Raiders of the Lost Heart - Jo Segura - E-Book

Raiders of the Lost Heart E-Book

Jo Segura

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Beschreibung

Sie ist eine renommierte Archäologin. Er ist ihr größter Rivale. Doch im Dschungel gelten andere Regeln!

Archäologin Dr. Socorro Mejía, genannt Corrie, kann es nicht glauben: Sie fliegt zu einer Ausgrabung in den mexikanischen Dschungel, von der sie schon ihr Leben lang träumt. Es gibt nur einen Haken, und der heißt Ford Matthews. Denn nicht Corrie, sondern ihr Erzrivale leitet die Expedition. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass es zwischen Corrie und dem attraktiven Archäologen vor Jahren beinahe zu einem Kuss gekommen wäre. Im Camp geraten die beiden immer wieder aneinander, denn Corrie ist sich sicher: Sie graben an der falschen Stelle. Um das zu beweisen, muss sie mit Ford auf eine Erkundungstour gehen. Zu zweit in einem Zelt in der Hitze des Dschungels. Kann das gutgehen?

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Seitenzahl: 460

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Zum Buch

»Du«, knurrte Corrie und warf dem widerlich gut aussehenden Mann in beigen Cargos, Wanderstiefeln und einem grünen Hemd einen finsteren Blick zu. Obwohl sie unzählige Stunden damit verbracht hatte, ihn während der Seminare quer durch den Hörsaal anzustarren, überraschte sie Ford Matthews’ Attraktivität jedes Mal aufs Neue.

Gleichzeitig ging er ihr jedes Mal aufs Neue wahnsinnig auf die Nerven, was nichts mit seinen smaragdgrünen Augen, seinen stets perfekt frisierten blonden Locken und seiner ganz offensichtlich durchtrainierten einen Meter achtzig hochgewachsenen Gestalt zu tun hatte.

»Mich freut es auch, dich zu sehen, Corrie«, antwortete er mit einem verschmitzten, rätselhaften Lächeln.

»Dr. Mejía«, korrigierte sie durch zusammengebissene Zähne.

Ein leises Lachen kam ihm über die Lippen. »Naja, du brauchst mich nicht Dr. Matthews zu nennen. Mir reicht Ford. Oder Chef, das wäre auch okay.«

Chef? Sie hätte ahnen müssen, dass Dr. Ford Matthews die Ausgrabung leitete. Es reichte ihm nicht, dass er ihr das Stipendium geklaut hatte. Jetzt wollte er sich auch noch ihr Herzensprojekt unter den Nagel reißen.

»Wie ich sehe, hast du mich vermisst«, sagte er gewohnt charmant-sarkastisch.

Zur Autorin

Jo Segura lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Hunden im pazifischen Nordwesten der USA. Ihre Geschichten handeln von starken, leidenschaftlichen Heldinnen und greifen Aspekte ihres Lebens auf, wie ihre Liebe zu gutem Essen, ihre mexikanischen Wurzeln und ihre Faszination für Archäologie. Wenn sie nicht gerade schreibt, arbeitet Jo Segura als Juristin, mixt einen verdammt guten Cocktail oder vertreibt sich die Zeit in ihrem Garten.

@josegurabooks

Roman

Aus dem Amerikanischen von Wiebke Pilz

Wilhelm Heyne VerlagMünchen

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe 05/2024

© 2024 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Janine Malz

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von © illustratoren.de/CamilaGray

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-31434-7V002

www.heyne.de

Für Mommo und Daddo, ich hoffe, es ist euch nicht zu spicy.

1

Ja. Tausendprozentig Ja.

In ihrem Büro spannte Corrie Mejía die Oberschenkel unter dem antiken Holztisch an und hielt sich an den Armlehnen des dazu passenden Stuhls fest. Das alte mexikanische Kiefernholz knarrte unter der Anspannung, während Corrie sich zwang, ruhig zu bleiben und ihrem Gesicht befahl, so zu wirken, als würde sie immer noch über das Angebot des glatzköpfigen Mannes mittleren Alters ihr gegenüber nachdenken.

Auf diesen Moment wartete sie seit dem Tag, an dem sie beschlossen hatte, Archäologin zu werden. Jetzt, wo es endlich so weit war, brauchte sie ihre ganze Kraft, um nicht aufzuspringen und die Stelle anzunehmen, ohne irgendwelche Details zu kennen – es wäre nicht das erste Mal. Aber was kümmerten sie schon Kleinigkeiten, nachdem sie die glorreichen Worte gehört hatte, Worte, auf die sie seit Jahrzehnten gewartet hatte:

Da Sie, Dr. Socorro Mejía, die brillanteste Archäologin der Welt und die führende Expertin auf diesem Gebiet sind, wollen wir Sie – und nur Sie, denn niemand sonst käme auch nur annähernd infrage – für eine Expedition nach Mexiko, bei der alle Kosten übernommen und keine Kosten gescheut werden, um nach den Überresten des aztekischen Kriegers Chimalli sowie dem Tecpatl-Opfermesser zu suchen, das er Moctezuma II. stahl, als er kurz vor dem Untergang des Aztekenreichs aus Tenochtitlán floh.

Naja. Ganz so hatte er es nicht gesagt. Eher so: Ein anonymer Investor hat mich beauftragt, Ihnen eine Stelle bei einer Chimalli-Expedition anzubieten.

Aber die Bedeutung war dieselbe – niemand wusste mehr über Chimalli als Corrie. Und sie war verdammt brillant.

In der Ecke ihres winzigen Büros in Berkeley tickte die verstaubte alte Uhr, die sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Das Büro war nur halb so groß wie die der anderen Fakultätsmitglieder. Wenn du erst mal die Professur hast, kriegst du ein größeres, hatte man ihr gesagt. Komischerweise war es nie dazu gekommen. Es wäre ihr auch gar nicht aufgefallen, wenn der Fremde in dem engen Zimmer nicht praktisch auf ihrem Schoß gesessen hätte, in der Lage, jede Regung zu bemerken. Jede gezwungene Bemühung, die Fassung zu wahren.

Mit jeder Sekunde wurde das Ticken lauter. Und mit jedem hämmernden Schlag hallten Corrie die Worte ihrer Abuela in den Ohren wider.

Wenn es zu schön ist, um wahr zu sein, gibt es einen Haken.

Corrie hatte auf die harte Tour gelernt, wie viel Wahrheit in diesen Worten lag. Jetzt, mit fünfunddreißig, hatte sie sich angewöhnt, ihrem Bauchgefühl nicht impulsiv nachzugeben. Die Beweggründe unter die Lupe zu nehmen. Vor dem Abenteuer eine Bewertung vorzunehmen. Oder zumindest das ein oder andere Detail herauszufinden, bevor sie zusagte.

Denn in den letzten acht Jahren hatte sie hart darum gekämpft, jemanden zu finden, der genau diese Ausgrabung finanzierte. Warum also sollte dieser Typ, den sie noch nie gesehen hatte, jetzt zu ihr kommen und ihr den Job aller Jobs anbieten? Ihre Traumgrabung inklusive aller Kosten auf dem Silbertablett.

Es musste einen Haken geben. Es gab immer einen Haken.

Ein Klopfen an ihrer Tür zerriss die angespannte Stille im Zimmer und erlaubte ihr, den Griff um die Armlehnen zu lockern.

»Herein«, rief sie und warf dem Fremden einen kurzen Blick zu, bevor sie ihren Stuhl zur Tür drehte.

Ihre Mentee, Dr. Miriam Jacobs, betrat das Büro mit einem Sortiment von Büchern und Papieren unter dem Arm.

»Hi, Dr. Mejía«, sagte sie, als sie Corries Besucher bemerkte, »wir hatten doch um eins einen Termin, um den Lehrplan für das nächste Semester zu besprechen.«

Corrie sah auf die Uhr, der Termin hätte vor mehr als zehn Minuten anfangen sollen. Richtig. Das waren die Details, auf die sie sich hätte konzentrieren sollen, denn in wenigen Wochen begann das Herbstsemester. Es war nicht ihre Art, zu spät zu kommen oder Leute zu vertrösten. Sie war keine »zerstreute Professorin« oder eine dieser »Meine Zeit ist wichtiger als deine«-Typen wie einige ihrer Kollegen. Vielmehr war Corrie stolz auf ihre Bodenständigkeit. Jemand zu sein, den ihre Studenten eher bewunderten als fürchteten. Eine Dozentin, die bei einem Bier genauso unterhaltsam war wie in der Vorlesung. Eine Mentorin für andere junge Archäologinnen wie Miriam, denen sie half, sich in den patriarchalen Überbleibseln des ehemals von Männern dominierten Fachgebiets zurechtzufinden.

Aber vor einer Viertelstunde war dieser Unbekannte aufgetaucht und hatte sofort mit »Ich habe ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können« angefangen, bevor sie ihm sagen konnte, dass sie einen Termin hatte. Wie hätte sie ablehnen sollen, ohne ihn wenigstens anzuhören?

»Oh, tut mir leid, Miri. Ich habe ganz die Zeit vergessen. Gib mir nur …«

»Dr. Mejía wird in diesem Herbst keine Seminare geben.«

Die Worte des Fremden raubten ihr fast den Atem. So verlockend das Angebot auch war, Corrie Mejía konnte es nicht leiden, wenn Männer für sie sprachen.

»Wie bitte?«

»Dr. Mejía reist in ein paar Tagen nach Mexiko«, erklärte der Mann Miriam, als wäre Corrie gar nicht da, »und sie wird mindestens bis zum Ende des Semesters bleiben.« Er nahm die Brille ab, zog ein Taschentuch hervor und polierte die Gläser, als wäre das keine große Sache.

Als wäre es völlig normal, in ein paar Tagen zu einer ungeplanten Reise nach Mexiko aufzubrechen.

»Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber ich habe noch nicht zugestimmt«, schnauzte Corrie ihn an.

»Nein, aber das werden Sie.«

»Ach, ja? Sagt wer?« Sie verschränkte die Arme und lehnte sich zurück.

»Sagt die Person, die mich geschickt hat.« Der Mann setzte die Brille wieder auf. »Ich wäre nicht hier, wenn es auch nur den Hauch einer Chance gäbe, dass Sie Nein sagen.«

Corrie stand der Mund offen, aber es kam nichts heraus. Person? Welche Person? Ihr schwirrten verschiedene Namen durch den Kopf, aber keiner ergab einen Sinn. Es konnte keine der Personen sein, an die sie sich zuvor wegen einer Finanzierung gewandt hatte, denn warum sollte sie anonym bleiben? Und sie kannte auch niemanden, der über die finanziellen Mittel verfügte, um so etwas durchzuziehen. Schon gar keinen, der sie gut genug kannte, um so sicher zu sein, dass es nicht den Hauch einer Chance geben würde, dass sie Nein sagte. Es gab nur wenige Menschen, die Corrie kannten – zumindest die echte Corrie.

»Corrie?« Miriams Stimme war vor Sorge und Verwirrung angespannt und lenkte Corries Aufmerksamkeit zur aktuellen Situation zurück.

»Ähm, äh, ja.« Sie stand auf und ging zur Tür. »Wie wäre es, wenn ich dir heute Nachmittag eine E-Mail schicke und wir einen neuen Termin vereinbaren?«

Corrie hielt Miri die Tür auf, die zwei zaghafte Schritte zurücktrat, nickte und einen letzten Blick auf den Fremden warf, bevor sie die Tür schloss. Mit dem Rücken zu dem Mann atmete Corrie tief durch, dann drehte sie sich um und lehnte sich an die Holztür.

»Wer hat Sie geschickt?«, fragte sie.

»Tut mir leid, Dr. Mejía, aber das ist vertraulich.«

»Na gut … Und wo genau soll es hingehen?«

»Auch vertraulich.«

Sie zog eine Augenbraue hoch. »Okay … Wie soll ich diese Ausgrabung leiten, wenn ich nicht weiß, für wen ich arbeite oder wohin ich gehe?«

»Sie werden assistieren, nicht leiten. Die Details bleiben dem leitenden Archäologen überlassen.«

Sie warf den Kopf zurück, blickte an die Decke und lachte auf. Das konnte nicht sein Ernst sein. Corrie würde bei einer Chimalli-Ausgrabung niemals die zweite Geige spielen. Auch dann nicht, wenn der Erfolg der Grabung ihr endlich Zugang zum hart umkämpften inneren Kreis der Archäologie bieten würde, wo man sie vielleicht ernster nahm.

»Moment mal. Damit ich das richtig verstehe. Ich werde nicht nur nicht die Leiterin sein, sondern Sie wollen auch, dass ich einen Job annehme, ohne zu wissen, wer Sie geschickt hat, für wen ich arbeite oder wohin ich gehe, und ich soll in ein paar Tagen abreisen? Und, lassen Sie mich raten, Ihr Name ist auch vertraulich?«

Der Mann zuckte nicht mit der Wimper.

Oha, es gab also einen Haken, na gut. Sie lachte wieder, aber diesmal aus vollem Hals und voller Unglauben und Verärgerung. Ohne zu zögern, riss sie die Tür hinter sich weit auf.

»Sagen Sie demjenigen, der Sie geschickt hat, dass er mich offenkundig überhaupt nicht kennt. Ich muss leider ablehnen.«

Mit einem Nicken deutete sie zur Tür und verschränkte die Arme. Der Fremde lächelte. Als er sich endlich erhob und zur Tür ging, hätte Corrie ihm am liebsten mit einer Ohrfeige das Lachen aus dem Gesicht gewischt. Doch bevor er das Büro verließ, blieb er vor Corrie stehen, das Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt.

»Sehr schade, dass Sie sich nicht an der Entdeckung der Überreste Ihres Vorfahren beteiligen wollen. Sollten Sie Ihre Meinung ändern, liegt am Sonntagmorgen am Schalter der United Airlines ein Ticket für Sie bereit. Der Flug geht um fünf Uhr morgens.«

Der Mann ging den Flur hinunter, ohne sich noch einmal umzudrehen, und Corrie stand mit großen Augen an der Tür. Er hatte sie überzeugt, mit einem Wort. Vorfahr.

Wer auch immer den Kerl geschickt hatte, kannte sie besser, als sie je geahnt hätte.

*

Mexiko war im August noch heißer, als Corrie gedacht hätte. Sie war schon oft hier gewesen, um Verwandte zu besuchen, Urlaub zu machen und an Ausgrabungen teilzunehmen, aber bisher nie im August.

Sie war auch noch nie in ein Flugzeug gestiegen, nachdem sie ein Angebot von einem namenlosen Fremden bekommen hatte, doch jetzt war es zu spät, um ihre Entscheidung infrage zu stellen. Am Flughafen hatte sie einen Moment lang an ihrer Vernunft gezweifelt – kurz nachdem ihr klar geworden war, dass der Mann ohne Namen irgendwie an ihre Passdaten gekommen war, und zwar bevor sie ins Flugzeug gestiegen war. Ein kurzer Anruf in der Verwaltung des Anthropologischen Instituts bestätigte, dass Mr. Namenlos die Details der Expedition und ihre Reisevorbereitungen im Voraus organisiert hatte. Das gab ihr zumindest einen Funken Hoffnung, nicht auf dem Weg ins Verderben zu sein.

»Letzter Aufruf für die Passagiere des Flugs 5468 nach Houston«, dröhnte es aus dem Lautsprecher.

Sie warf einen Blick auf den Zettel, der ihrem Ticket für den Flug 5468 nach Houston und dem dazugehörigen Ticket für ihr endgültiges Reiseziel in Oaxaca, Mexiko, beilag.

Wir wussten, dass Sie zustimmen würden. Wir warten nach der Landung vor dem Flughafen auf Sie.

Oaxaca. Es gab viele Theorien darüber, wo sich Chimallis letzte Ruhestätte befand, aber Oaxaca gehörte nicht dazu. Ihren Nachforschungen zufolge war das nicht das endgültige Ziel gewesen, sondern lediglich der Startpunkt.

Die meisten Leute glaubten, er sei südlich von Tenochtitlán in die Kiefern-Eichenwälder der Sierra Madre del Sur geflohen. Andere vermuteten westlich, in die Nähe des Chapalasees. Corrie vermutete einen anderen Rückzugsort.

Den Lakandonischen Dschungel. Die Außenbezirke des aztekischen Gebiets, nicht weit von den verlassenen Siedlungen der Olmeken, Zapoteken und Mayas entfernt. Der dichte Lakandonische Urwald bot Schutz vor Feinden und verfügte über eine reichhaltige Flora und Fauna, die in Ermangelung landwirtschaftlicher Nahrungsmittel verzehrt werden konnte. Das Terrain und die Bedingungen passten perfekt zu dem, was Corrie für die glaubwürdigsten Berichte über Chimallis Verschwinden hielt.

Und es lag nicht weit von Oaxaca entfernt.

Halb verängstigt, halb erwartungsvoll war Corrie an Bord des verdammten Flugzeugs gegangen. Sie war fest entschlossen, zumindest herauszufinden, wer so dreist war zu glauben, sie besser zu kennen als sie sich selbst. Außerdem konnte sie immer noch einen Rückzieher machen, wenn ihr das alles nach der Landung zu dubios vorkam. Es sei denn, das Ganze war ein Trick, um sie zu entführen. Oder Schlimmeres.

Sie verließ den Flughafen in Oaxaca und traf auf eine Wand aus heißer, feuchter Luft. Sie ging den dahinschlängelnden überdachten Gang entlang und stellte ihre Entscheidung für eine lange Hose und lange Ärmel infrage. Die schwüle Hitze durchdrang jeden Winkel ihrer Kleidung. Sie warf ihre Tasche auf eine freie Betonbank, zog sich bis auf ein eng anliegendes schwarzes Top aus und suchte in ihren Sachen nach einer Spange, um sich die Haare aus dem verschwitzten Nacken hochzustecken. Mit ihren so zur Schau gestellten Brüsten entsprach sie nicht gerade dem Bild einer professionellen Archäologin, das sie sich zurechtgelegt hatte, aber rotgesichtig und nach Schweiß stinkend war auch nicht besser.

Auf wen wartete sie überhaupt? Den namenlosen Fremden? Jemand anderen? Sie warf noch einen Blick auf den Zettel: Wir warten auf Sie.

Plötzlich kamen ihr die Worte viel bedrohlicher vor als noch vor ein paar Stunden. Sie hielt das alles für eine schlechte Idee. Oder, verdammt … Vielleicht war das auch ein enorm ausgeklügelter Scherz des Fachbereichs Anthropologie der Universität Berkeley, um ihr zu ihrer Professur zu gratulieren.

Allerdings wäre das ein ziemlich teurer Scherz. Vor einem Jahr noch hatten ihre Kollegen kaum zehn Dollar pro Person für eine bessere Kaffeemaschine herausrücken wollen. Aber mit jeder quälend langsam vergehenden Minute stiegen die Chancen, dass es sich um einen Scherz handelte.

Achtundvierzig Minuten. Wann sollte sie anrufen und sich nach einem Rückflug erkundigen?

Sie wurden reingelegt, Dr. Mejía. Denken Sie dran … es gibt immer einen Haken.

Sie schloss die Augen und ärgerte sich über ihre Leichtgläubigkeit. O Mann, wie peinlich. Es sah ihr gar nicht ähnlich zu weinen. Nein, toughe Chicas weinten nicht. Deshalb schloss sie fest die Lider, als ihr Tränen in den Augen brannten.

Die Beweggründe immer im Voraus herausfinden. Sie schalt sich dafür, den Rat ihrer Großmutter nicht befolgt und wieder einmal impulsiv ihrer Abenteuerlust nachgegeben zu haben. Hätte sie ein paar mehr Fragen gestellt oder Antworten verlangt, würde sie jetzt vielleicht nicht allein auf einer Bank in Oaxaca sitzen und überlegen, wie sie es dem Leiter des Fachbereichs erklären sollte. Das Semester so kurzfristig freizunehmen, hatte erhebliche Auswirkungen auf den Lehrplan der Abteilung gehabt. »Das ist doch nicht wieder eins Ihrer wilden Lara-Croft-Abenteuer, oder?«, hatte der Fachbereichsleiter gefragt. Nachdem ihre letzte Ausgrabung zu einer Notevakuierung auf Kosten der Universität geführt hatte, war er zu Recht beunruhigt. Diesmal hatte sie praktisch betteln müssen.

Aber zuzugeben, dass sie hereingelegt worden war, und zu Kreuze kriechen, um ihren ursprünglichen Lehrplan wieder aufzunehmen? Bei dem Gedanken hätte Corrie sich am liebsten übergeben.

Eine Stunde. Eine Stunde noch, dann würde sie aufgeben. Und auf dem Rückflug würde sie sich überlegen, wie sie zu Kreuze kriechen konnte.

Als das Gefühl nachließ, losheulen zu müssen, öffnete Corrie langsam die Augen und bemerkte, wie sich eine verschwommene Gestalt näherte. Sie blinzelte ein paarmal, um die Tränen zu verscheuchen, und erkannte einen Mann mit Sonnenbrille und Panamahut. Nicht der namenlose Fremde. Nein, jemand anderes.

Jemand … Bekanntes.

»Sieh an, sieh an, wenn das nicht Dr. Corrie Mejía ist«, rief er mit einer markanten, freundlichen Stimme. Eine warme Stimme, mit der Corrie während ihres Studiums im Village Pub bei Pints und Cheese Fries unzählige Male gemeinsam gelacht hatte.

Eine Stimme, die Corrie überall wiedererkennen würde.

»Ethan!« Sie sprang von der Bank auf und rannte auf ihren alten Freund zu. Ihre Laune besserte sich, als er sie vom Boden in eine herzliche Umarmung hob, wobei sein Hut zu Boden fiel.

»Was machst du hier?«, fragte sie, als er sie absetzte, doch aus Angst, er könnte sich in Luft auflösen, ließ sie ihn nicht los.

Ihr alter Freund lächelte sie an, mit Lachfalten, die bei ihrer letzten Begegnung noch nicht da gewesen waren, und mit ein paar grauen Strähnen in den ansonsten tiefschwarzen Haaren. Sie hatte ihn schon immer attraktiv gefunden – nicht unbedingt ihr Typ, aber trotzdem ziemlich süß –, er war gut gealtert. Mann, war das schön, ihn wiederzusehen.

»Ich bin natürlich aus demselben Grund hier wie du«, sagte er augenzwinkernd. Als handele es sich um eine geheime Mission.

Was, wenn sie so darüber nachdachte, gar nicht so falsch war.

»Du meinst, du bist wegen«, sie verfiel in ein Flüstern und sah sich um, »der Ausgrabung hier?«

Er lachte. »Wir sind nicht beim MI6, Corrie. Ja, ich bin hier wegen«, er ließ den Blick umherschweifen und beugte sich gut dreißig Zentimeter zu ihr hinunter, »der Ausgrabung.«

Es war typisch Ethan, sie wegen ihres Misstrauens aufzuziehen. Schuld daran war Abuela Mejía mit all ihren Warnungen vor Hintergedanken und Haken. Aber nachdem sie noch vor weniger als einer Viertelstunde befürchtet hatte, gekidnappt zu werden, machten ihr Ethans Hänseleien nichts aus. Was Corrie trotzdem nicht davon abhielt, ihm einen Schlag auf den Arm zu verpassen.

»Freut mich zu sehen, dass du immer noch Mumm hast. Das wirst du für die Ausgrabung brauchen«, sagte er.

»Warum die Geheimnistuerei?«, fragte sie.

»Aus Angst vor Grabräubern. Wenn irgendwer wüsste, was wir hier machen, wären wir erledigt.«

Grabräuber waren nichts Neues. Damit musste sich jede bedeutende Ausgrabung auseinandersetzen. »Nein, ich meine, wie man mich hergebracht hat.«

Ethan zog eine Augenbraue hoch. »Äh … es sollte eine Überraschung sein.«

Eine Überraschung? Sie hatte schon öfter an streng geheimen Aufträgen teilgenommen, aber noch nie war sie so im Dunkeln getappt. Und ganz sicher hielt man vor Archäologen nichts als lustige »Überraschung« geheim. Andererseits hatte Ethan schon immer einen speziellen Humor gehabt.

»Also, wo soll’s hingehen? Und gibt es dort keine neugierigen Einheimischen?«

»Es liegt etwa zwei Stunden östlich von hier. Dichter Urwald, keine Einheimischen, die uns beobachten könnten. Wir wohnen in Zelten und bekommen jede Woche eine Lieferung mit Lebensmitteln und Vorräten.«

»Warte mal kurz.« Corrie hob die Hand und schüttelte den Kopf. »Ich dachte, wir fangen jetzt erst an. Wie lange seid ihr denn schon hier?«

»Seit Mai.«

»Mai?«

Auch wenn Corrie keinerlei Informationen bekommen hatte, passte hier irgendetwas nicht zusammen. Warum wurde sie erst jetzt geholt, wenn die Ausgrabung schon seit mehr als drei Monaten lief?

»Ich dachte, du wüsstest Bescheid. Hat Calvin dir nicht alles erklärt, als er dich gebeten hat, zu kommen?«

Calvin? Wer bitte schön war Calvin? Oh …

»Du meinst den Glatzkopf mit der Brille?«

Ethan zog die Augenbrauen hoch und lachte. »O Mann. Ja, ich denke schon.«

»Tja, Calvin hat mir gar nichts verraten. Er hat nur gesagt, dass es sich um eine Chimalli-Expedition mit einem anonymen Investor handelt und dass am Flughafen ein Ticket zu einem unbekannten Ziel auf mich wartet.«

Ethans Augenbrauen wanderten noch höher. »Und aufgrund dieser Beschreibung bist du tatsächlich gekommen? Ich habe von der Sache mit dem improvisierten Gleitschirm auf der Expedition in Thailand gehört, aber du bist ja noch abenteuerlustiger, als ich dachte.«

Corrie schüttelte den Kopf und drehte die Handflächen nach oben. »Was soll das, Ethan? Du wolltest doch, dass ich komme.«

»Äh … nein.« Er rieb sich den Nacken und verzog das Gesicht. »Ich war das nicht.«

Ach, egal. Vielleicht war das wirklich ein Scherz. Corrie runzelte die Stirn und öffnete den Mund, um noch eine Frage zu stellen, da ertönte eine weitere Stimme hinter ihr.

»Ich habe Calvin gebeten, dich herzuholen.«

Ihr ganzer Körper spannte sich an, und sie schnappte nach Luft. Bei diesem tiefen, köstlichen Timbre lief ihr unwillkürlich ein heißer Schauer über die Haut. Auch diese Stimme kannte sie. Sogar noch besser als Ethans.

Nein, nein, nein, nein, nein, wiederholte sie stumm, während sie sich langsam umdrehte, um sich zu vergewissern, dass sie recht hatte, während sich in ihrem Magen eine starke Mischung aus Verachtung und Lust ausbreitete.

»Du«, knurrte sie und warf dem widerlich gut aussehenden Mann in beigen Cargos, Wanderstiefeln und einem grünen Hemd mit bis zu den Ellenbogen hochgekrempelten Ärmeln einen finsteren Blick zu. Was ihn anging, war er zu gut gealtert. Obwohl sie unzählige Stunden damit verbracht hatte, ihn während der Seminare quer durch den Hörsaal anzustarren, überraschte sie Ford Matthews’ Attraktivität jedes Mal aufs Neue.

Gleichzeitig ging er ihr jedes Mal aufs Neue wahnsinnig auf die Nerven, was nichts mit seinen smaragdgrünen Augen, seinen stets perfekt frisierten blonden Locken und seiner ganz offensichtlich durchtrainierten einen Meter achtzig hochgewachsenen Gestalt zu tun hatte.

Noch nie hatte sie jemanden so sehr hassvögeln wollen.

Aber sie wollte ihm weder die Genugtuung gönnen noch zu einer weiteren Kerbe in seinem sicherlich schon reich verzierten Bettpfosten werden. Vor allem nicht nach dem, was er ihr angetan hatte.

Unvorstellbar, dass sie das tatsächlich einmal in Erwägung gezogen hatte.

Bei der Erinnerung durchströmte sie ein warmes Kribbeln in gewissen Regionen, doch sie unterdrückte es schnell und trat einen Schritt zurück – und prallte prompt gegen Ethans Brust. Na toll. Sie saß in der Falle. Sie war Ford viel zu nah, unangenehm nah.

»Mich freut es auch, dich zu sehen, Corrie«, antwortete er mit einem verschmitzten, rätselhaften Lächeln. Einem Lächeln, das im krassen Kontrast zu dem finsteren Ausdruck auf Corries Gesicht stand.

»Dr. Mejía«, korrigierte sie durch zusammengebissene Zähne.

Ein leises Lachen kam ihm über die Lippen. Verdammt, wie gern hätte sie ihm sein Grinsen aus dem perfekten Gesicht geschlagen. »Naja, du brauchst mich nicht Dr. Matthews zu nennen. Mir reicht Ford. Oder Chef, das wäre auch okay.«

Chef?

Ihr klappte die Kinnlade herunter, doch schnell presste sie die Lippen aufeinander und zog die Augenbrauen zusammen.

Eingebildeter Mistke…

Sie hätte ahnen müssen, dass Dr. Ford Matthews die Ausgrabung leitete. War ja klar, dass Ford ihr noch mehr wegnehmen wollte. Es reichte ihm nicht, dass er ihr das Stipendium geklaut hatte, das ihr nach ihrem Abschluss vor acht Jahren fast angeboten worden wäre. Jetzt wollte er sich auch noch ihr Herzensprojekt unter den Nagel reißen. Seinen Namen in allen Geschichtsbüchern über die Entdeckung von Chimallis Grab verewigen. Chimalli, ihr Vorfahr, nicht seiner.

Sie verdrehte die Augen und verschränkte die Arme. »War ja klar. Ich fasse es nicht«, murmelte sie leise.

»Wie ich sehe, hast du mich vermisst«, sagte er gewohnt charmant-sarkastisch. Er kam einen Schritt näher, und der Abstand zwischen ihnen wurde noch kleiner. Was hatte er vor?

»Das Einzige, was ich an dir vermisse, ist deine Abwesenheit. Was soll das? Ist das irgendein blöder Scherz?«, schnauzte sie und trat einen Schritt zur Seite, um sich von ihm zu entfernen.

»Im Gegenteil.« Noch ein Schritt. Was zur …?

»Und was soll ich dann hier?«

Er legte den Kopf schief und blinzelte sie mit seinen funkelnden Augen durch seine dicke, schwarz gerahmte Brille an. Oh, bitte. Ihre Verwirrung überraschte ihn doch nicht im Ernst. »Liegt das nicht auf der Hand? Wir suchen nach Chimalli. Dachte, du willst vielleicht daran beteiligt sein, schließlich hast du über ihn promoviert. Und man munkelt, dass du dich schon seit ein paar Jahren um eine Finanzierung bemühst …« Seine besserwisserische Stimme verstummte.

Die Gutmenschnummer kaufte sie ihm nicht ab. Nein, Dr. Ford Matthews hatte sie nicht aus bloßer Großherzigkeit eingeladen, weil er dachte, dass sie vielleicht daran beteiligt sein wollte. Ford machte nichts für andere, nur für sich selbst.

Das hatte er in den vier Jahren ihres gemeinsamen Studiums zur Genüge bewiesen. Aber eher würde die Hölle zufrieren – oder besser gesagt der mexikanische Dschungel –, bevor Corrie sich noch einmal an ihm die Finger verbrannte. Chimalli hin oder her, sie konnte nicht mit Ford arbeiten.

Und schon gar nicht für Ford.

Die Erkenntnis brachte sie zurück in die Realität. »Tja, ich muss leider passen. Ich habe die nötige Bestätigung bekommen, dass es zu schön ist, um wahr zu sein. Ich wünschte nur, du hättest uns beiden den Ärger erspart und Calvin gesagt, dass du mich hierhaben willst, dann hätte ich schon in Berkeley abgelehnt.« Sie drehte sich zu Ethan um und legte ihm die Hand auf den Unterarm. »Ethan, es war wirklich schön, dich zu sehen. Wir tauschen uns aus, wenn du wieder in den Staaten bist.«

Damit drehte Corrie sich auf dem Absatz zu ihren Sachen um und überschlug gedanklich, ob sie sich einen Platz in der ersten Klasse leisten konnte, weil, naja, nach alldem hatte sie sich den verdient. Die Kosten würde sie mit Gratiscocktails ausgleichen.

»Corrie …«, setzte Ford an, gefolgt von einem hörbaren Schlag und einem Grunzen. »Ich meine, Dr. Mejía, halt!«

Sie blieb wie angewurzelt stehen, sie hatte Fords Stimme noch nie zittern gehört. Was war das? Angst? Besorgnis?

Bettelte Ford Matthews etwa? Einer ihrer Mundwinkel hob sich.

»Calvin hat dir nicht gesagt, dass ich es war, weil ich wusste, dass du dann nicht gekommen wärst … und …«

Die Worte lagen ihm auf der Zunge, und ihr Mundwinkel senkte sich wieder. Natürlich würde Ford nie zugeben, dass er einen Fehler gemacht hatte. Sie machte einen weiteren Schritt …

»Ich brauche dich!«, platzte er heraus.

Ein kleines teuflisches Lächeln legte sich auf Corries Lippen, wie beim Grinch, der Weihnachten gestohlen hatte. Diese Worte von ihm zu hören, war einfach zu gut. »Entschuldigung, was hast du gesagt?« Langsam drehte sie sich um und bemühte sich, ihr selbstgefälliges Lächeln zu unterdrücken.

»Du hast mich sehr gut verstanden.« Er stand vor ihr, mahlte mit dem Kiefer und grub die Finger in die Hüften.

Diesmal ging sie ein paar Schritte auf ihn zu. »Nein, ich glaube nicht. Denn der Ford Matthews, den ich kenne, würde mich nie um Hilfe bitten. Oder zumindest würde er sich davor hüten.« Sie spiegelte seine Haltung mit Stand- und Spielbein, die Hände in die Taille gestemmt.

Fords Nasenflügel bebten, und als er tief einatmete, hob sich seine breite Brust. Corrie stellte sich vor, wie sie genüsslich mit den Fingern seinen straffen Oberkörper erkundete. Oh, wie sehr es ihn schmerzte, dass er derjenige war, der Hilfe brauchte. Ethan knurrte ihm etwas ins Ohr, aber Corrie verstand nur die zweite Hälfte. »Jetzt sag es ihr schon«, sagte er.

Zehn Sekunden fochten sie ein Blickduell aus, dann gab Ford schließlich nach.

»Na gut«, knurrte er und warf die Hände in die Luft. »Ich brauche dich. Alles hatte so gut angefangen, und ich dachte, ich hätte alles im Griff, aber wir graben schon seit drei Monaten, und irgendetwas stimmt nicht. Du kannst dir bestimmt denken, dass ich dich nicht hergeholt hätte, wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte.«

Damit hatte er recht. Ford verachtete Corrie genauso wie sie ihn.

»Du bist also verzweifelt?«

Er verdrehte die Augen. »Offensichtlich. Aber wenn es überhaupt jemanden gibt, bei dem auch nur annähernd die Chance besteht, dass er weiterhelfen kann, dann du. Deshalb sind wir hier. Willst du mir also helfen oder nicht, denn wenn wir uns nicht bald auf den Weg machen, ist es dunkel, bis wir zurückkommen.«

»Was springt für mich dabei raus?«, fragte sie.

»Sind dir Ruhm und Ehre nicht genug?« Ford verschränkte die Arme.

Corrie wollte gerade den Mund öffnen, um ihm ein weiteres Argument entgegenzuschleudern, doch Ethan schaltete sich ein. »Warum kommst du nicht für eine Nacht mit? Morgen früh zeigen wir dir die Ausgrabung, und dann entscheidest du, ob du bleibst.«

»Wir können sie nicht mitnehmen, wenn sie nicht bleibt«, protestierte Ford leise.

»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ihn Ethan. »Sie ist die Einzige, der ich mehr vertraue als dir, und sie wird nichts mitgehen lassen. Versprochen. Stimmt’s, Corrie?«, fragte er.

»Natürlich nicht. Ich nehme nichts, was mir nicht gehört. Im Gegensatz zu anderen«, sagte sie mit Nachdruck.

Während sie die Worte mit geschürzten Lippen aussprach, sah Ford sie an. Gut. Sie hoffte, dass sie ihn getroffen hatten.

»Also, bist du dabei?«, fragte Ethan.

Corrie musterte Ford prüfend von Kopf bis Fuß. Trotz seines finsteren Blicks erkannte sie die Panik in seinen Augen. Die Sorge, sie könnte tatsächlich ablehnen.

Sie mussten etwas Großem auf der Spur sein, und er hatte Angst, es ohne ihre Hilfe zu verlieren. Sie würde eine Autofahrt und einen Abend in Fords Gesellschaft ertragen, um mehr herauszufinden.

Wenigstens war die Landschaft schön.

»Na gut, ich bin dabei. Aber ich behalte mir vor, meine Meinung morgen früh zu ändern.«

Sowohl Ford als auch Ethan atmeten erleichtert auf und ließen die Schultern sinken, und Ford kam auf Corrie zu. Durch seine Nähe wurde ihr ganz heiß.

»Vertrau mir … Du wirst deine Meinung nicht ändern«, flüsterte er ihr ins Ohr, als er sich hinunterbeugte, um sich ihre Taschen zu schnappen.

Sein warmer, nach Minze duftender Atem kitzelte sie hinter dem Ohr, und ein weiterer warmer Schauer durchfuhr sie. Auch wenn dieser, anders als beim letzten Mal, ihre untere Körperregion erfasste.

Doch wenn es einen Menschen auf der Welt gab, dem sie überhaupt nicht traute – und schon gar nicht untenrum –, dann Dr. Ford Matthews.

2

Was für eine beschissene Idee. Eine absolut beschissene Idee.

Der Wind peitschte Corrie durch die Haare, als sie die unbefestigte Straße entlangfuhren. Obwohl sie ihre Haare am Hinterkopf festgesteckt hatte, tanzten ein paar dunkelbraune Wellen mit honigfarbenen Spitzen durch die Luft und strichen ihr über die glatte goldene Gesichtshaut.

Dr. Corrie Mejía war noch schöner als in seiner Erinnerung.

Schade, dass sie ihn nicht mochte. Was er ihr nicht verübeln konnte. Verdammt, manchmal konnte er sich ja selbst nicht leiden, zumindest, wenn er sich so schmierig gab wie am Flughafen. Immer wenn er in ihrer Nähe war – und zwar nur in ihrer –, kam Ford, der Trottel, zum Vorschein.

Er konnte nicht glauben, dass er ihr tatsächlich gesagt hatte, sie könne ihn Chef nennen.

Voll. Trottel.

Als er darüber nachdachte, schüttelte er den Kopf und fing Corries neugierigen Blick im Rückspiegel auf. Ein Blick, der schnell stechend wurde, während ihn diese dunkelbraunen Augen wie Laser durchbohrten. Vielleicht wollte sie bedrohlich wirken. Sie ahnte nicht, dass er sich nur fragte, wie diese Augen wohl aussähen, wenn sie ihn vom Bett aus anblicken würden. Ihn so ansehen würden wie in jener Nacht, die sie allein in der Bibliothek verbracht hatten.

Dachte sie auch manchmal daran zurück?

Diese Ausgrabung war viel zu lang für eine erzwungene sexuelle Auszeit im mexikanischen Dschungel in unmittelbarer Nähe von Corrie, vor allem, wenn sie weiter Sachen trug, die jede einzelne ihrer weichen Kurven so umschmeichelten wie diese hier.

»Wie lange noch?«, fragte sie.

»Ungefähr eine Viertelstunde«, rief er über den Wind und den dröhnenden Motor hinweg, während sie die von mexikanischen Ulmen gesäumte holprigste Schotterpiste in ganz Mexiko entlangfuhren.

»Gut. Mein Rücken bringt mich um.« Sie streckte sich und reckte dabei ihre Brüste noch weiter vor.

Warum nur? Warum konnte die einzige Person, die ihm eventuell helfen konnte, nicht wie ein Kobold aussehen? Oder wenigstens nicht so göttlich wie Corrie? Ford hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie ihm bei Gelegenheit die Kleider vom Leib gerissen hätte.

Ein kleiner Teil von ihm hoffte, dass sie es sich anders überlegen würde. Dass sie in eine ihrer berüchtigten Streitereien geraten würden, sobald er ihr die Ausgrabung gezeigt hatte – oder besser noch vorher –, und dass sie abreisen würde. Es wäre in vielerlei Hinsicht besser, dem Investor einfach ihr Scheitern einzugestehen, als Dr. Corrie Mejía für wer weiß wie lange ertragen zu müssen. Er wusste aus Erfahrung, dass sie mehr schlecht als recht zusammenarbeiteten, wenn man es überhaupt Zusammenarbeit nennen konnte. Auf die zusätzliche sexuelle Frustration konnte er gut verzichten.

Denn wenn Ford eines wusste, dann, dass er und Corrie auf keinen Fall miteinander schlafen durften. Niemals. Egal, wie oft er darüber nachgedacht hatte. Ihm war klar, dass es in einem Desaster enden würde, wenn er mit Corrie schlief, da er ihr damit einen weiteren Grund gäbe, ihn noch mehr zu hassen.

Aber Ford war verzweifelt. So sehr, dass er bereit war, Corrie Mejías Zorn und Wut zu riskieren, wenn er dadurch seine Mutter retten konnte.

Tränen stiegen ihm in die Augen, und er blinzelte sie schnell weg, nicht jedoch, ohne noch einen weiteren neugierigen Blick von Corrie zu ernten. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, dass sie ihn die ganze Zeit beobachtete. Er konnte nicht sagen, ob es Misstrauen oder etwas anderes war, aber jedes Mal, wenn er ihren Blick erhaschte, schweifte seine Fantasie ins nicht Jugendfreie ab und trieb die Temperatur noch ein paar Grad nach oben. Die Bedingungen waren so schon schlimm genug. Mehr Hitze war das Letzte, was Ford gebrauchen konnte.

Naja, abgesehen von einem weiteren Fehlschlag auf seiner länger werdenden Liste.

Die Dämmerung legte sich über das dichte Laub des Dschungels und verdunkelte die Umgebung. Er hatte gehofft, dass sie eher ankommen würden, damit sie Corrie noch heute Abend eine Führung geben konnten; jetzt würde er bis zum Morgen warten müssen. Doch angesichts der neuen Vereinbarung und der Möglichkeit, dass sie am Morgen den Stecker ziehen könnte, wollte er lieber nicht allzu viele Einzelheiten der Ausgrabung verraten. Ethan mochte ihr vertrauen, aber Ford traute kaum jemandem in der Branche, zumindest nicht, bis sie eine solide Basis aufgebaut hatten. Ihm war selbst schleierhaft, was er eigentlich bei einer Ausgrabung tat, die von einem völlig Fremden finanziert wurde. Aber bisher hatte der Investor, Pierre Vautour, jedes Versprechen eingehalten. Keine Kosten gescheut. Und trotz seines schwierigen Verhältnisses zu seinem Chef in Yale vertraute er darauf, dass Dr. Crawley ihn nicht in die Irre geführt hatte, als er ihn Mr. Vautour vorstellte.

Eines war jedoch sicher – Corrie vertraute ihm nicht, was Ford nicht unbedingt das Vertrauen einflößte, um irgendwelche Details preiszugeben, bevor sie nicht zugestimmt hatte, zu bleiben. Was, wenn sie jemanden anheuerte, der sich in ihr Lager schlich und die Artefakte mitnahm? Vorausgesetzt, sie würden sie überhaupt finden. Er glaubte nicht, dass Corrie der Typ dafür war, andererseits hatte sie noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Aus Rache machten Menschen die komischsten Sachen.

»Wir sind da«, rief Ethan Corrie zu, als Ford das Tempo drosselte und den Jeep in das Camp lenkte.

Mehrere große Zelte säumten den Rand einer kleinen Lichtung im Wald – ein paar Mehrpersonenzelte für die Crew und die Praktikanten und zwei Ein-Mann-Zelte, die Ethan als »Glamping«-Zelte für Ford und sich bezeichnete – alle auf Plattformen errichtet, um sie vor den häufigen Regengüssen zu schützen. Ein größeres Speisezelt mit Picknicktischen und einer behelfsmäßigen Küche befand sich in der Mitte. Außerhalb lagen ein paar mit Vorhängeschlössern gesicherte Geräteschuppen neben den Waschräumen, wobei Waschräume eine großzügige Bezeichnung war, da es sich um Plumpsklos und wackelige Campingduschen handelte. Der beste Teil des Camps war die Feuerstelle. Dort konnte sich das Team nach einem langen Tag entspannen, trinken, Geschichten erzählen und Lieder singen. Hier draußen, umgeben von hoch aufragenden Mahagoni- und Kapokbäumen, üppigen Palmen und Farnen, flatternden Fledermäusen und lärmenden Klammeraffen, waren sie wie eine Familie.

Die Lichter hoch oben in den Lianen der Bäume waren bereits eingeschaltet, und das restliche Team saß herum und wartete auf das Abendessen. Sie kamen genau zur richtigen Zeit. Mit einem selbst gekochten Essen am Abend war es trotz all der Kreaturen und Geheimnisse gar nicht so schlecht mitten im Urwald. Und wenn jemand Corrie vom Bleiben überzeugen konnte, dann Agnes mit ihren Kochkünsten.

»Da wären wir also. Home sweet home.« Ford parkte den Jeep und schaltete den Motor ab.

»Wo ist die Ausgrabung?« Corrie sah sich um.

»Wir müssen hinwandern. Sie ist etwa eine Meile entfernt«, antwortete Ethan.

In ihren Augen blitzte etwas auf, als würde sie sich der zusätzlichen Anforderungen an die Expeditionsteilnehmer bewusst. Ford, der nicht bis zum Morgen warten wollte, um klarzustellen, wie schlimm es wirklich war, fügte hinzu: »Das Gelände ist heimtückisch. Uneben und hügelig. Es ist praktisch unmöglich, mit einem Fahrzeug durchzukommen. Und wenn es regnet, wie zu dieser Jahreszeit fast jeden Tag … tja, dann ist es total schlammig.«

Ford genoss es nicht gerade, jeden Tag durch Schlamm und Matsch zu waten. Was war schlimm daran, dass er heiße Duschen und saubere Unterkünfte vermisste?

»Ich habe schon an Grabungen teilgenommen, weißt du«, sagte sie frech. »Außerdem, gehört es nicht zum Spaß dazu, sich dreckig zu machen?«

Ihre rhetorische Frage beinhaltete eine Andeutung, die sein Interesse weckte und eine ordentliche Portion Blut in eine gewisse Richtung schickte. Tja, wenn man es so sah …

»Komm, wir stellen dich dem Team vor, und dann essen wir zu Abend«, sagte Ethan und unterbrach Fords schmutzige Gedanken.

»Was ist mit meinen Sachen?«

»Die sind im Jeep erst mal gut aufgehoben. Wir holen sie später.« Ford stieg aus und bot Corrie seine Hand an.

Aber nach einem abfälligen Blick darauf sprang sie ohne Hilfe hinaus. Seufz. Jep, so würde das wohl laufen.

»Und ich dachte schon, ihr zwei wärt ohne mich in die Stadt gefahren, um euch zu betrinken.« Lance, Mr. Vautours persönlicher Mitarbeiter, tauchte am Rande des Camps auf und lenkte Fords Aufmerksamkeit von Corrie ab.

Ford lächelte. »Und hätten den dritten Amigo ausgeschlossen?« Sie gaben sich einen festen Händedruck. Lance war zwar nur da, um dafür zu sorgen, dass alles nach Plan lief, aber in den letzten Monaten hatten sie eine Art Freundschaft geschlossen, obwohl er lieber Scotch als Rye Whiskey trank.

»Wen haben wir denn da? Eine neue Rekrutin?« Lance sah an Ford vorbei und musterte Corrie neugierig.

Scheiße. Ford hatte das nicht richtig durchdacht. Lance sollte dem Investor auf keinen Fall berichten, dass sie nicht vorankamen und Verstärkung angefordert hatten. Besonders, da ebenjene Verstärkung die erste Wahl des Investors für die Expedition gewesen war.

»Äh, Lance, ich möchte dir Dr. Socorro Mejía vorstellen, eine alte Studienkollegin.«

Corrie zog eine Augenbraue hoch, während sowohl sie als auch Ethan Ford skeptisch ansahen.

»Sie ist, äh, zu Forschungszwecken hier«, sagte Ford, ohne ihre Blicke zu beachten. »Dr. Mejía, das ist Lance. Er arbeitet für den Investor.«

Sie hob den Kopf ein paar Zentimeter, als wüsste sie, welche Gründe seine Unbeholfenheit hatte. »Freut mich, Sie kennenzulernen.« Sie schüttelte ihm die Hand.

»Ebenfalls. Wie schön, dass Sie drei Ihre Freundschaft nach der Uni aufrechterhalten haben.«

»O ja. Ford, Ethan und ich waren an der Uni allerbeste Freunde. Wir hatten so viel Spaß zusammen, nicht wahr, Ford?«, sagte sie und knuffte ihn scherzhaft, aber mit ein bisschen zu viel Schwung gegen den Arm.

»Mm-hmm«, murmelte er und kämpfte gegen den Drang an, seinen stechenden Bizeps zu massieren.

»Bleiben Sie lange?«, fragte Lance.

»Ich weiß nicht. Darüber haben wir noch nicht gesprochen. Es war eine Art Überraschungsbesuch«, antwortete Corrie.

Was hatte sie vor?

»Ein Überraschungsbesuch in Mexiko? Ihr Archäologen habt ja ein aufregendes Leben.«

»Absolut. Es war überhaupt kein Problem für mich, alles stehen und liegen zu lassen und herzukommen, denn ich musste einfach sehen, was Ford und Ethan hier so treiben. Und ich habe sie ja so vermisst.« Sie trug zu dick auf. Viel zu dick.

Zum Glück war Lance mit Corries … Humor nicht vertraut und schien nichts zu bemerken.

»Ich mache vor dem Abendessen noch ein paar Fotos«, sagte er und hielt die Kamera hoch, die ihn immer begleitete, »aber ich hoffe, wir haben später noch Gelegenheit, uns weiter zu unterhalten.«

Sie warteten eine Weile, um sicherzustellen, dass Lance weit genug weg war, dann wandte Corrie sich an Ford. »Alte Studienfreunde, was?«

»Hör mal, es ist kompliziert.«

Corrie prustete los. »Meinst du die Ausgrabung oder unseren Beziehungsstatus?«

Ford erstarrte. So konnte man es auch ausdrücken. Aber dass sie das zwischen ihnen, als Beziehung bezeichnete – ob gut oder schlecht –, verursachte ihm ein komisches Gefühl im Magen.

»Ach, komm«, sagte er und beschloss, den Köder nicht zu schlucken.

Sie gingen zum Camp hinüber und begrüßten auf dem Weg zwischen den Bäumen verschiedene Leute. Sonntags hatten alle frei, weshalb die meisten aus dem Team geduscht und relativ sauber waren. Wenigstens würde Corrie nicht mit dem typischen Geruch von Dreck, Schweiß und Körperflüssigkeiten konfrontiert werden, der normalerweise über dem Camp hing. Das Team bestand hauptsächlich aus Männern, und mit nur zwei weiteren Frauen – Sunny, Fords süßer, aber nervtötend frecher Praktikantin, und Agnes, der zweiundsechzigjährigen Küchenchefin – kam er sich oft mehr wie bei einer Burschenschaft als einer streng geheimen archäologischen Ausgrabung vor. Agnes rügte die Männer täglich für ihr ekelhaftes Verhalten. Sunny hingegen beschwerte sich gar nicht. Weder über die Gerüche, die schlammigen Wanderungen zur Ausgrabungsstätte noch darüber, dass sie sich ein Zelt mit Agnes teilen musste – das war allein ihre Entscheidung gewesen, und Ford konnte es ihnen nicht verübeln. Verdammt, er schätzte sich selbst jede Nacht glücklich, dass er sein eigenes Zelt hatte.

Wie aufs Stichwort kam Sunny wie ein aufgeregter Ozelot aus ihrem Zelt gesprungen und eilte direkt auf den Neuankömmling zu. Bei ihrem Anblick erstarrte Corrie neben Ford und schreckte zurück, kurz bevor sie von dem Energiebündel Sunshine O’Donnell überfallen wurde.

»O mein Gott, Sie müssen Dr. Mejía sein! Ich habe schon so viel von Ihnen gehört und alle Ihre Veröffentlichungen gelesen.« Sunny schüttelte Corrie energisch die Hand.

Corrie war das sichtlich unangenehm, und Ford lachte in sich hinein. Er hatte Corrie nie für ein typisches Mädchen gehalten oder für einen Fan übersprudelnder Persönlichkeiten wie der von Sunny. Für so einen Blödsinn war sie viel zu seriös. Nein, sie war zielstrebig und konzentriert, und obwohl Corrie mitunter freundlich sein konnte – sie und Ethan hatten sich am Flughafen praktisch wie beste Freunde verhalten –, wirkte sie nicht wie der Typ, der Teil einer Riesenclique war.

Und ihre wahren Gefühle konnte sie auch nicht erfolgreich verbergen, das wusste Ford aus eigener Erfahrung.

Während Sunny über eins von Corries letzten Papers sprach, das im Magazin Archaeology veröffentlicht worden war, ohne auch nur einmal Luft zu holen – oder Corrie zu erlauben, nach ihrem Namen zu fragen –, wurde die Falte auf Corries Stirn immer tiefer, und sie legte den Kopf schief. Auweia … das könnte böse enden. Fords Magen verknotete sich. Vielleicht hätten er und Ethan sie – oder offen gesagt, alle beide – vorwarnen sollen. Corrie vor Sunnys, nun ja, sonnigem Gemüt, und Sunny vor Corries … Mangel daran.

Vielleicht hätte er sie einander erst vorstellen sollen, nachdem Corrie zugestimmt hatte, zu bleiben.

Ford wartete. Wartete auf Corries unvermeidliche Explosion. Sie öffnete den Mund, und er machte sich innerlich bereit, Sunny vor Corrie zu retten. Und dann …

»Tut mir leid, aber ich habe Ihren Namen nicht verstanden.« Corrie unterbrach Sunny höflich und lächelte.

Was zur …? Ford sah Corrie aus dem Augenwinkel an und musterte ihr Profil. Wer ist diese Frau, und was hat sie mit Corrie Mejía gemacht?

Sunny ließ Corries Hand los, schob sich ihr kastanienbraunes Haar hinter die Ohren und senkte verlegen den Kopf. »O Gott, tut mir leid. Ich bin Dr. Matthews’ Forschungsassistentin, Sunshine O’Donnell, aber alle nennen mich Sunny. Tut mir leid, manchmal bin ich sehr aufgeregt, und dann rede ich dummes Zeug. Und als ich gehört habe, dass Sie kommen, konnte ich es nicht glauben, weil Sie mein Idol sind – nicht böse sein, Dr. Matthews.« Sie wandte sich an Ford. »Und es ist, als ob mein Gehirn denkt, dass ich Ihnen alles erzählen muss, denn was ist, wenn ich nur diese eine Chance habe, und o mein Gott, ich tue es schon wieder, stimmt’s?«

Corrie lachte. Lachte, als fände sie Sunny entzückend. Die alte Corrie hätte es kaum ertragen, wenn jemand wie Sunny während einer Vorlesung geschwatzt hätte. Aber diese Frau? Ford erkannte sie kaum wieder. Zugegeben, Corrie hatte ein schönes Lachen. Der Klang ließ die Anspannung von ihm abfallen. Und er freute sich, ein echtes Lächeln auf ihrem wunderschönen Gesicht zu sehen.

»Wow, ich hatte noch nie einen Fan. Ich bin überrascht, dass Sie überhaupt wissen, wer ich bin«, sagte Corrie mit einem scherzhaften Unterton.

»O mein Gott, meinen Sie das ernst? Sie sind doch die krasseste Archäologin unserer Zeit. Nicht böse sein, Dr. Matthews.«

Und schon war die Anspannung wieder da. Ford verlagerte das Gewicht, als er ein Stechen im Nacken spürte. Nicht böse sein? Da er es bereits zum zweiten Mal hörte, fragte er sich, ob er vielleicht doch böse sein sollte.

»Immerhin haben Sie die Diebesbande in Belize gejagt. Und die Jadekette von den Gaunern in Panama City zurückgeklaut. Und dann waren Sie sogar schneller als der Jaguar im Amazonas …«

»Er war verletzt«, stellte Ford klar und spürte, wie sich Corries brennender Laserblick auf ihn richtete. Was soll’s. Er hatte die Geschichte auch gehört.

»Egal. Total. Krass«, fuhr Sunny fort. »Sie sind so was wie eine echte Lara Croft. Und genauso heiß.« Sie schürzte die Lippen und wackelte mit den Augenbrauen.

Ruckartig blickte Ford zu Sunny. Moment … flirtete sie etwa … mit Corrie?

»War Lara Croft nicht eine Grabräuberin – also keine von uns, den Guten?«, sagte Ford und mischte sich schon wieder unaufgefordert ein. Um Himmels willen, Sunny tat gerade so, als würde Corrie sich von Liane zu Liane schwingen und aus Hubschraubern springen.

Allerdings musste er zugeben, dass sie mit heiß nicht falschlag.

»Schon gut, Dr. Matthews. Wir wissen alle, dass du auch beeindruckend bist«, scherzte Ethan und tätschelte Ford den Kopf.

Ach ja? Und warum stand er dann nicht auf der Liste der krassesten Archäologen, obwohl er an weit über fünfzig Grabungen teilgenommen, die ganzen Petroglyphen in Arizona freigelegt und einen bisher unbekannten Mayatempel in Guatemala entdeckt hatte? Dafür verdiente er wenigsten ein bisschen Anerkennung, oder nicht?

»Ich mein ja nur«, sagte Ford und schüttelte Ethan ab. »Ich bin mir nur nicht sicher, ob ein Vergleich mit Lara Croft tatsächlich ein Kompliment ist.«

War er … eifersüchtig? Mann, er klang wie eine beleidigte Leberwurst. Schon wieder kam sein innerer Trottel zum Vorschein.

»Danke«, sagte Corrie schließlich. »Ich fühle mich geschmeichelt, trotz des Vergleichs. Und Sie müssen Ford verzeihen. Er und sein Namensvetter sind nicht gerade scharf auf Grabräuber.«

Fords Nasenflügel bebten, sein Kiefer verspannte sich, und er sah Corrie finster an.

»Ford? O mein Gott, wurden Sie etwa nach Harrison Ford benannt, Dr. Matthews?«, fragte Sunny und wandte sich wieder an ihn.

Er hängte es nicht gern an die große Glocke, dass seine Eltern ihn tatsächlich nach Harrison Ford benannt hatten. Und dass ihre Besessenheit von Harrison und den Indiana-Jones-Filmen sein Interesse für Archäologie geweckt hatte. Aber kein Archäologe, der nach 1981 geboren war, würde leugnen, dass Indiana Jones sein Idol war.

Okay … gut. Lara Croft war auch ziemlich klasse.

»Irgendwie schon.« Er versuchte, schnell darüber hinwegzugehen. »Hey, Sunny, könntest du Agnes fragen, ob sie fürs Abendessen unseren neuen Gast eingeplant hat?«

»Oh, ich habe erst vor einer Stunde mit ihr gespro…«

»Warum vergewisserst du dich nicht noch mal?«

Sunny musterte ihre Gesichter, eins nach dem anderen – Ethan und Corrie sahen Ford an, Ford blickte ins Leere –, bis sie den Wink endlich begriff. »Tja, wir können uns ja später weiter unterhalten«, sagte sie zu Corrie.

»Klingt gut. Ich freue mich schon«, antwortete Corrie und legte Sunny sanft die Hand auf den Unterarm, bevor Sunny endlich tat, worum Ford sie gebeten hatte.

Als Sunny außer Hörweite war, wirbelte Corrie zu ihm herum. »Ist da etwa jemand neidisch?«

»Ach, komm.« Er winkte ab und verdrehte die Augen. »Neidisch auf deine waghalsigen Abenteuer und dass du dich ein halbes Dutzend Mal fast umgebracht hättest? Wohl kaum.«

Mit anderen Worten, neidisch, und wie.

»Ach, das meine ich gar nicht. Ich weiß doch, dass du viel zu empfindlich bist, um durch den Dschungel zu rennen oder Verbrecher zu jagen. Ich meine, dass du nicht im Mittelpunkt stehst. Bestimmt hat Sunny dich bis eben auch so angehimmelt. Und jetzt …« Sie verstummte und zuckte lächelnd die Schultern.

Da war wohl jemand eingebildet.

»Wow. Zwei Lächeln an einem Tag. Seit wann bist du Miss Charmant?«

»Ohhh, Schätzchen, es ist dir aufgefallen.« Sie klimperte mit den Wimpern und streckte sich ihm entgegen. Ford sah sie mit zusammengepressten Lippen an, am liebsten hätte er ihr das Grinsen aus dem Gesicht gewischt.

»Ihr verhaltet euch wie zwei zickige Teenager, ehrlich. Wird euch das nie langweilig?«, fragte Ethan und unterbrach ihre Sticheleien.

»Nö«, antworteten Corrie und Ford wie aus einem Mund und starrten sich weiter finster an.

»Also ich habe einen Bärenhunger, und wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme, ertrage ich eure Kabbeleien nicht mehr. Könntet ihr bitte eine Pause einlegen, wenigstens für eine Viertelstunde?«

Klar, dass Ethan sich rational verhielt. Einer der vielen Gründe, warum Ford ihn gebeten hatte, an der Expedition teilzunehmen. Und jetzt, mit Corrie an Bord, war es noch besser, dass er hier war.

»Na gut«, antwortete Corrie und unterbrach ihr Starrduell. »Ich muss sowieso mal auf die Toilette. Wo finde ich die?«

»Da drüben.« Ethan zeigte auf die Toilettenzelte, oder die TZs, wie sie sie nannten. Ich gehe aufs TZ klang viel besser als: Ich gehe aufs Scheißhaus.

Corrie nickte, warf ihm allerdings noch einen scharfen Blick zu, bevor sie in Richtung der TZs ging, wobei ihre fabelhaften Hüften bei jedem Schritt mitschwangen und Ford in ihren Bann zogen. Sie verzauberten ihn, und der Ärger, den er kurz zuvor noch empfunden hatte, verpuffte förmlich.

»Was ist dein Problem?«, fragte Ethan, gab Ford einen Klaps auf den Bauch und riss ihn damit aus seinem hypnotischen Tagtraum. »Wir brauchen sie, schon vergessen?«

»Ich weiß.« Ford senkte frustriert den Kopf. »Sie ist nur so … so …«

Tausend Worte gingen ihm durch den Kopf, aber keins davon wollte er laut aussprechen.

»Sexy?«, vollendete Ethan schließlich den Satz für ihn.

Na toll. War das so offensichtlich?

»Was? Nein. Mann, Ethan.« Ford verdrehte die Augen und grinste spöttisch.

»Okay, klar, Ford. Wie du meinst«, sagte Ethan mit hochgezogener Augenbraue. »Du kannst ruhig zugeben, dass du sie attraktiv findest. Wenn du es abstreitest, macht dich das nur noch verdächtiger.«

Ärger brandete in Ford auf. »Darum geht es doch gar nicht«, sagte er in dem Versuch, auf das eigentliche Thema zurückzukommen.

»Dann gibst du es also zu?«

»Was denn?«

»Na, dass du dich zu ihr hingezogen fühlst. Ich sage ihr auch nichts.«

Sein Mund zuckte, und seine Nasenflügel blähten sich auf, als er sich bemühte, die Worte zurückzuhalten. Was hatte das überhaupt mit irgendetwas zu tun? Auch wenn Ethan sein bester Freund war, ging es ihn nichts an, wen er attraktiv fand. Aber selbst in ihrer Abwesenheit verfolgten ihn Corries hypnotische Hüften, ihr hübscher Mund und ihre himmlischen Augen.

»Schön! Ja!«, platzte er heraus und warf die Hände in die Luft. »Ja, sie ist heiß. Zufrieden?«

Ein breites Lächeln erschien auf Ethans Gesicht. »Ja, bin ich. Danke. Zwischen euch beiden hat es schon an der Uni so merkwürdig geknistert. Zumindest bis du mit Addison zusammengekommen bist.«

»Okay, können wir bitte das Thema wechseln?« Ford rieb sich die Stirn und wurde ungeduldig. »Wie schon gesagt, darum geht es nicht. Ich kann mit Corrie zusammenarbeiten – falls sie überhaupt einwilligt, die Chancen schätze ich auf fifty-fifty –, ungeachtet dessen, dass ich sie attraktiv finde, ja. Sie ist eine wunderschöne Frau, da wird mir sicher jeder hier im Camp zustimmen, auch du. Und Sunny. Also tu nicht so, als hättest du den Da-Vinci-Code geknackt, denn so überraschend ist es nun auch wieder nicht, oder?«

»Nein, nicht für mich«, sagte Ethan mit erhobenem Kinn und sichtlich stolz auf sich. »Schön, dass du es endlich zugibst, nach, was, zwölf Jahren?«

»Du bist manchmal echt ein Arsch, weißt du das?«

»Total. Aber du auch. Vielleicht könntest du die Feindseligkeit etwas runterschrauben. Wenn man sie erst mal kennt, ist sie gar nicht so übel. Genau wie du.«

Oh, und wie er sie kannte. Die Nacht in der Bibliothek hatte eine andere Seite von Corrie offenbart – die ihm sehr gut gefallen hatte. Ihr war es gelungen, seine Mauer einzureißen. Und im Gegenzug hatte Ford Corries harte Kanten aufgeweicht. Eigentlich ein echter Synergieeffekt, wenn er so darüber nachdachte. Zu schade, dass er nicht wusste, wie sie zu diesem Zustand zurückkehren sollten.

Und zu schade, dass diese Seite von Corrie weggesperrt war.

»Ich weiß. Sie ist nur so … so …«

»Beeindruckend?«

Das war eine Art, sie zu beschreiben.

»Ich wollte sagen: eingebildet.«

Ethan lachte. »Na, das sagt der Richtige.«

»Hey, ich bin nicht ansatzweise so eingebildet wie sie.«

Ethan klopfte Ford auf die Schulter. »Nein, überhaupt nicht. Ihr beide, ich sag’s dir. Es ist saukomisch, dass jeder von euch meint, der andere hätte ein Problem. Ihr erkennt einfach nicht, wie ähnlich ihr euch seid.«

Ähnlich? Ich bitte dich.

»Wir sind uns überhaupt nicht ähnlich. Ich halte mich an Fakten und Regeln. Sie verlässt sich auf ihre Intuition. Eine Archäologin, die sich nicht an Regeln hält. Und offen gesagt, ist sie ein bisschen leichtsinnig.«

»Und trotzdem wolltest du sie dabeihaben.«

»Ja, weil sie außerdem wirklich brillant ist. Ihre Methoden mögen seltsam sein, aber was immer ich hier tue, funktioniert offenbar nicht.«

Er hatte zwar noch nie mit Corrie zusammengearbeitet, aber er hatte die Geschichten über die spirituelle Verbindung gehört, die sie mit dem Land zu haben schien. Einen Instinkt dafür, wo sie graben musste. Ein Verständnis für den Boden. Niemand konnte es erklären, aber wenn Corrie Mejía auf einer Expedition war, klappte auf magische Weise immer alles, auch wenn es unterwegs einige Pannen und wilde Abenteuer gab.

Nachdem er drei Monate lang gegraben und kaum mehr als ein paar schartige Obsidianstücke gefunden hatte, konnte er eine kleine Dosis Mejía-Magie gebrauchen. Er hatte Ethan nie offen gesagt, warum er ausgerechnet Corrie bei der Grabung dabeihaben wollte, auch wenn es wohl offensichtlich war. Dennoch hoben sich Ethans Augenbrauen, und sein Kiefer senkte sich, als überrasche ihn Fords Geständnis.

»Wow. Ich bin überrascht, dass du das zugibst.«

»Ob du es glaubst oder nicht, Ethan, aber ich besitze ein wenig Demut. Siehst du? So eingebildet bin ich gar nicht.« Ford lächelte, weil ihm klar war, dass sein Freund seinen Humor zu schätzen wusste – und dass Ethan nur auf ihn aufpasste.

Sie hatten zusammen die Welt bereist. Waren auf Dutzenden von Ausgrabungen gewesen. Er war Fords bester Freund, obwohl sich Ford in letzter Zeit zurückgezogen hatte. Seit sein Leben auf den Kopf gestellt worden war. Klar, seine Demut konnte er zugeben, aber mehr auch nicht. Nicht seine Ängste, dass er die ganze Scheiße verdiente, mit der er in den letzten Jahren beworfen worden war.

»Wenn du das Corrie gegenüber zugeben würdest, wäre sie vielleicht ein bisschen netter zu dir«, sagte Ethan und riss ihn aus seinen Gedanken. 

»Was? Dass ich gar nicht so eingebildet bin?«, witzelte Ford.

»Nein, du Blödmann.« Ethan lächelte und verdrehte die Augen. »Dass du sie für brillant hältst. Ich bin mir sicher, sie würde sich über deine Anerkennung freuen.«

Ford legte den Kopf schief. »Meine Anerkennung?« Er lachte. »Das würde sie wohl kaum beeindrucken.«

»Du wärst überrascht«, sagte Ethan vielsagend. Als wüsste er etwas, das er Ford nicht sagen wollte. »Denn vielleicht ist es dir nicht klar, aber du bist auch ziemlich brillant.«

Ford lächelte.

»Ohhh, du findest mich brillant«, neckte er und klimperte mit den Wimpern. Er hätte es nie zugegeben, aber es war eigentlich ganz süß und wahrscheinlich das Netteste, was je jemand zu ihm gesagt hatte.