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Von Antidepressiva bis zu Z-Substanzen Jan Dreher gibt einen praxisorientierten Überblick über Dosierung, Pharmakologie und Nebenwirkungen der relevantesten Psychopharmaka. Indikationsbezogen stellt der erfahrene Kliniker gezielt geeignete Präparate vor. Auch zu den Themen Gerontopsychiatrie, psychiatrische Notfälle und Wechselwirkungen bringt er das Wesentliche auf den Punkt. Weitere Aspekte sind legale und illegale Drogen sowie medikamentöse Therapiemöglichkeiten in der Entzugsbehandlung. Die vollständig aktualisierte und erweiterte Neuauflage ist ein ideales Praxismanual für Psychiater und Ärztliche Psychotherapeuten in Klinik und Praxis und eine wichtige Informationsquelle für Psychologische Psychotherapeuten, darüber hinaus auch für Neurologen, Notfallmediziner, Internisten und Allgemeinärzte sowie Sozialdienstmitarbeiter und Fachkrankenpflegepersonen. Keywords: Psychopharmakotherapie, Psychopharmakologie, Psychopharmaka, Drogen, Genussmittel, Psychiatrie, Psychiatrie, Medikamentenwechselwirkungen, Suizidalität, Kitteltasche
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Seitenzahl: 285
Veröffentlichungsjahr: 2017
Jan Dreher
Psychopharmakotherapie griffbereit
Medikamente, psychoaktive Genussmittel und Drogen
3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
Mit 11 Abbildungen und 16 Tabellen
Dr. med. Jan Dreher
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Chefarzt der Klinik Königshof
Am Dreifaltigkeitskloster 16, 47807 Krefeld
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Projektakquise: Dr. med. Julia Fiedler
Lektorat: Dipl.-Chem. Claudia Ganter
Umschlagabbildung: © Nenov Brothers – Fotolia
ISBN 978-3-7945-9131-2
Für meine geliebte Familie
Claudia, Elias und Laurenz
Das Gebiet der psychoaktiven Substanzen, also der Psychopharmaka, der psychoaktiven Genussmittel und der Drogen, ist mittlerweile ein Dschungel. Es gibt eine unüberschaubare Anzahl an einzelnen Substanzen, die scheinbar alle unterschiedlich sind. Sie verursachen eine Fülle an erwünschten und unerwünschten psychischen Wirkungen. Bei einigen Substanzen oder bestimmten Kombinationen lauern auch ernsthafte Gefahren.
Ich möchte Ihnen anbieten, Ihre ersten Exkursionen in den Dschungel der Psychopharmakotherapie als Ihr Reiseführer zu begleiten. In diesem Buch erkläre ich Ihnen, wie Sie sich selbstständig im Gebiet der Psychopharmaka orientieren, beschreibe die wichtigsten Vertreter der verschiedenen Spezies, die Sie auf Ihrem Weg vermutlich antreffen werden, und gebe Ihnen auch meine ganz persönliche Beurteilung mit auf den Weg.
Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung in der psychiatrischen Aus- und Weiterbildung sowie meiner Arbeit als klinisch tätiger Psychiater habe ich einen Reiseplan entwickelt, der Ihnen Schritt für Schritt die wichtigsten Kenntnisse im Umgang mit Psychopharmaka näherbringt. Aufgrund der besonderen Bedeutung im psychiatrischen Alltag sind in diesem auch die wichtigsten psychoaktiven Genussmittel und Drogen sowie die Behandlung der damit verbundenen Krankheiten enthalten.
Ich freue mich über Feedback zu diesem Buch, zu den vorgestellten Darstellungen und Einschätzungen, die Sie mir gerne an [email protected] mailen können. Jetzt wünsche ich Ihnen aber erstmal viel Spaß bei der Erkundung des Dschungels der Psychopharmakotherapie!
