Privatdetektiv Rufus IV - M.G. Scultetus - E-Book

Privatdetektiv Rufus IV E-Book

M.G. Scultetus

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Beschreibung

Auch in seinem vierten Buch bringt Doktor Sokrates zwei Fälle unter, einen kürzeren und einen längeren, wie gehabt, bei denen er an der Seite von Lucius Aemilius Paulus, ob seiner roten Haare »Rufus« (der Fuchsrote / der Rotfuchs) genannt, stehen durfte; beide ereigneten sich im Sommer und Spätsommer eines nicht genannten Jahres unter der milden Herrschaft des Traianus: Herr der Frauen und Der Fall Romulus und Remus Sokrates macht Urlaub an der Küste bei Neapel; dort erlebt er einen faszinierend gut aussehenden Mann, dem die Frauen zu Füßen liegen; der nutzt das gnadenlos aus, um sie, wenn sie ihm das Geld vermacht haben, auf unheimliche Weise dazu zu bringen, sich das Leben zu nehmen; erst als er eine reiche Witwe in seine Gewalt bringt, greift Rufus ein; doch es ist nicht leicht, dem genialen Verbrecher beizukommen; Rufus kennt ihn schon lange und hat jedes Mal gegen ihn den Kürzeren gezogen; doch jetzt setzt ein atemberaubendes Wettrennen ein, bei dem es um Leben oder Tod geht ... Wenig später lungert Rufus lethargisch im Korbsessel herum, als ihn Marcellus und Galba um Mitarbeit bitten; der neue Fall spielt im Spätsommer auf den rund 30 km. der Via Appia südlich von Rom: Dort wurde bereits die vierte Anhalterin ermordet, am helllichten Tag, um nachts vor einem Revier der Stadtwache abgeladen zu werden; es gibt niemanden, der dem Phantom einen Namen geben könnte; kein Tatzeuge lässt sich auftreiben; jetzt ist der fünfte Mord geschehen, und Rufus, der mit den Männern der Stadtwache an einer Straßensperre steht, wird auf ein Brüderpaar aufmerksam: Sie sind in ihrer tödlichen Liebe und dem gegenseitigem Hass einander ähnlich geworden: Rufus nimmt seine Ermittlungen auf, die ihn zu einem Punkt führen, wo er seinen Beruf verflucht; zehn Tage, nachdem der Fall gelöst scheint, kommt es zu einer grausigen Überraschung, welche Sokrates die Haare empor spießen lässt; er hat sie in die letzten Zeilen seines vierten Buches gepackt.

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Seitenzahl: 357

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Prologus des Doktor Sokrates

Herr der Frauen

1.1 Unheimliches Erlebnis im Walde

1.2 Iuliolas Tod

1.3 Begebenheit in der Abenddämmerung

1.4 Der Felsen des Todes

1.5 Bei Rufus im Atrium

1.6 Mit Doktor Sokrates in der Stadt Antium

1.7 Zurück in Rom

1.8 Dem Heiligen Paulus auf der Spur

1.9 Nachwort des Doktor Sokrates

Romulus & Remus am 9. Tag vor den Kalenden des Oktobers

2.1 Vorbemerkungen des Verfassers

2.2 Via Appia, kurz nach Beginn der 1. Stunde

2.3 Landhaus abseits der Via Appia, Ende der 1. Stunde

2.4 Landhaus abseits der Via Appia; halb Drei

2.5 Landhaus abseits der Via Appia; kurz vor vier

2.6 Landhaus abseits der Via Appia; Beginn der 6. Stunde

2.7 Auf der Via Appia; Mitte der 7. Stunde

2.8 Im Landhaus; Beginn der 9. Stunde

2.9 Im Landhaus; Beginn der 10. Stunde

2.10 An der Via Appia und im Landhaus; 11. Stunde

Romulus und Remus am 8. Tag vor den Kalenden des Oktobers

3.1 In Aricia; während und nach der 2. Stunde

3.2 Im Landhaus; zu Beginn der 6. Stunde

3.3 Auf dem Rückweg; in der 7. Stunde

3.4 Im Landhaus; zu Beginn der 8. Stunde

3.5 Im Landhaus; in der 9. Stunde

3.6 Im Rufus‘ römischer Villa; Mitte der 10. Stunde

3.7 Im Landhaus; zur vierten Nachtstunde

Romulus und Remus am 7. Tag vor den Kalenden des Oktobers

4.1 Bei Rufus in der 5. Stunde

4.2 Im Landhaus; zu Beginn der 7. Stunde

Ein Nachspiel: Bei Rufus an den Kalenden des Oktobers

Zu diesem Buch

Prologus des Doktor Sokrates

Liebes Lesepublikum, liebe Freunde des bedeutenden römischen Verlagshauses ATTICUS, bei welchem zu publizieren ich die Ehre habe, dass mein Freund LUCIUS AEMILIUS PAULUS, ob seiner feurig roten Haare gewöhnlich »Rufus« (der Fuchsrote) genannt, über außergewöhnliche Gaben des Geistes verfügt, habe ich in den drei ersten, ihm gewidmeten Büchern bereits hinreichend dargelegt; und dem sei hier hinzu gefügt, dass er bei Weitem mehr Kriminalfälle löste, als ich es zu beschreiben vermag; da es sich aber in den meisten Fällen nur um – so er – simple Dinge wie gewöhnlichen Mord handelte, überließ er so gut wie immer den Ruhm der Aufklärung seinem Freund Galba, dem wackeren Hauptmann der römischen Stadtwache, welcher ihn stets über das aktuelle Geschehen informiert und hielt sich bescheiden im Hintergrund; was für Galba nüchterner Beruf und Broterwerb ist, betrachtet mein Rufus, den die Gunst unsere Herrschers Traianus1 reich gemacht hat, nämlich als Kunst …

Wenn er dann einen dieser seiner spektakulären Fälle gelöst hatte, versank er in tagelanger Lethargie; Stunde um Stunde konnte man ihm beim improvisierten Vortrag auf der Kithara lauschen, worin er es zu einer beachtlichen Meisterschaft gebracht hat, und in dieser Zeit war er jedem Gespräch abhold; so hockte ich denn stets stumm dabei und genoss seine sanft gezupften Melodien, bis er sich endlich dazu herab ließ, mir zuzuhören, wenn ich ihm einen seiner genial gelösten Fälle, bei dem ich ihm zur Seite stehen durfte und den ich gerade zu Papyrus gebracht hatte, vortragen wollte.

Das pflegte ihn zu erheitern und ins Leben zurück zu rufen; insbesondere freilich belächelte er meine Art, den Leser mit einer angeblich verwirrenden Abfolge des Geschehens in die Irre zu führen, statt daraus ein Lehrstück für künftige Meister seines Faches zu gestalten; dennoch hatte er im Regelfall nichts dagegen, wenn meine sogenannten Ergüsse publiziert wurden.

