Rufilla - M.G. Scultetus - E-Book

Rufilla E-Book

M.G. Scultetus

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Beschreibung

Eine immer noch junge oder zumindest jung gebliebene Frau aus dem mittleren Britannien namens Iulia Agricola berichtet uns über die dramatischsten Begebenheiten ihres Lebens, die sich binnen weniger Tage abspielten: Nach einer Kindheit ohne Mutter und dem tragischen Verlust ihrer Jugendliebe - sie war damals erst fünfzehn Jahre alt - sind inzwischen einsame öde und fade fünfzehn Jahre vergangen, und immer noch sehnt sie sich nach dem Mann des Lebens, nach der großen Liebe, doch obwohl sie mit ihrem langen roten Haar und den Sommersprossen - daher ihr Spitzname Rufilla - die Fuchsrote - eine aparte, wenn auch herbe und rein individuelle Schönheit ist, machen die Männer einen Bogen um sie, denn man sagt ihr nach, eine Unglücksprophetin zu sein und nennt sie die Rote Hexe von Londinium, die man am liebsten auf dem Scheiterhaufen verbrennen oder ans Kreuz hängen möchte ... Als ihr Vater, früh verwitweter Bauer und strenger Priester der wenigen Christen in der Gegend nördlich der Themse, die Geduld mit ihr verliert, schickt er sie übers Meer zu entfernten Verwandten als Erzieherin nach Karthago, das man heute noch als Ruinenstätte am Rande des ebenso alten Tunis findet. Dort gerät sie in einen dramatischen, alles verschlingenden Strudel der Geschehnisse, und ihr Leben mündet unaufhaltsam in neue Bahnen: Rufilla verliebt sich nämlich in einen Jüngling, den schönsten weit und breit und fordert damit die mörderische Rivalität der ob ihrer makellosen Gestalt allenthalben bewunderten und darob von ihr heiß beneideten Iunia heraus. Es kommt dann, wie es kommen muss, zu einem grausigen Ende, als sich die tödlichen Geschehnisse überschlagen und alles mit sich in den Abgrund reißen ...

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Seitenzahl: 441

Veröffentlichungsjahr: 2017

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M. G. Scultetus

Rufilla

Die rote Hexe von Londinium

Historischer Roman

Herausgegeben von Helmut Schareika

Inhalt

Prologus

Vorspiel

Im Triklinium

Unser aller seltsamer Vorfahr

Von der ersten zur zweiten Cena

Ein zweiter Ritt

Ein Dritter Ritt

Der Tag und die Nacht danach

Nacht des Gewitters

Tag der Entscheidung

Nachwort • Zum Verfasser M. G. Scultetus

Zu diesem Buch

Prologus

Liebes Lesepublikum, zu meinen beruflichen Aufgaben gehört es, die Klosterbibliotheken nach verschollenen Handschriften zu durchstöbern; und in diesem Zusammenhang stieß ich zu NN auf einen uralten Kodex, in festes Schweinsleder gebunden, die Seiten aus feinstem Pergament.

Als ich zu lesen begann, war meine Enttäuschung grenzenlos, denn es handelte sich um eine weitere Abschrift der beiden sattsam bekannten Monographien des Sallustius Crispus; doch bei genauerem Hinsehen entdeckte ich, dass einst daselbst ein anderes Werk aufgeschrieben gewesen war, das man sorgsam mit dem Messer abgeschabt hatte, um für das neue Platz zu machen:

Mit unseren modernen Methoden gelang es mir aber, das ursprüngliche Manuskript wieder lesbar zu machen, das ich hier erstmals in unser geliebtes Deutsch übertragen habe.

Es handelt sich um den Bericht einer gewissen Iulia Agricola aus Britannien über die dramatischsten Begebenheiten ihres Lebens, die sie binnen weniger Tage erleben musste:

Nach einer Kindheit ohne Mutter und dem Verlust ihrer Jugendliebe – sie war damals gerade erst fünfzehn Jahre alt – sind inzwischen öde weitere fünfzehn Jahre vergangen, nach denen sich die nunmehr nicht mehr junge Frau immer noch nach dem Mann des Lebens sehnt, doch obwohl sie mit ihrem langen, auffällig roten krausen Haar und den Sommersprossen – daher ihr Spitzname ‚Rufilla – die Fuchsfarbene‘ – eine aparte, wenn auch recht herbe und rein individuelle Schönheit ist, machen die jungen Männer einen weiten Bogen um sie, denn man sagt ihr nach, eine böse Unglücksprophetin zu sein …

Als ihr Vater, ein früh verwitweter strenger Bauer und nebenbei Priester der wenigen Christen in der Gegend von Londinium (London), die Geduld mit ihr verliert, schickt er sie zu entfernten Verwandten als Erzieherin nach Karthago, das man heute noch als Ruinenstätte am Rande von Tunis findet. Dort gerät sie in einen wilden, alles verschlingenden Strudel der Ereignisse, und ihr Leben mündet unaufhaltsam in neue Bahnen:

Rufilla verliebt sich nämlich stürmisch in einen Jüngling, den angeblich schönsten weit und breit und fordert damit die mörderische Rivalität der ob ihrer makellosen Gestalt allenthalben bewunderten und darob von ihr heiß beneideten Iunia heraus, und es kommt dann, wie es kommen muss, zu einem grausigen Ende, als sich die tödlichen Geschehnisse überschlagen und alles mit sich in den Abgrund reißen …

Wir tauchen hier in die ferne Welt des kaiserzeitlichen Römerreiches ein, in der man vor allem – und das ist stets zu beachten – ganz anders gekleidet war als heute: Das Alltagsgewand des Römers ist die Tunika, eigentlich ein schlichtes Hemd, das – weil knopflos – über den Kopf zu ziehen ist; seine Länge kann ebenso wie die Stoff-Art variieren; man trägt es mit oder ohne Gürtel; Frauen lieber mit Ärmeln, Männer eher ohne; ist es kalt, zieht man eben zwei oder drei übereinander an, denn Hosen, wie sie die Barbaren kennen, sind in Rom verpönt; dazu gehören freilich auch Unterhosen! Manche tragen unter der Tunika einen Lendenschurz, viele gar nichts …

Da unsere dramatischen Tage in Tunesiens Sommerhitze spielen (die Römer nannten nur dieses kleine Gebiet Africa), kommen weder die langen, schweißtreibenden Gewänder der Frauen vor (Palla; Stola) noch die majestätische Toga der Männer, dieses oval geschnittene, rund fünf Meter lange Tuch, das kunstvoll um den Leib zu schlingen ist.

Da Frauen damals schon die gleichen Figur-Probleme wie heutzutage hatten, ließen sie sich von der Schneiderzunft gerne von schlichten Brustbinden bis zu hochfeinen Miedern aller Art verwöhnen, die auch ohne die darüber zu tragende Tunika als Bekleidung des Oberkörpers dienen konnten.

Das kaiserzeitliche Rom war und ist berühmt für seine Thermen; Männer badeten nackt, und es hing vom jeweiligen Kaiser ab, ob Frauen das gemeinsame Baden gestattet wurde; manche bestanden nämlich auf einer Geschlechtertrennung; ob auch die Frauen nackt badeten, weiß man nicht; für Zeiten des mit Männern gemeinsamen Aufenthaltes dürfte es nahe liegen und auch erklären, warum es immer wieder untersagt werden musste …

Um in der Palästra Sport zu treiben, schlüpften die Damen in einen zweiteiligen Anzug, der unserem Bikini ähnelt; vornehme rümpften über das angeblich unmoralisches Auftreten die Nase; sie blieben öffentlichen Bädern und sportlicher Betätigung fern.

Besondere Schlafanzüge oder Nachthemden waren unbekannt; wie zu fast allen Zeiten schlüpfte man meist nur aus den Kleidern und zog sich die Decke über den Kopf, so vorhanden, falls man sich nicht ins rustikale Stroh begab …

Wenn man heiratete, war dies weder eine rein religiöse noch eine staatliche Angelegenheit; meist suchten die Eltern die Paare aus, und wie man an der heutigen Scheidungsquote ablesen kann, ist die sog. Herzensentscheidung auch nicht besser:

Der römische Historiker Tacitus lobt die Germanen, denn sie ließen den Jungfrauen viel Zeit, um sie erst als Erwachsene mit gleichaltrigen gleich großen Männern zu verheiraten; damit kritisiert er die römischen Zustände, wo das Mädchen nicht selten unter fünfzehn Jahren in die Hände eines erheblich älteren Mannes gegeben wurden; der berühmte Pompeius z. B. war älter als Caesar und heiratete dennoch dessen Tochter Iulia ...