Krefeld, im April 2017
Jan Dreher
Einleitung
1Psychopharmaka im Überblick
1.1 Wahl des Psychopharmakons
1.2 Wirkung der Neurotransmitter
1.3 Verordnungshäufigkeit der Psychopharmaka
2Antidepressiva
2.1 Einteilung
2.2 Geschichte
2.3 Wirkprinzipien
2.4 Therapie
2.4.1 Depression
2.4.2 Angststörungen
SSNRI, SSRI
Pregabalin
Benzodiazepine
2.4.3 Zwangserkrankungen
2.4.4 Somatoforme Störungen
Psychotherapie
SSNRI, SSRI oder Trizyklika
Schmerzbehandlung
Benzodiazepine
2.5 Wirkstoffklassen
2.5.1 SSRI
2.5.2 SSNRI
2.5.3 NARI
2.5.4 Tri- und tetrazyklische Antidepressiva
2.5.5 MAO-Hemmer
2.6 Wirkstoffe
2.6.1 Citalopram
2.6.2 Escitalopram
2.6.3 Sertralin
2.6.4 Venlafaxin
2.6.5 Duloxetin
2.6.6 Milnacipran
2.6.7 Mirtazapin
2.6.8 Agomelatin
2.6.9 Amitriptylin
2.6.10 Moclobemid
2.7 Nebenwirkungen
2.7.1 Serotoninsyndrom
2.7.2 Antidepressiva und Suizidalität
2.7.3 Absetzerscheinungen
2.8 Welches Antidepressivum gebe ich wem?
3Neuroleptika
3.1 Einteilung
3.1.1 Chemische Struktur
3.1.2 Neuroleptische Potenz
3.1.3 Unterschiedliche Nebenwirkungen
Typika
Atypika
3.2 Geschichte
3.3 Antipsychotika
3.3.1 Wirkprinzipien
3.3.2 Rezeptorbindungsprofile
3.3.3 Therapie
Psychose
Delir
Wahnhafte Depression
3.3.4 Exkurs: Die CATIE-Studie
3.3.5 Wirkstoffe
Benperidol und Haloperidol
Risperidon
Olanzapin
Aripiprazol
Amisulprid
Quetiapin
Ziprasidon
Sertindol
Clozapin
3.3.6 Depotneuroleptika
3.3.7 Welches Antipsychotikum gebe ich wem?
3.4 Sedativa
3.4.1 Promethazin
3.4.2 Opipramol
3.5 Antihyperkinetika
3.5.1 Tiaprid
3.6 Neben- und Wechselwirkungen
3.6.1 Extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS)
3.6.2 Akathisie
3.6.3 Metabolisches Syndrom
Bauchumfang als Leitkriterium
3.6.4 Agranulozytose
3.6.5 QTc-Zeit-Verlängerung
4Phasenprophylaktika
4.1 Phasenprophylaxe
4.2 Therapie
4.2.1 Manische Episode
4.2.2 Depressive Episode
4.3 Wirkstoffe
4.3.1 Lithium
4.3.2 Valproinsäure
4.3.3 Carbamazepin
4.3.4 Lamotrigin
5Anxiolytika
5.1 Neuroleptanxiolyse
5.2 Benzodiazepine
5.2.1 Äquivalenzdosierungen
5.2.2 Nebenwirkungen
5.2.3 Wirkstoffe
Diazepam
Lorazepam
6Schlafmittel
6.1 Doxylamin
6.2 Die Z-Substanzen
6.2.1 Zolpidem
6.2.2 Zopiclon
6.3 Trimipramin
7ADHS-Therapeutika
7.1 Atomoxetin
7.2 Methylphenidat
8Genussmittel
8.1 Alkohol
8.2 Nicotin
8.3 Coffein
9Illegale Drogen
9.1 Heroin
9.2 Cocain
9.2.1 Cocain(hydrochlorid)
9.2.2 Crack
9.3 Amphetamine
9.3.1 Amphetamin: Speed, Pep
9.3.2 MDMA
9.3.3 Methamphetamin
9.4 Cannabis
9.4.1 Spice
9.5 Gamma-Hydroxybuttersäure
10Gerontopsychiatrie
10.1 Wasser
10.2 Eindosierung von Medikamenten
10.3 Therapie des Delirs im Alter
10.4 Antidementiva
10.4.1 Einteilung
10.4.2 Wirkprinzipien
Acetylcholinesterasehemmer
NMDA-Antagonist
10.4.3 Therapie
Morbus Alzheimer
Gemischte Demenz
Vaskuläre Demenz
Frontotemporale Demenz
Parkinson-Demenz
Lewy-Körperchen-Demenz
10.4.4 Wirkstoffe
Galantamin
Donepezil
Rivastigmin
Memantin
11Notfälle
11.1 Pharmakotherapie des Erregungszustandes
Agitation durch Drogenintoxikation
Agitation im Rahmen eines Delirs
Agitation im Rahmen eines Alkoholrausches
Der psychotische Erregungszustand
Agitation unklarer Ursache
11.2 Suizidalität
12Medikamentenwechselwirkungen
12.1 Pharmakokinetische Wechselwirkungen
Beschleunigter Abbau eines Medikaments durch ein anderes Medikament
Verlangsamter Abbau eines Medikaments durch ein anderes Medikament
12.2 Pharmakodynamische Wechselwirkungen
Sich gegenseitig verstärkende Wirkungen zweier Medikamente
Sich gegenseitig abschwächende pharmakodynamische Wechselwirkungen
Andere pharmakodynamische Wechselwirkungen
12.3 Mein persönliches Fazit
13Psychopharmaka und Schwangerschaft
14Sinnvolle Kontrolluntersuchungen
Glossar
Sachverzeichnis
Eine Tasse Kaffee am Morgen, eine Tablette gegen Depressionen nach dem Frühstück, eine Zigarette an der Bushaltestelle, ein Glas Wein am Abend, ein Schlafmittel: Die meisten von uns nehmen immer mal wieder Substanzen ein, die eine direkte oder indirekte Wirkung auf das Gehirn haben. Dabei setzen wir diese Substanzen oft gezielt ein, um den gewünschten Effekt zu erreichen. Der Kaffee soll uns wach machen, der Wein entspannen, das Schlafmittel müde machen.
Die Psychopharmakologie beschäftigt sich mit Medikamenten, Genussmitteln und Drogen. Alle drei Wirkstoffgruppen haben eine Wirkung auf das Gehirn, auf die Psyche. Die Wirkung ist zumeist steuerbar, planbar, lenkbar, beschreibbar.
In der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen wollen wir mit den eingesetzten Psychopharmaka ganz gezielt eine bestimmte Wirkung auf das Gehirn entfalten, um so Krankheitsbeschwerden zu lindern oder Krankheiten zu besiegen.
In diesem Buch beschreibe ich zunächst die psychiatrischen Medikamente, da sie den Schwerpunkt bilden.
Danach beschreibe ich die wichtigsten Genussmittel (Alkohol, Nicotin, Coffein) nach pharmakologischen Gesichtspunkten und beschreibe jeweils die Möglichkeiten der medikamentösen Unterstützung von Entzugsbehandlungen bei Abhängigkeit von diesen Genussmitteln.
Schließlich stelle ich Ihnen die häufigsten Drogen vor, die in der psychiatrischen Behandlung eine Rolle spielen. Der Konsum bestimmter Drogen geht regelmäßig mit bestimmten psychiatrischen Störungen einher, die Sie besser verstehen können, wenn Sie die Pharmakologie dieser Substanzen kennen.
Ich teile die Psychopharmaka in fünf Hauptgruppen ein, die die fünf hauptsächlichen Wirkungen psychiatrischer Medikamente abbilden: antidepressiv, antipsychotisch, phasenprophylaktisch, angstlösend und beruhigend.
Nachdem ich Ihnen einen Überblick über die jeweiligen Gruppen vermittelt habe, unterteile ich die Gruppen in sinnvolle Untergruppen. Die Untergruppen der Antidepressiva sind z.B. die SSRI, SSNRI, Trizyklika und MAO-Hemmer. Dann stelle ich Ihnen jeweils einige typische und prominente Vertreter dieser Untergruppen vor. Dabei erkläre ich Ihnen, wie ich das jeweilige Präparat verschreibe, welche Erfahrungen ich damit gemacht habe und wie ich es bewerte. Wenn Sie sich mit einem Präparat einer Untergruppe auskennen, können Sie üblicherweise daraus auf die anderen Präparate dieser Untergruppe schließen. Ich selbst glaube, dass zwei unterschiedliche Präparate einer Untergruppe weit weniger Unterschiede aufweisen, als man in vielen Fällen annimmt.
