Projekt Zukunft - Dirk Steffens - E-Book
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Projekt Zukunft E-Book

Dirk Steffens

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Beschreibung

Das neue Buch von Bestsellerautor und Terra-X-Moderator Dirk Steffens

Dirk Steffens, der bekannte Terra-X-Moderator und Naturschützer, befasst sich in seinem neuen Buch mit Themen aus den Bereichen Natur, Umwelt, Technik und Wissenschaft, die uns auf den Nägeln brennen. Gemeinsam mit einer Reihe kluger Köpfe wie Claudia Kemfert, Antje Boëtius oder Mojib Latif diskutiert er die Auswirkungen des Artensterbens, Nutzen und Schaden der Landwirtschaft, den Zustand der Meere, die künftige Beschaffenheit unserer Wälder, die Machbarkeit des ökologischen Wandels in der Wirtschaft, die Klimakrise und die Auswirkungen unseres Konsums. Er stellt Zusammenhänge her, wägt Pro und Contra ab, vermeidet einfache Antworten und hinterfragt scheinbare Gewissheiten. »Ist die Investition in Atomkraft sinnvoll, um den Klimawandel aufzuhalten?« ist nur eine dieser spannenden Fragen, die uns alle betreffen, weil sie mit darüber entscheiden, wie unsere Zukunft aussieht.

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Seitenzahl: 276

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Spannend, kontrovers, unterhaltsam, informativ: »Terra X«-Moderator Dirk Steffens trifft zehn herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und diskutiert zehn wichtige Zukunftsthemen.

Wozu brauchen wir Artenvielfalt, wie tödlich sind die Seuchen der Zukunft und wann werden unsere ausgelaugten Äcker unfruchtbar? Sterben die Meere und die Wälder, ist die Klimakrise schon da und was kostet sie eigentlich? Wie funktioniert moderne Sklaverei? Und was unterscheidet Mensch und Tier? – Für komplexe Probleme gibt es keine einfachen Lösungen. Forscherinnen und Forscher wie Antje Boetius, Mojib Latif, Friederike Otto, Matthias Glaubrecht oder Johannes Krause geben überraschende Antworten, hinterfragen Gewissheiten und stellen im Gespräch mit Dirk Steffens neue Zusammenhänge her.

Zum Autor

Dirk Steffens ist Wissenschaftsjournalist und der wohl bekannteste Artenschützer Deutschlands. In seiner »Terra X«-Reihe »Faszination Erde« erzählt er von den Wundern der Natur. Er engagiert sich außerdem als Botschafter beim WWF und dem Jane-Goodall-Institut, ist Biodiversitäts-Botschafter der deutschen Entwicklungspolitik und Mitbegründer der Biodiversity Foundation. Für seine Arbeit wurde er mit zahlreichen Preisen und der Ehrendoktorwürde der Universität Bayreuth ausgezeichnet. Gemeinsam mit Fritz Habekuß veröffentlichte er zuletzt den Bestseller »Über Leben. Zukunftsfrage Artensterben: Wie wir die Ökokrise überwinden«.

»Terra X«-Moderator Dirk Steffens ist vielleicht der beste Erklärer von Natursachverhalten.

WWF-Magazin

DIRKSTEFFENS

PROJEKTZUKUNFT

Große Fragen, kluge Köpfe, Ideen für ein besseres Morgen

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Cradle to Cradle Certified® ist eine eingetragene Marke

des Cradle to Cradle Products Innovation Institute.

1. Auflage

Copyright © 2022 Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Lizenz durch ZDF Enterprises GmbH

© ZDFE 2022

Mitarbeit: Anne Tucholski

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagfoto: © Tobias Schult

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN978-3-641-28620-0V001

www.penguin-verlag.de

Für Tino und Emil, denen die Zukunft gehört

Inhalt

Vorwort

1 Sterben die Ozeane, Antje Boetius?

2 Wird auf der Erde die Erde knapp, Andrea Beste?

3 Ist unser Wald noch zu retten, Michael Müller?

4 Können wir den Klimawandel noch stoppen, Mojib Latif?

5 Ist das noch Wetter oder schon die Klimakrise, Friederike Otto?

6 Können wir uns unsere Zukunft noch leisten, Claudia Kemfert?

7 Sterben die Menschen aus, Matthias Glaubrecht?

8 Warum sind wir alle Sklavenhalter, Friedel Hütz-Adams?

9 Wie viel Angst müssen wir vor Seuchen haben, Marylyn Addo?

10 Wann ist der Mensch ein Mensch, Johannes Krause?

Dank

Vorwort

Man sollte alles so einfach wie möglich machen,

aber nicht einfacher.

ALBERTEINSTEIN

Plötzlich reden alle über Wissenschaft: Ob Klimawandel, Coronapandemie oder Artensterben – ohne Forscherinnen und Forscher sind die großen gesellschaftlichen Debatten der Gegenwart kaum vorstellbar, ja geradezu unmöglich. Wir leben im Jahrhundert der Ökologie, denn niemals zuvor war es von so existenzieller Bedeutung, die Erkenntnisse aus Biologie, Chemie, Geologie, Physik und all ihren Tochterwissenschaften gegen ihre Auswirkungen auf das planetare Natursystem zu halten. Jeder weitere technologische Fortschritt ist verantwortungslos, wenn wir uns über die möglichen Folgen nicht im Klaren sind.

Unser zivilisatorischer Erfolg, der ja auf Erfindungen und Forschung beruht, hat uns bis an die planetaren Belastungsgrenzen der Erde geführt. Sie zu erkennen und einen Weg Richtung Zukunft einzuschlagen, der zwischen den Leitplanken verläuft, mit denen die Natur unsere Möglichkeiten begrenzt, ist die wohl größte Herausforderung, vor der die Menschheit je stand. Zum ersten Mal seit Entstehung des Lebens entscheidet nämlich nicht der evolutionäre Zufall oder ein Asteroideneinschlag über Sein oder Nichtsein, sondern eine einzelne Spezies, die ihr Schicksal – und das aller anderen Arten – in der Hand hat. Dies ist die Zeit, in der der Homo zeigen muss, wie viel sapiens wirklich in ihm steckt.

Zu verstehen, was wissenschaftliche Erkenntnisse bedeuten und welche Schlussfolgerungen sich daraus ziehen lassen, ist überlebenswichtig geworden. Globalisierung und Überbevölkerung wirken wie Turbolader für neue Pandemien, das größte Massenaussterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier stellt das Überleben unserer eigenen Art in Frage, die aus der Balance geratenen Stoffkreisläufe auf der Erde drohen neue Hungerkatastrophen auszulösen und die veränderte Zusammensetzung der Atmosphäre lässt die Meere gefährlich ansteigen. Wer genau hinsieht, wird feststellen, dass inzwischen viele, vielleicht sogar die meisten täglichen Topmeldungen auf Erkenntnissen aus den Naturwissenschaften beruhen.

Bei der Klimakatastrophe hat es etwa ein halbes Jahrhundert gedauert, bis aus wissenschaftlicher Gewissheit endlich politische Beschlüsse wurden – diese Trägheit kommt uns nun teuer zu stehen. Höchste Zeit also, genau hinzuhören, was die Wissenschaft uns heute über morgen zu sagen kann.

In diesem Buch berichten zehn herausragende Forschende in verständlicher Sprache vom Stand ihrer Arbeit. Ich habe sie in den Jahren 2021 und 2022 zu Gesprächen eingeladen, die wir aufgezeichnet und als »Terra X«-Podcasts veröffentlicht haben. Die nun gedruckte Fassung ist nicht immer eine buchstabengetreue Wiedergabe des gesprochenen Wortes, für die Buchform sind die Gespräche gekürzt und hier und da auch in eine lesbarere Formulierung übersetzt worden, natürlich in Absprache mit den Forschenden.

Ich selbst habe bei diesen Gesprächen viel gelernt. Über den Stand der Forschung, klar, aber vor allem, dass es für komplexe Probleme keine simplen Lösungen gibt. Einfache Antworten sind das Geschäft der Populisten, nicht das der Wissenschaft.

Die Forschungsergebnisse, über die in diesem Buch gesprochen wird, machen Mut, weil sie neue Möglichkeiten aufzeigen. Und die Forschenden sind deshalb auch nicht verzagt, sondern inspirierend zuversichtlich. Sie begreifen das »Projekt Zukunft« als Chance für die Menschheit. Ganz im Sinne von Karl Popper: »Es gibt zum Optimismus keine vernünftige Alternative.«

Dirk Steffens

1 Sterben die Ozeane, Antje Boetius?

Das Leben ist im Meer entstanden. Es bietet Millionen Arten eine Heimat, wie viele es sind, weiß niemand, denn die meisten davon sind bis heute unentdeckt. Gleichzeitig könnten die Arten im Meer schneller aussterben als diejenigen an Land, so zeigen Vorhersagen. Ozeane regulieren unser Klima und sind Nahrungsgrundlage für Milliarden Menschen, die ihren Proteinbedarf großteils durch Fisch und Meeresfrüchte decken.

Aber den Meeren geht es nicht gut. Der Klimawandel heizt sie auf, der massive CO₂-Ausstoß der Menschheit lässt sie versauern, die Korallenriffe sterben, und das Abschmelzen der Polkappen und Gletscher vernichtet Lebensraum und verändert die Strömungen. Mindestens 150 Millionen Tonnen Plastikmüll verschmutzen überdies die Meere, Überfischung und Überdüngung haben die Belastungsgrenzen längst überschritten. Weil die Ozeane etwa 70 Prozent unseres Planeten bedecken und weil ohne sie das Leben, so wie wir es kennen, gar nicht möglich wäre, ist der Schutz der Meere eine der ganz großen Zukunftsfragen der Menschheit. Vielleicht sogar die wichtigste Zukunftsfrage überhaupt.

Antje Boetius ist Tiefsee- und Polarforscherin, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts und damit Chefin unter anderem über die deutschen Forschungsstationen in der Arktis und der Antarktis sowie über das Forschungsschiff Polarstern. Studiert hat sie in Deutschland und den USA, auf Diplom und Doktortitel folgte eine Professur in Bremen. Sie hat an Dutzenden Ozeanexpeditionen auf allen Weltmeeren teilgenommen, ist Lehrbeauftragte in mehreren Ländern und Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Forschungsinstitutionen. Die Zahl der bedeutenden Wissenschaftspreise, die ihr bisher verliehen wurden, liegt klar im zweistelligen Bereich. Sie sitzt in internationalen wissenschaftlichen Beiräten, ist Mitglied der Leopoldina, Max-Planck-Gesellschaft und Scientists for Future, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und ein ziemlich lustiger Typ. Hätte der Musiker Prince, mit dem sie schon auf der Bühne getanzt hat, ihr angeboten, gemeinsam durchzubrennen, wäre sie vielleicht nie Wissenschaftlerin geworden.

Wenn man sich deine Biografie so ansieht, stellt man fest: Mehr Forscherin geht nicht, du bist im Grunde ein Supernerd. Aber, das ist bemerkenswert, du bist nach all den Jahren und Studien von deinem Forschungsgegenstand immer noch hemmungslos begeistert. Wann hat das angefangen?

Ich bin so geboren, würde ich sagen. Ich habe schon als Kind diese Nähe zum Ozean gespürt. Sicherlich gab es auch gefährliche oder angsterregende Situationen, die mir am oder im Meer widerfahren sind, aber wenn ich in der Nähe des Meeres bin und darüber nachdenke, wie fantastisch es ist, geht mir einfach das Herz auf. Seine Farben, der Geruch der Küste und alles, was ich schon gesehen habe vom Meer – da fühle ich mich einfach wohl. Woher das genau kommt, weiß ich nicht. Es ist in meiner DNA. Vielleicht habe ich ein bisschen mehr Fisch-DNA als andere Menschen.

Wir sollten dich mal sequenzieren, um das rauszufinden. Kannst du in einem Satz zusammenfassen, warum die Ozeane so wichtig für uns sind?

Das Leben wurde in den Meeren geboren, und es gäbe kein Leben ohne sie. Wir wissen nicht, ob noch irgendwo anders im Universum Leben existiert. Wir vermuten, dass der Ursprung des Lebens auf der Erde mit dem Wasser, mit dem Ozean zusammenhängt. Aber nicht nur das: Auch heute produziert der Ozean immer noch die Hälfte der Luft, die wir atmen. Das heißt, ohne den Ozean wäre es undenkbar, dass es uns und überhaupt das Leben, wie wir es kennen, geben würde.

Unsere Weltmeere sind also – im wahrsten Sinne des Wortes – Quelle des Lebens, weil sie Atemluft und Nahrung liefern.

Ja, das könnte man so sagen, weil im Laufe der Erdgeschichte eben frühes einzelliges Leben des Ozeans für den Sauerstoff in der Atmosphäre verantwortlich war und heute noch ist, und zwar durch seine Algen. Zu denen kommen wir sicherlich gleich. Wenn wir an pflanzliches Leben denken, fallen uns aber meist als Erstes unsere Wälder ein und vielleicht dieser Spruch: »Die Lunge der Erde ist der Regenwald«, nicht der Ozean.

Dabei sind einige Wälder mehr oder weniger sauerstoffneutral, weil sie fast so viel Sauerstoff verbrauchen, wie sie produzieren.

Genau, das muss man also trennen. Normalerweise ist die Natur im Gleichgewicht, das heißt, sie verbraucht so viel Sauerstoff, wie sie bildet. An Land sind es vor allem Gräser und Bäume, die den Sauerstoff produzieren. Im Ozean gibt es aber keine Bäume. Und trotzdem ist er für die Hälfte der Sauerstoffproduktion verantwortlich. Woher also kommt diese Kraft des Ozeans? Was sind das für Pflanzen, die diese enorme Arbeit leisten?

Es sind einzellige Algen, die uralt sind, vor allem Cyanobakterien, die schon lange da waren, bevor es überhaupt Pflanzen an Land gab. Ihnen verdanken wir einen großen Anteil an der Primärproduktion …

… das heißt, der Produktion von Biomasse aus Energie und anorganischen Stoffen …

… und damit auch an der Fähigkeit, CO₂ aufzunehmen und am Meeresboden abzuspeichern.

Über sehr lange Zeiträume, über Jahrmillionen, ist dieser Prozess – der Ozean nimmt CO₂ auf, gibt Nährstoffe zurück, produziert Sauerstoff und erhält dadurch die Balance des Lebens auf der Erde – nicht gestört worden. Bis der Mensch angefangen hat, daran herumzuschrauben, dadurch, dass er weggespeicherten Kohlenstoff als Energieträger nutzt und verbrennt. Das bedeutet natürlich nicht, dass uns jetzt die Luft zum Atmen ausgeht. Dennoch ist es wichtig zu verstehen, dass es fundamentale Leistungen des Ozeans gibt, über die wir gar nicht nachdenken, die aber vorhanden sind.

Das ist der Sauerstoffkreislauf. Ganz wichtig, den zu verstehen.

Unsere Atmosphäre besteht zu etwa 21 Prozent aus Sauerstoff. Das war nicht immer so: Erst nachdem die Evolution Lebewesen hervorgebracht hatte, die zur Fotosynthese fähig waren, konnte sich das O₂ in der Luft anreichern. Im Meer begannen Cyanobakterien bereits vor drei Milliarden Jahren mit der Produktion von Sauerstoff, die ersten Landpflanzen hingegen entwickelten sich erst vor etwa 500 Millionen Jahren.

Die Entstehung der Fotosynthese war eine Sternstunde der Evolution, denn dabei spalten Bakterien mit Hilfe von Sonnenlicht Wasser und nutzen Kohlendioxid, um zu wachsen – H₂O, CO₂ und Licht transmutieren zu Biomasse. Gleichsam als Abfallprodukt dieses biochemischen Prozesses entsteht Sauerstoff.

Der wiederum ist unverzichtbar für Tiere und Menschen. Deren Körperzellen benötigen Sauerstoff, um die Energie zu erzeugen, die uns am Leben hält. Bei der kalten Verbrennung von Nahrungsbestandteilen wie Zucker entsteht CO₂, und das wird ausgeatmet. Natürlich gibt es noch weitere wichtige Faktoren im Sauerstoffkreislauf der Erde, etwa die Vulkane, aber entscheidend sind Pflanzen, Tiere und Menschen.