Die Angelegenheit, der ich mich im Folgenden widmen möchte, nahm ihren Anfang in Baiae, Roms berühmtem Kurort mit seinen heilsamen Schwefelbädern und dem herrlichen Strand, nördlich der alten Griechenstadt Neapolis gelegen:

Im eben diesem Winter nämlich, der auf den spektakulären Fall des Frauenmörders der Subura2 folgte, hatte ich mir einen zählebigen Husten samt ständig schmerzender Lunge zugezogen, was ich bis in den Frühsommer hinein verschleppte; dennoch blieb ich wider besseres Wissen in Roms Stickluft, um nur ja nicht von der Seite meines Freundes zu weichen, bis dieser endlich ein Machtwort sprach und mich zur Erholung ans Meer schickte; sämtliche Kosten für Hotel und Logis übernahm er aus eigener Kasse; es tat ihm gewiss nicht weh, denn seit er dem Cousin des Kaisers das Leben gerettet hatte, hätte er in seinem Palast im Argiletum3 in den Tag hinein leben können …

So machte ich mich denn – begleitet von seinen guten Wünschen – auf zur Kur an die See, um dort am noblen Strand und in der dahinter liegenden wilden Natur mitten in ein unheimliches Geschehen zu geraten, dessen grausiges Ende sich in Rom zutragen sollte:

Im ersten Teil der Ereignisse war ich ganz auf mich alleine gestellt; den zweiten erfuhr ich von Rufus; beim entscheidenden dritten war ich aktiv beteiligt; es ist die Geschichte um einen schönen Mann mit ungewöhnlichen Gaben, dem ich mich im ersten Teil meines Buches widmen werde.

Anschließend will ich mich einem spektakulären Geschehen widmen, welchem ich den Namen »Der Fall Romulus und Remus« gegeben habe: Dass es sich dabei um zwei in mörderischer Liebe einander zugetane Brüder handelt, sollte bereits aus der Überschrift ersichtlich sein; dennoch, geliebter Leser, wirst du einige Überraschungen erleben können, und auch das weibliche Geschlecht wird dabei nicht zu kurz kommen, sagt doch Rufus bei jeder Gelegenheit: »Investiga feminam!«4

1 Rufus hatte einem Cousin des künftigen Kaisers das Leben gerettet; nachzulesen in: »Rufus und das Drama um die bezaubernde Virginia«.

2 Verzeichnet im Band »Privatdetektiv Rufus und der Würger von Rom«.

3 Argiletum: Eine kleine Gasse in der City des antiken Roms am Forum, welche das vor Leben überbordende Stadtviertel der Subura flankierte.

4 Wörtlich: »Spüre die (in den Fall verwickelte) Frau auf!«

1. Herr der Frauen

1.1 Unheimliches Erlebnis im Walde

Ganz BAIAE scheint nur aus Hotels und Pensionen zu bestehen, zwischen denen hundert Gastwirte auf Kunden, Ärzte und ihre Helfer auf Patienten warten; dazwischen die unvermeidlichen Läden der Tonsores (Friseure) und von Säulenhallen umstandene Palaistrai (Sportplätze), wo sich die Nackedeis nach griechischer Art stählen, Männlein und Weiblein tageweise fein säuberlich getrennt von einander, ganz gleich ob beim Laufen, Springen, Diskuswerfen, Ringen, Boxen, dem Allkampf, Fechten oder gar unter empor zu stemmenden Gewichten ächzend, und zu jeder dieser gefürchteten Buden, die der besseren Ausprägung der Muskeln dienen, gehört natürlich eine Massageabteilung, aus der heraus meine Ohren, wenn ich vorüber schlenderte, mit zwei verschiedenen Geräuschen beleidigt und belästigt wurden, je nachdem, ob der Meister das unter ihm liegende rohe Fleisch mit hohler oder flacher Hand traktierte, während andere Kurgäste, denen Atemnot oder Hautekzeme zu schaffen machen, sich in den weltberühmten Grotten der kochend heißen Schwefelquellen die Seele aus dem Leib schwitzen …

Das in meinen Augen anziehendste Geschehen findet freilich am Sandstrand statt, wohin es mich Tag für Tag zog, denn dort flanieren die schönen Frauen, nur ein Nichts von Zweiteiler5 am Leib, welcher kaum das Nötigste bedeckt, um möglichst viele Herren am Angelhaken zappeln zu lassen, und manche der Damen wagen es sogar, diesen Fummel beiseite zu lassen, wenn sie sich als neue Venus in die brausenden Fluten zu stürzen:

Ich jedenfalls konnte mich an diesen Schönen kaum satt sehen; wie lange war es eigentlich schon her, dass ich ein Mädchen im Arm halten durfte und mit ihr? Jahre dünkten mir vergangen sein, und die eine einzige Nacht mit der entzückenden unglücklichen Fabiola6 war mir unvergesslich geblieben, ja, ich stellte jetzt fest, dass ich sie immer noch liebte und mich nach ihr sehnte, obwohl sie um Einiges älter als ich gewesen war und mich zu Gunsten eines anderen …

Die Entfernung von meinem Hotel ans Meer betrug ungefähr eine Meile (ca. 1, 5 km.), wenn ich der mit großen Steinplatten gepflasterten Landstraße folgte; aber es gab da eine Abkürzung, einen wenig begangenen Trampelpfad über einen dicht bewaldeten Hügel, den eine Gruppe bizarrer Felsen krönte, von deren oberstem man aus Schwindel erregender Höhe eine herrliche Aussicht über die gesamte Landschaft und hinaus auf die blaue See genießen konnte, sobald man die schroffe Klippe über eine vor Zeiten hinein gehauene Treppe erklommen hatte …

Über den oben genannten Pfad kehrte ich eines Abends nach Hause zurück, erschöpft von Sonne und Salz; es war später geworden als gewöhnlich, denn ich hatte die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen und eine der Nymphen angequatscht; eine ganz besonders Süße, die vollkommen nach meinem Geschmack geraten war: einen halben Kopf kleiner als ich und nicht mehr unbedingt schlank zu nennen; kaum über dreißig Jahre alt; schwarz geringelte Locken; oben herum und an den Hüften einigermaßen üppig ausgefallen und auch sonst nicht von schlechten Eltern; dazu sämtliche vier Rundungen in ein mindestens eine Nummer zu kleines Badekostüm gezwängt:

Sie hatte mir schon am Vortag eindeutig zweideutige Blicke zugeworfen und fand offenbar Gefallen an mir, obwohl ich bekanntlich von eher kleiner und gedrungener Statur bin und wenig Ähnlichkeit mit einem Adonis habe; vergnügt plaudernd flanierten wir an Strand, Arm in Arm oder stürzten uns jubelnd ins angenehm warme Wasser, wo sie mir um den Hals fiel, um mich abzuküssen und meinen Händen freies Spiel zu gewähren, wenn sie sich unter den störenden Stoff verirrten; schon nahm ich mir vor, sie auf mein Zimmer zu bugsieren, aber ach! Diese elende Frau Fortuna7 hatte es nicht gut mit mir gemeint …

Während die Sonne bereits tief über dem Horizont stand und das Wasser rosig schimmern ließ, trudelte eine Kutsche ein, der ein Herr entstieg, ein bärtiger zweiter Herkules, auch wenn er seine Keule vergessen hatte, so breit wie ein doppeltüriger Kleiderschrank, mit Pranken statt Händen und Armen so dick wie meine Oberschenkel; er ragte sechseinhalb Fuß (ca. 2 m.) empor, reckte und streckte sich noch zusätzlich, nahm mein Püppchen, welches ihm jubelnd entgegen eilte und, wie mir siedend heiß bewusst wurde, seine Frau war, am Patsch-Händchen; darauf warf er mir unter drohend zusammen gezogenen Augenbrauen einen verächtlichen Blick zu, ganz so, als wollte er sagen:

»Wenn ich wollte, du Zwerg da unten, dann könnte ich dich zwischen Daumen und Zeigefinger zerquetschen; also Pfoten weg von meiner Braut, wenn dir etwas am Leben liegt.«

Anschließend trug er seine Entzückende, als wäre sie leichter denn eine Feder, auf und davon und in die Kutsche hinein, während ich den Schwur leistete, mich fortan von der gefährlichen Frucht fern zu halten, den unsterblichen Göttern dankend, dass ich sie noch nicht gepflückt hatte, und schon war die Dämmerung herein gebrochen:

Hastig begab ich mich auf den Trampelpfad, um nur ja nicht zur Cena (Abendessen) zu spät zu kommen, denn mein Magen begann zu knurren; dann umfing mich der majestätische Säulenwald des Forstes mit seinem geheimnisvollen Wispern, entzog mich Raum und Zeit und ließ mich in seinen Bann geraten; ich dachte an den Philosophen Seneca, der einst schrieb, hier in der unendlichen Einsamkeit und Feierlichkeit des Waldes müsse man das Walten der Gottheit8 erkennen oder wenigstens erahnen, von welcher Sokrates, unser größter Denker und Vater der Philosophie, dereinst schon so oft gesprochen hatte.

Es war bereits dunkel geworden; gebrochen rieselte das bleiche Mondlicht durch die Zweige und ließ helle Flecken unstet über den grasigen Grund wandern; auf einmal hatte ich es nicht mehr eilig, ohne zu wissen, warum; ich schlenderte lässig voran und hockte mich schließlich müde auf den Stamm eines umgestürzten Baumes, um den darunter wimmelnden schwarzen Ameisen zuzusehen, die da in endlosem Zug knisternd auf ihren in den Boden gefrästen Bahnen daher eilten, auf und ab, manche mit erbeuteten Insekten in den Kieferzangen; scheinbar sinnlos strebten sie in beide Richtungen wie tausend Fahrzeuge einer belebten Fernstraße …

Noch rief ich mir Senecas eindrucksvolle Worte ins Gedächtnis, da drangen, ekelhaft störend, menschliche Laute in meine Ohren und zerrissen das feierliche Schweigen des Waldes: Es war das erregte Reden einer Frau und die gebietend sonore Stimme eines Mannes in den besten Jahren; dazwischen immer wieder ein klatschendes Geräusch, begleitet jedes Mal von einem schrillen Aufkreischen, als ob jemand heftig mit flacher Hand auf zartes Fleisch einschlüge:

Ich ließ meine Augen geradezu aus den Höhlen quellen, um etwas zu sehen und spähte in die in der Abendbriese sich räkelnden Umrisse der niederen Gehölze, ohne jemanden gewahren zu können; dann ertönten die Stimmen aus größerer Nähe und waren schließlich so nahe gekommen, dass ich verstehen konnte, was von den Unsichtbaren gesagt wurde; zunächst vernahm ich den Mann; zornig rief er:

»Wie kannst du es wagen, du niederes Geschöpf, du elendes Weib, das zu gehorchen hat, mir, deinem göttlichen Gebieter, zu drohen?! Du und deine elende Schwester! Ihr wisst ganz genau, dass ihr gegen mich nichts ausrichten könnt; versucht nur nicht, euch mir in den Weg zu stellen; anderen Falles werde ich dafür sorgen, dass ihr es bitter zu büßen habt.«

Wieder das hässlich klatschende Geräusch; die Frau heulte jämmerlich auf und sagte:

»Soll das etwa heißen, dass du uns umbringen willst, mich und meine Schwester?«

»Was ich mit euch vor habe, geht euch einen Dreck an; ich bin der Herr; ihr seid Sklaven und müsst euch unterordnen; ich habe das Recht, mit euch zu machen, was ich will, und wenn es an der Zeit ist zu sterben, werdet ihr sterben; es sollte eine Freude für euch sein, von meiner Hand getötet zu werden.«

Nach diesen Worten trat Stille ein, eine bedrückende Stille, während der ich weiterhin ins Finstere starrte, in der stummen Hoffnung, das seltsame Pärchen zu erspähen, denn ich fühlte mich dazu berufen, der Frau zur Seite zu stehen und dachte, dass ich mir als Lauscher an der Wand hier keine Vorwürfe machen müsste: Immerhin hatte der Mann ja offen zugegeben, dass er plante, die unbekannte Frau samt ihrer Schwester zu ermorden, und schon kurz darauf gewahrte ich sie auf dem schmalen Pfad, undeutlich und verschwommen zwischen den Baumriesen hindurch wandelnd:

Der Mann war auffällig groß, schlank und in eine dunkle Tunika9 gehüllt, die er mit einem weißen Strick in der Taille gegürtet hatte; die Frau war kleiner als er, eher von zierlicher Gestalt und trug ein leuchtend weißes Hemd; es hatte kurze Ärmel, reichte ihr bis zur Mitte der Oberschenkel und war in der auffällig engen Taille mit einem ledernen Band gegürtet:

»Das goldrichtige Gewand an einem so heißen Tag wie diesem«, dachte ich und bewunderte ihre Gestalt:

Langes dunkles Haar ringelte sich lose über Schultern und Rücken: Wie gerne hätte ich mir das Mädchen nun auch noch aus der Nähe angeschaut, denn im Ungewissen des Zwielichtes vermochte ich sie nicht näher einzuschätzen. – Und schon schritten, nein! schwebten sie gespenstisch an mir vorüber, Arm in Arm wie ein Liebespaar; da ich abseits des Weges im Schatten saß, konnten sie mich nicht bemerken; dennoch setzten sie ihr Gespräch nun so leise fort, dass ich nichts mehr verstehen konnte; schließlich ballte der Mann drohend die Fäuste; sie ließ sich zu seinen Füßen sinken und erhob flehentlich die Arme, die Hände mit auseinander gespreizten Fingern; es kam mir vor wie eine Szene aus dem Theater, während sie sich im gleißenden Licht eines Fleckens aus Mondlicht befanden und der Mann seine Blicke auf die vor ihm Kauernde richtete; ich sah seine Augen aufblitzen, während er in der hoch gereckten Hand einen Dolch zu schwingen schien, bereit, augenblicklich das um Schonung bittende Opfer nieder zu stechen.