In Rom traf man sich also nicht auf dem Standesamt oder im Tempel, sondern zu Hause mit Freunden und Verwandten; die Braut war aufs Festlichste herausgeputzt (feuerroter Schleier; kostbares langes Gewand; safrangelbe Sandalen), wenn sie es sich denn leisten konnte; der Bräutigam (wie modern!) war eher schlicht gekleidet.

Nachdem er der Braut vor den Zeugen die Ehe angeboten hatte, sagte sie die berühmte Formel: »Wo du bist, Gaius, bin auch ich, deine Gaia.«

Die Ehe galt damit als geschlossen und das feuchte Fest konnte beginnen, an dessen Ende die frisch Vermählten zur eigenen Wohnung gingen, wo der Mann die Frau über die Schwelle trug (falls sie nicht zu fett war); die Gäste, die aus bestimmten Gründen jetzt draußen bleiben mussten, riefen fröhlich hinterher: »Habt viele Kinder!«

Die Scheidung – auch das kam vor – reichte der Mann mit einem schlichten Scheidungsbrief ein; viele Herren konnten sich das aber nicht leisten, weil sie der Frau dann die Mitgift zurückzahlen müssten, welche leider schon aufgebraucht war …

Folgendes gilt für das Reiten: Roms Männer, darunter noch Iulius Caesar, ritten einst in der Tunika, also mit nacktem Gesäß auf dem Ross, dessen Rumpf nur mit einer Decke umwickelt war; später übernahm man die Hosen der Gallier und entwickelte gut ausgedachte Kniebund-Reithosen samt Reitschuhen, an denen Sporen befestigt waren; Hufeisen und Steigbügel waren unbekannt; man musste also aufs Ross springen oder ein Podest (Aufsteighilfe) benutzten, falls kein Sklave zur Hand war; einen richtigen Sattel entwickelte erst die kaiserliche Kavallerie; der Reiter hockte nun zwischen vier lederüberzogenen inwendig hölzernen Hörnchen, die ihm das Herunterfallen erschweren sollten:

Anständige Damen ritten stets züchtig im Quersitz, falls sie überhaupt zu Pferde zu sehen waren, brav Schenkel an Schenkel gepresst und im alles verhüllenden langen Gewand; weniger anständige und dafür umso sportlichere (wie unsere Rufilla) besorgten sich heimlich die Reithosen der Männer und ritten dann wie diese mit (unanständig) gespreizten Beinen, ganz nach dem Vorbild der sagenhaften Amazonen, welche allerdings, wenn wir den antiken (naturgemäß von Männern geschaffenen) Skulpturen glauben dürfen, nur im äußerst kurzen Hemdchen daher sprengten, das zumindest die eine Hälfte der Brust frei ließ, mit bloßem Gesäß auf dem bloßen Pferderücken aufsitzend.

Die Pferde waren damals noch nicht einmal so groß wie heutige Haflinger; von dicken Arbeitspferden abgesehen, gingen sie zusätzlich zu Schritt, Trab und Galopp in der (heute vor allem vom Isländer bekannten) bequemen Gangart Tölt; im Tölt bewegt das Ross die Füße hintereinander so: hinten rechts – vorne rechts –– hinten links – vorne links usw. Dadurch dass das Ross nicht springt, wie das bei Trab und Galopp der Fall ist, wird der Reiter nur sanft geschüttelt; im rasanten Renntölt ist man auf einem Isländer ungefähr 50 kmh schnell!

Ach! Zuletzt noch wenige Worte zu den Sklaven und ihrer unten häufig vorkommenden Sklavensprache: Ausführlich müssten sie den Besitzer und Herrn so anreden:

»Mi Domine – mein Herr«, sagen aber nur kurz »Midomne«; wenn sie in der dritten Person von ihm reden, heißt es eigentlich »Meus Dominus«, aber sie sagen gerne »Midomnus«.

Sollten sie die Besitzerin und Herrin anreden, hieße es ausführlich »Mea Domina«, aber sie sagen kurz »Madomna«, wovon unser heutiges »Madonna« kommt; diesmal ändert sich der Wortlaut auch nicht in der dritten Person; weitere Informationen zu den Tücken und Fallstricken der römischen Deklination erteilt der nächstbeste Lateinlehrer oder Professor …

Sklaven selbst waren freie Handelsware; ihnen standen keine Menschenrechte zu, auch wenn sie, je älter das römische Kaiserreich wurde, desto anständiger behandelt wurden, denn sie waren ziemlich teuer und drohten allmählich auszugehen, weil Rom inzwischen keine Eroberungsfeldzüge mehr führte, schon zufrieden damit, wenn die Barbaren nicht selbst mörderisch ins Reich einfielen! Rein theoretisch konnte man den Sklaven töten, ohne vor Gericht gestellt zu werden.

Wenn ein Sklave aber seinen Herrn getötet hatte, mussten alle anderen Sklaven dieses Herrn damit rechnen, grausig gegeißelt und dann gekreuzigt zu werden; unter dem unerbittlichen Kaiser Nero kostete das noch einmal einige hundert Unschuldige das Leben, auch wenn halb Rom dagegen demonstrierte …

Viele Herren ließen aber ihre Sklaven frei, manche erst im Testament, die dann umso lieber für ihn arbeiteten und ihm weiterhin verpflichtet waren; sie gehörten von nun an zum Stand der Freigelassenen (Liberti/Libertini); erst ihre Kinder wurden römische Staatsbürger, gleich, welcher Herkunft oder Hautfarbe: Der Philosoph Seneca, ebenfalls ein Opfer des Kaisers Nero, hatte einst kategorisch festgestellt, dass Sklaven ebensolche Menschen seien wie die Freien; jeder Freie könne, wenn er Pech habe, das Opfer von Sklavenjägern werden; also solle man seine Sklaven so behandeln, wie man von ihnen behandelt werden wollte, wenn sie die Herren wären; und er hatte dazu aufgefordert, sie zu Freunden zu machen.

P.S. Das Buch ist dem Andenken an eine viel zu früh von uns gegangene Schulfreundin gewidmet, auffällig durch Sommersprossen und krauses rotes Haar: Freund und Feind nannten sie »Foxy«, was auf Lateinisch »Rufilla« heißt.

1 • Vorspiel

»…und bring deine Herrin auf die Kaiserin-Suite«, rief uns Decimus Iulius Agricola in seinem dröhnenden Bass hinterher, der so gut zu seiner herkulischen Gestalt, seiner Liebesfülle passen wollte, »und kümmere dich um meine Nichte Iulia, als wäre sie dein eigenes Kind, wenn du nicht ausgepeitscht werden willst!«

»Ja doch, gewiss doch, Midomne Decime, ich werde mein Bestes geben«, antwortete die pummelige schwarze Frau an meiner Seite, während wir die aus Zedernholz gezimmerte wuchtige Treppe mit ihren ungemein flachen und somit bequemen Stufen Seite an Seite ins Obergeschoss hinauf stiegen:

»Sind auch sämtliche Zimmer entsprechend hergerichtet, Afersimia?«, rief uns Decimus, wie ich meinen entfernten Onkel ab sofort verkürzt nennen möchte, hinterher.

»Gewiss, Midomne, alles in bester Ordnung!«

»Was höre ich da? Onkel Decimus nennt dich allen Ernstes Afersimia – afrikanisches Äffchen?«

»Ja, das macht er manchmal, wenn er bester Laune ist; er meint es nicht böse«, sagte meine Begleiterin, eine freundliche Frau von etwa dreißig Jahren, den Kopf spiegelblank rasiert, in eine ärmellose kurze grüne Tunika gehüllt, die fleischigen Beine etwa von der Mitte der Oberschenkel an unbedeckt; alle sichtbare Haut schwarzglänzend wie Ebenholz:

»Der große Dominus hat das Recht, uns zu nennen, wie er will …«

»Mir jedenfalls«, sagte ich, »gefällt das nicht; und wenn du nichts dagegen hast, werde ich dich stets nur ‚Afra‘ nennen.«

Sie nickte und blickte sich scheu nach Decimus um, der aber von unserer Abmachung nichts mitbekommen hatte und gerade einen Pokal goldgelben Weines schlürfte, der mit warmem Wasser gemischt war:

»…und nenne mich in seiner Gegenwart lieber nicht so; er könnte wütend werden und …«

»Hat er dich denn schon jemals auspeitschen lassen?«

»Nein, Madomna, er droht nur immer damit, ganz im Gegensatz zu Iunia, seiner Frau; sie hat mich schon zweimal an einen bestimmten Pfosten binden lassen und persönlich blutig geschlagen, weil ich ihr eine freche Antwort gegeben hatte …« »Von mir, liebe Afra, hast du Dergleichen nicht zu befürchten, und außerdem: Ich hatte noch nie eigene Sklaven; was soll ich denn überhaupt mit dir anfangen?«

Wir hatten mittlerweile die oberste Stufe der Pracht-Treppe erklommen, Afra im luftigen kurzen Kleid leichtfüßig neben mir her tänzelnd; mir hingegen brach der Schweiß aus allen Poren hervor, weil ich über der auf meiner Haut klebenden grobleinenen knielangen Tunika auch noch in einer bodenlangen Palla steckte, welche ich mit der rechten Hand anheben musste, um auf der Treppe nicht zu Fall zu kommen; die Hitze war unerträglich; ich keuchte, ich schnappte nach Luft und verfluchte meine aus der eisigen Britannia mitgebrachte Garderobe.

