Quartiersnahe Unterstützung pflegender Angehöriger (QuartupA) - Prof. Dr. Angelika Zegelin - E-Book

Quartiersnahe Unterstützung pflegender Angehöriger (QuartupA) E-Book

Prof. Dr. Angelika Zegelin

0,0

Beschreibung

Ende April 2016 wurde der Referentenentwurf für das Pflegestärkungsgesetz III vorgestellt. Die Vernetzung von Kommunen und Pflegeanbietern ist der Kern. Doch wie funktioniert das überhaupt?Welche finanziellen Mittel müssen dafür eingeplant werden? Was müssen Pflegeanbieter und Kommunen jetzt wissen, um sich bereits heute zu vernetzen und z.B. auch das PSG III ziel- und kostenorientiert umzusetzen? Dieses Buch zeigt anhand eines Praxisprojektes in NRW (Quartiersnahe Unterstützung pflegender Angehöriger – QuartupA), was zu tun ist, was es kostet und welche Strukturen geschaffen werden müssen. Auf den Punkt gebracht: Das erste Buch zum aktuellen Thema "Quartiersentwicklung in der Pflege“. Mit detaillierten Modellrechnungen & allen Arbeitsschritten. Verständlich geschrieben, praxisnah & handlungsorientiert.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 153

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Angelika Zegelin | Tanja SegmüllerSabine Bohnet-Joschko

Quartiersnahe Unterstützung pflegender Angehöriger

Herausforderungen und Chancenfür Kommunen und Pflege-Unternehmen

Gefördert durch:

Das Projekt Quart-upA wurde im Zuge des NRW Ziel 2-Programms 2007–2013

(EFRE) durch Mittel des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen und des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert.

Projektlaufzeit: 15.03.2013 bis 30.06.2015

Förderkennzeichen: 005-GW03-143

schlütersche

Dr. Angelika Zegelin ist Krankenschwester und Pflegewissenschaftlerin. Sie war viele Jahre am Department Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke tätig.

Tanja Segmüller ist Krankenschwester und Pflegewissenschaftlerin. Sie arbeitet am Department of Community Health an der Hochschule für Gesundheit in Bochum.

Prof. Dr. Sabine Bohnet-Joschko lehrt und forscht an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der Universität Witten/Herdecke.

»Zusammenkommen ist ein Beginn,Zusammenbleiben ist ein Fortschritt,Zusammenarbeiten ist ein Erfolg.«

HENRY FORD, USA (1863–1947)

Der Pflegebrief Newsletter – für die schnelle Information zwischendurch Anmelden unter www.pflegen-online.de

Kontakt zu den Autorinnen:

Tanja Segmüller

Hochschule für Gesundheit

University of Applied Sciences

Gesundheitscampus 6–8, 44801 Bochum

E-Mail: [email protected]

Univ.-Prof. Dr. Sabine Bohnet-Joschko

Fakultät für Wirtschaftswissenschaft

Walcker Stiftungsprofessur für Management und Innovation im Gesundheitswesen

Universität Witten/Herdecke

Alfred-Herrhausen-Straße 50, 58448 Witten

E-Mail: [email protected]

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-89993-385-7  (Print)

ISBN 978-3-8426-8877-3  (PDF)

ISBN 978-3-8426-8878-0  (EPUB)

Stand: August 2015

© 2017 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie der Autorin und des Verlages. Für Änderungen und Fehler, die trotz der sorgfältigen Überprüfung aller Angaben nicht völlig auszuschließen sind, kann keinerlei Verantwortung oder Haftung übernommen werden. Die im Folgenden verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen stehen immer gleichwertig für beide Geschlechter, auch wenn sie nur in einer Form benannt sind. Ein Markenzeichen kann warenrechtlich geschützt sein, ohne dass dieses besonders gekennzeichnet wurde.

Reihengestaltung:

Groothuis, Lohfert, Consorten, Hamburg

Umschlaggestaltung:

Kerker + Baum, Büro für Gestaltung GbR, Hannover

Titelbild:

scusi –

Fotolia.com

INHALT

Vorwort der Autorinnen

Teil 1Projektbericht

Prof. Dr. Angelika Zegelin, Tanja Segmüller

Einleitung

1Arbeitspaket 0: Steuerung, Öffentlichkeitsarbeit und Recherchen

1.1Ansprechpartner vor Ort

1.2Projektbeirat

1.3Öffentlichkeitsarbeit

1.4Nachhaltigkeit

1.5Telefonseelsorge

1.6Recherchen

2Arbeitspaket 1: Bewusstsein für die Bedürfnisse pflegender Angehöriger bei den Akteuren in den Kreisen schaffen

2.1Anforderungsprofil Pflegeberatung

2.2Einzelbesuche der Akteure in den beiden Projektorten

2.3Vernetzungsliste

2.4Anregung von Weiterbildung und Tagungsbesuchen

3Arbeitspaket 2: Aufbau der Arbeitskreise

3.1Auftaktveranstaltung Kreis Mettmann

3.2Auftaktveranstaltung Märkischer Kreis

3.3Mischung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen

3.4Verbindlichkeit

4Arbeitspaket 3: Leitung und Durchführung der Arbeitsgruppen

4.1Arbeitsgruppen-Sitzungen/Themen

4.2Arbeitsgruppe im Kreis Mettmann

4.2.1Unterarbeitsgruppe »Übersichtsflyer – Welche Angebote gibt es für pflegende Angehörige in Heiligenhaus?«

4.2.2Unterarbeitsgruppe »Stundenweise Entlastung« in Heiligenhaus und Wülfrath

4.2.3Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Velbert –Neue Angebote für pflegende Angehörige

4.2.4Pflegekurse

4.2.5Quartiersentwicklung Heiligenhaus

4.2.6Stufen der Kooperation

4.2.7Pflegefachliche Inhalte

4.2.8Fortsetzung der Zusammenarbeit der AG

4.2.9Resümee Heiligenhaus und Wülfrath

4.3Arbeitsgruppe im Märkischen Kreis

4.3.1Unterarbeitsgruppe »Tag der pflegenden Angehörigen«

4.3.2Unterarbeitsgruppe »Ehrenamtlicher Besuchsdienst«

4.3.3Unterarbeitsgruppe »Übersichtsflyer – Welche Angebote gibt es für pflegende Angehörige in Altena?«

4.3.4Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Lennetal –neue Angebote für pflegende Angehörige

4.3.5Tagespflege in Altena

4.3.6Öffentlichkeitsarbeit durch die Projektpartner

4.3.7Zusammenarbeit mit der Stadtbücherei

4.3.8Angebote für pflegende Migranten

4.3.9»Nachpflege-Angebot«

4.3.10Fortsetzung der Zusammenarbeit der AG

4.3.11Resümee Altena

4.4Schlussbetrachtung zu beiden Arbeitsgruppen

4.4.1Teilnehmer und Teilnehmerinnen

4.4.2Projektbezug oft nicht mitgeteilt

4.4.3Nachhaltigkeit anderer Aktivitäten

4.4.4Arbeitshorizont bestimmt das Denken

4.4.5Dickicht der Zuständigkeiten und andere Prioritäten

4.4.6Erweiterung des Teilnehmerkreises

5Arbeitspaket 4: Angehörigenfokusgruppen

6Arbeitspaket 5: Angebote für Migranten prüfen und erweitern

7Arbeitspaket 6: Verbesserung an der Schnittstelle Klinik und häusliche Pflege

8Schlussbetrachtung und Empfehlungen

8.1Abschlusstagung

8.2Zusammenfassendes Resümee

Literatur

Linkliste

Anhang

Kooperationsvereinbarung zwischen den Arbeitsgruppenmitgliedern (AG-Mitglied)

Besuche bei den Kooperationspartnern im Kreis Mettmann & im Märkischen Kreis

Teil 2Prognose der kommunalen Ausgabenentwicklung für Leistungen der stationären Hilfe zur Pflege

Prof. Dr. Sabine Bohnet-Joschko, Dr. Claus Zippel

1Einführung

1.1Hintergrund und Relevanz für Nordrhein-Westfalen

1.2Zielsetzung

2Material und Methoden

2.1Prognosetechnik

2.2Annahmen der Zukunftsszenarien

2.2.1Szenario 1 – Viel mehr pflegende Angehörige

2.2.2Szenario 2 – Mehr pflegende Angehörige

2.2.3Szenario 3 – Nicht weniger pflegende Angehörige

2.2.4Szenario 4 – Viel weniger pflegende Angehörige

2.3Determinanten und Datenquellen

2.4Rechenschritte und Auswertung

3Ergebnisse

3.1Ergebnisse auf Bundesebene

3.2Ergebnisse für die Kreise in Nordrhein-Westfalen

3.2.1Kreis Mettmann

3.2.2Märkischer Kreis

4Diskussion

4.1Interpretation der Ergebnisse

4.1.1Entwicklung auf Bundesebene

4.1.2Regionalspezifische Effekte

4.2Kommunaler Handlungsbedarf

4.3Methodische Anmerkungen

5Fazit und Ausblick

Anhang

Abstract vom 14. Deutschen Kongress für Versorgungsforschung 2015

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Register

VORWORT DER AUTORINNEN

Das vorliegende Buch greift ein aktuelles und gesellschaftlich sehr relevantes Thema, die Situation pflegender Angehöriger im Quartier, auf. Das Buch basiert auf den Projektergebnissen des Praxisprojektes »Quartiersnahe Unterstützung pflegender Angehöriger« (kurz Quart-UpA). Es gliedert sich in zwei Teile: in die pflegewissenschaftliche Aktionsforschung (Teil I) und die ökonomische Analyse (Teil II). Wichtige Ergebnisse des Projektes können durch diese Publikation einer breiteren Öffentlichkeit- insbesondere auch kommunal Verantwortlichen- zugänglich gemacht werden. Nicht immer werden Berichte von Praxisprojekten wie diesem publiziert, was zur Folge hat, dass an verschiedenen Orten immer wieder neue Projektideen entstehen und der Prozess immer wieder von vorne beginnt: Antragstellung mit ähnlichem Fokus, Bewilligung, Durchführung … und … man ahnt es schon. Natürlich sind die Bedingungen vielfach unterschiedlich – trotzdem lassen sich wiederkehrende Mechanismen und Strategien identifizieren. Solche Strategien und Erkenntnisse finden sich im Teil I dieses Buches.

Das zugrundeliegende Projekt hatte den Fokus der Quartiersentwicklung zur Unterstützung pflegender Angehöriger. Pflegende Familien sorgen dafür, dass eine häusliche Versorgung überhaupt möglich wird. Oft hochbelastet, suchen diese Familien Hilfe in der Nähe – im QUARTIER. Es gibt ein breites Spektrum von Informations- und vor allem Entlastungsangeboten, aber für pflegende Angehörige selbst, gibt es nur wenige Möglichkeiten der Entspannung und zur Aussprache.

Wir sind davon überzeugt, dass zur öffentlichen Daseinsvorsorge in Kommunen auch »das Kümmern« um pflegebedürftige Menschen und ihre Familien gehört. Kommunen müssen zukünftig, auch vor dem Hintergrund des Pflegestärkungsgesetzes III, mehr moderierend und steuernd tätig werden – besonders zur Stützung häuslicher Pflegearrangements und nicht nur »neutral« informierend oder beratend tätig sein. Die Pflegewirtschaft darf nicht (nur) Marktgesetzen überlassen werden. Überall finden sich Lücken bei den Angeboten, andererseits konkurrieren Anbieter mit ähnlichen Aktivitäten.

In Teil II des Buches werden die Ergebnisse einer ökonomischen Analyse dargestellt, die die Walcker-Stiftungsprofessur für Management und Innovation im Gesundheitswesen der Wirtschaftsfakultät der Universität Witten/Herdecke parallel zur Projektarbeit in den Kreisen erstellt hat. Die Ergebnisse können eine erste Basis für Verantwortliche in den Kreisen und kreisfreien Städte bilden, um Kosten, die mit den im Projekt fokussierten pflegerischen Angeboten und QUARTIERsnahen Dienstleistungen entstehen, den steigenden kommunalen Grundsicherungsausgaben im Rahmen der Hilfe zur Pflege gegenüberzustellen. Hierzu haben wir zunächst die Ausgabenentwicklung für Leistungen der Hilfe zur stationären Pflege für die Bundesrepublik Deutschland bis 2030 auf Basis von vier Zukunftsszenarien prognostiziert. Anschließend wird dies mit Projektionsergebnissen für die im Projekt beispielhaft betrachteten NRW-Kreise und Städte gegenübergestellt, um kommunalspezifische Besonderheiten und Entwicklungen bei der Alters- und Sozialstruktur identifizieren und diskutieren zu können.

Während des Projektverlaufs konnten viele Erfahrungen zusammentragen werden: Überraschendes, Trauriges, Erfreuliches und Stärkendes. Vor allem durch die vielen Begegnungen mit den Akteuren vor Ort.

Wir danken allen Projektbeteiligten, den Mitgliedern der Arbeitskreise, den kommunal Verantwortlichen, den befragten pflegenden Angehörigen und Beiratsmitgliedern und nicht zuletzt den Projektförderern, die uns das Vertrauen geschenkt haben und dieses Projekt finanziert haben. Wir wünschen uns sehr, damit eine Anregung für andere Unternehmungen dieser Art geben zu können. Und nun viel Freude beim Lesen!

Witten, im November 2016

Angelika Zegelin,

Tanja Segmüller,

Sabine Bohnet-Joschko

TEIL 1

PROJEKTBERICHT

Prof. Dr. Angelika Zegelin, Tanja Segmüller

EINLEITUNG

Deutschland gehört zu den Gesellschaften »langen Lebens« und diese gute Entwicklung ist vielen Errungenschaften der letzten 50 Jahre zu verdanken. Es ist heute kein Problem mehr, mit chronischen Krankheiten Jahrzehnte weiter zu leben, auch wenn es Einschränkungen im Alltag gibt. In der letzten Lebensdekade führen diese Einschränkungen häufig zur Pflegebedürftigkeit, also einem Unterstützungsbedarf in alltäglichen Aspekten. Dabei zieht eine Einschränkung oft andere Schwierigkeiten nach sich.

Pflegebedürftigkeit nimmt zu, über 2,8 Millionen (September 2016), die in die in die gesetzliche Pflegeversicherung eingestuft sind (Statistisches Bundesamt, 2015; weitere Daten siehe Teil 2). Bekannt ist nur etwas über Leistungsempfänger der Pflegeversicherung, vermutlich gibt es darüber hinaus vielmehr häusliche Pflegesituationen. Es ist selbstverständlich, dass Menschen trotzdem so lange wie möglich in ihrer eigenen Umgebung bleiben möchten. Vielfach benötigen sie dabei die Hilfe ihrer Angehörigen, egal ob die Familie direkt im Umfeld oder entfernt wohnt.

Über Zweidrittel der Pflegebedürftigen werden zuhause versorgt und nicht in einem Heim, dies entspricht auch dem Motto von Politik und Kostenträgern »ambulant vor stationär«.

Allerdings kommt auf die pflegenden Angehörigen eine Menge an Aufgaben zu, nicht selten wächst sich eine langdauernde häusliche Pflege zu einer Belastung aus, zahlreiche Studien bestätigen dies.

Zwar agieren eine Menge Dienstleister im Feld, z. B. ambulante Pflegedienste – alle arbeiten allerdings in festgelegten Handlungskorridoren und können eine »Rund-um-die Uhr«-Pflege nicht bieten. Zudem haben sich Pflegeleistungen zu einem unübersichtlichen und konkurrenten Markt entwickelt. Die Versicherungen haben zwar stückchenweise nachgebessert, trotzdem ist es nicht leicht, ein gutes häusliches Pflegearrangement aufzustellen ohne allzu großen finanziellen Aufwand.

So sieht sich unsere Gesellschaft seit einigen Jahren vor die (neue) Herausforderung gestellt, auch im Alter eine gute und menschenwürdige Pflege sicherzustellen – in diesem Fall durch deutliche Unterstützung der pflegenden Angehörigen und auch wenn es nur um die Herauszögerung eines Heimeinzugs geht. Familienstrukturen haben sich geändert, Frauen sind überwiegend berufstätig – die Angehörigen müssen Erwerbsarbeit und Pflege vereinbaren. Oft wohnen Familien weit verstreut, der Arbeitsplatz diktiert den Wohnort. Inzwischen ist es auch normal geworden, dass Angehörige nach dem Renteneintritt ihre hochaltrigen Verwandten pflegen.

Es fehlen Informationen

Über alleinlebende Pflegebedürftige ist kaum etwas bekannt, in dieser prekären Situation sind Menschen ganz auf professionelle Dienstleiter angewiesen. Wir brauchen mehr Pflegefreundlichkeit in unserer Gesellschaft. Von den Betroffenen wird sie kaum eingefordert, weil sie keine Zeit haben und unabkömmlich sind. Zudem wird familiale Pflege als persönliches Schicksal, oft auch schambesetzt, erlebt. Es gilt, die Lage irgendwie zu bewältigen.

Dabei ist die Unterstützung pflegebedürftiger Menschen ein Teil der Gesundheitsfürsorge. Besonders dieser Teil kann nur gemeinsam durch Familien, Dienstleister, Nachbarschaft und Ehrenamt, Versicherer, aber auch durch die öffentliche Hand bewältigt werden. Den Kommunen kommt hier eine Koordinations- und Steuerungsfunktion zu.

Zum Projekt »Quartiersnahe Unterstützung pflegender Angehöriger«

Im Jahr 2011 startete die nordrhein-westfälische Landesregierung aus Mitteln des NRW-EU Ziel 2-Programms und als EFRE-Förderung den Projektaufruf »Altersgerechte Versorgungsmodelle, Produkte und Dienstleistungen«. Bei der Ausschreibung ging es um die Entwicklung innovativer Projekte, die aus der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Organisationen des Gesundheitswesens entstehen sollten. Die Projekte wurden schon in der Anfangsphase (Projektskizze, Antragsstellung, Projektplanung usw.) eng vom Projektträger ETN in Jülich begleitet. Nach Abgabe des Projektantrages Mitte Dezember 2012, kam die Bewilligung des Projektes Quartiersnahe Unterstützung pflegender Angehöriger (Quart-UpA) dann Ende Februar 2013, sodass das Projekt ab März 2013 starten konnte.

Der Projektträger empfahl, für die Umsetzung des Projektes Arbeitspakete zu bilden. Zwei zuvor mit eingeplante Arbeitspakete (Familienmoderation als Trägermodell aufbauen und Verbesserungen für erwerbstätige pflegende Angehörige) wurden aus Zeitmangel gestrichen.

Vom Ministerium wurde vorgegeben, dass Kreise aus NRW teilnehmen sollten. Die meisten Menschen in Nordrhein-Westfalen wohnen in Kreisen, meist in kleineren Städten. Der Unterschied zeigt sich u. a. in Finanzierungen und Zuständigkeiten im Vergleich zu größeren (nicht kreisangehörigen) Städten.

Vorgegeben wurde auch die Ausrichtung am »Quartier«, am Wohnviertel. Quartiersprojekte sind »in«, die kleinräumige Orientierung dienst quasi als Gegenentwurf zu einer Globalisierung. Lebensqualität hängt vielfach vom Nahraum ab.

Definition: Quartier

Unter Quartier wird hier der subjektiv empfundene Lebensraum (auch Viertel, Kiez) um die Wohnung herum verstanden, alltagsgebundenen Aktivitäten wie Einkäufe usw. finden hier statt. Gute Quartiere weisen einen Mix an Möglichkeiten auf.

Quartiere haben oft »natürliche« Grenzen, entsprechen manchmal auch Stadtteilen –Stadtbezirke sind dagegen eher Verwaltungskategorien. Viele menschliche Aktivitäten sind eher ortsgebunden, Schule, Kindergarten usw. Auch Gesundheitsleistungen werden überwiegend örtlich aufgesucht. Besonders angebunden sind pflegende Familien, niemand hat Zeit (weiter) zu fahren.

Viele Kommunen haben begonnen, ihre Quartiere zu beschreiben. In der Regel werden dabei demografische Daten gesammelt, Weg- und Zuzug, evtl. auch Migranten- und Ausländeranteil, Arbeitslosigkeit, Schulen und Kindergärten, vielleicht einige gesundheitlich-soziale Aspekte wie Jugend- und Altentreffs, Kliniken, Altenheime, Inklusionsprojekte für behinderte Menschen. Quartiersentwicklung kann unter ganz verschiedenen Blickwinkeln geschehen, oft städtebaulich oder wirtschaftlich, energetisch oder ökologisch u. a. m. Sozialräumliche und altersfreundliche Strategien sind häufiger zu finden, letztere mit guten barrierefreien Bewegungsmöglichkeiten, Sitzbänken, WCs, Lieferdiensten und Beratungsstellen für Senioren. Viele Kommunen geben (oft in größeren Abständen) entsprechende Ratgeber heraus, in der Regel ist die örtliche Gesundheitswirtschaft mit Ärzten, Apotheken, Therapeuten auch im Internet vertreten (mehr oder weniger aktuell).

Pflegefreundlichkeit ist dabei ein weiterer, speziellerer Fokus – besonders im Hinblick auf pflegende Angehörige und ihre Bedürfnisse.

Definition: Pflegende Angehörige

Unter pflegenden Angehörigen verstehen wir Menschen, die als nicht professionelle Bezugspersonen unentgeltlich im häuslichen Bereich für Pflegebedürftige tätig sind.

In der Regel sind dies Familienmitglieder, auch Kinder und darüber hinaus alle Freunde, Bekannte und nahestehenden Personen, die Verantwortung für den pflegebedürftigen Menschen übernehmen, wobei auch mehrere Personen für einen Pflegebedürftigen zuständig sein können.

Die Unterstützung erstreckt sich auf alle Bereiche des menschlichen Lebens und reicht von der direkten Pflege (u. a. auch Kommunikation, Bewegung, Ernährung, Körperpflege, hauswirtschaftliche Tätigkeiten) bis hin zu Sozialem und Organisatorischem (Erledigung der Post, Bankgeschäfte). In der Regel geschieht dies mit einer Einschränkung der eigenen Lebensgestaltung. Durch die fließenden Übergänge zwischen familiärer Fürsorge und pflegerischer Unterstützung sind sich viele Angehörige ihrer Rolle als pflegende Angehörige nicht bewusst.

Um die Pflege sicherzustellen benötigen sie viele Angebote vor Ort, niedergelassene Ärzte mit kurzen Wartezeiten, Lieferservices z. B. durch die Apotheke, Fahrdienste, zugehende Beratung, Tagespflege und andere entlastende Dienste. Sie brauchen aber auch selbst Unterstützung, um ihre Gesundheit zu erhalten – Gesprächskreise, Entspannungs- und Bewegungsangebote, Kreatives mit Austauschmöglichkeiten und in diesen Zeiten eine gute und verlässliche Versorgung des zu Pflegenden. All dies sollte nicht allein Marktgesetzen überlassen werden, es bedarf hier der Moderation durch eine »neutrale« Instanz.

Das Projektteam ist überzeugt, dass ein Schlüssel zur Entwicklung eines pflegefreundlichen Quartiers in einer guten Zusammenarbeit aller in diesem Feld Tätigen liegt.

Projektziele

• Verbesserung der Situation pflegender Angehöriger

• Vernetzung der Anbieter

• Angebotslücken schließen und neue Dienstleistungen auf den Weg bringen

An zwei Orten in NRW sollten Netzwerke zur quartiersnahen Unterstützung pflegender Angehöriger entstehen, teilnehmen sollten verschiedene Akteure im Feld pflegender Angehöriger (Anbieter von Pflegeleistungen, Beratungsstellen usw.).

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden auf Anraten der Städtevertreter systematisch ausgewählt, so dass verschiedene Stadtteile, Angebotsformen und Anbieter vertreten waren. Die gesamte Hilfeszene bildete sich stellvertretend im Netzwerk ab.

Alle beteiligten Akteure hatten die Aufgabe, den Sachstand in ihr eigenes Umfeld zu tragen. Die Zusammensetzung war vielfältig und konnte nur durch ein solches Projekt angestoßen werden: Vertreter der Kommunen, der Wohlfahrtsverbände, Kirchen, private Anbieter, Pflegekassen, aber auch Akteure der Privatwirtschaft (Sanitätshandel, Apotheken) arbeiteten zusammen.

Methodik

Das Vorhaben bewegt sich in einem komplexen Feld kommunaler Entwicklung. Die Akteure stellen unterschiedliche Dienstleister dar, folgen verschiedenen Handlungslogiken, haben unterschiedliche Berufe, »Sprachen« und Orientierungshorizonte. Eine gemeinsame Entwicklung ist nur durch eine gemeinsame Zielsetzung und einen partizipativen Ansatz möglich – dabei sollten Denkbarrieren überwunden werden.

Die Aktionsforschung (Hart et al., 2001) bietet eine theoretische Orientierung für ein solches Vorgehen. Alle Schritte, Ziele und Ergebnisse werden kooperativ bearbeitet. Auch die Ansätze zur Praxisentwicklung (McCormack et al., 2009) zeigen dieses gemeinsame Vorgehen auf, dabei geht es um eine gegenseitige Wissenszirkulation zwischen Praxis und Theorie.

Zahlreiche Ansätze zur Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen (»Improving Health Care«) setzen ebenfalls auf den Austausch von Wissenschaft und Praxis (Grol, 2005). Daten werden nicht extern erhoben, sondern innerhalb der Gruppe werden Schwerpunkte gesetzt, Wissenschaft gibt dann kurze Inputs und begleitet schrittweise den Entwicklungsprozess. Implementierung von Verbesserungen ergibt sich nicht einfach durch Wissenszuwachs, sie folgt eigenen Gesetzen und braucht viel Know-How (Fixsen et al., 2009). Daneben werden Verfahren aus dem Projektmanagement fruchtbar genutzt (Terminierung, Verantwortlichkeiten, Ergebnisse).

Berichtsaufbau

Der folgende Bericht entwickelt sich anhand der Arbeitspakete. Die Ergebnisse der gesundheitsökonomischen Begleitforschung werden in einem gesonderten Bericht (Teil II) dargelegt. Umfangreichere zusätzliche Materialien wie Recherchen, Vision Pflegestützpunkte und eine Pressemappe sind auf einer Homepage des Projektes hinterlegt (siehe Link 1).

1ARBEITSPAKET 0: STEUERUNG, ÖFFENTLICHKEITSARBEIT UND RECHERCHEN

In mehreren Vorgesprächen wurden seitens des Ministeriums mögliche Kreise in Nordrhein-Westfalen (NRW) genannt. Die Projektimplementierung auf Kreisebene schien wichtig, weil die meisten Menschen in NRW in Kreisen leben und dort andere Strukturen als in kreisfreien (Groß-)Städten die Verwaltung bestimmen. Die Felder Gesundheit/Soziales sind in der Regel in der Kreisverwaltung angeordnet und werden in Zusammenarbeit mit den zugehörigen Städten sehr unterschiedlich ausgestaltet.

Der Kreis Mettmann und der Märkische Kreis wurden für das Projekt angefragt und stimmten nach interner Abstimmung zu.

Als problematisch wurde angesehen, dass aus Kapazitätsgründen jeweils nur eine Stadt innerhalb des Kreises fokussiert werden sollte – da alle Städte die Kreisarbeit finanzieren würden, herrschte so etwas wie ein »familiärer Wettbewerb«. Im Märkischen Kreis wurde dann von der Verwaltung die Stadt Altena vorgeschlagen, dort herrscht ein deutlicher Wegzug jüngerer Menschen und eine zunehmende Versorgungsproblematik – andererseits »punktete« Altena in der Vergangenheit mit Aktionen zum bürgerschaftlichen Engagement.

Der Kreis Mettmann bat darum, zwei Kommunen in das Projekt aufzunehmen. Durch das Projektteam wurde vorgeschlagen, zwei nebeneinander liegende Kommunen zu wählen, um beteiligte Dienstleister beider Orte in einer Gruppe zusammenfassen zu können.

Mit beiden beteiligten Kreisverwaltungen wurde ein »Letter of Intent« vereinbart, um eine gewisse Verbindlichkeit herzustellen.

Der Kreis Mettmann bildet den größten Kreis in NRW und fasst zehn sehr unterschiedliche Städte in der Nähe der Landeshauptstadt Düsseldorf zusammen.

Von der Kreisebene wurden die Städte Wülfrath und Heiligenhaus vorgeschlagen. Die Beteiligten des Kreises machten zu Beginn auf verschiedene andere Projekte im Bereich Alter (z. B. Projekt ALTERnativen 60plus oder das Demenznetz) aufmerksam und konstatierten eine »gute Aufstellung« im Bereich Unterstützung pflegender Angehöriger.

In den Städten wurden die Zuständigen angefragt und es wurden Vorgespräche über Ziele, Kapazitäten usw. geführt – alle drei Städte stimmten nach einer Bedenkzeit der Mitwirkung zu.

Das Projektteam informierte sich mittels Strukturdaten und Stadtplänen über die örtlichen Gegebenheiten, in den ersten Treffen wurden auf Landkarten die lokale Verortung der Anbieter eingezeichnet und die Quartiere identifiziert. Im Projektverlauf fanden einzelne Quartiersbegehungen statt.

1.1Ansprechpartner vor Ort