Jetzt gab es für mich kein Halten mehr: Mit einem riesigen Satz sprang ich aus dem Schatten hervor, um ihm die Waffe zu entreißen, aber ich flog ins Leere und schlug längelang hin ins weiche Moos des Waldbodens, denn beide Gestalten hatten sich unter meinen Händen in Nichts aufgelöst.

Vom Grauen geschüttelt und wie verrückt sprang ich nun durchs Unterholz, um nach ihnen zu suchen, aber sie waren und blieben verschwunden; Stille, Todesstille, untermalt nur vom kaum wahrnehmbaren Säuseln des Windes und Rascheln der Blätter; mir fuhr es eiskalt durch alle Adern, und unter rasendem Hämmern des Herzens machte ich mich daran, den Rest des Weges, den Hügel entlang, zu stolpern; nie gekannte Gespensterfurcht folterte mich; schweißgebadet gelangte ich schließlich ins belebte Baiae zurück.

Die Cena meines Hotels war bereits in vollem Gange, aber ich brachte keinen Bissen hinunter; alle wunderten sich, wie bleich und zittrig ich war und dass ich, statt die Platte zu putzen, nur dem Wein zusprach, den ich freilich eimerweise in meinen trockenen Schlund kübelte, um mich anschließend einem Schlaf voller Alpträume zu überlassen: Was war geschehen? Hatte ich etwa den Verstand verloren?

1.2 Iuliolas Tod

Anderen Tages saßen wir Gäste in den bequemen Sesseln mit der runden Rückenlehne an einer langen Tafel einander gegenüber und nahmen das Ientaculum (Frühstück) ein; zu meiner rechten Seite hatte eine junge Frau Platz genommen, der ich zunächst nicht die geringste Beachtung schenkte; sie war kaum über Zwanzig, klein, pummelig, blässlich und unauffällig; das leichte langärmelige Gewand, das sie sich übergestreift hatte, war hoch geschlossen, ließ keine Einblicke zu und reichte ihr bis zu den Füßen hinab; das Mädchen war nicht mein Fall …

Während sie begann, sich dem Essen zu widmen, wehte eine weitere Frau herein; ich schätzte sie auf Mitte bis Ende Dreißig; sie steckte in einer schneeweißen ärmellosen Tunika, welche die harmonisch geraden Schultern zum größten Teil frei ließ; in der Wespentaille war der Fetzen mit einem rosaroten Gürtel zusammen gerafft, quoll über auffällig breite Hüften und glitt dann hinab bis zur Mitte der üppig ausgefallenen Oberschenkel; auch sonst war ihre Figur nicht von schlechten Eltern; die zierlichen Füße steckten in hellblauen Sandalen, deren Riemchen die elegant geschwungenen Waden fast bis hinauf zur Kniekehle umwanden und umschmeichelten; das dunkelblonde Haar hatte sie mit Hilfe eines von Glitzersteinchen besetzten blauen Bandes zur Krone aufgetürmt; so offenbarte sie ein hübsches Gesicht mit regelmäßigen Zügen: hoch gewölbte Stirn, feine gerade Nase, herzförmig vorgewölbte rote Lippen; die Wangen mit feinem Rosa geschminkt; kaum konnte ich die Augen von ihr los reißen, denn die Honigpuppe war nach meinen Geschmack …

Nach einem prüfenden Blick auf mich setzte sie sich der jüngeren Frau zur Rechten und begrüßte sie mit einem dahin geworfenen »gute Gesundheit, Schwesterlein«; der melodische Klang ihrer Stimme ließ mich in jähem Schrecken aufhorchen; ja, es war zweifellos eben diese Frau, welche in der vergangenen Nacht vor dem unheimlichen Mann gekniet und um Gnade gefleht hatte, nachdem er sie misshandelt hatte; ich erkannte jetzt auch rote Flecken überall da, wo ihre leuchtend weiße Haut nicht vom Kleid bedeckt war; jetzt saß sie leibhaftig mit mir und ihrer erheblich jüngeren Schwester am selben Tisch:

Kaum wagte ich es noch, zu ihr hinüber zu sehen, so unbehaglich fühlte ich mich, wenn ich an die nächtlichen Ereignisse im Walde dachte; ich fürchtete nämlich, als der Lauscher von gestern erkannt zu werden. Daher schlang ich hektisch ein mit Butter und Honig belegtes Brötchen hinunter und stürzte einen Becher Fruchtsaft hinterher, um mich eilig zu entfernen.

Während ich durch den Park schlenderte und mich dabei allmählich beruhigte, hörte ich einen Mann aus voller Brust und im schönsten Bariton10 einen aktuellen Gassenhauer schmettern; obgleich mir seine Stimme wie die eines geübten Sängers vorkam, empfand ich dabei unwillkürlich einen gewissen Abscheu oder Ekel, ohne begründen zu können, warum; der immer wiederkehrende Refrain lautete:

O, AMICA MEA, QUAM TU ES BELLISSIMA,

TAM ES, SCORTUM, MIHI INFIDELISSIMA11

Im tiefsten Inneren abgestoßen entfernte ich mich; als ich geraume Zeit später zum Hotel zurückkehrte, gewahrte ich meine beiden Damen samt einem gut aussehenden Mann von etwa vierzig Jahren in dunkelgrauer Tunika auf dem Balkon des Hauses stehen; gewiss war es der Unheimliche vom Walde; und neugierig, wie ich nun einmal bin, machte ich mich daran, über das seltsame Terzett so viel wie möglich zu erfahren, koste es, was es wolle, aber niemand konnte mir weiter helfen; so blieb das Geheimnis um die drei vorerst ein Geheimnis.

Wenig später begegnete ich ihnen im Park; ich sah sie von ferne und lenkte meine Schritte mit Bedacht in ihrer Richtung: Der Mann unterhielt sich offenbar ungezwungen mit den genannten Frauen, aber als das Knirschen des Kieses mein Nahen verriet, brach er das Gespräch ab und starrte mir entgegen: Sein Blick war offen, aber die Augen hatten etwas Brennendes, welchem ich nicht recht standhalten konnte und das mich mit Abscheu erfüllte, vielleicht sogar mit Furcht.

