Rache für Opi - Klaus Möckel - E-Book

Rache für Opi E-Book

Klaus Möckel

4,8

Beschreibung

Matthias hat sich die Trauerfeier für seinen verstorbenen Opa etwas anders vorgestellt, als sie in Wirklichkeit abläuft, etwas lustiger vielleicht, weil der Verblichene ein lustiger Mensch war. Doch nachdem die Tanten und Onkel, die Cousinen und Cousins, die Dicke aus Großkleinbach und auch die Eltern ein paar Worte über die Beerdigung ausgetauscht haben, beginnen sie plötzlich über das Erbe zu streiten. Das findet der Junge gar nicht gut. Er verteidigt seinen Großvater gegenüber der gleichaltrigen Cordula, wobei es zur Rangelei kommt. Als er versehentlich ein Glas umwirft und überhaupt einiges zu Bruch geht, wird er aus dem Zimmer geschickt. Der Elfjährige fühlt sich aus gutem Grund ungerecht behandelt. Allein gelassen und traurig, nimmt er sich vor, den Opi zu rächen. Er denkt lange nach, und schließlich kommt ihm eine großartige Idee! Diese von Überraschungen geprägte, turbulente Geschichte bietet dem Leser Lachen unter Tränen. Sie spricht mit ihren Wahrheiten und Dialogen, die dem Leben abgelauscht sind, sowohl Kinder als auch Erwachsene an.

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Impressum

Klaus Möckel

Rache für Opi

ISBN 978-3-86394-837-5 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2012 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

1. Kapitel

Anfangs war alles ziemlich traurig und langweilig, wir sollten nicht herumrennen, keine laute Musik aufdrehn und nicht mal fernsehn, obwohl ein ganz spannender Film über Dinos lief. Die totale Ödnis.

"Da kann man nichts machen, das ist immer so, wenn jemand begraben wird", sagte Cordula, und in diesem Fall hatte sie recht, sie wusste Bescheid. Im vorigen Jahr waren ihre andere Oma und ihr anderer Opa kurz hintereinander gestorben.

"Das ist immer so, aber später kann's dann ganz munter werden", wiederholte Cordula, "und manchmal vielleicht sogar lustig. Bei Opa war's zwar ziemlich müde, weil Oma noch lebte und alle sie trösten mussten, die hat den ganzen Tag geweint. Da gab's auch nichts zu erben und zum Trinken nur Kaffee, aber als sie dann selber krank wurde, sodass ihr niemand mehr helfen konnte, ich meine bei ihrem Tod, war's schon anders. Da haben die Leute sich nämlich aufs Testament gespitzt. Erst hat Mama zwar ein bisschen geheult, Papa hat ein finsteres Gesicht gemacht, und auch die übrigen Gäste saßen mit Trauermienen herum, wie sich das gehört. Doch als Tante Lu die Hähnchenkeulen brachte, die Chips und den Schnaps, haben sie alle mächtig reingehaun, einen zur Brust genommen und sogar Witze erzählt. Ich hab bloß nicht richtig zugehört, weil ich mit Omas Katze beschäftigt war, so einer dicken, schwarzen. Es war niemand anderes zum Spielen da, das weiß ich noch."

"Später gefällt's dir vielleicht", betonte Cordula nochmals, die mächtig herumquasselt, aber in diesen Dingen Erfahrung hatte, und so haben wir halt nebeneinander auf dem Sofa gesessen, ein bisschen geredet und abgewartet. Vorher waren wir noch drüben im kleinen Zimmer gewesen, hatten uns Bilder angesehn. Aus Zeitschriften und Büchern, nur kamen wir nicht miteinander klar. Ich interessiere mich für Autos, Segelboote und Flugzeuge, auch für Sport, sie aber für die Klamotten der Leute. Vor allem für den Fummel von Frauen. Einmal war eine Königin abgebildet, eine richtige, da flippte sie fast aus. Obwohl die gar nichts Besonderes anhatte, einfach ein blaues Kleid und einen komischen Hut auf dem Kopf, ich hätte beinahe gelacht. "Das ist die Kwien", sagte Cordula, "die sieht damit sehr elegant aus."

"Kwien? Heißt sie so? Ich denke, sie ist eine Königin?"

"Na klar ist sie eine Königin, die englische, habt ihr denn kein Englisch in der Schule?"

Ich murmelte was in der Art, dass wir gerade erst mit Englisch angefangen hätten, und das stimmte auch, denn Cordula ist zwar elf wie ich, aber trotzdem ein halbes Jahr älter und dadurch in einer höheren Klasse. Außerdem scheint es bei ihnen an der Schule insgesamt besser zu klappen. Bei uns herrscht seit der Wende ein ziemliches Chaos, sie können sich nicht einig werden, was für Bücher wir für den Unterricht nehmen sollen, und hast du dich heute an einen Lehrer gewöhnt, ist morgen schon ein anderer da. Zoff mit den größeren Schülern gibt's gleichfalls. Deshalb wusste ich das mit der Kwien nicht, und mir war's auch nicht so wichtig.

"Englisch ist mein Lieblingsfach", erklärte sie noch, "yes, Mister."

Ich kam mir nicht wie ein Mister vor, schon gar nicht, als wir weiterblätterten und auf einmal ein Turner abgebildet war, der genau wie Opa aussah, bloß viel jünger. Er hatte die gleichen lustigen Augen, die gleiche dicke Nase und wie er eine tiefe Querfalte auf der Stirn. Allerdings bedeutend mehr Haare auf dem Kopf und schmalere Hände. Das fiel mir auf, weil er die Arme nach vorn streckte. Trotzdem wurde mir flau, als ich ihn so lebendig sah.

"Wie ulkig hockt denn der da", sagte Cordula.

"Der hockt nicht ulkig da, er hat gerade einen Abgang vom Reck gemacht, das sieht man doch."

"Und weshalb zieht er die Beine an?"

"Weil er sich abfedern muss, damit er in den Stand kommt. Er ist noch halb im Flug, erreicht in dieser Sekunde den Boden."

"In den Stand?" Sie kicherte.

"Ja, das gehört doch zur Übung dazu. Schließlich will er eine gute Wertung haben."

Sie kicherte weiter, und ich merkte, dass sie keine Ahnung hatte. Das brauchte sie auch nicht, sie wusste dafür ja was anderes, zum Beispiel das mit der Kwien. Aber ihr Kichern war albern, vor allem weil's eigentlich um Opi ging. Na ja, meine Cousine Cordula wohnte mit ihren Eltern weiter weg, oben an der Ostsee, deshalb war sie nicht so oft hier gewesen. Sie hatte Opi nicht halb so gut gekannt wie ich.

Dann hatten wir die Zeitschriften satt, und weil die Erwachsenen vom Friedhof eintrudelten, gingen wir ins Wohnzimmer zurück, setzten uns aufs Sofa. Damit wir nicht im Weg standen.

Außerdem wollte Mama das so, weil wir dann von allen begrüßt werden konnten. Mir passte das gar nicht, aber Cordula schien es zu gefallen, sie saß brav da und machte auf Prinzesschen. Sie strich dauernd an ihrem Kleid herum, warf jeden Augenblick die langen blonden Haare nach hinten. Ich hatte Lust, sie daran zu ziehen, weil sie das absolut nicht mochte, ganz runde Augen kriegte und genau wie Tante Eva, ihre Mutter, sagte: "Lass das, Matthias!" Aber ich hab mich nicht getraut, es war zu feierlich. Das lange weiße Tafeltuch war über die beiden zusammengestellten Tische gelegt, und die große Kerze brannte mitten am Tag. Dazu noch die Stehlampe in der Ecke. Opas Foto unter der geschnitzten Uhr, die man so laut ticken hörte, wenn es still im Raum war, hatte einen schwarzen Rahmen bekommen, von Frau Stillner, glaub ich, und alle waren furchtbar ernst. Bloß die Hände rieben sie sich, die eine Cousine von Mama, sie war aus Leipzig, hauchte sogar hinein. Onkel Fred aber, Cordulas Vater, schlug die Füße gegeneinander, weil es draußen so kalt gewesen war.

"Ich hab dir doch gesagt, du sollst die hohen Schuhe anziehen und ein paar andere Strümpfe", sagte Tante Eva, "aber du weißt es ja immer besser."

"Und du? Hättest du auf dem Friedhof etwa nicht die dicke Jacke gebrauchen können, wie ich's dir geraten habe?"

"Die Jacke ist viel zu hell", erwiderte die Tante, "was hätten die Leute gedacht?"

"Sonst fragst du doch auch nicht danach, was die Leute denken", sagte er wieder.

"Bei solchen Angelegenheiten schon. Im Gegensatz zu dir, wie man merkt."

"Streitet euch nicht, heute, wo wir Vater unter die Erde gebracht haben", schaltete sich da Mama ein und sah die beiden vorwurfsvoll an. Onkel Fred zuckte die Achseln, auch Tante Eva verzog den Mund, als wollte sie widersprechen. Doch sie ließ es lieber sein, was sonst gar nicht ihre Art war, sodass ein Schweigen eintrat.

Dann trafen noch weitere Trauergäste ein, die mit zur Beerdigung gewesen waren. Papas Bruder aus Hannover mit seiner Frau, eine zweite Cousine von Mama, ein alter Freund von Opi - das behauptete er wenigstens -, insgesamt mehr als ein Dutzend Leute. Ich kannte sie gar nicht alle, zwei oder drei stammten aus einem Ort, der noch weiter weg lag als Leipzig, Rostock oder Hannover und Großkleinbach hieß. Oder so ähnlich, jedenfalls verkorkst. Auf der Landkarte war er auch nicht zu finden, das habe ich später überprüft. Sie begrüßten Cordula und mich, als ob wir uns jeden Tag sehen würden: "He Mädchen, he Junge, wie geht's, was macht die Schule, wie waren die Winterferien", sie klopften uns auf die Schultern, und manche knutschten an uns herum. Manche von den Frauen, meine ich. Bei Cordula mochte das ja noch angehn, Mädchen sind das gewöhnt, die knutschen zurück, machen Zucker-und-Zimt-Gesichter. Ich aber kann das nicht leiden. Einer Dicken aus diesem Kleingroßbach oder so ähnlich, die mich an ihren Wabbelbauch drückte und überhaupt nicht wieder loslassen wollte, hab ich auf den Fuß getreten. Nicht mit aller Kraft, aber doch so, dass sie's merkte. Sie ist mit einem "Au!" zurückgefahren, und ich hab getan, als war's aus Versehen passiert. Ich nehme allerdings an, dass sie das nicht geglaubt hat.

Jedenfalls kamen alle diese Leute herein und begrüßten uns, denn sie waren irgendwann in der Nacht oder am Morgen angereist und wir ja als Einzige nicht mit auf dem Friedhof gewesen. "Das muss nicht sein, wir sind auch so genug Personen", hatte Mama gesagt, "du bleibst hier bei Frau Stillner, da bist du besser aufgehoben."

Als Tante Eva das hörte, schloss sie sich dem gleich an. "Du hast recht, Monika, das Kücken ist sowieso viel zu sensibel, weshalb die Kinder damit belasten, es reicht, wenn wir uns die Füße erfrieren."

Da brauchte das Kücken Cordula - bei dieser Bezeichnung wurde sogar sie sauer - gleichfalls nicht mit auf den Friedhof. Was Vor- und Nachteile für mich hatte, ich hab es schon erwähnt. Einerseits war ich nicht allein mit der alten Nachbarsfrau, andererseits konnte man mit Cordula eben nur wenig anfangen. Zumal das Wetter wirklich mies war. Wind und ein eisiger Regen, im Hof nichts als Pfützen, und vorm Haus, wo seit einem halben Jahr irgendwelche Rohre verlegt wurden, der reinste Morast.

Zum Glück blieb uns noch der Gameboy, aber da jeder von uns mit dem Kasten spielen wollte und keiner zugucken, war's auch nicht die reine Freude. Mama wäre schon wegen Tante Eva unzufrieden gewesen, wenn ich Cordula nicht rangelassen hätte, nur stellte die sich echt blöde an. Wahrscheinlich hätte sie mir das Ding auf Dauer kaputtgemacht, und das konnte ich nicht riskieren. Deshalb tat ich so, als funktioniere es nicht mehr richtig, und packte es in meine Reisetasche zurück. Sie merkte nichts von dem Schwindel, war sogar ein bisschen kleinlaut, weil sie es zuletzt in der Hand gehabt hatte.

Da sahen wir uns dann also die Bilder in den Zeitschriften an, was ich schon erzählt habe, und halfen Frau Stillner, die hauptsächlich herübergekommen war, um den Leichenschmaus vorzubereiten. Na ja, was so helfen heißt, vor allem haben wir genascht. Wobei dieses "Leichenschmaus" ein schlimmes Wort ist, besonders wenn man an Opi denkt, der im vorigen Jahr noch im Garten Fußball mit mir gespielt und mir die Armbrust erklärt hat. Es ist, als wollte man ihn aufessen. Aber Frau Stillner, die sonst mächtig in Ordnung ist, sprach immer nur von "Leichenschmaus", davon war sie einfach nicht abzubringen.

2. Kapitel

"Der Pfarrer hat eine schöne Rede gehalten", sagte Onkel Fred, als alle Gäste eingetroffen waren, sich die Mäntel ausgezogen und auf den Stühlen, in den Sesseln rund um die Tafel Platz genommen hatten. "Er hat die Lebensstationen richtig plastisch dargestellt, die Kindheit, die schwere Zeit nach dem Krieg, wo sie kaum was zu essen hatten, die Arbeit in der Metallfabrik. Bloß bei der Familie hat er geschwindelt. Man soll ja nichts Schlechtes über die Toten sagen, aber um euch hat er sich kaum gekümmert. Eigentlich gar nicht." Dabei schaute er Mama und dann seine Frau, die Tante Eva, an.

Tante Eva zuckte die Achseln, aber Mama wurde ein bisschen rot, das Gerede ärgerte sie offenbar. Sie erwiderte: "Erstens hat der Pfarrer nicht geschwindelt, Vater war durchaus für die Familie da, früher jedenfalls, wo's drauf ankam, das kannst du gar nicht beurteilen. Und zweitens solltest gerade du still sein. Hast ja auch nicht immer an Frau und Kind gedacht, wenn's nötig gewesen wäre."

Eine der Cousinen von Mama, die aus Leipzig, glaube ich, kicherte kurz, verstummte aber sofort wieder, als hätte sie sich bei etwas Ungehörigem ertappt. Die Verwandten aus Hannover guckten erstaunt, die anderen Trauergäste machten ein betretenes Gesicht. Papa sagte: "Na, na, na, fang jetzt nicht mit den alten Geschichten an."

"Vor allem nicht vor den Kindern", ergänzte Tante Eva, "und an solch einem Tag."

"Warum muss er uns auch dauernd provozieren", gab Mama etwas verlegen zur Antwort, "er weiß doch, dass ich in diesem Punkt empfindlich bin."