Privatdetektiv Rufus I - M.G. Scultetus - E-Book

Privatdetektiv Rufus I E-Book

M.G. Scultetus

0,0

Beschreibung

Privatdetektiv L. Aemilius Paulus, den man wegen seiner roten Haare »Rufus« (der Fuchsrote) nennt, löst verzwickte Kriminalfälle im Alten Rom zur Zeit des Kaisers Trajan. Wer ihm in den spannenden Fällen dieser mehrbändigen Reihe von Gruselkrimis folgt, erlebt gleichzeitig alle Winkel und markanten Plätze dieser Großstadt der Alten Welt, der man den Namen »Caput Mundi«, »Haupt(stadt) der Welt« gegeben hat. Ein scheinbar verzwickter Kriminalfall kommt auf Privatdetektiv L. Aemilius Paulus zu, den man wegen seiner roten Haare »Rufus« (der Fuchsrote) nennt: Allem Anschein nach geht hier eine Frau um, die kleinen Kindern das Blut aus den Adern saugt; die Stadtwache von Rom ist überfordert; Rufus widmet sich der Sache, assistiert von seinem Freund Sokrates, einem griechischen Arzt und löst die Gruselgeschichte mit der ihm eigenen Souveränität. Auf der Suche nach dem Killer erleben die drei Freunde eine wahre Mordserie; immer ist ihnen der anonyme Mörder, der sogar einen Rufus in Lebensgefahr bringt, den Verfolgern einen Schritt voraus. Der Autor M.G. Scultetus legt hier einen Gruselkrimi vor, der zugleich eine bittersüße Liebesromanze ist, in deren Mittelpunkt Fabiola steht, eine liebenswürdige und liebesbedürftige Frau in der Mitte des Lebens, voller teilweise verheerender Fehler und Unzulänglichkeiten, äußerlich wie im Charakter, eben eine Süße, mit der man sich identifizieren kann.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 254

Veröffentlichungsjahr: 2017

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsübersicht

Prologus des Doktor Sokrates

Im Schatten des Kolosseums

Rufus und die Harpyie

Die gehetzte Frau

Im Revier der Stadtwache

Fabiolas Geschichte

Die Nacht im Hotel

In der Gladiatorenschule

Fabiola und die neue Herberge

Fabiolas Bericht

Das Duell im Marsfeld

Das Drama im Odeion

Nachwort

Zu diesem Buch

Prologus des Doktor Sokrates

Hippokrates ist für uns Ärzte, obwohl schon seit vierhundert Jahren im Jenseits, nach wie vor das leuchtende Vorbild, und seine Schriften, welche durch neue Entdeckungen stets aktualisiert werden, befinden sich im Regal eines jeden Arztes.

Einer seiner Lehrmeinungen freilich konnte ich jahrelang nichts abgewinnen, ja, ich lehnte sie sogar entschieden ab; im zweiten Buch seiner Schrift Perì tēs Psychēs (über die Seele) schreibt er nämlich folgendes; ich zitiere:

»Liebesleben und Paarungsverhalten der Spezies Mensch geben uns noch zahlreiche Rätsel auf; eines der seltsamsten davon, welches man gelegentlich beobachten kann, soll hier thesenartig angerissen und zur Diskussion gestellt werden:

Allzu heftig, ja, bis zur Besinnungslosigkeit Liebende erfüllt der nicht selten beobachtete Wahn, es sei das höchste Glück auf Erden, auf dem triumphalen Höhepunkt der Gefühle sterben zu dürfen, und nicht wenige meiner Kollegen haben den orgiastischen Höhepunkt bereits mit einem kurzeitigen Sterben verblichen.

Frauen sollen von dieser Todessehnsucht bevorzugt betroffen sein, insbesondere, wenn sie sich hemmungslos dem über alles geliebten Manne hingeben, denn nach dem vorüber gehend alles betäubenden Liebesakt kommt die grausame Ernüchterung, und das vorher noch so Begehrenswerte erscheint ihnen dann grau und fade.

Von dort her scheint mir der Wunsch wahrhaft liebender Frauen zu kommen, sich dem jeweiligen Partner mit solch blinder Leidenschaft und grenzenloser Unterwürfigkeit hinzugeben, dass sie von ihm sogar verlangen oder verlangen möchten, er möge sie im Rausche der Liebe töten:

Eben das und nichts anderes sehen sie als Vollendung des irdischen Glückes an und ordnen ihm all ihre anderen Gedanken bedenkenlos unter.«

Ich selbst konnte, wie gesagt, dieser These nichts abgewinnen, ja, ich verabscheute sie sogar, bis mich das Leben eines Besseren belehrte und zur Überzeugung brachte, dass unser Altmeister der Medizin wieder einmal recht gehabt hat.

Wie es dazu kam, erfährst Du, mein geliebter und geduldiger Leser, wenn du die feine Rolle aus Papyrus geöffnet hast, in den unten folgenden Spalten meines Berichtes.