Kaum wollte ich auf die drei zu schlendern, so tuend, als wäre alles nur ein Zufall, verschwanden sie so plötzlich, dass ich mich nicht genug darüber verwundern konnte; als ich aber zu der Stelle gelangte, wo ich sie hatte stehen sehen, gewahrte ich einen winzigen Laubengang abzweigen, durch den sie sich meiner Zudringlichkeit entzogen hatten; von ferne sah ich sie dann die Freitreppe zum Portal meines Hotels empor steigen, welches sie verschlang und vor meinen Blicken verbarg.

Vorsichtig erkundigte ich mich beim Besitzer des Hauses samt seiner Frau nach ihnen und erfuhr, was ich ohnehin schon wusste und dazu noch einiges mehr: Die Schwestern hießen Iulia12 und Iuliola; sie waren Waisen, hörte ich, seit ihre Eltern bei einem Schiffsuntergang ums Leben gekommen waren, wobei sie selbst in einer Nuss-Schale von Rettungsboot überlebt hatten, aber erst nach drei entsetzlichen Tagen von einem vorüber fahrenden Frachter aufgenommen wurden:

Gaius Cornelius, ein entfernter Verwandter, habe sich dann auf liebevolle Weise der armen Kusinen angenommen und sie hierher gebracht, damit sie sich vom ausgestandenen Schrecken erholen könnten; gewiss sei er ein herzensguter Mensch und stelle das mit seiner rührenden Fürsorge Tag für Tag eindrucksvoll unter Beweis.

Mich konnte das nicht überzeugen; das Geschehen im finsteren Wald stand dem entgegen; und so beschloss ich, sie so oft wie möglich zu beobachten; dabei begegnete ich ihnen immer einmal wieder, teils nur zu dritt, teils in Begleitung anderer Gäste des Hauses: Mit Spaziergängen und Baden sowohl in Baiaes berühmten Schwefelquellen als auch am Strand vertrieben sie sich die Langeweile, und je öfter ich Iulia von ferne am Strand flanieren sah, Hand in Hand mit Gaius, desto heftiger verliebte ich mich in sie; das unheimliche nächtliche Ereignis hatte ich bald verdrängt und nahm mir vor, mich an die Süße heran zu machen; aber wie nur?

Immer waren Gaius und die wirklich unansehnliche Iuliola an ihrer Seite; daher blieb es bei der flüchtigen Bekanntschaft, wenn ich mich den dreien hin und wieder bei einem Spaziergang anschließen durfte; so verflog der Monat Iunius und der Iulius kam mit seiner sengenden Hitze übers Land geweht, als es wie Jupiters Blitz und Donner über mich kam: Es war Iuliolas plötzlicher und unerwarteter Tod!

Ein riesiges Geschrei hatte mich bei Morgengrauen aus allen Träumen gerissen; man rief nach einem Arzt; ein Sklave klopfte bei mir an; ich öffnete; er sagte, man benötige dringend einen Doktor, und wie er erfahren habe, sei ich einer; es gehe um Leben und Tod; ob ich mich beeilen könnte?

Ich schlüpfte in die erstbeste Tunika und rannte hinter ihm her; rasch gelangten wir zum gemeinsamen Zimmer der beiden Mädchen; Iulia beugte sich schreckensbleich über das Lager der Schwester; im Hintergrund stand düster und starr Gaius Cornelius und blickte zu Boden; jetzt war ich beim Bett angekommen; Iuliola lag darauf und zuckte mit allen Gliedern; ich fühlte den Puls; er spielte verrückt, um dann abzuebben; das Mädchen verdrehte die Augen, dass nur noch das Weiße zu sehen war und hörte auf zu atmen; ich legte mein linkes Ohr an ihre Brust: Das Herz schlug nicht mehr; sie war tot; Iulia schrie zu Gaius:

»Du warst es; du hast sie umgebracht!«

»Jetzt ist sie verrückt geworden«, sagte Cornelius mit größter Gelassenheit und ging auf sie zu, um sie starr anzublicken; sie wich Schritt um Schritt vor ihm zurück und ließ die Hand, welche sie gegen ihn erhoben hatte, herab sinken; ihr Blick verschleierte sich; die Augen waren geweitet vor Grauen; dann sanken ihr die Lider herab, und sie blickte zu Boden, kalkweiß im Gesicht, ja, fast schon wie eine lebende Tote.

Der Mann trat an sie heran und legte ihr den rechten Arm über die Schultern; sie brach in wildes Weinen aus und klammerte sich an ihn wie ein Kind an die Mutter; er lächelte leise dazu, aber es war ein triumphierendes Lächeln, ein schiefes Lächeln, das mich höchst unangenehm berührte; dann zog er sie mit sich und führte sie sanft aus dem Sterbezimmer hinaus, um sie an einem anderen Ort unterzubringen; ich sah ihnen hinterher, und wiederum wollten mir die beiden wie ein altes Liebespaar vorkommen, meine Angebetete und der Unheimliche.

Kurz darauf sprach ein weiterer Arzt vor, der zusammen mit einem Mann der Stadtwache gekommen war; gemeinsam untersuchten wir die Leiche, nur um festzustellen, dass die kleine Mollige am Herzschlag gestorben war; den Grund dafür, welchen ich erahnte, behielt ich bei mir, um mich vor dem nüchternen Kollegen nicht lächerlich zu machen; ferner verschwieg ich aus gutem Grunde das Abenteuer im Wald; Rufus sagte mir später, er hätte an meiner Stelle auch nicht anders gehandelt, und dennoch: Wie ich den Freund vermisste! Mit seinen überragenden Gaben hätte er dem Unheil vielleicht Einhalt bieten und so eine zweite Tragödie verhindern können …

Auch die Ehefrau des Hotelbesitzers verwendete sich für Cornelius und sagte, die Kleine, um die sich Gaius rührend gekümmert habe, sei von auffälliger Herzschwäche und auch sonst von weniger gutem Gesundheitszustand gewesen:

Da Iuliola keine Verwandten mehr hatte, fand eine unauffällige Trauerfeier statt, der ich als Zaungast beiwohnte, um mit anzusehen, wie ihre sterblichen Überreste auf einem schlichten Scheiterhaufen eingeäschert und anschließend in einer Urne untergebracht wurden; ihre letzte Ruhe fand die Verstorbene dann auf dem Friedhof von Baiae, wo sie Cornelius unter dem blühenden Rasen beisetzen ließ.

