf eigenen Vorteil achten

2.3.4 Auf Zukunftstechnologien setzen

2.3.5 Macht ausbauen

2.4 Gesellschaft

2.4.1 Zwischen Aufstieg und Totalitarismus

2.4.2 Große regionale Unterschiede

2.5 Globalisierung

2.5.1 Herausforderung China

2.5.1.1 Triade USA – EU – China

2.5.1.2 Lautlose Eroberung?

2.5.1.3 Internationale Institutionen

2.5.2 Die neuen Seidenstraßen (BRI)

2.5.3 Megatrends und Zukunftsbranchen

2.5.3.1 Demografie

2.5.3.2 Urbanisierung

2.5.3.3 Immobilien

2.5.3.4 Smart Life 2030

2.6 Fazit

2.7 Epilog

3 Geplant zur Weltmacht

3.1 Ausgewählte Investitionen

3.2 Gezielt intervenieren

3.2.1 E-Mobilität

3.2.2 Hochgeschwindigkeitszüge

3.2.3 Währung

3.2.4 Tourismus

3.2.5 Globale Lieferketten

3.3 Innovation

3.3.1 Vom Imitator zum Innovator

3.3.1.1 Erstaunliche Aufholjagd

3.3.1.2 Adaption

3.3.2 Made in China 2025

3.4 Digitale Supermacht

3.4.1 „Digitaler Sozialismus“

3.4.2 „Neue Planwirtschaft“

3.4.3 Die totale Überwachung

4 Konfuzianismus und Co.

4.1 Im Zentrum steht der Mensch

4.2 An die Spitze der Welt

4.3 Die Renaissance

5 Verhandlungsstrategie(n)

5.1 Erfolgreich kommunizieren

5.1.1 Kontext und Subtext

5.1.2 Netzwerke und Guangxi

5.1.3 Das Gesicht wahren

5.1.4 Körpersprache

5.1.5 Die direkte, mündliche Kommunikation

5.1.6 Die Vermeidung von „nein“

5.1.7 Die Bedeutung des Vater-Sohn-Verhältnisses

5.1.8 Die Bedeutung des Senioritätsprinzips und die Stellung der Frau

5.1.9 Die ersten Kontakte

5.1.9.1 Begrüßung

5.1.9.2 Gemeinsames Essen

5.1.9.3 Verabschiedung

5.1.9.4 Visitenkarten

5.1.9.5 Korruption

5.1.9.6 Geschenke und Mitbringsel

5.2 Erfolgreich verhandeln

5.2.1 Fairplay

5.2.2 Drei Phasen der Verhandlung

5.2.2.1 Eröffnungsphase

5.2.2.2 Verhandlungsphase

5.2.2.3 Verhandlungsende

5.3 Erfolgreich sein

5.3.1 Sun Tzu und 36 Strategeme

5.3.1.1 Die Prinzipien des Sun Tzu

5.3.1.2 Die 36 Strategeme

5.3.2 Risiken

5.3.3 Chinesische Familienunternehmen

5.3.4 Partnerwahl

5.3.5 Essenz des Erfolgs

6 Normen und Regularien

6.1 Rechtsstaat und Reformen

6.1.1 Rechtsbewusstsein

6.1.2 Der Schutz geistigen Eigentums

6.1.3 Norm- und Gesetzgebung

6.1.4 Rechtsstaat und Reformen

6.1.5 Technische Normen

6.2 Recht

6.2.1 Rechtssystem und Rechtsgebiete

6.2.1.1 Chinesisches Zivilrecht

6.2.1.2 Das neue chinesische Zivilgesetzbuch

6.2.1.3 Internationales Recht

6.2.2 Rechtsverfolgung und Durchsetzung

6.2.3 Umgehung von Rechtsnormen

6.3 Gesetze

6.3.1 Relevante Rechtsgebiete

6.3.1.1 Zivilrecht

6.3.1.2 Öffentliches Recht

6.3.1.3 Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

6.3.2 Wirtschaftsgesetze

6.3.2.1 Gesellschaftsrecht

6.3.2.2 Investitionsrecht

6.3.2.3 Steuerrecht

6.3.2.4 Gewerblicher Rechtsschutz

6.4 Aktuelle Änderungen

6.4.1 Auslandsinvestitionsgesetz (Foreign Investment Law)

6.4.2 Corporate-Social-Credit-System (CSCS)

6.4.3 Datenschutz und -transfer

7 Vertragsgestaltung

7.1 Musterverträge

7.2 Berater/Rechtsberater

8 Doing Business in China

8.1 Vertrieb

8.1.1 Handelsvertreter

8.1.2 Vertragshändler

8.1.3 Handelsgesellschaften

8.1.4 Der Weg über Hongkong

8.1.5 Management und Controlling

8.2 Zusammenarbeit mit Chinesen in China

8.3 Geschäftserfolg

8.3.1 Kosten optimieren

8.3.1.1 Einkauf

8.3.1.2 Logistik

8.3.1.3 Spesenabrechnungen

8.3.1.4 Reisekosten

8.3.1.5 Expatriates

8.3.1.6 Produktion

8.3.1.7 Sanierung und Schließung

8.3.1.8 Personalabbau

8.3.2 Gute Mitarbeiter finden und binden

8.3.3 Der Schutz geistigen Eigentums

8.3.3.1 Marktüberwachung

8.3.3.2 Markenanmeldungsstrategie

8.3.3.3 Take-Down-Verfahren

8.3.3.4 Schutzstrategien

8.3.3.5 Patentverletzungsklage

8.3.3.6 Schutzgegenstand

8.3.3.7 Durchsetzung von Schutzrechten

9 Die asia21 – Chinastrategie für den Mittelstand

10 Chinesisches Recht

11 Vertragsklauseln und Muster im Handelsrecht der Volksrepublik China – in englischer Sprache

12 Internationale Schiedsklauseln

12.1 Wesentliche Inhalte der Schiedsklausel

12.2 Musterschiedsklauseln

12.3 Schiedsinstitute

13 Deutsche Anwälte in Shanghai

14 Weitere wichtige Kontaktadressen

15 Symbole und Wortbedeutungen

16 Erfahrungsbericht: Arbeitsgerichtsverfahren in China

17 Literatur

18 Abkürzungen

Der Autor

 

TEIL I

 

Basiswissen

 

 

1Einführung

Wir leben in einer historischen Zeitenwende. Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg Chinas zur globalen Supermacht lässt viele ein „chinesisches Jahrhundert“ befürchten.

Diese tektonische Plattenverschiebung geht Hand in Hand mit gewaltigen technischen Umwälzungen, die immer häufiger ihren Ursprung in China haben, das nun offen „seinen Platz an der Sonne“ geltend macht. Die Ablösung der gegenwärtigen Supermacht USA durch China und die Frage, ob dies friedlich geschehen wird, ist von zentraler Bedeutung. Die wachsende Rivalität ist vor dem Hintergrund eines noch größeren Trends zu sehen: 500 Jahre westliche Hegemonie neigen sich dem Ende zu, und Asien spielt bei der Ausgestaltung dieser neuen Normalität eine, wenn nicht gar die entscheidende Rolle.

Der Einfluss der USA in der Welt nimmt seit Jahren kontinuierlich ab. Damit geht auch das „US-amerikanische Zeitalter“ und mit ihm die alte atlantische Nachkriegsordnung ihrem Ende entgegen. China wird bis spätestens zum Ende dieses Jahrzehnts zur weltweit größten Volkswirtschaft aufsteigen, und sein immer selbstbewussteres Auftreten führt bereits jetzt zu Zerreißproben an vielen Fronten. Doch das Reich der Mitte ist auch der unerwartete, neue Champion von Freihandel, Klimaschutz und einer nachhaltigen sharing economy und propagiert einen neuen Sozialismus chinesischer Prägung, ja einen neuen Menschen- und Gesellschaftsentwurf. China will und wird nicht nur wirtschaftlich und militärisch, sondern auch eine „digitale“ und „grüne“ Supermacht sein.

China dürfte bis spätestens zum Ende dieses Jahrzehnts zur größten Volkswirtschaft aufsteigen und könnte auch bei den Verteidigungsausgaben bis 2025 mit den USA gleichziehen.

Mit China steigt ein Staat in der weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Hierarchie auf, der sich in Konkurrenz zum Westen zu einem ordnungspolitischen Modell für andere Staaten entwickeln könnte. China hat in den vergangenen dreißig Jahren ein erfolgreiches Entwicklungs- und Modernisierungsmodell geschaffen, das autoritäre politische Führung mit staatlich beaufsichtigtem Kapitalismus kombiniert.

Statt auf Marktwirtschaft setzen auch viele der Aufsteigerländer auf einen staatlich gelenkten Kapitalismus. Ihre Industriepolitik zeichnet sich durch die Dominanz von Staatsunternehmen und nationalen Champions aus. „Sovereign Wealth Funds“, Subventionen und Kapitalverkehrskontrollen sowie Wechselkursmanipulationen sind die wichtigsten Mittel einer solchen Strategie. Eine solche Wirtschaftspolitik zeigt nicht nur in China, sondern auch in einigen anderen autoritär regierten Ländern positive Ergebnisse, sodass sich hier nur wenig Druck in Richtung Demokratisierung und gesellschaftspolitischer Teilhabe entwickelt.

Die rapide Entwicklung in China verändert das globale Machtgefüge in vielerlei Hinsicht. Egal ob im Arbeitsmarkt, bei der Ressourcensicherheit oder im Wettbewerb um Talente: Die Bewältigung der großen deutschen Zukunftsaufgaben hängt maßgeblich von Ereignissen und Entscheidungen in China ab.

Die Entwicklung von mehr Asien- und Chinakompetenz und die Entwicklung und Umsetzung einer China- und Asienstrategie sind für Politik und Wirtschaft alternativlos. Für Deutschland ist insbesondere mit China ein formidabler Wettbewerber auf den Plan getreten, der die deutschen Paradedisziplinen massiv bedroht.

China will und wird bis Mitte des Jahrhunderts eine industrielle Supermacht werden – besonders bei der Digitalisierung und Automatisierung der industriellen Fertigung. Die Innovationsfähigkeit und das Technologieniveau der fertigenden Industrie sollen schlagartig erhöht werden. Elektronik sowohl von der Hardwareals auch von der Software-Seite zählt zu den Stärken Chinas; die Digitalisierung der Industrie, in Deutschland gern unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ gefasst, wird hier also vorangetrieben.

Die deutsche Wirtschaft wiegt sich in falscher Sicherheit und verweist gerne darauf, dass zum Beispiel die chinesische Automobilindustrie nach diversen Rückschlägen noch immer hinterherhinkt und nicht mit der deutschen mithalten kann.

Man sollte aber nicht vergessen, wie in den Siebzigerjahren japanische Autos belächelt wurden, was sich in den Achtzigerjahren mit koreanischen Autos wiederholte. Beide Länder lernten schnell und wuchsen zu globalen Automobilmächten heran. Es gibt keinen Grund, warum sich das nicht in China wiederholen sollte. Das gilt auch für andere Bereiche wie Maschinenbau, Luft- und Raumfahrt und Biotechnologie. Bereits heute sind chinesische Smartphones von Huawei und Laptops von Lenovo Weltspitze.

In den letzten Jahren meldete China deutlich mehr Patente an als Deutschland und die USA zusammengenommen.

China hat gezielt in seine Technologieentwicklung investiert und bei seinen Patentanmeldungen einen gewaltigen Sprung gemacht. Häufig wird jedoch pauschal die Anzahl aller angemeldeten Patente angeführt, um die neue chinesische Stärke zu beschreiben. Aber sie allein sagt wenig aus, denn viele dieser Patente haben keinen großen Wert. Nur 5 Prozent der chinesischen Patente werden gleichzeitig in den USA und Europa eingereicht.

Zudem hat sich gezeigt, dass erfolgreiche Innovationen in China in der Regel nicht im Zusammenhang mit wissenschaftlicher Forschung und Technologie stehen, sondern mit nicht wissenschaftlichen Abläufen in der Wirtschaft und zum Beispiel die Effizienz der Verwaltung, den Kundendienst und das Produktdesign betreffen. Daraus abzuleiten, dass China noch eine weite Strecke vor sich hat auf dem Weg zu einem Innovationsland, ist aber voreilig.

Die Bertelsmann Stiftung hat in einer großen Studie zu „Weltklassepatente in Zukunftstechnologien“ 2020 festgestellt, dass China noch keine große Rolle spielt bei den Patenten, die in ihren jeweiligen Technologien weltweit am wichtigsten sind. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie technologisch besonders relevant sind, eine breite Zahl an Märkten abdecken und häufig bei der Anmeldung anderer Patente zitiert werden. Das macht diese Weltklassepatente besonders aussagekräftig für die Innovationskraft von Ländern und Regionen.

Wind of Change

Nach der Eroberung der Solarbranche ist China nun auf Windkrafttechnologie fokussiert. Ein gutes Beispiel, um die Diskrepanz zwischen der Masse aller Patente und der Auslese der Weltklassepatente aufzuzeigen: Insgesamt gab es 2019 weltweit rund 40 000 Windkraftpatente, wovon 16 740 aus China kamen. Gemessen an ihrer Qualität und Relevanz zählte die Bertelsmann Stiftung allerdings nur 300 zu den Weltklassepatenten.

China hielt 2019 also rund 40 Prozent an den weltweiten Patenten in der Windkrafttechnologie insgesamt, der Anteil an den Weltklassepatenten war mit 6,6 Prozent allerdings deutlich niedriger.

Wenn man diese in Relation zu den Patenten insgesamt setzt, hat China in dieser Technologie eine Forschungseffizienz von 1,8 Prozent. Von der beeindruckend hohen Zahl der 16 740 Windkraftpatente Chinas kann man also 16 440 eigentlich vernachlässigen.

Zum Vergleich dazu kommt Deutschland 2019 auf 958 Weltklassepatente in der Windkraft – bei 3829 Patenten in dieser Technologie insgesamt.

Die Studie weist darauf hin, dass der reine Blick auf alle Patentanmeldungen die Innovationsstärke Ostasiens (China, Japan, Südkorea) überzeichnet. Dort werden zwar sehr viele Patente angemeldet, aber der Anteil der Weltklassepatente gemessen an allen Patenten liegt in den drei patentstärksten Volkswirtschaften Ostasiens – China, Japan und Südkorea – in den meisten Jahren unter 10 Prozent. In den patentstärksten Staaten in Nordamerika sowie in Europa liegt er dagegen bei über 15 Prozent.

Gleichwohl holt Ostasien in riesigen Schritten auf, vor allem Südkorea und China haben in den vergangenen zehn Jahren in Sachen Patentqualität einen enormen Sprung nach vorne gemacht. 2019 rangierte China in 42 der 58 untersuchten Technologien unter den drei Ländern mit den meisten Spitzenpatenten. Noch 2010 war das Land nicht ein einziges Mal unter den Top 3 vertreten und 2000 kein einziges Mal unter den Top 5.

Die Vereinigten Staaten sind noch die unangefochtene „Patent-Supermacht“, doch die Dynamik Chinas lässt den Anteil der USA an Weltklassepatenten in nahezu allen Bereichen langsam schrumpfen. Gleichwohl ist der US-Vorsprung noch groß und die Stärke so breit verteilt, dass die Vereinigten Staaten mittelfristig die größte Patentmacht bleiben werden. In 50 von 58 Zukunftstechnologien verfügen die USA über die meisten Weltklassepatente. Besonders groß ist der Vorsprung in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit. Auch in zentralen Querschnittstechnologien rund um das Thema Digitalisierung weisen die Vereinigten Staaten immer noch eine hohe Wachstumsdynamik auf und können als einzige Industrienation bei ganz neuen Technologien mit China mithalten.

Die Alarmglocken sollten jedoch in Deutschland schrillen. Das Land ist zwar immer noch die stärkste europäische Patentmacht, fällt aber weltweit allmählich zurück.

Gemessen an seiner Einwohnerzahl schlägt sich Deutschland nach wie vor beachtlich über nahezu die gesamte Breite der Technologien. Der Anspruch, eine führende Technologienation zu sein, gerät allerdings immer stärker unter Druck.

Gehörte Deutschland 2010 in 47 der 58 Technologien noch zu den drei Nationen mit den meisten Weltklassepatenten, hat sich dieser Anteil 2019 auf 22 Technologien mehr als halbiert. Diese Entwicklung betrifft auch Deutschlands traditionelle Stärken in den Bereichen Industrie und Mobilität. Zudem trägt das Bild eines „grünen Deutschlands“ nicht länger, denn im Bereich Umwelt oder auch bei den für die Energiewende wichtigen alternativen Energieträgern spielt die Musik immer mehr in Ostasien, vor allem China.

Die Kombination von systematischer Innovationspolitik, die sich in der staatlichen Gründung von Hunderten von exzellenten Hochschulen und Forschungszentren zeigt, und finanzieller Unterstützung aus dem wachsenden privaten Sektor führt aufgrund der schieren Masse der Absolventen und der Institute zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit wissenschaftlichen Fortschritts. Das Paradebeispiel ist die Anzahl der Ingenieure:

In Deutschland treten pro Jahr rund 70 000 Ingenieure in den Arbeitsmarkt ein, in China sind es rund 700 000. Selbst wenn nur die Hälfte dieser 700 000 Weltmarktniveau erfüllen sollten, sind sie eindeutig in der Mehrheit.

Trotz steigender Sozial- und Lohnkosten in China werden auch künftig Produktionskostenvorteile weiterhin bestehen bleiben: Somit ist die Gefahr groß, dass Produkte von ähnlicher Qualität wie in Deutschland in doppelter Menge zum halben Preis in China produziert und von dort exportiert werden können.

Die erfolgreiche Attacke auf die deutschen Vorzeigebranchen Maschinenbau und Automobilbau ist bereits in vollem Gange. Der chinesische Maschinenbau wächst seit einigen Jahren mit 4 bis 5 Prozent pro Jahr, die Industrialisierung der Landwirtschaft sorgt für einen anhaltend hohen Bedarf an Agrar- sowie Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen. Zugleich schreitet die Entwicklung zu einem modernen Industriestandort mit großem Tempo voran.

Deswegen ist es umso wichtiger, dass deutsche Unternehmen, die im Maschinen- und Anlagenbau erfolgreich sind, ihren chinesischen Kunden nicht nur langlebige Produkte verkaufen, sondern ebenso erstklassigen After-Sales-Service im Angebot haben. Es versteht sich von selbst, dass die Produkte dem lokalen Markt angepasst, also weder overengineered noch veraltet sind.

Was Elektrofahrzeuge angeht, wurde Deutschland schon 2015 von China überholt. Nach den Plänen der chinesischen Regierung sollen bis Ende 2020 rund 5 Millionen Elektrofahrzeuge auf den Straßen Chinas rollen. In keinem anderen Politikfeld hat der Fünfjahresplan so konkrete Ziele festgeschrieben wie im Umweltbereich.

Dabei geht es nicht nur um die Reduzierung des Schadstoffausstoßes, sondern um eine umfassende Verbesserung der gesamten Lebensqualität, insbesondere die Reduzierung bis hin zur Eliminierung von Verschmutzung von Luft, Böden und Gewässern. Die Politik der Regierung wird sich in den nächsten Jahren in diesem Punkt eher noch intensivieren. Noch haben chinesische Unternehmen einen technologischen Rückstand.

Die Größe des Landes und die Größe der Probleme bergen deshalb – zumindest derzeit – attraktive Möglichkeiten für deutsche Firmen, die Umwelttechnologie, erneuerbare Energien und Reinigungstechnologie anbieten können. Filteranlagen, Sensoren, Wasseraufbereitungsanlagen werden langfristig in großer Menge gebraucht werden. Die Chancen für deutsche Unternehmen in China sind darum trotz aller Herausforderungen weiterhin gut.

Deutschland und China sind so eng miteinander verbunden und wechselseitig abhängig wie noch nie.

China ist der größte Handelspartner Deutschlands auf der Welt und Deutschland ist der größte Handelspartner Chinas in Europa. 2019 belief sich der bilaterale Güterhandel auf 206 Milliarden Euro. Der Handel mit China wuchs seit 2010 rasch und das ist für das Exportland Deutschland wichtig.

VW verkauft in China über 40 Prozent seiner gesamten Automobile weltweit und macht im weltgrößten Automarkt ein Drittel seines Gesamtumsatzes und die Hälfte seines Gesamtgewinns.

Zwei Drittel aller 30 DAX-Unternehmen haben eine ungewöhnlich hohe Abhängigkeit vom chinesischen Markt, geradezu ein China-Syndrom. Mehr als 8000 deutsche Unternehmen mit rund 35 000 deutschen Experten sind in China tätig, wohingegen in Deutschland auch schon 1000 chinesische Unternehmen aktiv sind mit stark wachsender Tendenz. Das führt dazu, dass über 150 000 Chinesen in Deutschland leben. 2016 ist alleine in Frankfurt am Main die Zahl der Chinesen mit Erstwohnsitz von zehn auf 14 000 angewachsen. Über 8000 Deutsche studieren in China, wohingegen über 50 000 Chinesen an deutschen Hochschulen studieren. In den letzten Jahren kamen über 1,5 Millionen chinesische Touristen nach Deutschland, und auch die Zahl der Deutschen, die in China Urlaub machen, ist auf über eine Million angestiegen. Durch die Corona-Krise hat diese Tourismuswelle natürlich zunächst einen dramatischen Einbruch erlitten.

Noch nie in der Geschichte war Deutschland China so verbunden, nie so abhängig voneinander wie heute: China von Technologie aus Deutschland und Deutschland vom Markt in China.

Beide Volkswirtschaften ergänzen sich im Sinne einer internationalen Arbeitsteilung: Deutschlands Stärke liegt im verarbeitenden Gewerbe wie Automobilindustrie, Maschinenbau, elektrische und elektronische Industrie sowie Chemie- und Pharmaindustrie. China befand und befindet sich in der Hochindustrialisierungsphase. So ist China mithilfe von deutschen Ausrüstungen „Werkbank“ der Welt geworden und hat eine starke Zulieferindustrie für Autoherstellung zum Teil auch für deutsche Hersteller aufgebaut. China ist ein gewaltiger und weiterhin schnell wachsender Markt und verfügt über relative billige, gut qualifizierte Arbeitskräfte. Der dadurch entstandene Skaleneffekt macht China als Standort für Produktion in Großmengen weiterhin attraktiv.

Mit dem Versuch Chinas, sein industrielles und technologisches Niveau anzuheben und Technologien aus dem Ausland in Schlüssel- und neu aufstrebenden Sektoren durch einheimische zu ersetzen, wird China allerdings zunehmend nicht nur Partner, sondern auch Wettbewerber für Deutschland. Die Güterstruktur für Exporte beider Länder ähnelt sich immer mehr und schafft Kooperationsmöglichkeiten etwa bei Robotik, Automatisierung und Digitalisierung.

Doch weiterhin sind das Land und seine Bewohner den meisten Deutschen ein Rätsel. Das Bild Chinas, das durch die deutschen Medien geprägt wird, ist meist einseitig. Im Land des Lächelns verbirgt man seine wahren Gefühle, isst viele Nudeln und hat sich durch Fleiß einen gewissen Wohlstand erarbeitet.

In der Regel fokussieren sich die Medien auf die negativen Aspekte wie zum Beispiel Menschenrechte, Raubbau an der Umwelt, systematischen Technologieklau, mangelnde Demokratie und die Gefahren durch einen erwachenden Militarismus, verbunden mit einer massiven Aufrüstung. Ein neuer Kalter Krieg zwischen China und den USA, massive Spionagetätigkeit und ein totaler Überwachungsstaat runden das Bild ab. Noch in den Neunzigerjahren war die Berichterstattung deutlich positiver und fokussierte auf die Chancen durch den Aufstieg Chinas und die enormen Leistungen der Regierung, die Hunderte von Millionen Menschen von Hunger und Armut erlöst hat.

Zwar gibt es mittlerweile zwanzig Konfuzius-Institute in Deutschland, die zur Verbreitung der chinesischen Kultur beitragen sollen, doch fehlt es weiterhin an Basiswissen zum Beispiel über die grundlegenden Erfindungen Chinas, die Expeditionen von Admiral Zheng He, der mit einer der größten Flotten der Welt von über 300 Schiffen mit insgesamt 35 000 Soldaten Dutzende von Ländern in Afrika erkundete. Wäre er wirklich, wie erwogen, weiter durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer gesegelt, ist nicht auszuschließen, dass Europa, auf dem Seeweg und in Kombination mit den Seidenstraßen auf dem Landweg kolonisiert und in den Augen der chinesischen Welt zivilisiert worden wäre.

Die enge Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland in den letzten Jahrzehnten hat dazu geführt, dass mittlerweile über 8000 deutsche Unternehmen in China ansässig sind und 2500 chinesische Unternehmen in Deutschland. Deutschland ist 45 Jahre in Folge der größte Handelspartner Chinas in Europa und seit 2016 ist China weltweit der größte Handelspartner von Deutschland.

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt steht mittlerweile für über 25 Prozent des weltweiten Wirtschaftswachstums. Das gegenseitige Handelsvolumen erreichte 2019 einen neuen Höchststand von 205 Milliarden Euro. Für uns ist China neben den USA und Frankreich weltweit der wichtigste Absatzmarkt.

Vierzig Jahre nach der Marktöffnung unter Deng Xiaoping ist noch immer ein Markteintritt in China weiterhin interessant und bietet deutschen Unternehmen zahlreiche Chancen. Dies nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Produktions- und Forschungsstandort.

2China Inc. 2.0

Vorab einige zentrale Wirtschaftsdaten Chinas im Überblick:

China Wirtschaftsdaten 2019 (Quelle: Statista 2020)

Einwohner (in Millionen)

1400

Landfläche in km2

rund 9 600 000

Wechselkurs, CNY pro EUR. Durchschnitt p. a.

7,73

Währung

Renminbi Yuan (CNY)

BIP gesamt Milliarden US-Dollar

14 140,2

BIP p. c. (US-Dollar)

10 099

BIP Wachstum in Prozent

6,1

Staatsverschuldung in Prozent des BIP

55,6

Inflation

2,9

Arbeitslosenquote

4,3

Militärausgaben in Prozent des BIP

1,9

Ausgaben F&E in Prozent des BIP

2,1

Währungs- und Goldreserven in US-Dollar

3222,9

Exporte Milliarden US-Dollar

2500

Devisenreserven Billionen US-Dollar

3,22

2.1Der Weg zur Weltmacht

China ist scheinbar allgegenwärtig. Gewaltige Konglomerate und Staatskonzerne sind noch immer, wenn auch selektiver, auf Shoppingtour in europäischen und vor allem deutschen Schlüsselindustrien.

Die Chinesen kommen also nicht mehr, sie sind schon längst da. Das Reich der Mitte ist binnen vier Jahrzehnten nicht nur als Nation enorm gewachsen, sondern hat zudem weltweit an Macht und Einfluss gewonnen. China ist zur größten Handelsmacht aufgestiegen und macht derzeit den USA den Platz der wirtschaftlichen Nummer eins streitig. Sogar von einem neuen Kalten Krieg ist die Rede.

Während früher Europäer und Amerikaner ihre Machtansprüche durch Kolonialismus und Kriege verteidigten, erobern heute chinesische Unternehmer und Staatskonzerne dank prall gefüllter Staatskassen die Gunst vorwiegend ärmerer Länder in Europa, Afrika und Südamerika.

Trotz chinesischer Versicherungen, man wolle eine harmonische „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ aufbauen und gemeinsam nach Lösungen etwa im Kampf gegen den Klimawandel suchen, will das Land augenscheinlich die Hauptrolle auf der Weltbühne spielen. Egal ob bei Infrastruktur, Innovation oder Militär – China hat langfristige Masterpläne, wenn es darum geht, seinen internationalen Machtanspruch geltend zu machen und nicht zuletzt seine geopolitischen Interessen hinsichtlich Taiwans, Tibets und des Südchinesischen Meers sicherzustellen.

Der 2015 vorgestellte Masterplan „Made in China 2025“ mit einem milliardenschweren Aufholprogramm lässt an Chinas Ehrgeiz kaum zweifeln, auch wenn dieser nach massiver Kritik des Westens von der chinesischen Regierung heruntergespielt wurde und nicht mehr öffentlich geäußert werden darf. An den Fakten selbst hat sich jedoch nichts geändert: Die Chinesen bauen ihre globale Machtposition aus und stellen die Weltgemeinschaft vor vollendete Tatsachen. Mit der BRI Initiative „neue Seidenstraße“ und dem Ausbau des Schienennetzes sollen der Güteraustausch und die Handelsbeziehungen in Eurasien intensiviert und China direkt auch mit dem „Rest der Welt“ verbunden werden.

In China gibt es eine Mittelschicht von 400 Million Menschen, die gewaltigen Konsumbedarf hat.

Die rapide wachsende Mittelschicht Chinas, die mittlerweile mehr Köpfe zählt als die amerikanische Gesamtbevölkerung, stellt immer höhere Ansprüche. Sie will nicht mehr nur noch Produkte kaufen, die im Westen entworfen und in China nur produziert werden. Symptomatisch dafür ist die rasante Entwicklung der geschichtslosen Stadt Shenzhen. Aus diesem einstmals verschlafenen Fischerdorf wurde in weniger als einer Generation eine 12-Millionen-Metropole mit der fünfthöchsten Bevölkerungsdichte und dem drittgrößten Containerhafen der Welt. Die am Reißbrett geplante Stadt an der Mündung des Perlflusses ins Südchinesische Meer war einstmals unter Deng Xiaoping die erste Sonderwirtschaftszone, die den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft vollziehen durfte.

Es ist kein Zufall, dass Deng Xiaoping auf seiner berühmten „Reise in den Westen“ im Jahr 1992 diesen Ort wählte, um den Reformprozess mit dem Motto „Lasst den Westwind herein, Reichtum ist ruhmvoll“ zu erneuern.

Der Vorstoß zur Gründung einer asiatischen Investitionsbank; Investitionen auf allen Kontinenten, um den Zugang zu wichtigen Rohstoffen zu sichern; die Ankündigung des Staatspräsidenten, mithilfe beschleunigter Reformen eine „Armee von Weltklasse“ zu schaffen; der Bau von Flugzeugträgern und die Eröffnung von Militärbasen im Ausland; der Ausbau der Raumfahrtkapazitäten, einer Mars-Mission und der Plan zum Aufbau einer bemannten Raumstation – China ist in vielen Bereichen auf dem Weg, zur Weltmacht Nummer eins zu werden.

Chinas sanfter Griff nach der Weltmacht löst Bewunderung und Ängste aus. Doch welche Ziele verfolgt China konkret? Welche Konsequenzen sind für das internationale System zu erwarten? Und was bedeutet dies für Europa?

Jahrhundertelang hatte sich das Reich der Mitte hinter der Großen Mauer abgeschottet. Doch seit dem 18. Parteikongress 2013, seitdem der mächtigste Führer der im Jahr 1949 gegründeten chinesischen Volksrepublik seit Mao Zedong die Macht übernommen hat, weht ein anderer Wind. Xi Jinping will sein Land politisch, militärisch und wirtschaftlich zur ersten Weltmacht formen. In einem beispiellosen Spagat zwischen liberaler Wirtschaftspolitik und repressiver Innenpolitik tritt er auch außenpolitisch immer selbstbewusster auf. Er sieht sich dabei in bester Gesellschaft: Mao Zedong hat das gedemütigte China vereint, Deng Xiaoping hat es reich gemacht, und Xi Jinping will China wieder zu der zentralen starken Weltmacht machen, die es den größten Teil seiner Geschichte über war.

Xi Jinping – ein Parteichef mit einem Traum

Seit Frühjahr 2018 ist Xi Jinping Parteichef der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und Präsident auf Lebenszeit und damit der mächtigste Mann Chinas – vielleicht sogar der Welt. Xi galt zu Beginn seiner Machtübernahme als dem Westen gegenüber aufgeschlossen und modern.

Schon vorher hatte er als Präsident, Generalsekretär der kommunistischen Partei und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission eine unbegrenzte Machtfülle wie vor ihm nur Mao Zedong und Deng Xiaoping.

Xi Jinping stammt aus einer elitären Familie, hat gleichwohl aber auch Zeiten der Entbehrung durchlebt. Sein Vater, Xi Zhongxun, war ab den 1930er-Jahren ein Militärführer und Weggefährte Mao Zedongs. Er war stellvertretender Ministerpräsident, bis er 1961 aufgrund einer Auseinandersetzung über unerwünschte Interpretationen eines aktuellen Romans unter Hausarrest gestellt wurde. Eine Verhaftung blieb ihm jedoch erspart und auch die Kulturrevolution überlebte er, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen. Unter Deng Xiaoping gelang ihm in den späten 70ern ein Neuanfang.

Xi Jinping wurde 1953 geboren und besuchte eine Eliteschule, bis er 1966, zu Beginn der Kulturrevolution, in die nördliche Provinz Shaanxi gebracht wurde. Viele Stadtkinder wurden damals zwangsweise aufs Land verfrachtet und dort nicht selten drangsaliert. Xi soll sich erfolgreich den Respekt der Bauern erworben haben und lernte deren rückständige Lebens- und Arbeitsbedingungen kennen.

Knapp zehn Jahre später kehrte er nach Peking zurück und studierte Ingenieurwissenschaften. Vieles spricht dafür, dass er zielstrebig auf eine politische Karriere hinarbeitete. 1973 wurde er in die Partei aufgenommen – im zehnten Anlauf. Von 1978 bis 1982 war er Sekretär eines Mitglieds der Zentralen Militärkommission.

Obwohl ihm damit eine Karriere in der Armee offenstand, wählte er den längeren, politischen Weg durch die Verwaltungen; dieser hatte das Potenzial, ihn weiter nach oben zu führen. Er ging nach Hebei und später nach Fujian nahe Taiwan, eine der fortschrittlichsten Provinzen. Hier verbrachte er 16 Jahre und heiratete in zweiter Ehe Peng Liyuan, eine berühmte Sängerin, die lange Zeit bekannter war als er selbst. Sie ist seit Maos Frau Jiang Qing die erste Ehefrau eines Spitzenpolitikers, die politisch aktiv sein darf.

In Fujian überstand Xi unbeschadet einen der größten Korruptionsskandale Chinas. In einem Land, in dem Netzwerke und Familienbande traditionell wichtig sind, ist es schwierig, Verstrickungen und Bestechungsversuchen zu widerstehen – ihm jedoch gelang es.

Von 2000 bis 2002 war Xi Gouverneur in Fujian, bevor er in die boomende Küstenprovinz Zhejiang versetzt wurde, wo er die höchste Parteiposition bekleidete. Mitte des Jahrzehnts wurde er neben einigen anderen als möglicher Nachfolger des ehemaligen Staatspräsidenten Hu Jintao gehandelt.

Ab dem 17. Parteikongress 2007 galt er plötzlich als Topkandidat. Als er im Oktober 2007 in den Ständigen Ausschuss des Politbüros berufen wurde, machte ihn dies zum designierten Nachfolger. Im weiteren Verlauf wurde er Vorsitzender des Komitees für die Organisation der Olympischen Spiele 2008 und hatte andere Posten inne.

Ganz unauffällig – gerade von westlichen Beobachtern zunächst gar nicht richtig wahrgenommen – übernahm Xi Jinping auf dem 18. Parteikongress am 15. November 2012 die Führung Chinas.

Der konsequente Kampf gegen Korruption war in den ersten Regierungsjahren eines der Kernthemen Xis. Dies brachte ihm Sympathien beim Volk ein, jedoch auch viele Feindschaften, da er auch vor obersten Machtetagen nicht zurückschreckte. Zeitgleich intensivierten sich die Überwachung der eigenen Bürger und die Verhaftungen von Menschenrechtlern, Anwälten und die Unterdrückung von Minderheiten.