Meine Füße steckten stinkend in hoch geschnürten Stiefeln, während Afra nur den großen Zeh durch eine kleine lederne Schlaufe steckte, die vorne an einer ovalen Solea angebracht war …

»…sollst du etwa meine Zimmer putzen?«

Sie kicherte gurrend, während sie mich durch das Dämmerlicht eines breiten Korridors führte:

»Dazu haben wir eigens drei Putz-Sklavinnen im Hause; ich bin nur zu deiner persönlichen Bedienung da, deine Kammerfrau, deine Zofe!«

»Aber woher stammt dein ausgezeichnetes Betragen? Wie kann eine Afrikanerin ein so vorzügliches Latein sprechen?«

»Ich bin keine Wilde aus dem Süden«, sagte sie, »und ich kenne die Heimat meiner Vorfahren nicht; ich bin hier auf der Villa Iulia als Sklavin geboren und aufgewachsen; man hat mich zum Kammerdiener ausgebildet, das ist alles.«

»…und worin solltest du mir zur Hand gehen?«, fragte ich, die Tochter eines strengen britannischen Kleinbauern, in meiner Ahnungslosigkeit.

»Das wirst du schon sehen, Madomna bellissima«, sagte sie und öffnete mir eine breite wuchtige Tür:

»…der Eingang zu deiner Suite, Madomna Iulia!«

Wir traten ein; es war ein quadratischer Raum, der uns empfing; an der rückwärtigen Wand erblickte ich einen sechstürigen Schrank aus poliertem Kastanienholz; daneben die Arme einer mächtigen Garderobe, an welcher ein hauchfeines lauchgrünes Seidenkleid neben einer Art Unterhemd hing sowie zwei weitere Dinge aus hell rosa Gewebe, mit denen ich vorerst überhaupt noch nichts anfangen konnte, einsam und verlassen baumelten; Afra sagte:

»Das ist dein Kleiderschrank, zum Bersten voll; alles kaum einmal benutzte Sachen der Madomna Iunia, meiner Herrin, und ich denke, es wird dir alles einigermaßen gut passen; ihr habt, glaube ich, fast die gleiche Figur; und Midomnus Decimus hat mir befohlen, all deine mitgebrachten Kleider an die Sklaven zu verschenken; doch jetzt sollten wir uns endlich …«

Ich sah fragend auf Afra; sollte ich ihr die Tür weisen? Was nämlich mich anbetraf, so hatte ich meine Toilette schon immer ohne jede fremde Hilfe bewältigt, bewältigen müssen …

Mit gewinnendem Lächeln zeigte Afra auf zwei Türen: »Das da links ist deine wassergespülte Latrina, und da rechts geht’s hinein in dein Badezimmer; die Wanne ist schon vorbereitet …«

Sie schob mich sanft vor sich her; ich lief blutrot an; in den Tagen der beschwerlichen Seereise von Londinium nach Karthago hatte ich mich kein einziges Mal waschen können; vom Zustand des ein wenig über Bord ragenden kleinen Häuschens, in welchem sich gleichermaßen Männlein wie Weiblein erleichterten, ganz zu schweigen; wie sehr müsste sich diese frisch gebadete Sklavin vor mir ekeln!

Doch ehe ich es mich versah, hatte sie mir schon die Kleider abgestreift und achtlos auf den Mosaikfußboden geworfen; entsetzt blickte ich ihnen hinterher und sah sie schmutzig über dem Bild der aus tausenden von Steinchen zusammengesetzten Schlacht um Troja liegen; so also stand ich vor ihr, während sie nun selbst die Tunika auszog und an den Haken hängte:

»Brauchst dich nicht zu schämen, Madomna! Betrachte mich als nützliche Sache, wie Waschlappen, Bürste oder Kamm; und bis morgen hast du dich daran gewöhnt …«

»Aber ich muss mal«, sagte ich, tollkühn meine neue Rolle annehmend: Afra riss die schmale Türe zum Lavacrum auf, und blendender Glanz von weißem Marmor wehte mir entgegen; ein rundum mit kostbaren Kacheln ausgelegter Raum mit kleinem Fenster, vor das ein grün gestrichener hölzerner Laden geklappt war. An der Rückwand befand sich ein kniehoher quaderförmiger Kasten aus schwarzem Marmor, in dessen Sitzfläche ein kreisrundes Loch gesägt war; Afra legte einen darüber angebrachten Hebel um, und man hörte es in der Kiste sanft rauschen:

»So geht das«, sagte sie und wartete draußen, bis ich ihr die Gnade erwies, wieder zu erscheinen: »Wir haben einen eigenen Aquaeductus«, sagte sie stolz, »schau hier!«

Sie öffnete einen der Läden; gleißendes Sonnenlicht kam quälend herein, und ich sah, wie sich im Rücken des mächtigen Landhauses das Gebirge allmählich nach oben schraubte; von dort, aus einem unterirdischen Rohr kommend, musste das Wasser nur noch beinahe eine halbe Meile über eine typische Bogenkonstruktion geleitet werden, um dann das ganze Haus zu versorgen.

Afra schloss den Laden wieder und geleitete mich ins Badezimmer: Noch nie im Leben hatte ich vergleichbaren Luxus gesehen; alles Marmor, mit Gold verziert, und in der Mitte, in den Boden eingelassen, eine große Wanne, in welche wir jetzt Arm in Arm über bequeme Stufen hinab stiegen:

Das Wasser war himmlisch durchsichtig, fühlte sich angenehm lauwarm an und duftete nach Tannennadeln …

Afra öffnete das grobe Tuch, unter welchem mein zum Knoten zusammen gefasstes Haar vollkommen verborgen gewesen war, und in breitem Strom ergoss sich eine üppige krause Flut über Schultern und Brust; mit weit geöffnetem Mund und wie gebannt stand die Sklavin dabei und starrte mich an; dann fand sie die Sprache wieder und stammelte mehrfach:

»Oh, bella, bellissima Madomna Rufilla (~ die Fuchsrote)!«

Geschwätzig, wie all unsere lieben schwarzen Sklaven von Natur aus sind, verbreiteten sie sofort die Kunde; bald war mein feuerrotes Haar in aller Leute Munde, und ich hatte meinen Kosenamen weg, mit dem man mich von nun an bevorzugt nannte, ohne dass ich mich jemals darüber geärgert hätte, denn ‚Iulia‘ heißen bekanntlich Tausende im Römischen Reich …

Anschließend stiegen wir in die köstliche Wanne, und ich legte mich genüsslich hinein, um die Kruste aufzuweichen, welche mich umhüllte; Afra stand über mir und tat alles, mich von Staub, Schweiß und … der beschwerlichen Reise zu befreien; als ich wie ein neuer Mensch dem Bade entstiegen war, wickelte sie mich in ein flauschig weiches wollweißes Badetuch und betrachtete mich voller Entzücken:

»…schönste Frau, deren Zofe ich jemals war …«, sagte sie lächelnd, und ich errötete; war ich doch über mein Äußeres vollkommen anderer Meinung!