Meine schmerzliche Erwartung, er würde nun samt Iulia abreisen, bestätigte sich nicht; die beiden blieben im Hotel, um das alte Lotterleben13 wieder aufzunehmen, und neu Angekommene mussten sie für ein Liebes- oder Ehepaar halten, während ich mich da besser auskannte und sie weiterhin unter Beobachtung hielt, bis es mir gelang, sie erneut zu belauschen:

1.3 Begebenheit in der Abenddämmerung

Zehn Tage nach Iuliolas Tod – die Dämmerung war bereits herein gebrochen – trat ich in die mir entgegen schlagende Wärme der Terrasse hinaus, um mir meinen Homeros zu holen, den ich dort auf dem Tisch hatte liegen lassen; kaum hatte ich die Buchrolle an mich genommen, da vernahm ich aus dem angrenzenden Gesträuch ein Wispern und spitzte die Ohren:

Im tiefen Schatten eines Baumes – also kaum erkennbar – schritt Gaius Cornelius ungeduldig hin und her und hielt flüsternd Selbstgespräche; mir wollte er dabei so vorkommen wie der Tiger hinter dem Gitter; ich kauerte mich tief in die Rundung der Lehne eines mächtigen Sessels und harrte der Dinge, die da kommen würden, und da nahte sie, sie, meine angebetete Iulia, leichtfüßig und barfuß kam sie daher geschritten, den Venuskörper in einen Hauch von Seide gehüllt, der ihr kaum über das Gesäß hinab reichte, die Schultern vollkommen frei; das Haar rieselte ungekünstelt über den Rücken hinab; eine silberne Kette hing ihr am Hals; drei silberne Armreifen sowie ein feines Fußkettchen am linken Knöchel ließen melodisches Klimpern ertönen, während sie schwerelos daher tänzelte, und ich vergaß vor lauter Wonne, dass sie bereits ein Alter erreicht hatte, das man höchstens noch als Mitte des Lebens bezeichnen kann.

Dann stand sie im Zwielicht vor ihm, vor Gaius Cornelius, und sah zu ihm auf: Sanft und tastend legte er ihr die Hände auf die weiß aufleuchtenden Schultern, ließ sie von dort aus abwärts gleiten, löste die Schleife des Bandes, das durch den oberen Saum der Tunika gezogen war und schob das Kleid abwärts, bis es auf ihren Hüften ruhte und begann damit, sie zu liebkosen und abzuschlecken; dann presste er sie an sich; wilde Küsse wurden ausgetauscht; oh, wie ich ihn beneidete!

Aber durfte ich dem unschuldigen Spiel dieses verliebten Paares zusehen? War das mit meinen Grundsätzen vereinbar? Schon wollte ich mich erheben, wollte mich in aller Stille zurück ziehen, um den beiden jedwede Peinlichkeit zu ersparen, als Iulia zu sprechen begann, leise, mit melodischer aber flatternder Stimme, und der schroffe Gegensatz zwischen ihrer Haltung als seine hingebungsvolle Geliebte und ihren Worten konnte nicht größer sein; sie flüsterte laut:

»Gaius, nun wirst du auch mich umbringen, so wie du meine Schwester umgebracht hast; ich kenne deine Macht über mich und gebe mich geschlagen; eine Bitte nur noch habe ich: Tue es bald, möglichst bald und quäle mich nicht weiter!«

Cornelius erwiderte nichts darauf und entließ sie aus der Umarmung; hastig zog sie sich das Kleid nach oben, ohne in der Eile das Band zu verknoten; eine Weile noch standen sie schweigend einander gegenüber, wie eine Gruppe, die der Künstler aus Erz gegossen hat, dann drehte er sich um und verschwand lautlos in der herein brechenden Nacht.

Ich verharrte, von grausigen Vorahnungen erfüllt, im Sessel und vernahm bald, aus großer Ferne kommend und dennoch ganz nahe, den herrlichen Bariton des unheimlichen Mannes; er sang ein wildes Lied aus einem fernen Land, das von Wesen bevölkert ist, die sich der Schwarzen Magie verschrieben haben, und jede einzelne Strophe endete in einem Refrain wie ein gellender Aufschrei, der mir Seele und Nerven erschütterte:

FEMINIS BELLISSIMIS SEMPER AMANDUM14

FEMINIS MUNDI BELLISSIMIS MORIENDUM

Ich war fasziniert, aber als die Melodie verklungen und vom Abendhauch verweht war, überwand ich meine Scheu, erhob mich und schritt energisch auf den Baum zu, unter welchem mein entzückendes Mädchen, mir den Rücken zuwendend, wie festgewachsen verharrte.

Als sie meine Schritte hörte, drehte sie sich um und starrte mich aus weit aufgerissenen Augen an, als befürchtete sie, ich könnte ihr etwas antun; dabei atmete sie hörbar hektisch ein und aus, so dass sich ihre Brust jedes Mal sichtlich hob und senkte; dabei baumelten ihr die Arme schlaff an den Seiten, und schon befürchtete ich, sie könnte die Flucht vor mir ergreifen, als ich betont freundlich zu ihr sagte:

»Mein süßes wunderschönes Mädchen, bitte, sage mir, warum dieser Mann solche Macht über dich hat und wer er ist! Wie du ja weißt, bin ich Arzt und nehme mir jederzeit das Recht, Menschen, welche in Not sind, zu helfen; als Mann habe ich sogar die Pflicht, einer bedrängten Frau zur Seite zu stehen; also, was ist mit dir? Was ist mit ihm?«

Sie vernahm meine Worte teilnahmslos und allem Anschein nach, ohne mir überhaupt zuzuhören; mit geschlossenen Augen flüsterte sie schließlich:

»Vielen, vielen Dank, lieber Doktor! Aber mir kann niemand mehr helfen; mit mir ist es aus; alles ist aus; es ist zu spät; um mich ist es geschehen; ich warte auf den Tod, das ist alles; ja, ich sehne mich nach dem Tod.«

Ich nahm sie in den Arm; willenlos ließ sie es über sich ergehen, ohne die geringste Regung zu zeigen; ich küsste sie vorsichtig auf die kalten Lippen und fühlte dabei ihren Körper durch den hauchfeinen Stoff hindurch; er war steif und ähnelte einer marmornen Statue; feuchte Kälte griff auf mich über; es war, wie wenn man eine lebende Leiche umarmt; mir fröstelte, und die Haare auf dem Kopf wollten sich senkrecht stellen vor unerhörtem Grausen:

»Hör zu, meine Honigpuppe,15 du Süße«, sagte ich beinahe heiser, »es muss etwas geschehen; du musst dich aufraffen; du musst dich aus seinen Klauen befreien; wenn ich dich recht verstanden habe, beschuldigst du ihn, deine Schwester ermordet zu haben und dass er jetzt auch noch deinen Tod plane; ich glaube dir; es ist wahr, was du sagst; daher vertraue dich mir an, und alles wird werden!«