In der Psychopharmakologie ist es besser, einige wenige Substanzen zu kennen, diese aber richtig. Sammeln Sie zunächst mit einigen Standardpräparaten Erfahrungen. Im zweiten Schritt können Sie Ihr Spektrum erweitern. Die Auswahl der hier vorgestellten Präparate ist dazu geeignet, sich zunächst auf diese grundlegenden Substanzen zu konzentrieren, um später weitere kennenzulernen.
Ich möchte explizit darauf hinweisen, dass sowohl die Auswahl als auch die Wertung der Medikamente aus meiner persönlichen Erfahrung erfolgten. Jeder Leser muss sich selbst ein Bild von den verschiedenen Substanzen sowie ihren Stärken und Schwächen machen. Ich hoffe aber, Ihnen mit meinen sehr persönlichen Einschätzungen einen Startpunkt und wesentliche Anhaltspunkte für Ihre Überlegungen zu geben.
Dieses Buch richtet sich an angehende Psychiater, angehende Psychologische Psychotherapeuten, Hausärzte, Internisten, Krankenpflegepersonal, Betreuer, Angehörige und Patienten.
Für angehende Psychiater stellt es alle relevanten Informationen zusammen, um sich im Dickicht der verschiedenen Präparate zu orientieren und einen eigenen Weg zu finden, selbst pharmakopsychiatrisch zu behandeln.
Dieses Buch ist ein einführendes, praxisorientiertes Lehrbuch. Es unterscheidet sich von vielen anderen verfügbaren Lehrbuchwerken über Psychopharmakologie dadurch, dass es bewusst auf Vollständigkeit und weitgehend auf theoretische Fundierungen verzichtet. Es konzentriert sich ganz auf das praktische, alltagsrelevante Wissen, das erforderlich ist, um medikamentöse Behandlungen psychischer Erkrankungen zu verstehen und selbst durchzuführen.
Es richtet sich auch an Allgemeinärzte, Internisten, Krankenhausärzte und alle anderen Ärzte, die sich etwas besser mit Psychopharmaka auskennen wollen. Psychopharmaka gehören zu den am häufigsten verordneten Medikamenten überhaupt; angeführt von den breit eingesetzten Antidepressiva, gefolgt von Schlafmitteln und Beruhigungsmitteln. Indikationen, Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen dieser häufig verordneten Substanzen sind für alle Ärzte relevant.
Weiterhin soll es als Orientierungshilfe dienen für angehende Psychologische Psychotherapeuten, Sozialarbeiter, Krankenpflegemitarbeiter, Betreuer und alle in der Psychiatrie Tätigen. Wenn Sie Ihren ersten Tag auf einer psychiatrischen Station beginnen und in den Medikamentenschrank schauen, werden Sie nach der Lektüre dieses Buches viele Präparate bereits kennen, andere können Sie schnell in Ihnen bekannte Medikamentengruppen einordnen.
Und schließlich eignet sich dieses Buch – zumindest zu weiten Teilen – auch für Patienten, Angehörige und alle anderen Interessierten, die etwas tiefer in die Materie einsteigen wollen. Die Kenntnis der ärztlichen Verschreibungspraxis kann Ihnen helfen, sich ein sehr viel differenzierteres Bild der verschiedenen Präparate, ihrer besonderen Anwendungsgebiete, aber auch ihrer häufigen Nebenwirkungen und Gefahren zu machen.
Ich hoffe, mit diesem Buch denen, die sich für Psychopharmakologie interessieren, eine bessere Orientierung zu ermöglichen. Ich möchte ein grundlegendes Verständnis dafür vermitteln, was Psychopharmaka mit dem Gehirn machen, was sie nicht machen und was zu beachten ist. Ein besonderes Anliegen ist mir, alle Themen verständlich und dennoch differenziert darzustellen. Dabei habe ich Erklärungen verwendet, die in vielen Seminaren und Workshops erprobt sind. Über Anregungen und Hinweise freue ich mich sehr, mailen Sie mir einfach an [email protected].
Beginnen wir das Buch mit den Psychopharmaka im engeren Sinne. Danach werden wir auf Genussmittel und Drogen eingehen.
Psychopharmaka gehören zu den meist verordneten Medikamenten überhaupt. Unter den Psychopharmaka liegen die Antidepressiva in der Verordnungshäufigkeit ganz vorne. Ich möchte Ihnen mit diesem Buch einen Überblick verschaffen, welche Medikamentengruppen es gibt, wie sie wirken und Ihnen ein Bild von einigen prominenten Vertretern jeder Gruppe vermitteln. Darüber hinaus möchte ich diejenigen Sachverhalte erläutern, die erforderlich sind, um sich im Feld der psychiatrischen Pharmakologie selbstständig zu orientieren.
Früher war es üblich, Psychopharmaka nach ihrer chemischen Struktur einzuteilen. Für Chemiker und Pharmakologen ist das immer noch interessant, für Psychiater ist es nur noch für einige spezielle Fragen relevant. Eine Einteilung nach der Aktivität am Rezeptor der Nervenzellen ist schon wichtiger, da diese etwas über zu erwartende Wirkungen und Nebenwirkungen aussagt. Letztlich von Bedeutung für den Psychiater ist jedoch nur eines: die klinische Wirkung.
In der Psychopharmakologie haben sich folgende fünf Hauptwirkungen herausgestellt, nach denen die Wirkstoffe eingeteilt werden:
antidepressiv
antipsychotisch
phasenprophylaktisch
angstlösend (= anxiolytisch)
beruhigend (= sedierend)
Darüber hinaus gibt es noch Substanzen für bestimmte, sehr eng umschriebene Einsatzgebiete, wie Substitute für Suchtstoffe, Medikamente für Entzugsbehandlungen und einige andere, auf die wir noch genauer eingehen wollen.