Ich setzte mich auf einen Schemel; Afra kämmte, bürstete und striegelte nun meine widerborstige Haarpracht; dann führte sie mich in eine weitere Kammer:

»…Raum für eincremen, schminken und für Parfüm!«

Sie zeigte auf einen gemauerten Sims, auf welchen kleine Flaschen und Büchsen wie die Soldaten aufmarschiert waren; jedes Ding hatte seine Aufschrift; auf der gegenüber liegenden Seite war ein Spiegel angebracht, von der Decke bis zum Fußboden reichend, bestehend aus vielen silbernen oder versilberten Kacheln, die auf Hochglanz poliert waren, und ich hatte zum ersten Mal im Leben die Gelegenheit, mich einmal nicht nur im Handspiegel oder der unruhigen Oberfläche eines Gewässers zu betrachten, denn sanitäre Einrichtungen, wie ich sie oben geschildert habe, waren in meiner hügeligen ländlichen Heimat unmittelbar nördlich von Londinium unbekannt.

Nachdem mir Afra die seltsamen, oben geschilderten Kleidungsstücke sowie ein Paar kirschrote Flipflops herein gebracht hatte, schickte ich sie mit einer energischen Handbewegung hinaus, verriegelte die Türe, ließ das Tuch, in welches ich mich gewickelt hatte, achtlos zu Boden fallen, um mich erstmals so, wie mich die gütigen Götter geschaffen hatten, zu betrachten und tat es dann auch ausgiebig, ich, eine Frau von fast einunddreißig Jahren, kein junges Mädchen mehr, nicht mehr taufrisch und dennoch erfüllt von allen Wünschen, von aller Sehnsucht der Jugend, denn mein süßer Junge, mein einziger Schwarm, den ich vor fünfzehn Jahren geliebt hatte, war mir nach kurzer Zeit schon von den Göttern der Unterwelt entrissen worden; er war Decurio (Hauptmann) unserer Kavallerie gewesen, ein schneidiger Soldat und tollkühner Reiter; doch eines Tages kam es zu einem grässlichen Unfall, bevor wir noch Mann und Frau geworden waren …

Dass es schrecklich mit ihm zu Ende gehen würde, wusste ich oder ahnte ich schon vorher, seit ich den düsteren Schatten hinter seinem Kopf gesehen hatte; ich hatte ihn gewarnt; ich hatte seine Kameraden angefleht, vergebens!

Er ließ mich als seine untröstliche Witwe zurück; und wie oft hatte er, in meinem Haar wühlend, gesagt, er habe noch nie ein so hübsches Mädchen wie mich gesehen, doch nach seinem frühen Tod stellte ich bald fest, dass fuchsfarbene Haare und grüne Augen bei den Jungen nicht allzu begehrt sind; vielleicht lag es auch daran, dass ich meinen Ritter nicht vergessen konnte; jedenfalls musste ich miterleben, wie all meine Freundinnen und Kameradinnen in den Hafen der Ehe einliefen und ich unverheiratet zurück blieb; irgendwann galt ich dann als unnahbare alte Jungfer.

Ich nahm den Handspiegel vom Haken, um mit seiner Hilfe erstmals meine Kehrseite in Augenschein zu nehmen; das lange Haar ließ ich während dessen über die Brust fließen, damit die Sicht nicht behindert wäre und ich freien Blick hätte:

Ich sah eine überdurchschnittlich große schlanke Frau mit einigermaßen gut gebautem Rücken; andere wären vielleicht zufrieden damit gewesen; mir gefiel ich nur mit Maßen: lange weibliche Beine, aber die Oberschenkel zu fleischig; das Gesäß noch ziemlich fest und nicht allzu tief abgesunken; nur angedeutete Taille; Schultern breit und muskulös; der Hals annehmbar …

Dann schleuderte ich die rote Flut auf den Rücken, machte auf der Ferse Kehrt, um meine gewiss noch wichtigere Vorderseite zu begutachten; ich will dabei von oben nach unten gehen: ovales Gesicht; bogenförmige Brauen; darunter große hellgrüne Augen; zu lange, aber immerhin feine Nase, von tausend Sommersprossen gesprenkelt; sinnlicher Mund; rote Lippen; das Kinn spitz und markant heraus gearbeitet; ein schlanker Hals über breiten Schultern; muskulöse Arme, die auf eine zupackende Art schließen lassen konnten und Brüste, die der Schwerkraft ihren Tribut hatten zollen müssen; das ärgerte mich, ließ sich aber nicht mehr ändern; die Taille war auch von vorne gesehen nur angedeutet; das mochte wohl an meinen zu schmalen Hüften liegen; die Beine lang und gut bemuskelt, was ich meiner Liebe zu ausgedehnten Wanderungen durch die lieblichen Hügel Britanniens zuschrieb, aber die Oberschenkel waren zu kräftig ausgefallen und zu meinem erneuten Entsetzen voll kleiner Wellen und Dellen.

Da geschah das Unheimliche; da ereignete sich das Unfassbare; da wurde ich vom Grauen geschüttelt:

Ich sah im großen Spiegel, wie aus der Wand in meinem Rücken eine düstere Gestalt schlüpfte, welche allmählich die Umrisse eines Mannes annahm, eines nackten jungen Mannes, schöner von Gestalt als der Hermes des Praxiteles, der in tausend Kopien die Wohnzimmer von uns Römern ziert.

Eine nie gekannte Leidenschaft ergriff mich bei seinem Anblick; ich war außer mir vor Verlangen: Wie gebannt stand ich auf der Stelle, die Fußsohlen mit dem kühlen Marmor verwachsen und beobachtete im Spiegel, wie er kaum merklich langsam auf mich zu schritt; er lächelte seltsam versonnen, als er seinen Körper, kalt wie Eis, an meinen Rücken schmiegte, um dann seine Arme vorne auf mir zu überkreuzen und mich mit gewaltigen Kräften an sich zu pressen.

Ich stöhnte vor Wonne; schon wollte ich versuchen, mich nach ihm umzudrehen, um ihn in meine Arme zu schließen, um mich an seinen Lippen fest zu saugen, doch da …

Aus der Wand, der er gerade so göttlich entstiegen war, reckten sich zwei scheußlich mit Krallen bewehrte Hände, aus denen flammende Feuerzungen loderten; wie ein Raubtier verhakten sie sich im Rücken meines Endymion und zerfleischten ihn.

Er stieß einen letzten stummen Schrei aus, während das Blut aus ihm hervor quoll und mich von oben bis unten besudelte und bespritzte.

Ich schrie und schrie vor namenlosem Entsetzen, während Afra von außen den Not-Schlüssel durch das Schlüsselloch schob und versuchte, ihn in der Zahnleiste des Riegels zu verhaken:

Endlich, endlich, während mir noch viele Gedanken durch den Kopf rasten, gelang es ihr, ihn zurück zu schieben; sie öffnete die Tür und rief: »Oh, Madomna Iulia Rufilla, was ist?«

»Nichts«, antwortete ich, »nichts; mir war nur so, als ob jemand mit mir im Zimmer wäre, ein Mann! Aber das war doch wohl nur eine Halluzination …«

Darauf berichtete ich ihr alles der Reihe nach, insbesondere schilderte ich den gespenstischen jungen Mann in allen Einzelheiten; Afra sagte dazu mit vor Furcht geweiteten Pupillen, wie zu sich selbst:

»Meine arme Madomna hat die Gabe, in die Zukunft zu blicken, und diese Zukunft wird meiner schönen Herrin irgendein grässliches Unglück bringen, in dem ein schöner Mann die Hauptrolle zu spielen hat; nach deiner Beschreibung war das Gespenst ein Ebenbild unseres Midomnus Gaius Iulius; liebe Rufilla, ich habe Angst um dich! Doch jetzt sollten wir endlich …«

Sie hatte nun eines der Kleidungsstücke, das sie vorhin vom Haken genommen hatte, auf dem Arm:

»Madomna bellissima, bevor ich mir erlaube, einen Vorschlag für die heutige Abendgarderobe zu machen, habe ich dieses Fähnlein für dich mitgebracht, um dir das Schlafzimmer zu zeigen; danach werden wir dich einkleiden; die Cena (Abendessen) wartet nämlich; es ist dein erster Auftritt in der Familie, und außer Midomnus Decimus kennt dich ja noch niemand …

…und das kurze Ding da ist ein griechisches Unterhemd; der alleinige Träger wird entweder genau in der Mitte der Brust nach oben über die Schulter geführt oder seitlich, links oder rechts, je nachdem, in welche Richtung man die Stoffbahn am Körper dreht; es ist fürs Erste dein bequemes Hauskleid oder auch dein Nachthemd, falls du bei dieser sengenden Hitze zum Schlafen überhaupt etwas anziehen möchtest …«