Sie blickte nur stumm und teilnahmslos zu mir auf; ich überwand jetzt jede Scheu, die mich noch zurück gehalten hatte; was er durfte, stand mir schon lange zu: Ich beugte mich zu ihr hinab, um sie zu küssen, und sie erwiderte doch tatsächlich meinen Kuss, mit weiterhin schlaff herab hängenden Armen allerdings, ganz im Gegensatz zu meinen herzhaft zupackenden Händen, und ihr feuchtkalter Kuss wollte mir wie das Werk eines Automaten vorkommen; dann drehte sie leise schluchzend den Kopf zur Seite; ein paar Tränen perlten silbrig im Schein des aufgehenden Mondes ins Gras hinunter; ich nahm das Wort und sagte, so sanft ich es nur vermochte:

»Willst du mir jetzt nicht endlich verraten, geliebtes Mädchen, was dir auf der Seele liegt?«

»Es gibt nichts zu berichten, überhaupt nichts«, sagte sie seufzend, »und wenn es etwas gäbe, so offenbarte ich es nicht. Gaius hat sich gerade von mir verabschiedet; er ist für mindestens zehn Tage nach Rom gereist, ohne mir zu verraten, was er dort will; er hat kein Vertrauen zu mir; wenn er dort seine Angelegenheiten geregelt hat, wird er mich abholen, und wir werden in ein fernes Land ziehen; vergiss dann, dass du jemals eine Iulia kanntest; vergiss mich! Und sollte dir irgend etwas an meinem Gaius verdächtig vorgekommen sein, so schweige darüber; für dieses Schweigen wäre ich dir unendlich dankbar.«

»Das ist unmöglich, das kann nicht sein, das darf nicht sein«, entgegnete ich ziemlich heftig, in der Überzeugung, sie damit doch noch umstimmen zu können, »du hast Gaius Cornelius des Mordes an deiner Schwester bezichtigt; du hast gesagt, er wolle und werde auch dich umbringen; ich habe es mit eigenen Ohren gehört und nur dir zuliebe darüber geschwiegen; jetzt aber sehe ich mich genötigt, die Angelegenheit der Stadtwache anzuvertrauen; sie werden den Mann festnehmen und verhören; und dann werden wir ja sehen!«

Meine Worte machten größten Eindruck auf die Süße, aber einen ganz anderen, als ich es erwartet hatte; sie zischte nun mit wütend zusammen gebissenen Zähnen:

»Mische dich gefälligst nicht in die Dinge anderer Leute ein, die dich nichts angehen! Was zwischen Gaius und mir ist, geht dich einen feuchten Dreck an; es ist meine Sache, wen ich liebe und wen nicht; und eines merke dir: Gaius ist mein Ein und Alles; selbst du solltest bemerkt haben, dass ihm kein anderer das Wasser reichen kann.«

Ich entgegnete ihr:

»Wenn es um Mord und Totschlag geht, hat sich jeder freie Bürger unseres freien Landes darum zu kümmern; das geht jeden etwas an; aber mir will es scheinen, dass dir der Tod der jüngeren Schwester nicht allzu sehr zu Herzen geht; anscheinend hast du sie nicht geliebt und ihren Tod unberührt hingenommen; vielleicht war sie ja deine Rivalin.«

»Unsinn!«, rief sie empört, »niemand hat Iuliola mehr geliebt als ich; sie war noch so jung; sie war im heiratsfähigen Alter und hätte noch Mutter werden können, ganz im Unterschied zu mir alter Jungfer; mit meinen achtunddreißig Jahren bin ich zu alt dafür«, log sie verbittert, wie ich aber erst später erfuhr, denn sie war dreiundvierzig; und sie wütete weiter:

»Aber noch viel mehr, als ich die Schwester liebte, liebe ich meinen Gaius, und wenn er mich schlägt, genieße ich das; wenn du unser süßes schauriges Geheimnis belauscht hast, solltest du dich dafür schämen und keinen Gebrauch davon machen; ich werde alles abstreiten; wenn dann Aussage gegen Aussage steht, wirst du sehen, dass man mir eher als dir Glauben schenkt, und du wirst wegen Falschaussage Strafe zahlen; willst du das oder ist dir der andere Weg lieber?«

Sie lächelte mich jetzt schmeichlerisch bittend an, blickte mit leicht geöffneten Lippen zu mir auf und schlang beide Hände um meinen Nacken, während ihr das lose Kleid um eine ganze Handbreit nach unten rutschte, um auf der Landschaft der beiden Hügel Halt zu suchen:

»Nicht wahr«, flüsterte sie melodisch, »du wirst mir nie wieder Schwierigkeiten machen?! Lass uns einen Spaziergang durch den nächtlichen Park unternehmen; und Gaius wird nichts erfahren; er ist längst mit der Kutsche nach Rom unterwegs; er müsse irgend eine Erbschaft entfernt Verwandter regeln, sagte er mir noch zum Abschied.«

»Nur zu gerne will ich deinem Wunsch nachkommen«, sagte ich, während mich eine Woge des Glückes überrollte; dann legte ich ihr den rechten Arm über die zarte Schulter, während sie ihre linke Hand auf meiner Hüfte ruhen ließ, und schon stolzierten wir einträchtig unter den alten Bäumen hindurch und über eine vom Licht des Mondes überglänzte Wiese hinaus; ihr Sinneswandel schien mir ebenso unglaublich wie glückhaft zu sein, denn es war im Grunde ungeheuerlich, dass sie den Mann, von dem sie gerade erst vorgegeben hatte, ihn grenzenlos und abgöttisch zu lieben, so rasch vergessen konnte; mir freilich bereitete das vorerst noch kein schlechtes Gewissen, und ich beschloss, die reife Frucht zu pflücken, sobald es ging:

Als wir uns weit genug vom Hotel entfernt hatten und unter eine weit ausladende Eiche gelangt waren, schob sie das Gewand über die Hüften und ließ es fallen, um aus dem leuchtend weißen Fleck heraus zu steigen und sich mir an den Hals zu werfen; ihr im bleichen Licht des Mondes schimmernder Venuskörper dünkte mir das Schönste auf der Welt zu sein, was ich jemals gesehen hatte, und nur Frau Luna16 war anfangs Zeuge bei dem, das dann geschehen sollte und nicht geschah: Denn bevor wir uns noch … ließ sie das Kichern eines im Gebüsch verborgen lauernden Jungen wieder ins Kleid fahren; hastig gingen wir durch den Park zur Herberge zurück, Hand in Hand: Vielleicht war es ja gut gewesen, dass sich zwischen uns nicht das, wovon ich vielleicht träumte, ereignet hatte und wir sozusagen unverrichteter Dinge nach Hause kamen:

Bevor wir von einander schieden, um zu später Stunde unsere Zimmer aufzusuchen, vereinbarten wir noch, uns am nächsten Tag am Strand von Baiae wieder zu sehen: Sie kenne da eine winzige Insel weit draußen im Meer, zu der wir hinüber rudern könnten, um uns dort wie die Menschen im Goldenen Zeitalter17 zu tummeln: Zögerlich gab ich ihr meine Zustimmung, obwohl mich der Gedanke folterte, dass sie diesen Platz schon kannte und ganz gewiss mit ihrem Gaius aufgesucht hatte …

Auf dem Zimmer angekommen, meldeten sich meine üblichen Skrupel: Hatte ich das Recht, diesem Cornelius die Braut auszuspannen, auch wenn er ein Dreckskerl war? Durfte ich mir nehmen, was mir nicht gebührte? War ich nicht wie der Mann, über den einst ein Weiser spöttisch gesagt hatte, dieser finde die Untreue der Frauen immer dann besonders reizvoll, wenn es nicht die eigene Frau sei?