Schlafmittel nehmen gewissermaßen eine Sonderrolle ein. Schlafmittel sind Benzodiazepine, Benzodiazepin-ähnliche Substanzen oder Sedativa, die in der Absicht gegeben werden, Schlaf zu erzeugen. Aufgrund der häufigen Verordnung der Schlafmittel habe ich ihnen ein eigenes Kapitel gewidmet.
Das Vorgehen zur Wahl eines Psychopharmakons ist mehrstufig: Zuerst erhebt man in der klinischen Untersuchung eine Anamnese und den aktuellen psychischen Befund. Dieser trifft Aussagen darüber, welche Störungen, welche Symptome in welcher Kombination und Schwere vorliegen.
Hieraus ergibt sich oft bereits die Diagnose, manchmal sind apparative Zusatzuntersuchungen erforderlich, aber sehr oft dienen diese nur dazu, körperliche Erkrankungen als Ursache für eine bestimmte psychiatrische Symptomatik auszuschließen. Psychopathologischer Befund und Diagnose weisen dann den Weg zur Therapie, ggf. auch zur Pharmakotherapie. Diese richtet sich sehr viel mehr nach Art, Schwere und Kombination der Beschwerden als nach der zusammenfassenden Diagnose. Es ist wichtig, dies im Auge zu behalten, weil das Vorgehen in der somatischen Medizin oft anders ist.
Eine Grundregel in der Medizin besagt, dass man zuerst eine Diagnose stellen muss, aus der sich dann eine Therapie ableitet. Hat man eine präzise Diagnose, ergibt sich daraus eine ebenso klare Therapie. Also: Harnwegsinfekt mit Erreger XY, Therapie mit Antibiotikum Z. Dies klappt meistens.
In der Psychopharmakologie ist das meist nicht so. Zwar ist es zu Beginn notwendig, sich Klarheit über die Diagnose zu verschaffen. Aber das reicht bei Weitem nicht aus.
Die Diagnose »Psychose« z.B. gibt vor, dass ein Neuroleptikum in der Medikation vertreten sein sollte. Mehr nicht. Die Therapie orientiert sich vielmehr am psychopathologischen Befund: Wenn ich feststelle, dass ein Patient sehr ausgeprägt befehlende akustische Halluzinationen wahrnimmt, große Angst hat und psychomotorisch sehr unruhig und getrieben ist, dann werde ich ihm ein schnell wirksames, hochpotentes Neuroleptikum in einer ausreichend hohen Dosis gegen die Halluzinationen verabreichen sowie ein sicher wirksames, ausreichend dosiertes Benzodiazepin gegen Angst und Unruhe. Die Höhe der Dosis orientiert sich im ersten Schritt an der Schwere der Symptomatik. Auch im weiteren Verlauf werde ich mich bezüglich Dosis und Wahl der Präparate an der Wirkung orientieren. Stellt sich in der erwarteten Zeit eine ausreichende Wirkung ein, sind Auswahl und Dosis angemessen. Reicht die Wirkung nicht, muss die Dosis ggf. gesteigert werden. Ist die Wirkung zu stark, wie z.B. bei einer zu hohen Sedierung nach Gabe von Benzodiazepin, ist die Dosis zu reduzieren.
Praktisch alle Psychopharmaka-Klassen sind bei mehr als nur einer Diagnose anwendbar. So werden hochpotente Neuroleptika, besser bekannt als »Antipsychotika«, eben nicht nur bei Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis verordnet, sondern auch bei der wahnhaften Depression. Antidepressiva werden nicht nur bei Depressionen verordnet, sondern auch bei Angststörungen und Zwangserkrankungen. Sedierende Medikamente und Anxiolytika können bei praktisch allen psychischen Erkrankungen eine Indikation haben.
Die Psychopharmakotherapie orientiert sich also primär an Symptomen, nicht primär an Diagnosen.
Es ist wichtig, sich das klar zu machen, denn einige Symptome verändern sich sehr schnell, und dann soll auch die psychopharmakologische Behandlung schnell angepasst werden. Ein Patient, der keine Angst und keine Unruhe mehr hat, braucht auch keine Benzodiazepine mehr. Natürlich darf man nach längerer Gabe von Benzodiazepinen die Dosis nicht abrupt absetzen. Aber er braucht sie eben genauso wenig, wie ein Patient, der keine Schmerzen mehr hat, Schmerzmittel braucht: Er braucht sie nicht mehr.
Nervenzellen kommunizieren über Neurotransmitter. Die zwischen den Nervenzellen übertragene Information liegt jedoch nicht im Transmitter selbst, sondern wird dadurch vermittelt, welche Neuronen der Transmitter beeinflusst. Wenn beispielsweise das Neuron, das in der Netzhaut links unten für die Erkennung der Farbe Rot zuständig ist, einen Impuls in Richtung optischer Cortex überträgt – egal welchen Transmitter dieses Neuron dafür verwendet – dann ist die Information übermittelt: »Links unten ist ein roter Punkt.«
Der am häufigsten verwendete Neurotransmitter im Gehirn ist GABA (Gamma-Aminobuttersäure). Andere Neurotransmitter im Gehirn sind z.B. Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Darüber hinaus gibt es noch eine große Zahl weiterer Neurotransmitter, neuromodulatorischer Peptide und Hormone, die von Bedeutung sind.
Für die Psychopharmakologie ist es hilfreich, dass bestimmte Transmitter in bestimmten Funktionsbereichen eine besondere Verteilung haben. So ist das Noradrenalin besonders aktiv in Gehirnregionen, die mit der Regulation der Wachheit zu tun haben. Serotonin wird insbesondere im limbischen System verwendet. Das ermöglicht gewisse gezielte pharmakologische Eingriffe, die aber naturgemäß nie wirklich präzise sind. Am deutlichsten wird dies beim Neurotransmittersystem Dopamin. Dopamin ist der Botenstoff, der dabei hilft, Dinge als besonders wichtig zu erkennen. Wenn ich z.B. einen Schlüssel verloren habe und beim Suchen nach dem Schlüssel einen Hubbel unter der Serviette sehe, dann wird ein bestimmtes Gebiet meines Gehirns Dopamin ausschütten, und damit markieren, dass hier etwas Wichtiges wahrgenommen wurde. Ich werde unter der Serviette nachschauen, und wenn ich den Schlüssel dort finde, werde ich mich freuen und an einer anderen Stelle im Gehirn – im Belohnungssystem – erneut Dopamin ausschütten.
