Quantensprünge im Leben - Anna Semper - E-Book

Quantensprünge im Leben E-Book

Anna Semper

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Beschreibung

Eine packend erzählte Geschichte, wie sie viele ­unvorbereitet treffen könnte, ein Schicksal, das ­betroffen macht, aber auch dazu ermutigt, allen Hindernissen zum Trotz das Beste daraus zu ­machen.

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Seitenzahl: 160

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Anna Semper

Quantensprüngeim Leben

Autobiographischer Romaneiner psychisch Kranken

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2022 by edition fischer GmbH

Orber Str. 30, D-60386 Frankfurt/Main

Alle Rechte vorbehalten

Titelbild: lightwise – © 123rf.com

Schriftart: Palatino 11 pt

Herstellung: ef/bf/1B

ISBN 978-3-8301-1912-8 EPUB

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kindheit und Jugend

Reflexionen und Ausblick

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Kapitel 1

Kaum zu glauben, wie bewegungsarm ich früher gelebt habe. Für jeden Weg das Auto benutzt. Zwar hat die Rodaer Straße ein starkes Gefälle und einen schadhaften Bürgersteig und den Fußweg hatte ich deshalb nur einige wenige Male benutzt. Dennoch wurde die Straße auch von Radfahrern unentwegt befahren und es gab Spaziergänger, nach denen man die Uhr stellen konnte. Ich erinnere mich an einen schönen Sommerabend, an dem ich zur Löbstädter Kirche ging, um ein Orgelkonzert zu besuchen. Ich trug ein leichtes rotes Kleid mit weißen Herzen. Nicht das alte, zu eng gewordene, ärmellose rote mit weißen Pünktchen, in dem ich mich im vergangenen Jahr auf Mallorca sehen gelassen habe, mit > 100 kg Gewicht. »Mutig, sehr mutig!«, hatte mir eine Frau im Hotel-Fahrstuhl gesagt. Für den kurzen Kirchweg brauchte ich 15 Minuten, musste mehrfach stehenbleiben und die schmerzenden Knie ausschütteln. Das siebte Jahr mit Arthrose und dem ewigen Hallux-Problem in den Füßen. Auf Arbeit immer den Fahrstuhl in den ersten Stock zum Großraumbüro benutzt, selten die Treppe.

Diesen Sommer konnte ich aber dennoch genießen, selbst ohne Balkon, Garten oder Reisen. Die zahlreichen Orgel-Konzerte in und um Kahla gaben dem ganzen Jahr der COVID-19-Pandemie eine gewisse Struktur. Die Orgelfahrt des Dresdner Frauenkirchen-Kantors bildete den krönenden Abschluss. Fahrten nach Jena, Vierzehnheiligen und Domburg (und das im nagelneuen Toyota) – welch ein Genuss war das für mich. Selbstorganisierte Glücksmomente in einem Lebenslauf, den gewöhnliche Menschen eher als trist bezeichnen würden. Alleinlebende Frau mittleren Alters, die kaum Besuch bekommt und seit November 2019 nicht mehr zur Arbeit geht. Eine Frau, die laute Musik hört, viele Weinflaschen hin und her bewegt und auch noch raucht.

War ich glücklich oder war es der unbändige Wunsch, glücklich sein zu wollen nach Jahrzehnten freudarmen Nebeneinanderlebens mit dem Exgatten André, dem Juristen. Hatte mein Leben bis jetzt Höhen und Tiefen, wie man gemeinhin sagt, oder war es eine langweilige Endlos-Schleife, geprägt von Sorge um das schwerbehinderte Kind, Vernachlässigung meiner selbst, aufreibender Job, von dem ich mich in der Freizeit kaum erholen konnte?

Im September 2018 hatte ich jedenfalls den Schnitt gemacht, raus aus dem »grünen Gefängnis«, alleiniges Eigentum von André, wie er ständig betonte. Mit fast nichts in die 100 Jahre alte Mietwohnung von 60 m2 mit sagenhaftem Ausblick über Kahla. Weitere vier Singles im Haus. Kurzentschlossen ausgesucht aus einer ganzen Reihe in Frage kommender Wohnungen. Von André durch Vertrag zum Verlassen der norwegischen Blockhaus-Idylle mit 1700 m2 Garten gezwungen worden. Auf eigenen Füßen stehen nach schwerer Pneumonie-Erkrankung im ausgehenden Winter 2018 mit mehreren Wochen intensivmedizinischer Betreuung, gefolgt von einem Frühjahr, in dem mir alle Haare ausfielen. Was für eine Zäsur! Verhaltene Hochstimmung, als im September so viel Haare nachgewachsen waren, dass ein Passfoto realisierbar war. Schließlich braucht so ein Umzug einen gültigen neuen Personalausweis vom Einwohnermeldeamt.

Unfassbar schwerfällig musste ich damals gewesen sein, das Einrichten des neuen Zuhauses ging körperlich an die Schmerzgrenzen von Rücken, Knien und auch Armen. Kaum ein notwendiges Möbelstück war vorhanden, alles konnte ich dafür selbst aussuchen. Das Gestalten meines eigenen Reiches war dafür eine schöne Herausforderung meiner Phantasie und des eigenen Geschmacks. Der Hauptspaß dabei aber war die Tatsache, dass André keinerlei Einfluss auf meine Entscheidungen nehmen konnte, fast täglich machte ich diese beglückende und unmittelbare Erfahrung. Selbermachen war angesagt und oft entfuhr mir ein »Ätsch« und wenigstens zu Beginn ein »Dir werde ich es zeigen!« Es war die reinste Freude, Selbstbestimmtheit immer wieder zu erleben. So seltsam es anmutet: Das Anwachsen des Bankkontos in den Jahren zuvor war Ausdruck dafür, dass eigene Entscheidungen im Privatleben nicht vonnöten waren, da André alles dominierte.

Kaum zu glauben, wie bewegungsarm ich früher gelebt habe. Meinen Job übte ich im Sitzen aus, PC, Telefon und vier bis fünf Kolleginnen und Kollegen waren meine Begleiter tagsüber. Irgendwie schaffte ich es, mich ständig zu konzentrieren. Ein Diensthandy, das ich auch privat nutzte, sorgte dafür, dass ich auch sonst ständig erreicht werden konnte. Irgendwie hielt ich das sogar für meine Pflicht, denn ich hatte beruflich Projekte zu führen mit Gesundheitsministerien und anderen Behörden von allen Kontinenten. Medizinische Laser benötigen mittlerweile in allen Ländern außerhalb Europas eine eigene nationale Zulassung. Genau diese sollte ich der Firma verschaffen, seit ich 2007 neben meiner Profession als Produktmanager auch als Regulatory Affairs Manager tätig wurde. Über viele Jahre in Alleinarbeit. Ich wuchs in die Aufgabe sozusagen hinein oder mit ihr. Aus der Tatsache, dass ich dies beanstandungslos und schnell in die Wege geleitet habe, schloss der italienische Geschäftsführer, dass es eine leichte Aufgabe sei. Die anderen Funktionäre der Firma waren nicht so dumm, dies zu glauben. Sicherlich auch deshalb, weil ich von ihnen Auskunft und Zuarbeit erfragen musste. Sie wagten es aber nicht, dem cholerischen Dottore zu widersprechen. So einfach kann man es wohl zusammenfassen. Ich war wohl deshalb nur schwer imstande, aus dem Hamsterrad auszubrechen. Die Projekte in den 70 Ländern, in die die Firma ihre Laser verkaufte, hatten alle ihre eigene Dynamik und Zeitschiene. Und natürlich liefen stets ein paar davon parallel. Und global zeitversetzt. Das bedeutet E-Mails mit Denkanstößen praktisch rund um die Uhr. Wer ist so verrückt, dies schaffen zu wollen? Die Zulassung in den USA – die 510(k) der FDA – gilt als die Königsdisziplin, als die anspruchsvollste. Davon hatte ich vierzehn geschafft. Je nachdem, welche aufwändigen Nachweise für die Dossiers erbracht werden mussten, per Gesetz bzw. auf Anfragen der Behörde. Das längste FDA-Projekt dauerte 1,5 Jahre, das kürzeste drei Wochen. Mein Jubel über die kurze Rekordzeit währte nicht lange, denn Dr. Berconi legte die Messlatte daraufhin bei drei Wochen an. Ab diesem Zeitpunkt stieß ich bei ihm dann nur noch auf Unverständnis. Mit seinem Wunschdenken entfernte er sich in eine realitätsfremde Umlaufbahn. »Der lebt in seiner eigenen Welt«, sagten viele Kollegen.

Kaum zu glauben, wie bewegungsarm ich früher gelebt habe. Heute habe ich zweimal zwanzig Runden im Innenhof des Stadtrodaer Maßregelvollzugs zurückgelegt. Keine Schmerzen im Knie noch irgendwo sonst. Aber es ist ja auch schon zwei Monate her, seit ich hierherkam. Mit dem Notarztwagen. Mit Begleitung der Thüringer Polizei. Mit sechs Kleidungsstücken, sonst nichts. Schuhe, Strümpfe, Unterkleid, Unterrock, Schlüpfer, Oberkleid.

Um drei Uhr morgens am 24. Oktober 2020 war ich durch ein Geräusch geweckt worden, das an einen Akkuschrauber oder eine Bohrmaschine erinnerte. Es steigerte sich, als ich aufstand und in den Flur ging. Mit maßlosem Entsetzen sah ich, dass sich das Türschloss meiner Wohnungstür auf mich zubewegte und gleichzeitig das Bohrgeräusch an Stärke zunahm. Ich drückte mit lautem Schreien beide Hände gegen das Schloss. Es war kochend heiß. Und es bewegte sich auf mich zu! Dann wurde von außen eine Brechstange angesetzt, wie ich annahm, da die Tür neue Geräusche von sich gab. Ich flüchtete ins Badezimmer und verschloss und verriegelte die Tür mit dem altertümlichen Eisenschloss. Ich fühlte mich ein ganz klein wenig sicherer und blickte herum, was ich zu meiner Verteidigung benutzen könnte. Aber das Gefühl der Zuflucht hielt nur kurz an, denn die Brechstange kam sofort zum Einsatz, die alte Badtür aus Leichtholz zersplitterte direkt neben dem Schloss, welches sich darauf von der Tür trennte. Vor mir stand ein dicklicher und dümmlich wirkender junger Mann, unter seiner Jacke kam ein Batman-Pullover zum Vorschein, neben ihm eine zierliche junge Frau, ebenfalls in Freizeitkleidung. Sie trug einen grünen Parka. Im Hintergrund drängten sich Uniformierte in meine Wohnung und besetzten sofort alle Zimmer. Es waren Thüringer Polizisten, von denen einer ebenfalls in mein Bad drang.

Der junge, dickliche Mann bedrängte mich weiterhin und packte meine Handgelenke auf schmerzhafte Weise. Ich hatte die Vorstellung, dass dies der Neffe der Wohnungseigentümerin oder Hauseigentümerin, die mir die Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt hatte, war. Ich habe keine Erinnerung, was genau während dieses Albtraums gesprochen, gerufen oder geschrien wurde. Ich sprach den Dicken mit Peter Lange an, er korrigierte mich nicht. Irgendwann lockerte er seinen klauenhaften Griff um meine Handgelenke. Einen Finger hielt ich für gebrochen. Er ermahnte mich zur Höflichkeit seiner »netten Kollegin« gegenüber und äußerte weitere maßregelnde Wünsche.

Wie absurd war das denn? Leute brechen nachts in meine Wohnung ein und erinnern mich daran, gutes Benehmen zu zeigen? Wie abgestumpft muss man sein, um derartige Gedanken laut zu äußern? Ich sah endlos lang dem gespenstischen Treiben zu, verschanzte mich hinter der Abtrennung zur Klo-Ecke. Die »nette Kollegin« des Dicken antwortete auf meine Frage, wer sie eigentlich sei, dass ihre Chefin die Staatsanwältin wäre und betätigte ihr Handy. Sie fragte ins Telefon, ob sie nur mein Smartphone mitnehmen solle oder auch das Notebook. Sie schlug ihrem Gesprächspartner vor, mit Hilfe meines Huawei-Telefons meine Route verfolgen zu wollen, indem sie mit Handydaten, Funkmasten und Navigationssystem des Toyotas die Ereignisse rekonstruieren wolle. Sie schien sehr stolz auf ihre Kompetenz in technischen Fragen zu sein. Der Polizist im Bad stand breitbeinig da und schwieg, schaute dabei zum Fenster. Er fragte mich nur einmal, ob ich Mietschulden hätte, was ich verneinte. Er sah zu, wie Peter Lange mich unentwegt anstarrte, mich geradezu mit Blicken durchbohrte, wogegen ich mich verbal zur Wehr setzte. Ich trug mein schwarzes Unterkleid bzw. Nachthemd und weiter nichts. Mein Bademantel war in Sicht- aber außer Reichweite. Irgendwann war ich vom verkrampften Stehen so kaputt, dass ich auf dem Klodeckel Platz nahm und um ein Glas Wasser bat. Ich durfte aus meinem eigenen Zahnputzbecher trinken. Peter Lange baute sich direkt vor mir auf. Er war keinen Meter von mir entfernt und starrte mich auf seine eigenartige Weise unverdrossen weiter an. Ein zweiter Polizist betrat das Bad, nahm Utensilien zur Hand, begutachtete diese und machte Fotos. Irgendwann erschien ein Notfallsanitäter, ein Notarzt und eine Art Oberbefehlshaber, ein großgewachsener Mann älteren Datums, den ich für einen ehemaligen Klinikchef oder einen Untersuchungsrichter hielt. Ich nahm wahr, dass jemand im Flur in meiner Handtasche wühlte und sie anschließend ausschüttete. Der Notarzt füllte ein Formular aus mit meinen Daten. Die junge Frau brachte mir was zum Anziehen aus dem Wohnzimmer und man führte mich anschließend dorthin. Ich nahm wahr, dass inzwischen in die Wohnungstür, die die ganze Zeit offenstand, ein neues Schloss eingebaut wurde.

Die Zahl der nun Anwesenden konnte ich nicht mehr abschätzen, sie lag mindestens bei sieben. Vielleicht hatte es auch in der Stunde, die inzwischen vergangen war, ein ständiges Kommen und Gehen gegeben. Nachts zwischen drei und vier.

Als ich mich notdürftig angezogen hatte, wurde ich in das Wohnzimmer geführt. Der Schreibtisch war zerwühlt, das Huawei-Handy weg und von dem neuen Nokiatelefon, das ich erst noch in Betrieb nehmen wollte, lag nur die Plastikhülle herum. Sie mussten es aus einer Schublade geholt haben. Ich zündete mir eine Zigarette an (drei leere Schachteln Duett lagen neben dem umgekippten Papierkorb), man nahm sie mir aus der Hand und drückte sie aus.

»Wir haben hier nicht ewig Zeit.«

Noch so eine absurde Äußerung eines verrohten Menschen. Ich weiß nicht, ob ich glauben sollte, man würde mich mitnehmen. Ich hatte wohl die Vorstellung, dass in kurzer Zeit alle verschwinden würden und der Spuk zu Ende wäre. Ich ging die paar Schritte zur Küche, in der alles angefasst worden war, wie es schien. Das neue Samsung-Tablet, das auf dem Tisch lag, hatte jemand ausgepackt. Das schien mir der Inbegriff des Einbruchs in meine Privatsphäre zu sein. Das oder die Wegnahme der beiden Mobilphones. Im Flur war auch das Schuhregal gründlich inspiziert worden, jeder Schuh war herausgenommen worden. Dies war ein ebenso erschütternder Anblick.

Man führte mich aus der Wohnungstür, als das Schloss eingebaut war und zeigte mir die drei neuen Schlüssel. Man gab mir einen in die Hand, damit ich zuschließen konnte. In diesem Moment hatte ich wieder den vagen Gedanken, dass ich zu Hause bleiben könne. Doch man führte mich die Stufen zur Haustür hinunter und aus dem Haus. »Peter folgt Ihnen«, hörte ich. Und dann: »Wir fahren nach Stadtroda in die Klinik.« Ich fragte mich, was der Rechtsstaat mit behördlicher Genehmigung alles machen durfte.

Es war bereits der zweite Einbruch in meine Wohnung im Jahr 2020. Wieder war keiner der anderen vier Single-Mieter zu sehen oder zu hören. Als ich im Notarztwagen saß, stiegen der Notarzt und der Polizist aus dem Bad dazu. Als das Auto sich in Bewegung setzte, weinte ich vor Erschöpfung und der Ausweglosigkeit. Mir war bewusst geworden, dass ich wieder eine Zeitlang in der Psychiatrie verbringen sollte.

Kapitel 2

Für gewöhnlich hielt ich ältere Frauen für aufgesetzt selbstbewusst oder sich selbst feiernd, wenn sie davon sprachen, wie großartig es sei, seinem Ex Ade zu sagen und sich fortan allein durchs Leben zu schlagen. Ich glaubte ihnen ihren Optimismus nur wenig, hielt es für wahrscheinlicher, dass sie aus der Not eine Tugend machten. Doch jetzt, nach meinem Weggang von André, musste ich meine Meinung revidieren und sah die Geschichten jener Frauen in einem neuen Licht. Fast fühlte ich mich wieder an die Zeit erinnert, als ich mit 19 Jahren vom Elternhaus ins Internat nach Jena zog. Studentisches Leben – eine Phase, die ich jetzt besonders gern Revue passieren ließ. Ich legte öfter einen Augenblick der Rückbesinnung ein, beim Betrachten der Fotos oder beim Chatten mit einigen wenigen Freunden.

Im Juni 2019 hatte ich meinen alten Freund Thomas B. und seine Frau in Saalfeld besucht, der eine ziemlich gute Sammlung von Bildern aus vergangenen Zeiten besaß. Wir frischten zusammen viele schöne Momente wieder auf. Ihm selbst ging es seit einem Jahr nicht so gut und anhand des Schriftwechsels, den wir danach wieder führten, bilde ich mir ein, eine Portion Zuversicht dort hinterlassen zu haben. Die Wohnung hatte ich ausgesucht, als ich noch in der Firma arbeitete und die knappen Pausen nutzte, um die Internetangebote zu sichten. Weimar, Apolda, Kahla, Schöngleina und selbst Gera hatte ich als Wohnort in Betracht gezogen. Jena schied aus wegen der horrenden Immobilienpreise.

Schon bald erfreute ich mich an meiner wiedergewonnenen handwerklichen Geschicklichkeit im Umgang mit Werkzeug und dem Zusammenbau von Kleinmöbeln. Aus einer schlicht eingerichteten Behausung wurde im Laufe der Zeit ein persönlich geprägtes Zuhause. Viele Kleinigkeiten und Bücher hatte ich in meinen Mußestunden aus aller Welt zusammengesucht, das meiste über Internetportale für wenig Geld bestellt.

Besondere Freude machten mir die verschiedenen Hölzer der Schränke und Regale sowie das Bett aus Zirbenholz, in das kein einziges Stück Metall verbaut worden war. Im Gegensatz dazu musste der große Kleiderschrank vom OTTO-Versand mit einem Berg von Dübeln und Schrauben von zwei Monteuren mühsam zusammengesetzt werden unter Zuhilfenahme einer Gebrauchsanweisung, die in ihrer Komplexität an Wahnsinn grenzte. Dieses Möbelstück werde ich wohl zurücklassen müssen, es ab- und wieder aufzubauen kann man niemandem zumuten.

Als ich im März 2019 für zehn Tage nach Mallorca flog, war die Wohnung noch relativ schlicht und übersichtlich. Doch im Laufe der Zeit kamen auch Pflanzen, schöne Sachen aus Kupfer, Messing und Bronze dazu und dann war sie einfach nach menschlichem Ermessen voll. Dies war auch am Keller nachvollziehbar, der die Verpackungen beherbergte und den ich für andere Zwecke noch gar nicht nutzen konnte. Eine Aufräumaktion hatte ich dort schon längst vorgesehen.

Das Kündigungsbegehren meines Arbeitgebers hatte ich lange Zeit nicht wahrhaben wollen. Die Antipathie des Geschäftsführers war zwar vom ersten Kontakt im Jahre 2003 an evident, doch ich hatte die Illusion, dass meine Arbeitsleistungen und die Erfolge, die ich errang, so augenscheinlich waren, dass an eine Entlassung meiner Person nicht zu denken wäre. Es müsste sonst an sträflichen Leichtsinn grenzen, wollte man ohne mich weitermachen wie bisher. Niemals konnte ich mir vorstellen, dass die jungen Leute, die man ständig in die Firma holte, eine Effizienz entfalten würden, wie sie mir zu eigen war.

Einige enge Vertraute, auch aus dem Betriebsrat, sahen das offenbar anders, denn mein alter Kollege Reiner machte sich die Mühe, nachträglich eine Unterschrift von mir einzuholen. Er kam mich abends deswegen besuchen, als ich noch im Blockhaus wohnte. André zeigte sich bei dieser Gelegenheit wieder von seiner besten Seite, eine mürrische Begrüßung und dann nahm er sich das Abendbrot mit zum Fernseher und würdigte den Besuch in keiner Weise mehr. Das Verhältnis zu den überwiegend sehr jungen Kollegen war von meiner Seite von Wohlwollen und Hilfsbereitschaft geprägt, ich dachte oft daran, dass die jungen Leute die Erfolge fortführen müssen und sollen, ich würde eine autoritäre Bevormundung durch mich ausschließen.

Dennoch nahm ich die Veränderungen wahr, das mehrfache Schweigen in meiner Gegenwart, ein Zitieren meiner Äußerungen, wie auch einen teilweise offen geführten abwertenden Umgang mit mir selbst.

Sehr häufig fehlten mir die einfachsten Informationen, ohne die ich nicht normal arbeiten konnte. Ich merkte, dass ich in die Isolation befördert werden sollte. Es gab einen verkrampften und ungesunden Umgang mit mir.

Gleichzeitig erlebte ich auch eine große Solidarität mit den Kollegen. Ich begann mich zu fragen, ob ich diese Firmen-Gesellschaft polarisierte und neigte zu einem Ja.

Begonnen hatte diese neue Phase wohl mit meiner Rückkehr von der Kur im Mai 2018. Mir schien, als wäre ich schon abgeschrieben worden, als gleiche mein Auftauchen einem Wiederaufleben von den Toten. Dottore wandte sich ab, um Augenkontakt zu vermeiden. Richard, ein langjähriger Kollege aus der Software-Abteilung, nahm dieses Phänomen nach seiner eigenen schweren Erkrankung auch bei sich selbst wahr. Wir hatten uns an einem Sonntag heimlich per Telefon und WhatsApp dazu ausgetauscht. Dies ist nur ein Beispiel der Beziehungen unter Kollegen.

Es gab eine offizielle Sprache und die Untergrundsprache der relativen Ehrlichkeit. Dies machte mich beinah fassungslos. Wie weit kann man in einem global wirtschaftenden Unternehmen von 150 Mitarbeitern ein solches Lügengerüst aufrechterhalten?

Bei einem Geschäftsführer, der nach der Helikopter-Methode auftritt: Gelegentlich in Deutschland aufschlagen, Staub aufwirbeln und dann wieder abschwirren. Dottore war ein Narzisst in Reinkultur, das stand für mich seit langer Zeit fest. Ich war seit langem im Betriebsrat tätig und musste die Tatsache dieser Kontroverse der Feindseligkeit der Geschäftsführung zuschreiben. Darüber hinaus war aber das Zusammenprallen zweier sehr unterschiedlicher Charaktere in der Führungsriege – meine Art und Weise und die des Dottore – für den Konflikt zwischen mir und dem Geschäftsführer verantwortlich. Wie kann aber ein gelegentlich auftauchender Chef eine derartige Macht ausüben? Die Antwort liegt nahe: Mit einer Reihe von mehr oder weniger willfährigen Vasallen.

Da ich eine Frau bin, muss ich meine lntimfeindin Frau Seiler hier als erste benennen. Ihr Spitzname war: die Schlange. Sie sah ihre Rolle als Vermittlerin zwischen dem kaum anwesenden Dottore und dem Personal, dem sie in Union mit