Xi führt heute das Land mit straffer Hand und hat auch einen Plan. Sogar mehr als das, einen Traum: Spätestens zum hundertjährigen Jubiläum der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 2049 soll China nach dem Plan Xi Jinpings eine moderne wohlhabende Nation, eine globale Supermacht sein. Dafür werden große Anstrengungen unternommen und zahlreiche Programme und Initiativen aufgelegt.

China soll nicht länger die kostengünstige Werkbank der Welt sein, „Made in China“ soll bis 2025 von „Made by China“ abgelöst werden. Dies soll zum Gütesiegel avancieren.

Nachdem der Volkskongress im März 2018 der Entscheidung des Zentralkomitees zugestimmt hat, die Begrenzung der Amtszeiten aufzuheben, kann Xi nun so lange Präsident bleiben, wie er will. Begründet wurde die Notwendigkeit für diesen Schritt damit, dass nur so eine starke und stabile Führung für den entscheidenden Zeitraum zwischen 2020 und 2030 sichergestellt ist.

Die Machtfülle führt dazu, dass sich die aktuellen innen- und außenpolitischen Initiativen und Entwicklungen in China verfestigen und langfristig Wirkung zeigen. Man kann damit rechnen, dass die Verhärtung im Land noch weiter zunehmen wird und dass der Personenkult um den allmächtigen Führer, den neuen Kaiser Xi, noch stärker werden wird.

Der wirtschaftliche und politische Vormarsch wurde im Oktober 2017 beschlossen. Präsident Xi schwor auf dem 19. Nationalen Volkskongress der Kommunistischen Partei Chinas, dass bis 2035 das Land eine moderne Wirtschaft haben werde. 2049 zum hundertjährigen Jubiläum der Gründung der Volksrepublik solle China ein Land „mit hohen Einkommen“ sein. In seiner Rede in der Großen Halle des Volkes am 18. Oktober 2017 bekräftigte Xi die sogenannten „Jahrhundertziele“ die Hu Jintao und Jiang Zemin bereits 1988 verkündet hatten. Bis 2035 soll China von ausländischen Technologien und Know-how unabhängig sein. Es soll nicht mehr vom Ausland lernen müssen, sondern selbst das Ziel „neidischer“ Ausländer sein. China soll gut geführt sein und die tiefe Kluft der westlichen Länder zwischen Arm und Reich vermeiden. Es soll ein gerechtes Land mit starken bürgerlichen Werten sein. Die Menschen sollen nachhaltig und in einer intakten Natur leben. An sauberem Wasser und Nahrungsmitteln soll es nicht mangeln.

Bis 2049 wird China gemäß Xis Plänen seinen eigenen Weg zur Demokratie gefunden haben und eine durch und durch moderne globale Führungsmacht sein. Wenn das Volk unerschütterlich an die großen Entwürfe der Partei glaubt, wird es die Erfüllung seiner Träume auch erleben.

Xi formuliert und prägt Visionen, die den Sehnsüchten der Chinesen entsprechen. Solange er diesen näherkommt, wird er fest im Sattel sitzen.

Es bleibt zu hoffen, dass er erfolgreicher ist als der erste Ministerpräsident der Volksrepublik Zhou Enlai. Dieser hatte 1964 „Vier Modernisierungen“ bis zum Ende des 20. Jahrhunderts versprochen und sich dabei auf die Reform der vier Schlüsselsektoren Verteidigung, Landwirtschaft, Industrie sowie Wissenschaft und Technologie bezogen. Um die Jahrtausendwende war China jedoch nur ein Land der unteren Mittelklasse. Andererseits braucht man einen langen Atem. Auf die Frage bei der Feier zum zweihundertsten Jahrestag der französischen Revolution im Jahre 1989, wie er diese bewerten würde, antwortete Zhou Enlai, es sei noch zu früh, dies zu beurteilen . . .

In seiner Rede kündigte Xi an, dass die Partei – nicht er – die „großartige Wiederbelebung der chinesischen Nation“ verwirklichen, die Lebensbedingungen der Bevölkerung in vielfältiger Weise voranbringen und die parteiinterne Disziplin und Arbeitsweise verbessern werde. Er stellte sich in den Dienst der Partei und die Partei in den Dienst des Volkes. Er schlug auch die Brücke zu Mao, der charismatischen Identifikationsfigur: So bekräftigte er, den von Mao eingeschlagenen Weg Chinas zurück an die Weltspitze vollenden zu wollen, wo das stolze Land nach den Demütigungen der Kolonialzeit und der japanischen Besetzung hingehöre.

Anders als Mao jedoch, der über genügend persönliche Macht verfügte, um unabhängig von der Partei agieren zu können, ist Xi ganz der Parteisoldat.

Xi zieht sowohl seine Legitimation als auch seine Macht einzig aus der Stärke der Kommunistischen Partei Chinas, die vor allem anderen kommt.

2.2Ein europäischer Blick in die Geschichte Chinas

Francis Bacon hat in seinem Werk Novum Organum, das um 1620 erschienen ist, postuliert, dass die wohl drei wichtigsten Erfindungen der gesamten Menschheit Schießpulver, Buchdruck und Magnet gewesen seien. Diese wurden wie Seide, Porzellan, Eisenpflug und Dezimalsystem alle in China erfunden.

1492 hatte Christoph Kolumbus im Namen der spanischen Krone versucht, den direkten Zugang nach China über den Seeweg zu finden. Nicht zuletzt durch den Fall von Konstantinopel 1453 war der Nachschub an Seide, Porzellan und Tee unterbrochen. Im wahrsten Sinne im Vorbeifahren entdeckt Kolumbus Amerika, mit fatalen Konsequenzen für die dort entwickelten Hochkulturen, und sechs Jahre später findet der Portugiese Vasco da Gama den Weg um Afrika und erreicht 1530 die südchinesische Küste.

1557 wurde in Macao der erste westliche Außenposten für den Handel mit China eingerichtet.

1601 war es dem Jesuitenpater Matteo Ricci gelungen, am chinesischen Kaiserhof akzeptiert zu werden. Er sprach und schrieb Chinesisch und kannte sich in den chinesischen Klassikern bestens aus. Schon unter den Mongolen hatte Marco Polo im 13. Jahrhundert feststellen dürfen, dass im mongolischen und damit auch chinesischen Reich eine große Toleranz gegenüber anderen Religionen herrschte. Den Jesuiten gelang es, eine starke Position aufzubauen, und im Jahre 1630 erlangte sogar ein Kölner Kaufmannssohn, Adam Schall zu Bell die höchsten Würden der chinesischen Gesellschaft. Er wurde zum Mandarin der höchsten Klasse und zum Leiter des astronomischen Institutes ernannt.

Die Berichte der Jesuiten wurden mit großem Interesse in Europa gelesen und das Zeitalter der Aufklärung tat das Übrige. Alleine in den ersten zehn Jahren von 1700 bis 1710 erschienen in ganz Europa 600 Bücher über China.

Der Dialog der Kulturen fand seinen Gipfel in dem deutschen Gelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, der in seiner Schrift Novissima Sinica oder: Das Neueste von China postulierte, dass es die Aufgabe der „beiden führenden Kulturen an den beiden Enden des eurasischen Kontinents, nämlich Europa und China, sei, die dazwischen liegenden Gebiete zu entwickeln“.

Leibniz erkennt im Werk Novissima Sinica die inhärente Überlegenheit der chinesischen Kultur an, eine Meinung, die auch Immanuel Kant teilte.

Europa war 1670 – nur wenige Jahre nach Ende des Dreißigjährigen Kriegs – in keinem guten Zustand: Der Binnenhandel war schlecht aufgestellt, ebenso die Fabrikation von Gütern, die geltenden Währungen waren weitgehend entwertet, es herrschte Rechtsunsicherheit, hinzu kam ein langsames und korruptes Gerichtswesen, wertlose Bildung, zunehmender Atheismus und Werteverfall allenthalben. Dies war das Europa, in dem Gottfried Wilhelm Leibniz lebte. In seinem politischen Memorandum befasste er sich mit den Herausforderungen seiner Zeit. Die ideale Lösung schien ihm die Verbindung der alten chinesischen natürlichen Theologie mit der europäischen Kultur. Bildlich gesehen hielt er es für einen glücklichen Zufall, dass die beiden zivilisiertesten Länder und weitestentwickelten Kulturen der Welt sich quasi an zwei Enden gegenüberlagen und einander die Hände reichen konnten.

Durch den Austausch zwischen ihnen würde die menschliche Zivilisation die nächste Stufe in der Menschheitsgeschichte erreichen. Leibniz geht es um eine Entbarbarisierung Europas und um die Weiterführung der Menschheitsgeschichte. In seinen Augen hatte der Konfuzianismus weit mehr zu bieten als jedes andere Glaubenssystem seiner Zeit: „Auch die Chinesen sollten Missionare nach Europa schicken, so dass wir von ihnen natürliche Religion lernen können, die wir fast verloren haben“.