Auch das Ozon ist eine Form von Sauerstoff und Teil dieses globalen Kreislaufs. Vor allem in der Stratosphäre, in etwa 20 bis 30 Kilometer Höhe, filtert es die gefährliche ultraviolette Strahlung aus dem Sonnenlicht. Zu viel von dieser Strahlung kann beispielsweise Krebs verursachen und würde unsere Existenz auf der Erde langfristig unmöglich machen. Die Stabilität des CO₂-Sauerstoff-Kreislaufes ist daher für uns eine lebenswichtige Frage.

Wenn wir uns die großen ökologischen Bedrohungen anschauen, etwa den Klimawandel, kommt diesen großen Stoffkreisläufen eine entscheidende Rolle zu. Wann hat man eigentlich angefangen, sie wissenschaftlich zu erforschen und sich mit der Bedeutung der Ozeane für die Stoffkreisläufe zu beschäftigen?

Die Frage des Kreislaufes von Atmosphäre, Gestein und Wasser gibt es schon lange, schon bei den alten Griechen. Dass wir aus dem Gleichgewicht laufen, wurde Ende des 19. Jahrhunderts postuliert. Die Rolle des Ozeans wurde dann in den 1970er-Jahren geklärt. Ich habe in den Achtzigerjahren studiert und damals versucht, mich vollzustopfen mit Wissen über die Ozeane. Zu dieser Zeit waren die Probleme des Klimawandels und der CO₂-Emissionen der Menschen schon wissenschaftlich bekannt, es war jedoch unklar, welche Rolle das Meer als Senke spielen könnte. Bei den Berechnungen, wie viel Gas, Öl und Kohle wir Menschen verbrauchen, wie viel CO₂ wir emittieren und was der Ozean davon wieder wegschafft, fehlten irgendwie immer ein paar Gigatonnen Kohlenstoff. Das war ein Riesenthema für die Meeresforschung. Und deshalb wuchs auch das Interesse der Wissenschaft an der Funktion der Ozeane.

Ich selbst bin damals als studentische Hilfskraft von Hamburg aus auf Forschungsschiffen mitgefahren. Da ging es die ganze Zeit darum zu verstehen: Was macht der Ozean für uns Menschen? Was genau ist seine Rolle in den großen Stoffkreisläufen? Und wo bleibt das CO₂, das er aufnimmt? Können die Algen schneller wachsen und mehr Kohlenstoff in die Tiefsee transportieren? Solche globalen Fragen haben mich neben meiner Liebe zur Artenvielfalt, zur Natur und zum Leben selbst total geprägt: diese essenziellen Funktionen der Natur zu begreifen. Und dabei ist der Ozean enorm wichtig.

Einige Forschende gehen davon aus, dass wir gerade einmal ein Drittel aller Meereslebewesen erforscht haben und die restlichen zwei Drittel noch völlig unbekannt sind. Vor allem die Tiefsee ist immer noch ein weißer Fleck auf der Karte. Es waren schon mehr Menschen auf dem Mond als im tiefsten Tiefseegraben. Beschreibe uns bitte einmal: Wie sieht es da unten aus? Wie ist das, wenn du in einem Tiefsee-U-Boot sitzt und die Scheinwerfer in der totalen Finsternis angehen?

Abtauchen ist das Schönste. Meistens frage ich auf dem Weg nach unten, ob die Scheinwerfer erst einmal ausbleiben können, weil für mich der Farbwechsel ein Highlight ist, also wenn vom Blau des Meeres noch ein Restlicht da ist, das immer schwächer wird, während man ins ewige Dunkel abtaucht. Wenn dann eben keine Scheinwerfer angeschaltet sind und auch die Computer und alle Lichter an Bord aus sind, sieht man im Dunkeln die Biolumineszenz, das Selbstleuchten des Lebens. Die Biolumineszenz ist in der Tiefsee weit verbreitet: Da gibt es Fische, die leuchten, leuchtende Quallen, Krebse, Kalmare und Würmer.

Da der Ozean voll ist von leuchtendem Leben, hat man das Gefühl, Astronaut zu sein. Dieses Abtauchen ins Dunkle mit dem Selbstleuchten der Lebewesen ist, wie im All unterwegs zu sein und die Sterne funkeln zu sehen.

Wenn wir dann am Meeresboden angekommen sind – dort ist ja mein Hauptforschungsgebiet – , machen wir die Lichter natürlich wieder an. Und da sieht man dann, dass der Meeresboden, der für manche zuerst wie eine langweilige Schlammwüste aussieht, doch überall Spuren von Leben trägt, weil er über und über besiedelt ist. Würmer, Krebse, Fische – alles versteckt sich im Schlamm.

Auf den ersten Blick gibt es nicht viel Struktur am Boden der Tiefseebecken, aber wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass sich etwa alle 40 bis 60 Kilometer die Lebensgemeinschaften und auch die Landschaft ändern. An den Mittelozeanischen Rücken können wir beobachten, wie bergige Landschaften entstehen: Durch das Aufeinandertreffen der Erdplatten bildet sich dort permanent neue ozeanische Erdkruste mit Felsen, Gräben, Bergen. Wie an Land verändern Höhenunterschiede die Besiedlung.

Aber das ist quasi alles noch Terra incognita. Es ist schon verrückt, sich das zu überlegen: 70 Prozent der Erde sind von Wasser bedeckt. Wenn man das Meer in Quadratmeterkästchen aufteilt, haben wir es bei den meisten Kästchen noch nicht einmal geschafft, einen Messpunkt zu setzen. Bis heute. Das heißt, unser Planet ist eigentlich ein fremder Planet.

Obwohl wir ihn noch nicht wirklich gut kennen, haben wir dennoch schon überall auf dem Planeten Spuren hinterlassen. Bei meinem allerersten Tiefseetauchgang setzten wir in ein paar Hundert Metern Tiefe auf dem Meeresgrund auf, in totaler Finsternis. Ich schaltete das Licht ein, und was sah ich? Eine Cola-Dose. An einem Ort, an dem noch nie ein Mensch war.

Es ist leider so: Wenn man in der Tiefsee misst, wenn man hinschaut und den Müll zählt, dann waren wir schon überall. Es gibt keinen Flecken in der Tiefsee, auf dem nicht schon Plastik oder andere Spuren von Müll angekommen sind. Etwas anderes sind die Folgen des Klimawandels. Auch dadurch wirken wir Menschen auf die Meere ein, sei es, dass sich an der Oberfläche der Meere bereits die Zusammensetzung der Artengemeinschaft verändert hat, sei es, dass die Nahrung, die Lebewesen in der Tiefsee zu sich nehmen, eine andere geworden ist.

Die Einwirkungen unserer Zivilisation sehen wir überall. Gleichzeitig ist die Tiefsee voll von verrücktem, vielfältigem Leben. Das wir, wie gesagt, noch gar nicht in Gänze kennen. Von 2000 bis 2010 gab es den Census of Marine Life, die »Volkszählung« in den Ozeanen …

… ein Riesenprojekt. Eines der größten biowissenschaftlichen Vorhaben aller Zeiten. Du warst natürlich mit dabei …

… da haben wir versucht zu schätzen, wie viel Leben es auf der Erde eigentlich wirklich gibt, wenn wir das Meer dazurechnen, mitsamt den kleinen Lebewesen, die ja oft vergessen werden. Und wir wollten auch wissen, wie viel Unbekanntes eigentlich noch zu entdecken ist. Dazu haben wir in vielen verschiedenen Regionen des Ozeans Proben genommen, und zwar nach einer statistischen Methode, die uns erlaubt hochzurechnen, wie viel Prozente der Meereslebewesen uns noch nicht bekannt sind. Dabei ist herausgekommen: In den Meeren sind uns noch circa 90 Prozent der Tiere unbekannt, bei den Mikroben könnte es sogar um eine Milliarde unbekannter Arten geben. Das ist ein erschreckendes Ergebnis, weil wir denken, wir kennen die Erde doch mittlerweile gut genug, um nach Spuren von fremdem Leben im All zu suchen. Aber auch der Ozean hat noch jede Menge Aliens zu bieten.

Weil es, ich wiederhole mich gerne, eben überlebenswichtig ist, dass wir die Meere kennen und verstehen und schützen. Wobei – eigentlich geht es dabei gar nicht so sehr um die Meere. Es geht um uns.

Ja, letztendlich geht es um uns, weil wir so sehr von den Meeren und dem Netzwerk des Lebens abhängen. Das ist so. Eine Zahl, die ich in diesem Zusammenhang unglaublich finde, ist, dass 10 Prozent aller Menschen innerhalb eines Abstands von 100 Metern zum Meeresufer wohnen und keinen Deich dazwischen haben. 10 Prozent der Menschen bedeutet, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts eine Milliarde Menschen durch den Anstieg des Meeresspiegels vertrieben werden wird. Wo sollen die hin? Das sind solche krassen Zahlen, um die wir schon jetzt wissen, mit denen wir umgehen müssen.

Die Ozeane waren im Jahr 2019 so warm wie noch nie zuvor. Seit den 1960er-Jahren steigt die Meerestemperatur kontinuierlich und immer schneller an. Die Wärmeenergie, die der Mensch den Meeren in den vergangenen 25 Jahren zugeführt hat, entspricht 3,6 Milliarden Hiroshima-Atombomben. Was für eine unglaubliche Zahl! Kein Wunder, dass die Meere sich aufheizen. Aber kurioserweise gibt es auch Gebiete, in denen die Ozeane sich gleichzeitig abkühlen. Das hat uns Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ungefähr so erklärt:

Im nördlichen Atlantik, südlich von Grönland, hat sich eine Atlantikregion im 20. Jahrhundert kontinuierlich abgekühlt, während ringsherum auf der Welt die Wassertemperaturen steigen. Die Forschenden nennen dieses Phänomen cold blob, »kalte Blase«. In einer Studie aus dem Jahr 2015 sind Stefan Rahmstorf und seine Kollegen und Kolleginnen zu dem Schluss gekommen, dass eine Abschwächung des Golfstrom-Systems dafür verantwortlich ist. Er ist so langsam geworden wie seit tausend Jahren nicht. Das hat Folgen, denn der Golfstrom transportiert riesige Wärmemengen aus dem Südatlantik über den Äquator bis vor die Küsten Grönlands. Dort wird die Wärme an die Luft abgegeben. Wenn dieses Strömungssystem nachlässt, erreicht weniger Wärme den nördlichen Atlantik, und deshalb kühlt diese Region ab – kurioserweise als Folge der globalen Erwärmung. Denn die Ursache für das Schwächeln des Golfstroms ist möglicherweise das Süßwasser von den schmelzenden Gletschern Grönlands. Der Golfstrom wird nämlich von zwei großen Kräften angetrieben: den Unterschieden in Temperatur und Salzgehalt. Fließt wie zurzeit ungewöhnlich viel Schmelzwasser ins Meer, verändert sich dessen Salzgehalt, und die globale Wasserpumpe gerät ins Stottern. Dabei kann schlimmstenfalls ein Teufelskreis entstehen: Das Wasser sinkt eigentlich im nördlichen Atlantik ab, weil es kalt und schwer ist und einen hohen Salzgehalt aufweist. Der Salzgehalt ist aber nur hoch, weil es diese Strömung gibt, die Strömung gibt es nur, weil der Salzgehalt hoch ist. Das eine geht nicht ohne das andere. Stefan Rahmstorf spricht deshalb von einem sich selbst verstärkenden Rückkopplungseffekt. Im Extremfall könnte der dazu führen, dass sich das Klima in Europa dramatisch verändert.