Bei der Psychose ist dieses Dopaminsystem verstärkt aktiv. Dinge, die für den Gesunden keine besondere Bedeutung haben, werden nun mit nicht vorhandenen Bedeutungen aufgeladen. So kann dem Betroffenen jedes zufällig beobachtete Gespräch zweier unbekannter Passanten auf der Straße wie eine Verschwörung gegen ihn vorkommen, von der größte Gefahr ausgeht.
Eine wirksame Therapie der Psychose liegt in einer Dämpfung der Aktivität des Neurotransmittersystems Dopamin. Dies führt zu einem Abklingen der psychotischen Symptome, z.B. der falschen Bedeutungszumessung eigentlich unwichtiger Dinge. Aber es führt auch dazu, dass Freude nicht mehr so gut empfunden werden kann, da auch das Belohnungssystem auf Dopamin angewiesen ist.
Auch die Körperbewegungen werden an einer gewissen Stelle von dopaminergen Neuronen gesteuert. Das weiß man von Parkinson-Patienten, die krankheitsbedingt zu wenig Dopamin in diesem Bewegungszentrum ausschütten. Hemmt man nun die Dopaminwirkung im Gehirn, eigentlich mit dem Ziel, eine Psychose zu behandeln, blockiert man sie dosisabhängig notwendigerweise auch an allen anderen Stellen im Gehirn, sodass sich im Falle der Blockade der dopaminergen Übertragung Bewegungsstörungen und Freudlosigkeit einstellen können.
Psychopharmakologische Eingriffe können immer nur bestimmte Systeme ansprechen. Wenn ein System krankheitsbedingt zu stark oder zu schwach aktiv ist, kann der Eingriff zu einer Normalisierung in diesem System führen. Es ist aber stets erforderlich zu berücksichtigen, in welche anderen Systeme die gewählte Medikation eingreift und was sie mit diesen Systemen macht.
Antidepressiva sind die am häufigsten verordneten Psychopharmaka, angeführt von Citalopram, Venlafaxin und Mirtazapin.
Psychopharmaka gehören zu den häufig verschriebenen Medikamenten. Um zu entscheiden, über welche Psychopharmaka man sich unbedingt informieren sollte, ist es hilfreich zu wissen, welche am häufigsten im Jahr 2015 durch niedergelassene Ärzte verschrieben wurden (▶ Tab. 1-1).
Die Tabelle gibt zu den genannten Substanzen die Anzahl der verordneten definierten Tagesdosen (»defined daily dose«, DDD) in Millionen wieder. Die »defined daily dose« für Citalopram ist beispielsweise mit 20mg festgelegt. Die Tabelle gibt an, dass von Citalopram 313,54 Millionen Tagesdosen verschrieben worden sind. Legt man zugrunde, dass jeder Patient Citalopram 365Tage lang eingenommen hat, ergibt sich, dass etwa 0,86 Millionen (313,54/365) Menschen damit ein Jahr lang behandelt wurden. Nimmt man an, dass die mittlere Verordnungsdauer 4Monate betrug, was sehr viel realistischer ist, so wurden im Jahr 2015 in Deutschland zulasten der GKV 2,58 Millionen Menschen (3 × 0,86) mit Citalopram behandelt.
Die ersten neun Plätze der Tabelle überraschen nicht. Antidepressiva gehören zu den meist verordneten Psychopharmaka, weil Depressionen und Angststörungen die häufigsten psychischen Erkrankungen sind.
Für die Nettokosten ergibt sich eine ganz andere Reihenfolge (nach Umsatz sortiert; ▶ Tab. 1-2).
Literatur
Quelle von Tab. 1-1 und 1-2: GVK-Arzneimittelindex im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) – Fertigarzneimittel. Die Daten beziehen sich auf die von niedergelassenen Ärzten ambulant verordneten und über öffentliche Apotheken bezogenen Fertigarzneimittel für GKV-Versicherte.
Antidepressiva sind die am häufigsten verordneten Psychopharmaka. Sie wirken mit einer Latenz von 2–6Wochen gegen depressive Symptome. Die stärkste Wirkung zeigen Antidepressiva bei sehr schweren Depressionen und bei Depressionen, die früher als endogen klassifiziert worden sind; also Depressionen, die nicht hauptsächlich Folge akut belastender Lebensumstände sind.
Antidepressiva wirken auch gegen Angst- und Zwangserkrankungen, allerdings später, und es bedarf oft einer höheren Dosis.
Wirkstoffklasse
Abkürzung
Wirkstoffe (Beispiele)
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
SSRI
Citalopram, Escitalopram, Fluvoxamin
Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
SSNRI
Venlafaxin, Duloxetin, Milnacipran
Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
NARI
Reboxetin
Monoaminoxidasehemmer
MAO-Hemmer
Moclobemid
Tri- und tetrazyklische Antidepressiva
Amitriptylin, Maprotilin
Melatoninagonisten
Agomelatin
Die ersten Antidepressiva, die in der Medizin Verwendung fanden, sind heute unter den Namen trizyklische Antidepressiva bekannt. Ein prominenter, noch heute sehr häufig verschriebener Vertreter ist das Amitriptylin. Es wirkt in hohen Dosen antidepressiv, hat aber bereits im mittleren Dosisbereich oft deutliche Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit oder Müdigkeit.
Später übernahmen die ersten SSRI (»selective serotonin reuptake inhibitor«, Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer; ▶ Abschn. 2.5.1; ▶ Glossar) die Fahne. Der heute am häufigsten verordnete SSRI ist Citalopram.
Die SSNRI (Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer; ▶ Abschn. 2.5.2; ▶ Glossar) stellen gewissermaßen eine Erweiterung des Wirkspektrums dar.
MAO-Hemmer nahmen früher einen kleineren, aber relevanten Anteil an den Verschreibungen ein, inzwischen werden sie aufgrund ihrer schweren Nebenwirkungen nur noch eingesetzt, wenn alle anderen Wirkstoffe erfolglos sind.
Serotonin ist ein insbesondere im limbischen System vorkommender Neurotransmitter. Es hat sich gezeigt, dass Depressionen schneller abklingen, wenn die Konzentration von Serotonin im synaptischen Spalt zunimmt. SSRI funktionieren wie folgt: Normalerweise werden in der »feuernden« Nervenzelle, dem präsynaptischen Neuron, kleine Bläschen (Vesikel) mit Serotonin freigesetzt. Das freigesetzte Serotonin gelangt so in den synaptischen Spalt. Dort aktiviert es Serotoninrezeptoren am zweiten Neuron, dem postsynaptischen Neuron. Damit wird das Signal übertragen.
Ein Teil des Serotonins wird im synaptischen Spalt durch die Monoaminoxidasen (MAO) zu einer wirkungslosen Aminosäure abgebaut. Oder es wird vom präsynaptische Neuron recycelt, das Serotoninmoleküle wieder in sich aufnimmt, um sie erneut in Vesikeln zwischen zu lagern. Für diese Wiederaufnahme hat die präsynaptische Zelle Transportproteine. SSRI hemmen diese Transportproteine. Dies führt dazu, dass Serotonin länger im synaptischen Spalt bleibt und damit länger die Chance hat, einen Serotoninrezeptor an der postsynaptischen Zelle zu aktivieren. Die Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt steigt also, die Wirkung des Serotonins nimmt zu (▶ Abb. 2-1).
Abb. 2-1 Wirkweise der SSRI
Die Wirkung der Antidepressiva besteht nicht ausschließlich in der Erhöhung der Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt. Diese tritt innerhalb weniger Stunden nach Einnahme der Tablette ein. Die depressiven Symptome klingen allerdings frühestens einige Wochen nach Beginn der Therapie ab. Dies zeigt, dass es weitere von der Erhöhung der Serotoninkonzentration angestoßene Mechanismen geben muss, die die eigentliche Wirkung vermitteln. Bekannt ist, dass sog. »second messenger« und »third messenger« intrazellulär eine veränderte Übersetzung bestimmter Gene veranlassen. Es ist auch nachgewiesen, dass Antidepressiva die Neuentstehung von Synapsen modulieren. Die gesamte Kette der Wirkung der Antidepressiva ist aber letztlich noch nicht aufgeklärt.
Behandlung der Depression
Herstellung eines VertrauensverhältnissesDiagnostik: körperliche Untersuchung, ausführliche Blutuntersuchungen, EKG; bei ungewöhnlichen Konstellationen: cCT oder cMRTdiagnostische Einordnung (Unipolare oder Bipolare Störung?)Entscheidung über ein AntidepressivumEntscheidung über ein PhasenprophylaktikumEntscheidung über ein AnxiolytikumPsychoedukationPsychotherapieDie Behandlung einer depressiven Episode erfordert zunächst eine sorgfältige Diagnostik. Diese beginnt mit einer gründlichen körperlichen Untersuchung, einer ausführlichen Blutuntersuchung einschließlich der Schilddrüsenwerte, des Eisenspiegels sowie der Entzündungszeichen. An apparativen Untersuchungen ist in jedem Fall ein EKG erforderlich, bei ungewöhnlichen Verläufen auch eine cCT (▶ Glossar) oder cMRT (▶ Glossar). Je nach Situation können weitere Untersuchungen notwendig sein.
Diese Untersuchungen dienen vorwiegend dem Ausschluss einer körperlichen Erkrankung, die die depressive Symptomatik verursachen könnte. Die psychiatrische Diagnostik im engeren Sinne stützt sich auf die Erhebung der Anamnese und den psychischen Befund.
Für die Behandlung einer Depression macht es einen großen Unterschied, ob es sich um eine klassische depressive Episode handelt, die quasi aus heiterem Himmel kommt und früher als Endogene Depression bezeichnet wurde, oder vorwiegend um eine nachvollziehbare Erlebnisreaktion, z.B. auf ein schwerwiegendes Lebensereignis. In der ICD-10 werden beide Krankheiten nicht unterschieden.
Endogene Depressionen sprechen in der Regel besser auf eine medikamentöse Therapie an. Bei Reaktiven Depressionen ist typischerweise eine Psychotherapie wirksamer, ggf. in Kombination mit einem moderat dosierten Antidepressivum.
Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen bipolarer und unipolarer Depression. Sie ist ganz einfach: Patienten mit einer Bipolaren Störung hatten mindestens eine unzweifelhafte manische oder hypomane Episode in der Vorgeschichte. Hierbei sind ganz leichte hypomane Nachschwankungen direkt im Anschluss an eine lange und schwere Depression ebenso wenig zu zählen wie medikamenteninduzierte Manien oder Hypomanien. Patienten mit einer Bipolaren Störung profitieren von einem Phasenprophylaktikum wie Lithium oder Valproinsäure, Patienten mit einer reinen unipolaren Depression brauchen dies in der Regel nicht. Sie können allerdings im Einzelfall, wenn die ersten Behandlungsschritte nicht ausreichend wirksam waren, von einer Augmentation (▶ Glossar) mit Lithium profitieren.
Wenn sich 4Wochen nach Beginn der Behandlung noch keine Besserung zeigt, sollte man über einen Wechsel des Antidepressivums nachdenken.
Behandlungsverlauf bei Gabe von Antidepressiva
In den ersten 2Wochen verspürt der Patient im Wesentlichen die Nebenwirkungen des Antidepressivums, eine erwünschte Wirkung ist oft noch nicht erkennbar.In der dritten und vierten Woche wird oft eine innere Unruhe im Sinne einer unangenehmen Getriebenheit beschrieben. Diese ist schwer aushaltbar, ist aber in aller Regel ein verlässlicher Vorbote der dann kommenden Genesung. Besonders in dieser Phase können verstärkt suizidale Gedanken auftreten, die eine sorgfältige Beurteilung erforderlich machen.Die für den Patienten auch subjektiv erkennbare Stimmungsverbesserung zeigt sich häufig erst in der dritten bis sechsten Woche.Antidepressive Therapie bei Reaktiver Depression
Frau R., eine 32-jährige Mutter von zwei kleinen Kindern, wurde nach zunehmenden Streitigkeiten von ihrem Ehemann verlassen und muss sich nun überwiegend selbst um die Versorgung der Kinder kümmern. Da sie die Kinder pünktlich aus dem Kindergarten abholen muss, kann sie keine Überstunden machen. Ihr Chef setzt sie diesbezüglich aber unter Druck. Sie entwickelt eine zunehmende Erschöpfungsdepression und ausgeprägte Schlafstörungen.