»Ach was!«, sagte ich, mich selbst in Schutz nehmend, »dieser Gaius Cornelius ist ein Schuft, vielleicht sogar ein Mörder; geschieht ihm doch recht! Und warum hat er seine Süße denn nicht nach Rom mitgenommen? Ganz gewiss, weil er es da mit einer anderen hat. Selber schuld, wenn er die Honigpuppe unbewacht zurück lässt; was meine Iulia macht, tun doch alle Frauen; sic faciunt totae!«18

Mit solchem Selbstgespräch entschuldigte ich beredt meine wenig ehrenvollen Absichten und konnte vor Sehnsucht nach der Geliebten kaum eine Stunde Schlaf finden; noch nie, so dünkte es mir in der Verblendung, welche die Götter über mich geworfen hatten, war ich so verliebt gewesen wie damals.

Der nächste Tag brachte freilich einiges an grauer Ernüchterung und Enttäuschung mit sich, nachdem wir uns am Strande Baiaes wiedersahen; die Wirtin, welcher meine Glücksgefühle nicht verborgen geblieben waren, falls der freche Junge nicht auch noch gequatscht hatte, bereitete mich kurz nach den Frühstück auf die ihr eigene einfühlsame Weise auf all das vor, was da kommen sollte, sagend, dass dieses angejahrte Flittchen schon zweiundvierzig oder dreiundvierzig Jahre auf dem Buckel habe, was ich vorsichtig auf einundvierzig reduzierte, um zu retten, was nicht mehr zu retten war, und dennoch, so die Wirtin garstig, könne sie von Männern nicht genug bekommen …

Von ferne schon winkte sie mir zu, als sie mich zum Strand eilen sah, und ich stürmte ihr entgegen: Sie war in ein hoch geschlossenes hellblaues Seidenkleid mit langen Ärmeln gehüllt und trug die Stange einer blau-weiß gestreiften Umbrella19 in Händen, um sich vor den giftigen Strahlen der Sonne zu schützen; wir küssten einander nur flüchtig, denn es fehlte nicht an neugierigen Zeugen, um dann im bereit liegenden Boot Platz zu nehmen; ich nahm die Ruder zur Hand, und auf ging es, hinüber zum grünen Punkt am blauen Horizont.

Schweißüberströmt vom anstrengenden Rudern dort angekommen, fand ich einen makellosen Strand vor, auf dem wir uns niederließen; Iulia hatte vorsorglich eine Decke mitgebracht; meiner Süßen blieb freilich nicht verborgen, wie riesig meine Enttäuschung war, als sie sich aus dem Kleid geschält hatte, mein Entsetzen, sie jetzt im unbarmherzig grellen Licht der Sonne so sehen zu müssen, wie sie nun einmal war:

Ihr dunkelblondes Haar durchzogen weiße Fäden; Stirn und Gesicht waren von feinen Linien gezeichnet; die Lippen irgendwie rissig; Arme und Schenkel weich und wellig, die Folge eines allzu üppigen Lebens; der zu weit vorstehende Bauch ließ seitliche Röllchen erkennen; die Brüste herab gesunken:

Ja, der Mondschein hatte mich zum Narren gehalten, mich, den Griechen und selbsternannten Kenner der Frauen, der ich kaum über dreißig Jahre alt war, und Iulia merkte mir sofort an, was ich dachte: Wir hockten fortan missmutig schweigend im heißen Sand, und als ich ihr tröstlich den Arm über die bloße Schulter legen wollte, zuckte sie schmerzlich zusammen, streifte ihn herunter und ließ den Tränen freien Lauf; dennoch war bei mir, wie es schien, kein echtes Gefühl mehr für sie vorhanden; nicht einmal Mitleid wollte sich regen, und ich werde mich den Rest des Lebens für meine ursprünglichen Wünsche schämen; von nun an war unser Verhältnis ein rein freundschaftliches, ein platonisches, und von all dem, was geschehen war, schwiegen wir, denn es war uns peinlich.

Um so häufiger gingen wir dafür durch den einsamen Wald und philosophierten; was uns der Körper versagt hatte, gab uns die Seele zurück, und nicht selten stiegen wir dabei über die hinein gehauene Treppe auf den genannten Felsen hinauf, um die Blicke über der Landschaft schweifen zu lassen; Iulia war eine gebildete und kluge Frau; wäre sie zehn Jahre jünger gewesen, hätte ich mich vor ihr hingekniet und ihr einen Heiratsantrag gemacht; von Ferne erinnerte sie mich an meine entzückende Fabiola, ohne mich über den unendlichen Verlust20 hinweg trösten zu können, und erst jetzt wurde mir mit jähem Schrecken gewiss, dass ich nach einem Ersatz für das verlorene Glück gesucht hatte, einen Ersatz, den es nicht geben konnte …

1.4 Der Felsen des Todes

Wieder einmal waren wir unterwegs; über eine hölzerne Brücke ging es hinein in den grünen Wald und auf dem sich daher schlängelnden Pfad bis hin zum genannten Adlerhorst, dieser schroffen Klippe, die sich über die Wipfel der uralten Bäume empor reckte; bald standen wir oben in Schwindel erregender Höhe, um den langsam übers Land kriechenden Schatten des herein brechenden Abends zuzusehen, da kam er, da kam Gaius Cornelius zu uns herauf gestiefelt; ihm zur Seite ein Mann, der unverkennbar zur Stadtwache gehörte:

Noch nie hatte ich ihn bei Tageslicht gesehen, einmal abgesehen von der Szene bei Iuliolas Tod, als ich aber kaum Zeit fand, ihn zu mustern; die beiden anderen Male war ich bekanntlich nachts auf ihn gestoßen; so will ich ihn, bevor ich zu den Ereignissen übergehe, dir, lieber Leser, gründlich beschreiben:

Denke Dir einen breitschultrigen Mann von gut fünf Fuß (ca. 1, 85 m.) Größe; sein markantes Gesicht ist von einem lockigen pechschwarzen Haargebirge überwölbt; feste Augenbrauen, unter denen düster glimmende Augen drohend hervor blinkten; griechisch anmutende Nase21 über einem sinnlichen Mund: