Public Health - Frauke Koppelin - E-Book

Public Health E-Book

Frauke Koppelin

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  • Herausgeber: UTB
  • Kategorie: Fachliteratur
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Die Gesundheit der Bevölkerung im Fokus Public Health ist spannend, denn es nimmt die Gesundheit der Bevölkerung genau unter die Lupe. Diese ist von zahlreichen Faktoren abhängig – einerseits von gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen und anderseits von Strukturen und Prozessen, die die Politik schafft. Das Buch gibt einen Überblick über die wichtigsten Ansätze, Theorien und Strukturen. Es bietet so einen kompakten und zugleich fundierten Einstieg in das Thema. Das Buch richtet sich an Studierende und Studieninteressierte der Gesundheits- und Pflegewissenschaften sowie angrenzender Studiengänge. Aus dem Inhalt: 1. Public Health – Entwicklung, Prinzipien, Strukturen 2. Gesundheit und Krankheit 3. Prävention und Gesundheitsförderung 4. Gesellschaft und Gesundheit – gesellschaftliche, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen von Gesundheit und Krankheit 5. Individuum und Gesundheit – psychologische und verhaltensbedingte Rahmenbedingungen von Gesundheit und Krankheit 6. Politik und Gesundheit – Strukturen, Prozesse, Akteure

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Seitenzahl: 263

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Frauke Koppelin

Public Health

Ansätze, Theorien und Strukturen

UVK Verlag · München

Umschlagabbildung: © Orbon Alija · iStockphoto

Autorinnenfoto Koppelin: © privat

Autorinnenfoto Aits: © privat

 

DOI: https://doi.org/10.36198/9783838551197

 

© UVK Verlag 2022— ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung

 

utb-Nr. 5119

ISBN 978-3-8252-5119-2 (Print)

ISBN 978-3-8463-5119-2 (ePub)

Inhalt

VorwortDanksagungHinweise zum BuchHinweise für Dozent:innenHinweise für Studierende1 Public Health – Entwicklung, Prinzipien, Strukturen1.1 Public Health – ein Blick auf die historische Entwicklung1.1.1 Bedeutsame Strategien1.1.2 Wichtige Vertreter:innen1.2 Old and New Public Health1.2.1 Grundprinzipien und Fragestellungen1.2.2 Multidisziplinarität – miteinander für die Gesundheit der Bevölkerung1.2.3 Stellenwert für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung von heute1.2.4 Global Public Health1.3 Public Health – Organisationen und StrukturenWissenschaft und Ausbildung✻ Zusammenfassung✎ Aufgaben zur Selbstüberprüfung2 Gesundheit und Krankheit2.1 Krankheit und Gesundheit – viele Definitionen2.2 Biomedizinische Modelle – Krankheit im Fokus2.2.1 Risikofaktorenmodell2.2.2 Biopsychosoziales Modell2.3 Sozialwissenschaftliche Modelle – Gesundheit im MittelpunktSalutogeneseLiteraturtipps2.4 Resilienz2.5 Subjektive GesundheitskonzepteLiteraturtipps2.6 Weitere ModelleLiteraturtipp2.7 Welche Rolle spielen Normen?2.7.1 Normierung, Pathologisierung und Medikalisierung2.7.2 Krankheitsklassifikationen✻ Zusammenfassung✎ Aufgaben zur Selbstüberprüfung3 Prävention und Gesundheitsförderung3.1 Prävention3.2 Gesundheitsförderung3.3 Wichtige Strategien und Anwendungsfelder3.3.1 Verhaltensprävention3.3.2 Verhältnisprävention3.3.3 Setting3.3.4 Politisches Handeln und Zielgruppenspezifität✻ Zusammenfassung✎ Aufgaben zur Selbstüberprüfung4 Gesellschaft und Gesundheit – Gesellschaftliche, soziale und kulturelle Rahmenbedingungen von Gesundheit und Krankheit4.1 Wofür brauchen wir eine Betrachtung der Sozialstruktur der Gesellschaft?Indikatoren4.2 Ansätze sozialer Ungleichheit4.2.1 Messung der sozialen Schicht4.2.2 Lebenslagen4.2.3 Weitere Dimensionen: Milieus und Lebensstile4.3 Soziale Ressourcen und Risiken4.4 Gesundheitliche Ungleichheit✻ Zusammenfassung✎ Aufgaben zur Selbstüberprüfung5 Individuum und Gesundheit – Psychologische und verhaltensbedingte Rahmenbedingungen von Gesundheit und Krankheit5.1 Persönlichkeit und Gesundheit5.1.1 Persönlichkeitstypen5.1.2 Emotionen und Emotionsregulation als Risikofaktoren5.1.3 Überzeugungen und Erwartungen als Schutzfaktoren5.1.4 Resilienz als Schutzfaktor5.2 Stress und Gesundheit und Krankheit5.2.1 Stresstheorien5.2.2 Stressbewältigung5.2.3 Wie beeinflusst Stress die Gesundheit?5.3 Gesundheits- und Risikoverhalten5.3.1 Modelle des Gesundheitsverhaltens5.3.2 Gesundheitskompetenz✻ Zusammenfassung✎ Aufgaben zur Selbstüberprüfung6 Politik und Gesundheit – Strukturen, Prozesse, Akteure6.1 Grundstrukturen6.1.1 Gesundheitssysteme im Vergleich6.1.2 Charakteristische Merkmale des deutschen Gesundheitssystems – Bismarcks Erbe6.2 Akteure im deutschen Gesundheitssystem6.2.1 Staatliche Stellen – die erste Ebene6.2.2 Körperschaften und Verbände – die zweite Ebene6.2.3 Individualakteure – die dritte Ebene6.3 Gesetzliche versus private Krankenversicherung6.4 Die Pflegeversicherung6.5 Die Versorgungssysteme6.5.1 Die ambulante Versorgung6.5.2 Die stationäre Versorgung6.5.3 Rehabilitation✻ Zusammenfassung✎ Aufgaben zur SelbstüberprüfungGlossarLiteratur- und QuellenverzeichnisRegister

Vorwort

Als „die Wissenschaft und die Praxis zur Verhinderung von Krankheiten, zur Verlängerung des Lebens und zur Förderung von physischer und psychischer Gesundheit unter Berücksichtigung einer gerechten Verteilung und einer effizienten Nutzung der vorhandenen Ressourcen“ (Winslow 1920) beschäftigt sich Public Health mit einer Vielzahl von Problemfeldern und Fragestellungen aus den Bereichen Demografie, Epidemiologie, Soziologie, Psychologie, Medizin, Gesundheitspolitik, Versorgungsforschung etc. In Anbetracht der zunehmenden Bedeutung von Pandemien, aber auch chronischen Erkrankungen und der sozialen Ungleichheit von Gesundheitschancen, wie auch der gesundheitlichen Folgen des Klimawandels, steht Public Health damit ganz wesentlichen gesellschaftlichen Herausforderungen gegenüber.

Das Ziel des Buches ist es einerseits, Studieninteressierten als auch Studierenden der Gesundheitswissenschaften, Pflegewissenschaften sowie angrenzender Studienfächer einen ersten orientierenden Einstieg in den Gegenstandbereich zu bieten und bei den Leser:innen Interesse für das Fach zu wecken. Dafür werden aktuelle Fragestellungen herangezogen, aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und hinsichtlich der Implikationen für das Gesundheitssystem und der Versorgung der Bevölkerung analysiert.

Anderseits sollen auch Wiedereinsteiger:innen, die z. B. einen (weiterbildenden) Master studieren wollen, durch das Buch ausgesprochen werden. Das Buch soll eine Auffrischung ihres Wissens und ihrer Kompetenzen ermöglichen und Anhaltspunkte für eine weiterführende Vertiefung geben.

Der Band soll auf einer ersten orientierenden Ebene das fachwissenschaftliche Rüstzeug bereitstellen, um den Anforderungen im Studium begegnen zu können.

 

Oldenburg, Oktober 2022

Frauke Koppelin

Danksagung

Ich möchte insbesondere Frau Dr. Imke Aits herzlichst für die hervorragende Unterstützung bei der Erstellung dieses Buches danken. Mein Dank gilt auch Frau Dr. Cornelia Gerdau-​Heitmann und Frau Dr. Sarah Mümken, die bei der ersten Konzeption des Buches mitdiskutiert und Impulse für die Umsetzung gegeben haben.

Dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gilt ferner mein Dank, da durch die Förderung des Verbundprojektes „Aufbau berufsbegleitender Studienangebote in den Pflege- und Gesundheitswissenschaften; PuG I+II“ (Teilvorhaben: Jade Hochschule; Förderkennzeichen: 16OH22034) es möglich wurde, die Konzeption dieses Lehrbuches in Form eines Studienheftes, gemeinsam mit Frau Dr. Aits, zu überprüfen.

Mein Dank gilt zudem den vielen Studierenden, die ich seit drei Jahrzehnten in der Lehre begleiten durfte. Die vielen positiven Rückmeldungen, die es während und nach den Lehrveranstaltungen gab, haben mich bestärkt, meinen Lehransatz in einem Lehrbuch zusammenzufassen. Zu guter Letzt möchte ich dem Verlag danken, dass ich die Gelegenheit hierfür bekommen habe. Rainer Berger gilt mein Dank für die intensive, kompetente und verlässliche Unterstützung als Lektor.

Hinweise zum Buch

Das Buch richtet sich an Studierende und Studieninteressierte der Gesundheits- und Pflegewissenschaften sowie angrenzender Studiengänge.

Hinweise für Dozent:innen

Das Lehrbuch eignet sich insbesondere für den Einsatz in den Studiengängen der Gesundheitsberufe, der Gesundheitswissenschaften und für die Lehre im Bereich der gesundheitswissenschaftlichen Grundlagenveranstaltungen in anderen Studiengängen, wie z. B. der Sozialen Arbeit.

Das Werk beruht auf meiner eigenen Lehrerfahrung, die ich im Laufe der langjährigen Lehrtätigkeit an Universitäten und Hochschulen sammeln konnte. Ein Kapitel umfasst, je nach Veranstaltungstyp, zwei bis vier Veranstaltungen (mit je 90 Minuten). Es lässt sich – je nach Zuschnitt – innerhalb eines Semesters durcharbeiten und eignet sich insbesondere für Einführungsveranstaltungen in den Gegenstandsbereich Public Health. Jedoch auch in Masterstudiengängen mit einer heterogenen Studierendenschaft lässt sich das Lehrbuch in Gänze oder auch nur mit einzelnen Kapiteln gut einsetzen.

Zu den einzelnen Kapiteln können in der seminaristischen Lehre in Einzel- und Kleingruppenarbeiten Aufgaben bearbeitet werden, die eine Vertiefung ermöglichen.

Zudem stellen die Selbstüberprüfungsfragen am Ende eines jeden Abschnittes eine probate Möglichkeit dar, offene Fragen zu Beginn der nächsten Veranstaltung aufzugreifen und für eine gezielte inhaltliche Wiederholungen zu nutzen.

Darüber hinaus finden Sie:

Lernziele am Anfang eines jeden Kapitels,

wertvolle Definitionen,

Links und Quellen zur Vertiefung und für Arbeitsaufgaben,

eine Zusammenfassung am Ende, die gut für den Abschluss einer Lehreinheit geeignet ist.

Hinweise für Studierende

Eine Graubox zu Beginn jedes Kapitels gibt Ihnen einen schnellen Überblick zu den Inhalten.

Merksätze sind in Grauboxen „Kurz gefasst“ formuliert.

Definitionen finden Sie in Grauboxen der Kategorie „Gut zu wissen“.

Mit einem Balken markierte Web- und Literaturtipps laden zum Weiterlesen ein.

Zu allen Themen gibt es Selbstlernaufgaben. Sie finden sie am Ende der einzelnen Kapitel. Diese Aufgaben sollen Ihnen zum einen zeigen, ob Sie die Inhalte des Kapitels verstanden haben, und zum anderen Ihr Wissen vertiefen.

Für jedes Kapitel gibt es über die Selbstlernaufgaben hinaus weitere Wissensaufgaben mit Lösungen, die Sie über diesen QR-​Code abrufen können. Alternativ finden Sie die Materialien auch unter http://s.narr.digital/1pggp.

Wichtige Begriffe sind gefettet. Ein Pfeil verweist Sie auf Begriffe im Glossar oder Buchkapitel, die für Sie ebenfalls interessant sein könnten.

1Public Health – Entwicklung, Prinzipien, Strukturen

Überblick | In diesem Kapitel lernen Sie …

was der Unterschied zwischen der individualmedizinischen Versorgung und dem Bevölkerungsbezug ist, und können den Stellenwert des Public-​Health-​Ansatzes für die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung einordnen,

wie die historischen Entwicklungen aussahen, die zur Entwicklung von Public Health geführt haben, und wissen, welche Akteure und Themen heute eine Herausforderung darstellen.

1.1Public Health – ein Blick auf die historische Entwicklung

Werfen wir einen Blick zurück und versetzen uns in das Leben im 19. und 20. Jahrhundert in Europa. Es ist der Beginn der IndustrialisierungIndustrialisierung und somit auch der Verstädterung. Die damit einhergehenden Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bürger:innen, der aufkommenden Arbeiterschaft, bergen neue, zu diesem Zeitpunkt unbekannte Gesundheitsgefahren. Fehlender Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Fabriken, überlange Arbeitszeiten von bis zu 16 Stunden am Tag, Kinderarbeit, fehlende Entwässerung und mangelnde Abfallentsorgung in den Städten sowie beengte Wohnverhältnisse der nicht privilegierten Stadtbewohner:innen befördern Arbeitsunfälle, die Ausbreitung von SeuchenSeuchen und InfektionskrankheitenInfektionskrankheiten. Was schätzen Sie, wie hoch war die → LebenserwartungLebenserwartung kurz vor der Jahrhundertwende in den Jahren 1870–1900?

Wenn Sie einen Blick auf die Website des Statistischen Bundesamts (www.destatis.de) werfen und nach der Entwicklung der LebenserwartungLebenserwartung in Deutschland suchen, werden Sie schnell fündig. Allein in den letzten 140 Jahren hat sich unsere Lebenserwartung in Deutschland verdoppelt. Lag sie 1871 bei unter 40 Jahren bei der Geburt, liegt sie 2018 bei um die 80 Jahre, wobei es für Männer und Frauen bis heute relevante Unterschiede gibt, worauf wir in Abschnitt 3.1 noch einmal genauer eingehen.

Abb. 1:

LebenserwartungLebenserwartung von Männern und Frauen bei der Geburt in Deutschland im Zeitraum der Jahre 1871 bis 2020 (in Jahren) (Quelle: Statistisches Bundesamt 2022a)

Sie fragen sich zu Recht, was die Gründe für die → Frühsterblichkeit waren. Oder anders ausgedrückt: Was hat zu dem enormen Anstieg der → LebenserwartungLebenserwartung geführt? Ist es ein räumlich begrenztes Phänomen? Gibt es weltweit Unterschiede? Schon sind Sie mitten in einer für Public Health zentralen Diskussion.

Kurz gefasst | Populationsbezug von Public Health

Public Health betrachtet immer eine bestimmte Bevölkerungspopulation (PopulationsbezugPopulationsbezug), wie z. B. die Bürger:innen in Deutschland. Hierin lassen sich Risiken für die Gesundheit bestimmter Bevölkerungsgruppen (Subgruppen) ermitteln und beschreiben, mit dem Ziel, mögliche Gesundheitsgefahren abzuwenden bzw. zu minimieren.

Bei der Ermittlung der Risiken bedienen sich die Public-​Health-​Expert:innen methodisch der → EpidemiologieEpidemiologie, die ihre Geburtsstunde mit dem ersten Epidemiologen John SnowSnow, John im Jahre 1854 in London hatte.

Webtipp [1] | Was hat John SnowSnow, John entdeckt? Erkennen Sie den Public-​Health-​Ansatz? Informationen finden Sie z. B. auf YouTube unter:

http://s.narr.digital/tyrnf

So wie John SnowSnow, John als Public-​Health-​Pionier den KrankheitserregernKrankheitserregerder CholeraCholera auf der Spur war, um der betroffenen Bevölkerungsgruppe zu helfen, finden wir in den folgenden Jahrzehnten weitere umweltbezogene (ökologische) Ansätze. Diese Ansätze, die einer Detektivarbeit gleichen, nahmen in den folgenden Jahrzehnten unterschiedliche Perspektiven mit auf (z. B. eine soziale), die wir bis heute unter dem Ansatz des → Old Public HealthOld Public Health zusammenfassen (→ Kapitel 1.2).

CholeraCholera ist bis heute, neben vielen anderen, eine gefürchtete Infektionserkrankung in den Schwellenländern und Ländern mit niedrigem Entwicklungsgrad. Überall dort, wo es an sauberem Wasser, Kanalisation und Hygienemaßnahmen fehlt, kann sich Cholera ungehindert ausbreiten und führt von Jahr zu Jahr zu → vermeidbaren Krankheits- und TodesfällenKrankheits- und Todesfälle, vermeidbare. Reisen wir in die betroffenen Länder, lassen wir uns impfen, um uns vor der Erkrankung zu schützen. Übertragbare Erkrankungen sind ein Grund für die große Spanne der → LebenserwartungLebenserwartung weltweit. Sie werden heute noch Länder finden, deren Bevölkerung aktuell eine ebenso geringe Lebenserwartung hat, wie die deutsche Bevölkerung in unserem Ausgangsjahr 1871. Diese Länder haben eines gemeinsam: Ihre Bevölkerung ist neben den oben genannten Faktoren in der Regel durch eine hohe Armutsquote geprägt und hat keinen oder nur einen sehr schlechten Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem. Zudem stellen übertragbare Erkrankungen eine ernste Bedrohung dar – häufig sind es sexuell übertragbare Erkrankungen wie z. B. HIV, aber eben auch die → Foodborne DiseasesFoodborne Diseases (Lebensmittelinfektion) und vom Tier zum Menschen übertragene Krankheiten(→ ZoonosenZoonose).

Gut zu wissen | Foodborne DiseasesFoodborne Diseases

„Over 200 diseases are caused by eating food contaminated with bacteria, viruses, parasites or chemical substances such as heavy metals. This growing public health problem causes considerable socioeconomic impact though strains on health-​care systems lost productivity, and harming tourism and trade. These diseases contribute significantly to the global burden of disease and mortality.

Foodborne diseases are caused by contamination of food and occur at any stage of the food production, delivery and consumption chain. They can result from several forms of environmental contamination including pollution in water, soil or air, as well as unsafe food storage and processing.

Foodborne diseases encompass a wide range of illnesses from diarrhoea to cancers. Most present as gastrointestinal issues, though they can also produce neurological, gynaecological and immunological symptoms. Diseases causing diarrhoea are a major problem in all countries of the world, though the burden is carried disproportionately by low- and middle-​income countries and by children under 5 years of age.“ (WHO 2022a)

Webtipp [2] | Weitere Informationen zu John Snow liefert die Website:

http://s.narr.digital/n7hnb

 

Webtipp [3] | Zusätzliche Informationen zum Thema Lebensmittelsicherheit aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) finden Sie unter:

http://s.narr.digital/48szi

 

Webtipp [4] | In welchen Ländern Cholera 2015 aufgetreten ist, lässt sich anhand der folgenden WHO-​Grafik nachvollziehen:

http://s.narr.digital/mlp3g

1.1.1Bedeutsame Strategien

Mit der Entwicklung von Public Health ganz eng verbunden ist die Herausbildung der wissenschaftlichen Medizin des 19. Jahrhunderts. Die Suche nach KrankheitserregernKrankheitserreger einerseits und die Entwicklung von Impfstoffen andererseits hatten einen maßgeblichen Einfluss auf die Eindämmung von → KrankheitsepidemienKrankheitsepidemie wie z. B. PockenPocken, Tetanus, Tuberkulose, Kinderlähmung oder Masern.

Sind Sie noch gegen PockenPocken geimpft? Nicht? Dann gehören Sie schon zu der Generation, die in eine Welt geboren wurde, die frei vom Pockenvirus war (ab 1980). Eine unglaublich aufwendige, weltweit angelegte Impfstrategie, die sich über Jahrzehnte hinzog und seit 1967 durch die WHOWeltgesundheitsorganisation (WHO) vorgeschrieben wurde (ImpfpflichtImpfpflicht endet in Westdeutschland 1976), war hierfür notwendig. ImpfungenImpfung verfolgen den Zweck, die Erkrankung zu verhindern. Sie stellen eine wichtige Public-​Health-​Maßnahme dar, die wir in → Kapitel 3.1 zur Prävention wieder aufgreifen werden.

Weitere Aspekte, neben den genannten, leisten einen Beitrag zur Steigerung unserer durchschnittlichen → LebenserwartungLebenserwartung in Deutschland. Wir haben eine gute, flächendeckende GesundheitsversorgungGesundheitsversorgung, flächendeckende und eine gesetzlich vorgeschriebene Krankenversicherung, Zugang zu sauberem Wasser, Kanalisationssysteme, Lebensmittelüberwachung, ein sicheres, gewaltfreies Leben außerhalb von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Invaliditäts- und Altersabsicherung, einen umfangreichen ArbeitsschutzArbeitsschutz und vieles mehr, was diese positive Entwicklung unterstützt hat. Schlussendlich profitieren wir in den entwickelten Ländern und IndustrienationenIndustrienationen auch von dem medizinischen und medizin-​technischen Fortschritt.

Webtipp [5] | Wie sieht die LebenserwartungLebenserwartung für die einzelnen Länder aus? Informationen finden Sie auf den Seiten der WHOWeltgesundheitsorganisation (WHO):

http://s.narr.digital/qco6t

1.1.2Wichtige Vertreter:innen

Die Zeit, in der Public Health mit John SnowSnow, John die ersten Schritte machte, ist auch die Zeit, in der die Medizin sich zu einer Wissenschaftsdisziplin entwickelte und die Suche nach den Ursachen und der Abwehr von Krankheiten intensiver und systematischer erfolgte.

1847 entdeckte Ignaz SemmelweisSemmelweis, Ignaz die Ursachen des KindbettfiebersKindbettfieber. Zur damaligen Zeit wurden die Geburten zunehmend in die KrankenhäuserKrankenhäuser verlegt. Semmelweis empfahl eine wichtige HygienestrategieHygienestrategie: die Händedesinfektion mit Chlorwasser. Leider sollte es noch viele Jahre dauern, bis sich diese Praxis in den Kliniken etabliert hatte. Bis dahin starben viele Wöchnerinnen an den Folgen der unzureichenden Hygiene.

Max PettenkoferPettenkofer, Max, Apotheker und Arzt, wurde im Jahr 1856 auf den ersten Lehrstuhl für experimentelle HygieneHygiene, experimentelle in München berufen. Er hat mit seiner Publikation Gegenstände der öffentlichen Gesundheitspflege im Jahr 1871 bereits sehr weitreichende Public-​Health-​Strategien beschrieben, die bis heute als zentral angesehen werden (wie z. B. der → Setting-​AnsatzSetting-​Ansatz oder die Lebensmittelsicherheit → Kapitel 3). Mit dem 1874 verabschiedeten ReichsimpfgesetzReichsimpfgesetz (Impfzwang gegen PockenPocken im ersten und zwölften Lebensjahr) sollten die Pocken bekämpft werden und Robert KochKoch, Robert entdeckte 1882 den Tuberkelbazillus, eine wichtige Grundlage für die Entwicklung eines Impfstoffes. Das nach ihm benannte Robert Koch-​InstitutRobert Koch-​Institut ist heute im Übrigen eine dem Bundesministerium für GesundheitBundesministerium für Gesundheit nachgeordnete Behörde und mit der Krankheitsüberwachung und Prävention für Deutschland beauftragt (→ Kapitel 6.2.1).

Parallel entwickelte sich die → Soziale Hygiene, die → Soziale Medizin, die den Blick auf bestimmte Bevölkerungsgruppen lenkte und damit einen zusätzlichen wichtigen Meilenstein zur Weiterentwicklung von Public Health darstellt. Die Grundideen dazu lieferte bereits Johann Peter FrankFrank, Johann Peter (1745–1821) in seinem Werk System einer vollständigen Medicinischen Polizey. Frank wird als Begründer einer öffentlichen HygieneHygiene, öffentliche und als Vordenker der SozialmedizinSozialmedizin und des öffentlichen GesundheitsdienstesGesundheitsdienst, öffentlicher gesehen (Haag 2009). Die öffentliche GesundheitspflegeGesundheitspflege, öffentliche war im Kommen und Salomon NeumannNeumann, Salomon (1819–1908), der erste Vertreter der heutigen Sozialmedizin, formulierte in seiner 1847 veröffentlichten Schrift Die öffentliche GesundheitspflegeGesundheitspflege, öffentliche und das Eigenthum an die Öffentlichkeit die Auffassung, dass die Medizin eine soziale Wissenschaft ist und „dass Gesundheit und Krankheit von den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen abhingen, unter denen die Menschen leben. Diese Bedingungen müssten daher erforscht werden, weshalb eine umfassende medizinische Statistik notwendig wäre“ (Regneri 2011, S.18). Rudolf VirchowVirchow, Rudolf (1821–1902), ebenfalls in Berlin in der Zeit tätig und eng befreundet mit Salomon Neumann, war der gleichen Auffassung und gründete 1848 die Zeitschrift Medicinische Reform, um die Thesen einer sozialen Medizin zu verbreiten (ebenda). Neumann vertrat die Meinung, dass der Staat in der Pflicht sei, „die Gesundheit seiner Bewohner zu sichern und zu schützen“ (ebenda, S. 18). Die Vertreter dieser Bewegung sahen die dramatische ArmutsentwicklungArmutsentwicklung der aufkommenden Arbeiterschaft und ihren Familien: Fiel eine Arbeitskraft durch Krankheit aus, wurde den Familien die Lebensgrundlage entzogen, da es keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gab und Kosten für eine ärztliche BehandlungBehandlung nicht aufzubringen waren.

Erst im Jahre 1883 wurde das Gesetz betr. die Krankenversicherung der ArbeiterGesetz betr. die Krankenversicherung der Arbeiter verabschiedet, dicht gefolgt vom Gesetz betr. die Invaliditäts- und AltersversicherungGesetz betr. die Invaliditäts- und Altersversicherung im Jahre 1889. Diese Gesetzesreformen sind im Zuge der SozialversicherungspolitikSozialversicherungspolitikdes Deutschen ReichesDeutsches Reich unter BismarckBismarck, Otto von entstanden, in der ArbeiterversicherungArbeiterversicherung und Armenpolitik in den Fokus staatlicher SozialpolitikSozialpolitik, staatliche rückten (dazu mehr in → Kapitel 6).

In dieser Zeit etablierten sich auch GesundheitspflegevereineGesundheitspflegevereine und die Vertreterinnen der ersten deutschen FrauenbewegungFrauenbewegung wie Helene LangeLange, Helene, Louise Otto-​PetersOtto-​Peters, Louise und Clara ZetkinZetkin, Clara machten auf die Situation der Arbeiterinnen aufmerksam und schufen mit ihren Bildungsangeboten, SuppenküchenSuppenküchen und ihrem Kampf um die Gleichberechtigung der FrauGleichberechtigung der Frau (z. B. Zugang zur BildungBildung, Wahlrecht) eine wichtige Plattform für den Abbau der Diskriminierung qua GeschlechtGeschlecht. Sie sorgten demzufolge ebenfalls für mehr Wissen z. B. hinsichtlich Hygiene und Gesundheit.

Literaturtipps

Sigrid Stöckel; Ulla Walter (Hrsg.) (2002): Prävention im 20. Jahrhundert. Historische Grundlagen und aktuelle Entwicklungen in Deutschland. Grundlagentexte Gesundheitswissenschaften. Weinheim, München: Juventa.

Gerhard Baader (o. J.): Von der sozialen Medizin über die Rassenhygiene zur Sozialmedizin (BRD)/Sozialhygiene (DDR). Abrufbar unter: http://www.100-jahre-sozialmedizin.de/CD_DGSMP/PdfFiles/Texte/G_B.pdf (Abrufdatum: 31.08.2022).

1.2Old and New Public Health

Old Public HealthOld Public Health kennzeichnet die Zeit vor 1988. Zwei Jahre zuvor wurde von der WHOWeltgesundheitsorganisation (WHO) eine Konferenz in Ottawa (Kanada) durchgeführt, auf der die sogenannte → Ottawa-​ChartaOttawa-​Charta 1986 verabschiedet wurde. Dies war die Geburtsstunde der → GesundheitsförderungGesundheitsförderung und damit eine klare Erweiterung der bisherigen Ansätze der Prävention, an denen sich → Old Public Health insbesondere orientierte. Der Old-​Public-​Health-​Ansatz konzentrierte sich in erster Linie auf epidemiologische Verfahren und fokussierte auf klassische Ansätze der Hygiene (wie der Umwelthygiene). Ein Schwerpunkt war der biomedizinische UmweltbezugUmweltbezug, biomedizinischer (Schwartz & Walter 1996). Die Aufmerksamkeit galt besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen, die auch sehr klein sein konnten. Bestimmte Fragestellungen aus der (alten) Sozialhygiene und den sich entwickelnden Disziplinen wie der SoziologieSoziologie und PsychologiePsychologie wurden unter dem Vorrang der → EpidemiologieEpidemiologie einbezogen. Die → Prävention hatte unter dieser Ausrichtung einen hohen Stellenwert.

Ulla Walter und Friedrich-​Wilhelm Schwarz haben 1986 die New-​Public-​Health- Entwicklung in den Zusammenhang einer „kritischen Neubestimmung“ des alten Ansatzes gestellt (ebenda, S. 4). Anders als im Old-​Public-​Health-​Ansatz wird die Aufmerksamkeit nun auf die gesamte Gesundheitsversorgung gelegt. Prävention, → Kuration (die BehandlungBehandlung mit dem Ziel der Wiederherstellung der Gesundheit) und → RehabilitationRehabilitation werden durch ein neues, weitgefasstes Konzept der GesundheitsförderungGesundheitsförderung im Sinne der Ottawa-​ChartaOttawa-​Charta ergänzt. Neben den bereits beteiligten Disziplinen wurden z. B. die ÖkonomieÖkonomie, die Politik, die GesundheitssystemforschungGesundheitssystemforschung und Fragen des (Gesundheits-)Managements einbezogen (ebenda).

In Deutschland erfolgte die Public-​Health-​Etablierung in ihrer heutigen Form erst seit Ende der 1980er- bzw. in den 1990er-​Jahren. Die Zeit des NationalsozialismusNationalsozialismus mit der Vorstellung einer anderen Hygiene, der „Rassenhygiene“, führte nicht nur zu einer ganz anderen Vorstellung von „Volksgesundheit“. Es hatte auch zur Folge, dass viele wichtige Vertreter:innen des Old Public HealthOld Public Health das Land verlassen mussten. Dies war ein weiterer Grund, warum nicht nahtlos an die Tradition angeknüpft werden konnte. Erst durch die Herausforderungen des → demografischen Wandels Ende 1980, der zunehmenden Anforderungen an eine sektorenübergreifend angemessene Gesundheitsversorgung und der Etablierung der → New Public Health wurden Schritte zur Stärkung und Neubestimmung in Deutschland unternommen. Die ersten StudiengängeStudiengänge wurden eingerichtet und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die bis dato in England oder den USA an den renommierten Schools of Public Health einen postgradualen Abschluss gemacht hatten, konnten nun in Deutschland ausgebildet werden. Zeitgleich wurde durch ein großes GesundheitsforschungsprogrammGesundheitsforschungsprogramm der Bundesregierung die Entwicklung einer Infrastruktur an den Universitäten gefördert, die eine nachhaltige Etablierung der Public-​Health-​ForschungPublic-​Health-​Forschung in Deutschland sicherstellen sollte. Ausbildung und Forschung wurden an einigen Universitäten gebündelt und führten zu hohen Synergieeffekten.

Unterschiedliche Definitionen existieren für Public Health. Allen gemeinsam ist der Fokus auf den Bevölkerungs- bzw. PopulationsbezugPopulationsbezug und das Ziel, mit diesem Ansatz für die Gesundheit schädliche Entwicklungen in der Bevölkerung bzw. in TeilpopulationenTeilpopulation früh erkennen und mit geeigneten Maßnahmen zur Verhinderung einleiten zu können (→ Kapitel 1.2.1).

Gut zu wissen | Bedeutung von Public Health

Laut Schwartz & Walter umfasst Public Health „alle analytischen und organisierten Anstrengungen, die sich auf die Erkennung von Gesundheitsproblemen in der Bevölkerung, ihrer Verbesserung oder ihrer Vermeidung befassen. Public Health bezieht sich auf Populationen und organisierte System der GesundheitsförderungGesundheitsförderung (Prävention), der Krankheitsbekämpfung, der RehabilitationRehabilitation und der Pflege. Die gewählten Mittel sollen dabei angemessen, wirksam und ökonomisch vertretbar sein. Public Health hat sich dem Ziel verpflichtet, die Gesundheitsverbesserungen durch bedarfs-, bedürfnis-, ressourcen- und sozialadäquate Anstrengungen im jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Kontext zu erreichen“ (Schwartz & Walter 1996, S. 2–3).

Die Deutsche Gesellschaft für Public Health (DGPH)Deutsche Gesellschaft für Public Health (DGPH) bezieht sich in der von ihr veröffentlichten Version auf Charles-​Edward Amory WinslowWinslow, Charles-​Edward Amory (1877–1957), der 1920 eine erste Definition lieferte: „Public Health ist die Wissenschaft und die Praxis zur Verhinderung von Krankheiten, zur Verlängerung des Lebens und zur Förderung von physischer und psychischer Gesundheit unter Berücksichtigung einer gerechten Verteilung und einer effizienten Nutzung der vorhandenen Ressourcen“ (DGPH 2022 modifiziert nach Winslow 1920).

Webtipp [6] | Eine andere Möglichkeit, sich Public Health anzunähern, vermittelt das Video der Public Health Wessex Training Group:

http://s.narr.digital/u2ozy

1.2.1Grundprinzipien und Fragestellungen

Vielleicht haben Sie sich bereits mehrfach die Frage gestellt, warum der englische Begriff in diesem wie auch anderen deutschen Lehrbüchern und Skripten Verwendung findet und nicht einfach die deutsche Übersetzung. Aber was wäre die adäquate Übersetzung? „Gesundheitswesen“, „Öffentliche Gesundheit“, „Volksgesundheit“ oder gar „Öffentliche Gesundheitspflege“, der Begriff den Max PettenkoferPettenkofer, Max ja schon vor über 160 Jahren verwendet hat? Die Begriffe sind in der Regel mit anderen Bedeutungen besetzt oder sie suggerieren eine zu große Nähe zu dem Öffentlichen Gesundheitsdienst, was zu eng gefasst wäre, denn der ÖGDÖffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD) stellt eine von vielen Public-​Health-​Strukturen dar. Gründe genug, warum sie sich weniger durchgesetzt haben. Es ist wie so häufig mit bestimmten Begriffen, die sich schwer vom Englischen ins Deutsche übersetzen lassen, weil wir die Wörter mit der passenden Bedeutung dafür in unserer Sprache nicht haben.

In Deutschland hat sich mit dem Aufkommen der ersten Public-​Health-​StudiengängeStudiengänge an den Universitäten ab 1989 ein ganz anderes Label etabliert: die GesundheitswissenschaftenGesundheitswissenschaften. Folgt man der Einschätzung von Waller, dann sind die Gesundheitswissenschaften zu verstehen als eine Summation der jeweiligen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit dem Themenfeld Gesundheit aus unterschiedlichen Perspektiven beschäftigen: „Werden diese um weitere Disziplinen – wie z. B. die SozialmedizinSozialmedizin und die UmweltmedizinUmweltmedizin – gezielt auf die Verbesserung der Gesundheit und der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung angewandt, dann sprechen wir von Public Health“ (Waller 2006, S. 7).

Damit bringt Waller zum Ausdruck, was Public Health ausmacht:

Der BevölkerungsbezugBevölkerungsbezug: Die gesamte Bevölkerung oder darin definierte Gruppen, wie z. B. Kinder und Jugendliche, Frauen, Ältere, ausgewählte Berufsgruppen, Wohnungslose, psychisch Kranke, sind Gegenstand.

Die epidemiologischen ForschungenForschungen, epidemiologische: Krankheitshäufungen und -verteilungen, Aussagen über bestimmte gesundheitliche Störungen oder Risiken für die Gesundheit unterstützen die Analyse der (mit-)verursachenden Faktoren (z. B. soziale Risiken) (siehe hierzu auch Snows Studie).

Der SystembezugSystembezug: Strukturen gesundheitlicher Versorgung stehen im Zentrum der Analysen. Betrachtet werden auch die vielfältigen Wechselwirkungen der VersorgungsstrukturenVersorgungsstruktur. Leitend ist die Frage: Werden VersorgungsstrukturenVersorgungsstruktur, -einrichtungen, -leistungen im Hinblick auf die Bedürfnisse der ZielgruppenZielgruppe, den bestehenden Bedarf der Bevölkerung und ihre Wirksamkeit angemessen etabliert und mit dem Fokus der gerechten Verteilung von Lasten und Nutzen implementiert? Ökonomische AspekteAspekte, ökonomische werden in Abhängigkeit zur Knappheit von Mitteln bedeutungsvoll.

Die TransferorientierungTransferorientierung: Die Forschungsergebnisse und Analysen bieten die Grundlage für gezielte Maßnahmen der → GesundheitsförderungGesundheitsförderung, → Prävention und Krankheitsbekämpfung, aber auch für die Planung und Einrichtung adäquater VersorgungsstrukturenVersorgungsstruktur (Schwartz & Walter 1996).

Diese Grundprinzipien finden sich auch in den Definitionen im vorangegangenen Abschnitt wieder.

Für Schwartz stehen zwei wichtige gesundheitspolitische Fragen mit Beginn des 21. Jahrhunderts im Vordergrund: „Wie lassen sich weitere Verbesserungen der Gesundheit erreichen bzw. der aktuelle Status vor dem Horizont neuer Gefahren (Umwelt, Infektionen, soziale Ungleichheitund Destruktion u. a.) sichern? Wie lässt sich eine verbesserte EffizienzEffizienz im Gebrauch der gesundheitlichen Ressourcen einschließlich der Reduzierung eskalierender Kosten bei Bewahrung angemessener Chancen im Zugang zum Gut Gesundheit erreichen?“ (Schwartz 2012, S. 4)

Mit diesen Fragen knüpft er an die Tradition der ersten Public-​Health-​Akteure an und stellt Gesundheit nicht allein als privaten Wert, sondern als öffentliche AufgabeAufgabe, öffentliche dar. Für die Beantwortung, das leuchtet schnell ein, benötigen wir viele Disziplinen, die sich gemeinsam den Public-​Health-​Herausforderungen stellen.