In diesem Fall stehen Psychotherapie und eine umsichtige Anpassung der Lebenssituation – vielleicht mit einer stärkeren Unterstützung von Dritten und einer verlässlicheren Beteiligung des geschiedenen Ehemannes an der Versorgung der Kinder – ganz im Vordergrund. Das Verordnen eines Antidepressivums löst hier keine Probleme. Allerdings kann die Gabe eines moderat dosierten sedierenden Antidepressivums zur Nacht – z.B. Mirtazapin 0-0-0-15mg – zu einer Verbesserung des Schlafes führen und die Genesung von der depressiven Episode unterstützen. Man sollte der Patientin aber nicht den Eindruck vermitteln, sie müsse nur auf die Wirkung der Medikamente warten, dann werde schon wieder alles besser.
Antidepressive Therapie bei Endogener Depression
Die 52-jährige verheiratete Bürokauffrau Frau E. berichtet über die vierte depressive Episode im Rahmen ihrer seit 10Jahren bestehenden rezidivierenden Depression. Seit 4Wochen sei sie ohne erkennbaren äußeren Anlass wieder antriebslos, traurig gestimmt, habe Schlafstörungen und kaum Appetit. Bei früheren depressiven Episoden habe Citalopram nicht gewirkt, aber Venlafaxin in einer Dosierung von 225mg habe ihr bei den letzten beiden Episoden gut geholfen. Dies habe sie allerdings vor 6Monaten abgesetzt.
Die Patientin erhält wieder Venlafaxin, die Dosis wird schrittweise auf 225mg gesteigert. Zur Nacht werden 7,5mg Mirtazapin ergänzt, um der Schlafstörung zu begegnen.
Weblink
S3-Leitlinie »Unipolare Depression – Nationale VersorgungsLeitlinie« (Stand: 16.11.2015; gültig bis 15.11.2020): www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/nvl-005.html
Behandlung der Angststörungen
Therapie der ersten Wahl sind SSNRI wie Venlafaxin in einer eher höheren Dosis, (z.B. 150–225mg/Tag).Alternativ (etwa bei schlechter Verträglichkeit des SSNRI) können auch SSRI eingesetzt werden (z.B. Citalopram 40mg/Tag).Benzodiazepine sollten nur eingesetzt werden, wenn die Beschwerdeintensität dies unverkennbar erforderlich macht. Die Dosis sollte von Anfang an so knapp wie möglich gehalten werden, die Gabe sollte so kurz wie möglich andauern. Die Gefahr der Entwicklung einer Benzodiazepinabhängigkeit ist bei Patienten mit einer Angststörung äußerst hoch!Angststörungen sind gut behandelbare Krankheiten. Sowohl Psychotherapie als auch Pharmakotherapie bewirken deutliche Verbesserungen bei einer großen Anzahl der Patienten. Die Kombination aus Psychotherapie und Pharmakotherapie bewirkt dabei insgesamt die besten Ergebnisse (▶ S3-Leitlinie »Angststörungen«, www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-028.html).
Psychopharmakologisch besteht die Therapie der Wahl in einer höher dosierten Gabe eines SSNRI oder SSRI.
Im ersten Schritt wird häufig Venlafaxin verordnet, das eine Zulassung für die generalisierte Angststörung hat. Die Zieldosis sollte bei 150–225mg/Tag liegen. Patienten, die zuvor unter Panikanfällen gelitten haben, verlieren diese oft unter der medikamentösen Behandlung innerhalb von 2–4Wochen. Es dauert oft 6–10Wochen, bis die Angstsymptomatik insgesamt deutlich und auch subjektiv erkennbar abnimmt.
Alternativ zu den SSNRI ist auch die Gabe eines SSRI eine häufig gewählte Medikation, die vielfach ebenso wirksam ist. Typischerweise wird Citalopram in einer Dosis von bis zu 40mg/Tag verordnet.
Pregabalin (Lyrica®) ist ein Antiepileptikum, das seit 2004 auch zur Behandlung der generalisierten Angststörung zugelassen ist. Die Erfahrungen mit der Wirksamkeit dieser Substanz bei generalisierten Angststörungen sind unterschiedlich. Man kann es in dieser Indikation als Monotherapie einsetzen; häufiger wird ein Versuch zur Augmentation (▶ Glossar) mit Pregabalin unternommen.
Zusätzlich zu der ursächlich wirksamen Therapie mit SSNRI oder SSRI können zu Beginn der Behandlung auch Benzodiazepine eingesetzt werden.
Benzodiazepine haben den Vorteil, sofort das Ausmaß der Angst erheblich zu reduzieren und auch die Panikattacken oft sofort vollständig oder weitgehend verschwinden zu lassen. Ein nicht zu unterschätzender Nachteil dieser starken Wirksamkeit ist die sehr hohe Gefahr der Entwicklung einer Abhängigkeit (▶ Tab. 2-1). Insbesondere besteht die Gefahr, dass die Patienten in Zukunft immer wieder nach dem Benzodiazepin verlangen, und nicht mehr vom »steinigen Weg« einer Psychotherapie in Kombination mit einem SSNRI zu überzeugen sind.
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Während der Behandlung mit einem Benzodiazepin sind die klassischen Psychotherapieverfahren zum Abbau der Angst wie systematische Desensibilisierung oder Flooding nicht möglich.
Die Patienten bauen unter der Wirkung von Benzodiazepinen keine ausreichende Angstreaktion auf, sodass es nicht zu einer Habituation kommen kann.
Tab. 2-1 Verlauf der medikamentösen Therapie von Angststörungen. Benzodiazepine sollten zum richtigen Zeitpunkt wieder ausgeschlichen werden.