Ja, das ist ein so wichtiger Baustein für die Zukunftsszenarien, auf den Stefan sehr früh hingewiesen hat – er ist überhaupt einer der mutigsten Wissenschaftler, wenn es um das frühe Aufspüren möglicher Zusammenhänge zwischen unseren Emissionen und dem Verhalten des Ozeans geht. Erst einmal schimpfen dann viele, auch in der Wissenschaft, und sagen, er übertreibt – und hinterher kommt heraus: Oh ja, wir haben das nachgemessen, da ist ja doch was dran.

Ich erinnere mich noch, wie heftig Al Gore, der ehemalige US-Vizepräsident, vor über einem Jahrzehnt kritisiert wurde, als er in seinen ersten Vorträgen zur Klimakrise gesagt hat, dass der Golfstrom sich abschwächen könnte. Das wurde als vollkommen unwissenschaftlich abgetan. Jahrelang hat man dann nichts dazu gehört, und dann hieß es plötzlich: Doch, doch, der Golfstrom wird sich abschwächen. Wie kann das sein, dass die Wissenschaft erst das eine und dann das andere sagt?

Es ist eben einfach wahnsinnig schwer, Prozesse und Veränderungen im Ozean zu messen. Das fängt bei der Bestimmung an, was wir eigentlich genau mit »Golfstrom« meinen, geht über das Thema der Anzahl der Beobachtungsstationen, die überhaupt in der Lage sind, relevante Messungen vorzunehmen, und reicht bis zur Frage, welche Klimamodelle eigentlich präzise und hochauflösend genug arbeiten, um auch Phänomene wie den cold blob abbilden zu können. Das ist nicht einfach und führt manchmal auch zu Streit in der Gemeinschaft der Ozeanografinnen und Ozeanografen.

Dann schieß mal los: Was genau heißt es, wenn der Golfstrom sich abschwächt?

Ganz oft wird beim Thema Golfstrom an den Kinofilm »The Day After Tomorrow« gedacht, dass die Ozeanströmungen stillstehen und damit auch der Golfstrom, dass wir dann einfach überfrieren. Aber das Stillstehen geht natürlich nicht, weil die Erde sich dreht, weil die Winde wehen. Und deshalb ist es auch nicht so, dass wir uns jetzt alle entspannt zurücklehnen können, weil es so kalt wird, dass die Konsequenzen der Erderwärmung für Europa durch den cold blob gestoppt werden. So ist das nicht.

Im Gegenteil: Stefan Rahmstorf hat auch darauf hingewiesen, dass der cold blob eher nicht dazu führt, dass wir es ein bisschen besser haben, weil die Temperaturen moderater oder gar nicht steigen. Es könnte sogar das Gegenteil dabei herauskommen.

Nicht nur die Abschwächung der Strömungen ist ein Thema, sondern auch die Versauerung. Meere bilden nämlich CO₂-Senken, das heißt, sie nehmen CO₂ auf und speichern es. Zu unserem Glück. Ungefähr ein Drittel des vom Menschen ausgestoßenen Kohlendioxids schluckt der Ozean. Aber: Das Kohlendioxid verbindet sich mit dem Meerwasser teilweise zu Kohlensäure. Die Folge: Der pH-Wert des Meerwassers sinkt, das Wasser wird chemisch betrachtet saurer. Was bedeutet das genau?

Einerseits hilft es uns, dass die Meere so viel aufnehmen, doch die fatale Folge ist, dass schon heute dadurch die Korallenriffe zur Hälfte ausgebleicht sind. Korallen sind Tiere, genauer gesagt Polypen, die zusammenarbeiten mit ihren Symbionten – einzelligen Algen – , die genau wie die Pflanzen an Land Fotosynthese betreiben. Dabei fällt Futter für die Polypen ab.

Werden die Korallen aber von ihren Symbionten verlassen, bleichen sie aus und gehen schließlich ein. Die Algen verlassen ihren Wirt, wenn das Meerwasser versauert, wärmer und schmutziger wird.

Vor Papua-Neuguinea habe ich einmal mit eigenen Augen gesehen, was Meeresversauerung bedeutet. Dort gibt es einen unterseeischen Vulkan, der mit seinen Ausbrüchen das Wasser um ihn herum total versauert. Die Korallen in dieser Gegend sind alle tot. Was passiert eigentlich in einem Meer ohne Korallen?

Die Vorhersage ist, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts 99 Prozent der Korallen sterben werden, wenn wir die CO₂-Emissionen nicht fundamental absenken. Es würde also praktisch keine gesunden Korallenriffe mehr geben. Da denkt man traurig, okay, die schönen Korallen sind weg, das ist ja richtig Mist, das ist ja doof für den Tourismus. Aber was wir alle verstehen müssen, ist, dass Korallenriffe ein Megahabitat sind.

