Priester des Bösen - Achim Mehnert - E-Book

Priester des Bösen E-Book

Achim Mehnert

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Beschreibung

Endlich hat Ren Dhark eine Spur zu den unbekannten Kräften, die für die undurchdringliche Schranke um Orn, die Heimatgalaxis der Mysterious, verantwortlich sind. Getarnt als römischer Kaufmann macht er sich auf den Weg – und findet die Priester des Bösen...

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Seitenzahl: 480

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 30

Priester des Bösen

 

Conrad Shepherd

(Kapitel 1 bis 4)

 

Uwe Helmut Grave

(Kapitel 5 bis 10)

 

Achim Mehnert

(Kapitel 11 bis 16)

 

Ben B. Black

(Kapitel 17 bis 22)

 

und

 

Hajo F. Breuer

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

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Impressum

Prolog

Ende des Jahres 2065 steht die Menschheit am Scheideweg: Obwohl die Erde wieder auftaut, wurden 36 Milliarden Menschen nach Babylon umgesiedelt und richten sich dort unter der Regierung Henner Trawisheims neu ein. Doch der entwickelt sich in eine Richtung, die gerade den Gutwilligen überhaupt nicht paßt…

Auf der nur noch von ein paar Millionen Menschen bewohnten Erde hat der Wächter Simon drei Personen für das neue Wächterprogramm rekrutiert: Svante Steinsvig, Arlo Guthrie und – Doris Doorn! Die INSTANZ von ARKAN-12 schickt sie nach erfolgter Umwandlung in die Milchstraße. Ihre Aufgabe: Reparatur der defekten Station ERRON-2 und Überwindung der Schranke um Orn, die Heimatgalaxis der Mysterious oder Worgun…

Genau in dieser Sterneninsel machen der ehemalige Rebell Gisol und seine Kampfgefährtin Juanita auf Epoy, dem Ursprungsplaneten der Worgun, eine erschreckende Entdeckung: Eine geheimnisvolle Macht jagt alle Mutanten und versucht, das Volk der Hohen zu einer Gemeinschaft der Dummen hinabzuzüchten. Ihr Bericht bewegt Margun und Sola dazu, einen Notruf abzustrahlen…

Zur gleichen Zeit muß Ren Dhark erkennen, daß sich vieles verändert hat in seiner Heimat: Terence Wallis macht ihm und wenigen Auserwählten das Angebot der relativen Unsterblichkeit! Und auf Babylon hat Henner Trawisheim eine Diktatur errichtet. Er läßt Ren Dhark und seine Getreuen verhaften. Als ihnen die Flucht zurück in die POINT OF gelingt, bleibt auch Dan Riker und seiner gesamten Flotte nur noch die Desertion. Von Trawisheim zu Vogelfreien erklärt, will sich das kleine Rebellenhäufchen auf Echri Ezbals neuer Forschungswelt Wischnu treffen. Doch als er den Notruf von Orn erhält, ist Ren Dhark nicht mehr zu bremsen…

Mit Hilfe des geheimnisvollen goldenen Planeten überwindet er die Schranke um Orn – und erfährt vom vergeblichen Versuch der großen Worgun Margun und Sola, den Frieden in der Galaxis mit Hilfe eines gigantischen Parakraftverstärkers wiederherzustellen. Als man das Gerät ans Laufen bringt, kommt es zu einem unvorhersehbaren Rückkopplungseffekt. Es explodiert – und mit ihm die Gigantstation ARKAN-54.

Es gelingt, den Ausgangspunkt der Rückkopplung zu orten. Er liegt auf dem Freihandelsplaneten Newing im Tekmar-System. POINT OF und EPOY II landen auf dem Raumhafen der größten Stadt Diteren – und mitten in einer schier unentrinnbaren Falle! Beide Schiffe stehen auf Nadelstrahlantennen von gigantischen Ausmaßen…

In der Milchstraße ersinnt Henner Trawisheim einen perfiden Plan, um seine Umfragewerte zu verbessern: Er reaktiviert das Flottenschulschiff ANZIO und schickt es mit einem Fernsehteam an Bord auf eine Ausbildungsreise. Doch die Kandidaten wurden nicht nach Eignung, sondern nach Schönheit ausgesucht. Bei ihrer ersten Bodenübung auf dem unberührten Planeten Chance geraten die Nachwuchssoldaten in eine heimtückische Falle: Es scheint, als würde der Urwald selbst die unerfahrenen Rekruten angreifen – mit Giftpfeilen…

1.

Wollte der Planet Chance sie umbringen?

Major McGraves bewegte den Kopf und zog eine Grimasse, während er das nächste Ziel mit dem Paralysator verfolgte. Nein, berichtigte er sich, nicht der Planet war es, der versuchte, sie zu töten, sondern die Natur dieser Welt, beziehungsweise das, was sich an Unheimlichem in ihr verbarg.

Noch immer war sich McGraves nicht schlüssig, um was genau es sich bei den Angreifern handelte, die mittlerweile 15 seiner Auszubildenden getötet hatten, den letzten erst vor ganz kurzer Zeit – und das unter Verwendung von so primitiven Waffen wie Blasrohren und Armbrüsten. Nach Aussagen der Überlebenden waren die Rekruten selbst bei Streifschüssen unverhältnismäßig schnell gestorben, was den Verdacht erhärtete, daß die Pfeilspitzen mit einem stark wirkenden Gift präpariert sein mußten…

Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, als ein Hagelschauer von Armbrustbolzen durch die Luft pfiff und ihn dazu zwang, in Deckung zu gehen.

»Mist!« McGraves fluchte laut und inbrünstig, obwohl er wußte, daß sich das Riesenbaby John Varda auf Anordnung seiner Chefin Carla Sesti stets in seiner unmittelbaren Nähe aufhielt und jede seiner Bewegungen oder Regungen für das Millionenpublikum von Terra-Press Babylon einfingen. Aber das focht ihn im Augenblick wenig an, denn ziemlich genau vor ihm geriet das Unterholz in Bewegung. Der Dschungel schien auf eine pervertierte Weise lebendig zu werden. Aus dem grünen Dickicht lösten sich meterhohe Pflanzen und näherten sich ihrem Standort.

McGraves sah sich zum erstenmal mit den unheimlichen Wesen konfrontiert. Anders als auf den kleinen Kontrollschirmen der Kameras, auf denen er die Angreifer von Carla Sesti präsentiert bekommen hatte, nachdem er Bruschettas Verteidigungsstellung auf dem Felsmassiv erreicht hatte, zeigten sie sich nun in voller Lebensgröße.

McGraves hörte einen erstickten Laut hinter sich.

»Ruhig, Alfano«, sagte er mechanisch, ohne sich zu der jungen Rekrutin seiner Einheit umzudrehen. Dann erinnerte er sich ihrer Jugend und daß dies ihr erster Einsatz auf einer fremden Welt war, und fügte beschwichtigend hinzu: »Kein Grund zur Panik. Halten Sie sich nur daran, was Sie in der Simulation übers Schießen gelernt haben. Und vergessen Sie nicht: Sie decken meine linke Flanke. Verstanden?«

»Sir. Ja, Sir!«

Hoffe ich jedenfalls, dachte er im stillen und ließ die Hybriden nicht aus den Augen. Diese Wesen, falls sie diese Bezeichnung verdienten, mußten mit der auf Chance vorhandenen Flora eine unheilvolle Synthese eingegangen sein, aus welchen Gründen auch immer. Ihre ursprüngliche Daseinsform war nicht mehr zu erkennen, zu sehr hatte die Adaption Besitz von ihnen ergriffen, hatte sie umgeformt; verändert. Was immer sie vorher gewesen waren, jetzt verfügten sie über Äste, Zweige und Blattwerk als Greifwerkzeuge und benutzten Wurzeln zur Fortbewegung. Zusätzlich nannten sie auch eine ausgeprägte Anpassungsfähigkeit an ihre Umgebung ihr eigen – was ihnen erlaubte, nach Belieben ihre Form zu verändern. Eine verwirrende Angelegenheit für menschliche Augen und deren verminderte Erkennungsfähigkeit von wirklich schnellen Bewegungen.

»Feuer!« brüllte McGraves und riß die Handfeuerwaffe hoch. Seine »Flankendeckung«, drei Rekruten aus dem ersten Zug, reagierten wie auf dem Flottenschießstand – unverzüglich und mit antrainierter Präzision. Auch Rekrutin Janet Alfano hielt sich nicht zurück.

Zumindest das beherrschen sie, dachte er, wenn auch die sonstige Ausbildung noch zu wünschen übrig läßt.

Die Paralysestrahlen fuhren zischend in die grüne Mauer des dichten Unterholzes und fokussierten sich auf die Ziele.

Tatsächlich hatte sich eine wirkungsvolle Gegenwehr gegen die pflanzlichen Ungeheuer erst dann als möglich erwiesen, als man damit begonnen hatte, das Feuer von mindestens drei oder besser vier Paralysatoren auf jeweils einen Angreifer zu fokussieren.

Unter dem konzentrischen Feuer der Betäubungsstrahler brach das aufs Korn genommene pflanzenähnliche Wesen mit einem schrillen Sirren zusammen, krümmte sich zu einer überdimensionalen Kugel aus schwarzen Ästen, Zweigen und knotigen Wurzeln, die durch die Luft wirbelten, ehe es von anderen seiner Art gepackt und in die Tiefe des Dickichts zurückgerissen wurde; an seiner Stelle drängten sofort neue nach vorn und nahmen dessen Platz ein.

Major McGraves registrierte dieses Verhalten nur am Rande seiner Wahrnehmung. Es war ihm schon öfter aufgefallen, aber er hatte es mittlerweile aufgegeben, herausfinden zu wollen, welch krude Instinkthandlung sich hinter dieser »Rettungsaktion« verbarg. Es blieb ihm auch keine Zeit, mehr als nur einen flüchtigen Gedanken zu vergeuden.

Die Abwehr der Pflanzenwesen sowie die Sicherheit und Unversehrtheit der jungen Männer und Frauen erforderte seine ganze Aufmerksamkeit.

Trotz des feuchtheißen Dschungelklimas fror McGraves auf eine rational nicht verifizierbare Weise; eine Mischung aus Sorge und Angespanntheit um die ihm unterstellte Ausbildungseinheit hatte sich in seinem Körper festgesetzt. Die jungen Frauen und Männer waren bis auf die wenigen Wochen der Grundausbildung an der Akademie noch ohne wirkliche Kampferfahrung. Er hoffte nur, daß sie die jetzigen Ereignisse nicht überforderten.

Es war eine mühsame Art der Verteidigung; trotz des massiven Einsatzes der Paralysatoren waren die pflanzenartigen Ungeheuer nicht wirklich zu besiegen.

»Gibt es denn keine Möglichkeit, die verdammte Brut auszuräuchern!« Es war eine rhetorische Frage von Ekka Szer, dem rechten Flügelmann von McGraves. Seiner Physiognomie nach mußten seine Vorfahren von den Aleuten stammen.

»Was wir bräuchten, wären ein paar vernünftige Thermostrahler«, konterte Zugführer Visser ein paar Schritte weiter.

»Besser mehrere ordentliche Flammenwerfer«, ließ einer der Rekruten verlauten, während er mit Hilfe seiner Kameraden die Angreifer in den Dschungel zurücktrieb. »Damit könnten wir ihnen Beine machen.«

»Leider verfügen wir darüber nicht«, bedauerte McGraves nach einem Moment des Nachdenkens, um dann anzufügen: »Aber über etwas Vergleichbares schon… ich habe da eine Geheimwaffe in petto.«

»Und welche wäre das, Sir?« fragte Jon Visser ohne rechte Begeisterung und nahm den Kopf zur Seite, als ein Hagel von Armbrustbolzen und Pfeilspitzen gefährlich nahe die Luft durchschnitt; als Zugführer war ihm bekannt, über welche Bewaffnung beziehungsweise Nichtbewaffnung die gesamte Manövereinheit verfügte. Das schloß auch den Major ein, dem ebenfalls nicht mehr zu Verfügung stand als allen anderen – nämlich nichts als ein Handparalysator. Was also sollte diese Bemerkung über eine Geheimwaffe?

»Eine«, antwortete McGraves schließlich, und seiner Miene war nicht zu entnehmen, ob er scherzte oder es ernst meinte, »über die viele von uns ebenfalls verfügen.«

»Äh… Sir?« Visser versteifte sich innerlich; dies war genau die Art von Tag, die er schon immer geliebt hatte, seit er sich der Rauminfanterie verschrieben hatte. »Würden Sie uns aufklären?« fragte er dennoch.

McGraves sah Jon Visser an, mehrere Herzschläge lang. Schließlich antwortete er: »Können Sie sich nicht denken, worum es geht?«

Jon schluckte. McGraves’ Stimme hatte einen kühlen Ton angenommen. Wenn er nur wüßte, worauf sein Kommandant anspielte? Dann merkte er, daß sein Vorgesetzter noch immer auf eine Antwort wartete.

»Ehrlich? Nein, Sir«, gestand er wahrheitsgetreu und registrierte, daß sich die mobilen Pflanzen wieder in das Unterholz zurückgezogen hatten und ihnen so eine Atempause gönnten.

»Dann rate ich Ihnen, jetzt genau zuzuhören.« McGraves hob seine Stimme und blaffte durch den Helmfunk: »Also schön, Rekruten. Jetzt sperrt mal eure Ohren weit auf. Nach meiner Kenntnis haben wir fast zwei Drittel Raucher in unserer Einheit, die ihre Glimmstengel auf die eine oder andere Art anzünden. Das bedeutet, daß uns mindestens die gleiche Anzahl von Energiefeuerzeugen oder ähnlichen Vorrichtungen zur Verfügung stehen. Damit lassen sich zwar keine Weltenbrände erzeugen, aber ein ordentliches Feuer allemal. Ich bin sicher, wir können damit auch unsere Gegner in die Flucht schlagen. Seid ihr meiner Meinung?«

Überwiegend enthusiastisch bekundeten die Rekruten, ihrem Kommandanten zuzustimmen.

»Hoffentlich schaden wir uns damit nicht selbst«, warnte Cimaro, und sein von vielen Außeneinsätzen gegerbtes und gebräuntes Gesicht trug einen ungewohnt besorgten Ausdruck. Als Stabsfeldwebel gehörte der erfahrene Haudegen zum unveräußerlichen Inventar der Ausbildungseinheit der Rauminfanterie und galt sowohl beim Major als auch bei Oberleutnant Gianni Bruschetta als unverzichtbar. Beide Offiziere schätzten ihn aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt wegen seiner Eigenschaft als wandelndes Personenregister. Cimaro besaß die Fähigkeit, sich Namen und Gesichter jeder Ausbildungsgruppe zu merken. Seine originäre Aufgabe war allerdings die des Hauptfunkers bei allen Außeneinsätzen der Rauminfanterie.

Major McGraves’ Blick richtete sich auf den Stabsfeldwebel. »Einwände, Luke?«

»Brände können rasend schnell außer Kontrolle geraten, Sir«, machte der Funkspezialist deutlich.

»Das können sie, in der Tat«, bestätigte der Major. Seinem Gesichtsausdruck war nicht zu entnehmen, was er über Cimaros Einwand dachte. Dann hob er den Kopf und sah zu den Baumkronen hoch. »Der Wind steht günstig«, meinte er beiläufig. »Er wird die Flammen von uns weg in Richtung der Monster treiben. Es hat nicht den Anschein, als würden wir uns selbst schaden.« Er schwieg einen Moment. »Also«, wandte er sich über den Helmfunk an die Rekruten, »worauf wartet ihr noch? Heizen wir dieser Pflanzenbrut mal richtig ein…«

*

McGraves hatte kaum geendet, als die Rekruten bereits damit begannen, Gras und dünnes Gehölz in Brand zu stecken.

Seine anfängliche Befürchtung, der Dschungel könne sich eventuell als zu grün und zu feucht für ein rasches Ausbreiten der Brände erweisen, bewahrheitete sich nicht. Das Gegenteil war vielmehr der Fall. Viele Vertreter der Flora im Unterholz schienen flüchtige Substanzen zu enthalten, die als Brandbeschleuniger dienten. Besonders das Blattwerk schien von ätherischen Ölen nur so gesättigt zu sein – es geriet augenblicklich in Brand und explodierte regelrecht unter der Hitzeeinwirkung in einem Stakkato von kleinen, scharfen Detonationen. Dämpfe breiteten sich aus, entzündeten sich ihrerseits, und ein scharfer Geruch schwängerte die Luft.

»Verdammt!« murmelte Jon Visser, der seine ganz eigenen Befürchtungen hegte. »Wenn das mal gutgeht…«

Das Feuer breitete sich schnell aus, fraß sich regelrecht ins Unterholz, und sein glühender Atem vertrieb alles, was sich darin verbarg.

Eine Lärmwelle setzte ein; ein mörderisches Konzert aus Kehlen baumbewohnender Tiere, wie es die Terraner noch nie vernommen hatten. Seltsam gefiederte Vogelschwärme flogen auf. In wildem Zickzack flatterten sie zwischen den Baumkronen und suchten mit schrillen Schreien ihr Heil in der Flucht, während die Flammen höher und höher schlugen und an Stärke gewannen.

Kleine Tiere hetzten auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Feuer ziellos in dem Wirrwarr der Büsche und des Unterholzes umher. Und dazwischen die ersten Pflanzengestalten. Mit peitschenden Ästen und einem unheimlichen Sirren rannten sie lichterloh brennend davon, ohne darauf zu achten, daß sie selbst alles, was sie berührten, ebenso in Brand setzten.

Keine fünf Minuten waren vergangen, und schon hatte sich eine tosende Feuerwand gebildet, die schnell Fahrt aufnahm – in Richtung des etwa fünf Kilometer entfernten Wracks!

McGraves riß sich den Helm herunter und kratzte sich das kurzgeschorene angegraute Haar.

»Mist!« sagte er düster und forcierte seine übliche Leichenbittermiene. Und dann noch einmal, diesmal mit noch mehr Nachdruck: »Mist, elender!«

»Sie sehen ein Problem, Sir?« Vissers Blick richtete sich mit leichtem Befremden auf den Major. »Worum geht es?«

»Um den Wind«, antwortete McGraves nach kurzem Zögern.

»Was ist mit ihm?«

»Er treibt das Feuer nicht nur in Richtung unserer Feinde, sondern auch auf die Position des Wracks zu.«

»Ich verstehe, Sir!« sagte Visser betroffen: »Sie fürchten um unsere eigenen Leute.«

»Ja. Das tue ich.« McGraves’ Stimme klang hölzern. »Falls sie noch am Leben sind, werden sie früher oder später in den Flammen umkommen, noch ehe wir sie erreichen können. Es sei denn, es geschieht ein Wunder und sie bringen sich irgendwie rechtzeitig in Sicherheit.«

Jon Visser biß die Zähne zusammen, daß die Backenknochen hervortraten. »Wir werden uns beeilen müssen, Sir!«

»Beeilen? Verraten Sie mir wie? Wir sind auf keinen Fall schneller als das Feuer«, erklärte der Major, und eine steile Falte bildete sich über seiner Nasenwurzel, während er seine Blicke nicht von der Feuerwalze nahm, die sich unerbittlich weiter und weiter bewegte und inzwischen bereits beträchtliche Ausmaße angenommen hatte; die Hitze, die sie entwickelte. brannte sich in die Gesichter aller. McGraves setzte den Kampfhelm wieder auf und klappte das Visier herunter, um seine Haut wenigstens etwas gegen die Hitzeeinwirkung abzuschirmen. »Wir können nur hinter dem Feuer herlaufen, und das auch erst, nachdem sich der Boden soweit abgekühlt hat, daß uns nicht die Stiefelsohlen abrauchen.«

»Es soll Volksstämme geben«, kam eine lakonische Stimme aus dem Umfeld, »die sind fähig, mit bloßen Fußsohlen über glühende Kohlen zu laufen.«

»Stimmt, aber nur für wenige Sekunden«, brummte McGraves und bedachte den Redner mit einem düsteren Blick. »Wir hätten dieses Kunststück über eine Strecke von zirka fünftausend Metern zu vollbringen, und das durch unwegsamen Urwald. Wenig aussichtsreich, meine Herren. Es sei denn«, jetzt faßte er den Zugführer des siebten Zugs, der die Sache mit den Feuerspringern aufs Tapet gebracht hatte, scharf ins Auge, »Sie tragen jeden einzelnen von uns persönlich durch das Feuer, Mister Arbor.«

Vereinzelt war Gelächter zu vernehmen, das jedoch schnell wieder verstummte; es war nicht die Zeit für Späße.

Luke Cimaro hob den Kopf und suchte den Himmel ab. »Nichts zu sehen vom Schiff«, sagte er laut, um das prasselnde Geräusch des Waldbrandes zu übertönen.

»Das ist so abgesprochen«, klärte ihn McGraves stirnrunzelnd auf. »Schon vergessen?«

Cimaro setzte ein zerknirschtes Gesicht auf. »Natürlich nicht, Sir. War ein reiner Reflex von mir.«

Woran der Major seinen Hauptfunker erinnert hatte, war, daß sich die ANZIO ins All zurückgezogen hatte, um das Manöver auf der Oberfläche von Chance nicht zu stören. Wenn nichts Unvorhergesehenes geschah, würde sie sich erst wieder am Abend zeigen.

Nun war wirklich ziemlich viel Unerwartetes geschehen. Chester McGraves hätte einiges dafür gegeben, die ANZIO herbeirufen zu können. Doch aus einem bislang unerklärlichen Grund kam einfach keine Funkverbindung zustande. Was funktionierte, war allein der Helmfunk. Über diese schwache UKW-Verbindung konnten sie mit- und untereinander kommunizieren.

Dann sah er, daß Cimaro schon wieder in den Himmel starrte.

»Geht Ihre Obsession die ANZIO betreffend nicht ein wenig zu weit, Luke?« polterte er stirnrunzelnd. »Dort oben werden Sie bestimmt nicht die Lösung für unser Problem hier unten finden.«

»Vielleicht doch, Sir«, antwortete der Stabsfeldwebel mit einem Hoffnungsschimmer auf dem Gesicht. »Ich denke, daß uns die Natur dieses Planeten einen Ausweg bietet. Sehen Sie mal dorthin!« Luke Cimaros Arm zeigte in eine bestimmte Richtung. »Sehen Sie auch, was ich sehe?«

Nicht nur der Major hob den Kopf, um zum Himmel zu blicken. Auch alle anderen reckten ihre Gesichter dem Himmel zu. Cimaros Stimme hatte zu eindringlich und ungewohnt hoffnungsfroh geklungen. Etwas mußte ihm aufgefallen sein.

Aber was, fragte sich Chester McGraves.

Das Sonnenlicht brannte auf sie herunter. Alles schien unverändert.

Nein, nicht alles, durchfuhr es den Major plötzlich, und er bekam eine Ahnung von dem, was Cimaro versuchte, ihm und den übrigen 124 Rekruten klarzumachen…

*

Linda Malmquist schwitzte. Der Kampfanzug, den sie alle auf Befehl des Major geschlossen zu halten hatten, lag wie eine zentnerschwere Last auf ihren Schultern. Vor ihr, etwa hundert Meter entfernt, loderte die Feuerwand, die sich durch das Unterholz des Dschungels voranfraß. Links und rechts von ihr hockten oder standen die anderen jungen Männer und Frauen der nach dem Tod von Sander Torrens jetzt nur noch 124 Rekruten umfassenden Einheit, alle in den leichten Tropenkampfanzügen der terranischen Rauminfanterie. Im Augenblick hatte sich der Marsch durch den Dschungel totgelaufen.

Die schwedische Rothaarige mit dem hellen Teint war von eher zierlicher Statur. Man traute es ihr eigentlich nicht zu, einen Kampfanzug und das notwendige Marschgepäck über einen längeren Zeitraum hinweg zu tragen und dazu noch all die Dinge zu tun, die man von ihr als Rekrutin verlangte: laufen, schießen, kämpfen, lange Strecken marschieren. Eigentlich paßte sie nicht so recht in das Bild, das sich die Öffentlichkeit von der Rauminfanterie machte.

Sie drückte sich überwiegend gewählt aus und war mehr den schöngeistigen Dingen zugetan, als sich an den derben Sprüche ihrer Kameradinnen zu orientieren. Was sie bewogen hatte, sich der Rauminfanterie anzuschließen, hatten weder ihre Eltern noch ihre Kameradinnen bislang herausfinden können. Auch nicht Maria Morales, ihre Stubenkameradin, mit der sie eine fragile Freundschaft eingegangen war, obwohl die Argentinierin das exakte Gegenteil von ihr war.

Wieder nahm Linda das schwere Fernglas an die Augen und starrte auf das vom Feuer inzwischen stark gelichtete Unterholz am gegenüberliegenden Rand der Lichtung. Sie nahm keine Bewegung der Pflanzenkreaturen mehr wahr. Recht so, dachte sie. Wahrscheinlich sind sie inzwischen dem Feuer zum Opfer gefallen oder haben sich vor den Flammen aus dem Staub gemacht. Ihr war es egal. Sie war nicht unbedingt scharf auf neue Auseinandersetzungen, würde sich aber mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft zur Wehr setzen, sollte es erneut zu Kampfhandlungen mit den Pflanzenhybriden kommen. Das war sie schon den anderen Auszubildenden schuldig.

Gedankenversunken nagte sie an ihrer Unterlippe und beobachtete einen Schwarm winziger Vögel, die laut zeternd nach ihren verbrannten Nestern suchten. Wenn sie sich darauf konzentrierte, meinte sie, den ekligen Geruch verbrannten Fleisches riechen zu können; aber sie konnte sich auch irren. Doch ein anderer Geruch war eindeutig real, der von Schweiß nämlich. Ihrem Schweiß! Die letzten vierundzwanzig Stunden waren anstrengend gewesen und eine Dusche lichtjahreweit entfernt. Sie zuckte mit den Schultern und beobachtete weiter das Gelände vor ihr durch das Fernglas.

Ein Rekrut kam heran und drängte sich an ihr vorbei durch ihr Blickfeld. Durch die Vergrößerung des Glases konnte sie für Sekundenbruchteile nur einen Teilausschnitt seines Oberarmes mit dem Abzeichen der Rauminfanterie sehen, bis die Automatik nachregelte und ihn voll in ihr Blickfeld brachte.

Er gehörte dem dritten Zug an, sein Name war – sie mußte kurz überlegen – Timo Zahn. Sie kannte ihn nur flüchtig, so wie man eben jemanden kennt, den man nur zu den Morgenappellen zu Gesicht bekommt – bestenfalls noch zu den Essenszeiten in der Kantine auf Deck Eins der ANZIO – aber sie erinnerte sich daran, daß er auf Babylon von zwei jungen Damen verabschiedet worden war, die Zwillingsschwestern gewesen zu sein schienen. Ohne eigentlichen Grund verfolgte sie den Rekruten durch das Glas…

Mit einem lauten »He, Schwester«, ließ sich Morales neben ihr nieder. »Ein interessantes Angebot zu sehen?«

Die Argentinierin grinste süffisant, als Linda etwas zu rasch das Glas absetzte und sich betont unbeteiligt gab.

»Ich weiß nicht, was du hast«, antwortete die zierliche Rekrutin, »ich habe nur die Lage gecheckt.«

»Aha.« Die muskulöse Rekrutin, die eine ausgeprägte Affinität zu Waffen aller Art hatte, kicherte verhalten. Als sie sah, wie sich Linda Malmquists Miene leicht verfinsterte, sagte sie rasch: »Deine Sache, Schwester, welchen Arsch du dir ansiehst.«

»Genau«, antwortete die Schwedin. »Nicht jede von uns findet Waffen sooo supertoll.«

Maria Morales lachte kehlig. »Touché«, sagte sie und griff nach ihrer Wasserflasche. Sie schob das Helmvisier hoch und trank. »Nicht gerade das, was ich bevorzuge«, meinte sie und zog eine Grimasse. »Aber man kann nicht immer alles auf einmal haben.«

»Ein wahres Wort gelassen ausgesprochen«, bestätigte Linda Malmquist; in Erinnerung an einige Dinge in der Vergangenheit huschte ein versonnener Ausdruck über ihr Gesicht. »Alles nicht, aber vieles doch…«

Maria Morales sah sie von der Seite an.

»Weißt du«, sagte sie, und ihre vollen Lippen kräuselten sich, »irgendwann wirst du mir darüber erzählen müssen, Schwester. Und wenn ich dich dafür hypnotisieren müßte…«

»Wer will hier wen hypnotisieren?«

Die Männerstimme veranlaßte die beiden Rekrutinnen sich umzudrehen.

Hinter ihnen stand Leonardo Bardolo und grinste, als hätte er die beiden bei etwas Verbotenem erwischt.

»Wie lange hast du uns schon belauscht, du Spanner?« Rekrutin Morales versuchte, verärgert zu klingen. »Hast du nicht Wachdienst, Paparazzo?«

»Bin abgelöst worden«, antwortete Bardolo und schien seine Blicke kaum von Linda Malmquist lösen zu können, wie Maria Morales innerlich grinsend bemerkte. »Vor ein paar Minuten.«

Wie er so dastand, breitbeinig, aufrecht und mit dem Übungskarabiner quer vor dem Bauch, ließ Linda für einen Moment schwerer atmen als sonst. Leonardo Bardolo war nicht gerade als groß zu bezeichnen, aber er war groß genug, um nicht als klein zu gelten. Sein schwarzes Haar sproß in alle Richtungen; jetzt sah man allerdings unter dem Kampfhelm nur wenig davon. Seine Gesichtszüge waren kantig, sein Lächeln verwegen, die Augen blickten feurig. Ein paar hundert Jahre früher wäre er locker als italienischer Duodezfürst durchgegangen.

»Tut mir leid«, sagte er jetzt, »wenn ihr den Eindruck gewonnen haben solltet, ich hätte euch belauscht. Tatsächlich habe ich nur das mit dem Hypnotisieren mitbekommen. Sonst nichts. Ich habe mich zu sehr auf das Feuer konzentriert, und außerdem, na ja, ihr wart ja nicht gerade leise, wenn ihr versteht, was ich meine.«

Morales hielt ausnahmsweise ihren Mund, nur in ihren dunkelbraunen Augen blitzte es verdächtig, sie hatte längst mitbekommen, daß Bardolo Rekrutin Malmquist noch zu keinem Zeitpunkt aus den Augen gelassen hatte.

Er machte ein paar Schritte und setzte sich neben sie.

Linda sah ihn an. »Was denkst du?« fragte sie. »Wie lange werden wir hier noch herumsitzen und unseren Schweiß vergießen?«

»Das kann dauern, meine Damen.« Bardolo schwieg einen Moment, ehe er fortfuhr: »Der Major hat sich offenbar selbst ein Bein gestellt, wie es aussieht. Jetzt bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu warten, bis das Feuer weit genug gezogen ist, um relativ ungefährdet das Wrack und unsere Kameraden zu erreichen. Wie gesagt, es kann dauern…«

»Glaube ich nicht«, unterbrach ihn Maria Morales plötzlich.

»Wie…?« Bardolo blickte sie irritiert an.

Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Scheinbar das Thema wechselnd, meinte sie gedehnt: »Sagt mal, findet ihr nicht auch, daß wir ein Gewitter bekommen?«

Tatsächlich schien sich das Wetter zu ändern.

Das Tageslicht war schwefelgelb und fahl geworden. Über der Feuersbrunst hatte sich eine Wolkenbank gebildet, die sich kreisförmig ausbreitete und Richtung Sonne hochwallte.

Für lange Minuten schien die Hitze wie geschmolzenes Metall vom Himmel zu tropfen. Dann hatte die Wolke die Sonne scheinbar erreicht; schlagartig wich das stechende Licht einer fahlen Dämmerung.

Es wurde kühler, die Luft war feucht und schwül und von Wasserdampf gesättigt. Fremdartige Blüten sandten einen betäubenden Geruch aus. Schließlich schwand das Sonnenlicht völlig; die Farben wurden stumpf und gebrochen.

»Bei der heiligen Jungfrau von Mérida.« Maria Morales bekreuzigte sich verstohlen. »Ich habe schon viele Unwetter gesehen, aber was sich da zusammenbraut, übertrifft alle bisherigen bei weitem.« Es donnerte. Der Donner war anders als der gewohnte Laut auf der Erde. Er klang schärfer, direkter und fordernder. Ein erster Blitz zuckte auf und schlug weit entfernt von den Rekruten in den Dschungel ein. Und schon wieder krachte es, daß allen die Ohren klangen.

Linda sah Bardolo und Maria erschrocken an. »Sollten wir uns nicht irgendwie in Sicherheit bringen, was meint ihr?«

»Wo?« Der Rekrut machte eine umfassende Handbewegung. »Unter den Bäumen vielleicht?«

Linda Malmquist hob mit einer unsicheren Bewegung die Schultern.

Bardolo schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich. Kann leicht sein, daß wir von umstürzenden Bäumen erschlagen werden. Nein. Wir bleiben hier auf der Lichtung. Unsere Kampfanzüge sind antistatisch. Die Blitze können uns nichts anhaben…«

»Das nicht«, unterbrach ihn einer der anderen Rekruten. »Aber dafür werden wir im Regen ersaufen.«

»Pah!« Bardolo machte eine abfällige Handbewegung. »Es ist noch niemand im Regen ertrunken, Ron, aber dir gelingt vermutlich sogar das, so wie du dich bei den Übungen anstellst. Ich für meinen Teil sitze das Unwetter hier einfach aus.« Er zerrte den wasserdichten, aber atmungsaktiven Regenumhang aus der Beintasche und wickelte sich darin ein.

So warteten er und Linda und Maria und all die anderen der Einheit auf den Regen. Einen Vorteil hat er, dachte der Rekrut. Er wird das Feuer löschen.

*

Das Unwetter, das Cimaro prophezeit hatte, war da.

Zuerst veränderte sich die Atmosphäre, dann das Tageslicht.

Binnen Minuten fiel die Temperatur um einige Grad.

Wie aus dem Nichts erschien über der Feuersbrunst eine Wolkenformation mit ausgefransten Rändern, die sich deutlich hell- bis dunkelgrau gegen den blauen Himmel absetzte. Der um die Wolkenränder entstehende Aufwind saugte deutlich sichtbar die dicken Rauchschwaden der Feuersbrunst nach oben.

»Merkwürdiges Phänomen!« meldete sich Jon Visser lautstark gegen den auffrischenden Wind. »Wettertechnisch scheint die Natur dieses Planeten sehr instabil zu sein.«

McGraves zog eine Grimasse. »Ich befürchte, wir selbst waren es, die die Natur dieser Welt zu diesem ungewöhnlichen Ereignis angeregt haben, Oberfähnrich. Zumindest diesmal.«

»Sir…?«

Die ersten Blitze zuckten aus den Wolken. Grell und blendend. Die Natur von Chance geriet in turbulenten Aufruhr. Der Wind wurde stärker. Sein fauchendes, pfeifendes Geräusch schwoll zum Diskant an und verwandelte sich in ohrenbetäubendes Donnern.

McGraves wartete, bis der Lärm auf ein normales Maß gesunken war.

»Es ist so, wie ich sage. Das Feuer, das wir gelegt haben, ist wegen der in der Vegetation steckenden Öle sehr heiß, heißer als je ein Waldbrand, wie wir ihn von der Erde oder vergleichbaren Welten her kennen. Die aufsteigenden Glutwinde tragen den fetten, mit Kondensationskernen übersättigten Rauch hoch in die Atmosphäre und verwandeln die Luftfeuchtigkeit stärker als gewöhnlich vom gasförmigen in den flüssigen Aggregatzustand. Das Resultat sehen wir in diesem schweren Tropengewitter, das den Brand zu unserem Vorteil rasch löschen wird. Nur dieses Phänomen macht die Existenz einer Flora wie der von Chance überhaupt erst möglich.«

Als wären seine Worte das Signal dafür, öffnete der Himmel seine Schleusen. Der Regen brach los. Er kam mit einer Macht und Stärke, die die Männer und Frauen erstaunte und zum Teil auch ängstigte.

Die Minuten vergingen.

Es donnerte und blitzte. Rundherum zerschlug der Hagel Blätter zu Fetzen. Ein Geräuschorkan tobte durch den Dschungel. Äste und Stämme knarrten, Zweige wurden von der Wucht des Wassers abgeschlagen und krachten zu Boden.

Die Stimme des Majors im Helmfunk durchschnitt das Toben:

»Das Wetter wird bald nachlassen! Sobald das Feuer erlischt, ist der Höhepunkt auch schon vorbei! Wer Angst davor hat, naß zu werden, für den habe ich eine gute Nachricht: Er wird auch wieder trocken!«

*

»Ich habe die Schnauze voll, damit du es weißt!« Rob Mahon hüpfte zwischen der in wasserdichte Taschen verstauten Ausrüstung herum, als tanze er mit nackten Sohlen auf einer heißen Herdplatte, und gestikulierte wild mit den Händen.

Drei Meter von ihm entfernt stand das »Riesenbaby« John Varda, die haarigen Arme gekreuzt, und biß mit stoischer Miene auf seinem Kaugummi herum.

Carla Sesti bemerkte mehrere Dinge. Erstens: Ihre Kameramänner schienen mit dem üblichen Enthusiasmus bei der Sache zu sein – das gefiel ihr außerordentlich. Und zweitens: Die beiden anderen ihres Teams, Zev Flanagan und Tony Mayer, gaben sich betont desinteressiert. Innerlich grinste Carla boshaft. Ob die beiden wirklich glaubten, damit durchzukommen? Macht das ruhig, dachte sie, ihr werdet euch noch wundern.

Sie blickte unter der Plane hervor, die ihr Techniker und Roadie Zev gegen den Regen aufgespannt hatte. Es handelte sich um die größte Bahn des Zeltes, in dessen Schutz sie auf dem Felsmassiv die erste Nacht mit Oberleutnant Bruschettas Rekruten verbracht hatte.

Ein paar der Rekrutinnen hatten Flanagan beim Aufstellen geholfen; als Lohn dafür durften sie sich wie nasse Hühner in eine Ecke des provisorischen Unterstandes drängen, von wo aus sie mit großen Augen die Diskussion der Zivilisten verfolgten.

Der Vergleich mit den Hühnern gefiel Carla ausnehmend gut und ließ sie erneut lächeln. Schade nur, daß die beiden Dämlackel von Kameramännern gerade ihren üblichen Kompetenzzoff austrugen und keiner bereit war, die Rekrutinnen aufzunehmen. Das hätte sicher einen guten Aufhänger für den Bericht über das Manövergeschehen auf Chance hergegeben. Aber sie behielt die Idee im Hinterkopf, sicher würde es eine andere Gelegenheit geben, etwas Ähnliches vor die Linse zu bekommen. Und wenn sie es nachstellen mußte.

»Oder was sagst du, Carla?« wandte sich jetzt Mahon an seine Chefin. »Bist du nicht auch der Meinung, jeder Kameramann sollte seine eigene Ausrüstung tragen? Statt dessen darf ich stets zu meiner auch noch die von diesem Neandertaler schleppen. Ist das gerecht?«

Carla knipste ihr enthusiastisches Lächeln an und zeigte dabei perfekt überkronte Zähne. Allerdings verengten sich ihre braunen Augen zu Schlitzen, was ihr das Aussehen einer angriffslustigen Viper gab.

»Ich weiß, daß es nicht gerecht ist«, versicherte sie Rob Mahon, noch immer schmelzend lächelnd. »Aber ich weiß auch, daß du beim Pokern gegen ihn verloren und ihm zum Begleichen deiner Spielschulden angeboten hast, seine Ausrüstung zu tragen, wann immer er es will.«

»Genau«, dehnte der riesenhafte Erste Kameramann lahm und saugte kurz an seinem Backenzahn. »Das hast du ganz genau erkannt, Mädchen.«

Carlas Brauen zuckten kurz; während ihr Lächeln auf ihrem Gesicht einfror. Von einem Untergebenen »Mädchen« genannt zu werden, konnte sie auf den Tod nicht ausstehen. Ihr Blick fiel auf ein unterarmlanges Stativbein, und sie erwog für Sekunden, ihm das Teil über den Schädel zu prügeln. Aber dann würde ihr bester Kameramann ausfallen, was sie sich während dieser für ihre Karriere so überaus wichtigen Mission nicht leisten konnte.

Statt dessen beschloß Carla Sesti einen Appell an ihr Team zu richten.

»Hört mal her«, begann sie, während das Trommeln des Regens auf dem Zelt langsam weniger wurde, und bedachte jeden der Männer mit ihrem bohrenden Blick, damit jeder sofort erkannte. daß er ganz persönlich gemeint war. »Ab sofort ändern wir für die Dauer unserer ANZIO-Mission das Procedere. Jeder von euch, und das gilt auch für euch beide«, sie nickte mit einem undeutbaren Lächeln Zev Flanagan und Tony Mayer zu, »trägt jeweils die Ausrüstung des anderen. Und das ohne Ausnahme. Kapiert?«

»Aber… aber ich«, begann der Tontechniker und verstummte sofort unter dem mörderischen Blick seiner Chefin.

»Einwände werden nicht akzeptiert. Wer nicht spurt, den kastriere ich persönlich mit einem stumpfen Messer. Verstanden?«

»Du hast kein Recht dazu«, versuchte Mahon sich zu wehren, während die Narbe auf seiner Stirn dunkelrot wurde.

»Kein Recht! Meinst du?« Carla lächelte spöttisch und stemmte die Fäuste in die verdammt aufregenden Hüften. »Dann lies mal Paragraph sieben, Absatz 13, Unterabsatz zwei deines Arbeitsvertrags. Falls ihr es noch nicht geschnallt habt«, wandte sie sich an alle. »Ihr habt mit eurer Unterschrift auch eure Seelen verkauft. Wenn ihr nicht spurt, trete ich euch in den Hintern.«

Tony Mayer sagte: »O Scheiße.« Er sprach für die anderen drei mit, die das gleiche empfanden.

Carla Sestis sinnliche Lippen umspielte ein hinterhältiges Lächeln, als sie die Gesichter der Männer sah. Dann hob sie die Hand. »Und jetzt avanti, ihr Scheißkerle. Schnappt euch die Ausrüstung und macht euch zum Abmarsch bereit. Ich glaube, es geht los…«

Die Männer schulterten die Taschen und verzogen sich mit mißmutigen Gesichtern nach draußen. Carla schickte sich an, ihnen zu folgen. Dann drehte sie sich noch einmal zu den drei Rekrutinnen um. Mit einer Verschwörermiene sagte sie: »Ich hoffe, ihr habt etwas fürs richtige Leben gelernt, Mädels. Hört auf den Rat einer erfahrenen Geschlechtsgenossin: So und nur so setzt man sich als Frau in einem von Testosteron dominierten Universum durch.«

2.

Das Unwetter hatte kaum geendet, als auch schon der Befehl zum Aufbruch kam.

Major McGraves übernahm die Spitze und bestimmte dadurch die Geschwindigkeit der ganzen Truppe.

Von Anfang an legte er ein sehr hohes Tempo vor; durch das Feuer hatten sie einiges an Zeit verloren, die galt es nach Möglichkeit wieder aufzuholen, auch wenn es auf Kosten eines Gewaltmarsches sein mußte. Die Sorge um die gefangenen Soldaten trieb ihn an, seinen Rekruten das äußerste abzuverlangen. Diese Überlegung war auch der primäre Grund dafür gewesen, den Leichnam Sander Torrens beim Zelt zurückzulassen und ihn erst dann zu bergen, wenn die ANZIO wieder aufgetaucht war.

Es regnete noch immer, doch wesentlich weniger stark.

Das Vorankommen durch den aufgeweichten Ascheschlamm erwies sich als zeit- und kräfteraubend. Mehr als einmal wurden in der Truppe Flüche laut, die diese Plackerei zum Gegenstand hatten.

McGraves und die Zugführer nahmen keine Notiz davon.

Der Dschungel hatte sein Erscheinungsbild nach dem Brand geändert; das Unterholz war nicht länger mehr verfilzt und undurchdringlich, sondern durch die Feuersbrunst ziemlich licht und durchlässig geworden. Blätter und dünne Zweige waren der Hitze zum Opfer gefallen, waren verbrannt und verkohlt, den mächtigen Stämmen hatte das Feuer nichts anhaben können, außer daß sie an der Außenseite etwas angekokelt waren.

Die Luft trug einen stechenden Gestank von Qualm und Rauch.

Weißlich grauer Dunst stieg aus Glutnestern empor, die unter der Oberfläche weiterglimmten.

Wenig später hörte der Regen ganz auf.

Der Wind nahm an Stärke zu und trieb langgestreckte Wolkenformationen über den Himmel von Chance. Die Urwaldriesen beugten sich ächzend unter den Böen. Äste brachen krachend und scheuchten ganze Scharen von gefiederten Räubern auf, die inzwischen wieder ihr angestammtes Refugium okkupiert hatten, seit das Feuer nicht länger mehr eine Gefahr für sie darstellte.

McGraves und seine Rekruten verloren mehr als zehn Minuten mit der Umrundung eines Gewirrs von übereinandergestürzten Bäumen, ehe sie wieder die ursprüngliche Richtung einschlagen konnten. In breiter Front drangen sie vor, bereit, mit ihren Paralysatoren auf alles zu feuern, was sich ihnen in den Weg stellte.

McGraves atmete langsam und gleichmäßig und behielt nach Möglichkeit das eingeschlagene Tempo bei. Er war bemüht, den Himmel, den Dschungel und die Umgebung gleichzeitig im Auge zu behalten. Den nutzlosen Übungskarabiner hatte er mit der Mündung nach unten so auf dem Rücken festgezurrt, daß er ihn nicht behinderte, sollte es zu Kampfhandlungen mit den Pflanzen kommen.

Bislang hatte sich aber keines der unheimlichen Wesen mehr sehen lassen; entweder war das Feuer zuviel für sie gewesen und hatte sie gezwungen, das Weite zu suchen, oder aber sie bereiteten einen Hinterhalt vor. Wenn letzteres zutreffen sollte, dann geschah das vermutlich am oder in der Nähe des Wracks.

Chester blickte zum Himmel auf; das Licht der durch die Lücken zwischen den Baumkronen scheinenden Sonne erzeugte seltsame Effekte auf dem Boden. Sorgsam achtete er darauf, wohin er seinen Fuß setzte. Wegen eines Trittfehlers auf die Nase zu fallen und in der Asche zu landen erschien ihm wenig wünschenswert.

Nach einer Weile schloß Luke Cimaro zu ihm auf.

»Und?« erkundigte sich der Major, ohne den Blick zu wenden.

»Negativ«, beantwortete der Hauptfunker McGraves’ unausgesprochene Frage, und seine Brust hob und senkte sich in normalem Rhythmus – er schien überhaupt nicht angestrengt. »Die ANZIO antwortet nicht.«

»Verdammt! Eine Idee, weshalb?«

»Zwei mögliche Szenarien«, antwortete Cimaro und wich einem Schlammloch aus. Als er wieder zu seinem Kommandanten aufgeschlossen hatte, fuhr er fort: »Entweder ist ihnen etwas draußen im Raum zugestoßen, oder jemand hier unten stört massiv unseren Funk.«

»Hoffen wir letzteres«, sagte der Major knapp und sondierte die Lage links und rechts von ihm. »Allerdings, sollte die ANZIO im Raum verschollen sein, werden wir auf Chance vermutlich für längere Zeit Robinson spielen dürfen. Nach meinen Erfahrungen kann es mitunter sehr lange dauern, bis Rettung eintrifft.«

Cimaro brummte übertrieben entsetzt: »Sir, malen Sie nicht den Teufel an die Höhlenwand. Ich werde jedenfalls zu keiner Zeit Ihren Freitag spielen, nur damit Sie es wissen…«

Der Hauptfunker ließ sich wieder zurückfallen, und deshalb entging ihm etwas, was niemand bislang für möglich gehalten hatte: McGraves grinste! Allerdings dauerte dieser Ausbruch von Heiterkeit keine zwei Herzschläge lang, dann trug seine Miene wieder jenen Ausdruck, der ihm den Spitznamen »Ritter von der traurigen Gestalt« eingetragen hatte.

Während er mechanisch Fuß vor Fuß setzte, sinnierte er darüber nach, was sie auf diesen Planeten und letztendlich in diese Lage gebracht hatte.

Die Regierung auf Babylon brauchte Welten. Nicht weil Babylon, die neue Heimat der Terraner, einen so ungeheuer großen Überschuß an Menschen hatte, sondern weil Henner Trawisheim die Grenzen seines Interessengebietes zu festigen gedachte. Eine Reihe von Schiffen war deshalb in seinem Auftrag unterwegs, um die Milchstraße in diesem Sektor zu erforschen, die entdeckten Sonnen und Planeten zu katalogisieren, um die Welten, die sich für eine Besiedlung eigneten, mit Stützpunkten und Nachschubplätzen zu versehen.

Auch die wenigen Schulschiffe wurden in dieses Projekt der Grenzsicherung eingebunden.

Nicht zuletzt die ANZIO, die sich – wieder einmal – mit einer genau definierten Vorgabe in einem wenig erforschten Sektor der Galaxis bewegte, um geeignete Siedlungswelten für die Menschheit aufzuspüren.

Keine sonderlich aufregende Arbeit für den Ovoid-Ringraumer der Rom-Klasse, dessen offizielle Mission lautete, im Auftrag des Flottenkommandos innerhalb des von Babylon beanspruchten Gebietes einmal nach bewohnbaren Planeten für eine mögliche Besiedelung Ausschau zu halten und andererseits seinem Ausbildungauftrag als zur Zeit modernstes Schulschiff der Raumflotte nachzukommen.

Daß dieser Ausbildungsauftrag diesmal nichts anderes als Propaganda für die Regierung war und von den Verantwortlichen zu einer grellen und auf billige Art angelegten Kuppelshow pervertiert wurde, darüber waren er und der Skipper noch immer nicht hinweggekommen. Vor allem nicht über die Anwesenheit der Politischen Offiziere, die ihnen der neue Flottenoberbefehlshaber Mark Menken aufs Auge gedrückt hatte – und die nichts weiter waren als Regierungsspitzel.

Nahezu 750 Lichtjahre von Babylon entfernt war das Flottenschulschiff dank eines neuen, von den beiden Wissenschaftsoffizieren Jeffrey Kana und Derek Stormond entwickelten Programms zur Erkennung von Sonnensystemen mit bewohnbaren Planeten mittels Fernortung fündig geworden.

Die ANZIO hatte ein System entdeckt, das noch völlig unbeleckt von jeglicher Zivilisation zu sein schien; es lag weitab von allen gängigen Handelsrouten. Niemand hatte bislang Interesse für eine Erforschung oder Katalogisierung des Systems aufgebracht. Es handelte sich um eine Typ-II-Sonne der Klasse G, die zehn Planeten Licht spendete. Der dritte Planet drehte seine Bahn innerhalb der Lebenszone und war über weite Strecken hin nahezu erdähnlich…

Chester McGraves balancierte über den Stamm eines gestürzten Baumriesen, den Feuer und Tropensturm gefällt hatten. Als er wieder relativ hindernisfreies Gelände vor sich hatte, nahm er den Faden seiner Rückschau wieder auf…

Auf Grund der räumlichen Lage des Systems so weit weg von aller Zivilisation wurde es von Roy Vegas kurzerhand als »Borderstar-System« in das Schiffslog eingetragen, dem dritten Planeten gab er nach einer spontanen Eingebung den Namen Chance.

Die Taster von Olin Monros Orterstation konnten keinerlei Energiesignaturen anmessen, als sich die ANZIO mit der üblichen Umsicht dem System näherte und sich Chance zur näheren Untersuchung vornahm.

Als sich herausstellte, daß die Sauerstoffwelt zwar eine ausgeprägte Fauna und Flora, aber kein intelligentes Leben trug, waren der Skipper und er übereingekommen, eine auf zwei Tage angelegte Manöverübung auf dem Hauptkontinent in der Äquatorialzone durchzuführen.

Zentrum des Szenarios war eine kaum bewachsene Felsformation, eine Steinfläche vermutlich vulkanischen Ursprungs, die sich etwa hundert Meter über die grüne Hölle des Dschungels erhob und von der Hälfte der Infanteristen unter Oberleutnant Bruschettas Leitung gegen die Einnahme durch die restlichen 125 Rekruten verteidigt werden sollte, die Major McGraves anführte.

Eine Routineangelegenheit, wie viele der zukünftigen Rauminfanteristen zu Beginn des Einsatzes noch meinten.

Die ersten 24 Stunden waren noch im Rahmen der Vorgaben verlaufen, doch am nächsten Tag war die Übung urplötzlich keine Routine mehr und lief komplett aus dem Ruder, als Bruschettas Trupp auf die Pflanzen traf.

Verdammtes Kroppzeug, knurrte McGraves im stillen und dachte an die Rekruten, deren Tod in seine Verantwortung fiel. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, aus einem geplanten Übungseinsatz war unversehens ein unheilvolles Mißgeschick geworden. Von einem Moment zum anderen hatten sie sich einem Gegner stellen müssen, wie er unheimlicher kaum vorstellbar war.

Im nachhinein verwünschte er seine Entscheidung, die Rekruten anstelle der Standardbewaffnung nur mit Manöverwaffen ausgestattet zu haben, auch wenn diese Option den Regeln für einen Übungseinsatz durchaus entsprach. Unerfahrene Nachwuchssoldaten in der Ausbildung konnten mit scharfen Waffen schwere Schäden anrichten, wohingegen sie sich mit den Übungswaffen nach Herzenslust beharken konnten, ohne einander zu verletzen.

Üblicherweise bestand das Handwerkszeug der Rauminfanterie aus einer vollautomatischen, elektronisch gesteuerten Allzweckwaffe, dem Multikarabiner GEH&K Mark 08/56 mit seinen vielfältigen und überragenden Möglichkeiten für Angriff und Verteidigung.

Simulierte Einsätze und Manöver wurden allerdings meist mit Übungswaffen durchgeführt, um das Gefährdungspotential bei Rekruten ohne entsprechende Kampferfahrung so gering wie möglich zu halten.

Diese Übungswaffen unterschieden sich vom Aussehen und Gewicht zwar nicht von den regulären Multikarabinern, waren im Prinzip aber nichts als überdimensionale Laserpointer, Spielzeug, das für den wirklichen Kampf absolut nicht taugte.

Zum Glück – oder war es Vorsehung? – hatte er sich nach dem Vorfall mit dem löwenähnlichen Raubtier dazu entschlossen, die Auszubildenden nicht gänzlich schutzlos der noch unbekannten Fauna auszusetzen. Deshalb bekam jeder Rekrut für den Fall, sein Leben gegen ein wildes Tier verteidigen zu müssen, das eindeutig nicht durch Gesten und lautes Schreien zu vertreiben war, einen Paralysator ausgehändigt.

*

Sie kamen zu Anfang rasch voran. Der Brand hatte das Unterholz auf einer Strecke von ungefähr 3000 Metern ziemlich gelichtet.

Dann erreichten sie die Grenze, bis zu der das Feuer gewütet hatte, ehe es vom Tropengewitter gelöscht worden war. Ab da gestaltete sich das Vorankommen wieder mühsamer und vor allem schweißtreibender.

Die Natur hatte ihren ursprünglichen Charakter zurückgewonnen.

Der Dschungel war eine dichte grüne Mauer. Ein grünschmutziges Dunkel; nur hin und wieder fiel Sonnenlicht in breiten Bahnen bis auf den Boden herunter.

Kaum jemand sprach.

Nach einer Viertelstunde winkte McGraves Cimaro heran.

»Major?«

»Luke, wir sind nicht mehr weit vom Wrack entfernt. Nehmen Sie sich drei Jungspunde und erkunden Sie die Lage in dem Gebiet vor uns. Ich möchte nicht blind wie ein Maulwurf in einen Hinterhalt stolpern.«

Cimaro lachte ohne einen Funken Humor. »In Ordnung, Major.«

»Wen nehmen Sie?«

Ohne nachzudenken sagte der alte Haudegen: »Morales, Bardolo und Malmquist.«

Chester McGraves runzelte die Stirn.

»Morales«, sagte er und überlegte, »ist das nicht die junge Dame mit… mit…«

»Die mit dem roten Tuch unter dem Helm«, half ihm Cimaro mit einem Grinsen, »ja, das ist Maria Morales. Ist das ein Problem für Sie?«

»Kaum, solange sie es nicht bei offiziellen Anlässen trägt.«

»Die Gefahr besteht hier wohl nicht, Sir.«

»Denke ich auch. Also machen Sie schon.«

Während der ganzen Dauer ihres Gesprächs hatten sie keine Sekunde im Laufen innegehalten.

Augenblicke später verschwand Luke Cimaro, gefolgt von den drei Rekruten, im Eiltempo im Urwalddickicht.

McGraves sah auf sein Chrono.

Bei dieser Marschgeschwindigkeit mußten sie in knapp einer halben Stunde die Position der von Hauptmann Konietzkis Kadetten georteten »Metallansammlung« erreicht haben.

Er sah wieder auf die Uhr, während rechts und links neben ihm mehr als hundert Rekruten durch den Dschungel eines fremden Planeten liefen, sich im vollen Vertrauen auf seine Integrität als Führungsoffizier nach ihm richtend, blind dem folgend, was er ihnen befahl zu tun. McGraves preßte die Lippen zusammen. Die Verantwortung lastete schwer auf seinen Schultern. Er durfte keine Fehler machen, sie hingegen konnten sich welche leisten, waren sie doch erst am Anfang ihrer Karriere in der Rauminfanterie. Er begann sich zu fühlen, als habe er ununterbrochen schwer gearbeitet und war versucht, sich irgendwo unter einen Baum zu werfen und zu schlafen.

Was natürlich Unsinn war.

Er legte noch einen Zahn zu und erhöhte die Schrittfolge. Irgend etwas trieb ihn voran. Ein Gefühl, möglicherweise zu spät zu kommen.

Dann veränderte die Gegend langsam ihren Charakter, das Gelände stieg leicht an. Der Boden wurde trockener. Felsen zwangen zu kleinen Umwegen. Voraus wurde es eindeutig heller. Alles Anzeichen dafür, daß dort der Dschungel weniger dicht sein mußte. Vermutlich lag vor ihnen eine größere Lichtung.

»Major…« Eine schwache Stimme wie von einem der äußeren Planeten, die Stimme des Stabsfeldwebels.

McGraves erhöhte die Leistung des Helmfunks.

»Luke?«

»Wir sehen das Wrack…«

»Und!?« McGraves’ Stimme vibrierte vor Erwartung.

»Das müssen Sie sich ansehen, um es zu glauben, Sir. Es ist offensichtlich uralt und …«

»Verdammt, Luke!« schnappte der Major ungehalten: »Das Wrack kann mir gestohlen bleiben. Was ist mit unseren Leuten? Ist von denen etwas zu sehen?«

Die seien am Leben und würden von mehreren Hundert der unheimlichen Pflanzengestalten bewacht, versicherte Cimaro.

»Sind Wachen postiert?«

Cimaro verneinte. »Das Grünzeug zeigt nur Interesse an den Gefangenen, Major.«

»Gut«, kam McGraves’ knappe Erwiderung. Er konsultierte sein Armbandgerät. »Kommen Sie uns entgegen«, befahl er. »Ich möchte, daß wir die Sache geschlossen angehen. Verstanden?«

»Aye, Major. Verstanden.«

*

Eine Rotte gelbblauer Vögel flog zeternd und kreischend aus ihrer Bodendeckung, als die Infanteristen mit McGraves in vorderster Front das grünschwarze Halbdunkel des Dschungels verließen und mit gezogenen Paralysatoren eine Art Lichtung erreichten, auf der die Urwaldriesen ziemlich weit auseinanderstanden; sie lag im vollen Licht der gelben solähnlichen Sonne.

»Stop!« drang McGraves’ scharfer Befehl aus den Helmlautsprechern.

Die Phalanx verharrte am diesseitigen Rand der Lichtung, noch unter den Bäumen.

»Dort!« Der Stabsfeldwebel wies mit einer Geste auf deren ungefähre Mitte.

Synchron wandten sich die Augen der Rekruten in die angezeigte Richtung.

Im Zentrum erhob sich ein vom grünen Gestrüpp überwucherter, merkwürdig zerklüfteter Hügel von beträchtlicher Höhe. Er wirkte auf seltsame Art wie ein Fremdkörper, der nichts auf dieser Welt verloren hatte.

Und das hatte er in der Tat auch nicht, dieser Hügel, der keiner war, sondern ein Berg aus Metall. Ein Berg mit einer Unzahl bizarrer Formen, die sich unter dem Pflanzenwuchs nur unvollkommen abzeichneten.

Ein Wrack!

Es war das Wrack eines Raumschiffs, geschaffen von einer Zivilisation, deren Vertreter mit diesem Schiff vor langer, sehr langer Zeit hier abgestürzt sein mußten.

McGraves schürzte die Lippen und suchte mit den Augen aus diesem scheinbar willkürlich angehäuften Konglomerat von Einzelteilen ein Gesamtbild zusammenzusetzen, was sich als sehr schwierig erwies. Die wuchernde, alles verschlingende Vegetation lag wie eine Tarnkappe über dem Wrack und verhüllte die darunterliegenden Konturen nahezu bis zur Unkenntlichkeit. Erst nach und nach erschloß sich dem Major aus diesen vielen Einzelteilen das große Ganze.

Das Schiff mußte nach menschlichen Maßstäben etwa 400 Meter lang und nahezu ebenso breit gewesen sein. Das, was aus dem Haufen herausragte, sah nach kaputten Röhren aus. Der Rumpf schien in seiner intakten Form ein Knoten aus ineinander verschlungenen, röhrenförmigen Zylindern gewesen zu sein, mit Durchschneidungen und Überlappungen, deren Sinn und Zweck jedem unbefangenen Betrachter Rätsel aufgeben mußten.

»Können Sie sich einen Reim darauf machen, Sir?«

»Das erinnert mich irgendwie an etwas. Kann aber nicht sagen, woran«, sagte McGraves nachdenklich. »Ich weiß nur, daß es uralt sein muß.«

»Beeindruckend«, meinte Cimaro wertfrei, »wir sollten es untersuchen.«

»Darum kümmern wir uns später«, wehrte der Major ab und hob das schwere Glas an die Augen. »Es gilt Wichtigeres zu tun.«

»Natürlich, Sir«, zeigte sich der Stabsfeldwebel zerknirscht. »Ich vergaß. Wie gehen wir vor?«

Ganz gefangen von dem Bild, das sich ihm bot, schien McGraves die Frage nicht vernommen zu haben.

Vor dem Wrack, in direkter Blickrichtung, umzingelten mehrere Hundert der unheimlichen Pflanzenwesen Bruschettas Truppe und bedrohten sie mit Armbrüsten und Blasrohren. Der Oberleutnant selbst hockte inmitten seiner Rekruten. Soweit McGraves durch den Feldstecher erkennen konnte, schien er ebenso unverletzt zu sein wie seine Leute, zumindest saßen sie aufrecht. Man hatte sie also doch nicht getötet, denn wenn man das gewollt hätte, hätte man sie nicht zu verschleppen brauchen. Folglich schienen die Ungeheuer irgend etwas mit ihnen vorzuhaben. Aber was?

McGraves stieß ein Knurren zwischen den Zähnen hervor. Was immer man mit ihnen anzustellen gedachte, er hoffte, daß es seinen Soldaten und ihm gelingen würde, es zu vereiteln.

Ob dennoch Opfer zu beklagen waren, würde man spätestens dann herausfinden, wenn man sie aus den Klauen – oder sollte man besser »Zweigen« sagen? – der Pflanzenwesen befreit hatte.

Der Stabsfeldwebel blickte jetzt ebenfalls durch sein Glas. Während sich das Bild im Zentrum fokussierte und die mitlaufenden Entfernungsangaben zum Stillstand gekommen waren, sagte er halblaut: »Wir haben ziemlich freies Schußfeld, Sir. Weshalb erledigen wir sie nicht gleich von hier aus? Unsere Handfeuerwaffen haben die erforderliche Reichweite. Ein Treffer aus drei oder mehr Paralysatoren würde sie erledigen.«

Der Major setzte den Feldstecher ab. Ohne seinen Stabsfeldwebel anzusehen, antwortete er: »Das ist mir durchaus bekannt, Luke.«

McGraves’ Tonfall implizierte eindeutig einen Vorbehalt. Und so fragte Cimaro, der seinen Vorgesetzten kannte, gehorsam: »Aber, Sir?«

»Aber unsere Gegner sind in der Überzahl. Wir können sie nicht auf einen Schlag außer Gefecht setzen. Vermutlich werden viele in der Lage sein, ihre Giftpfeile abzufeuern. Nein, um unsere Leute zu retten, müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.«

Der Stabsfeldwebel blickte angestrengt durch den Feldstecher, während er mit der behandschuhten Rechten den unvollkommenen Versuch unternahm, eine Handvoll schwirrender Insekten zu vertreiben, die dabei waren, seinen Kopf als Landeplatz zu okkupieren. »Verdammte Viecher!« murmelte er ärgerlich. Eine Sekunde später sagte er: »Und was schwebt Ihnen vor, Sir?«

»Um das Leben unserer Kameraden und Kameradinnen nicht zu gefährden, sollten wir es vielleicht mit Verhandlungen versuchen.«

Alle in McGraves’ unmittelbarer Nähe glaubten, sich verhört zu haben.

»Verhandeln, Sir? Ist das Ihr Ernst?«

»Nun, wir könnten es zumindest versuchen«, beantwortete der Major Jon Vissers ungläubige Frage. »Oder können Sie mir eine Alternative aufzeigen?«

Das könne er nicht, gestand der Feldwebel ein. »Aber wie kommen Sie zu der Vermutung, die ließen sich auf Verhandlungen ein, Sir?«

Chester McGraves seufzte. »Weil ich zu der Überzeugung gekommen bin, daß sie genauso etwas von uns wollen wie wir von ihnen«, erwiderte er ruhig und löste mit diesem Satz erneut Befremden bei seinen Untergebenen aus.

»Darf ich offen reden, Sir?« fragte Cimaro und straffte seine Gestalt.

»Schießen Sie los.«

»Sehen Sie«, begann der Stabsfeldwebel. »Wir verstehen nicht ganz, wie Sie annehmen können, diese … diese…« – er suchte nach einen prägnanten Begriff für die Pflanzenwesen.

McGraves lächelte knapp. »Versuchen Sie es mit Mischlinge oder Bastarde, wenn Ihnen danach zumute ist. Sie liegen auf keinen Fall falsch damit, beide treffen den Kern. Tatsächlich sind es Hybriden, die aus Kreuzungen verschiedener Pflanzenarten hervorgegangen sind. Eine Laune der Evolution auf diesem Planeten, Mister Cimaro.«

Wie falsch er damit lag, konnte Major McGraves zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.

»Aha«, schnappte der Stabsfeldwebel. »Also, was macht Sie so sicher, daß diese Hybriden auf Verhandlungen aus sein könnten, anstatt unsere Leute zu töten?«

»Man hätte sie nicht an diesen Ort zu verschleppen brauchen, wenn man sie hätte töten wollen«, erklärte der Major im Brustton der Überzeugung,, und er schloß: »Daß man mit ihnen etwas Bestimmtes vorhat, ist nicht von der Hand zu weisen.«

Zwei Schatten wanderten draußen über den Boden der Lichtung.

Cimaro blickte nach oben; zwei gefiederte Bewohner der Lüfte mit enormen Flügelspannweiten kreisten langsam und majestätisch über dem Wrack. Ihre pfeifenden Schreie klangen ungeduldig, als warteten sie auf etwas. Der Stabsfeldwebel runzelte die Stirn. Ein Omen? Langsam sagte er: »Eine friedliche Kontaktaufnahme nach all dem, was schon geschehen ist, erscheint mir zweifelhaft, ja sogar unwahrscheinlich. Vielleicht ist dieser Ort ihre Hinrichtungsstätte, und sie wollen uns unmißverständlich zu verstehen geben, was uns blüht. Denn daß sie unsere Annäherung nicht mitbekommen haben sollten, ist mehr als unwahrscheinlich.«

»So sieht keine Hinrichtungsstätte aus«, wehrte McGraves ab.

»Wer weiß«, antwortete Cimaro halsstarrig wie ein Muli. »Wir haben uns schon viel zu lange hier aufgehalten. Lassen Sie uns rübergehen und herausfinden, was uns erwartet.«

»Wollen wir nicht warten, bis uns die ANZIO zu Hilfe eilt, Herr Major?«

McGraves drehte sich langsam nach der hellen Stimme um.

Carla Sesti stand hinter ihm. Hinter ihr ihre Vasallen. Sie alle sahen ziemlich ramponiert aus.

Der Major grinste innerlich. Tja, so ein Dschungelmarsch unter verschärften Bedingungen hatte es in sich, keine Frage. Noch dazu für Zivilisten, so diese nicht gerade ausgewiesene Überlebensstrategen waren und sich mit Extremsituationen zurechtfanden. Daß die Zivilisten es dennoch fertiggebracht hatten, nicht den Anschluß zu verlieren, war im Grunde bewundernswert.

»Miß Sesti«, sagte er mit falscher Liebenswürdigkeit, während seine Miene von der Traurigkeit eines Totengräbers überschattet wurde, »Ihre glockenhelle Stimme habe ich doch tatsächlich seit geraumer Zeit vermißt. Wie kommt es, daß Sie erst jetzt erscheinen? War der Marsch zu anstrengend? Und wie Sie aussehen, meine Liebste! Sind Sie womöglich in einen Tümpel gefallen?«

Während der riesige Kameramann John Varda breit zu grinsen begann, obwohl er selbst dreckbespritzt wie ein Keiler war, bemühten sich alle jene, die sich im Blickfeld der Reporterin befanden, um möglichst unbeteiligte Gelassenheit.

Für Sekundenbruchteile starrte Carla Sesti den Major an; sie wirkte wie jemand, der einen Mord schnell und geräuschlos erledigen wollte. Dann runzelte sie mißbilligend die von Asche verkrustete Stirn und sagte mit der Freundlichkeit einer falschen Schlange: »Ich bin nicht gefallen, Verehrtester. Ich bade immer so.« Sie wartete einen Moment. »Aber Sie haben mir meine Frage nicht beantwortet.«

»Etwa auf das Erscheinen der ANZIO warten, ehe wir etwas unternehmen? War das Ihre Frage?«

»Ja.«

»Das dauert zu lange«, ließ er die Reporterin wissen. »Und beschleunigen können wir ihr Erscheinen nicht; unser Funk ist tot oder wird durch etwas unterdrückt, auf das wir keinen Einfluß haben. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, wenn man die Gefangenen hätte töten wollen, hätte es keinen Grund gegeben, sie an diesen Ort zu verschleppen. Man hat also etwas mit ihnen vor. Nur was, das ist eine der vielen Unbekannten in dieser Rechnung.«

Er schwieg einen Augenblick, um dann mit harter Stimme fortzufahren: »Angenommen, ich liege ganz falsch mit meiner Vermutung, und sie warten nur auf unser Erscheinen, um uns zu zeigen, daß sie die herrschende Spezies auf diesem Planeten sind, dann kann es sowohl für uns wie für Bruschetta und seine Leute äußerst unangenehm werden. Deshalb gehen wir jetzt raus und stellen uns dem Problem.«

Der Major warf einen letzten prüfenden Blick auf die Phalanx seiner Rekruten, dann gab er das Zeichen zum Sturm.

*

Man hätte meinen können, die fünf Kilometer Gewaltmarsch zum Wrack hätten an den Kräften der Rekruten gezehrt. Doch wenn das der Fall gewesen sein sollte, so merkte man den jungen Männern und Frauen die Strapazen nicht an. Der Gedanke an die bevorstehende Auseinandersetzung mit den Wesen und die Befreiung der Gefangenen beflügelte jeden Einzelnen, sämtliche Kräfte zu mobilisieren.

Getrieben vom Adrenalin, das durch ihre Adern peitschte, stürmten die Rekruten über die Lichtung auf das Wrack zu. Jeder trug sich mit der felsenfesten Überzeugung, auf massiven Widerstand durch die mobilen Pflanzen zu treffen, und bereitete sich dementsprechend darauf vor, sowohl mental als auch physisch.

Die Distanz war schnell überwunden – und der Angriff lief zum Erstaunen aller quasi ins Leere: Die Hybridwesen nahmen kaum Notiz von den Neuankömmlingen, sondern schienen nur Interesse an den Gefangenen zu haben.

Cimaro lief neben dem Major her. Er sah ihn von der Seite an und grinste verzerrt. »Können Sie sich einen Reim auf dieses Desinteresse uns gegenüber machen, Sir?«

»So wenig wie Sie, Luke«, antwortete McGraves zwischen zwei Atemzügen. »Aber vielleicht liege ich mit meiner Vermutung doch nicht so falsch.«

»Die mit dem Verhandeln?«

»Verdammt. Ich weiß es nicht, Luke. Ich weiß einfach nicht, womit wir es hier zu tun haben. Ich weiß nur, daß es uns im Augenblick nicht an den Kragen geht.«

Dieser Eindruck war nicht von der Hand zu weisen; die Wesen richteten ihre Waffen ausschließlich auf die Gefangenen.

»Also doch Verhandlung…« murmelte Cimaro.

McGraves zuckte mit den Schultern. »Verhandlung mit der Waffe in der Hand, warum nicht. Gehen wir einfach mal davon aus. Alles herhören«, sagte er laut durch den Helmfunk. »Es wird nicht geschossen, außer, wir würden dazu gezwungen. Das ist ein Befehl!«

Inzwischen hatte er mit Cimaro die äußere Phalanx der Pflanzen durchschritten. Zwischen den Wesen lagen reglose Artgenossen.

»Schauen Sie dort!« machte Cimaro McGraves auf etwas aufmerksam, was dieser bislang übersehen hatte.

»Was meinen Sie?«

»Das Resultat unserer Paralysatoren: ihre Toten. Sie haben sie hierhergebracht.«

»Ja, und?«

»Aber sehen Sie es denn nicht, Major?«

McGraves kniff die Augen zusammen und achtete darauf, daß er auf keine der veränderten Pflanzen trat. Aus reiner Pietät. Und dann entdeckte er plötzlich, worauf ihn der Stabsfeldwebel aufmerksam zu machen suchte: die Toten machten weniger den Eindruck von Pflanzen, sondern mehr den von toten Rieseninsekten.

»Verdammt!« entfuhr es dem Major. »Merkwürdige Metamorphose. Und ich war mir sicher, es hier ausschließlich mit der Symbiose unterschiedlicher Pflanzen zu tun zu haben. Und dann dies…«

»Merkwürdige Welt«, war Cimaros Kommentar dazu.

Gemeinsam liefen sie weiter. Noch immer unbehelligt, obwohl sie die Paralysatoren offen in ihren Fäusten hielten. Dann hatten sie den inneren Kreis erreicht, in dem die Gefangenen saßen. Man sah ihnen die Erleichterung an, als der Major und Cimaro auftauchten.

Die Blicke McGraves’ und Bruschettas trafen sich; sein Stellvertreter war unverletzt, wie der Major mit Erleichterung erkannte. Und er schien auch nicht wirklich um das Leben seiner Truppe und sein eigenes zu bangen.

»Es wird gleich vorbei sein«, sagte McGraves ohne Betonung, »auf die eine oder andere Weise.«

»Wir sind bereit«, gab Gianni Bruschetta mit einem Nicken zu verstehen, und ein flüchtiges Lächeln huschte über sein verschmutztes Gesicht.