Ich streifte es mir probeweise über; es trug sich angenehm, luftig, locker, leicht und war aus herrlich weichem Stoff geschneidert; so bekleidet folgte ich Afra in mein künftiges Schlafzimmer, eine hübsche Kammer mit einem flauschig bequemen Bett; unwillkürlich musste ich an unseren Bauernhof in Britannia denken, wo man abends ungewaschen aus den Kleidern heraus und ins wärmende Stroh hinein zu steigen pflegte …

Afra bugsierte mich wieder ins Spiegelzimmer zurück, zog mir das griechische Hemd über den Kopf und reichte mir ein feines Holz, dessen Ende ausgefasert war; ich sah sie erstaunt an; sie öffnete ihren Mund; Zähne wie eine Perlenkette erschienen, und sie tat so, als ob sie sie mit dem seltsamen Gerät putzte, es auf und ab oder in kreisende Bewegungen versetzend; ich hatte verstanden und übernahm das Hölzchen; sie brachte rasch noch ein zweites sowie eine kleine Schüssel samt mit Wasser gefülltem Becher herein, und ich putzte zum allerersten Mal meine Zähne; ich putzte sie so lange, bis Afra mit mir zufrieden war; seitdem und bis heute habe ich es mir dann zur Gewohnheit gemacht …

Als ich endlich soweit war, holte sie Büchsen und Kästchen vom Sims herunter, um mich zu schminken; ich wollte nicht; ich hatte mich noch nie im Leben geschminkt; Vater hätte mich erschlagen, sollte ich es gewagt haben, aber sie ließ nicht locker, bis sie mir die Augenbrauen geordnet und mit einen dunklen Stift nachgezogen hatte; meine Augen umrahmte sie mit hellgrüner Schminke; ein Kirschrot brachten sie auf den Lippen an; ein sanftes Rosa auf den Wangen …

Dann schaffte sie den seltsamen Wirrwarr goldener Fäden herbei, welchen ich vorhin schon gesehen hatte; ich wusste nichts damit anzufangen; sie sagte:

»…und das hier ist dein Mieder für heute …«

»…ein Mieder? Was ist das? Nie gehört …«

»Oh, ihr in Britannia! Ihr lebt noch wie die Wilden!«

Sagte es und streifte mir das rosa Ding über den Oberkörper, das sich in seiner Farbe kaum von meiner Haut unterschied; es war wie ein feiner Schlauch, in dem ich von der Gegend unterhalb der Achselhöhlen bis knapp über den Nabel steckte, der überraschender Weise auch ohne Träger an mir haften blieb; auf seiner Rückseite musste eine Schnur durch gewisse Ösen gezogen sein, die Afra jetzt so fest zusammen zurrte, dass mir fast die Luft wegzubleiben drohte, aber all das, was mir vorhin, als ich mich kritisch musterte, unvorteilhaft zu sein schien, nahm jetzt wie von Zauberhand bewirkt eine so gelungene Form an, dass ich mich nur noch wundern konnte.

Afra sah meine aus hellgrünen Augen kommenden verständnislosen Blicke, lachte, hieß mich in einen weiteren ziemlich kurzen Schlauch aus dem gleichen Gewebe und von derselben Farbe steigen und zog ihn solange hoch, bis er auf meinem Gesäß klebte; oben, im Bereich der Taille, besaß er einen schmalen Gürtel aus Stoff, durch einige Ösen gezogen, den mir Afra nun gnadenlos zuzog.

»Es kneift; beides kneift«, sagte ich, »es ist mir zu eng …«

»Madomna Iunia hat es noch letzten Monat getragen; es ist aus Karthagos bester Schneiderei; sie hat es nur ein einziges Mal am Leib gehabt und dann ausgemustert; sie fand es nicht eng genug; und weil Madomna Iunia einen Hauch schlanker ist als du, sollte es dir bestens passen; bedenke, dass du hier nicht mehr im Barbarenland bist, wo man nichts als große grobe Säcke am Leib hat.«

Wie sollte, wie konnte ich ihr da widersprechen; am besten, ich vertraute mich ihr an, bis ich eines Tages so weit war, mir meine Garderobe selbst auszusuchen:

»…und was ist jetzt?«, fragte ich sie, mich so seltsam bekleidet im Spiegel betrachtend: »Soll ich etwa in dieser göttlichen Aufmachung bei der Cena escheinen?!«

»…gewiss nicht, Madomna bellissima«, sagte Afra lachend, holte das lauchgrüne, transparent wirkende seidene Kleid von der Garderobe herunter und streifte es mir über; es war bis auf zwei feine, kaum sichtbare Träger schulterfrei und erreichte unten noch fast die Fußknöchel; mit einer gedrehten goldenen Kordel wurde es in der Taille gehalten; ich besah mich und begann, allmählich Gefallen an mir zu finden, aber meine fuchsigen Haare, oh ihr gütigen Götter! In wirren Strähnen hingen sie grässlich herab …

Doch schon widmete Afra sich der widerborstigen Pracht und fasste sie zu einem Knoten zusammen, gehalten von einem grünen Band aus Seide, wobei sie eine üppige Strähne ausnahm, die ich mir so, als wäre es reiner Zufall, wechselweise über Brust oder Rücken fallen lassen sollte, falls meine Hände nicht gerade verliebt damit spielten:

»Midomnus Decimus sagte mir, ich solle seine süße Nichte wie eine Königin ausstatten, sonst werde er mich erbarmungslos auspeitschen lassen«, sagte Afra lächelnd und legte mir eine funkelnde Perlenkette um den Hals, ein Silberkettchen um den linken Fußknöchel und steckte mir einen silbernen Ring an die linke Hand, der von einem blitzenden Steinchen gekrönt war: Ich stieg in die feuerfarbenen Flipflops, um mich abschließend noch einmal in der Spiegelwand zu mustern, während mich Afra mit einem Wässerchen besprühte, das nach den bunten Blumen der Frühlingswiese roch:

Mit ward ungeheuer unbehaglich dabei; war das ich, diese Prinzessin da? Alle müssten mir doch entgegen starren, als ob ich den Verstand verloren hätte, oder? Schamröte schoss mir feurig über die Wangen; ich zauderte …

Doch von Afra sanft geschoben, verließ ich widerwillig meine Suite, ging durch den Korridor und gab mir zuletzt alle Mühe, möglichst schwerelos die mächtige innere Treppe des Hauses ins Triklinium hinab zu schweben, wo die Familie schon lärmend zu Tische lag und nun aller Augen, wie Afra das ausgeheckt hatte, auf mich gerichtet waren; ich blieb wie angewurzelt auf der Mitte der Stiege stehen …

2 • Im Triklinium

Decimus rief in die plötzliche Stille hinein:

»Allerliebst, unsere kleine Iulia, unsere süße Rufilla! Da! Seht her, was ich für eine niedliche Nichte habe! Wie neu geboren ist sie! Wäre Gaius von den gütigen Göttern nur ein blasser Schimmer davon verliehen worden, wie göttlich sie aussieht, dann hätte er sie persönlich in Karthago abgeholt …«

Sklaven hatten die große Halle in ein Triklinium (Drei-Liegen-Zimmer) verwandelt; um einen majestätischen runden Klotz aus Holz waren drei Speiseliegen angeordnet; eine vierte fehlte, damit die Sklaven das Tablett ungehindert hereintragen und auf dem genannten Klotz abstellen konnten:

Auf das zu meiner Linken stehende Sofa hatte sich ein Mann von gut dreißig Jahren gelegt, um sich mit linkem Arm und linker Flanke des Oberkörpers auf die hohe Lehne seiner Liegestatt zu stützen, und ich war ziemlich überrascht, in ihm einen Gefährten meiner Schiffsreise wiederzuerkennen, einen gewissen Dominus Titus Iulius, der mich schon unterwegs mit seiner freundlich-sachlichen Art für sich eingenommen hatte; oft hatten wir uns unterhalten; stets war ich von seiner steifen korrekten Art angetan gewesen; ein Kaufmann und Bankier aus Londinium, wenn ich nicht irrte …

Der Platz vor ihm war noch frei: Sollte er etwa für mich reserviert sein? Ich auf Tuchfühlung mit einem mir im Grunde fremden Mann?! Er mit der Brust an meinem Rücken?!

Mir ward heiß und kalt beim Gedanken daran, während meine Blicke weiter zur zentralen Liege schweiften: Die hintere Hälfte nahmen die Massen meines entfernten Onkels Decimus ein, aber vor ihm?! Oh, ihr gütigen Götter!

