Psychotherapeutische Perspektiven am Lebensende -  - E-Book

Psychotherapeutische Perspektiven am Lebensende E-Book

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Beschreibung

Welches Potenzial bergen psychotherapeutische Ansätze für die Begleitung Sterbender? Ausgewiesene Expertinnen und Experten mit unterschiedlichsten psychotherapeutischen Wurzeln stellen erstmals in komprimierter und gleichermaßen umfassender Darstellung ihre jeweiligen Ansätze und Erfahrungen zu diesem Thema vor. Das Resultat ist ein Kaleidoskop bereits etablierter Erkenntnisse und denkbarer, doch längst nicht ausgeschöpfter Möglichkeiten. Dabei beziehen die Beiträge nicht nur Position zur therapeutischen Haltung und dem ihr zugrunde liegenden Menschenbild. Im Fokus stehen ebenso praktische Einblicke in den palliativen und hospizlichen Berufsalltag sowie konkretes therapeutisch-technisches Methodenwissen. Darüber hinaus benennen die Autorinnen und Autoren aber auch die Grenzen ihrer Verfahren und neuralgische Punkte noch anstehender Entwicklungsschritte. Der Band lädt ein zum interdisziplinären Dialog und gibt wertvolle Impulse für eine Verbesserung der psychosozialen Versorgung von Menschen in palliativer Behandlung.

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Daniel Berthold/Jan Gramm/Manfred Gaspar/Ulf Sibelius (Hg.)

PsychotherapeutischePerspektiven am Lebensende

Vandenhoeck & Ruprecht

Wir danken der Deutschen PalliativStiftung für die freundliche Unterstützung.

Mit 12 Abbildungen und 3 Tabellen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-40288-8

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Heiner Melching

Bestandsaufnahme der Palliativ- und Hospizversorgung in Deutschland

Bernd Oliver Maier

Zukünftige Herausforderungen der Palliativversorgung

Jan Gramm und Urs Münch

Psychologie und Psychotherapie in der bundesdeutschen Palliativversorgung

Claudia Wenzel

Konzepte und Befunde zu psychotherapeutischen Interventionen am Lebensende

Psychotherapeutische Perspektiven am Lebensende

Thomas Heidenreich, Annette Riedel, Johannes Michalak

Achtsamkeitsbasierte Ansätze. Im Hier und Jetzt (auch) in der letzten Lebensphase

Rainer F. Sonntag

Akzeptanz- und Commitment-Therapie. Akzeptanz und Engagement bis zuletzt

Brigitte Dorst

Analytische Psychologie. »Den Tod als ein Ziel sehen« (C. G. Jung)

Konrad Stauss

Bondingpsychotherapie. Bindungsverletzungen bewältigen oder: Sein ist Beziehungssein

Alexander Noyon und Thomas Heidenreich

Existenzielle Ansätze. Ein Plädoyer für Realitätsorientierung und Menschlichsein

Lotte Hartmann-Kottek

Gestalttherapie. Existenzielle Widerspiegelungen zwischen der Ganzheit und ihren Teilen

Wolfgang Schulze und Dirk Revenstorf

Hypnotherapie. Veränderungsprozesse anstoßen durch Trance

Dorothea Oberegelsbacher, Bernd Rieken, Brigitte Sindelar, Thomas Stephenson

Individualpsychologie. Lebensintegration durch Selbstverantwortung

Wulf Mirko Weinreich

Integrale Psychotherapie. Perspektivenwechsel für Sterbende und Angehörige

Rainer Sachse und Jana Fasbender

Klärungsorientierte Psychotherapie. Problematische Schemata klären und bearbeiten

Yvonne Maurer

Körperzentrierte Psychotherapie. Der Tod als neues Beziehungs-geschehen mit dem Transzendenten

Jürgen Kriz

Personzentrierte Systemtheorie. Eine metatherapeutische Konzeption oder: Dem Lebensende mit erweitertem Blickfeld begegnen

E. Noni Höfner und Sascha Neumann

Provokative Therapie. Wie todernst ist Sterben? Humor, Improvisation und Provokation in der Begleitung von Sterbenden

Ursula Burkert und Helmwart Hierdeis

Psychoanalyse. Halt geben und loslassen oder: Sterben als Verdichtung des Unerfüllten

Luise Reddemann

Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie. Würde und Trost als Schlüssel zur Selbstbegegnung

Peter Gasser

Psycholytische Therapie. Leben wollen und sterben können

Insa Sparrer

Systemische Strukturaufstellungen. Lösungsfokussierung und transverbale Methoden am Lebensende

Michael Broda

Verhaltenstherapie. Sterben ist keine krankheitswertige Störung

Julia Weber und Maja Storch

Das Zürcher Ressourcen Modell. Gefühlsregulation und die Erzeugung von Sinn durch Motto-Ziele

Die Herausgeber

Vorwort

»Wenn wir jemandem helfen wollen, müssen wir zunächst herausfinden, wo er steht. Das ist das Geheimnis der Fürsorge. Wenn wir das nicht tun können, ist es eine Illusion zu denken, wir könnten anderen Menschen helfen.Jemandem zu helfen impliziert, dass wir mehr verstehen als er, aber wir müssen zunächst verstehen, was er versteht.«Søren Kierkegaard

Psychische Prozesse im Leben eines Menschen sind höchst individuell. Sie zu verstehen, helfen uns die Erkenntnisse der Psychologie. Denn: Trotz aller Individualität gibt es im menschlichen Fühlen, Denken und Erleben kulturell und sozial bedingte Normvarianten mit ständig wiederkehrenden identifizierbaren Mustern, die in Herausforderungen bestehen, denen es sich zu stellen in allen Lebensabschnitten gilt.

Im Rahmen von Ausbildung, Weiterbildung und Selbsterfahrung lernten wir unterschiedlichste Psychotherapieschulen aus der Innenperspektive kennen. Wir teilen die Erkenntnis, dass Psychotherapie in all ihrer Methodenvielfalt ein unschätzbares Potenzial für tiefgreifende Entwicklung und Veränderung in allen nur denkbaren Lebenslagen in sich birgt – ein Schatzkästlein voller Kostbarkeiten, bestehend aus Strategien, Konzepten, Grundhaltungen und Techniken psychotherapeutischer Ansätze und Wirkmechanismen.

Grundstein dieses Bandes war für uns daher die Frage nach der Relevanz jenes geballten Wissens für unser Fachgebiet, die Palliativ- und Hospizversorgung: Welches Potenzial bergen psychotherapeutische Ansätze für die Begleitung Sterbender?

Mit dieser Frage richteten wir uns an herausragende Protagonistinnen und Protagonisten der psychotherapeutischen Landschaft im deutschsprachigen Raum. Jedem der Autorinnen und Autoren wurden zehn Leitfragen vorgelegt, in der Absicht, der Leserschaft damit eine Struktur im Sinne eines roten Fadens kenntlich zu machen. Von besonderer Wichtigkeit waren uns dabei – neben methodisch-technischen Fragen mit Relevanz für den palliativen und hospizlichen Berufsalltag – auch solche nach der jeweiligen therapeutischen Grundhaltung und dem ihr zugrunde liegenden Menschenbild. Zudem interessierten uns auch die Grenzen der jeweiligen Verfahren sowie gegebenenfalls ausstehende Entwicklungsschritte.

Bei der Lektüre der Beiträge mag der Eindruck entstehen, dass gerade eine Haltung der Demut und Intuitivität einen besonderen Stellenwert einnimmt. Dies ist sicherlich kein Zufall. Offenbar zentrieren uns die Herausforderungen am Lebensende auf die letztlich wesentlichen Dinge des menschlichen Lebens: darauf, miteinander in tiefer Verbundenheit zu stehen, und vielfach auch auf eine Hinwendung zur Transzendenz dessen, was wir als vergänglich erfahren.

Einleitend bilden die ersten vier Kapitel Rahmen und Hinführung zum Thema des Bandes. Nachdem zunächst die Herausforderungen der Palliativversorgung insgesamt umrissen werden, erfolgt ein Abriss zum Status quo der bundesdeutschen Palliativversorgung, der Rolle von Psychologie und Psychotherapie hierin sowie eine Einführung in bereits bestehende Konzepte und Befunde spezifisch zur psychotherapeutischen Intervention am Lebensende.

In den folgenden 19 Beiträgen des Hauptteils stellen ausgewiesene deutschsprachige Expertinnen und Experten unterschiedlichster psychotherapeutischer Provenienz erstmals in komprimierter und gleichermaßen umfassender Darstellung ihre jeweiligen Ansätze zum Thema dar. Dabei ging es uns nicht nur um »Lehrbuchwissen«. Insbesondere galt unser Interesse auch den angefragten Persönlichkeiten: Und so wurden die Beiträge des Bandes auch um die Erfahrungen, Einsichten und Ansichten unserer Autorinnen und Autoren selbst bereichert. Aus diesem Anspruch resultierte schließlich ein facettenreiches Bild sowohl von bereits etablierten Erkenntnissen als auch von denkbaren, doch längst nicht ausgeschöpften Möglichkeiten.

Mit den Autorinnen und Autoren wurde vereinbart, der besseren Lesbarkeit wegen die verallgemeinernd männlichen Formen von Personen und Berufsbezeichnungen nicht um ihre weiblichen Formen zu ergänzen. Gemeint sind selbstverständlich immer beide Geschlechter.

Großer Dank gilt unseren psychologischen Praktikanten, Herrn Usama EL-Awad, Herrn Sebastian Palmer, Herrn Jonathan Sebök und Frau Mareike Jannermann für ihre engagierte Unterstützung.

Der Deutschen PalliativStiftung sei für die freundliche monetäre Unterstützung herzlich gedankt.

Wir hoffen, dass der hier vorgelegte Band als Einladung zum interdisziplinären Dialog verstanden und genutzt werden möge. Wir sind überzeugt, er gibt wertvolle Impulse für eine Verbesserung der psychosozialen Versorgung von Menschen am Lebensende.

Weiterhin gilt die Hoffnung, den Adressaten – den Mitgliedern aller Professionen in der Palliativ- und Hospizversorgung, Betroffenen, Angehörigen und allgemein Interessierten – eine spannende und erkenntnisreiche Lektüre zu bieten.

Daniel Berthold, Jan Gramm, Manfred Gaspar und Ulf Sibelius

Einleitung

Dipl.-Sozialpädagoge/Sozialarbeiter Heiner Melching, Trauerbegleiter (ITA). Seit 1995 in verschiedenen Bereichen der Trauer- und Krisenbegleitung tätig. 1999–2008 Geschäftsführer und Leiter der Beratungsstelle des Vereins »Verwaiste Eltern und Geschwister Bremen e. V.« Seit 2001 Referententätigkeit im Bereich der Fort- und Weiterbildung mit Schwerpunkt Palliativmedizin für Ärzte, Pflegekräfte, Seelsorger, Hospizdienste und Studierende. 2008–2009 Tätigkeit am Krankenhaus Links der Weser in Bremen mit den Aufgabenbereichen Aufbau und Koordination eines ambulanten Palliativdienstes (im Sinne von SAPV) sowie Arbeit im Sozialdienst der Palliativstation. Seit 2009 Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP).

E-Mail: [email protected]

Website: www.palliativmedizin.de

Heiner Melching

Bestandsaufnahme der Palliativ- und Hospizversorgung in Deutschland

Palliativ- und Hospizversorgung

Generell ist eine Betrachtung der Palliativversorgung in Deutschland nicht losgelöst von der Hospizversorgung möglich. Beide Bereiche sind eng miteinander verbunden und auch in der jeweiligen strukturellen Verankerung wird an vielen Stellen die Einbindung des jeweils anderen Bereiches vorausgesetzt (z. B. durch verbindliche Kooperationen). Eine Unterteilung dieser beiden Versorgungsgebiete ist in Deutschland der historischen Entwicklung geschuldet. Während sich die Palliativmedizin seit Ende der 1970er Jahre vornehmlich innerhalb des Gesundheitssystems entwickelte, wo der Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden von Medizinern, Pflegenden, Seelsorgern und anderen im Krankenhaus Beschäftigten angeprangert und verändert wurde, entwickelte sich die Hospizbewegung, die häufig als Bürgerbewegung beschrieben wird, zunächst außerhalb des Gesundheitssystems (Deutscher Hospiz- und PalliativVerband, 2017). Cicely Saunders beschrieb und kommentierte diesen Weg Mitte der 1980er Jahre folgendermaßen: »Die Hospizbewegung zog aus dem Gesundheitswesen aus und entwickelte eigene Modelle. Es gilt nun, die Haltungen, die Kompetenzen und die Erfahrungen in die Regelversorgung zu reintegrieren, damit die Haltung und das Wissen zurückfließen können« (Clark, 2002, S. 242 f.). In der hier beschriebenen Integration hospizlicher Haltung und entsprechender Begleitungskonzepte in die Regelversorgung wird das Zusammenwirken mit der Palliativversorgung deutlich. Grob vereinfacht ließe sich sagen, dass die Hospizversorgung ihren Schwerpunkt in der ehrenamtlichen und sozialen Begleitung hat, während die Palliativversorgung vornehmlich durch hauptamtlich im Gesundheitswesen Beschäftigte erbracht wird. Die aus der geschichtlichen Entwicklung resultierende Unterscheidung von Palliativ- und Hospizversorgung mit den entsprechenden Strukturen ist ein spezifisch deutsches Phänomen. In anderen Ländern ist eine solche Differenzierung weniger ausgeprägt, was unter anderem zur Folge hat, dass zum Beispiel eine Unterscheidung von Betten auf Palliativstationen und in stationären Hospizen in anderen Ländern nicht möglich ist. Während in Deutschland ein Aufenthalt auf einer Palliativstation (als Bereich des Krankenhauses) eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit voraussetzt und ein stationäres Hospiz im engeren Sinne eine spezialisierte Pflegeeinrichtung darstellt, sind zum Beispiel in Hospizen in Großbritannien grundsätzlich auch Ärzte beschäftigt und Behandlungen möglich, die in Deutschland Krankenhaus- oder niedergelassenen Ärzten vorbehalten sind.

Die Kosten der Palliativ- und Hospizversorgung werden in Deutschland überwiegend aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) getragen, die durch Spenden und in stationären Hospizen durch Gelder der Pflegeversicherung ergänzt werden. Die Regelungen hierzu sind vornehmlich im SGB V (z. B. §§ 39a, 37b) sowie im Krankenhausfinanzierungsgesetz (z. B. § 17b und § 6 KHEntgG) geregelt.

Die Entwicklung der Palliativ- und Hospizversorgung in Deutschland

Die Palliativ- und Hospizversorgung hat in Deutschland seit den 1990er Jahren eine überaus positive Entwicklung genommen, was sich auch an der zunehmenden Zahl von Palliativstationen und stationären Hospizen (Abbildung 1) zeigt. Dennoch verfügen derzeit nur ca. 15 % aller deutschen Krankenhäuser über eine Palliativstation und im Bereich der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) – worauf für gesetzlich Versicherte seit 2007 ein Rechtsanspruch besteht – ist davon auszugehen, dass der Bedarf erst zu ca. 60 % gedeckt ist (Melching u. Bertelsmann Stiftung, 2015). Auch die Tatsache, dass bei Medizinern die Zusatzbezeichnung »Palliativmedizin« die am zweithäufigsten erlangte Zusatzbezeichnung nach der Notfallmedizin ist und inzwischen über 10.000 Ärzte über diese Zusatzbezeichnung verfügen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass damit nur ca. 3 % aller in Deutschland tätigen Ärzte über diese Zusatzqualifikation verfügen. Langfristig werden sich weitere Verbesserungen daraus ergeben, dass Palliativmedizin im Jahr 2009 zum Pflichtlehr- und Prüfungsfach im Medizinstudium erklärt wurde und dass der Bereich der Palliativversorgung zunehmend in verschiedenen Facharztausbildungen Berücksichtigung findet.

Auch durch das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) vom 01.12.2015 wurden weitere Anreize zur palliativmedizinischen Weiterqualifizierung geschaffen (Deutscher Bundestag, 2015).

Abbildung 1: Entwicklung stationäre Einrichtungen (Quelle: www.wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de)

Vertiefung: Das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz, HPG)

Im Dezember 2015 wurde ein für die Palliativversorgung bedeutsames Gesetz verabschiedet, das die Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung in Deutschland zum Ziel hat. Es wurden hierdurch weitreichende Änderungen der Sozialgesetzbücher V und XI sowie des Krankenhausfinanzierungsgesetzes vorgenommen. Schwerpunkte dieses neuen Hospiz- und Palliativgesetzes (HPG) sind unter anderem:

–eine bessere Finanzierung von Hospizleistungen,

–der Ausbau der allgemeinen ambulanten pflegerischen und medizinischen Palliativversorgung sowie die Vernetzung verschiedener Leistungserbringer,

–Erleichterungen beim Abschluss von Verträgen zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV),

–ein Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch die gesetzlichen Krankenkassen,

–stationäre Pflegeeinrichtungen können ihren Bewohnern ein individuelles und ganzheitliches Beratungsangebot in Form einer individuellen Versorgungsplanung zum Lebensende anbieten, welches durch die gesetzlichen Krankenkassen finanziert wird,

–Palliativstationen in Krankenhäusern können regelhaft außerhalb des DRG-Systems nach tagesgleichen Pflegesätzen vergütet werden,

–eine gesonderte Finanzierung und Kriterien für multiprofessionelle Palliativdienste innerhalb eines Krankenhauses.

Während durch den neuen § 217 StGB nur wenig konkrete Auswirkungen für die Palliativ- und Hospizversorgung zu erwarten sind, bietet das HPG eine gute Grundlage, um die Versorgung zu verbessern. Hierzu wird es allerdings entscheidend sein, wie die konkrete Ausgestaltung der Gesetzesänderungen durch ergänzende und konkretisierende Vereinbarungen erfolgt.

Generell lässt sich bezüglich der Versorgungsstrukturen in Deutschland allerdings eine große Heterogenität hinsichtlich der Verteilung stationärer Hospiz- und Palliativbetten sowie der Anzahl qualifizierter Palliativmediziner feststellen.

Aber nicht nur hinsichtlich der Quantität, sondern auch bezüglich der Qualität ist besonders in den letzten Jahren eine Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung der einzelnen Bereiche der Palliativversorgung zu beobachten. Insbesondere ist hier die im Mai 2015 fertiggestellte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung (Leitlinienprogramm Onkologie, 2015) zu nennen, die neben den Behandlungsempfehlungen und Qualitätsindikatoren auch ein umfangreiches Kapitel zu Versorgungsstrukturen inklusive Personalanforderungen enthält. Darüber hinaus wurden von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin Zertifizierungskriterien für Palliativstationen entwickelt, wodurch diese seit 2017 die Möglichkeit erhalten, sich durch eine unabhängige Zertifizierungsgesellschaft zertifizieren zu lassen.

Strukturen der Palliativ- und Hospizversorgung

Zunehmend kristallisiert sich eine Unterteilung der Strukturen in »Allgemeine« und »Spezialisierte« Palliativversorgung (APV und SPV) heraus (Tabelle 1), wodurch sich eine Einteilung in folgende vier Bereiche ergibt:

1.Allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV),

2.Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV),

3.Allgemeine stationäre Palliativversorgung (ASPV),

4.Spezialisierte stationäre Palliativversorgung (SSPV).

Initial für diese Differenzierung war die Einführung der SAPV im Jahr 2007 und die damit verbundenen Regelungen im § 37b und 132d SGB V, wobei hierdurch die Frage aufgeworfen wurde, was denn im Gegensatz zur SAPV eine AAPV kennzeichnen würde und welche Regelungen dafür gegebenenfalls zu schaffen wären.

Tabelle 1: Übersicht APV/SPV (Quelle: DGP)

Im stationären Bereich wurde im Jahr 2012 ein neues Zusatzentgelt (gemäß OPS 8-98e) mit dem Begriff Spezialisierte stationäre palliativmedizinische Komplexbehandlung eingeführt. Bereiche, in denen dieses Zusatzentgelt aufgrund der dafür geforderten Strukturmerkmale nicht erlöst werden kann, werden seitdem als Bereiche der ASPV bezeichnet. Damit folgt diese Unterteilung einzig einer Finanzierungslogik. Eine verbindliche oder gar gesetzlich definierte Differenzierung zwischen SPV und APV existiert jedoch nicht.

Allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV). Für die AAPV gibt es keine allgemeingültigen umfassenden Regelungen. Sie ist Teil der Regelversorgung und wird von Haus- und Fachärzten, Pflegediensten, Hospizvereinen und anderen Netzwerkpartnern erbracht. Seit 2013 existieren spezielle Abrechnungsziffern im EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab), die dort als Leistungen der AAPV benannt sind und die niedergelassenen Ärzten die Vergütung bestimmter Leistungen ermöglichen.

Durch das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) 2015 ist eine weitere Leistung der AAPV unter dem Begriff Besonders qualifizierte und koordinierte palliativmedizinische Versorgung (BQKPMV) hinzugekommen. Neben definierten Anforderungen an die Qualität der Leistung, an Koordination und Kooperationen (mit Pflegeeinrichtungen und weiteren Leistungserbringern der Palliativ- und Hospizversorgung) und an den Umfang der zu leistenden Fortbildungen werden auch persönliche Qualifikationen für Ärzte vorausgesetzt (Hospitation im Palliativbereich, Basiskurs Palliativmedizin).

Für Patienten besteht die Voraussetzung für den Erhalt dieser neuen Leistung darin, dass eine nicht heilbare, fortschreitende und so weit fortgeschrittene Erkrankung vorliegt, dass nach fachlicher Einschätzung die Lebenserwartung auf Tage, Wochen oder Monate gesunken ist.

Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV). Die SAPV ist der einzige gesetzlich eindeutig geregelte Bereich der Palliativversorgung. Im Jahr 2007 wurde mit der Einführung der gesetzlichen Regelungen zur SAPV in das Sozialgesetzbuch (§ 37b und § 132d SGB V) eine große Chance für den Ausbau und die Verbesserung der ambulanten Versorgung für schwerstkranke und sterbende Menschen in Deutschland eröffnet. Mittels palliativmedizinisch und -pflegerisch qualifizierter Teams, bestehend aus Ärzten, Pflegekräften und unter Einbindung Ehrenamtlicher, können Betroffene hier auf eine 24-Stunden-Verfügbarkeit zugreifen. In Ergänzung zum bestehenden Versorgungssystem soll dies neben einer verbesserten Symptomkontrolle unter anderem auch zur Vermeidung nicht gewollter Krankenhauseinweisungen beitragen. Allerdings hat sich die SAPV nur in Einzelfällen als multiprofessionelle Leistung im engeren Sinne entwickelt. Sie wird zumeist biprofessionell durch Ärzte und Pflegekräfte erbracht und durch Einbindung Ehrenamtlicher aus ambulanten Hospizvereinen ergänzt. Feste Stellenanteile für Psychologen oder Sozialarbeiter sind bisher nur vereinzelt in den SAPV-Teams anzutreffen.

Allgemeine stationäre Palliativversorgung (ASPV). Wie bereits erwähnt ergibt sich eine Unterscheidung von allgemeiner und spezialisierter Versorgung im stationären Bereich lediglich durch die Finanzierungsmöglichkeiten im DRG-System (mittels zweier unterschiedlicher Komplexpauschalen gemäß OPS 8-982 und 8-98e) sowie durch einige Hinweise in der S3-Leitlinie Palliativmedizin. Grundsätzlich sollte die allgemeine Palliativversorgung im Krankenhaus auf jeder Station erbracht werden können.

Eine Forderung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin besteht darin, in jeder stationären Einrichtung (Krankenhaus und Pflegeheim) einen Palliativbeauftragten im Sinne eines »Kümmerers« zu etablieren, der für die jeweilige Einrichtung Palliativstrukturen entwickeln und befördern soll und unter anderem durch Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Fortbildung dazu beitragen kann, eine Palliativkultur im Haus zu entwickeln.

Spezialisierte stationäre Palliativversorgung (SSPV). Der Begriff der SSPV ist erstmals 2012 mit dem Inkrafttreten eines neuen Operationalisierungsschlüssels (OPS 8-98e) aufgetaucht. Hierdurch erhalten Palliativstationen, die bestimmte Vorgaben bezüglich ihrer Struktur (z. B. mindestens 5 Betten, abgetrennte Abteilung, Qualifikation des Personals, multiprofessionelles Team usw.) und ihres Leistungsspektrums erfüllen, die Möglichkeit, ein erhöhtes Zusatzentgelt zu erlösen. Spezialisierte Palliativversorgung wird im Krankenhaus auf Palliativstationen und durch abteilungsübergreifend tätige Palliativdienste erbracht.

Verankerung der Multiprofessionalität in der stationären Palliativversorgung

Eine Notwendigkeit zur Multiprofessionalität in der Palliativversorgung ergibt sich bei genauer Betrachtung bereits durch die WHO-Definition zur Palliativmedizin von 2002, in der eine Behandlung auf körperlicher, psychosozialer und spiritueller Ebene beschrieben wird.

Das Glossar der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (2016) formuliert unter der Überschrift »Multiprofessionalität und interdisziplinärer Ansatz« darüber hinaus unter anderem: »Palliativversorgung ist ein Prototyp für vernetzte multiprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit, da nicht heilbare und lebensverkürzende Erkrankungen in der Regel multidimensionale Anforderungen an die Behandlung und Versorgung stellen. Im Dienst an den Patienten und ihren Angehörigen kooperieren unterschiedlichste Professionen und bringen ihre Expertise in die Betreuung und Begleitung ein. Das sind neben palliativmedizinisch qualifizierten Ärzten und Pflegenden unter anderem Mediziner anderer Fachrichtungen, Psychologen und Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Seelsorger, Sozialarbeiter, Wundmanager, Fallmanager, Pharmazeuten, Ergotherapeuten, Musik- und Kunsttherapeuten, Ernährungsberater und andere mehr. Eine wichtige Rolle in der Palliativversorgung nehmen Ehrenamtliche ein.«

Die starke Fokussierung auf die psychischen und psychosozialen Bedürfnisse sowie die Berücksichtigung des sozialen Umfeldes verdeutlichen die Erfordernis nichtärztlicher und nichtpflegerischer Berufsgruppen innerhalb der Palliativversorgung. Schätzungsweise 40–50 % der Gesamtarbeitszeit eines multiprofessionellen Palliativteams auf Palliativstationen oder in der SAPV werden zum Beispiel für Angehörige aufgebracht.

Dennoch gibt es eine strukturelle Verankerung der Multiprofessionalität nur im Bereich der spezialisierten stationären Palliativversorgung. Hier wird die Einbindung verschiedener Berufsgruppen auf zwei Ebenen geregelt, der Finanzierungs- und der Qualitätsebene.

Finanzierungsebene im stationären Krankenhausbereich. Um für Leistungen der Palliativversorgung entsprechende Zusatzentgelte erlösen zu können, existieren drei sogenannte Operationalisierungsschlüssel (OPS), die bezüglich der Multiprofessionalität folgende Mindestmerkmale verlangen:

–Im OPS 8-982 (Palliativmedizinische Komplexbehandlung) wird gefordert:

•»Wöchentliche multidisziplinäre Teambesprechung mit wochenbezogener Dokumentation bisheriger Behandlungsergebnisse und weiterer Behandlungsziele

•Einsatz von mindestens zwei der folgenden Therapiebereiche: Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Psychologie, Physiotherapie, künstlerische Therapie (Kunst- und Musiktherapie), Entspannungstherapie, Patienten-, Angehörigen- und/oder Familiengespräche mit insgesamt mindestens 6 Stunden pro Patient und Woche.«

–Im OPS 8-98e (spezialisierte stationäre palliativmedizinische Komplexbehandlung) wird zusätzlich zu den im OPS 8-982 geforderten Mindestmerkmalen gefordert:

•»Kontinuierliche, 24-stündige Behandlung auf einer eigenständigen Palliativeinheit (mindestens 5 Betten) durch ein multidisziplinäres und multiprofessionelles, auf die besonders aufwendige und komplexe Palliativbehandlung spezialisiertes Team.

•Tägliche multiprofessionelle Fallbesprechung mit Dokumentation«

–Im OPS 8-98h (spezialisierte palliativmedizinische Komplexbehandlung durch einen Palliativdienst) wird gefordert:

•»Der Palliativdienst ist ein abteilungsübergreifend tätiges, organisatorisch eigenständiges, multiprofessionelles und auf die komplexe Palliativbehandlung spezialisiertes Team, bestehend aus ärztlichem Dienst, pflegerischem Dienst und mindestens einem Vertreter eines weiteren Bereiches: Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Psychologie/Psychotherapie, Physiotherapie, Ergotherapie

•Wöchentliche Teambesprechung des Palliativdienstes«

Qualitätsebene im stationären Krankenhausbereich. Neben der Finanzierungsebene existieren verschiedene Empfehlungen, die auch eine Qualitätsebene im stationären Bereich beschreiben. Empfehlungen zur Personalbesetzung auf Palliativstationen hat die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin bereits im Jahr 2007 veröffentlicht, wobei – entsprechend den OPS-Ziffern – für den Bereich der nichtärztlichen und nichtpflegerischen Berufsgruppen pro Patient insgesamt ein Stellenanteil von 6 Stunden pro Woche angegeben wurde, was bei einer 8-Betten-Station 48 Wochenstunden bedeutet. Die Sektion Psychologie der DGP geht inzwischen davon aus, dass der Bedarf an psychologischen Fachkräften 0,5 Vollzeitstellen bei einer Stationsgröße von 8–10 Betten beträgt. Einen ähnlichen Stellenschlüssel sieht auch der aktuelle Stand der Zertifizierungskriterien für Palliativstationen vor, der sich derzeit noch in Überarbeitung befindet.

Darüber hinaus existieren die bereits erwähnten Empfehlungen der S3-Leitlinie:In dieser Leitlinie wird an verschiedenen Stellen auf die Bedeutung der Multiprofessionalität hingewiesen. In folgenden Schlüsselempfehlungen wird explizit auf die Möglichkeit des Einsatzes von Psychologen bzw. Psychotherapeuten hingewiesen:

–»Die vorausschauende Versorgungsplanung ist häufig ein Prozess und kann in mehreren Gesprächen stattfinden. Die Gespräche sollten durch an der Behandlung des Patienten Beteiligte (z. B. Arzt, Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Psychologen, Seelsorger) geführt werden.«

–»Bei bestimmten Umständen [nach Eintritt des Todes] (z. B. entstelltes Aussehen, komplexe Beziehung, Kinder) sollte psychologische und/oder seelsorgerische Begleitung bereitgehalten werden.«

–»Ein psychiatrischer/psychotherapeutischer Experte soll in folgenden Fällen hinzugezogen werden:bei Unsicherheit in der Diagnose sowie in der Behandlungsplanung der Depression

•bei einer komplexen psychiatrischen Vorgeschichte bzw. Symptomatik

•bei einer schweren depressiven Symptomatik mit psychotischen Symptomen oder depressivem Stupor

•bei akuter Suizidalität

•bei Fremdgefährdung

•bei Nichtansprechen auf die antidepressive Therapie«

–»Bei der nichtmedikamentösen Behandlung von Depressionen sollten verhaltenstherapeutische oder tiefenpsychologisch fundierte Verfahren eingesetzt werden. Ergänzend können andere Verfahren (z. B. Kreativtherapien, Achtsamkeit) angewendet werden.«

Verankerung der Multiprofessionalität in der ambulanten Palliativversorgung

Der Anspruch an Multiprofessionalität besteht selbstverständlich auch im ambulanten Sektor. Während sich jedoch in der AAPV keinerlei entsprechende Regelungen finden lassen, liegen Hinweise auf Einbindung (bzw. Nichteinbindung) von psychosozialen Professionen in die SAPV bislang nur in den nachstehenden Regelungen vor:

1.§ 37b SGB V Spezialisierte ambulante Palliativversorgung»Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung umfasst ärztliche und pflegerische Leistungen einschließlich ihrer Koordination insbesondere zur Schmerztherapie und Symptomkontrolle …«

2.Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Verordnung von spezialisierter ambulanter Palliativversorgung»§ 6 Zusammenarbeit der Leistungserbringer(5) 1 Für die notwendigen koordinativen Maßnahmen ist vernetztes Arbeiten innerhalb der gewachsenen Strukturen der Palliativversorgung unabdingbar.2 Dieses ist unter Berücksichtigung medizinischer, pflegerischer, physiotherapeutischer, psychologischer, psychosozialer und spiritueller Anforderungen zur lückenlosen Versorgung über die Sektorengrenzen hinweg zu fördern und auszubauen.«

3.Empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes nach §132d Abs. 2 SGB V für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung vom 23.06.2008 (Fassung vom 05.11.2012), Absatz 5.4»Soweit weitere Fachkräfte (z. B. Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter, Sozialpädagoginnen oder Sozialpädagogen, Psychologinnen oder Psychologen) vertraglich eingebunden werden, haben diese eine Zusatzweiterbildung Palliative Care für andere Berufsgruppen oder eine mehrjährige Erfahrung in der Palliativversorgung nachzuweisen.«

Für die Alltagspraxis heißt dies, dass psychologische Unterstützung durch niedergelassene Psychotherapeuten und spirituelle Begleitung durch Gemeindeseelsorger erbracht werden soll, während Leistungen, die in das Tätigkeitsfeld der Sozialarbeit fallen, gar nicht abbildbar sind. Es ist offensichtlich, dass der Bedarf an psychosozialer Versorgung auf dieser Grundlage nicht gedeckt werden kann. Es muss daher eine Unterversorgung psychosozialer Leistungen festgestellt werden, die sich strukturell begründet.

Verankerung der Multiprofessionalität in der Hospizversorgung

Die Vorgaben zur ambulanten und stationären Hospizversorgung ergeben sich in erster Linie aus dem § 39a SGB V und den damit verbundenen Rahmenvereinbarungen. Im Hinblick auf die Multiprofessionalität findet sich in der Rahmenvereinbarung für ambulante Hospizdienste im § 4 der Hinweis, dass mindestens eine festangestellte Fachkraft beschäftigt wird, die unter anderem folgende Voraussetzungen erfüllt: »Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Gesundheits- und Krankenpflegerin/Gesundheits- und Krankenpfleger, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin/Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger, Altenpflegerin/Altenpfleger. Sie kann auch eine Universitäts- bzw. Fachhochschulausbildung aus dem Bereich Pflege, Sozialpädagogik, Sozialarbeit, Heilpädagogik abgeschlossen haben. Andere abgeschlossene Studiengänge oder Berufsausbildungen sind im Einzelfall zu prüfen.« Somit bedarf die Beschäftigung eines Psychologen hier einer Einzelfallprüfung.

In der Rahmenvereinbarung für stationäre Hospize, die aktuell infolge des HPG überarbeitet wird, werden Psychologen hingegen explizit benannt. Dort heißt es unter anderem: »Das Hospiz hat zusätzlich das folgende Personal: […] Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter, Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen oder Psychologinnen/Psychologen«, wobei dieser Personalbedarf auch stundenweise extern abgedeckt werden kann.

Literatur

Clark, D. (Hrsg.) (2002). Cicely Saunders: Founder of the Hospice Movement: Selected Letters 1959–1999. Oxford: Clarendon Press.

Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (2016). Deutsche Gesellschaft zur Palliativmedizin: Definitionen zur Hospiz- und Palliativversorgung. Zugriff am 31.05.2017 unter http://www.dgpalliativmedizin.de/images/DGP_GLOSSAR.pdf

Deutscher Bundestag (2015). Dokumentations- und Informationssystem. Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland (Hospiz- und Palliativgesetz – HPG). Bundesgesetzblatt Teil I 2015 Nr. 48 07.12.2015 S. 2114 / 27.11.2015 – BR-Drucksache 519/15(B). Zugriff am 08.05.2017 unter http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP18/667/66754.html

Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V. (2017). Die Hospizbewegung. Zugriff am 09.04.2017 unter http://www.dhpv.de/themen_hospizbewegung.html

Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF) (2015). Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung, Langversion 1.1, AWMF-Registernummer: 128/001OL. Zugriff am 05.01.2017 unter http://www.dgpalliativmedizin.de/allgemein/s3-leitlinie.html

Melching. H., Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2015). Palliativversorgung – Modul 2 – Strukturen und regionale Unterschiede in der Hospiz- und Palliativversorgung. Zugriff am 04.08.2016 unter http://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Studie_VV__FCG_Versorgungsstrukturen-palliativ.pdf

Dr. Bernd Oliver Maier, Studium der Humanmedizin in München, Weiterbildung zum Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Palliativmedizin am Klinikum Augsburg, Master of Science in Palliative Medicine an der University of Bristol (UK), Mitglied und seit 2006 im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), Kongresspräsident 2008, seit 2016 Vizepräsident der DGP, langjähriger Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Palliativversorgung Hessen (LAPH), Mitglied des Ausschuss Palliativmedizin der Hessischen Landesärztekammer, seit 2013 Chefarzt der Medizinischen Klinik III, Klinik für Palliativmedizin und interdisziplinäre Onkologie am St. Josefs-Hospital Wiesbaden, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG).

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Bernd Oliver Maier

Zukünftige Herausforderungen der Palliativversorgung

»Strategie ist der menschliche Versuch,einer Glaskugelvision eine feste Struktur zu geben.«Lena Meichsner

Palliativversorgung ist in der Versorgungsrealität angekommen und hat sich in der Regelversorgung etabliert. Belegt wird das durch eine Vielzahl von Aktivitäten und Strukturen, die rund um die Bedürfnisse schwerstkranker und sterbender Menschen entstanden sind: Beispielhaft erwähnt sei die S3-Leitlinie für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung, die im Rahmen des onkologischen Leitlinienprogrammes der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erstellt wurde und in der sich über 50 Fachgesellschaften auf die nach aktuellem wissenschaftlichem Erkenntnisstand gültigen Empfehlungen zum Umgang mit typischen inhaltlichen Fragen der Palliativversorgung geeinigt haben.

In der gesellschaftspolitischen Dimension wurde ergänzend durch das Gesetz zur Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung der ordnungspolitische Rahmen definiert, in dem palliativ zentrierte Leistungsangebote Anspruch auf Anerkennung durch die Kostenträger erhalten sollen. Und auch die ständig steigende Zahl von Angeboten auf allen Ebenen der Versorgung, ambulant oder stationär, allgemein oder spezialisiert, spiegelt die Dynamik eines Versorgungsansatzes wider, dessen Entwicklung und Ausbau von vielen Seiten unterstützt, gefördert und gefordert wird.

Bei aller berechtigten Freude über die Entwicklung von Palliativversorgung hin zum selbstverständlichen Angebot unseres medizinischen Versorgungsspektrums muss diese Entwicklung auch durch kritische Reflexion begleitet werden:

–Allgemeine flächendeckende Verfügbarkeit und damit eine gerechte Verteilung von Angeboten basiert auf einem konsentierten Verständnis von Bedarfsgerechtigkeit – haben wir das in unserer Gesellschaft erreicht?

–Ein abgestuftes Versorgungsmodell benötigt verlässliche Operationalisierungs- und Zuordnungskriterien assoziiert zu einer bestimmten Intensitätsstufe der Versorgung. Diese beziehen sich auf Indikation, Inhalte und Qualität der Ausführung. Haben wir dafür eine ausreichende Grundlage?

–Im Konzept der evidenzbasierten Medizin droht die individuelle therapeutische Annäherung an die einzigartige Lebenskonstellation eines betroffenen Menschen und seines Umfeldes durch standardisierte Behandlungswege zu kurz zu kommen – wie gelingt hier die Balance?

Herausforderung Bedarfsgerechtigkeit: Verfügbarkeit von und Zugangswege zu Palliativversorgung

Verfügbarkeit von Palliativversorgung wird in breitem Konsens aller Akteure des Gesundheitswesens als wichtig angesehen und ein entsprechender Ausbau der Angebote gefordert. Bei genauerer Betrachtung offenbart sich allerdings, dass diese Forderungen ins Floskelhafte abzugleiten drohen. Denn trotz weit verbreiteter Akzeptanz, dass neben der allgemeinen Palliativversorgung die spezialisierte Palliativversorgung notwendig ist, gibt es kein verbindliches Verständnis davon, welche Bedürfnisse und Bedarfe die Zuordnung zu einem entsprechenden Versorgungs- und Unterstützungsangebot rechtfertigen. Komplexität der Versorgungsituation, Intensität einer Symptombelastung, Prognoseabschätzung und Notwendigkeit einer koordinierten Betreuung durch ein multiprofessionelles Team sind dabei nur einige skizzenhaft aufgelistete Schlagworte, die immer wieder als Merkmale für den Bedarf einer spezialisierten Palliativversorgung angeführt werden. Aber diese ziehen unmittelbar weitere Fragen nach sich: Was definiert Komplexität und wie messe ich sie? Wo ist der Schwellenwert einer Symptombelastung, der die Einbeziehung eines Spezialisten notwendig macht? Welche Prognose rechtfertigt eine Indikation zur spezialisierten Palliativversorgung? Was zeichnet ein multiprofessionelles Team aus, das den Status eines auf Palliativversorgung spezialisierten Teams für sich beansprucht?

Hinter diesen Fragen nach Spezialisierung gehen weitere grundlegende Fragen dann fast unter: Definiert sich allgemeine Palliativversorgung nur über die Abgrenzung von spezialisierter Palliativversorgung durch die noch nicht oder nicht mehr gegebene Notwendigkeit einer spezialisierten Versorgung oder gibt es ein eigenständiges Verständnis, eine eigene Identität der allgemeinen Palliativversorgung, die nicht nur auf diesem schablonenhaften Ja-nein-Ansatz fußt? Gibt es eine Grundhaltung der Palliativversorgung, die in jedem medizinischen Handeln reflektiert ist? Wie äußert sich diese Haltung im Alltag?

Die aktuelle Herausforderung, diesen großen und spannenden Fragen ausreichend Raum für Reflexion zu geben, begründet sich ironischerweise nicht unwesentlich in der aktuellen Popularität der politischen Unterstützung für Palliativversorgung selbst: Um die Unterstützung zu rechtfertigen, so scheint es, müssen schnell Antworten gegeben und Erfolge vorzeigbar werden – leise nachdenklichere Ansätze, Selbstreflexion und Suche nach dem besten von unterschiedlichen alternativen Modellen verkaufen sich dabei nicht als schneller heilsbringender Erfolg. Und natürlich wollen Palliativversorger diese große Chance, den politischen Rückenwind für die eigene Sache zu nutzen, nicht verstreichen lassen und bedienen bereitwillig die Nachfrage nach erfolgsorientierten Lösungsansätzen, teilweise möglicherweise wider eigene Zweifel, um den Anschluss ja nicht zu verpassen.

Im Ergebnis entsteht ein buntes Portfolio von Angeboten, die nicht zwingend aufeinander abgestimmt scheinen und die in der Notwendigkeit, die eigene Daseinsberechtigung zu beweisen, nicht frei von Partialinteressen Bedarfsgerechtigkeit für sich selbst definieren und politisch proklamieren. Das gesunde Prinzip, den zweiten Schritt nicht vor dem ersten zu gehen, wird dabei bisweilen missachtet.

Wenn wir das Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit als relevantes Paradigma eines begründeten Leistungsanspruches eines erkrankten Menschen gegenüber seiner Krankenkasse voraussetzen und die Krankenkasse dabei als Ausdruck eines solidarisch-konsentierten Sicherungssystems in der Gesellschaft verstehen, gilt es eine wesentliche Frage zu klären: Wann und wie wird ein Bedürfnis zum Bedarf, der diesen Leistungsanspruch triggert? Vereinfacht liegt dem ein dreischrittiger Ansatz zugrunde: Als Erstes muss ein Bedürfnis von der Gesellschaft überhaupt als relevant wahrgenommen werden. Zweitens muss eine Möglichkeit bestehen, es überhaupt zu befriedigen. Drittens muss ein gesellschaftlicher Konsens bestehen, die notwendigen Mittel zur Bedürfnisbefriedigung bereitzustellen. So gesehen ist der bedarfsgerechte Leistungsanspruch eines Betroffenen eigentlich nur die durch gesellschaftlichen Konsens legitimierte und über die Krankenkassen finanzierte Akzeptanz, das Bedürfnis tatsächlich als relevanten Bedarf anzuerkennen und folglich die Bezahlung der Leistungen zur Befriedigung des Bedarfs zu übernehmen.