Er handelt von einer wahrhaft griechischen Tragödie, die ich an der Seite von Roms berühmtem Detektiv, den man meistens nur Rufus nennt, erleben und erleiden durfte, als wir versuchten, der wunderbaren Fabiola das Leben zu retten.

1. Im Schatten des Kolosseums

Zufällig saß ich neulich im Schatten des steil in den Himmel hinauf ragenden Flavischen Amphitheaters1 unter dem im Wind wogenden Segel, welches zwei seiner wuchtigen Bögen vorgespannt war, und entspannte mich bei einem heißen stark gepfefferten Becher Mulsum (Honigwein), den mit ein freundlicher schwarzer Keller serviert hatte, als mein Freund Rufus aus dem gegenüber liegenden Ludus Magnus2 hervorbrach und in langen Schritten lässig zu mir herüber geschlendert kam:

Er war von den Fecht-Übungen, die er wieder einmal hinter sich gebracht hatte, um in Form zu bleiben, noch ganz erhitzt; und so will ich dir, lieber Leser, meinen Lucius Aemilius Paulus, genannt Rufus,3 beschreiben:

Ein großer Mann von athletischer Gestalt eilte mit feuerrot wehendem, fast schulterlangen Haar daher, kam federnd auf mich zu und zwinkerte mir aus eindrucksvoll dunkelblauen Augen zu; er steckte in einer weiten weißen ärmellosen Tunika,4 die ihm bis zu den Knien reichte, der untere Saum rot verbrämt, die Füße in beinahe bis zu den Knien empor geschnürten grünen Calceï.5

Unter dem Gewand trug er auch diesmal, wie außer mir freilich kaum jemand wusste, einen hauchfeinen Kettenpanzer über einem maßgeschneiderten Unterhemd und ein ebenfalls verborgenes kleines feines aber im Feuer elastisch geschmiedetes Schwert sowie einen dazu passenden Dolch, Geschenke unseres göttlichen Imperators Traianus persönlich, welchem er kürzlich erst einen Gefallen erwiesen hatte, der ihm die bleibende Dankbarkeit unseres Herrschers eintrug; über den genannten Fall muss ich aber noch einige Jahre Stillschweigen bewahren:

Rufus hatte das vom Kaiser verbriefte Recht und Privileg, jederzeit in Waffen6 zu sein, ohne sie jedoch offen zur Schau zu stellen, denn er hatte schon etliche Mordanschläge mit heiler Haut überstanden …

Ein breites Grinsen huschte über das kantige Gesicht, wobei er sein Pferdegebiss entblößte, als er mich erkannte:

»Schön, dass du rechtzeitig gekommen bist, mein lieber Sokrates«, sagte er noch ganz außer Atem, ließ sich in den Korbsessel neben mir fallen und rieb sich die Schweißperlen mit einem flauschigen Tuch von der Stirn:

»Ich grüße dich, mein lieber Lucius«, entgegnete ich schläfrig und gab mir keine Mühe, mich zu erheben; er sagte:

»Ich habe mich gerade mit Astyanax, Roms ersten Gladiator, geprügelt, naturgemäß nur mit dem Holzschwert, und ihm Paroli geboten; wäre ich einer von denen da drüben, könnte ich es in der Arena zu einigen Ehren bringen; aber ein jeder hat so seinen Beruf:

Du setzt deinen Patienten mit bitterer Medizin zu oder verdirbt ihnen mit strengen Vorschriften den Genuss an ihrem Lieblingsgericht, mein lieber Doktor, und ich mache Roms Ganoven das Leben sauer; suum cuique!7

Leider ist zurzeit nichts los in diesem römischen Backofen, und die Ganoven machen Sommerpause oder verprassen ihren Gewinn an den Stränden Italiens; wenn sie genug Moss ergaunert haben, sind sie zurzeit am Golf von Neapolis zu finden; zum wahnsinnig Werden, diese ewige Langeweile!

Und du hast, lieber Sokrates, wie ich sehe, all die Patienten im Stich gelassen, welche es hier noch aushalten … und ich habe glatt vergessen, was für einen Tag wir heute haben.«

Rufus gähnte herzhaft; ich nahm das Wort:

»Bei dieser Hitze vergisst man alles, aber auch alles; ich weiß kaum noch, wer ich bin, und selbst wenn ich lange genug nachdenke, komme ich kaum drauf, welches Datum wir heute haben:

Ich glaube, ich denke, ich vermute, den Vortag der Iden des Augustus im zehnten Jahr der Tribunizischen Gewalt8 unseres erlauchten Herrschers Marcus Ulpius Traianus, des glorreichen Bezwingers der Daker9 und Eroberers von Dakien«, sagte ich müde, »und weißt du was, Lucius, es ist Sommer, und alles, was Rang und Namen hat, ist nach Baiae geflüchtet, um dem römischen Backofen zu entrinnen und am Golf von Neapolis baden zu gehen.

Die paar betuchte Patienten, die noch in der Stadt geblieben sind, hat mein Kollege Eukrates10 übernommen; und ich habe hier auf dich gewartet, um dir meine Aufzeichnungen unseres letzten Abenteuers vorzutragen und genehmigen zu lassen; das Verlagshaus Atticus11 wartet schon sehnsüchtig auf das Manuskript, und mit ihm mein gnädiges Lesepublikum.«

Rufus schnippte mit den Fingern, und der Afrikaner stellte ihm breit grinsend einen großen gläsernen Humpen auf den Tisch, einen herben, scharf gepfefferten gallischen Wein, den mein Kumpel so liebte, weil seine ebenfalls rothaarigen Vorfahren, wie er oft genug behauptete, von dort nach Rom ausgewandert waren:

Er nahm einen tiefen Zug, setzte das Glas ab und seufzte; dann sagte er irgendwie gelangweilt:

»Bevor wir uns der Arbeit widmen, wollen wir uns erst einmal das Produkt deines literarischen Genies zu Gemüte führen; warum du allerdings ausgerechnet den Fall ‚Harpyien‘ der Publikation wert hältst, ist mir ein bleibendes Rätsel.«

»Ich finde«, sagte ich, »die Angelegenheit zeigt auf eine schlichte und dennoch beeindruckende Weise die Art deines stets methodischen Vorgehens; lass mich daher beginnen; hier ist die kleine Rolle, auf der alles steht«, fügte ich hinzu und wedelte ihm mit dem eingerollten Papyrus-Streifen vor dem Gesicht.

»Wenn’s denn sein muss«, murmelte er gelangweilt und nahm das frisch geröstete Stück Brot und den löchrigen Käse in Angriff, welche ihm der freundliche schwarze Mann vorgesetzt hatte und ließ es sich munden.

Ich aber rollte die erste Spalte auf und begann zu lesen:

1 Das Flavische Amphitheater (ca. 50 m. hoch) wurde später Kolosseum genannt; es gibt dafür zwei mögliche Gründe: einmal wegen seiner Größe; zum anderen hatte man davor eine Nachbildung des Kolosses von Rhodos gestellt, noch ein wenig größer, und es kam in Mode, dass der jeweilige Kaiser den Kopf auswechseln ließ; man fand leider nur noch den Sockel des Monumentes; Mulsum ist übrigens römischer Honigwein; mit Honig süßte man, da Zucker unbekannt war.

4 Die Tunika ist das Alltagsgewand der Römer; man denke sich ein meist ärmelloses ziemlich langes Hemd (ohne Knöpfe), das man gürten kann, wenn man will; darunter zog man einen Lendenschurz oder gar nichts an; wenn es kalt war, konnte man mehrere Tuniken übereinander verwenden.

5 Calceï (Plural) sind Römerstiefel, durch deren Schäfte links und rechts an der Wade empor die Schnürsenkel zu ziehen sind; sie gelten als Zeichen der Oberklasse.

6 Zivilisten, auch wenn sie (wie Rufus) Privatdetektive waren, durften in Rom grundsätzlich keine Waffen tragen; für Ruhe und Ordnung sorgten die Kräfte der Stadtwache und notfalls die kaiserliche Garde der Prätorianer.

8 Die sonst so praktischen Römer hatten eine unpraktische Datierung, auf die hier nicht eingegangen werden kann; Trajan herrschte von 98-117 n. Chr.; sein zehntes Jahr ist leicht zu errechnen: Sokrates meint den 14. 8. 108 n. Chr.

9 Der blutige Krieg endete 106; danach wurde Dacia – etwa das heutige Rumänien, wo man immer noch eine romanische Sprache spricht – römische Provinz.

10 Wie Sokrates hat auch sein Vertreter Eukrates einen griechischen Namen: Die Heilkunst in Rom war fest in griechischen Händen; hier nur zwei bis heute legendäre Ärzte aus Griechenland: der oben genannte Hippokrates und Galenos.

11 In diesem Hause waren unter anderem die Werke des berühmten Marcus Tullius Cicero erschienen.

2. Rufus und die Harpyie

Eines Tages hockte ich bei Rufus in seinem gut gesicherten Haus im Argiletum;12 ein ehemaliger Gladiator hatte die kleine feine Kammer des Janitors (Pförtners) bezogen und ließ niemanden ein, dem mein Freund keinen Zutritt gewähren wollte:

Das unscheinbare Haus war zur Straßenseite hin, abgesehen von einer kleinen Luke in der Pförtnerloge und einen mit Eisen beschlagenen Tor der Remise und dem kleinen Pferdestall dahinter, vollkommen fensterlos, um sich auf der rückwärtigen Seite zu einem üppigen Garten zu öffnen, in dessen ihn umgebender, nach außen hin hoch ummauerter Säulenhalle wir beiden oft auf und ab gingen, um einen aktuellen Fall zu besprechen.

Rufus schenkte mir keine Beachtung und las sorgfältig einen Brief, der, wie er vorhin gesagt hatte, erst gestern angekommen war; dann warf er mir die kleine Rolle mit einem trockenen Kichern zu; ich fing das Flatterding auf; Rufus murmelte:

»Einen größeren Blödsinn kann ich mir kaum vorstellen; man könnte glauben, wir lebten noch in den finstersten Zeiten der uralten griechischen Sagen, welche du als Hellene naturgemäß über die Maßen liebst; lies und sag mir, was du davon hältst! «

Ich nahm mir den Brief vor und nahm zunehmend belustigt Folgendes zur Kenntnis:

»Die Anwaltskanzlei der Gebrüder Lupus & Lupus sendet ihrem sehr geschätzten Herrn Lucius Aemilius Paulus die besten Grüße und Wünsche, seine Gesundheit betreffend.

Unser Klient, Herr Marcus Cornelius, Vorstand des Bankhauses Cornelius & Iulius, in der Via Sacra13 gelegen, trat heute an uns heran mit der Bitte um detektivische Nachforschungen, betreffs Harpyien.

Da sich unsere Firma aber lediglich mit juristischen Fragen beschäftigt, fällt die Angelegenheit nicht in unser Gebiet; aus diesem Grunde haben wir Herrn Cornelius geraten, Dich, lieber Aemilius Paulus, aufzusuchen, um Dir den Fall vorzutragen; Dein erfolgreiches Wirken im Falle des gefürchteten Geldfälschers C. C. Surdus ist uns noch in bester Erinnerung.

Wir verbleiben mit den besten Grüßen und Wünschen die Dir stets ergebenen Gebrüder Lupus.«

»Ach ja, der gute alte Gaius Cornelius Surdus!«, sagte Rufus und streckte sich gähnend zur Decke der Säulenhalle, »ein verdammt raffinierter Fälscher, der es verstand, das Bild des Kaisers auf eine silberne Folie einzuprägen, um damit einen Münzrohling aus Blei zu ummanteln; er brachte es damit zu Wohlstand und Reichtum, bis wir dem Ärmsten das Handwerk legten.

Wenn ich mich nicht irre, ist er jetzt lebenslang zur Zwangsarbeit, ausgerechnet tief unter der Erde in einer Silbermine, verdammt und wird das Tageslicht wohl nie wieder sehen; aber nun zu unserem aktuellen Fall; was hältst du von Harpyien?«

»Oh, ihr gütigen Götter! Was soll die Frage? Es sind uraltgriechische Unholdinnen, riesige Fliegen mit Frauenköpfen, die einst über das sagenhafte Mahl eines gewissen Herrn Phineus herfielen, eines blinden Königs am pontischen (schwarzen) Meer, um es vor den entsetzten Augen der Gäste zu verschlingen und dabei alles mit dem abscheulich stinkenden Auswurf ihre Gedärme zu besudeln. Ansonsten, sagt man, sind sie darauf aus, Kleinkinder zu rauben, um sie zu fressen oder auch nur, um ihnen das Blut aus den Adern zu saugen; das ist alles, was ich weiß; es ist ein altes Märchen; wer noch an den Unsinn glaubt, ist selber daran schuld.«

»Du hast recht; Quatsch, alles nur Quatsch! Hübsch zu lesen, wie ich gerne zugebe, aber was gehen uns diese blutsaugende Riesenfliegen an; mir sind schon die winzigen Moskitos zuwider, wenn sie einem mit ihrem hellen Singsang den Schlaf rauben, und mein Kammerdiener hat darum für die Sommerzeit alle Fenster des Hauses mit einem hauchfeinen Stoff gesichert, damit die Biester nicht eindringen können.«

»Aber«, entgegnete ich, »aber es soll solche Gestalten wirklich geben; neulich vernahm ich in meiner Praxis, dass ein alter Mann darauf aus war, Kindern das Blut auszusaugen, um dadurch wieder jung zu werden, völlig vergebens übrigens.«

»Schön und gut, mein lieber Doktor«, sagte Rufus, »aber müssen wir uns mit solchen Dingen beschäftigen? Ich fürchte, wir können das Anliegen des guten alten Herrn Cornelius nicht allzu ernst nehmen; vielleicht ist er ja nur verrückt; und das fiele doch eher in dein als in mein Metier, oder? Und doch! Seltsam! Der Chef eines Bankhauses glaubt daran?!«

Sein Gesicht wies das berühmte amüsierte Lächeln auf, welches ihn so oft auszeichnete, das diesmal jedoch allmählich einem Ausdruck von Interesse und Konzentration wich; er nahm den Brief wieder zur Hand und drehte ihn hin und her; eine Weile stand er noch in Gedanken versunken da; dann riss er sich mit einem Ruck aus dem Reich der Träume, denn der Janitor war mit einer Schriftrolle in das Peristylium14 getreten; Rufus überlas das Schreiben, reichte es mir und sagte:

»Hier ist noch ein zweiter Brief, einer von Senator Cornelius selbst; er beruft sich übrigens auf dich, mein lieber Sokrates; lies, und du bist im Bilde!«

Ich rollte auf und las:

»M. Cornelius wünscht seinem L. Aemilius Paulus beste Gesundheit; da mir Dein geschätzter Mitarbeiter, der Doktor Sokrates, vor Jahr und Tag in schwerer Krankheit beigestanden hat, wage ich es, mich in einer ganz besonderen Angelegenheit an Dich zu wenden, nachdem man sich bei meinen Anwälten für nicht zuständig erklärte:

Wie mir die Kanzlei Lupus & Lupus mitteilte, wurde Dir die heikle Angelegenheit bereits vorgelegt; sie ist dergestalt delikat, dass es mir schwer fällt, sie zu schildern; es geht dabei um einen Freund, dessen Namen ich nicht nennen darf.

Vor sieben Jahren verlor er seine Gattin, welche ihn samt dem kleinen Sohn untröstlich zurück ließ; doch schon ein Jahr später lernte er auf einer Reise durch die Provinz Africa15 die Tochter eines Kaufmanns aus Tunis kennen und lieben: Sie könnte als Schönheit gelten, wenn man sich an ihrer braunen Hautfarbe und den krausen Haaren nicht störte …

Er nahm sie mit nach Rom und heiratete sie; kein Mann der Welt hat jemals eine liebenswürdigere Frau gehabt als mein Freund, und übers Jahr schenkte sie ihn ein wunderschönes Kind, einen kleinen Jungen von ebenmäßigen Zügen und nur sanft getönter Haut; das Glück des Hauses schien alle Grenzen zu überspringen.

Mit dem ersten Sohn meines Freundes freilich schien sie sich von Anfang an nicht recht zu verstehen, obwohl er ein sehr liebes Kind ist, wenn auch durch einen Unfall leicht gehbehindert.

Seit aber ihr eigenes Kind das Licht der Welt erblickt hat, ist das Verhältnis der beiden noch schlechter geworden; zweimal hat man die Frau dabei beobachtet, wie sie den armen Kerl ohne jeden erkennbaren Grund schlug; das erste Mal vor genau einem Monat; beim zweiten Mal fiel sie sogar mit einem Stock über ihn her, was einen roten Striemen auf seinem Oberarm hinterließ.

Doch das alles war noch gar nichts, vergleichen mit dem, was sie dem eigenen Kind antat, einem süßen Jungen von gerade eben einem halben Jahr:

Vor wenigen Tagen war das Kind von der Amme16 alleine gelassen; ein lautes Kreischen rief sie zurück:

Als sie ins Zimmer stürzte, sah sie ihre Herrin über das Baby gebeugt und ihm offensichtlich in den Hals beißen; als sich die Mutter bei ihrem Tun entdeckt sah, verließ sie das Zimmer mit blutbesudeltem Mund fluchtartig.

Die Amme sah nach dem Hals des wie wahnsinnig schreienden Kleinen und entdeckte eine kleine Wunde, aus der noch immer das Blut heraus floss; das ganze Bettchen war voller Blutspritzer, ein Anblick, der den Betrachter mit Grauen erfüllte.

Die Kinderfrau war so entsetzt, dass sie sofort den Vater herbei rufen wollte, aber die zurückgekehrte Herrin flehte sie an, es nicht zu tun und reichte ihr fürs Schweigen fünf silberne Denare; eine Erklärung gab sie nicht ab, und die Angelegenheit schien fürs Erste erledigt, denn die Verletzung des Babys stellte sich aus unbedeutend heraus.

Trotzdem traute die Amme dem Frieden nicht und ließ die Herrin fortan nicht mehr aus den Augen; insbesondere wachte sie emsig über dem kleinen Schreihals und lag Tag und Nacht auf der Lauer, vor allem, wenn sich die seltsame Mutter dem Winzling näherte.

Lieber Herr Aemilius, das oben Geschilderte mag für Deine Ohren seltsam klingen, aber dennoch bitte ich Dich im Namen meines Freundes, die Angelegenheit ernst zu nehmen, denn das Leben des Kindes und der Verstand meines geschätzten Kameraden könnten davon abhänge; ich fahre fort:

Wenige Tage nur hielt die gute Kinderfrau dicht; dann ging sie zu meinem Freund, um ihm alles zu verraten; noch redete sie auf ihn ein, weil er es nicht glauben konnte, da ertönten aus dem Kinderzimmer grässliche Schreie. Beide stürmten wie von Sinnen hinein, und was sahen sie?

Der ältere Sohn verließ den Raum fluchtartig; sein Gesicht war von den Schlägen gezeichnet, die ihm doch wohl die Stiefmutter verabreicht hatte; Blut strömte ihm aus Mund und Nase:

Die junge Frau aber war über das Baby gebeugt und saugte hörbar an seinem Hals; dann spie sie das Blut mit einem wüsten Aufschrei über das Bett, so dass sich das gesamte Laken rot färbte; während sie sich dann mühsam erhob, das Gesicht voller Blut, da brüllte mein Freund sie schon an und fragte, was das zu bedeuten habe?

Sie aber ging unsicheren Schrittes hinaus, die Treppe hinauf, um sich in ihrem Zimmer einzuschließen; eine Erklärung für ihr grausiges Verhalten gab sie nicht; und sie lässt seitdem nur ihre schwarze Sklavin hinein, sonst niemanden.

Um weiteres Unheil abzuwenden, habe ich mich an die Kanzlei der Brüder Lupus & Lupus gewendet, welche mich an Dich, verehrter Herr Aemilius Paulus, verwiesen haben; erlaube mir, dem Schreiben sozusagen auf dem Fuße zu folgen und Dich unter der mir angegebenen Adresse aufzusuchen.

Bis dahin alles Gute! Es wäre schön, wenn mein Sokrates dabei wäre; er war mir ein guter Arzt und ist ein verständnisvoller Mann: M. Cornelius.«

»Nun, soweit, so gut«, sagte Rufus und gähnte herzhaft: »Mein Lieber, du hast dir sicherlich schon eine fundierte Meinung gebildet; was mich anbetrifft: Ein einfacher Fall; ein recht kleiner Fall; naturgemäß nichts Übernatürliches; eher etwas für Freund Galba von der Stadtwache; aber wenn ich schon sonst nichts zu tun habe, dann …«

Ich schüttelte verständnislos den Kopf, noch ganz von der blutrünstigen und grausigen Szene überwältigt; er aber legte nur Fingerspitzen auf Fingerspitzen und fragte:

»Kannst Du dich noch an Cornelius erinnern, deinen ehemaligen Patienten? Was weißt du über das genannte Bankhaus?«

»Lebhaft; auch schon aus unserer gemeinsamen Zeit bei der Armee; er begab sich vor etwa zehn Jahren in meine Obhut und ist dank meiner Hilfe wieder völlig gesundet; rein zufällig kenne ich die Gegend samt dem Geldinstitut; ich habe nämlich seitdem dort mein Konto, ein bevorzugtes Konto und kenne von daher sein Haus; gesehen habe ich Cornelius freilich in den letzten Jahren nicht mehr, denn er lässt alle Bankgeschäfte von seinen Adjutanten ausführen und lebt ziemlich zurückgezogen.«

»Gut, dann wirst du mir ein vorzüglicher Begleiter sein, wenn wir in Kürze samt dem Unglücklichen dort hin fahren, um ihm in Fragen Harpyien beizustehen; ich sage nur noch eben rasch meinem Kutscher Bescheid, dass er uns das Rösslein vor den Wagen spannt und dem Janitor, dass er Herrn Cornelius einlässt, denn er muss jeden Augenblick ankommen; dann werden wir sehen, was zu tun ist und wie ihm zu helfen ist…« – »…a-aber«, sagte ich zögerlich, »er hat sich doch nur für einen nicht genannten Freund eingesetzt …«

»Hihihi«, kicherte Rufus, rieb sich vergnügt die Hände und sah mir belustigt ins Gesicht:

»Was du nicht sagst, lieber Doktor: Natürlich ist es sein Fall; und weil er keinen Kürbiskopf17 hat, ziert er sich, diesen haarsträubenden Blödsinn mit seinem blutsaugenden Weib, dieser vorgeblichen Harpyie, auf die eigene Kappe zu nehmen und schiebt lieber einen nicht vorhandenen Dritten vor …

…doch ich höre ihn schon ungestüm an die Pforte klopfen; er hat einen knotigen Stock dabei, wie ich vernehme und zieht das eine Bein ein Wenig nach; ja, und jetzt hat er den Korridor hinter sich gelassen und steigt die Treppe herauf; er sollte sich mehr Bewegung verschaffen; trug er schon als dein Patient solche mit eisernen Nägeln beschlagene Calceï, der Herr Senator?«

Ehe ich noch antworten konnte und während mir wieder einfiel, dass Cornelius sich als junger schneidiger Tribunus18 unseres Kaisers beim Dakerkrieg19 durch einen Sturz vom Pferd eine Knieverletzung zugezogen hatte, die er zwar weitgehend, aber nicht vollständig auskurieren konnte, war er schon zu uns hinaus in den Garten gelangt; er erkannte mich auf der Stelle und rief noch ganz außer Atem:

»Salve, mein lieber guter Sokrates; salve, edler Lucius Aemilius Paulus!«

Rufus erhob sich, nickte ihm freundlich zu und sagte:

»Lieber Herr Senator, ich begrüße dich, in der Hoffnung, deine Gesundheit möge gut sein und erkläre mich bereit, diesen deinen seltsamen Fall zu übernehmen, den Fall deiner Frau; ich denke, das Problem ist leicht zu lösen und eine einfache Sache.«

Cornelius zuckte merklich zusammen und lief feuerrot an, als ihm Rufus auf den Kopf zugesagte, dass es sich um seine ureigenste Angelegenheit handelte und erwiderte nichts, wo er doch vorgegeben hatte, sich nur für einen Freund einzusetzen …

Ich hatte ihn als sportlichen jungen Mann in Erinnerung, einen schmucken Offizier des Kaisers und verwegenen Reiter, und es war für mich ernüchternd, jetzt dieses elende Wrack vor mir zu sehen, in welches er sich verwandelt hatte:

Seine Schultern waren herab gesunken, der einst so üppige Haarschopf gelichtet und von weißen Fäden durchzogen; das Gesicht, vor allem die Stirn von Falten durchzogen; dürre Arme; ein vorstehender Bauch; magere Waden unter der goldverbrämten Tunika hervor stechend …

Er muss mich auf der Stelle durchschaut haben, denn er sagte kichernd und wenigstens mit seiner alten Stimme:

»Mein lieber guter Doktor, wie der Mann, der mir damals wieder zur Gesundheit verholfen hat, siehst du auch nicht mehr aus; das ist der Zahn der Zeit, der an uns allen nagt …«

Dann wandte er sich Rufus zu:

»Wie ich deiner Antwort entnehmen kann, bin ich durchschaut, und es hat keinen Sinn mehr zu behaupten, ich verträte die Sache eines anderen.

Aber du kannst dir gewiss vorstellen, wie schwer es mir fällt, mit einem Dritten über meine Frau zu verhandeln, ihn zu bitten, gegen die eigene Frau zu ermitteln, oder sollte ich den Fall der Stadtwache vortragen? Ich kenne doch die Gesetze:

Irgendein blöder abergläubischer Richter wird sie wegen Hexerei zum Tode verurteilen, obwohl ich sie trotz allem liebe wie am ersten Tag: Und dennoch:

Meine beiden Kinder müssen vor ihr gerettet werden; darum geht es mir; ihr Vater war ein schwarzer Sklave; ihre Mutter eine Weiße, naturgemäß seine Herrin, und ich denke, es kocht der ganze Urwald in ihrem Blut.«

Er rang verzweifelt die Hände; Rufus blieb die Ruhe in Person, legte ihm den Arm über die zuckenden Schultern und sagte: »Dein Zustand, lieber Herr Cornelius, ist nur zu verständlich; lass uns hier in der lieblichen Kühle des Gartens zusammen setzen und über die leidige Angelegenheit beraten; und sei versichert, ich bin einer Lösung ganz nahe, falls ich den Fall nicht schon längst gelöst habe; gewiss ist deine Frau keine Harpyie; daran glaubt jetzt niemand mehr; alles wird seine natürliche Ursache haben.

Zunächst muss ich wissen, was genau du unternommen hast; ist deine Frau immer noch in der Nähe des Babys?«

»Nein, natürlich nicht! Wir hatten eine Szene des Irrsinns; ich habe sie angebrüllt wie ein Stier; und sie war bis ins Mark erschüttert darüber, dass ich ihrem grässlichen Geheimnis auf die Spur gekommen war:

Auf keine meiner Fragen, auf all meine Vorwürfe gab sie mir eine Antwort, sondern starrte mich nur mit einem wilden, verzweifelten Blick an; dann stürzte sie auf ihr Zimmer und schloss sich ein; nur ihre Zofe lässt sie ein, eine mollige Schwarze, die sie aus Africa mitgebracht hat, eher Freundin denn Sklavin; wir nennen sie Afra; sie versorgt meine Frau jetzt mit Speis und Trank.«

»Und das Baby, dein kleiner Sohn? Ist er jetzt außer Gefahr?«

»Ich denke, nicht: Die Kinderfrau hat geschworen, ihn nicht aus den Augen zu lassen, bis alles aufgeklärt ist, aber man kann ja nie wissen, was im Hirn meiner Frau vorgeht; große Sorgen macht mir hingegen mein älterer Sohn, mein Lucius; seit sie ihn zum zweiten Mal geschlagen hat, ist er ganz verstört.«

»Natürlich! Das dachte ich mir; und ich kann mir gut vorstellen, wie sie sich über ihn her machte: Hat er denn nennenswerte Blessuren davon getragen?«

»Nein; aber sie schlug ihm heftig ins Gesicht; und das ist in meinen Augen umso schändlicher und unverständlicher, weil er ja ein gehbehindertes Kind ist; ein Unfall in frühester Kindheit, lieber Herr Aemilius, aber im Herzen ist er gesund geblieben; kein Vater kann sich größerer Liebe seines Kindes erfreuen als ich.«

Ein Strahlen ging über das Gesicht des Senators; doch dann verfinsterte sich seine Miene wieder rasch, während Rufus den obigen Brief noch einmal rasch überflog:

»Ich muss vermuten, dass du deine Frau, wie man so sagt, vom Fleck weg geheiratet hast, ohne sie lange zu kennen.«

»Das ist richtig; ich kannte sie nur ein paar Tage, da war es auch schon um mich geschehen.«

»Und wie lange ist Afra schon um sie bemüht?«

»Einige Jahre; sie war schon ihr Kindermädchen.«

»Dann wird sie deine Frau besser kennen als du.«

Cornelius nickte stumm, und Rufus sagte dann:

»Wir sollten zu dir nach Hause fahren, um den Dingen an Ort und Stelle ins Auge zu sehen; ich denke, wir haben hier einen Fall, der aus bestimmten Gründen besser am Ort des Geschehens einer Lösung zugeführt werden sollte.

Unser gemeinsamer Freund hat mir die majestätische Größe deines Palastes beschrieben; ich denke, du kannst uns vorübergehend im Gästetrakt unterbringen, wenn sich wider Erwartung unser Aufenthalt in die Länge ziehen sollte; mein Kutscher hat das Rösslein schon eingespannt; komm, lass uns gehen!«

»Darauf hatte ich gehofft«, sagte Cornelius erleichtert und erhob sich schwerfällig; wir alle gingen dann gemeinsam in die Remise und zwängten uns auf die Bank des Einspänners, die eigentlich nur für zwei Passagiere vorgesehen war.

Britannus, der hierfür zuständige Diener meines Freundes, ließ die Peitsche knallen, und schon ging es auf und davon, mit ratternden Rädern über Roms holpriges Pflaster, und jedes Mal, wenn das kleine Gefährt in die Höhe hopste, stieß der Kutscher eine Kaskade von Flüchen aus, wie das so seine Art ist; während wir tüchtig durchgeschüttelt wurden, sagte Rufus:

»Deine Frau hat, wenn ich es richtig verstanden habe, beide Kinder misshandelt, wenn auch auf verschiedene Weise.«

»Ja, das hat sie«, antwortete Cornelius:

»Nun, wenn sie den Sohn aus deiner ersten Ehe traktiert, ist das leicht zu erklären; es ist nachträgliche Eifersucht! Bei Stiefmüttern kommt das vor; neigt deine Frau zur Eifersucht?«

»Oh ja! Sehr sogar! Kaum erträgt sie es, wenn wir uns mit der Sänfte durch Rom tragen lassen und sich meine Blicke zu einer luftig bekleideten Passantin verirren; sie ist in ihrer Eifersucht genau so heißblütig wie in ihrer Liebe.«

»Und dein Lucius? Er ist doch wohl schon über zehn Jahre alt; ich denke, er ist geistig voll auf der Höhe; manche derartige Kinder sind manchmal sogar weiter entwickelt als die sorglosen Spielkameraden; hat er dir denn nicht gesagt, warum ihn die böse Stiefmutter zweimal misshandelte, einmal nur mit dem Stock, einmal sogar mit der bloßen Hand?«

»Er schweigt wie das Grab.«

»Wie standen die beiden zueinander, bevor es zu den ominösen Ereignissen kam?«

»Schlecht, lieber Aemilius, sehr schlecht, von Anfang an.«

»Und dennoch sagst du, er sei ein besonders liebes Kind?!«

»Er hängt mit einer Zärtlichkeit an mir, die sich niemand vorstellen kann, der es nicht persönlich erlebt hat; mein Glück ist sein Glück; mein Leben ist sein Leben.«

Rufus nickte versonnen dazu; ein feines, irgendwie wehmütiges Lächeln huschte über sein scharfkantiges Gesicht; er war jetzt Mitte dreißig und hatte nie geheiratet; warum er nie geheiratet hatte, verriet er mir erst, als der Fall der zu Tode gehetzten Fabiola abgeschlossen war, und es sollte ihm ein bohrender Schmerz sein, selbst keinen Sohn zu haben; ich konnte das verstehen, denn mir erging es so, mir, dem zweimal verheirateten und nach kurzer Zeit wieder geschiedenen ewigen Junggesellen …

Rufus sah mir in die Augen und sagte:

»Bitte, bitte, jetzt nicht diese trübsinnigen Gedanken, lieber Doktor; darüber sprechen wir ein anderes Mal.«

Und dann zum Senator:

»Ganz gewiss warst du, mein lieber Cornelius, nachdem deine erste Frau gestorben war, mit dem Jungen ein Herz und eine Seele; du warst sein bester Spielkamerad; er war deine einzige Freude.«

»Ja, so war es«, sagte Cornelius.

»Und Lucius kann seine tote Mutter nicht vergessen; nicht wahr, er hängt immer noch an ihr?«

»In seinem Zimmer steht eine Büste aus Wachs20 von ihr; er betet sie geradezu an …«

»…eine letzte Frage, denn schon nähern wir uns dem Ziel: Fielen die Schläge der Stiefmutter zeitlich mit ihrem grässlichen, äh … Harpyien-Unwesen zusammen?«

»Das erste und dritte Mal schon; aber Lucius wurde dazwischen noch ein weiteres Mal von ihr misshandelt; ich vergaß es dir zu berichten; tut mir leid.«

»Nun«, sagte Rufus, »das macht die Sache für uns nicht gerade leichter, aber wir werden sehen.«

»Das verstehe ich nicht, Rufus«, sagte ich; er kicherte: