Radioaktivität - Elmar Träbert - E-Book

Radioaktivität E-Book

Elmar Träbert

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Beschreibung

Von natürlicher Strahlung bis Fukushima: Was Sie schon immer über Radioaktivität wissen wollten – und bisher nicht verstanden haben Der Begriff »Radioaktivität« lässt aufschrecken, man denkt an etwas nicht Greifbares, schleichende Gefahren, Reaktorkatastrophen, schmutzige Bomben, an nukleare Verstrahlung und Verwüstung. Zwar haben Windscale/Sellafield, Tschernobyl und andere, weitgehend geheim gehaltene Unfälle mit kerntechnischem Material tatsächlich ganze Landstriche unbewohnbar gemacht, Menschen verstrahlt und manchen einen vorzeitigen Tod gebracht, aber für die weitaus meisten Menschen in der Welt blieben die Auswirkungen bisher unbedeutend. Fukushima hat uns erneut aufgerüttelt. Nach dem Erdbeben und dem nachfolgenden Tsunami nordöstlich von Tokio trat eine weitere Katastrophe ins Blickfeld: die an einem Kernkraftwerk mit mehreren Reaktoren entstandenen Schäden, die Evakuierung von zigtausend Einwohnern einer allmählich ausgeweiteten Region, die Befürchtungen für die Wasserversorgung Tokios, Radioaktivität im Meer … Was bedeutet das für die japanische Bevölkerung, was für uns, die wir so fern von Japan leben?Wer weiß schon, dass die natürliche Radioaktivität uns Menschen seit jeher begleitet, dass unsere Körperzellen seit jeher darauf eingestellt sind, Schäden durch radioaktive Strahlung oder andere Ursachen, sofern sie nicht zu häufig auftreten, zu reparieren? Aber wo liegen die Grenzen dessen, was wir gefahrlos verkraften? Elmar Träbert stellt die physikalischen Zusammenhänge ohne Formeln dar, erläutert Strahlenarten, Strahlungsmessung, Strahlungsquellen (in Medizin, Kraftwerken und Waffentechnik) und den Umgang damit in allgemein verständlicher Weise. Er beschreibt Kernkraftwerke und deren Sicherheitsprobleme, Strahlentherapie, Uranmunition und Uranbergbau. Wer diese Zusammenhänge kennt, kann mit seinen eigenen Ängsten besser umgehen und einige davon vielleicht auch abbauen. Er kann auch durchschauen, was die verschiedenen Interessengruppen im Zusammenhang mit radioaktivem Material behaupten – und sich seine eigene Meinung bilden.

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Seitenzahl: 286

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Elmar Träbert

Radioaktivität

Was man wissen muss Eine allgemeinverständliche Darstellung

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Elmar Träbert

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur ersten Ausgabe

Vorwort zur Neuausgabe

»So nah waren wir Tschernobyl noch nie!«

Natürliche Radioaktivität

Strahlen von oben und von unten: Sonnenenergie und Erdwärme

Winzlinge

Wir sind Sternenstaub

Sonnenbrand und andere Strahlenschäden

Alpha, Beta, Gamma: das ABC der Kernstrahlung

Die Erfindung des Geigerzählers

Wie radioaktiv ist der Mensch?

Röntgenstrahlung im Schuhgeschäft

Radioaktivität … in uns und um uns und um uns herum

Radon-Therapie in Höhlen

Höhenstrahlung im Flugzeug und auf den Bergen

Energiereiche Strahlung in Wissenschaft, Medizin und Alltag

Wege und Irrwege

Mutanten in der Pflanzenzucht

Diesseits des Van-Allen-Gürtels

Radioaktiv markiert

Heilen und zerstören mit Strahlentherapie

Einsatz der Kobaltbombe

Hoffnung durch Schwerionentherapie

Radioaktivität im Körper: Radionuklide

Tomografie (PET)

Magnetresonanztherapie (MRT)

Bestrahlung von Lebensmitteln

Rauchmelder

Kernwaffen und Politik

Der Kalte Krieg ist nicht zu Ende

Die Erfindung der Kernwaffen

Die Hinterlassenschaften der Kernwaffenproduktion

Unter der Erde, unter Wasser, in der Höhe und im Weltall: Kernwaffentests

Kernwaffen und Atoms for Peace

Uranmunition – eine geniale Entsorgungsstrategie

Kernenergienutzung

Friedliche Kernenergienutzung – gibt es die?

Von Uranbergwerken und Abraumhalden

Kern- und andere Kraftwerke

Auch Kohlekraftwerke strahlen

Vom Brennelement bis zur Endlagerung

Der Politik-Kernkraft-Komplex

Störfall – Krümmel, Tschernobyl, Fukushima …

Sind Kernkraftwerke wirtschaftlich zu betreiben?

Wirkungsgrade: Abwärme und Fernwärme

Sicherheit ist relativ

Auf der Suche nach dem Fusionskraftwerk

Radioaktivität kann nutzen und schaden

Nachwort

Hinweise zum Weiterlesen

Tabelle zur Strahlenbelastung

Erläuterung von Begriffen und Abkürzungen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur ersten Ausgabe

»Radioaktivität ist etwas ganz Schlimmes« – aber was? Strahlenverseuchung, Tschernobyl, Atombombe sind zu Recht Schreckensbegriffe der Menschheit. Die größte Angst hat aber jeder vor Dingen, die man nicht kennt. Als die radioaktive Wolke aus Tschernobyl sich ausbreitete, glaubten manche Kleingärtner, sie müssten aus ihrem Gemüsegarten alles rausreißen, denn »da ist überall Atom drin!«. Auf Geheiß der Behörden wurden radioaktiv (leicht) belastete Salatfelder zwischen Bonn und Köln abgeräumt – und die billig erworbene Ernte wurde dann von findigen Holländern weiterverkauft. Mit der Angst vor Unbekanntem versuchen manche Politiker (die in vieler Hinsicht selbst nicht genug wissen und auch Angst haben), Zutrauen ausgerechnet zu ihnen selbst zu wecken. Horrorfilme bewirken Angst, solange man die Masken und Spezialeffekte nicht als solche durchschaut – wenn man das tut, kann man über die Filmtechnik staunen und oft über die Filmhandlung und die Schauspieler lachen.

Radioaktivität, Kernstrahlung, Kernkraftwerke, Atommüll und Atomwaffen sind aber nicht nur Schlagworte und Filmkulissen, sie existieren wirklich, und sie sind mit schrecklichen Gefahren verbunden – letzthin, im Fall des Geheimdienstlers Litwinenko, diente radioaktives Material sogar als Mordwaffe. Dennoch ist aber nicht alles schrecklich an der Radioaktivität: Sie ist ein natürlicher Prozess, der Zerfall instabiler Atomkerne. Ohne Radioaktivität gäbe es die Welt, die wir kennen, nicht – und uns selbst damit auch nicht. Wir Menschen sind selbst radioaktiv, und das schon immer, also lange, bevor die Wissenschaft die Radioaktivität bemerkt hat und sich mit ihr beschäftigt.

Wie in der Medizin, kommt es auch beim Umgang mit Radioaktivität auf die Dosis an. Bei vielen Medikamenten ist eine kleine Menge hilfreich und eine große Menge schädlich. Beim Essen ist eine kleine Menge vielleicht nicht ausreichend, um den Hunger zu stillen, aber viele von uns essen täglich eine kleine Menge zu viel, und das schadet der Gesundheit langfristig durchaus. Beim Umgang mit Radioaktivität hat noch niemand beweisen können, dass eine geringe Menge für ein lebendes Wesen von Vorteil wäre (auch wenn es Leute gibt, die so etwas behaupten); eine große Menge ist aber nachweislich schädlich. Unsere Körperzellen sind darauf eingerichtet, das Erbmaterial (DNS) in den wichtigen Zellen fortlaufend zu reparieren. Das ist offenbar nötig, weil eine Vielzahl von Strahlungen und von chemischen Einflüssen immer wieder zu Schädigungen führt. Die Evolution kommt also mit einem gewissen Maß an Strahlenschäden zurecht, sonst gäbe es unsere Vorfahren und uns selbst nicht. Diese natürliche Reparaturfähigkeit bietet uns Menschen die Möglichkeit, mit Radioaktivität technisch und medizinisch umzugehen und nützliche technische und medizinische Verfahren zu entwickeln und anzuwenden.

Gleichzeitig bestehen enorme Gefahren durch Kernwaffen und durch große Mengen radioaktiven Materials, insbesondere bei unsachgemäßem Umgang mit kerntechnischen Anlagen, Kernbrennstoffen und Atommüll. Das ist ein Gebiet starker politischer und wirtschaftlicher Interessen. US-Präsident Eisenhower schlug das internationale Programm »Atoms for Peace/Atome für den Frieden« 1953 in der Vollversammlung der Vereinten Nationen vor, nachdem die USA als Erste und bis dahin Einzige Atomwaffen eingesetzt hatten, die Sowjetunion aber in der Konstruktion von Atomwaffen bereits stark aufholte. Mit schlechtem Gewissen und angesichts wachsender Kritik schien es ratsam, friedliche Anwendungen der Kerntechnik (unter amerikanischer Aufsicht) zu propagieren, zum Beispiel Kernkraftwerke zu bauen und medizinische Möglichkeiten zu erforschen, während die Waffenentwicklung allenthalben weiterbetrieben wurde. Diese Vermengung von politischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen begleitet uns seither, mit der Verharmlosung der Gefahren der Kerntechnik durch die Befürworter und der Dämonisierung der Kernenergie durch ihre Gegner.

Versuchen wir, die Tatsachen im Blick zu behalten. Dazu möchte ich in diesem Buch erläutern, was Radioaktivität und Kernstrahlung sind, wie wir dauernd damit zu tun haben, sie messen, sie nutzen, uns vor ihnen zu schützen suchen oder uns ihnen ungewollt oder gewollt aussetzen. Es wäre schön, wenn Sie als Leser dann erkennen könnten, wo im Alltag Sie mit Radioaktivität zu tun haben, wo sie Ihnen eher nützt oder eher schadet.

Nein, dies ist kein Lehrbuch der Kernphysik und Kerntechnik. Wenn Sie sich trauen, dann lesen Sie in der im Anhang angeführten Literatur weiter. Kollegen aus der Bochumer Kernphysik haben zum Beispiel nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl ein handliches Büchlein »Radioaktivität« zusammengestellt (H. von Buttlar und M. Roth, Berlin/Heidelberg: Springer-Verlag, 1990, im Handel vergriffen), in dem Sie die wichtigsten Formeln, Diagramme und etliche technische Beispiele finden, aber Sie sollten dazu schon einiges an Vorkenntnissen aus der Physik und Mathematik mitbringen. Die hat nicht jeder, und deshalb wurde ich gefragt, ob ich nicht eine Darstellung liefern könne, die solche Hürden nicht enthält.

Ich selbst bin kein Kernphysiker, sondern Atomphysiker (die beschäftigen sich mit der Elektronenhülle des Atoms, mit Licht, Lampen, Lasern usw.; Kernphysiker kümmern sich um den viel kleineren Atomkern und seine vieltausendmal höheren Energien, um die Physik, die für Kernwaffen, Kernkraftwerke und Kernmedizin benutzt wird). Damit stehe ich schon etwas außerhalb der Kernphysik und somit dem unvorbelasteten Publikum näher. Ich hoffe, auf meine fachfremde und untechnische Weise mich auch für die Leser verständlich auszudrücken, die diese Vorkenntnisse nicht haben, möchte aber dabei nicht ungenau sein. Ich hoffe allerdings auch, dass Sie des Öfteren feststellen werden, dass die Dinge eigentlich gar nicht so kompliziert sind (es sei denn, man beschäftigt sich beruflich damit – dann braucht es höchste Genauigkeit und große Detailkenntnis).

Mein Wunsch beim Schreiben ist der, dass Sie als Leser so viel Einsicht in das Wesen der Radioaktivität gewinnen, dass Sie anschließend angemessene Vorsicht walten lassen, aber keine unnötige Angst davor haben; dass Sie weder den Scharlatanen, die Ihnen die Kerntechnik als Wundermittel anpreisen, noch Leuten, die den nahen Weltuntergang ausmalen und ihn mit derselben Technik verknüpfen, so leicht auf den Leim gehen. So merkwürdig es klingen mag, Radioaktivität ist ein natürlicher Prozess. Was man daraus macht, wie man damit umgeht – das betrifft uns allerdings alle.

 

Bochum, im Herbst 2006

Elmar Träbert

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Neuausgabe

Fukushima hat uns 2011 neu aufgerüttelt. Diesmal gab es Fernsehbilder von den Erdbebenschäden in Japan und dem nachfolgenden Tsunami. Neben den unmittelbaren Verwüstungen an den japanischen Küstenorten nordöstlich von Tokio trat im Laufe von Tagen eine weitere, nukleare Katastrophe ins Blickfeld: die durch Erdbeben und Tsunami am Kernkraftwerk Fukushima I mit seinen mehreren Reaktoren entstandenen Schäden, die chaotische und verwirrende Informationspolitik der Betreiberfirma, die Schwierigkeit, überhaupt das wirkliche Ausmaß der Schäden festzustellen, die Evakuierung von Zigtausend Einwohnern einer allmählich ausgeweiteten Region, die Befürchtungen für die Wasserversorgung Tokios, Radioaktivität im Meer, Angst um Lebensmittel und Exporte, verkündete und zurückgezogene Messwerte für die Strahlenbelastung. Was bedeutet das für die japanische Bevölkerung, was für uns, die wir so fern von Japan leben, aber vielleicht schon dort waren und wieder hinreisen möchten?

War das »höhere Gewalt«, für deren Wirkungen man nicht genug vorsorgen konnte? Oder kann man in diesem Fall Parallelen zu Ereignissen und Vorgängen sehen, die in unserer Nachbarschaft geschehen sind und sich noch vollziehen? Hat die Diskussion um eine Energiewende, um die Abkehr von der Stromerzeugung durch Kernkraftwerke, nur ein drastisches Beispiel erhalten, das die einen als »untypisch und in Deutschland unmöglich« darstellen und in dem die anderen den Nachweis für ihre schon lange bestehenden Befürchtungen erkennen, oder gibt es hier wirklich neue Erkenntnisse? Ich habe im Lichte der Ereignisse in Japan meine frühere Darstellung an mehreren Stellen ergänzt und die Diskussion etwas zugespitzt sowie einen Namensfehler korrigiert – mehr Fehler haben meine bisherigen Leser anscheinend nicht gefunden. Das bedeutet natürlich nicht, dass keine Fehler mehr im Text stehen. Für sachdienliche Hinweise bin ich weiterhin dankbar.

 

Bochum, im Frühjahr 2011

Elmar Träbert

Inhaltsverzeichnis

»So nah waren wir Tschernobyl noch nie!«

Im Juli 2006 schrillten die Alarmglocken. Störfall im schwedischen Kernreaktor Forsmark-1. Im Umspannwerk (zur Einspeisung der dort erzeugten Elektrizität ins schwedische Stromnetz) gab es einen Kurzschluss. Da musste der Kernreaktor schleunigst abgeschaltet werden, um nicht weiter Hitze für die Dampfturbinen zu liefern. Das funktionierte auch, aber ein Kernreaktor hört nicht binnen Sekunden auf, Wärme zu liefern. Das Kühlwasser, das die Wärme vom Reaktor wegführt, muss weiterhin bewegt werden, frisches Kühlwasser muss zugeführt werden. Die Pumpen dafür werden mit elektrischem Strom betrieben – aber ohne Umspannwerk war das Kraftwerk auch vom Strom von draußen abgeschnitten. Ohne Kühlung kann der Reaktorkern schmelzen, das überhitzte Kühlwasser kann als Dampf das Reaktorgefäß und das Schutzgebäude sprengen, Radioaktivität in großen Mengen die Umwelt verseuchen.

Für solche Fälle ist ein Notkühlsystem vorgesehen, für das der Strom von Dieselmotoren und angeschlossenen Generatoren geliefert wird – aber von den vier Notstromgeneratoren sprangen nur zwei an, und das reichte nicht. Die Betriebsmannschaft schaffte es, nach 20 Minuten die beiden anderen Notstromaggregate von Hand anzuwerfen; damit war die drohende Katastrophe abgewendet.

20 Minuten zum Anwerfen von zwei Dieselmotoren? Wieso dauerte das so lange? Weil auch ein großer Teil der Überwachungselektronik des Kernkraftwerks bei dem ersten Kurzschluss ausgefallen war; die Operateure wussten also zunächst nicht, dass die Notsysteme nur unzureichend funktionierten, sie konnten den Zustand des Reaktors nicht überprüfen. Der Ausfall der Überwachung bewegte einen ehemaligen Konstruktionsleiter ebendieses Kernkraftwerks zu seiner (in der Überschrift dieses Kapitels zitierten) Einschätzung, wie bedrohlich nahe der Kernreaktor einer → Kernschmelze gekommen war – auch in Tschernobyl war dem Personal der Betriebszustand des Reaktors unklar; eine Reihe von Fehleinschätzungen führte dort zur Katastrophe. In Tschernobyl hatten Ingenieure ausprobieren wollen, ob nach dem Abschalten des Reaktors die restliche Leistung ausreichen würde, um noch genügend Strom für den Betrieb der Notaggregate und die Überwachungselektrik zu liefern – bei einer Trennung vom Stromnetz. In Forsmark erfolgte solch eine Trennung ungewollt.

Der Kernkraftwerksunfall von Tschernobyl (1986) wurde zunächst von den Betreibern und der sowjetischen Regierung verheimlicht. Die Strahlenmessgeräte am Kraftwerk Forsmark (ebenjenes, das 2006 an einer Katastrophe vorbeischrammte), über tausend Kilometer entfernt, schlugen damals ein paar Tage später Alarm – sie waren für das Aufspüren von aus dem Haus geschleppter Radioaktivität eingebaut worden, aber damals war die Radioaktivität der Luft draußen höher als die drinnen im Kraftwerk!

Nach Forsmark 2006 wurden die üblichen Untersuchungen angestellt, wurde versucht herauszufinden, ob solch eine Panne auch anderswo hätte geschehen können. Ja, das Problem mit den Notstromaggregaten hätte auch anderswo auftreten können, sagten zum Beispiel Leute der AEG, die seinerzeit an Elektroinstallationen in Forsmark mitgebaut hatten. (Die AEG ist inzwischen aus diesem Geschäft ausgestiegen, sie muss also keine diesbezüglichen Geschäftsinteressen mehr wahren.) »Aber nicht an deutschen Reaktoren« – sagen deutsche Interessengruppen. Kann man beweisen – oder wenigstens erläutern –, warum deutsche Kernreaktoren dieses (unerwartete) Problem nicht haben werden? Nein, solche Einzelheiten möchte man nicht öffentlich diskutieren, »aus Sicherheitsgründen«.

Die Bevölkerung soll solchen Äußerungen glauben, soll Vertrauen haben. Als Wissenschaftler bin ich darauf trainiert, Wissen zu schaffen, Vermutungen durch Experimente zu überprüfen. Natürlich kenne ich mich nicht auf allen Gebieten aus, auch ich muss auf die Ehrlichkeit, Professionalität und Gewissenhaftigkeit meiner Fachkollegen vertrauen. Deren Arbeiten sind innerhalb des Wissenschaftsbetriebes aber im Prinzip überprüfbar, anders als die Äußerungen von Wirtschaftsverbänden, Firmen oder Behördenvertretern, die sich gegen manche Begehren nach Auskunft hinter Schutzwälle im Rahmen der nationalen Sicherheit zurückziehen.

Die schwedischen und finnischen Strahlenschutzbehörden (Forsmark liegt der finnischen Küste gegenüber) halten den Vorfall im Kernkraftwerk Forsmark im Nachherein für »sehr ernst«, aber eine Kernschmelze sei nicht zu erwarten gewesen. Wieso nicht? Weil nach vielen Mühen schließlich doch noch zwei (von vier) Notstromgeneratoren ansprangen und funktionierten? Das war während des Störfalls aber nicht einmal klar.

Forsmark erscheint (weil es gut ausging) wie ein Bagatellfall. Es gibt aber Leute, die meinen, nach nur weiteren drei Minuten ohne Elektrizität (und damit Betrieb der Kühlwasserpumpen) hätte eine Kernschmelze beginnen können. Es ist genau so ein Szenario, das – abgesehen von äußerer Gewalteinwirkung durch Naturkatastrophen oder Flugzeugabsturz – den Experten die größte Sorge bereitet: Die Verbindung zum Stromnetz draußen versagt ebenso wie die eigene Notstromversorgung. Im japanischen Kraftwerk Fukushima sorgten im März 2011 Erdbeben und Tsunami für genau diese Kombination. Die Verbindung zum landesweiten Stromnetz riss ab; die Wassermassen überstiegen die hohe Schutzmauer, die Notstromdiesel lagen stark beschädigt unter Wasser und sprangen nicht mehr an. Kraftwerksregelung und Reaktorkühlung versagten. Es dauerte mehrere Tage, bis wieder eine Kabelverbindung zum Kraftwerksgelände hergestellt werden konnte, durch das Erdbeben- und Tsunami-geschädigte Gebiet hindurch. In der Zwischenzeit geschahen in den Kraftwerksblöcken viele Dinge, über die man im Einzelnen nur spekulieren kann, weil die Mess- und Überwachungsgeräte ohne ihren Stromanschluss nicht mehr funktionierten und der Außenwelt keine Messwerte übermitteln konnten. Aus technischer Sicht ist klar, was da innerhalb des Reaktorsicherheitsgefäßes alles passieren kann und vorgehen muss, aber in einer solchen Situation kann man es nicht mehr beeinflussen.

Was hätte denn in Forsmark oder Fukushima noch passieren können? Hätte der Reaktorkern schmelzen, das Kraftwerk explodieren und große Teile Schwedens bzw. Japans radioaktiv verseuchen können? Was ist überhaupt »Radioaktivität«? Woher stammt sie, ist sie nur schädlich, kann man sie sinnvoll nutzen – und wenn, wie? Kann man das auch ohne technisch-wissenschaftliches Kauderwelsch erklären? Das versuche ich in diesem Buch.

Dazu müssen wir aber zunächst einen (scheinbar) langen Umweg gehen, durch Milliarden von Jahren, in die Frühzeit unseres Universums. Keine Bange, ich begleite Sie auch wieder zurück. Und danach sehen wir uns gemeinsam an, welche Rolle Radioaktivität in unserem heutigen Leben spielt.

Inhaltsverzeichnis

Natürliche Radioaktivität

Strahlen von oben und von unten: Sonnenenergie und Erdwärme

Das Weltall ist kalt, sehr kalt. Wo wir leben, auf der Erde, ist es etwa hundert Mal wärmer, als es für das Weltall typisch ist. Hier zeigt das Thermometer ungefähr 300 Kelvin, die → kosmische Hintergrundstrahlung (nicht erschrecken, das erkläre ich gleich noch!) weist eine Temperatur von knapp 3 → Kelvin auf. Das ist der Rest eines einst sehr, sehr heißen Feuers, einer Explosion (»Big Bang« oder Urknall), in der unser Universum vor so etwa 14 Milliarden Jahren entstand.

Woher wissen wir das – da war doch niemand dabei und hat es aufgeschrieben? Und wenn, könnten wir die Aufzeichnungen lesen, würden wir ihnen glauben? Wohl kaum. Wir beobachten unsere Umwelt und stellen fest, wie eine heiße Kaffeetasse abkühlt. Wenn uns der Kaffee lauwarm serviert wird, gehen wir dennoch davon aus, dass er zunächst heiß aufgebrüht wurde, weil nur dann das Aroma aus den gemahlenen Kaffeebohnen in das Wasser übergeht. Wenn der heiße Kaffee in eine vorgewärmte Kanne oder Tasse gegossen wird, bleibt er länger warm als mit anfangs kaltem Geschirr, aber früher oder später kühlt er doch ab, gibt Wärme an die Umgebung ab, sei es durch die Berührung mit dem Geschirr oder der Luft. Selbst wenn wir eine Thermosflasche verwenden, die mithilfe von dünnen doppelten Wänden und deren Verspiegelung Verluste durch Wärmekontakt und sogar durch Wärmestrahlung klein halten soll – nach einigen Stunden ist der Kaffee trotzdem kalt.

Unser Planet Erde hat eine mittlere Oberflächentemperatur von etwa 15 Grad Celsius – oder 288 Kelvin. Unsere Celsius-Temperaturskala richtet sich nach dem Temperaturbereich, in dem Wasser flüssig ist (und weder Eis noch Dampf); die Kelvin-Skala beginnt bei der tiefsten möglichen Temperatur, dem »absoluten Nullpunkt«, die Grade auf beiden Skalen sind gleich groß. 15 Grad, das ist ein Mittelwert zwischen Polargebieten und Tropen, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Wir Menschen suchen uns gerne aus, in welcher Gegend wir uns zu welcher Zeit aufhalten, damit wir angenehme Temperaturen erleben. Wenn es zu kalt ist, brauchen wir entsprechende Kleidung und Heizung, wenn es zu warm ist, suchen wir nach klimatisierten Räumen. (Das Reisen in die angenehmste Gegend, Heizung und Kühlung erfordern Energie, und die ist bei Weitem nicht von jedem zu bezahlen, aber das ist nicht Stoff dieses Buches.) Das Leben auf der Erde hat sich den Bedingungen entsprechend entwickelt und verteilt. Wo es nur 15 Grad kälter ist als der genannte Mittelwert, friert das Wasser zu Eis; Lebewesen, die auf flüssiges Wasser angewiesen sind, können dort nicht überleben. Wo das Wasser zu warm ist, kann es nicht genug Sauerstoff aufnehmen, den die Fische daraus atmen. Warmes Wasser (in den Tropen) ist nährstoffarm (und deshalb gut durchsichtig, zur Freude der Sporttaucher); kaltes Wasser (in den Polargebieten) kann mehr Nährstoffe enthalten (deshalb ziehen die Wale dorthin und fressen sich satt). Aus dem gleichen Grund müssen zum Beispiel große Kraftwerke, die Flusswasser zur Kühlung benutzen, die Temperatur ihres Kühlwasserauslaufes überwachen. Wird es im Sommer zu warm, sterben die Fische. Kraftwerksbetreiber sind deshalb verpflichtet, gegebenenfalls die Leistung ihrer Kraftwerke zu drosseln, damit das nicht geschieht.

Unsere Erde ist warm, unser Leben ist daran angepasst. Was passiert, wenn die Erde kälter oder wärmer wird, was war, als sie früher wärmer war? Kühlt unsere Erde denn nicht auch ab wie der Kaffee in der Tasse (und auch die Tasse)? Ja, sie tut es, und wenn sie allein im Weltall wäre, wäre sie schon lange so kalt, dass auf ihr kein Leben überleben könnte. Zu unserem Glück – sonst gäbe es uns nicht – wird sie aber geheizt, unter anderem von der Sonne.

Kühlt sich denn die Sonne nicht ab? Die Sonne verbrennt Wasserstoff zu Helium, schon seit etwa 4,7 Milliarden Jahren, und hält so etwa ihre Temperatur. Dieser → Fusionsreaktor wird auch noch etwa 4 Milliarden Jahre so weiterarbeiten, bevor in seinem Inneren der Brennstoffverbrauch zu Umschichtungen führt, die Sonne sich bis über die Erdbahn hinaus aufbläht und die Erde verschluckt. Grund zur Sorge? Nicht für uns und die nächsten paar Hundert Millionen Generationen – da machen wir Menschen uns untereinander ganz andere Probleme!

Woher wissen wir denn, dass die Sonne weiterhin scheinen wird? Die Sonne ist ein Stern wie viele andere. Astronomen und Astrophysiker beobachten die Sterne, messen ihre Eigenschaften, sortieren und klassifizieren, überlegen, welche physikalischen Prozesse im Licht der Sterne Spuren hinterlassen. Was sie daraus schließen, entspricht dem Kenntnisstand der Zeit. Bis vor hundert Jahren kannte man nur chemische Verbrennungsprozesse. Da rechnete man zum Beispiel aus, wie lange die Sonne so leuchten könne, wenn sie aus Kohle bestünde, dem wichtigsten industriellen Brennstoff. Selbst wenn die Kohle erschöpft wäre, würde die heiße Sonne noch einige Zeit weiterleuchten, während sie unter ihrer eigenen Schwerkraft langsam zusammensackt. Man könne eigentlich nicht feststellen, ob sie noch Brennstoff verbrauche oder schon im Endstadium angekommen sei, meinten Experten damals. Also hunderttausend Jahre oder vielleicht eine Million insgesamt?

Zu dieser Zeit hatten die Geologen aber schon begonnen, das Alter der Erde aus Gesteinsablagerungen abzuschätzen, und »die Erde wurde zunehmend älter« – der Erde war das egal, aber die Menschen erkannten endlich (in vielen Schritten), dass die Erde und das Leben darauf nicht Tausende von Jahren, nicht Millionen, sondern schon Milliarden Jahre bestanden. Das passte aber nicht mit einer chemischen Energiequelle zusammen, die reicht dafür einfach nicht aus. Was lässt aber dann die Sonne so lange und so hell leuchten? Es sind kernphysikalische Prozesse, die ich im nächsten Kapitel erläutern möchte. Diese Erkenntnis stammt aus den 1930er-Jahren, mit der Entdeckung der Kernkräfte und der Struktur der Atomkerne.

Wenn die Sonnenstrahlen einen dicken Brocken Gestein aufwärmen, dann muss die Temperatur dieses Brockens an der Oberfläche am höchsten sein. Von dort aus dringt die Wärme in die Tiefe, aber die Temperatur kann nicht höher sein als an der Oberfläche, sonst würde sich der Wärmefluss umkehren. In jedem Bergwerk zeigt sich, dass es in der Tiefe wärmer wird, und zwar erheblich. Mittlerweile haben die Geologen herausgefunden, dass im Erdinneren die Temperatur so hoch ist, dass Steine schmelzen – der Erdkern ist heiß und flüssig. Vielleicht hat die Erde heiß und flüssig angefangen und kühlt sich seitdem ab? Dann wäre sie längst kalt wie der Kaffee in der Tasse. Nein, da muss noch eine Energiequelle sein, die das Erdgestein weiter wärmt. Was kann das sein? Radioaktive Zerfälle – die Fußbodenheizung unserer Welt. Ohne sie wäre das Wasser an der Erdoberfläche gefroren. Ohne die andauernde Hitze im Inneren der Erde würden sich aber auch die Kontinentalplatten nicht mehr verschieben, deren Zusammenstöße Gebirge auffalten, es gäbe kaum Erdbeben (und damit auch kaum mal Tsunamis) und keine Vulkane, keine heißen Quellen, kein Erdmagnetfeld, das die schnellen geladenen Teilchen des Sonnenwindes von der Erde abhält; die Atmosphäre wäre anders zusammengesetzt, die Evolution wäre anders verlaufen. Hätten Sie gedacht, dass Radioaktivität so wichtig ist für das Leben auf der Erde?

Übrigens trägt nicht nur die »Fußbodenheizung« Radioaktivität zur ausreichenden Wärme an der Erdoberfläche bei. Unsere Erdatmosphäre, mit Sauerstoff und Ozon (ein besonderes Sauerstoffmolekül), mit Wasserdampf und Kohlendioxid, vor allem mit Wolken (aus Wasserdampf), hilft, die Sonnenstrahlung wie in einem Treibhaus zur Erwärmung zu nutzen. Ohne Wolken (und Treibhausgase) ginge ein Großteil der Sonnenenergie durch die nachfolgende Wärmestrahlung der Erde gleich wieder verloren. Dann wäre die Erdoberfläche vielleicht 30 oder 35 Grad kälter als jetzt – saukalt – und für unser Leben ziemlich ungeeignet.

Das Leben auf der Erde passt sich an das veränderliche Gleichgewicht der Bedingungen an, und es hat im Laufe der Zeit auch die Erde und ihre Atmosphäre stark beeinflusst. Derzeit scheinen wir eine Änderung in den atmosphärischen Bedingungen zu erleben, die innerhalb weniger Generationen tief greifende Änderungen für unsere Lebensbedingungen mit sich ziehen mag. Aber das ist eine andere Geschichte. Vielleicht doch nicht ganz: Es gibt Leute, die den weltweiten Ausbau der technischen Energienutzung – einschließlich Kernkraftwerken – für die Klimaveränderungen mit verantwortlich machen, und es gibt Leute, die den Ausbau der Kernenergiewirtschaft als Hilfsmittel gegen eine besondere Erwärmung propagieren. Blicken Sie da noch durch?

Winzlinge

Alles, was wir als Materie um uns herum wahrnehmen, besteht aus Atomen und Molekülen. Das Wassermolekül, H2O, besteht aus zwei Wasserstoffatomen (H) und einem Sauerstoffatom (O). Jeweils zwei freie Wasserstoffatome schließen sich gern zu einem Wasserstoffmolekül (H2) zusammen, je zwei freie Sauerstoffatome zum Sauerstoffmolekül O2. Freie Atome gibt es eigentlich auf Dauer nur bei den »Edelgasen« (Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon, Radon). Diese Atome gehen ungern Bindungen ein, weder mit gleichartigen Atomen noch mit denen anderer Elemente.

Die Bindungen zwischen den Atomen werden durch die Elektronen der Elektronenhülle jedes Atoms vermittelt. Diese Elektronen im Atom sind in unterschiedliche Energiestufen einsortiert; solch eine Stufe oder Schale ist voll, wenn sie zwei oder acht Elektronen enthält. Kommen noch mehr dazu, müssen sie in Schalen höherer Anregungsenergie einsortiert werden. Das ist gleichzeitig eine Schale geringerer Bindungsenergie, das heißt, es ist auch einfacher, dem Atom solche Elektronen zu entreißen. Atome, in deren äußerer Schale keine acht Elektronen zu finden sind, verhandeln mit anderen Atomen darüber, ob sie sich nicht Elektronen teilen können, sodass jedes so aussieht, als hätte es die bevorzugte Anzahl. Ganz Rabiate reißen den Nachbarn Elektronen weg, dann sind aber beide Partner geladen und ziehen einander elektrisch an. Es werden Moleküle gebildet.

Der langen Rede kurzer Sinn: Wir sprechen von 92 verschiedenen, natürlich auftretenden Elementen (Atomsorten), die eine Vielzahl (Millionen und Abermillionen) verschiedener Moleküle bilden können, indem sich zwei, drei oder mehr Atome meist verschiedener Elemente durch teilweisen Elektronenaustausch miteinander verbinden. Die Struktur (räumliche Anordnung und Bindungsenergie) der Elektronen in der äußersten Elektronenschale bestimmt, welche Atome wie zusammenpassen – das macht die Chemie aus, die Lehre von der Umwandlung der Stoffe. Sortiert man die Elemente nach ihren chemischen Eigenschaften, so zeigen sich bestimmte Ähnlichkeiten; die Elemente lassen sich nach diesen Ähnlichkeiten in ein periodisches System der Elemente einordnen – wie zum Beispiel die bereits angeführten Edelgase.

Worin unterscheiden die sich eigentlich voneinander? Ihre Atome sind unterschiedlich schwer. 6·1023 Atome des Gases → Helium (eine Zahl mit 23 Nullen!) wiegen zusammen 4g, die von Neon etwa 20g, von Argon etwa 40g, von Krypton etwa 86g, von Xenon etwa 127g und von → Radon etwa 222g. Sie kennen Heliumballons, Neonröhren als Leuchtreklamen, Argon als Schutzgas beim Schweißen (Argon ist von allen diesen Edelgasen das auf der Erde häufigste und billigste), Krypton in Glühlampen, Xenon in modernen Autoscheinwerfern.

Wir wollen nicht ausrechnen, wie viel jeweils ein Atom wiegt, sondern wir wollen Prinzipien erkennen und nutzen. In den Atomen gibt es einen Kern und eine (Elektronen-)Hülle. Die Elektronen sind leicht, die Bestandteile des Kerns sind schwer. Fast das ganze Gewicht des Atoms liegt bei den Kernbausteinen, den Nukleonen. Jeder von ihnen wiegt etwa 1836-mal mehr als ein Elektron. Es gibt zwei Sorten solcher Kernbausteine, elektrisch neutrale (Neutronen) und elektrisch positiv geladene (Protonen). Die Protonen ziehen die negativ geladenen Elektronen an, bis genau gleich viele elektrische Ladungen beider Sorten versammelt sind und das Atom nach außen hin neutral erscheinen lassen. Die Zahl der Elektronen, die – wie oben erläutert – die chemischen Eigenschaften bestimmt, ist also genauso groß wie die Zahl der Protonen im Kern. Sortieren wir die Elemente nach der Zahl der Protonen (das ist die Kernladungszahl Z), so ergibt sich eine eindeutige Reihenfolge als Grundlage des Periodensystems.

Die Neutronen wiegen fast genauso viel wie die Protonen und sind auch praktisch gleich groß. Zwar stoßen die positiv geladenen Protonen einander elektrisch ab, aber die anziehenden Kernkräfte zwischen den Nukleonen (Protonen und Neutronen) sind noch stärker und halten die Nukleonen zusammen, sodass sie einander berühren. Wie groß sind die Dinger denn überhaupt? Zehn Millionen Atome nebeneinandergelegt machen einen Millimeter aus, von den Nukleonen braucht man für die gleiche Strecke tausend Milliarden. Winzlinge!

Von den Neutronen kann es in einem Atomkern unterschiedliche Anzahlen geben, das wirkt sich in kleinen Effekten aufgrund des Gewichtsunterschiedes der Atome aus. Ich werde darauf noch eingehen. Im Helium-Atomkern finden wir zwei Protonen und zwei Neutronen, also 4 Nukleonen. Neon hat 10 Protonen und meist 10 Neutronen, also 20 Nukleonen; Argon 18 Protonen und meist 22 Neutronen, also 40 Nukleonen … wie war das mit den Gewichten der Atome? Richtig: Die bestimmte große Zahl (die Avogadro-Konstante oder Loschmidt-Zahl) von Atomen gehörte zu 4g Helium, 20g Neon, 40g Argon usw. Auf einer passend gewählten Skala (mit dem Kohlenstoff- → Isotop C-12 als Aufhänger) sind die Atomgewichte nahe den Massenzahlen (Zahl der Nukleonen). Das ist praktisch und wird uns noch oft wieder begegnen.

Schön und gut, das sind die Elemente, die wir kennen. Wo stammen die her? Gab es die schon immer? Bleiben die für immer?

Wir sind Sternenstaub

Das Weltall, in dem wir leben und das wir nachts leuchten sehen, ist nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnis etwa 14 Milliarden Jahre alt, unser Sonnensystem, also Sonne und Planeten, erst etwa 4,7 Milliarden Jahre. Der Stoff, aus dem wir bestehen, kann also schon einiges erlebt haben – und das hat er.

Uns fehlen noch die Mittel, das Universum in seinem Anfangszustand wissenschaftlich korrekt zu beschreiben, weil sein Zustand so – in jeder Hinsicht – extrem (heiß, klein, energiereich) war, dass alle Vergleiche mit unserer heutigen Erfahrung scheitern. Die Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema beschäftigen, gehen aber davon aus, dass sie sehr wohl beschreiben können, wie die Verhältnisse eine Milliarde Jahre, eine Million, tausend Jahre, ein Jahr, einen Tag, eine Sekunde oder gar noch kürzer nach dem »Anfang«, dem Großen Knall (Urknall, Big Bang), waren. Nicht, dass nicht noch Meinungsunterschiede über etliche Einzelheiten bestünden, aber im Wesentlichen sind sich die (meisten) Experten einig.

Das Weltall war noch klein und darin so viel Energie, dass Elementarteilchen, die sich bildeten, gleich wieder zerstört wurden. Mit der Ausdehnung dieses Feuerballs sank seine Temperatur, sodass im Laufe der Minuten, Stunden, Tage, Jahre, Jahrtausende, Jahrmillionen endlich nicht mehr alle Teilchen ihre → Antiteilchen fanden und wieder zerstrahlten (durch eine kleine Asymmetrie in den physikalischen Gesetzen starb die Antimaterie sogar fast aus), sondern die Grundbausteine »unserer« Materie überlebten: Protonen, Neutronen und Elektronen. Strahlung – im engeren Sinne, zum Beispiel Licht (Photonen) und Neutrinos – und Materie wurden nicht mehr fortlaufend ineinander umgewandelt, sondern trennten sich in ihrer Entwicklung. Die Strahlung kühlte sich mit der Ausdehnung des Universums ab; was davon noch übrig ist, nennen wir heute kosmische Hintergrundstrahlung. Sie zeigt eine Temperatur des Universums von heute 2,7 Kelvin an. Weil es sie gibt und weil sie so ist, wie sie ist, können wir auf den Urknall schließen.

Was aber war mit den Teilchen? Aus einer Regenwolke fallen Tropfen oder Schneeflocken (manchmal auch Hagelkörner), aber keine großen Brocken. Aus der heißen Energiesuppe kondensierten einzelne Teilchen, aber keine großen Gebilde. Wenn die einzelnen Teilchen zufällig mit anderen zusammenstießen, gab es manchmal Trümmer, manchmal blieben die Teilchen aneinander haften. Protonen können nicht an anderen Protonen haften, weil sie sich wegen ihrer elektrischen Ladung gegenseitig stark abstoßen. Freie Neutronen (außerhalb eines Atomkerns) leben nur etwa 15 Minuten, bevor sie sich in ein → Proton verwandeln und dabei ein Elektron (und ein Antineutrino) aussenden. Genauer gesagt, nach der → Halbwertszeit von etwa 15 Minuten ist die Hälfte aller ungebundenen Neutronen, die sie im Neutronensupermarkt in Ihre Einkaufstasche gefüllt haben, zerfallen, nach weiteren 15 Minuten ist nur noch die Hälfte vom Rest vorhanden und so weiter. Welche der Neutronen als nächste zerfallen, können wir nicht vorhersagen (sonst würden Sie beim Einkauf die herauspicken wollen, die noch lange leben). Fünfzehn Minuten Halbwertszeit im Vergleich zu den 14 Milliarden Jahren Alter des Universums: Auch wenn es mal viele freie Neutronen gab, sie sind inzwischen praktisch alle weg.

Aber Neutronen gibt es noch – gut verpackt und dadurch wohlkonserviert. Ein Neutron, das sich mit anderen Baryonen zusammenschließt, kann beliebig lange leben. Baryonen sind die »schweren« Teilchen (Neutronen, Protonen), die aufeinander die »starke Wechselwirkung« ausüben, die Kernkraft, die die Atomkerne zusammenhält. Ein → Neutron und ein Proton zusammen bilden ein → Deuteron. Zwei Neutronen zusammen oder zwei Protonen zusammen bilden kein stabiles Teilchen, es zerfällt sofort wieder. Ein Neutron und zwei Protonen halten es miteinander aus, ebenso wie zwei Neutronen und ein Proton – aber es ist selten, dass drei Teilchen einander so treffen. Wir werden noch auf diese Teilchen zurückkommen.

Zwei Neutronen und zwei Protonen, das müsste ja noch seltener sein, aber dieses neue Teilchen (das man sich aus zwei Deuteronen zusammengesetzt denken kann) ist besonders stark gebunden. Das heißt, wenn es einmal entstanden ist, kostet es besonders viel Mühe (Energie), es wieder aufzubrechen. Dieses Gebilde verdient einen eigenen Namen, »Alpha«, und wird uns noch oft wiederbegegnen. Durch Stöße von bereits zusammengesetzten Teilchen können gelegentlich auch mal größere Brocken entstehen, zum Beispiel solche mit drei Protonen und mehreren Neutronen. Inzwischen hat sich das Universum aber weiter ausgedehnt, ist die heiße Energiesuppe dünner geworden (in größerem Raum verteilt) und abgekühlt. Die Chancen, dass einzelne Teilchen andere überhaupt treffen, sind drastisch gesunken. Die Elementbildung ist zunächst vorbei.

Was haben wir bis jetzt? Teilchen mit nur einem Proton und solche mit einem Proton und einem oder zwei Neutronen. Die werden später die Kerne von Wasserstoff (Kernladungszahl 1) und seinen zwei schweren Isotopen → Deuterium und → Tritium (Tritium ist nicht stabil, es zerfällt unter Umwandlung eines seiner Neutronen in ein Proton). Die Teilchen mit zwei Protonen und meist zwei (ab und zu nur einem) Neutronen werden die Kerne des Edelgasatoms Helium bilden, die mit drei Protonen Lithium. Das ist alles.

Es dauert noch viele Hunderttausend Jahre, bis das Universum so weit abgekühlt ist, dass Elektronen, die sich mit den Kernen zu Atomen zusammenlagern wollen, durch die intensive und energiereiche (»heiße«) Strahlung nicht gleich wieder abgetrennt werden. Erst dann gibt es stabile Atome, viele vom Wasserstoff, etwa ein Viertel dieser Zahl von Helium und noch viel weniger von Lithium.

Wir bestehen zum größten Teil aus Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff (Kernladungszahlen 6 bis 8), laufen über Steine mit viel Silizium (Kernladungszahl 14), fahren Autos aus Stahl (Eisen hat die Kernladungszahl 26), bewundern Schmuck aus Gold (Kernladungszahl 79) und betreiben Kernkraftwerke mit → Uran (Kernladungszahl 92). Wo kommt das Zeug her, wenn nicht aus dem Urknall? Da muss in den 10 Milliarden Jahren zwischen dem Urknall und der Entstehung unseres Sonnensystems wohl noch etwas mehr passiert sein …

Wir verlassen das Gebiet der Kosmologie und Elementarteilchenphysik und betreten das Gebiet der Astronomie und Astrophysik – wir brauchen Sterne. Die aus der heißen Energiesuppe ausgefrorenen Nukleonen, Nukleonengruppen und Elektronen streifen durch das Weltall, einige treffen zusammen und bilden Atome. Durch zufällige Schwankungen (und unter Mitwirkung der »dunklen Materie«, deren Erforschung erst vor Kurzem begonnen hat) entstehen riesige Wolken. Solche Wolken können sich unter ihrem eigenen Gewicht zusammenziehen; dabei steigen allerdings der Druck und die Temperatur in ihrem Innern und verlangsamen das Zusammenfallen. Wärmestrahlung befördert überschüssige Energie nach draußen, die schnellsten Teilchen verdampfen aus der Wolke, sodass sie endlich weiter schrumpfen kann. Wenn die Wolke anfangs groß genug war, kann sie so weit schrumpfen, dass im Gleichgewicht zwischen Schwerkraft (nach innen) und Strahlungsdruck (nach außen) die Temperatur im Innern der Wolke ausreicht, um sie sichtbar leuchten zu lassen. (Die Wärmestrahlung liegt meist im für uns unsichtbaren Infrarot.) Sichtbares Licht hat Energien im Bereich von 2 bis 3 eV (Elektronvolt). Das sind Energien, die für chemische Umwandlungen typisch sind. Damit kann man den Herd heizen, aber keinen Stern betreiben. Sichtbares Licht, wie von unserer Sonne, entspricht der Wärmestrahlung eines Objektes, das etwa 5000 bis 6000 Kelvin heiß ist – wie die Oberfläche der Sonne, unseres Sterns.

Die Wolke muss also noch viel weiter zusammensacken, Druck und Temperatur im Innern müssen weiter ansteigen. Derweil leuchtet die Oberfläche im sichtbaren Licht. Wenn es im Innern wenigstens zehn Millionen Grad heiß ist, rasen die Teilchen (vorwiegend Protonen aus dem Urknall) dort so schnell umher, dass einige von ihnen die elektrische Abstoßung der Protonen untereinander überwinden können. Dann können – auf Umwegen mit etlichen Zwischenstufen – durch Kernreaktionen aus ehemals vier Protonen Gruppen von zwei Protonen und zwei Neutronen werden. Richtig, das sind Alphateilchen. Die sind besonders stabil, ihre Bestandteile besonders fest aneinander gebunden. Diese Bindungsenergie wird bei der Bildung des Alphateilchens, die wir Fusion nennen, freigesetzt und heizt den Ofen weiter an. Das ist der funktionierende Fusionsreaktor, er wird mit Protonen (Kernen des Wasserstoffatoms) betrieben und liefert als Endmaterial Alphateilchen (Kerne des Heliumatoms) und Energie. Für jedes fertige Alphateilchen sind das Energien von mehreren (rund 28) MeV (Millionen Elektronvolt), also Millionen Mal mehr als bei chemischer Verbrennung (wie von Kohle, Gas oder Öl).