Kurz gefasst | Grundprinzipien von Public Health

Public Health ist multidisziplinärMultidisziplinarität ausgerichtet und stark transferorientiert.

1.2.2Multidisziplinarität – miteinander für die Gesundheit der Bevölkerung

In dem Abschnitt zu → New und Old Public HealthOld Public Health wurde bereits auf verschiedene Disziplinen eingegangen, die wir heute unter dem Public-​Health-​Dach finden. Gehen Sie noch mal zurück zu den Definitionen und überlegen Sie, welche Disziplinen einbezogen werden sollten, um die Ziele zu erreichen.

In der Tat, es ist ein sehr bunter Strauß an Disziplinen, die auf den ersten Blick einzeln betrachtet nicht viel miteinander verbindet. Das Public-​Health-​Dach schafft jedoch eine gemeinsame Orientierung, Wissensbasis und Perspektive. Dies bildet sich auch in den postgradualen AngebotenAngebote, postgraduale bzw. MasterstudiengängenMasterstudiengänge ab, in denen neben Absolvierenden aus der Medizin auch jene der SoziologieSoziologie, Pädagogik, ÖkonomieÖkonomie, Biologie, den GesundheitsfachberufenGesundheitsfachberufe, der PflegewissenschaftPflegewissenschaft, der Politik, der PsychologiePsychologie, der Pharmakologie und weiterer Disziplinen zusammenkommen. Sie haben am Ende des Studiums gelernt, ihre disziplinäre Orientierung um eine gemeinsame Public-​Health-​Perspektive zu erweitern (Multidisziplinarität). In den BachelorangebotenBachelorangebote wird diese multidisziplinäre Ausrichtung in aller Regel curricular verankert. Dies ist zwingend notwendig, um das weite Aufgabenspektrum adäquat bearbeiten zu können. Die Forschungsgebiete und Anwendungsbereiche sind ebenso vielseitig.

Die → EpidemiologieEpidemiologie ist, das haben Sie schon kennengelernt, von Anfang an dabei. Beschrieben werden sowohl die → MorbiditätMorbidität und → MortalitätMortalität bestimmter Bevölkerungsteile oder sozialer Gruppen sowie deren Einflussgrößen (Determinanten). Die Epidemiologie beschäftigt sich auch mit Interventionen und untersucht soziale wie medizinische Einflüsse (wie z. B. bei der abgeschlossenen Deutschen Herz-​Kreislauf-​PräventionsstudieDeutschen Herz-​Kreislauf-​Präventionsstudie oder der aktuell laufenden größten deutschen NAKO GesundheitsstudieNAKO Gesundheitsstudie).

Die (Bio-)Statistik(Bio-)Statistik, InformatikInformatik,qualitative und quantitative SozialforschungSozialforschung, qualitative und quantitative bieten ein wichtiges methodisches Inventar, mit dem weitere Forschungserkenntnisse gewonnen werden. In letzter Zeit werden Methoden der qualitativen und quantitativen Forschung immer häufiger miteinander kombiniert. Einblicke in die Einflussgrößen von Gesundheit und Krankheit liefern die SozialwissenschaftenSozialwissenschaften (einschließlich der Medizinischen SoziologieMedizinische Soziologie und Medizinischen PsychologieMedizinische Psychologie), die Genetik, die UmweltmedizinUmweltmedizin, die Gerontologie und Demografie. Forschung aus dem Bereich der (Sozial-)Politikwissenschaften untersucht u. a. die politische Wahrnehmung auf das Krankheits- und Gesundheitsgeschehen (z. B. das Pflegegesetz). Die VersorgungsforschungVersorgungsforschung, die PflegewissenschaftPflegewissenschaft und die RehabilitationswissenschaftenRehabilitationswissenschaften geben Einblicke in versorgungsbezogene Fragen, Strukturen und Systeme. Hingegen nehmen die SozialmedizinSozialmedizin und Klinische EpidemiologieKlinische Epidemiologie eine krankheitsbezogene Sichtweise ein. Die zunehmend wichtigen Fragen der Kostenentwicklung, der Qualität und der Wirtschaftlichkeit werden durch Akteure der GesundheitsökonomieGesundheitsökonomie, des Gesundheitsmanagements sowie der Qualitäts- und EvaluationsforschungEvaluationsforschung bearbeitet. Mit der Entwicklung digitaler GesundheitstechnologienGesundheitstechnologie werden zudem Anknüpfungspunkte für die → Prävention und → GesundheitsförderungGesundheitsförderung geschaffen, z. B. im Bereich Digital Public HealthDigital Public Health. Die GesundheitssystemforschungGesundheitssystemforschung verbindet wesentliche Ansätze der oben genannten Disziplinen miteinander. „Denken in Zusammenhängen“ steht hier im Vordergrund (Schwartz 1998, S. 4 und 2012, S. 5).

Literaturtipp

Die Anwendungs- und Forschungsgebiete von Public Health werden detailliert beschrieben in:

 

Schwartz, F.-W. (1998): Das Public Health Buch. Gesundheit und Gesundheitswesen. (Hrsg. F. W. Schwartz, B. Badura, R. Leidl, H. Raspe, J. Siegrist). München, Wien, Balitmore: Urban & Schwarzenberg (neueste Aufl. in 2012).