Zeit der Einnahme
Antidepressiva
Benzodiazepine
1. Woche
Nebenwirkungen
Angst lässt stark nach
2.–4. Woche
weniger Panikattacken
Angst lässt nach
5.–6. Woche
Angst wird etwas weniger
Absetzen wird unangenehm
7.–12. Woche
Angst wird weniger
beginnende Abhängigkeit
13.–16. Woche
Angst wird deutlich weniger
Abhängigkeit
Daher ist es bei Angststörungen ganz besonders wichtig, sich an die Regel zu halten, Benzodiazepine nur nach sorgfältiger Abwägung des Nutzens und der Risiken und nur für kurze Zeit zu geben. Die Dosis sollte von Anfang an so knapp wie möglich gehalten werden.
Angststörung
Die 28-jährige Jurastudentin Frau A. berichtet, immer schon eine sehr besorgte Person gewesen zu sein. Seit 4Wochen habe jedoch die Angst ganz beträchtlich zugenommen. Sie habe zum einen eine ungerichtete, generalisierte Angst, die sie nicht genau beschreiben könne. Es sei aber so, dass sie ständig denke: »Was wird nur aus mir, wenn ich mein Examen nicht schaffe? Wovon soll ich dann leben?« oder »Was passiert, wenn ich einen Unfall habe? Ist es nicht viel zu gefährlich, abends U-Bahn zu fahren?« und ähnliche Gedanken mehr. Seit 2Wochen habe sie zusätzlich noch Panikattacken entwickelt. Plötzlich, manchmal beim Einkaufen, manchmal in der Uni, bekomme sie panikartige Angst, ihr Herz rase dann, sie atme schnell, habe das Gefühl, sie verliere gleich das Bewusstsein und wolle am liebsten den Notarzt rufen oder weglaufen. Die Anfälle dauerten etwa 15–30Minuten, dann beruhige sie sich wieder. Sie habe aber inzwischen gar keinen Mut mehr, alleine einkaufen oder in die Uni
zu gehen, da sie Angst habe, dort wieder eine Panikattacke zu erleiden, da ihr dann keiner helfen könne.
Unter der Diagnose einer Agoraphobie mit Panikstörung ist in diesem Fall Venlafaxin in einer Dosis von 150–225mg morgens die Therapie der ersten Wahl. Die Dosis sollte in den ersten zwei Behandlungswochen schrittweise gesteigert werden, um die Verträglichkeit zu prüfen. In den ersten Wochen der Behandlung kann man zusätzlich symptomatisch ein Benzodiazepin geben, um die Panikattacken zügig in den Griff zu bekommen. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass Benzodiazepine bei Patienten mit einer Angststörung ein extrem hohes Suchtpotenzial haben. Daher sollte man es so schnell wie möglich wieder ausschleichen. Bei gutem Therapieerfolg sollte man Venlafaxin für zumindest 2Jahre weiter geben, um einen Rückfall zu vermeiden.
Ergänzend zur medikamentösen Therapie sollte bei Angststörungen grundsätzlich auch eine verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie durchgeführt werden.
Weblink
S3-Leitlinie »Angststörungen« (Stand: 15.04.2014; gültig bis 15.04.2019): www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-028.html
Behandlung der Zwangserkrankungen
Sie sollen immer auch psychotherapeutisch behandelt werden.Sie können pharmakologisch mit SSRI oder SSNRI behandelt werden.Bei Erfolglosigkeit modernerer SSRI und SSNRI wird zu Clomipramin geraten, das von vielen auch als Mittel der ersten Wahl bei Zwangserkrankungen angesehen wird.Der Therapieerfolg stellt sich oft erst nach 6–12Wochen ein.Die Therapiedauer sollte zumindest 2Jahre betragen, in vielen Fällen ist auch eine sehr viel längere Behandlung erforderlich.Die Zwangserkrankung wird medikamentös interessanterweise sehr ähnlich wie eine generalisierte Angststörung behandelt.
Als Mittel der ersten Wahl gelten SSRI, nach Möglichkeit in einer hohen Dosis. Dabei ist zu beachten, dass gerade beim sehr häufig verordneten Citalopram seit einiger Zeit eine Warnung vorliegt, dass bei höheren Dosierungen gefährliche Herzrhythmusstörungen auftreten können (▶ Abschn. 2.6.1). Da es sich hierbei mutmaßlich nicht um eine auf die Substanz Citalopram beschränkte Nebenwirkung, sondern möglicherweise um einen Klasseneffekt handelt, ist Vorsicht auch beim Einsatz anderer Antidepressiva, insbesondere bei höheren Dosierungen, geboten. Regelmäßige EKG-Kontrollen sind daher erforderlich.
Die Therapiedauer bei Gabe von z.B. Citalopram 40mg/Tag bei einer Zwangserkrankung beträgt aller Erfahrung nach mehr als 4Wochen. Oft zeigt sich erst nach 6–12Wochen Behandlungsdauer ein erkennbarer Fortschritt. Daher sollte die Substanz bei ausbleibendem Erfolg nicht zu früh gewechselt werden.
Reicht die Gabe von Citalopram nicht aus, wird oftmals auf ein SSNRI (▶ Glossar) umgestellt.
Eine besondere Bedeutung in der Behandlung von Zwangserkrankungen kommt dem trizyklischen Antidepressivum Clomipramin zu, das seit den 1960er-Jahren, zunächst unter dem Präparatenamen Anafranil®, zur Behandlung von Depressionen, Ängsten und Zwängen eingesetzt wird. Clomipramin ist pharmakologisch ein SSNRI, wenngleich eines der alten Generation.
Es gibt Studien, die Clomipramin als wirksamer in der Behandlung von Zwangserkrankungen einstufen als SSRI, weshalb es manche Psychiater als Mittel der ersten Wahl bei Zwangserkrankungen einsetzen. Spätestens, wenn die besser verträglichen neueren SSRI oder SSNRI sich in der Behandlung eines Patienten als nicht ausreichend wirksam erwiesen haben, wird Clomipramin eingesetzt, oft mit gutem Erfolg.
Zwangserkrankung
Der 50-jährige Controller Herr. B. berichtet, seit Jahren schon unter Zwangsgedanken und Zwangshandlungen zu leiden. Seit 2