Die zunehmende Differenzierung und Abstufung der Versorgungs- und Behandlungsmöglichkeiten verkompliziert das weiter. Wenn der medizinische Qualitätsbegriff, definiert über Ergebnis-, Struktur- und Prozessqualität, Anwendung finden soll, wird schnell klar, dass sich sperrige Ungereimtheiten ergeben: Ist dann eine hohe Mortalität in einer spezifischen Versorgungsstruktur neutral zu betrachten oder gar Ausdruck eines nachweislichen Spezialistentums? Auch wenn sich manch einer scheut vor dieser Betrachtung, deutet doch letztlich die Diskussion über eine prozentual erreichte Steigerung der Anteile zu Hause verstorbener Menschen in SAPV-Betreuung genau in diese Richtung und assoziiert eine hohe Sterberate zu Hause mit gelungener Versorgung.

Der Wunsch nach einer auskömmlichen Finanzierung angebotener Leistungen macht aus den Instrumenten zur Bedarfserhebung und der Beschreibung palliativmedizinischer Bedürfnisorientierung Instrumente der politischen Argumentation: Die Ebenen werden nicht mehr sauber getrennt. Beispielsweise werden oft Qualitätsinstrumente wie Zertifizierungskriterien in einen Topf geworfen mit abrechnungsrelevanten Mindestmerkmalen. Die Dynamik der Diskussion führt auf diesem Weg zu einer Vernachlässigung der wünschenswerten Präzision.

Die Entwicklung der Palliativversorgung insgesamt ist sehr positiv, da sie in jedem Fall zu einer Verbesserung von patientenindividueller Versorgung führen kann. Die gesetzgeberischen Impulse zur Strukturgebung sind dabei ein wichtiger Motor.

Die Herausforderung aber wird bleiben bei aller notwendigen Lautstärke, die es braucht, um sich politisch Gehör zu verschaffen, nicht selbst in der Falle zu landen, nur noch diese Dimension als relevant und handlungsleitend zu empfinden und die ungeklärten grundsätzlichen Fragen darüber zu vergessen. Um Nachhaltigkeit zu erreichen, müssen die Palliativversorgenden immer wieder den Weitblick üben, das gesamte Spektrum des Feldes mit allen noch bestehenden Unklarheiten in den Blick zu nehmen, um weiterhin an den fundamentalen Voraussetzungen genauso intensiv zu arbeiten wie an der akuten Ausgestaltung einzelner Versorgungssegmente.

Herausforderung Indikationsstellung: Kriterien für angemessene Versorgungsintensität

Ein Beispiel für bestehende Herausforderungen bleibt die konkrete Zuordnung eines bedürftigen Patienten zu einem entsprechenden Angebot der Palliativversorgung. Das Prinzip der Indikationsstellung ist in der Medizin unumstritten. Jede medizinische Maßnahme – also auch die palliativmedizinische Versorgung – braucht eine rechtfertigende medizinische Indikation.

Dem Wesen der Indikationsstellung entspricht, dass aufgrund medizinischer Erkenntnisse die wahrscheinliche Wirkung und Effektivität einer angedachten medizinischen Maßnahme vorhersagbar und damit ein individueller Nutzen oder Schaden für den betroffenen Menschen abschätzbar wird. Hierzu gibt es im Kontext von Palliativversorgung Problemzonen, die sich als Herausforderung darstellen können: Es gilt zu klären, ob der an und für sich physiologische Prozess der Annäherung an das Sterben oder das Sterben selbst tatsächlich der Natur nach prinzipiell eine medizinische Auffälligkeit darstellt, die mit pathologischer Veränderung und somit zumindest potenziellem medizinischem Interventionsbedarf gleichzusetzen ist, oder ob das eine unzulässige Medikalisierung eines natürlichen Prozesses darstellt. Wenn es aber ein natürlicher Prozess ist, dann passt das klassische Muster der medizinischen Indikationsstellung, das erlaubt, Maßnahmen als angemessen bezüglich ihrer Wirkung abzuschätzen, nicht mehr so recht ins Bild. Dann überwiegt der Aspekt der Begleitung den Aspekt der Behandlung und möglicherweise werden eine veränderte Haltung und Sichtweise das zentrale Element der angemessenen Annäherung an diese Lebensphase.

Wie ordnet sich dies in ein sehr strukturell geprägtes Ordnungsgeflecht leistungsrechtlicher Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen ein? Dann stellt die rechtfertigende Indikation das wesentliche Element dar, damit eine erbrachte Leistung als angemessen anerkannt wird. Eine präzise Operationalisierung ist allenfalls als Hilfskonstrukt möglich, da in der formelhaften Webart der Operationalisierungen für Leistungskategorien keine passenden Raster für beispielsweise Impulse zur Sinnstiftung bei begrenzter Lebenszeit existieren. Relevante Dimensionen palliativ geprägten Handelns wie Trost spenden, Hoffnung bewahren oder Würde stärken sind nicht sicher als medizinisch definierte Dimensionen etabliert. Selbst das Empfinden von Leid am Lebensende ist nicht zwingend medizinisch pathologisch und berührt nicht die Fragen medizin-kategorischen Denkens allein, sondern das menschliche Sein als solches mit seiner impliziten ureigen menschlichen Fähigkeit zu existenzieller Leiderfahrung. Aber: Selbst wenn es dafür keine Diagnose gibt, so haben wir doch im palliativmedizinischen Repertoire Möglichkeiten, das Erleben der belastenden Situationen zu mildern. Wie kommen wir hier aber zu einer sauberen Indikation? Und am besten noch zu einer abgestuften, die die Bedarfsgerechtigkeit in einer angemessenen und abgestimmten Intensität des Behandlungs- oder eben Begleitungsansatzes berücksichtigt? Selbst bei anderer Grundsatzposition, dass jedem in Anbetracht der Größe des Sterbenmüssens alles an Unterstützung offen stehen sollte, rutscht man in ein ähnliches Dilemma: Wann ist denn Sterbenmüssen nahe genug am Sterben, um den gewaltigen Palliativapparat voll umfänglich auf die Betroffenen loszulassen …?

Neben alledem sollte ein zweiter Gedanke zur Indikationsstellung und medizinischen Entscheidungsfindung nicht untergehen: Selbst bei bestehender Indikation bedarf eine medizinische Intervention auch immer des Einverständnisses durch den Betroffenen oder seinen Stellvertreter. Nicht selten scheint das in einer vermeintlichen Unausweichlichkeit palliativmedizinischen Handelns nivelliert. Die eindeutige Bedürftigkeit verführt zu einem von palliativmedizinischem Paternalismus getriebenen, missionarischen Eifer, der intuitiv Einverständnis überflüssig zu machen scheint. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Menschen haben ein Recht darauf, unvernünftige Entscheidungen zu treffen. Das gilt auch für Menschen, die durch eine Erkrankung zu Palliativpatienten geworden sind. Das Recht auf informierte Ablehnung prinzipiell indizierter Therapien betrifft eben nicht nur Maßnahmen wie Operationen, Chemotherapie oder Dialyseverfahren, es gilt genauso voll umfänglich für palliativmedizinische Verfahren.

Es bleibt als Ausweg letztlich nur, das Unwägbare als grundsätzlich implizit zu akzeptieren: So bemühen wir uns nach Kräften, die verfügbaren Hilfskonstrukte zur Beschreibung einer rechtfertigenden Indikation zu nutzen, die, wie oben erwähnt, durch ein buntes Bild von Intensität, Komplexität, Ängsten, Sehnsüchten und abgeschätzter verbleibender Lebenszeit bestimmt wird, und müssen uns darin üben, gerade auch bei von befürchtetem Kontrollverlust bedrohten Menschen eine respektvolle Aufklärung über palliativmedizinische Maßnahmen auszuführen und eine etwaige Ablehnung gegebenenfalls zu akzeptieren.

Herausforderung Individualität: Jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod

Je profilierter und präziser die palliativmedizinischen Strukturen definiert, ausgebaut und beschrieben sind, umso mehr ist eine vergleichbare Qualität der Arbeit gewährleistet. Definierte Behandlungsstandards helfen, symptomatische Therapien zu verbessern. Palliativmedizin ordnet sich als Fachdisziplin gleichwertig neben anderen Fachdisziplinen in den Kanon des Gesamtspektrums medizinischer Behandlungsoptionen ein. Die Charakteristika der Aufbruchsjahre, in denen kreativ experimentiert und flexibel nach Umsetzungsmodellen gesucht wurde, getragen von hoher individueller Bereitschaft, auszuloten, wie der Spagat zwischen menschlicher Nähe und Bereitschaft zur Einlassung einerseits und klassisch medizinischer Behandlung andererseits zu überbrücken ist, scheint abgelöst von Konzepten, die eine klarere Orientierungshilfe und Blaupausen für eine erfolgreiche Arbeit liefern. Naturgemäß fokussieren Konzepte auf Regelfall und Allgemeingültiges. Durch diesen Trend droht die individuelle Einlassung an den Rand gedrängt zu werden. Aber gerade in dem Übergang und Miteinander von Begleitung und Behandlung muss der Individualität, dem einzelnen Menschen und seiner einzigartigen Geschichte auch weiterhin ein fester Platz gesichert sein. Sonst reduziert sich Palliativversorgung selbst auf die Symptomatologie und degradiert sich beispielweise im ambulanten Umfeld zur rettungsmedizinischen Alternative, die zwar länger für den Anfahrtsweg braucht, aber dafür Opioide dabei hat.

Wenn wir betroffene Menschen, Patienten wie Angehörige, mit all ihren teils auch widersprüchlichen Empfindungen als Adressaten in den Mittelpunkt der Palliativversorgung rücken, bleibt keine Alternative dazu, sich aufzumachen, diesen Menschen authentisch begegnen zu wollen und die emotionale Bindung anzubieten und auszuhalten. Dies bleibt Anforderung an jede und jeden Einzelne(n), der im Feld tätig sein will. Strukturkompetenz kann das unterstützen und fördern, ersetzt aber die persönliche Suche nach Begegnung mit den Betroffenen nicht. Die medizinische Konzeptualisierung der Palliativversorgung, die notwendig ist, um eine Verlässlichkeit der Angebote und Vergleichbarkeit zu gewährleisten, darf von dieser Grundhaltung nicht ablenken. Genauso wenig macht eine persönliche Bereitschaft zur Einlassung die Auseinandersetzung mit den gültigen Konzepten überflüssig. Auch hier gilt: Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht.

Diese Balance immer wieder selbst zu suchen und dabei auszuhalten, dass dies eher ein Fließgleichgewicht mit vielen einflussnehmenden Faktoren als ein stabiler Zustand ist, ist vielleicht perspektivisch die größte Herausforderung, die die Palliativversorgung mit sich bringt – eventuell gerade deshalb, weil wir hier als im Feld Tätige immer selbst in die Verantwortung genommen werden und nur unsere eigene reflektierte Praxis offenbaren wird, ob es im Einzelfall gelungen ist, beide Ebenen für den Patienten spürbar zusammenzuführen.

Dipl.-Psych. Jan Gramm, Studium der Psychologie und der Kunstpädagogik in Frankfurt am Main. Weiterbildungen in Systemischer Beratung, Systemischer Supervision, Coaching und Organisationsberatung (DGSF), Psychodrama, Spiritueller Sterbebegleitung, Leadership im Gesundheitswesen, Gewaltfreier Kommunikation, Kursleiter Palliative Care (DGP). Seit 2006 als Psychologe im Palliativbereich tätig. Kursleitung und Referententätigkeit in Palliative-Care-Kursen und der Weiterbildung Palliativmedizin, Lehraufträge an der Universität Frankfurt am Main. Aktive Mitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Gründer und Geschäftsführer des Instituts für Palliativpsychologie, Frankfurt am Main.

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Website: www.palliativpsychologie.de

Dipl.-Psych. Urs Münch, Studium der Psychologie an der TU Berlin, Psychologischer Psychotherapeut (VT), Psychoonkologe (DKG) und Palliativpsychologe (DGP). Seit 2010 als Psychoonkologe in der Akutversorgung im Viszeralonkologischen Zentrum Westend der DRK Kliniken Berlin Westend, Lehraufträge an der HU Berlin, Dozent in verschiedenen psychoonkologischen und palliativpsychologischen Weiterbildungen. Mitgliedschaften u. a. in der Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie der DKG (PSO), der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Psychosoziale Onkologie (dapo) und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), dort seit 2016 Beisitzer im Vorstand.

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Website: www.drk-kliniken-berlin.de

Jan Gramm und Urs Münch

Psychologie und Psychotherapie in der bundesdeutschen Palliativversorgung

Der Stellenwert von Psychologie in der Palliativversorgung

Die Palliativversorgung verfolgt von Beginn an einen bio-psycho-sozio-spirituellen Ansatz. Was schon die Begründerin der hospizlich-palliativen Versorgung, Cicely Saunders, als unabdingbar für eine ganzheitliche Sterbebegleitung ansah, fand auch später Eingang in die WHO-Definition von Palliative Care (World Health Organization, 2002): »Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen, auf körperlicher, psychosozialer und spiritueller Ebene.«

Neben körperlichem Wohlbefinden sollen also auch die psychische Verfasstheit, die soziale Einbindung und die spirituelle Verortung der Patienten im Blick der Behandler behalten werden. Darüber hinaus werden auch die Angehörigen gleichermaßen in die Behandlung einbezogen – was im Grunde eine psychologisch-systemische Perspektive impliziert.

Wenn in diesem Sinne ganzheitlich behandelt werden soll, müssten ja auch die professionellen Vertreter der jeweiligen Dimension in die Behandlung eingebunden werden, damit die entsprechende Expertise eingebracht und die notwendige Behandlungsqualität erreicht werden können. Auf Palliativstationen und in Hospizen müssten also neben Ärzten und Pflegekräften auch Psychologen, Sozialarbeiter und Seelsorger zum Standardteam gehören. Dies ist allerdings nicht der Fall. Auf Palliativstationen sind Psychologen bei Weitem nicht regelhaft Teil des Teams, in vielen Fällen wird der psychoonkologische Dienst konsiliarisch hinzugezogen oder es werden für die psychologische Begleitung Musik-, Kunst- oder Atemtherapeuten, die jedoch meist nur stundenweise anwesend sind, oder Ehrenamtliche eingesetzt. In Hospizen bildet die regelmäßige Anwesenheit eines Psychologen die Ausnahme.

Aus der Perspektive eines Psychologen oder eines Psychotherapeuten fällt hier eine Diskrepanz auf zwischen Versorgungsanspruch und Versorgungswirklichkeit. In der medizinisch-pflegerisch geprägten Palliativ- und Hospizversorgung wird dies womöglich gar nicht so empfunden, denn in vielen Definitionen, in einschlägigen Fachbüchern in Fachartikeln etc. wird pauschal von »psychosozialer Versorgung« gesprochen und es wird kaum zwischen den hierfür zuständigen unterschiedlichen Professionen differenziert. So heißt es etwa in der Leitlinie Palliativmedizin in Bezug auf Depression: »Patienten […] sollen […] auch eine professionelle psychosoziale Betreuung erhalten« (Deutsche Krebsgesellschaft et al., 2015, S. 116). Dementsprechend teilen sich die verschiedenen Vertreter der »psychosozialen Begleitung« auch den diesem Bereich zugewiesenen Stellenanteil.

Diese Undifferenziertheit mag historische Gründe haben (schon im von Saunders 1967 gegründeten St. Christopher’s Hospice gab es keine Psychologen, wohl aber Sozialarbeiter, Seelsorger und vor allem Ehrenamtliche) oder auch im medizinischen System allgemein begründet sein, das Krankheit überwiegend im Körper verortet und operativ oder medikamentös behandelt (was sich durchaus auch in der Palliativmedizin widerspiegelt).

Ein weiterer Grund mag im Verständnis des bio-psycho-sozio-spirituellen Ansatzes liegen: Wenn demgemäß jeder Behandler gleich welcher Profession alle Dimensionen in sein Wirken einbeziehen soll, muss das eigene Tätigkeitsfeld erweitert und müssen Wissen und Kompetenz in »professionsfremden« Bereichen erworben werden. In der palliativen Versorgungspraxis werden die unterschiedlichen Dimensionen nicht spezifischen Berufsgruppen, sondern entsprechenden Kompetenzen zugeordnet, die als professionsunabhängig angesehen werden. Im Kontext eines medizinisch dominierten Gesundheitssystems betrifft dies freilich nur die nichtmedizinisch-pflegerischen Berufsgruppen, denn die Tätigkeitsfelder von Ärzten und Pflegekräften sind klar beschrieben und abgegrenzt (nicht zuletzt gegenüber Heilberufen außerhalb der »Schulmedizin«).

Dass dem psychosozialen Bereich in der Palliativ- und Hospizversorgung verschiedene Berufsgruppen unspezifisch zugeordnet werden, ist aber wohl nicht nur in der Logik des Medizinsystems begründet, sondern hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass die Psychologie, die Psychotherapie, die Sozialarbeit etc. sich erst seit jüngerer Zeit mit dem Lebensende auseinandersetzen. Diese Professionen haben das Potenzial ihrer spezifischen Expertise lange nicht deutlich formuliert. Dieser Band mag ein Zeichen dafür sein, dass die Professionalisierung der Palliativversorgung nun auch die nichtmedizinisch-pflegerischen Berufsgruppen erreicht hat und diese entsprechende Profile entwickeln.

Denn um anerkannt und gewürdigt zu werden, braucht es auch Klarheit über das Tätigkeitsprofil und die spezifische Expertise, die in die Palliativarbeit eingebracht werden. In einem medizinisch geprägten Umfeld kann nicht davon ausgegangen werden, dass fachpsychologische bzw. psychotherapeutische Vorgehensweisen bekannt sind. So mögen recht undifferenzierte Vorstellungen darüber bestehen, was die Kollegen da eigentlich genau tun, wenn sie psychologisch bzw. psychotherapeutisch arbeiten. Und wenn es beispielsweise keine klaren Vorstellungen über die Art und Weise eines psychologischen Gesprächs gibt, kann dieses auch nicht von einem Gespräch unterschieden werden, das von Vertretern nichtpsychosozialer Berufe oder von Ehrenamtlichen geführt wird.

Für die vollwertige Anerkennung und strukturellen Einbindung in die Palliativ- und Hospizversorgung ist es wichtig, dass die Vertreter der Berufsgruppen mit spezifischer Expertise für psychosoziale und spirituelle Begleitung sozusagen ihre Werkstatt öffnen und Einblick in ihr Tun gewähren.

Dieser Band leistet hierzu einen wertvollen Beitrag – zeigt er doch gleichermaßen konkrete Handlungsweisen auf wie er Einblick in die Denkweise der unterschiedlichen Ansätze gewährt.

Das Berufsbild des Palliativpsychologen

Auf Palliativstationen wird psychologische Versorgung häufig durch Psychoonkologen erbracht. Tatsächlich sind Psychoonkologie und Palliativpsychologie eng miteinander verzahnt, da Palliativstationen häufig in den onkologischen Zentren angesiedelt sind. So ist Sterbebegleitung auch Teil der psychoonkologischen Versorgung. Unabhängig davon hat sich zusätzlich die Palliativpsychologie herausgebildet. Denn die Einbindung in ein multiprofessionelles Palliativteam und die tägliche Auseinandersetzung mit Tod und Sterben führten zu einer Spezifizierung.

Innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) organisieren sich die in der Palliativversorgung tätigen Psychologen in einer eigenen Sektion. Geschätzt die Hälfte davon haben die Weiterbildung Psychoonkologie absolviert, einige haben eine Therapie- oder Beratungsausbildung gemacht, ein paar sind auch approbierte Psychotherapeuten. Im Jahr 2013 wurde das Basiscurriculum Palliative Care für Psychologen herausgebracht, um dem Bedürfnis nach einer spezifischen Palliativweiterbildung für Psychologen nachzukommen (Sektion Psychologie der DGP, 2013). Das bereits 2008 formulierte Berufsbild für Psychologen in Palliative Care wurde im Jahr 2016 von der Sektion Psychologie der DGP gemeinsam mit dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Psychosoziale Onkologie (dapo) und der Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie in der Deutschen Krebsgesellschaft (PSO) als Berufsbild Palliativpsychologe neu verfasst. In der Langform kann es als PDF von der Website der DGP heruntergeladen werden (Sektion Psychologie der DGP, 2016), in der Kurzform ging dieses in den Katalog der Berufsbilder des BDP ein (Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen, 2016).

Ein Blick in das Berufsbild Palliativpsychologe/in (BDP, 2016, S. 17 f.) zeigt, dass das Tätigkeitsfeld von Psychologen in der Palliativversorgung ein breites Spektrum aufweist, wobei das Behandeln von psychischen Störungen im engeren Sinn eine eher untergeordnete Rolle spielt.

Palliativpsychologie und Psychotherapie

Psychotherapie in der Palliativversorgung. Die Einbindung von Palliativpatienten in die psychotherapeutische Versorgung ist mit situationsbedingten Problemen verbunden, da die Patienten nur dann in der Lage sind, eine ambulante Psychotherapie aufzusuchen, wenn dies die krankheits- und behandlungsbedingten Einschränkungen erlauben. Denn die palliative Situation ist oft gekennzeichnet durch

–stark eingeschränkte Mobilität,

–eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit bzw. Vigilanz,

–unvorhersehbar wechselhafte Tagesform aufgrund der körperlichen Symptomatik,

–eingeschränkte Sprachfähigkeit (Aphasie bei cerebralen Metastasen oder bei neurologischen Erkrankungen, Schwäche, Dyspnoe).

Zusätzlich gibt es für den Einsatz der klassischen ambulanten Psychotherapie strukturelle Hindernisse:

–die recht statische Terminstruktur einer psychotherapeutischen Praxis, welche nicht ermöglicht, spontan immer wieder auf unvorhersehbare Dringlichkeit zu reagieren,

–die unzureichende Finanzierung von Hausbesuchen,

–die nicht geregelte Finanzierung der Betreuung von Angehörigen,

–die nicht geregelte Finanzierung der Teilnahme an den Besprechungen der SAPV-Teams,

–die gesundheitlich bedingte hohe Ausfallquote an Therapiesitzungen,

–Einschränkung klassisch-psychotherapeutischer Ziele sowie der Behandlungsplanung aufgrund der deutlich limitierten Lebenszeit.

Das Verhältnis von Palliativpsychologie und Psychotherapie. Palliativpsychologie arbeitet aufsuchend (im besten Fall wird jeder Patient konsultiert) und grundsätzlich systemisch, indem gleichermaßen das soziale Umfeld des Patienten eingebunden wird, wobei das psychologische Verständnismodell durch den bio-psycho-sozio-spirituellen Ansatz erweitert wird. Dies impliziert beispielsweise, dass die Familien nicht wegen eines Problems auf den Psychologen zukommen, sondern dass dieser aufgrund der besonderen Herausforderungen einer Krankheits- bzw. Sterbesituation unterstützend zur Verfügung steht – etwa bezüglich schwieriger Entscheidungsfindungsprozesse. Die Themen sind somit eng an den Krankheitsverlauf gekoppelt, wobei Familiendynamik und Beziehungsfragen, psychische Probleme, Lebensbilanz etc. natürlich auch eine große Rolle spielen. Ausgangspunkt und Behandlungsziel ist aber immer der Umgang mit der palliativen Situation. Ein Palliativpsychologe ist festes Mitglied des Palliativteams. Dies führt zu einem breiten Aufgabenspektrum, was auch im Berufsbild Palliativpsychologie zum Ausdruck kommt.

Bezogen auf den Aufgabenbereich der Patientenversorgung kann also dahingehend differenziert werden, dass Palliativpsychologie eher supportiven und präventiven Charakter hat und sich auf subsyndromale psychische Belastungssymptome bzw. somatische Symptome mit psychogenem Anteil bezieht, während Psychotherapie definitionsgemäß für die Behandlung psychischer Störungen mit Krankheitswert zuständig ist.

In der Leitlinie Palliativmedizin wird dementsprechend festgelegt, in welchen Fällen es psychotherapeutische Expertise braucht, etwa in Bezug auf Depression (S3-LL, S. 116):

»Ein psychiatrischer/psychotherapeutischer Experte soll in folgenden Fällen hinzugezogen werden:

–bei Unsicherheit in der Diagnose sowie in der Behandlungsplanung der Depression

–bei einer komplexen psychiatrischen Vorgeschichte bzw. Symptomatik

–bei einer schweren depressiven Symptomatik mit psychotischen Symptomen oder depressivem Stupor

–bei akuter Suizidalität

–bei Fremdgefährdung

–bei Nichtansprechen auf die antidepressive Therapie«

Ein Modell zur Integration von Palliativpsychologie und Psychotherapie. Ein adäquates Konzept für die Palliativversorgung scheint eine Kombination aus Multiprofessionalität und einem Stepped-Care-Ansatz zu sein: Die palliative Basisversorgung erfolgt im multiprofessionellen Team durch Ärzte, Pflegekräfte, Psychologen, Sozialarbeiter, Seelsorger, Physiotherapeuten, Kreativtherapeuten etc. mit Unterstützung durch Ehrenamtliche. Hier findet ein Miteinander- und Ineinanderwirken der unterschiedlichen Professionen statt. Jede der eingebundenen Berufsgruppen ist zudem – falls für das jeweilige Tätigkeitsfeld passend – in zunehmend spezialisierte Bereiche gestaffelt.

Im Fall der Psychologie würde die Basisversorgung durch die Palliativpsychologen abgedeckt, während in besonderen Fällen – etwa bei Vorliegen einer Depression oder einer Angststörung – psychotherapeutische Kompetenz notwendig wäre. Falls eine psychotherapeutische Behandlung aufgrund der Verfassung des Patienten nicht möglich wäre, der Palliativpsychologe nicht auch psychologischer Psychotherapeut wäre und eine konsiliarische Betreuung nicht ausreichte, könnte der Palliativpsychologe durch einen Psychotherapeuten supervidiert werden.

Vertiefung: Palliativweiterbildung für Psychologen und für Psychotherapeuten

Bezüglich der Frage, welche Weiterbildung Psychotherapeuten zur Einbindung in die Palliativversorgung befähigt, gibt es bislang keine Regelungen. Sinnvoll wäre wohl eine Differenzierung zwischen allgemeiner und spezialisierter Palliativversorgung, so wie dies bei den Ärzten geregelt ist. Wenn ein niedergelassener Psychotherapeut im Rahmen seiner regulär durchgeführten Therapien einen Patienten mit palliativer Erkrankung oder einen Angehörigen behandelt, würde dies der allgemeinen Palliativversorgung zugerechnet werden, wofür ein Basiskurs in Palliative Care ausreicht. Soll ein Psychotherapeut regulär in ein Palliativteam integriert werden oder regelmäßig von einem solchen beauftragt werden, also in die spezialisierte Palliativversorgung eingebunden werden, muss die gesamte Weiterbildung Palliative Care vorgewiesen werden.

Zentraler Bestandteil der Palliativweiterbildung für Psychologen ist ein hoher Stundenanteil an Selbsterfahrung, um die eigenen Ängste, die eigene Verlust- und Trauergeschichte, die eigene spirituelle Verortung und die eigenen Ressourcen angesichts existenzieller Bedrohung zu reflektieren. Denn gerade für das psychologische bzw. psychotherapeutische Tun stellt die eigene Person das primäre »Handwerkszeug« dar. Wichtig ist eine solche Selbst(er)kenntnis auch, um sich innerhalb sehr kurzer Zeit auf eine tiefe Begegnung einlassen zu können – denn häufig besteht die Begleitung in ein oder zwei Kontakten, in denen der Raum für Wesentliches geöffnet und gehalten werden muss.

Literatur

Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (Hrsg.) (2016). Berufsbild Psychologie. Psychologische Tätigkeitsfelder. Zugriff am 18.04.2017 unter https://www.bdp-verband.de/bdp/archiv/berufsbild-psychologie.pdf

Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF (Hrsg.) (2015). S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung. Zugriff am 18.04.2017 unter http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/128–001OLl_S3_Palliativmedizin_2015–07.pdf

Kröger, F., Altmeyer, S., Hendrischke, A. (2002). Systemische Familienmedizin. Kontext, 33(4), 267–287. Vandenhoeck & Ruprecht.

Sektion Psychologie der DGP (2013). Basiscurriculum Palliative Care für Psychologen. Version 2.1.0. Reihe Palliative Care, Bd. 5. Bonn: Pallia Med.

Sektion Psychologie der DGP (2016). Palliativpsychologie – Berufsbild für Psychologinnen und Psychologen in der Palliativversorgung. Zugriff am 18.04.2017 unter

World Health Organization (Hrsg.) (2002). National cancer control programmes: policies and managerial guidelines (2. Aufl.). Geneva: World Health Organization.

Mag.a Dr.in Claudia Wenzel, Diplomstudium der Psychologie an der Universität Wien; 2006 bis 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Graz Wien, Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung, Institut für Palliative Care und OrganisationsEthik; seit 2012 in Lehre und Forschung am Department of Health Sciences und seit 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Josef Ressel Zentrum an der IMC FH Krems. Mitgliedschaften: Berufsverband österreichischer PsychologInnen (BÖP), Internationale Gesellschaft für Gesundheit und Spiritualität (IGGS).

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Claudia Wenzel

Konzepte und Befunde zu psychotherapeutischen Interventionen am Lebensende

Die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben ist seit jeher weder in den verschiedenen psychotherapeutischen Schulen noch in der akademischen Psychologie besonders stark ausgeprägt. Seit den 1970er Jahren entwickelte sich von den USA ausgehend eine akademisch-psychologisch orientierte Thanatopsychologie (auch Psychothanatologie, Psychologie des Todes), die sich jedoch im deutschsprachigen Raum nicht nachhaltig etablieren konnte. Als Konsequenz der erfolgreichen internationalen Hospizbewegung und der Etablierung der Palliativversorgung – mit der Errichtung von Hospizen, Palliativstationen und Lehrstühlen – wurde die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben auch vermehrt im deutschen Sprachraum gesellschaftlich thematisiert. Umso mehr verwundert es, dass diese Themen von den psychotherapeutischen Schulen nur wenig aufgenommen bzw. nur spärlich in Forschung, Lehre und Praxis integriert wurden.

Psychische Belastungen von Patienten und Angehörigen

Unstrittig ist, dass sich bei Sterbenden und den ihnen nahestehenden Menschen eine komplexe Situation vielfältiger innerer und äußerer Belastungsfaktoren vorfindet: Sinnkrisen, ein vermindertes Kohärenzgefühl, Konflikte mit Angehörigen, die Sorge um die Hinterbliebenen, finanzielle Probleme, aber auch psychische Erkrankungen kennzeichnen die Situation am Lebensende. Durch den nahenden Tod können auch Anpassungs- und Copingstrategien von Menschen gefordert und Menschen manchmal auch überfordert werden. Sterben kann in diesem Sinne auch als Krise verstanden werden (Lehner, 2011). Abhängig von der Erkrankung, individuellen Faktoren (Sinn etc.) und dem sozialen Umfeld können Betroffene am Lebensende unterschiedlich stark belastet sein. Hinzu kommen Verlusterlebnisse auf körperlicher und psychischer Ebene, welche die Kohärenz des Selbstgefühls sehr stark beeinträchtigen können.

In Bezug auf psychische Belastungen ist eine Demoralisierung in klinisch relevanter Schwere bei fortgeschrittenen onkologischen Erkrankungen bei ca. 13–18 % aller Patienten zu beobachten (Robinson et al. 2015, zit. nach Mehnert, 2015). Aufgrund von Komorbidität und Überlagerung unterschiedlicher Symptome kommt es bei palliativen Patienten oft zu einer Unter- oder Überschätzung der Häufigkeit psychischer Störungen (Mehnert, 2015). Jedoch wurden subsyndromale psychische Belastungen weit häufiger nachgewiesen: Distress bei bis zu 59 %, starke Ängste bei bis zu 48 % und Depressivität bei bis zu 58 % aller onkologischer Patienten (AMWF, 2015).

Angehörige schwerstkranker und sterbender Menschen können in ihrer Doppelrolle als einerseits Hilfegebende und andererseits Selbst-Betroffene bzw. Belastete häufig als psychisch hochbelastet betrachtet werden. Dabei sind vor allem pflegende Angehörige insbesondere durch die erforderliche ständige Anwesenheit, körperliche Belastung, das Mitleiden sowie durch den oftmaligen Wechsel zwischen stationärer und häuslicher Versorgung schwer beansprucht (Grammatico et al., 2009). Pflegende Angehörige sind mit vielfältigen psychosozialen Anforderungen konfrontiert, die eine starke Belastung darstellen können, zum Beispiel die Sorge um das Wohl des Angehörigen, Organisation und Management von Behandlungen und Hilfsangeboten, Zukunftsängste, verminderter bzw. gestörter Schlaf, Abschiednehmen, Entscheidungen (am Lebensende) oder auch die Unwissenheit über den weiteren Krankheitsverlauf. Die Belastung der Patienten kann sich mit derjenigen der Angehörigen wechselseitig deutlich potenzieren.

Psychotherapeutische Interventionen am Lebensende können dabei helfen, psychische Belastungen zu mildern, das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu erhöhen, Copingstrategien zu finden, die Bindungssicherheit zu stärken und neue Bindungserfahrungen zu machen, Würde zu erfahren und vor allem die individuelle Sinnfindung zu unterstützen. Auf inhaltlicher Ebene kann zudem auch zwischen Patienten unterschieden werden, die explizit wegen einer Todesthematik die Therapie aufsuchen, und solchen, bei denen die Todesthematik nur implizit vorhanden ist (z. B. bei Angststörungen, Zwangsstörungen, Depressionen). Die implizite Todesthematik begründet sich nicht zuletzt dadurch, dass die schwere körperliche Krankheit und die Bewusstwerdung der eigenen Sterblichkeit auch als Kränkung und Erschütterung der Kohärenz des eigenen Selbst erfahren werden können (vgl. Vogel, 2016, S. 77).

Vertiefung: Die Psychotherapie psychischer Störungen am Lebensende

Am Lebensende zählen zu den häufigsten psychischen Störungsbildern Angststörungen, depressive Störungen, Delirium, Suizidalität sowie kognitive Störungen (Pessin, Rosenfeld u. Breitbart, 2002, S. 357). Eine Reihe von medizinischen und psychosozialen Themen wie Nebenwirkungen von Medikamenten, physische Einschränkungen, Abhängigkeit, Trauer und dysfunktionale Familiensysteme steigern das Risiko für psychische und psychiatrische Erkrankungen am Lebensende (Breitbart, Cochinov u. Passik, 1998).

Psychische und psychiatrische Erkrankungen am Lebensende erhöhen die Schmerzwahrnehmung (Massie u. Holland, 1992), erschweren oder verhindern autonome Entscheidungen, die die Gestaltung des Lebensendes betreffen, wirken sich negativ auf das soziale Umfeld des Erkrankten aus (Block, 2000) und stellen letztlich ein Risiko für suizidale Gedanken sowie für den Wunsch nach frühzeitigem Tod oder gar assistiertem Suizid dar (Rosenfeld et al., 2000).

Eine Reihe von Faktoren verhindern jedoch die Diagnostik und Behandlung psychischer Störungen am Lebensende; diese werden oftmals nicht als solche erkannt und diagnostiziert. Zusätzlich verhindert der fortschreitende Krankheitsverlauf akkurate Diagnosen und selbst wenn Diagnosen gemacht werden, mangelt es oft an therapeutischen Empfehlungen bzw. der Umsetzung (Pessin et al., 2002, S. 358). Nicht zuletzt ist zu bedenken, dass eine Diagnostik psychiatrischer Störungsbilder immer auch in Abgrenzung zu jenen Befindlichkeiten vorzunehmen ist, die in der aktuellen Lebenslage als angemessen gelten können und nicht einfach »wegzutherapieren« sind (z. B. Demoralisation).

Für eine detaillierte Darstellung der verschiedenen psychischen und psychiatrischen Krankheitsbilder am Lebensende sowie Diagnostik und Behandlung siehe Pessin et al. (2002). Es wird deutlich, dass die vielfältigen Herausforderungen rund um Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen am Lebensende nur im Rahmen eines multiprofessionellen Teams bewältigt werden können.

Spezifische Ansätze für Menschen am Lebensende

Für lange Zeit wurden die positiven Effekte von psychotherapeutischen Interventionen für schwerstkranke und sterbende Menschen unterschätzt, daher mangelte es auch an Forschung in diesem Bereich. Eine steigende Anzahl von Studien über psychotherapeutische Interventionen am Lebensende gründen meist in alternativen oder spirituellen Ansätzen mit unterschiedlichen theoretischen Perspektiven, die von buddhistischen Philosophien bis hin zu Konzepten der Selbsttranszendenz oder Viktor Frankls Logotherapie reichen.

Aber auch das Erzählen (die Narration) nimmt in vielen psychotherapeutischen Schulen einen großen Stellenwert ein. Gerade am Lebensende haben Menschen oftmals das Bedürfnis, für sie bedeutsame biografische Ereignisse oder Wendepunkte in ihrem Leben zu reflektieren oder anderen zu erzählen. So beschreiben Lichtenberg, Lachmann und Fossaghe (2002, S. 21), wie Geschichten von Menschen am Lebensende, die bisherige Lebenserfahrungen in wenigen wichtigen Modellszenen zusammenfassen, rasch bearbeitet werden können.

Impulse aus der Bindungsforschung. Der deutsche Psychologe Joachim Wittkowski greift auf jenes aus der Entwicklungspsychologie stammende Konzept der Bindung zurück und verknüpft es mit dem Konzept des Sinns und der Sinngebung aus der Logotherapie. Bindung wird in diesem Ansatz als allgemeines Persönlichkeitsmerkmal verstanden, das in drei Formen zu Tage tritt: (1) unsicher-vermeidend, (2) unsicher-ambivalent und (3) sicher. Nicht nur die Art, sondern auch die Intensität der Bindung an die Welt spielt eine Rolle. So hat zum Beispiel ein Baby noch wenig Bindung an die Welt, während ein Mensch in der Lebensmitte, der gerade eine Familie gegründet hat und einem Beruf nachgeht, vergleichsweise stark an die Welt »gebunden« ist. Der Aspekt der Sinnstiftung bietet für das Individuum eine Art Orientierungshilfe, die das Zurückschauen bzw. Vorausschauen auf den eigenen Lebensweg gestaltend ermöglicht. Nach Wittkowski (2008) kann mit dem Konzept der Bindung und jenem der Sinngebung erklärt und vorhergesagt werden, wie und warum das Sterben bei Personen unterschiedlich verläuft. So wird bei einem Menschen mit unsicher-ambivalenter Bindung an zentrale Bestandteile der Welt und einer wenig ausgeprägten Fähigkeit zur Sinngebung der Sterbeprozess womöglich schwieriger verlaufen als bei einem Menschen mit sicherer Bindung und ausgeprägter Fähigkeit zur Sinngebung. Denn sinnlose und daher unerklärliche Ereignisse werden als bedrohlich erlebt im Gegensatz zu solchen, denen man Bedeutung verleihen kann.

Dieses Modell vermag zu einem besseren Verstehen von Sterbeverläufen einen wichtigen Beitrag zu leisten. Offen bleibt jedoch, ob und wie die beiden Aspekte »Bindung« sowie »Sinnstiftung« in der letzten Lebensphase eines Menschen positiv beeinflusst werden können. Aus wissenschaftlicher Sicht erscheint es wichtig, zu prüfen, ob das Modell einer empirischen Prüfung tatsächlich standhält. Wittkowski (2003) selbst schlägt in einer früheren Arbeit vor, bei der Untersuchung des Sterbeprozesses das Sterben bzw. die sich wandelnden Bedürfnisse von Sterbenden in unterschiedlichen Lebensabschnitten miteinander zu vergleichen, da hier Unterschiede zu erwarten seien.

Der britische Kinderpsychiater John Bowlby hat darauf verwiesen, dass Lebensphasen, die mit großer Abhängigkeit verbunden sind – wie jene der frühen Kindheit oder des hohen Alters –, das individuelle Bindungssystem einer Person (re-)aktivieren. Auch die Psychoanalytikerin und Palliativmedizinerin Ivonne Peterson verweist darauf, dass in dieser Situation die Bindungsmuster viel ausgeprägter in Erscheinung treten als sonst. Gleichzeitig sei auch die Bereitschaft, eine sichere Bindung durch behandelnde Personen anzunehmen, viel größer (Peterson u. Köhler 2005, S. 78). Menschen mit sicherem Bindungsmuster sind dabei eher in der Lage, innerhalb einer Beziehung ihr Bedürfnis nach Autonomie und Intimität zu balancieren, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen oder in einer schwierigen Situation Hilfe anzufordern.

MacCormack und Kollegen (2001, S. 59) haben in einer Studie onkologische Patienten nach ihren persönlichen Erfahrungen mit Psychotherapie befragt. Diese gaben an, dass die Beziehung zu den Therapeuten und das durch die Beziehung vermittelte Gefühl der Fürsorge der wichtigste Gewinn der Psychotherapie war.

Thanatopsychotherapie. Der Verhaltenstherapeut und Psychoanalytiker Ralf Vogel plädiert dafür, Themen rund um Tod und Sterben generell in die Psychotherapie einzubeziehen, und regt die persönliche Auseinandersetzung mit existenziellen Bedingungen des menschlichen Daseins – auch im therapeutischen Prozess – an. So erläutert er für die Thanatopsychotherapie (Vogel, 2016, S. 77) ein therapeutisches Vorgehen, welches unabhängig von der zugrunde liegenden Therapieschule das Todesthema ins Zentrum der Überlegungen stellt. Der Begriff der Thanatopsychotherapie wurde erstmals 1984 von Ina Spiegel-Rösing und Hilarion Petzold in die psychotherapeutische Literatur eingeführt. Unter diesem Begriff wird zumeist »Psychotherapie mit Sterbenden« verstanden. Es geht dabei um die Begegnung zwischen einem Therapeuten und einem Menschen im Prozess des Sterbens, in dem persönliche Berührtheit und professionelles Wissen zusammenfließen, um die Einbeziehung und Entlastung der Angehörigen sowie um die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Bedingungen des Sterbens. »Thanatotherapie ist ein […] therapeutischer Ansatz für den Umgang mit Menschen, die von Fragen des Sterbens und des Todes betroffen sind und die der Hilfe für die Bewältigung bzw. [auch der antizipatorischen] Verarbeitung von Verlusten, der Unterstützung für Prozesse persönlichen Wachstums oder des Beistandes und Trostes im Leid bedürfen« (Petzold, 1985, S. 26).

Sinnzentrierte Psychotherapie. Der amerikanische Psychiater William Breitbart hat, inspiriert durch die Arbeiten Viktor Frankls, die Meaning-Centered Psychotherapy ursprünglich für onkologisch erkrankte Menschen entwickelt. Auch wenn Frankls Logotherapie nicht speziell für Menschen am Lebensende konzipiert war, so haben seine Konzepte von Sinn und Spiritualität Implikationen für die psychotherapeutische Arbeit mit schwerstkranken Menschen. Dabei geht es auch darum, zu verstehen, wie es möglich ist, Sinn und Bedeutung im Angesicht des Todes zu finden.

Die Individual Meaning-Centered Psychotherapy (IMCP) wurde entwickelt, um eine Kurzintervention bereitzustellen, die auf die Erhöhung des spirituellen Wohlbefindens und Sinns für Krebspatienten abzielt (Breitbart et al., 2012). Hier werden schwerstkranke Menschen im Rahmen von acht Sitzungen eingeladen, miteinander zu Fragen des Sinns im Leben und bezogen auf ihre Erkrankung zu sprechen. Im Rahmen einer randomisiert kontrollierten Pilotstudie mit 120 Teilnehmern konnte gezeigt werden, dass IMCP klare Kurzzeiteffekte in Bezug auf die Verbesserung des spirituellen Wohlbefindens und der Lebensqualität bewirkt.

In der Meaning-Centered Group Psychotherapy (MCGP)