Eine starke Aussage, wenn man den Kontrast zur Bekehrung mit Feuer und Schwert durch die katholische Christenheit betrachtet. Für Leibniz war die Wesensverwandtschaft von Christentum und Konfuzianismus trotz aller kulturellen Unterschiede evident. Er glaubte fest, dass die Menschheit über die universelle Eigenschaft der Vernunft verfügte. Neben einer Weltreligion, einer Weltsprache und anderen Weltwerten strebte Leibniz die Verbindung der „beiden Welt-Zentren der Zivilisation“ durch eine „Welt-Landbrücke“ an.

Fast scheint es, dass man damals mehr über China wusste als heutzutage. Danach legte sich das Interesse wieder und China blieb das mysteriöse weit entfernte Reich der Mitte.

Die Chinesen sehen die Weltgeschichte aus einer anderen Perspektive als wir. Aus chinesischer Sicht lief die 5000 Jahre alte Geschichte Chinas über 4800 Jahre erfolgreich und man konnte noch im Jahre 1794 die berühmte englische McCartney-Delegation elegant zurückweisen. Doch ab den Opiumkriegen in den 1840ern begannen die Dinge aus dem Ruder zu laufen. Schmerzhafte 150 Jahre begannen, in denen China gedemütigt und ausgebeutet wurde.

Nationale Traumata wie das Niederbrennen des kaiserlichen Sommerpalastes durch Briten und Franzosen 1860 und die Niederwerfung des Boxeraufstandes im Jahre 1900 taten das Ihrige, um das grundsätzliche Misstrauen gegenüber allem Fremden noch zu verstärken. Das 20. Jahrhundert sollte sich als das blutigste in der chinesischen Geschichte erweisen und traumatisierte das ganze Land.

In der angelsächsischen Welt gab und gibt es aufgrund der kolonialen Vergangenheit deutlich mehr Literatur zu China. Im kontinentaleuropäischen und vor allem deutschen Sprachraum sorgten die Kulturrevolution (1966 bis 1976) für ein gesteigertes Interesse breiterer Bevölkerungsgruppen. Während der Studentenbewegung der Sechzigerjahre schwärmten viele Studenten für Mao und bei Demonstrationen wurde dessen rote kleine „Bibel“ in die Höhe gestreckt und China als das Eldorado des Kommunismus interpretiert.

Bis in die 80er-Jahre sah die westliche Welt China als eine Art aufgeblähte DDR, wo Millionen von Arbeitsameisen in grünen oder blauen Baumwollanzügen gekleidet fröhlich winken und Zehntausende von schwarzen Fahrrädern die stalinistischen Prachtstraßen in Peking verstopfen. Der Kontrast zur jetzigen globalen Supermacht könnte nicht größer sein!

2.3Chinas neue Ära

In den vergangenen Jahrzehnten hat das Reich der Mitte durch die Einleitung von Reformen und die Öffnung seiner Binnenmärkte eine rasche Transformation durchlaufen sowie enorme wirtschaftliche Erfolge erzielt. Um die nächste ökonomische Entwicklungsstufe zu erreichen, ist jedoch mehr nötig: China schlägt unter der strengen Hand von Präsident Xi einen neuen Wachstumspfad ein, bei dem der Fokus auf Innovation, Binnenmarkt, Dienstleistungen und höherer Qualität bei der Fertigung liegt. Die Führung des Landes hat verstanden, dass das Wachstum nicht grenzenlos ist und sich die Volkswirtschaft nicht ausschließlich auf Investitionen und externe Nachfrage beziehungsweise den Export stützen kann.

Im 13. Fünfjahresplan für die Jahre 2016 bis 2020 wurden die wesentlichen Ziele dargelegt. Vor allem soll die Förderung höherwertiger Fertigungsindustrie und die Entwicklung fortschrittlicher Technologien unterstützt werden. China soll sich zu einem Land der Innovationen entwickeln. Unter anderem deshalb hat Chinas Bildungsministerium Kreativität auf die Schulagenda gesetzt. Durch die Strategie „Made in China 2025“, soll sich das Land von einem quantitäts- zu einem qualitätsorientierten Produzenten weiterentwickeln. Die im Mai 2015 veröffentlichte Strategie ist seither durch zahlreiche Details konkretisiert.

Das Jahrhundertziel ist, China bis 2049 zu einem führenden Zentrum von qualitativ hochwertiger und wertschöpfungsintensiver Fertigung zu machen und weltweit wieder die Nummer Eins zu sein.

Die Strategie „Made in China 2025“ identifiziert zehn Sektoren, die im Mittelpunkt des ökonomischen Übergangs stehen, darunter fallen unter anderem moderne Informationstechnologie, Robotik, biologische Medizin und medizintechnische Produkte. Darüber hinaus wurden neun Aufgaben mit Priorität versehen, beispielsweise verstärkte Innovationen in der Fertigungsindustrie, die Förderung chinesischer Marken und die Unterstützung dienstleistungsorientierter Fertigung.

Es handelt sich also um eine klar definierte Politik zur Reduktion der Abhängigkeit von der Fertigung bloßer Geräte und zur Steigerung der Wertschöpfung bei der Produktion und damit auch bei den Exporten.

Hatte 1993 der Anteil wertschöpfungsintensiver Komponenten bei den Exporten bloße 20 Prozent betragen, so hat sich schon 2015 dieser Anteil mit 51 Prozent mehr als verdoppelt. Internetgiganten wie Alibaba und ähnliche Konzerne belegen, wie sich das Konsumentenverhalten weiterentwickelt und die Arbeitsweise der Unternehmen verändert hat. China steht nicht still, sondern klettert weiterhin die Wertkurve hinauf. Es hat sich entschlossen und fähig gezeigt, sich von einer agrarisch geprägten Volkswirtschaft zur größten Hersteller- und Handelsnation der Welt und zur bislang zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu entwickeln.

Die Aufhebung der Amtszeitbegrenzung des Präsidenten ist unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten eine positive Entwicklung, da man davon ausgehen kann, dass die wichtigsten wirtschaftspolitischen Maßnahmen von Xi Jinping – die angebotsseitige Wirtschaftsreform (Reform der Staatsbetriebe) und die Seidenstraßen-Initiative – fortgeführt werden.

Zwar kann die Rückkehr des Führungskults wie zu Zeiten Mao Zedongs langfristig ein Risiko für die (innen)politische Stabilität bedeuten, doch für kürzer- bis mittelfristig orientierte Anleger verheißt dies das Gegenteil. Investoren erwartet für die nächsten Jahre mehr Planungssicherheit.

Schon durch die Anti-Korruptionskampagne hat Präsident Xi Jinping eine wichtige Voraussetzung für anhaltende Stabilität geschaffen und in den Augen der Bevölkerung die Legitimität der Volksrepublik wiederhergestellt.

Insgesamt steht also die Erhöhung der Qualität des Wirtschaftswachstums in China deutlich im Fokus. Weitere wirtschaftliche Prioritäten sind die Eliminierung von Armut und die Reduzierung der Umweltverschmutzung.

Das atemberaubende Tempo, das die Volksrepublik bei ihrem Transformationsprozess vorlegt, ist beeindruckend, selbst wenn die Zeit der zweistelligen Wachstumsraten vorüber zu sein scheint. Der Wandel vom agrarisch geprägten Land zur Industrienation ist noch nicht ganz vollzogen, doch bereits jetzt strebt China schon die nächste Transformation an und will den Aufstieg zu einer führenden Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts schaffen. Nicht länger Werkbank der Welt, sondern ein innovatives Dienstleistungs- und Technologiezentrum soll China werden.

Im Gegensatz zum Westen, wo man oft nur in Quartalsberichten und in Legislaturperioden denkt, plant China für lange Zeiträume gar für Jahrhunderte. Seine Fünfjahres- oder auch Zehnjahrespläne sind nur die Etappen und Zwischenziele.

Der lange Marsch zur Weltmacht hat also mächtig Fahrt aufgenommen und wird 2030 ein wichtiges Zwischenziel erreicht haben. Wenn die Reformen weiterhin so erfolgreich umgesetzt werden, wird China bis dahin die größte Volkswirtschaft der Welt und eine globale Weltmacht sein, wenn auch vielleicht noch nicht in militärischer Hinsicht.

2.3.1Macht stabilisieren

Wie beim Go-Spiel setzt China heute in den verschiedensten Bereichen Standards und Markierungen. Im Folgenden stehen verschiedene Spielfelder im Mittelpunkt: Hard Power, also Außenpolitik, militärische Macht, Wirtschaft, politische Macht und Soft Power, die eng mit der Innenpolitik zusammenhängt. Der US-Politologe Joseph Nye versteht darunter eine indirekte Machtausausübung durch Kultur, politische Werte und auswärtige Politik. Nimmt man noch Sprache und Religion hinzu, so ergibt sich Smart Power, als Kombination all dieser Aspekte. Die deutlich steigende internationale Diskussion und Akzeptanz des „dritten Weges“, den China beschreitet, zeigt den Erfolg der chinesischen Bemühungen.

Andere sehen in den zunehmend aggressiveren Tönen der sogenannten „Wolf-Warrior Diplomatie“ durch jüngere chinesische Diplomaten, die die auf Harmonie und Understatement basierende Pandapolitik ablöst, eher ein Zeichen von noch zu schwacher soft power, gerade im Vergleich zu den USA.