Auf ersten Blick wähnte ich, dort liege mein Halbbrüderchen Gnaeus Iulius; die Ähnlichkeit jedenfalls war ungeheuer groß: gleiches blondes Haar; gleiche blaue Augen; vergleichbarer Wuchs; ebenfalls sieben oder acht Jahre alt; mein künftiger Schüler und Schützling Quintus … sah mit wachen Augen zu mir auf und musterte mich …

Mühsam riss ich mich zusammen und blickte zur dritten Liege, auf die an der rechten Flanke: Dort lag ohne einen Partner und lässig aufgestützt die mit Abstand schönste Frau, die ich jemals gesehen hatte; Iunia musste es sein, die Gemahlin des Onkels, welche ich bei meinem Eintreffen in Begleitung des kleinen Quintus nur flüchtig zu Pferde erblickt und dort schon voller Neid gemustert hatte!

Wie mir Afra gesagt hatte, war sie kurz vor Vollendung ihres dreißigsten Jahres; in meinen Augen wirkte sie freilich kaum älter als Anfang zwanzig und hatte all die Vorzüge aufzuweisen, die ich mir für mich selbst gewünscht hätte:

Eine schlanke, ungemein weibliche und dennoch sportlich gestählte Gestalt; das pechschwarze Haar zu einem kunstvollen Knoten aufgetürmt; ein liebliches Venus-Gesicht; die wie von Bildhauerhand gemeißelten Schultern frei zu sehen; der übrige Körper bis zur Mitte der Oberschenkel in einen ärmellosen hautnahen Schlauch aus Seide gezwängt und somit Iunias göttliche Figur verratend; Arme auffällig muskulös; Beine von erlesener Gestalt und strotzend vor Kraft und Energie; nicht eine Unze Fett am Oberschenkel; nicht einmal ein Ansatz von delliger Haut; die geschwungenen Waden ohne ein einziges lästiges Haar; Füße schmal und hoch gewölbt; sie war stark geschminkt und mit Schmuck behängt: Augen und die feuerrot gefärbten Lippen schwarz umrahmt; Lider hellblau ausgemalt …

Ich starrte sie an; sie erwiderte meinen gewiss grünlichen Blick aus dunklen Augen; für einen winzigen Augenblick wollte es mir so vorkommen, als ob Tausende von Rubinen und Smaragden auf ihrem kostbaren Gewand glitzerten und flimmerten, aber beim zweiten Hinsehen erkannte ich, dass ich einer Augentäuschung erlegen war und es nur das im gleißenden Gegenlicht schimmernde Kleid war, welches meine Blicke genarrt hatte.

Verächtlich, so wollte es mir vorkommen, warf sie die Lippen auf, als sie zu mir empor sah und meinte, der gute alte Decimus solle doch nicht so heftig übertreiben; man könne ja glauben, er habe sich blindlings in seine Nichte verliebt …

Während sie das sagte, gewahrte ich hinter ihren schwarzen Locken so etwas wie einen schwachen Feuerschein, ein Zucken feiner Flammen, aber es waren wohl nur die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die von den glänzenden Kacheln der hinteren Wand zurück geworfen wurden, und all mein frischer Stolz, der mich gerade eben noch vor der Spiegelwand erfüllt hatte, war verflogen und wie im Winde zerstoben, denn plötzlich kam ich mir wieder unscheinbar und hässlich vor …

Decimus ließ sich durch die spitzen Bemerkungen seiner Frau nicht aus der Ruhe bringen und sagte:

»Mein Junge, das ist deine Tante Iulia aus Britannia, genannt Rufilla, deine künftige Hauslehrerin und Erzieherin.«

»… oh, ist die aber hübsch; ist die aber süß«, krähte der Kleine und ließ mich feuerrot anlaufen, während ihm Iunia zurief:

»Sei nicht so vorlaut, Quintus, das gehört sich nicht; Tante Iulia wird dir noch allerhand beibringen müssen …«

Sie blickte dann fragend und mit gut einstudiertem Augenaufschlag zu ihrem Besucher aus Londinium hinüber, der freundlich zu mir empor lächelte und mir augenzwinkernd zunickte, während Decimus dröhnte:

»…und das, ihr Lieben, ist mein lieber, lieber entfernter Neffe Titus Iulius Agricola aus Londinium; er wird uns für ein paar Tage freundliche Gesellschaft leisten, denn ihm gehört die Villa Iulia zu einem Fünftel, und er ist hierher gekommen, sich alles einmal gründlich anzusehen …«

Ich stand immer noch unschlüssig auf der Treppe; niemand hatte mir bisher gesagt, wo ich Platz nehmen sollte; Decimus bemerkte das Versäumnis als erster und rief:

»So komm doch endlich zu uns herunter, liebe Rufilla und nimm Platz; ich hoffe, du fühlst dich an der Seite meines Neffen wohl; wie ich hörte, seid ihr ja gemeinsam aus Londinium angereist, um uns hier mit eurer Anwesenheit zu beglücken …«

Afra geleitete mich zum freien Platz vor Titus Iulius; mir ward ganz unbehaglich zumute, als ich vor diesem ungewöhnlich gut aussehenden Mann in seiner leuchtend weißen knielangen Tunika lag, ihm fast in Armen, der um drei Ecken mit mir verwandt sein sollte; vor lauter Schüchternheit kriegte ich kein Wort heraus; Schweiß brach mir zu meinem Verdruss aus allen Poren hervor; er aber schien von meinen Nöten nichts zu bemerken und flüsterte mir so leise ins Ohr hinein, dass es außer mir niemand hören konnte:

»Liebe Iulia, meine liebe Rufilla, ich habe dich fast nicht mehr erkannt, so sehr ist dein Äußeres zum Vorteil verwandelt; du siehst fabelhaft aus; wirklich, eine ungewöhnlich schöne Frau bist du; ja, wenn ich das so sagen darf und es mir erlaubt ist, die Meinung freimütig zu äußern, ich habe in der Tat bisher keine schönere gesehen …«

Ich hätte ihm diese völlig unangebrachten Schmeicheleien auf der Stelle untersagen müssen; ich hätte sagen müssen, er solle das Süßholzraspeln sofort beenden; ich hätte ihn darauf hinweisen sollen, dass man eine Domina wie mich nicht auf diese billige Weise einfangen kann; statt dessen floss es mir wie süßer Honig die Kehle hinunter und ich flüsterte zurück:

»Bei den Göttern, mein lieber Dominus Titus Iulius Agricola, das ist aber lieb von dir, und ich möchte dir das Kompliment voll und ganz zurückgeben; du warst und bist mir ein wunderbarer Kamerad; wie freue ich mich, dass du wenigstens für zwei oder drei Tage hier im Hause anwesend bist …«

»Hier wird nicht geflüstert«, rief Decimus dazwischen und sagte dann zu einem schwarzen Mann mit dem Zylinder des Kochs auf dem Kopf:

»Zylindrus, mein Köchlein, sorge samt deinen Untergebenen dafür, dass die Cena jetzt aufgetischt wird, oder soll ich dich zu Tode peitschen lassen? Spute dich: vom Ei zum Apfel!«

Während der an die Machtfülle des Dominus nachdrücklich erinnerte Koch hastig in der Küche verschwand, wandte sich Titus erneut an mich und flüsterte mir trotz strengen Verbotes ins aufnahmebereite Ohr hinein:

»Mein süßes Mädel aus Britannia, liebes Nichtlein siebzehnten oder neunzehnten Grades, hätte ich nur früher von dir gehört! Sofort hätte ich dich in mein geliebtes Londinium eingeladen, um dir zu zeigen, dass auch wir in Britannia zu speisen verstehen …«

Titus hatte mir mittlerweine seine rechte Hand leicht wie eine Flaumfeder auf die meinige gelegt, während er von hinten her mit mir auf Tuchfühlung ging; ich errötete erneut, und diesmal ganz entsetzlich, obwohl ich es unbedingt hatte vermeiden wollen:

Um zu antworten, drehte ich ihm mein Gesicht zu, und ich kam seinem versehentlich so nahe, dass meine Lippen für die Zeit von zehn Herzschlägen seine leicht gekräuselten Lippen berührten; und noch bevor ich schaudernd vor solchem Tun zurück zuckte, hatten sich unsere Zungenspitzen schon berührt; schließlich sagte ich so laut, dass das alle hören konnten, was Titus Iulius längst wusste:

»Ich komme von meinem elterlichen Landgut nördlich von Londinium; mein Vater ist Bauer; nebenbei Priester der Christianer aus der dortigen Gegend; ich gehöre nicht zu dieser Religion, zu Vaters Verdruss, und dies ist meine erste Reise; ich habe in früheren Jahren als Erzieherin gearbeitet, aber keine dauerhafte Stelle gefunden; hoffentlich wird man hier mit mir zufriedener sein; das ist schon alles …«

