Rabenfraß - Liliane Skalecki - E-Book

Rabenfraß E-Book

Liliane Skalecki

4,9

Beschreibung

Ausgerechnet an Hölzles erstem Urlaubstag im Harz wird eine junge Frau enthauptet aufgefunden. Alle Indizien deuten darauf hin, dass der Ehemann der Mörder ist. Doch der Kriminalhauptkommissar hat Zweifel. Er beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln, und stößt dabei auf eine unglaubliche Mordserie. Seit 20 Jahren treibt ein Mörder unbemerkt sein Unwesen und tötet seine Opfer nach mittelalterlichen Methoden. Hölzle gerät bei seinen Nachforschungen selbst ins Visier des Mörders und begibt sich in tödliche Gefahr …

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Liliane Skalecki / Biggi Rist

Rabenfraß

Kriminalroman

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Bestimmte örtliche Gegebenheiten wurden aus dramaturgischen Gründen leicht verändert. Das Dorf Maarode ist ein fiktiver Ort.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2016 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2016

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © dk-fotowelt – Fotolia.com

und © Sandra Cunningham – Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-4920-8

Haftungsausschluss

Für Ralf, danke, dass du immer an mich glaubst. Biggi

Für Georg, Marian, Arlena und Marcel. Liliane

Zitat

»Henker treten meist in Masken der Gerechtigkeit auf.«

Stanislaw Jerzy Lec (1906 – 1966)

Gedicht

»And the raven never flitting, still is sitting,

still is sitting

on the pallid bust of Pallas just above my chamber door.

And his eyes have all the seeming

of a demon that is dreaming.

And the lamp-light o’er him streaming

throws his shadow on the floor

And my soul from out that shadow

that lies floating on the floor

shall be lifted nevermore.«

Aus »The Raven« von Edgar Allen Poe (1809 – 1849)

Personen

Heiner Hölzle: Kriminalhauptkommissar aus Bremen macht Urlaub

Erika Pohl: Pensionswirtin Hölzles in Maarode/Harz

Andreas Pohl: Erikas Mann

Die Stammtischgruppe des Gasthauses ›Harzer Krug‹ in Maarode

Frank Radegast

Thomas Radegast

Richard Wiprecht

Simon Liske

Walter Jenitschek

Norbert Krause

Hans-Werner Würselen

Die Opfer

Stella Wiprecht: Richards Frau, wird zwei Tage vor Hölzles Ankunft in Maarode ermordet.

Klemens von Butzenbach: Evangelischer Pfarrer aus Clausthal-Zellerfeld. Ein Jahr vor Stella ermordet.

Vlad Robaniuc: Rumänischer Junge aus Ilsenburg. Drei Jahre vor Stella ermordet.

Ina Weidinger: Touristin aus Bremen. Fünf Jahre vor Stella ermordet.

Pia Dürr: Besitzerin eines Esoteriklädchens in Braunlage. Acht Jahre vor Stella ermordet.

Chris Sommer: Reiseverkehrskaufmann und Feuerwehrmann aus Cattenstedt. Elf Jahre vor Stella ermordet.

Bernhard Ries: Dachdeckermeister aus Darlingerode. Zwölf Jahre vor Stella ermordet.

Werner Hartmann: Frauenarzt aus Maarode. 20 Jahre vor Stella zu Tode gekommen.

Weitere Personen

Mirja Ploss: Ina Weidingers Lebensgefährtin

Lutz Liske: Simons Halbbruder

Harry Schipper: Kriminaloberkommissar und Freund Hölzles

Dr. Sabine Adler-Petersen: Rechtsmedizinerin aus Bremen

Prof. Marina Wulf: Forensische Psychiaterin

Prolog: Buß- und Bettag vor 35 Jahren

Bei rauem, stürmischem Wetter schwebt durch die Gemächer des Schlosses eine weiß gekleidete Gestalt, die einen Schlüsselbund in der Hand hält. Nur das Rauschen ihres Kleides und das Knarren der Türen, selbst wenn diese dreifach unter Schloss und Riegel liegen, verraten, die lautlose Stille unterbrechend, ihre Anwesenheit. Noch niemand hat es gewagt, sie anzurühren oder gar anzureden. Doch hat man bisweilen Seufzer und Klagetöne von ihr vernommen. Die weiße Frau soll vor allem in der Winterszeit bei Schneewetter, ferner zur Kriegszeit (sie kündigte Krieg an) und bei Unglücksfällen in der Familie erschienen sein. Begleitet wurde sie von einem kleinen weißen Spitzhündchen. Bei einer Hochzeit, die bei Schneewetter im Schlosse abgehalten wurde, vernahm man das Gerassel von Wagenrädern, und doch war später niemand zu sehen. Den Lärm hatte jedoch die weiße Frau verursacht. Die Schlüsseljungfer verschwand stets bei dem Brunnen auf dem Schlosse. Im Brunnen befindet sich ein Kasten mit Schätzen, der noch nicht gehoben werden konnte. Wer die Frau im Leben gewesen sei, ist unklar. Sie soll jedoch, nachdem sie aus Liebe zu einem Mann ihre eigenen Kinder gemordet hat, keine Ruhe mehr in ihrem Grab gefunden haben.1

Das erste Grollen war noch weit entfernt. So stellte sie sich das satte, bedrohliche Brummen einer Bärin vor, die bereit war, jeden in Stücke zu reißen, der ihren Kindern zu nahe kam. Nur, dass es in diesem Wald keine Bären gab. Bei strahlendem Sonnenschein war sie losgegangen. Die Temperaturen waren ungewöhnlich mild für Mitte November. Vor zwei Jahren hatte sie sich angewöhnt, einmal in der Woche zu einem ausgedehnten Spaziergang aufzubrechen. Mittlerweile war aus dem Spaziergang eine stramme Wanderung geworden. Irgendwann war ihr zu Hause einfach die Decke auf den Kopf gefallen. Bevor sie geheiratet und ihre Kinder auf die Welt gebracht hatte, war sie sportlich und unternehmungslustig gewesen, war regelmäßig zum Schwimmen gegangen. Jetzt musste sie endlich wieder etwas für sich tun, den paar Pfund zu viel auf den Rippen den Kampf ansagen. Einen Sportverein gab es in ihrem Kaff nicht, und das Familienauto stand nicht immer zur Verfügung, um in die nächste Stadt zu fahren.

Anfangs hatte sie sich nur wenige Hundert Meter in den dichten Wald vorgewagt, doch nach einigen Wochen war er ihr immer vertrauter geworden. Sie liebte die Mischung aus Laub- und Nadelbäumen, vor allem im Herbst, wenn die Tage zwar kürzer wurden, das Buchenlaub jedoch langsam den satten Grünton gegen Goldgelb und Kastanienbraun tauschte. Größeren Tieren war sie bis jetzt selten begegnet. Einmal hatte sie aus der Entfernung einen Fuchs gesehen, ab und zu sprang ihr ein Stück Rehwild über den Weg. Von ihnen drohte keine Gefahr.

Wie ein Freund war ihr der Wald geworden, sie entdeckte seltene Hirschkäfer, fand ihre ersten Fliegenpilze. Im ersten Jahr hatte sie sich ein Pilzbestimmungsbuch angeschafft. Ein schmackhaftes Pilzgericht im Kopf war sie mit Argusaugen zwischen den Bäumen hindurchgestapft. Doch ihre Ausbeute blieb gering, und sie hatte die paar Pilze lieber entsorgt, als das Risiko einzugehen, sie ihrer Familie vorzusetzen. Nachdem sie ihre Wanderungen dann regelmäßig bei Wind und Wetter jeden Mittwoch aufgenommen hatte, im Winter bis zum Anbruch der Dunkelheit, im Sommer manchmal fünf Stunden und länger, hatte ihr Mann ihr zum Geburtstag einen, wie er ihn scherzhaft nannte, Überlebensrucksack geschenkt.

Taschenlampe, kleines Klappmesser, Thermosbecher, eine geologische Karte der Gegend, Traubenzucker. Anfangs hatte er sie immer noch ermahnt, sie solle auf den ausgewiesenen Wanderwegen bleiben, besorgt vorgeschlagen, ob sie nicht doch lieber mit ihrer Freundin Ulla laufen wolle. Doch im Grunde genommen war sie nie ein wirklich ängstlicher Mensch gewesen, konnte gut alleine sein. Genoss es sogar. In der Dichte des Waldes fühlte sie sich wohl, liebte die Kühle, wenn die Sonne im Juli heiß vom Himmel brannte, und staunte wie ein kleines Kind, wenn die Tannen in den höheren Lagen mit dem ersten Schnee ihre Welt in ein Zauberreich verwandelten. Dann kamen ihr auch die alten Geschichten in den Sinn, Sagen und Märchen, die aus einer anderen Welt und einer anderen Zeit stammten.

In der kleinen Bücherei, die im Rathaus ihr tristes Dasein fristete, hatte sie sich ein Sagenbuch ausgeliehen und es in einem Rutsch verschlungen. Unglaublich, wie reich ihre Heimat an solchen Mythen und Märchen war. Wilde Männer, Spukgestalten, Jäger, Hexen und weiße Jungfrauen bevölkerten Berge und Brunnen, Wälder und Schlösser.

Erschrocken zuckte sie zusammen, als das Grollen näherkam. Sie war vom Hauptweg abgewichen, weil sie einen kurzen Umweg über die Kapelle machen wollte. Mitten im Wald stand der kleine nahezu verfallene Bau, die Tür längst herausgebrochen, die Nische im Altarraum, die vor Jahrzehnten wahrscheinlich eine Heiligenfigur beherbergt hatte, fand sie nicht selten vollgestopft mit Flaschen, Dosen oder Brotpapier. Es war eine Angewohnheit geworden, eine Mülltüte mitzunehmen und den Dreck der anderen einzusammeln. Nur ein paar Meter weiter stand ein Abfallkorb, der sogar regelmäßig, so etwa einmal im Monat, geleert wurde. Es war ihr unverständlich, wo manche Leute einfach ihren Müll entsorgten.

Die Abstände, in denen das Grollen durch den Wald drang, wurden kürzer, in der Ferne zuckte ein Blitz. Ein eiskalter Wind strich unvermutet zwischen den Stämmen umher, sie konnte den Regen förmlich riechen, den er im Gepäck hatte. Einen Moment hielt sie inne, packte ihre Regenjacke aus und schlüpfte hinein. Noch so ein Geschenk ihres Mannes, das ihr das Überleben in der ›Wildnis‹ sichern sollte. Ein knarzendes Geräusch ließ sie aufschrecken. Sicherlich Äste, die sich im Wind aneinander rieben. In ein paar Minuten würde sie die Kapelle erreicht haben. Sollte es zu einem Wolkenbruch kommen, könnte sie ihn dort trocken überstehen, brauchte keine Angst zu haben, womöglich von einem Blitz getroffen zu werden. Sie beschleunigte ihren Schritt.

Wie von Geisterhand gewebt, bildeten sich langsam dichter werdende Nebelschwaden zwischen den Bäumen. Immer wieder aufs Neue davon fasziniert, betrachtete sie dieses Phänomen. Vor allem im Sommer liebte sie dieses Schauspiel, wenn ein Gewitter heraufzog und die plötzlich kühle, feuchte Luft auf den durch die Sommerhitze erwärmten Waldboden traf, der daraufhin dampfte, als würde sich ein Schlund zur Hölle öffnen. Wieder stoppte sie kurz, um zu beobachten, wie sich in einiger Entfernung ein Nebelgebilde, einer Säule gleich, auf einer kleinen Lichtung entwickelte. Fast schien es, als würde die Säule menschliche Konturen besitzen. War da nicht ein Kopf, oder sogar ein Körper, umhüllt von einem weißen Gewand?

Mit etwas Fantasie, und von der besaß sie eine gehörige Portion, konnte man sogar einen Arm ausmachen, der ihr zuwinkte wie eine Aufforderung, der Nebelgestalt zu folgen. Natürlich glaubte sie nicht an Spukgeschichten. Aber so stellte sie sich die Weiße Frau vor, eine Sagenfigur, von der man erzählte, dass sie mit einem Schlüsselbund durch die Gemächer ihres Schlosses schwebte. Auf immer und ewig verdammt, weil sie ihre eigenen Kinder ermordet hatte. Ihr Auftauchen verhieß nichts Gutes. Wer ihrer gewahr wurde, musste befürchten, dass sich Schreckliches in der Familie ereignete.

Ein plötzliches Schaudern überfiel sie. Es hatte nichts mit den sinkenden Temperaturen durch den Wetterwechsel zu tun. Ihre Nackenhaare stellten sich auf wie bei einem Hund, der Böses wittert. Am liebsten wäre sie umgekehrt, nach Hause gerannt, um sich zu vergewissern, dass ihre Familie gesund und munter war. Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Weg mit diesen absurden Gedanken. In der Kapelle würde sie das Gewitter abwarten und dann auf dem kürzesten Weg ins Dorf zurückkehren. Die ersten Tropfen fielen vom Himmel. Schwer und kalt klatschten sie vom bleigrauen Himmel, verursachten beim Auftreffen auf die Blätter ein sattes Geräusch. Plopp, plopp. Es war die Art Regen, der bereits jetzt vom nahenden Winter kündete. Sie musste sich sputen, wenn sie noch einigermaßen trocken in der Kapelle ankommen wollte.

Wieder vernahm sie nur wenige Meter entfernt ein Knacken, dürres Holz, das brach. Ein Tier, das durchs Unterholz flüchtete? Sie drehte sich nicht um, der Regen prasselte jetzt mit aller Gewalt durch das sich lichtende Blätterdach. Jetzt begann sie zu rennen, ein beklemmendes Gefühl hatte von ihr Besitz ergriffen. Waren das menschliche Schritte? Unmöglich zu erkennen, der Waldboden dämpfte jegliches Geräusch. Der Rucksack schlug bei jedem Schritt gegen ihren Rücken. Da, wieder dieses Geräusch von brechendem Geäst.

Nicht nur Regen lief über ihr Gesicht, jetzt rann ihr auch Schweiß von der Stirn, brannte in den Augen. Weiter stürzte sie in Richtung Kapelle, hörte sich selbst ächzen. Ein eiskalter Schauer erfasste ihren ganzen Körper. Ihr hektisches Atmen wurde überlagert von einem Keuchen, einem Keuchen, das nicht aus ihrem Mund kam, einem Keuchen, das sich ihr von hinten näherte. Schneller, immer schneller rannte sie, jagte förmlich durch den Wald, stolperte über eine Baumwurzel, raffte sich, ohne sich umzudrehen, wieder auf, spürte ihr aufgeschlagenes Knie nicht.

Ihr Herz schmerzte. Doch nicht von der Anstrengung, es schmerzte vor Angst. Noch jemand war im Wald, jemand oder etwas. Jemand oder etwas, das sie verfolgte, hinter ihr her war, sie hetzte wie ein Stück Wild. Wo zum Teufel war die Kapelle? Sie müsste doch schon längst da sein! Dort würde sie Schutz finden. Ihr Taschenmesser fiel ihr ein. Damit würde sie sich, egal gegen wen oder was, verteidigen. Nur musste sie das erst aus dem Rucksack kramen. Keine Zeit! Weiter, weiter!, feuerte sie sich stumm an.

Urplötzlich war das Keuchen, das sich wie ein glitschiges ekelerregendes Tier an ihrem Nacken festgesaugt hatte, verschwunden. Nun glich es einem Grunzen, das sie ein Stück links vor ihr begleitete. Sie drehte den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch zu ihr herüber drang, doch die riesige Kapuze ihrer Regenjacke nahm ihr die Sicht. Sie schlug die Kapuze beiseite, doch sie konnte im strömenden Regen nichts erkennen. Wer oder was auch immer sie verfolgte, war nun an ihr vorbei, hatte einen Vorsprung. Erneut drang der Grunzton an ihr Ohr, nun gepaart mit einem schnüffelnden Geräusch, der sich dann aber langsam entfernte.

Fast hätte sie vor Erleichterung laut gelacht. Ein Wildschwein, es musste ein Wildschwein sein, dessen Weg sie gekreuzt hatte. Nicht, dass man bei den Schwarzkitteln keine Vorsicht walten lassen musste, aber das Schwein würde ihr sicherlich nicht bis in die Kapelle folgen. Endlich kam das kleine Gotteshaus in Sicht. Zum ersten Mal, seit sie es entdeckt hatte, stand es plötzlich dunkel und unheimlich vor ihr. Sie stürzte hinein, blieb sofort ruckartig stehen. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht.

Jemand war vor ihr angekommen, wartete auf sie. Keuchender Atem füllte den kleinen in finsterste Schwärze getauchten Raum. Jähes Entsetzen befiel sie, ließ sie auf dem Absatz kehrt machen wie ein flüchtendes Pferd. Hinaus! Nur hinaus! Nach Hause!

Ein heftiger Ruck an ihrer Jacke brachte sie ins Straucheln, dann lag sie rücklings auf dem Boden. Mit panisch aufgerissenen Augen blickte sie in ein Augenpaar, dem nichts Menschliches anhaftete. In diesem Moment wusste sie, sie würde qualvoll sterben. Ihr letzter Gedanke galt ihrer Familie.

1 Harzer Sage: Die weiße Frau und der Brunnen vom Blankenburger Schloss

1. Urlaubstag

Hölzle fuhr zügig mit seinem Tiguan auf der Autobahn in Richtung Bad Harzburg. Seine Gedanken hingen den vergangenen Wochen nach. Die geplanten Flitterwochen in Australien waren geplatzt, die Beziehung zu Christiane hatte in einem Desaster geendet. Dabei war doch alles so minutiös geplant gewesen. Zuerst einige Tage Sydney, dann weiter mit dem Flugzeug nach Cairns, ganz im Norden des Bundesstaates Queensland, dort ein Auto mieten und die Gegend erkunden bis ans Cape Tribulation. Die Höhepunkte auf dem Weg wieder Richtung Süden mit einem Mietwagen sollten dann ein Segeltörn in den Whitsundays mit Schnorcheln am Great Barrier Reef sein und ein zweiter Inlandsflug an die Sunshine Coast mit Besuch der weltgrößten Sandinsel Fraser Island. Zum Abschluss noch eine Woche Melbourne und Umgebung, was mit einem dritten Inlandsflug verbunden gewesen wäre. Mitte Dezember hätte es losgehen sollen, sodass sie Weihnachten und Silvester Down Under verbracht hätten.

Was macht ’n der do für an Scheiß?, fragte sich Hölzle, als der Wagen rechts neben ihm auf einmal gefährlich nahe kam. Ein Blick auf den Fahrer, und die Frage beantwortete sich von selbst. Wieder so ein Idiot, der während des Fahrens SMS schrieb und damit sich und andere in eine lebensbedrohliche Situation bringen konnte. Nicht zu fassen! Hölzle hupte kurz und gab Stoff, dann verschwand das andere Auto im Rückspiegel.

Tja, es hätte alles so schön sein können mit den vorgezogenen Flitterwochen. Die Hochzeit hatten sie auf einen späteren Zeitpunkt verschieben müssen, da Manfred Johannsmann, Christianes Vater, einen Herzinfarkt erlitten hatte, und sie den Termin für die standesamtliche Trauung deswegen ins Frühjahr verlegen wollten. Hölzle glaubte nach wie vor, dass der Auslöser für den Infarkt die Ankündigung der Hochzeit gewesen war, denn er und Manfred konnten sich seit eh und je nicht ausstehen. Er war nie der Partner für Christiane gewesen, den sich Manfred für seine Tochter gewünscht hatte. Und als Ehemann taugte er in den Augen des alten Johannsmann schon mal gar nicht. Tja, jetzt konnte sich der Alte ja auf den Weg machen, um den geeigneten Mann für seine Tochter zu suchen.

Die Hochzeits- und Reiseplanungen waren schon weit gediehen gewesen, als Christiane und er einen furchtbaren Streit bekommen hatten. Es war der größte Krach, seitdem sie ein Paar waren. Und er war so ausgeartet, dass eine Trennung kaum noch zu vermeiden gewesen war. Und alles nur, weil Christianes Eifersucht im Lauf der Jahre ihres Zusammenlebens mittlerweile in Hölzles Augen pathologische Züge angenommen hatte. Vor allem in den letzten Monaten hatten sich ihre Anschuldigungen, Hölzle flirte mit anderen Frauen, oder noch schlimmer, er sei ihr untreu, gehäuft. Nachdem er sie nun fast täglich beschwichtigen musste, war er es endgültig leid gewesen, immer und immer wieder zu betonen, es gäbe keinen Grund für ihre Eifersucht. Gab es auch wirklich nicht. Doch nach dem angeblichen Techtelmechtel mit der Rechtsmedizinerin Dr. Sabine Adler-Petersen glaubte Christiane ihm kein Wort mehr. Nichts war geschehen, eine ganz und gar harmlose Geschichte. Er hatte ihr alles erklärt. Und doch hatte Christiane danach begonnen, ihn zwanghaft zu kontrollieren. Sie hatte sich sogar an sein Handy gewagt und Kurznachrichten abgerufen, öffnete neuerdings die an ihn persönlich adressierte Post. Dies alles hatte endgültig das Fass zum Überlaufen gebracht.

Hölzle hatte ein paar Kleidungsstücke und sein Rasierzeug in zwei Reisetaschen geworfen und die gemeinsame Wohnung verlassen. Kurzfristig war er bei seinem Kollegen und Freund Harry Schipper untergekommen, doch nun wohnte er seit drei Wochen nur mit dem Nötigsten ausgestattet in einer schönen Dreizimmerwohnung in Bremens beliebtem Stadtteil Findorff. Die meisten Sachen lagerten noch in Christianes Wohnung, aber er hatte es nicht mehr geschafft, sie dort abzuholen. Zudem hatte er auch keine Lust, auf Christiane zu treffen. Er war es einfach müde, seine Treue immer wieder aufs Neue schwören zu müssen. Hölzle wollte nur noch seine Ruhe, fühlte sich völlig ausgebrannt.

Der vierwöchige Urlaub für die Australienreise war bereits genehmigt gewesen, und Hölzle hatte keinen Sinn darin gesehen, ihn rückgängig zu machen oder zu kürzen. Wann bekam man denn schon mal vier Wochen freie Zeit am Stück? Zu Hause bleiben wollte er allerdings nicht, er musste einfach raus, abschalten, auf andere Gedanken kommen, über alles, was sich in den letzten Wochen ereignet hatte, nachdenken. Er glaubte nicht daran, dass er in einer Midlife-Crisis steckte, dazu war er eigentlich noch zu jung. Aber er musste sich Klarheit über sein zukünftiges Leben verschaffen. Und dazu musste er raus, raus aus seiner Wohnung, raus aus Bremen. Zu weit weg fahren wollte er nicht, und noch wichtiger war ihm, dass es dort, wo er die nächsten Wochen verbringen würde, absolut ruhig war.

Zuerst hatte er in die Lüneburger Heide reisen wollen, aber wenn er ehrlich war, fehlten ihm die Wälder, und auch ein paar Berge wären ganz nett gewesen. Und so hatte er sich, weil hier einfach alles zusammenpasste, den Harz als Reiseziel auserkoren und darum gebeten, seinen Urlaub vorziehen zu dürfen. November war zwar vielleicht nicht die ideale Jahreszeit dafür, aber wandern konnte man immer, und die Städtchen und Sehenswürdigkeiten, die er sich anschauen wollte, wären dann zumindest touristisch nicht so überlaufen.

Wandern ist gut zum Nachdenken, hatte er gedacht, und zum Abschalten. Der Harz hatte viel zu bieten, Natur pur, hübsche Städtchen mit viel Flair, Schlösser und Museen. Genau das Richtige, um wieder zu sich selbst zu finden. Einen ganz kurzen Moment hatte er dann doch gezögert, denn in die Sonne Australiens zu fliegen und das tiefe Blau des endlosen Pazifiks auf sich wirken zu lassen, wäre natürlich genial, um Abstand zu gewinnen und abzuschalten. Doch alleine hatte er die weite Reise dann doch nicht antreten wollen, zu viele Erinnerungen wären damit verbunden gewesen, denn Christiane hatte mit großem Eifer die Planung in die Hand genommen.

Doch nicht nur der Bruch in seiner Beziehung zu Christiane machte ihm zu schaffen. Auch beruflich war etwas geschehen, was ihn, den Polizisten durch und durch, in seinen Grundfesten erschüttert hatte. In all den Jahren, in denen er bei der Polizei war, hatte Heiner nur zwei Kollegen gekannt, die durch eine falsche Entscheidung an den Rand eines Nervenzusammenbruchs geraten waren. Einer hatte sich in den Innendienst versetzen lassen, der andere hatte den Dienst quittiert. Ob der ganze Ärger mit Christiane eine Mitschuld daran trug, dass auch er zu einer solch gravierenden Fehleinschätzung gekommen war? Er wusste es nicht. Nachdem es zu diesem fatalen Irrtum gekommen war, hatte die interne Ermittlung ihre Arbeit aufgenommen. Doch Heiner Hölzle war kein dienstliches Vergehen nachzuweisen gewesen. Er selbst hatte das Gespräch mit dem Polizeipsychologen gesucht, der ihm empfohlen hatte, die vier Wochen als Auszeit zu nutzen.

Hölzles Gedanken wanderten von seinem Beziehungsende zu dem Einsatz, der ihm bis heute keine Ruhe ließ. Vor etwas mehr als zwei Monaten waren er und Harry durch den Anruf eines besorgten Nachbarn zu einer Wohnung in der Vahr gerufen worden. Aus der Wohnung über ihm seien Schreie zu hören, so der Nachbar, das Weinen eines Kindes, Geräusche, wie durch Schläge verursacht. Es war ein eindeutiger Fall von häuslicher Gewalt, dazu kam für die Polizisten die Sorge, dass ein Kind körperlich bedroht wurde. Als er und Harry zu der Wohnung kamen, hatte sich ihnen ein chaotisches Szenario geboten.

Ein kleines kaum zwei Jahre altes Mädchen wurde von einem Mann, vermutlich dem Vater, festgehalten. An den Armen des Kindes zeigten sich blaue Flecken, das Gesichtchen war gerötet vom jämmerlichen Weinen. Die Beamten konnten nur mutmaßen, wo sich sonst noch weitere Hämatome an dem kleinen dünnen Körper befanden und welchen Qualen das Kleinkind ausgesetzt worden war. Die mutmaßliche Mutter des Mädchens schrie und prügelte auf den Vater ein, schlug ihm ins Gesicht und versuchte, das Kind von ihm wegzuzerren. Harry und Hölzle mussten umgehend eingreifen. Harry stoppte die Frau, während Hölzle den Mann zurückdrängte, ihm das nun fast apathisch wirkende Kind entwand und es schützend hinter sich zog. Weitere Polizeibeamte trafen ein, und er ordnete an, den Vater in Gewahrsam zu nehmen, Mutter und Kind umgehend in ein Krankenhaus zu bringen. Wie sich herausstellte, lebten die Eltern getrennt, dem Vater wurde ein Umgangsverbot erteilt. Gleichzeitig erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Kindesvater wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen.

Keine drei Wochen nach diesem Einsatz mussten er und Harry erneut zu der Wohnung, nachdem Nachbarn die Polizei angerufen hatten. Wieder seien klägliche Schreie eines Kindes aus der Wohnung gedrungen. Harry musste die Tür aufbrechen. Und dieses Mal fanden sie das Kind bewusstlos in seinem Bettchen. Davor kauerte die Mutter, stark betrunken.

Als Harry sie aufforderte, zu sprechen, zu erklären, was vorgefallen war, war die Frau hochgradig aggressiv geworden, hatte Harry angespuckt. Wie nun offensichtlich wurde, war die Mutter wohl auch bereits beim ersten Mal die Person gewesen, von der die Gefahr für das Kind ausgegangen war, denn der Vater befand sich dieses Mal überhaupt nicht in der Wohnung. Es hatte Hölzle wie ein Faustschlag erwischt, als Harry und er erkennen mussten, dass sie, und vor allem er selbst als Harrys Vorgesetzter, beim ersten Einsatz eine fatale Fehlentscheidung getroffen hatten.

Aufgrund der sich darbietenden Situation war Hölzle davon ausgegangen, der Vater des Mädchens sei derjenige, der das Kind geschlagen hatte. Doch damit hatte er vollkommen falsch gelegen. Den damals gestammelten Unschuldsbezeugungen des Vaters hatte niemand Glauben geschenkt, die Situation war eindeutig gewesen. Hatten sie angenommen. Diese Fehleinschätzung musste die Kleine nun bitter bezahlen. Die Mutter hatte das Kind, das nicht hatte einschlafen wollen, immer und immer wieder geschüttelt. Durch das erlittene Trauma würde es in seinen geistigen Fähigkeiten lebenslang eingeschränkt bleiben.

Hölzle fühlte sich schuldig. So etwas war ihm noch nie passiert, immer hatte er in all den Jahren die richtige Entscheidung getroffen, und nun war ein Kind schwer verletzt worden, hatte durch seinen fatalen Fehler seine Gesundheit eingebüßt. Was war nur mit ihm los? Hatte er seinen Instinkt, sein Bauchgefühl verloren?

An der nächsten Abfahrt blinkte Hölzle und verließ die Autobahn. Seine Route führte ihn in Richtung Blankenburg, wo er sich in der Umgebung in aller Abgeschiedenheit eine nette Pension suchen wollte. Spontan entschied er sich für das knapp sieben Kilometer entfernte Maarode, ein, wie er hoffte, verschlafener kleiner Ort. Ganz in der Nähe des Blauen Sees gelegen, wie ihn ein Hinweisschild wissen ließ. Gemächlich lenkte er seinen Wagen durch die Ortschaft. Entlang der Hauptstraße reihten sich verschiedene Läden und ein Café, zentral lag die Kirche, deren Turm vom Auto aus zu sehen war. Die zumeist als Fachwerkbauten errichteten Häuser waren in ganz unterschiedlichem Erhaltungszustand. Die meisten waren herausgeputzt, ein paar wenige total heruntergekommen.

Wahrscheinlich wohnt do scho länger niemand, ond koiner kümmert sich drum, sinnierte Hölzle. Nicht selten waren Erbengemeinschaften daran schuld, wenn Häuser nach und nach verfielen. Vor allem nach der Wende konnten sich Ost- und Westdeutsche meist nicht einigen, und man ließ die Objekte lieber verfallen, als dass man sie einem Verwandten gegönnt hätte.

Die Kirche erschien ihm für den kleinen Ort erstaunlich groß. Ihr mächtiger schiefergedeckter Turm ragte hoch hinaus. Die Hauptstraße war wie ausgestorben. Hölzle fuhr langsam an den Häusern mit ihren Vorgärtchen vorbei, hatte den Eindruck, dass die eine oder andere Gardine kurz zur Seite gezogen wurde. Hier passierte offensichtlich nicht viel, wenn die Bewohner schon einem durch die Straße kriechenden Auto hinterher schauten. Aber genau das suchte er ja: Ruhe.

Gespannt hielt er links und rechts Ausschau nach einer einladenden Unterkunft. Ein offenbar selbst gemaltes Schild mit der Aufschrift Gasthof Harzer Krug und einer naiv gepinselten kleinen Baumgruppe darunter erregte seine Aufmerksamkeit. Das könnte genau das sein, was er suchte. Er bog links ab, und nach 300 Metern sah er den gemütlich aussehenden Gasthof schon. Ähnlich wie die Kirche hob sich das Haus aus der Schar der Fachwerkwerkhäuser hervor. Es war aus Sandstein errichtet, und die Eingangstür war von einer aufwendigen Rahmung, ebenfalls aus Sandstein, gefasst, in die eine umlaufende Ranke hineingemeißelt war.

Des isch’s, freute sich Hölzle, parkte den Tiguan auf einem der vorgegebenen Parkplätze seitlich des Gasthofes und stieg aus. Drei Steinstufen führten zur Eingangstür, und Hölzle betrat den in hellen Farben gestalteten Rezeptionsbereich. Er war positiv überrascht. Hier gab sich jemand richtig Mühe. Suchend schaute er sich um, doch es war niemand zu sehen. Auf dem Tresen der Rezeption entdeckte er eine kleine Klingel. Übermütig klopfte er mit der flachen Hand auf den Knopf und wartete. Neugierig ließ Hölzle seine Blicke schweifen. Nach links ging es in den Gastraum, rechts führte eine Treppe in die oberen Geschosse. Die Holztreppe wirkte ausgetreten, irgendwie gemütlich. Der Handlauf des Geländers war dunkelrot gestrichen. So hatte es auch im Treppenhaus seiner Großmutter ausgesehen. Über dem Zugang zur Schankstube hing eine Holztafel – eine Baumscheibe, die rundherum wie angesengt wirkte – mit der freundlichen Aufforderung ›Kehr ein‹. Auch nett.

Zwei Minuten nach dem sanften ›Bing‹ der Klingel erschien eine sympathisch aussehende dunkelhaarige Frau mittleren Alters. Sie war klein und mollig, und ihre geröteten Pausbacken ließen vermuten, dass sie gerade von einer körperlich anstrengenden Arbeit an die Rezeption geeilt war.

»Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«, fragte sie freundlich und etwas atemlos.

»Haben Sie ein Einzelzimmer frei?«

»Sicher. Für eine Nacht?« Sie lächelte ihn an.

Hölzle schüttelte den Kopf.

»Zwei Wochen, wenn’s geht«, antwortete Hölzle und schenkte der Frau ein jungenhaftes Grinsen.

»Sicher, selbstverständlich. Um diese Jahreszeit ist das kein Problem. Die meisten Touristen sind schon wieder weg und die Skifahrer noch nicht da. Das Zimmer kostet eigentlich 35 Euro die Nacht, aber bei zwei Wochen mache ich Ihnen einen günstigeren Preis. 420 Euro. Frühstück ist mit dabei.«

Hölzle strahlte.

»Das klingt perfekt, vielen Dank.«

Sie legte ihm ein Formular und einen Kugelschreiber hin. Hölzle füllte die Zeilen aus, unterschrieb und schob ihr das Papier zurück.

»Oh, Sie kommen aus Bremen, Herr Hölzle«, stellte sie fest, als sie einen Blick auf den Zettel geworfen hatte. »Schöne Stadt. Ist schon ein paar Jahre her, dass wir dort gewesen sind. Mir und meinem Mann hat Bremen gut gefallen. Wir waren zum Freimarkt da, ein tolles Fest. Ich bin übrigens die Erika. Erika Pohl.«

Sie drehte sich um und nahm den Schlüssel mit der Nummer zwei von einem hinter dem Tresen angebrachten Bord. Lediglich ein zweites Zimmer schien vermietet, ansonsten hingen sämtliche Schlüssel mit ihren klobigen polierten Metallanhängern an den Haken.

»So, ich geb’ Ihnen die Zwei. Das ist das geräumigste Zimmer, hat ein Doppelbett und das größte Badezimmer. Zudem haben Sie von dort die schönste Aussicht. Gleich hier um die Ecke die Treppe rauf und dann die zweite Tür links.«

»Haben Sie vielen Dank, Frau Pohl.« Er nahm den Schlüssel entgegen, schob ihn in seine Jackentasche.

»Ach was, Erika reicht.«

Hölzle grinste. »Heiner.«

Eine knappe halbe Stunde später hatte sich Hölzle in dem hellen, gemütlichen Zimmer eingerichtet und sich frisch gemacht. Das Zimmer war sauber, und die Matratze machte einen bequemen Eindruck. Am Fenster hatte Erika – oder wer auch immer – einen kleinen runden Tisch platziert, daneben zwei dunkelrote Sesselchen und eine Stehlampe. Den Tisch schmückte eine kleine Kristallvase mit künstlichen Blumen. Und die Aussicht war, wie Erika versprochen hatte: Der Blick ging über einen gepflegten Bauerngarten mit akkurat angelegten Beeten bis an den Waldrand, wo sich nicht minder akkurat Fichten aneinanderreihten. Gegenüber dem Bett hing ein erstaunlich moderner Flachbildfernseher, die Fernbedienung lag auf einem kleineren Schreibtisch, der direkt unter dem Fernseher stand. Ein vergrößertes Foto über dem Bett zeigte den Brocken, sein Gipfel in Nebelschwaden gehüllt. Auch vom Badezimmer war Hölzle angenehm überrascht. Vor allem die große Dusche mit halbrundem Einstieg imponierte ihm. Das Bad besaß sogar ein Fenster, nicht eben Standard bei einer Pension, wo die Badezimmer meist fensterlos waren und die Lüftung zu wünschen übrig ließ. Hölzle zog sich um und ging wieder nach unten.

Erika telefonierte hinter ihrer Rezeption, und Hölzle wartete geduldig, bis sie auflegte.

»Ich wollte fragen, ob die Gastwirtschaft schon geöffnet ist, oder habt ihr noch geschlossen?«

Sie schaute auf ihre Armbanduhr.

»Naja, um die Uhrzeit ist noch niemand in der Küche, aber ich kann Ihnen auch eine Kleinigkeit machen, Heiner. Allerdings nur kalte Küche. Ich muss noch schnell nach Blankenburg, ein paar Besorgungen erledigen.«

»Das ist nett, aber machen Sie sich keine Umstände, ich find schon was. Eine Bäckerei habe ich vorhin an der Hauptstraße entdeckt. Da bekomme ich sicher …«

Mit einer Handbewegung schnitt Erika ihm das Wort ab.

»Nein, kein Problem. Wir haben frische geräucherte Forellen, wenn das was für Sie wäre.«

»Lecker. Das nehm ich gern. Und ein Pils dazu, bitte.«

Sie nickte und zeigte auf die Tür zur Gaststube. Die Zeit, bis das Essen kam, überbrückte Hölzle mit einem ersten Blick in das hiesige Zeitungsblatt, den Harzer Bote. Landfrauentreffen mit Verkauf von Selbstgemachtem für einen guten Zweck, Aufführung eines Theaterstücks in der Aula eines Gymnasiums, ebenfalls für karitative Zwecke, Versammlung der Freiwilligen Feuerwehr nächsten Freitag, Prämierung eines Jungbullen mit Foto des stolzen Züchters. Ja, hier war die Welt noch in Ordnung. Erika brachte ein frisch gezapftes Pils, und etwa eine Viertelstunde später stand vor Hölzle ein appetitlich angerichteter Teller mit Räucherforellen, Preiselbeermeerrettich, einem kleinen frischen Salatbouquet und dunklem knusprig gebackenem Brot. Mit dem zweiten Pils beglückwünschte er sich zur Wahl seiner Pension. Hier konnte er sich bestimmt gut erholen. Dass er sich damit richtig täuschen sollte, konnte er nicht ahnen.

Sonntag zuvor

Aus dem Tagebuch eines Scharfrichters. Den 28. February, 1648. Elysabeth Mechtlin nach ihrem Vater, Christoff Sahrs, Zuckhermachers Weyb, am Weinmarckh, so zum drittenmal die Ehe gebrochen, er sie allemal wieder angenommen, letztlich mit einem davon zogen, hin und wieder Hurerey getrieben, alß ein gemeine Hur, auch mit zweyen leiblichen Brüdern, Hannßen Schneyder, der auch Zuckhermachern, zwischen den Fleischbenckhen Unzucht getrieben, außgnaden mit dem Schwerdt gericht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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