Nach innen betreibt Xi eine rückwärtsgewandte Politik mit immer weniger werdender Meinungsfreiheit und weniger Transparenz, aber mit mehr Personenkult, was an den großen Steuermann Mao erinnert. Nach außen tritt China verstärkt aggressiv auf, dies gilt für die geopolitische wie auch die wirtschaftliche Ebene. Der defensive Protektionismus von US-Präsident Trump droht mit Strafzöllen, der chinesische Protektionismus ist im Vergleich dazu deutlich offensiver. Nach der neuen sogenannten Zweikreislauftheorie (Dual Circulation Theory) will sich China von den USA entkoppeln, indem der innere Kreislauf der Binnenwirtschaft etwa durch mehr Konsum heimischer Produkte gestärkt wird und der äußere Kreislauf, also die Abhängigkeit von Warenexporten und Technologieimporten aus dem Ausland, reduziert werden soll.

Es gibt seitens Chinas eine aggressive Strategie von Investitionen in Infrastrukturprojekten entlang der neuen Seidenstraße von China bis nach Europa und verstärkte Investitionen in europäische Technologieführer. Gleichzeitig werden die Hürden für ausländische Investoren in China hoch gehalten.

China ist darauf angewiesen, wirtschaftlich auf Kurs zu bleiben. Seit Anfang der Achtzigerjahre gilt ein unausgesprochener Deal zwischen der Partei und dem chinesischen Volk: Wir sorgen für mehr Wohlstand – ihr folgt unserer Führung. Solange die Wirtschaft wächst, wird dieses Abkommen fortbestehen, doch sollte das Wachstum enden oder sich gar umkehren, ist es mit der Ruhe vorbei.

Eine weitere Herausforderung für die Partei ist die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln: Rund 40 Prozent des urbaren Landes in China sind nach Angaben des chinesischen Agrarministeriums verseucht.

Ein fatales Dilemma: Einerseits muss China die Industrialisierung vorantreiben, um sich zu modernisieren und den Lebensstandard anzuheben, aber andererseits bedroht genau dieser Prozess die Produktion von Nahrungsmitteln. Kann diese Herausforderung nicht gelöst werden, ist ein Aufruhr zu erwarten.

Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Armut auszurotten. Durch das starke Wirtschaftswachstum und etliche staatliche Eingriffe ist es bislang gelungen, rund 700 Millionen Menschen aus der extremen Armut zu befreien. Dennoch leben noch immer mehr als 43 Millionen Chinesen von weniger als 0,80 Euro pro Tag, die meisten von ihnen auf dem Land. Der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses hatte darum zum Jahresende 2017 etliche Gesetze und Verordnungen erlassen, die es chinesischen Bauern einfacher machen sollen, Gewinn zu erwirtschaften. Vor allem zwei Gesetze erregen Aufmerksamkeit: Zum einen wurden Bestimmungen für bäuerliche Kooperativen geändert, und zum anderen wurde ein Pilotprogramm verlängert, das es Bauern erleichtert, Kredite aufzunehmen.

Das Gesetz für bäuerliche Kooperative ist ein wichtiger Bestandteil der Initiative, Bauern das Leben zu erleichtern. Nach wie vor sind die meisten Höfe in China sehr klein, im Durchschnitt beträgt ihre Größe weniger als ein Hektar. Der daraus resultierende geringe Ertrag lässt keine größeren Investitionen in Maschinen, Saatgut oder Pestizide zu. Das neue Gesetz ermöglicht es einzelnen Familien, sich zu größeren Einheiten zusammenzuschließen und dadurch gemeinsame Anschaffungen zu tätigen. Mit großem Erfolg: Gab es am Anfang gerade einmal 30 000 registrierte Kooperativen, so sind es 2020 knapp 2 Millionen.

Es geht Präsident Xi aber nicht nur darum, das große Ziel der Beseitigung der Armut bis 2021 oder 2030, spätestens jedoch bis 2049 zu erreichen, es geht vor allem um soziale und politische Stabilität.

Immer noch drängen Millionen von armen Landbewohnern in die Städte, wo sie sich als rechtlose Wanderarbeiter auf den Baustellen der Großstädte verdingen. Dies wird nicht so weitergehen können, und die Geschichte, die den Chinesen stets präsent ist, hat gezeigt, dass die Bauernunruhen am Anfang jeder großen Veränderung standen. Sie stürzten die Ming- wie auch die Qing-Dynastie und brachten die Kommunisten an die Macht.

Gefahrenanzeichen gibt es: Es mehren sich kritische Stimmen an der Zwangsräumung von Wanderarbeiterräumen in Peking, und ein bekannter Immobilien-Tycoon verglich Chinas Politik der Wohnsitzkontrolle, die noch auf Mao Zedong und den Bürgerkrieg zurückgeht, mit nordkoreanischen Verhältnissen.

Auf der anderen Seite ist das Wachstum des Wohlstandes in China schnell und hat das Interesse vieler Privatbanken geweckt. Die Zahl der Chinesen, die über mehr als eine Million Euro an investierten Vermögen verfügen, ist in den letzten zehn Jahren geradezu explodiert.

Nach einer Studie der Beratungsfirma Bain gab es 2006 ungefähr 180 000 Chinesen mit rund einer Million Euro Vermögen, im Jahr 2017 hat sich diese Zahl verhundertfacht und liegt bei beinahe 1,8 Millionen Chinesen.

Damit gibt es mittlerweile nicht mehr nur mehr Milliardäre als in den USA, auch der chinesische Binnenmarkt rückt in den Fokus. Momentan wird nur ein Bruchteil der Gelder von ausländischen Firmenmanagern verwaltet. Der wahre Reichtum verbleibt vorerst in China. Doch dort werden nun die Daumenschrauben angezogen. Es ist schwieriger für chinesische Unternehmer geworden, in China erarbeitetes Geld im Ausland anzulegen. Der von der Führung kontrollierte Kapitalverkehr und der Wechselkurs sorgen dafür, dass das Geld zu Hause bleibt.

Seit dem 19. Parteitag 2017 hat Xi Jinping die Kontrolle der KPCh über den Staat weiter ausgebaut. Faktisch wurden alle staatlichen Organe unter Parteikontrolle gebracht.

Zudem wurde auf dem 19. Parteitag erstmals seit Beginn der Öffnungspolitik die Rolle der Privatunternehmen in der Wirtschaft des Landes definiert. Dabei wurde der Patriotismus zur obersten Pflicht von Unternehmen erklärt.

Das Modell eines Staatskapitalismus nimmt konkretere Formen an. Die chinesische Führung zielt darauf ab, die Kontrolle über große Teile der chinesischen Wirtschaft wiederzuerlangen, die sich bislang außerhalb der Aufsicht durch die Partei entwickeln konnten.

Bereits im Jahr 2017 hatte die KPCh den Einfluss von Parteikomitees an Privatunternehmen in einem so starken Maße ausgeweitet, wie es bis hierher nur von Staatsunternehmen bekannt war. Auch ausländische Beteiligungen von Unternehmen sind davon betroffen. Ranghohe ausländische Manager berichten inoffiziell, dass sie gedrängt werden, Parteistrukturen in ihren Firmen zu entwickeln.

Bild 2.1Außenhandel Chinas 1996 bis 2019 in Milliarden US-DOLLAR(Quelle: Auswärtiges Amt, DB Research 2020)

2.3.2Industrie stärken

Eines der größten Länder der Welt wird von einer der kleinsten Führungsgruppen regiert, dem Ständigen Ausschuss des Politbüros mit sieben Mitgliedern. Zwar hat es Xi Jinping geschafft, seine Machtfülle zu zementieren und sich weiteren Spielraum für Reformen zu eröffnen, doch diese sind auch dringend notwendig: Diverse ehrgeizige Reformpakete sind noch nicht umgesetzt wie zum Beispiel, gewisse Sektoren für ausländische Investoren zu öffnen. Auch bei der immer wieder versprochenen Liberalisierung der Kapitalmärkte gibt es Handlungsbedarf: Die bisherige Öffnung vollzieht sich eher asymmetrisch, denn Kapitalzuflüsse, also Investitionen, werden zwar erleichtert, doch Kapitalabflüsse, insbesondere die Verbringung von Kapital ins Ausland, wird immer stärker reglementiert. Nach wie vor ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt stark abhängig vom Immobilienmarkt und von schuldengetriebenen Wachstumsimpulsen. Die chinesische Führung ist jedoch lernfähig. So hat sie nach der Finanzkrise 2008 – unter Ausnutzung astronomisch hoher Währungsreserven – das Wirtschaftsmodell mit Erfolg von exportgetrieben auf industriebasiert umgestellt.

Das spiegelt sich im Bruttoinlandsprodukt (BIP) wider. Lag das von China 1991 noch bei 0,49 Billionen US-Dollar, legte es bis 2018 auf 13,37 Billionen US-Dollar zu. Damit hat sich die Wirtschaftsleistung der Volksrepublik China innerhalb von zehn Jahren nahezu verdreifacht.