…und dann zu Titus im Flüsterton: »Was meint Decimus eigentlich mit seinem ‚vom Ei zum Apfel‘?«

»Das verrate ich dir nicht«, flüsterte der unverschämte Kerl zurück, »du wirst schon sehen … auch wenn du noch so hübsch bist, mein süßes Kusinchen … mein Goldstück …«

»Schluss jetzt mit dem Gezischel!«, polterte Decimus, »und keine Techtelmechtel hier bei Tische! Abküssen könnte ihr euch später, so viel ihr wollt; Köchlein, verdammt noch mal, wo bleibst du?«

Während im Hintergrund zwei Musikanten ihre Instrumente erklingen ließen, eine Kithara sowie eine Doppelflöte, überreichte der Mundschenk jedem von uns einen blitzenden Pokal voller Wein, den er mit warmem Wasser gemischt hatte, und der Koch stellte dazu das Speisebrett auf den Holzblock in unserer Mitte, auf dem eine Menge in vier Teile zerschnittener gesalzener und gepfefferter hart gekochter Eier lagen; wir alle griffen vergnügt zu und tranken durstig den dargereichten Wein: Ich wusste jetzt, dass das Mahl bei hohen Herrschaften mit dem Ei eröffnet wird …

Anschließend dirigierte der Koch über seine Assistenten die Hauptspeise herein und verkündete lautstark, es handele sich um einen Auflauf folgender Art:

»Man koche Birnen und gelbe Melonen weich, zerstampfe sie im Mörser zu Brei, rühre eine Portion geschlagener Eier unter, schmecke das Ganze mit Pfeffer, Kümmel, Salz ab und koche das Gericht in einer Tonform auf; dazu reiche man mit Wasser verdünnten, stark erhitzten und mit Lorbeerblättern und Pfefferkörnern aromatisierten goldgelben Süßwein«; grinsend bemerkte Zylindrus dazu, dies sein ein Saft, der eilig trunken mache …

…und ich, die spartanisch erzogene Frau aus dem eisigen Norden, wo keine Reben gedeihen und das barbarisch bittere Bier immer noch nicht aus der Mode gekommen ist, musste ihm bald darauf Recht geben …

Anschließend reichte man ein Stück gegrillten Aales samt einer Scheibe gerösteten Weißbrotes; man versorgte uns dazu mit köstlichem Mulsum (Honigwein), wozu Decimus Iulius lachend bemerkte: »Unsere Süßen mögen es heute süß!«

Es folgten Feigen und Datteln … und ganz zum Schluss der unvermeidliche Apfel, fein in Stücke zerschnitten und seines Kerngehäuses beraubt.

Während die Musikanten uns weiter beglückten, war es längst stockfinster geworden; den Raum erhellten ein Dutzend Öllämpchen, die an drei ehernen Candelabra baumelten, und es kam nun zwangsläufig das allgemeine Gespräch auf, das ich in seinen Einzelheiten hier nicht wiedergeben möchte:

Es ging wie üblich ums Wetter im Allgemeinen und die aktuelle Hitzewelle im Besonderen; Decimus und Titus sprachen über die bevorstehende Ernte; aufgrund der Trockenheit müsse er mit Einbußen rechnen, sagte Decimus und beklagte sich über die Faulheit der Sklaven …

Quintus hingegen schwärmte von seinem neuen Pferd und fragte mich, ob ich reiten könne:

»Natürlich kann ich das«, sagte ich, und er lachte:

»…aber gewiss nur im komischen Damensitz, wenn man quer auf dem geplagten Ross hockt«, sagte er kichernd und blickte zu Iunia, seiner Mutter hinüber:

»Ganz recht, mein Junge«, sagte ich, »im Damensitz zu reiten ist kein Vergnügen; ich kann es aber auch im Herrensitz; ein Decurio der römischen Armee hat es mir beigebracht …«

Allgemeines Stimmengewirr, in das sich sogar die bass erstaunten um uns herum stehenden Tisch-Sklaven einmischten; Quintus sagte leise kichernd:

»Das werden wir ja sehen, ob du nicht aufschneidest; morgen will ich nämlich mit dir ausreiten; immer nur mit Mama oder Papa ist auf Dauer langweilig …«

Iunia verkündete, dass sie noch morgen nach Karthago fahren werde, um sich vom ersten Schneider der Stadt endlich wieder einmal einige neue Kleider anfertigen zu lassen, darunter eine nagelneue Reithose samt passendem Mieder … und tat damit vor allem mir kund, dass auch sie das Reiten in der Art der Männer bevorzugte …

Es folgte allgemeines Geschwätz, und zu allen wurde der beste Wein der Villa Iulia kredenzt, ein pikant gewürzter, mit heißem Wasser verdünnter süßer süffiger Roter, der, wie Quintus frech bemerkte, gut zu meiner Haarfarbe passte …

Nachdem ich noch einiges über mein gutes altes Britannia erzählt hatte, meine Zunge wollte dabei nicht immer, wie ich das von ihr verlangte, löste sich unsere feuchtfröhliche Gesellschaft auf, und man wollte oder sollte sich zur Ruhe begeben; alle erhoben sich; auch ich tat es … ziemlich zögerlich …

…und konnte mich kaum noch auf den Beinen halten; der Boden schwankte unter meinen Füßen; die Wände wankten; ich war an alles Mögliche nur nicht an Weingenuss gewöhnt …

Titus bemerkte sofort meine Nöte und reichte mir seinen Arm, um mich die Treppe hinauf zu geleiten; oh, wie ich das hasste; oh, wie ich ihn dafür hasste! Oh, wie ich das lustig sein wollende Getuschel hinter meinem Rücken verabscheute! Und erst das unverschämte Kichern der verfluchten Sklaven!

Vor dem Tor zu meiner Suite machte ich mich von dem Freund aus Londinium los, stolperte abschiedslos in meine Gemächer, ließ ihn draußen vor der Tür stehen und schob den Riegel vor; nur Afra war rasch mit mir hinein geschlüpft, hatte in jedem der Zimmer ein Öllämpchen angezündet und nahm mich Schwankende gnädig in ihre starken Arme:

»Decimus hat also zwei Söhne«, lallte ich mühsam, »und der ältere … namens Gaius … sollte etwa dreißig Jahre sein, ungefähr so alt, wie die Mutter des kleinen Quintus; er müsste also mit vollem Namen Gaius Iulius Agricola heißen und ist demnach mein entfernter Cousin, oder?«

»Gewiss, Madomna und genauso entfernt mit dir verwandt wie Dominus Titus aus Londinium, mit welchem du gerade eben noch die Liege teiltest; Quintus ist sein Halbbruder; als Gaius noch ein kleiner Junge war, sagt meine ältere Kollegin Nigra, soll er Quintus sehr ähnlich gesehen haben …«

»Iunia ist also Decimus‘ zweite Frau?«

»Mit der ersten war er nicht verheiratet; es war nur eine bezaubernd hübsche germanische Sklavin, mit der er sich eingelassen hatte, sagt Nigra, und Gaius ist daher … nur ein … Bastard … seine Mama starb bei der Geburt und ließ Decimus untröstlich zurück, sagt Nigra; er wollte danach nie wieder etwas von Frauen wissen, trank immer mehr und wurde fett …

Als ihm Gaius eines Tages seine Freundin vorstellte, mit der er sich heimlich schon verlobt hatte, die schönste Frau, die sie je gesehen habe, sagt Nigra, war der alte Bock von ihr hingerissen und heiratete sie auf der Stelle; sie hieß Iunia, und das sage ich dir, Madomna, sie heiratete ihn nur aus Berechnung, sagen hier alle Sklaven, indem sie einem Bastard den Laufpass gab, um sich den künftigen Herrn der Villa Iulia zu angeln …

Genau neun Monate später aber gebar sie unseren Quintus Iulius, und keiner weiß daher … ob Gaius oder Decimus sein leiblicher Vater ist … Decimus erkennt ihn jedenfalls als seinen eigenen Sohn an, während er Gaius nie adoptiert hat; er ist und bleibt daher … ein Bastard …«

»Und warum hat Decimus ausgerechnet mich zur Erzieherin seines Sohnes auserkoren? Er hätte sich doch bequem einen griechischen Sklaven kaufen können …«

»Das ist völlig richtig, Madomna, um den Kleinen geht es im Grunde ja gar nicht, und ich … ich konnte neulich … ein Gespräch zwischen Decimus und Afer, seinem Leibsklaven … äh … belauschen … und Decimus plant … hat vor … äh … damit er endlich … und dass Gaius nicht mehr …«

»…damit Gaius die Finger von der Stiefmutter lässt und sich mit mir verlustiert, nicht wahr?«

Afra nickte: »…und jetzt raus mit dir aus meiner Wohnung, du altes Klatschmaul; lass dich vor morgen früh hier nicht mehr blicken, falls du nicht ausgepeitscht werden willst …«

Fluchtartig verließ Afra meine Räumlichkeiten; ich schob erneut den Riegel vor, um mich nach hinten zu begeben:

An den Wänden entlang, wo sich zu meinem Erstaunen fast alle Gegenstände verdoppelt hatten, tastete ich mich bis zum Spiegelzimmer vor, öffnete den Gürtel, ließ ihn und das kostbare Kleid einfach zu Boden fallen und trampelte über es hinweg; an den beiden mich grausam einschnürenden Schläuchen zerrte ich solange, bis ich sie in wirren Fetzen von mir herunter gerissen hatte; hierauf zog ich das Band herunter, welches mein Haar für die Dauer der Cena gebändigt hatte, schleuderte es in den Spiegel hinein und ließ der roten Flut freien Lauf.

Dann schlüpfte ich ins griechische Hemd, das mich – am vergoldeten Haken hängend – tückisch wie eine gelbe Schlange belauerte und sah furchtsam nach der dem Spiegel gegenüberliegenden Mauer, voller banger Erwartung, aber nichts geschah; dann betrachtete ich mich im riesigen Spiegel:

Ich sah mich doppelt; eine obere Iulia überlagerte teilweise eine untere Iulia … beide in einer Aufmachung, über die ich jetzt grölend lachen musste; Vater hätte gesagt: »aufgetakelt!«

Erleichtert und enttäuscht zugleich wankte ich – nach dem unvermeidlich Umweg über meine göttliche Latrina – hinüber ins Schlafzimmer, um mich ungewaschen, ungekämmt und ohne die Zähne geputzt zu haben samt aller Schminke im Gesicht einfach aufs Bett sinken zu lassen.

Meinen letzten Gedanken, bevor ich einschlief, widmete ich den beiden jungen Männern, die mir heute begegnet waren, dem namenlosen Gespenst und meinem Nachbarn bei der Cena des Decimus Iulius; es waren, wie ich noch feststellen konnte, zwei grundverschiedene Personen; fangen wir mit Titus an:

Er mochte noch so nett sein, dachte ich, aber ich würde mich nie im Leben in ihn verlieben können, obwohl er es gewiss verdiente, dieser wunderbare Freund aus der Heimat, dieser stets freundliche, zuverlässige aber leider so nüchterne Kaufmann und Bankier aus Britannia; dann aber hielt ich kurz inne; war ich ihm wirklich gerecht geworden; war sein kurzer Kuss nicht wunderschön gewesen? Vielleicht; wer weiß?

Doch der unheimliche Mann, der aus der Wand heraus getreten war, um mich in die Arme zu schließen, übertraf alles; er war das Schönste, was ich je gesehen hatte …

… und dann wusste ich plötzlich, ohne sagen zu können, woher ich es wusste, dass der Jüngling, schöner als der Hermes des Praxiteles, kein anderer als Gaius Iulius Agricola war, Bastard der Villa Iulia …

Nachdem ich in Morpheus‘ Armen lag, träumte es mir von ihm und nur von ihm; es sollte, wie man so sagt, ein Wunschtraum gewesen sein, und all das, was sich darin ereignete, kann ich aus bestimmten Gründen hier nicht zu Papyrus bringen, mein viel zu neugieriger herzallerliebster Leser!

Soviel aber sei dir gerne verraten: Ich war dem Phantom mit Leib und Seele verfallen, obwohl mir die zuletzt grausige Erscheinung doch wohl sagen wollte, dass mit einem bösen Erwachen zu rechnen sei, und so stieß mir die Furcht, welche auf das Gefühl der Wonne folgte, eisig ihre Dolche in die Seele, denn es war nicht das erste Mal, dass mir die gütigen Götter einen Blick in die Zukunft gewährt hatten …

3 • Unser aller seltsamer Vorfahr

Samt meiner jüngeren Schwester Iuliola (Julchen), deren Geburt meiner Mutter das Leben kostete, bin ich die Tochter des Marcus Iulius Agricola und heiße naturgemäß Iulia, wie alle Töchter irgendeines Iulius; und was noch das Unverschämteste an diesem Namen ist: So gut wie alle Iulier behaupten, direkt oder indirekt vom berühmten Diktator Gaius Iulius Caesar abzustammen, ohne freilich den geringsten Beweis dafür zu haben …

Nehmen wir z.B. einmal die zahllosen Iulier aus Gallien: Als Caesar einst ihr Land eroberte, scharten sich viele freiwillig um ihn; hatten sie ihm lange genug treu gedient, gab er ihnen die Freiheit, und sie durften sich von nun an mit dem Familiennamen ‚Iulius‘ benennen.

Ein Ur-ur-ur-Enkel eines solchen Galliers nannte sich ‚Iulius Agricola‘ (Julius, der Bauer); er betrachtete sich längst als richtigen Römer, hatte es in seiner Heimatstadt Lugdunum (Lyon) zu einer gewissen Berühmtheit gebracht und eine Römerin von altem Adel geheiratet.

Ihre einzige Tochter – natürlich Iulia – wurde Frau des noch heute so berühmten Historikers Publius Cornelius Tacitus, und eben dieser verfasste in jungen Jahren eine Biographie seines Schwiegervaters Agricola, welcher sich unter den eifersüchtigen Augen des Kaisers Domitianus daran machte, ganz Britannia in mehrjährigen Feldzügen zu unterwerfen.

Doch als er endlich die Kaledonier (~ Schotten) am Berg Graupius vernichtend geschlagen hatte, berief ihn der Herrscher ab, und von daher kommt es, dass Caledonia bis heute nicht für Rom erobert werden konnte.

Kaiser Hadrianus fiel dann nichts Besseres ein, als eine riesige Mauer durch unsere Insel hindurch zu errichten, und kürzlich hat Antoninus Pius ein Wenig weiter im Norden einen provisorischen Erdwall aufschütten lassen, um die wilden Kaledonier von Einfällen ins Reich abzuhalten …

In der Agricola-Biographie des Tacitus findet sich die Wurzel unserer weit verzweigten Sippe, von der ich nur einen Teil persönlich kenne; nicht einmal meinen Vetter Titus Iulius Agricola aus Londinium kannte ich, bevor ich mich auf die Reise nach Africa machte, um dort erst Onkel Decimus kennen zu lernen.

Tacitus beschreibt nämlich die wundersame Eroberung der Insula Mona (~ Anglesey) westlich von Britannia, von der schon Iulius Caesar in seinen Commentarii geschrieben hatte, sie sei der religiöse Mittelpunkt der Gallier und Britannier.

Tacitus behauptet, die Römer wären hinüber geschwommen, um die Insulaner zu überrumpeln, welche auf eine Flotte gewartet hätten, aber in meiner Familientradition wird das ganz anders geschildert:

Oberster Druide (~ Priester) war damals dort unser aller Vorfahr, der wegen seines fuchsfarbenen Haares nur als der ‚Rote Priester‘ bekannt war; es war ein Mann von großem Weitblick, dem man die Gabe zuschrieb, in die Zukunft sehen zu können:

Der Rote Druide habe voraus gesehen, dass die Römer den Sieg davon tragen würden; um aber nicht als feiger Überläufer in die Annalen einzugehen, habe er den oben geschilderten Handstreich mit Agricola vereinbart, unter strengstem Stillschweigen natürlich, und beide Seiten konnten so ihr Gesicht wahren.

Unser Ahnherr habe dann das Schicksal seiner Familie in Agricolas Hände gelegt und sei prompt mit der Freiheit beschenkt worden; als Freigelassener habe er, wie bei den Römern üblich, den Namen ‚Iulius Agricola‘ angenommen und an seine Nachkommen vererbt; aufgrund seiner roten Haare gab man ihm den Beinamen ‚Rufus‘ (~ der Fuchsrote).

Noch viele Jahre lang soll er dann hoch verehrt als Jupiter-Priester amtiert und eine große Nachkommenschaft hinterlassen haben; gelegentlich, so sagt man, erscheint sogar sein fuchsrotes Haar wieder, wenngleich ich zurzeit das einzige derartige Glied der Sippe zu sein scheine …