Es wird geschätzt, dass ungefähr jede dritte Tierart im Ozean im Verlauf ihres Lebens auf die eine oder andere Weise etwas mit einem Korallenriff zu tun hat. Entweder gehen diese Tiere dort auf Nahrungssuche. Oder sie suchen selbst Schutz darin. Sie treffen sich dort zur Vermehrung. Hier zeigt sich eine riesige Vernetzung des Lebens, die unglaublich viele Arten betrifft und zu Kettenreaktionen führen kann, wenn die Korallenriffe nicht mehr existieren.

Man kann Korallenriffe in der Hinsicht vielleicht mit Wäldern vergleichen.

Dann wäre das Sterben der Korallen im Meer ähnlich verheerend wie das Abholzen der Regenwälder an Land.

Genau so kann man das sehen.

Verheerend wäre das Verschwinden der Korallenriffe also auch deswegen, weil die zwei, drei Milliarden Menschen, die sich von Fischen und Meeresfrüchten ernähren, dann ihre wichtigste Proteinquelle verlieren würden?

Ein großes Problem neben dem Verlust von Artenvielfalt ist auch der Verlust des Schutzes durch wachsende Korallenriffe. Mit der Nahrung ist es komplexer, auch hier würde wieder vor allem die lokale Bevölkerung getroffen, die Abhängigkeit zu anderen Proteinquellen würde enorm steigen …

… was uns zu einer unschönen Erkenntnis führt: Ohne Aquakultur, also quasi Massentierhaltung im Wasser, wird es überhaupt nicht mehr genug Fische geben, um unseren Bedarf zu decken. Wir müssen das machen, um zu überleben.

Es ist der helle Wahnsinn. Kaum jemand weiß das, aber mittlerweile haben wir die Produktivität der Meere – und damit zusammenhängend die Möglichkeit, Fisch nachhaltig zu fischen – so verändert, dass wir für die Deckung unseres Nahrungsbedarfs über 50 Prozent Aquakultur brauchen. Wir ersetzen die Fähigkeit der Natur, uns zu ernähren, durch technische Lösungen, die verheerende Konsequenzen haben. Siehe die Geschichte vom Lachs als Massenprodukt und seinen Krankheiten, die sich in Wildbeständen ausbreiten.

Aber es ist im Grunde das Gleiche, was wir an Land gemacht haben: Dort haben wir auch irgendwann aufgehört, Tiere im Wald zu jagen, und begonnen, Schweine zu mästen. Auch nicht ohne Folgen. Bei den Aquakulturen sehen diese Folgen so aus: Da werden Fische gezüchtet, die wir essen wollen, die wiederum mit Fischen gefüttert werden, die im Meer gefangen werden und deren Bestände dadurch zurückgehen. Wir rotten also nicht nur die Fische aus, die wir essen wollen, sondern auch jene, die diesen Fischen als Nahrung dienen.

Aber nicht nur das. Wir roden Mangrovenwälder und verändern in den kalten Fjorden, wo sich künftig die Fischfarmen befinden müssen, weil es anderswo zu warm ist, das Artengefüge, um durch Aquakultur unseren Proteinbedarf zu decken, der ja nicht gerade klein ist. Die Hälfte der Menschheit braucht Meeresnahrung, also Fisch, um 20 Prozent ihres Eiweißbedarfs zu decken. Das ist sehr viel.

Dazu braucht es also die entsprechende komplexe Forschung, nur haben wir auch in Deutschland noch nicht einmal eine umfassende Perspektive entwickelt, wie der Ozean insgesamt Teil der Lösung sein kann. Es gibt kein nachhaltiges Aquakulturkonzept in Deutschland, das die Natur und Umwelt ebenso berücksichtigt wie Arbeitsplätze, wie andere Bedarfe. Dabei gibt es so viele Chancen. Warum vertun wir die große Möglichkeit, einen Einklang zu schaffen zwischen den Möglichkeiten, die das Meer eigentlich bietet? Das hieße etwa, Windkraft, Aquakultur und nachhaltige Fischerei zusammenzudenken.

Wir sollten die Möglichkeiten nutzen, die wir in Deutschland und Europa haben, nämlich traditionelle Fischerei und nachhaltige küstennahe Fischmanufakturen zu erhalten und zu verkoppeln mit den Aufgaben im Energiesektor, mit Tourismus sowie Wissen über die Ozeane. Ein erster wichtiger Schritt ist, Windkraft, Naturschutz und Fischerei zusammenzuführen, gemeinsame Lösungen zu entwickeln.

Aber was ist mit den Schutzzonen im deutschen Seegebiet? Ich war erstaunt, als ich gehört habe, dass es marine Nationalparks gibt. Das ist doch eine wunderbare Maßnahme. Oder nicht?

Ja, endlich wird es auch dort besser; nun müssen wir die wachsenden Schutzgebiete und Schutzmaßnahmen nur noch intensiver mit Forschung begleiten, verstehen, welche Maßnahmen helfen, und dabei auch immer den gesamten Umweltzustand einschließlich Erwärmung, Müll, Lärm in den Blick nehmen. Es ist die Dekade des Ozeans und der Restauration der Ökosysteme – wir könnten da mehr schaffen.

Das hast du jetzt aber sehr diplomatisch gesagt. Ich füge hier mal ein, wie die Umweltschutzorganisation WWF den Meeresschutz in Deutschland beurteilt:

»Etwa 70 Prozent der Küstengewässer im Zuständigkeitsbereich der Küstenbundesländer sind bereits formal geschützt. In der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ, die Meeresfläche jenseits des Küstenmeeres bis zur 200-Seemeilen-Grenze), für die die Bundesregierung zuständig ist, beträgt der Anteil rund 30 Prozent. Fasst man Küstenmeer und AWZ zusammen, sind insgesamt etwa 45 Prozent der deutschen Meeresfläche als Schutzgebiete ausgewiesen. Diese Flächen sind somit gesetzlich geschützte Gebiete, in denen ein angemessener Schutz von Tieren wie Schweinswalen und Vögeln, von Lebensräumen wie mit Wasser bedeckten Sandbänken und Riffen mit ihren Lebensgemeinschaften und Naturprozessen vor Beeinträchtigungen durch gefährdende Nutzungen und Eingriffe zu gewährleisten ist. … Trotz der Verpflichtung durch die EU, bis Ende 2013 in den Natura-2000-Gebieten Schutzmaßnahmen für die Schutzgüter einzuführen, sind für die Meeresschutzgebiete (insbesondere die marinen Natura-2000-Gebiete in der AWZ) bisher kaum oder keine Managementpläne verabschiedet worden, die die unterschiedlichen Nutzungen und Eingriffe zugunsten des Naturschutzes regeln. Hierzu gehören insbesondere die kommerzielle sowie die Sportfischerei, Extraktion von Öl, Gas, Sand und Kies sowie die Schifffahrt.«

Also im Klartext: Wir haben zwar Schutzgebiete, aber in diesen Schutzgebieten ist bisher fast alles erlaubt, sogar der Kiesabbau, nur weil es keine Pläne gibt, in denen steht, was eigentlich wie geschützt werden soll?

Ja, es ist traurig, wie wenig bisher tatsächlich bei uns erreicht wurde. Denn wenn wir nicht schaffen, auch selbst einmal etwas zu leisten in Bezug auf Meeresschutz, können wir auch nicht anderen Ländern auf der Erde sagen: Macht das mal schön ordentlich mit den Riffen und Fischen. Wir können es nicht vor unserer Haustür oder in unseren Lieferketten, aber ihr sollt es bitte schaffen. So geht das nicht.

Wie geht es dann? Diese Widersprüchlichkeit zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir wollen, ist vielleicht der Kern des Problems. Kennst du das nicht auch von dir selbst?

Wir fühlen und wollen etwas, aber können dann doch nicht das Richtige tun. Dabei geht es jedoch auch immer um den politischen Rahmen. Es muss Freude machen, leichtfallen, sich natur-, klima- und umweltschützend zu verhalten, es darf nicht das Teure, Unbequeme, Lästige sein – und dafür braucht es Regeln und ein ökonomisches Prinzip.

Vielleicht ist die Zögerlichkeit beim Naturschutz aber auch einfach eine Frage der Kommunikation. Denn, ganz ehrlich, sogar ich bin manchmal genervt von den ganzen negativen Erzählungen, weil ich das Gefühl habe, dass sie unglaublich viel Angst schüren. Es ist doch auch eine Frage der Art und Weise, wie berichtet wird.

Es ist aber richtig, dass sie Angst machen. Wir müssen ja die Wahrheit sagen. Und die Wahrheit ist: Das, was da in Form von sich aufeinander aufbauenden, aufschaukelnden Krisen kommt, ist fürchterlich. Wir würden doch lügen, wenn wir sagen, na ja, wir haben ja noch Zeit, so um 2030 können wir vielleicht mal ein bisschen mehr mit Wasserstoff hantieren. Natürlich gibt es viele Lösungen und Hoffnung – aber klar zu wissen, was wir nicht wollen, was wir fürchten, hilft doch Prioritäten zu setzen.

Was würde sich denn verbessern in unserem Leben, wenn wir wirklich nachhaltig wirtschaften, leben, arbeiten?

Ich denke, dazu gehört es ganz zentral zu verstehen, dass wir dringend aus dem Krisenmodus herauskommen müssen. Anders gesagt: Wir müssen endlich verstehen, dass sich unser Leben entscheidend verbessert, wenn wir mehr im Gleichgewicht mit dem Klima und der Natur leben. Es wäre eine Wohltat, den Krieg mit der Natur zu beenden. Dann hätten wir Zeit für andere Dinge und empfänden ein Wohlgefühl deshalb, weil wir wüssten, dass es eben nicht so ist, dass unsere Existenz Korallen vernichtet oder die Menschenaffen vor unseren Augen wegsterben lässt.

Wir haben die Chance, es anders zu machen. Deswegen bin ich auch der Meinung, dass wir keine blumigen Erzählungen benötigen, sondern die Wahrheit. Denn wir haben die Wahl: Hier ist der eine Pfad, da der andere. Welchen schlagen wir ein?

Das ist für mich eigentlich die richtige Art und Weise, mit Menschen zu sprechen.

Vielleicht würde es auch helfen, klarer zu machen, dass wir Menschen ebenfalls ein Teil der großen, natürlichen Kreisläufe sind. Für mich jedenfalls war es ein Schlüsselmoment, als ich zu verstehen begann, welche großen Kreisläufe da draußen wirken und wie die verschiedenen Mechanismen der Natur ineinandergreifen und voneinander abhängen. Dass alles mit allem verbunden ist. Ein großes Gefühl. Kennst du das?