Während China 1991 damit noch auf dem neunten Rang verglichen mit den USA mit dem größten BIP von 7,04 Billionen US-Dollar lag, rangierte das Reich der Mitte 2016 bereits auf dem zweiten Rang direkt hinter den USA. Bis 2030 erwartet man, dass Chinas BIP auf 24,77 Billionen US-Dollar ansteigen wird und dann die USA mit prognostizierten 22,09 Billionen US-Dollar überflügelt. Dann wäre China nominell die größte Volkswirtschaft der Welt, was es unter Berücksichtigung der Kaufkraftparität bereits jetzt ist.

Auch die Anzahl chinesischer Unternehmen in der Liste der Fortune Global 500, den weltweit 500 umsatzstärksten Unternehmen, steigt unaufhörlich an. Waren es 2006 gerade einmal 16 Unternehmen, kletterte diese Zahl in 2017 bereits auf 115.

2019 waren es 129 (inklusive von zehn Unternehmen aus Taiwan) und mit Sinopec (Nr. 2), China National Petroleum (Nr. 4) und State Grid (Nr. 5) stellte China sogar drei bei den zehn größten Unternehmen der Welt. Bis 2030 dürfte die Zahl auf 200 weiter zulegen.

Zum ersten Mal seit dem Debüt der Fortune Global 500-Liste im Jahre 1990 und eigentlich zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist ein anderes Land als die USA an der Spitze der Gesamtwertung. Eine historische Zäsur von großer Symbolkraft: Wachablösung.

Auch der bis 2020 gültige Fünfjahresplan steht für eine weiterhin positive Entwicklung Chinas. Die Verschuldung soll maximal bei 3 Prozent des BIP liegen, der Fokus wird verstärkt auf innovative Technologien und eine Vielzahl großer Infrastrukturinvestments gesetzt, wie etwa 11 000 Kilometer Schnellzugtrassen und fünfzig neue Flughäfen.

Die stärkere Binnenmarktorientierung führt zwar zu einer gestiegenen Verschuldung des Landes, bringt jedoch auch eine dringend notwendige Schaffung von mehr zukunftsträchtigen Arbeitsplätzen mit sich. Neben den Staatsunternehmen bieten sich hierfür immer häufiger die erfolgreichen Privatunternehmen an. So hat sich bei den Internetfirmen eine große Dynamik entfaltet; zunehmend sind chinesische Wettbewerber auch in der Konsum-, Telekommunikations- oder Finanzbranche mit ihrer Marktkapitalisierung auf Augenhöhe mit ihren westlichen Konkurrenten.

2.3.3Auf eigenen Vorteil achten

Es gibt keine echte Reziprozität (Gegenseitigkeit). Wegen des aggressiven Protektionismus im Inneren sind deshalb auch die Auslandsinvestitionen Chinas anders zu beurteilen als die von anderen Ländern. In der Regel ist nicht ersichtlich, wer hinter einem Investor steht, ein vermuteter staatlicher Einfluss bewahrheitet sich meist. Deshalb wird der Einstieg chinesischer Staatskonzerne bei deutschen Unternehmen skeptisch beäugt.

China ist unser Partner, unser Wettbewerber und auch unser Herausforderer. Gegner ist die Volksrepublik aber (noch) nicht. China wird von der deutschen Regierung und verschiedenen Verbänden als „Partner und systemischer Wettbewerber“ bezeichnet, so zum Beispiel vom BDI in einem gleichnamigen Grundsatzpapier im Januar 2019. Dort wird auch die Frage aufgeworfen: „Wie gehen wir mit Chinas staatlich gelenkter Volkswirtschaft um?“

Fehlende Reziprozität gehört auch zu den alljährlich vorgetragenen Kritikpunkten der europäischen Handelskammer, die gemeinsam mit der deutschen Regierung diese wiederholt einfordert: Reziprozität sei der Schlüssel und die Lösung. Wenn China ausländische Eigentümerschaft auf 49 Prozent der Anteile beschränke, so sollte man das Gleiche tun, also die chinesischen Anteile an europäischen Unternehmen ebenso auf 49 Prozent begrenzen. Das liest sich zwar gut, es ist aber fraglich, ob sich das durchsetzen lässt.

Basierend auf den in Bild 2.2 gezeigten Zahlen, die eine wachsende Übernahmetätigkeit indizierten, wurde 2018 ein von Frankreich, Deutschland und Italien initiiertes EU-Gesetz verabschiedet, durch das ausländische Direktinvestitionen genauer geprüft werden. Dies bezieht sich auch auf kritische Bereiche wie etwa Künstliche Intelligenz, Robotik oder Informationstechnologie und Versorgungssicherheit.

Diese Art von Prüfung ist bereits in vielen anderen Ländern wie den USA und verschiedenen asiatischen Staaten gängige Praxis, die sich wohl weiter verschärfen wird.

Bild 2.2Chinesische Mergers & Acquisitions in Deutschland nach Branchen im Jahr 2018(Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft 2018)

Wichtig ist, dass deutsche Wirtschaftsunternehmen trotz der bestehenden Chancen im Riesenmarkt China sich nicht zu abhängig von diesem machen, wie es in einigen Sektoren der Automobilindustrie in den letzten Jahren geschehen ist. Zwar war die Volksrepublik bislang durchaus auf deutsche Technologie etwa im Maschinen- und Anlagenbau angewiesen, doch mittlerweile hat die chinesische Wirtschaft ein Niveau erreicht, das es ihr ermöglicht, die Nachfrage in vielen Bereichen selbst zu bedienen. Die Konkurrenz in China wird somit für deutsche Unternehmen stärker werden.

Bild 2.3Ausländische Direktinvestitionen in China in US-DOLLAR (realisiert) 1989 bis 2019(Quelle: Bfai, Auswärtiges Amt, DB Research 2020)

2.3.4Auf Zukunftstechnologien setzen

Nachdem Xi Jinping auf dem 19. Parteitag der KPCh den Anbruch „einer neuen Ära“ angekündigt hatte, veröffentlichte die Zentralregierung kurz danach einen neuen „Aktionsplan zur Modernisierung von heimischen Industrien“, der unter anderem Robotik, neue Werkstoffe, Hochgeschwindigkeitszüge und Fahrzeuge mit alternativen Antrieben aufführt. Ziel des auf drei Jahre ausgelegten Plans ist, dass die heimischen Industrien gegenüber der ausländischen Konkurrenz aufholen. Der Plan wurde Ende November 2017 von der Staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform (SKER) veröffentlicht und verleiht der industriepolitischen Strategie „Made in China 2025“ deutlichen Auftrieb. Diese sieht vor, die industrielle Produktion zu modernisieren, die Innovationskraft des Landes zu erhöhen und China bis 2049 in ein Hightech-Land zu verwandeln.

Im Zentrum des Plans der SKER stehen Künstliche Intelligenz und Big Data. Städte mit führenden Industrien und innovativen Unternehmen können sich bewerben. Dieses Vorgehen untermauert den Top-down-Ansatz der Strategie „Made in China 2025“. Von regionalen Regierungen wird erwartet, die Pläne der Zentralregierung zu implementieren und Zielvorgaben zu erfüllen. Unter diesem Gesichtspunkt gleicht sie der sozialistischen Planungswirtschaft, die in der Vergangenheit oftmals verheerende Auswirkungen auf die Bevölkerung hatte, man denke nur an den „Großen Sprung nach vorn“, den Mao der Volksrepublik verordnet hatte. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Planwirtschaft durch die Anwendung der Big-Data-Methoden unter Umständen verbessert und die Treffsicherheit erhöht. In jedem Falle sind die Konsequenzen aufgrund des technologischen Fortschritts wohl deutlich dramatischer als bei den Fünfjahresplänen der Vergangenheit.

Im Jahre 2015 startete China seine Initiative „Internet Plus“. Diese zielte ursprünglich auf die Modernisierung traditioneller Industrien durch die Einführung neuer Technologien wie mobiles Internet, Cloud Computing, Big Data und Internet Office. Schon heute sind die Ziele übererfüllt. Durch internetbasierte Technologien wurden Sektoren wie Handel und Transport, die Finanzbranche und die Medizintechnik revolutioniert. Xi Jinping hat zudem versprochen, dass China die Entwicklung von modernsten Fertigungstechniken durch eine weitere Integration von Internet, 3-D-Druck und Künstliche Intelligenz deutlich beschleunigen will.

Durch die schnelle Implementierung neuer digitaler Technologien in traditionellen Sektoren war es China möglich, eine extrem starke Informationsinfrastruktur aufzubauen. Das Land hat die weltweit größte Breitbandnetzstruktur. Dank der schnellen Einführung der 4G-Mobiltechnologie und optischer Netzwerke hat die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt über 800 Millionen Netizens, sozusagen „Einwohner“ des Internets. Das entspricht ungefähr der Menge der Internetnutzer in den USA und Indien zusammen. Der Anstieg war in den letzten Jahren enorm: Noch im Juni 2012 gab es in China nur 538 Millionen Internetnutzer. Nicht zuletzt dadurch hat sich China als starker globaler Player im Internetbereich und im Produktionsbereich etabliert.